Doping in der BRD – 1970er Jahre
Manfred Donike, 1979 (Bild der Wissenschaft):
Nach meiner Beurteilung gibt es im Hochleislungssport auf der Ebene des internationalen Niveaus und allem, was damit zusammenhängt, keine Ethik. Der ethische Maßstab ist dort der Maßstab der Leistung.
Es gibt das Regelwerk der internationalen Verbände, die beispielsweise vorschreiben, daß man beim Hammerwurf eine bestimmte Linie nicht übertreten darf, das Wurfgerät hat soundso schwer zu sein, und es muß in der und der Form geworfen werden. Wenn man im Rahmen des Regelwerks eine Leistung vollbringt, dann zählt die Leistung und nicht, wie sie zustande gekommen ist.
Dopingbestimmungen in den 1970er Jahren
Vor allem mit den anabolen Steroide ergaben sich für den Hochleistungssport, hier insbesondere auch für den Amateursport, in einigen Sportarten völlig neue Leistungsmöglichkeiten und damit für Sportler, Trainer, Ärzte und Funktionäre starke Versuchungen medikamentöse Unterstützung einzusetzen. Kontakariert wurde der damit einhergehende, öffentlich geäußerte Antidopingkampf durch die Rolle des Hochleistungssports im politischen Machtkampf der Länder untereinander und hier insbesondere durch den Ost-West-Konflikt. Medaillen wurden zum Synonym für nationale Größe und Überlegenheit. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich hierbei durch den Vergleich mit der DDR eine besonders drückende Bürde aufgehalst. In diesem Wettstreit der politischen Systeme auf dem Rücken der Sportler blieb häufig ein wirkungsvoller Antidopingkampf auf der Strecke.
In der Bundesrepublik war Anfang der 1970er Jahre durchaus ein Problembewusstsein vorhanden, nicht zuletzt ausgelöst durch Brigitte Berendonks 1969 erschienenen Artikel Züchten wir Monstren. Die Kritiker und Mahner konnten sich aber in der Praxis nicht durchsetzen. Ein Beispiel hierfür ist der Fall des Leichtathletiktrainers Hansjörg Kofink. Seine Karriere ist >>> hier auf doping-archiv.de dokumentiert.
Es gab in den frühen 70er Jahren viele Berichte über verbreiteten Dopingmittelkonsum mit verschiedenen Substanzen im Hochleistungssport, allerdings brachte die Kontrollpraxis nur in wenigen Fällen einen sicheren Nachweis. Im Falle der in den 60er Jahren aufgrund einiger Todesfälle zu trauriger Berühmtheit gelangten Amphetamine gab es zwar von verschiedenen Seiten stolze Verlautbarungen, wonach das Doping mit diesen Stimulanzien so gut wie verschwunden sei, aber diese Behauptungen können angezweifelt werden. Sportler haben sich immer angepasst und wussten, wie man positive Befunde vermeiden konnte. Zunehmend rückten die anabolen Steroide in den Focus, sie breiteten sich beängstigend aus. Mitte der 1970er Jahre wurde dann zwar gelegentlich bei Wettkämpfen darauf getestet, doch die Gefahr entdeckt zu werden, war äußerst gering. Die Anwendung in Trainingszeiten war bei rechtzeitigem Absetzen risikolos. Zudem stritten während diese Jahre Sportärzte darum, ob Anabolika überhaupt Dopingmittel seien und plädierten für eine ärztlich kontrollierte Anwendung, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Angeblich gab es auch Äußerungen hochstehender Funktionäre wie Prof. August Kirsch, der laut Liesel Westermann mehrfach davon gesprochen habe, Anabolika seien (in der Leichtathletik) nicht verboten.
Ein für den Leistungssport zuständiger Funktionär eines westdeutschen Fachverbandes erklärte die Haltung vieler Verbände in den 70er Jahren später gegenüber den Autoren Singler/Treutlein (Doping im Radsport, S. 247) wie folgt:
„Wenn später mal einer gesagt hat, sag mal, du musst doch gewusst haben, dass es Doping gegeben hat: Selbstverständlich habe ich gewusst, dass es Doping gegeben hat. Natürlich hat es das gegeben, aber wir haben nicht die Konsequenzen daraus gezogen zu sagen, wenn ich jetzt nur den geringsten Verdacht habe, dann werden wir gezielt versuchen, auch im Training zu kontrollieren. Die Auffassung, dass man das im Wettkampf nicht machen darf, setzte sich bei uns ganz früh durch. Aber wir haben gesagt: Wenn er das im Winter macht, wenn der sich so aufbaut …“
1976 kam es dann nach den Olympischen Spiele in Montreal zu einem Eklat. Die Affaire um die Kolbe-Spritze ließ erkennen zu welchen absurden Mitteln mittlerweile gegriffen wurde, um nationale Überlegenheit demonstrieren zu können. Gleichzeitig konnte die breite Anwendung von Dopingsubstanzen nicht mehr geleugnet werden.
>>> Olympische Spiele in Montreal 1976
Es entbrannte ab 1976 eine intensive Dopingdiskussion, in der Sportverbände mit ihren Funktionären, Sportärzte und Politiker Farbe bekennen und sich, nicht immer freiwillig, öffentlich für einen strikten Antidoping-Kurs entscheiden mussten. Die Diskusssion fand jedoch überwiegend in sportlichen und politischen Gremien statt. Es gab durchaus auch den Versuch das Thema in die breite Öffentlichkeit zu tragen, zahlreiche Medienberichte liegen vor. Doch inwieweit damit die breite Öffentlichkeit erreicht wurde und das Dopingproblem für diese zu einem bekannten Thema wurde, bleibt unklar (Univ. Münster, Die Rezeptionsgeschichte des Dopings in Deutschland von 1950 bis 2009).
Insbesondere die breite Anwendung der anabolen Steroide löste heftige Kontroversen innerhalb der betroffenen und diskutierenden Gruppen aus. Deutlich wurde, dass es nicht allein Sportler waren, die danach aus eigenem Antrieb griffen, sondern dass Trainer und Sportmediziner Möglichkeiten der Rechtfertigung gefunden hatten und diese nutzten. (Siehe weiter unten und die hierzu die in dieser Rubrik gelisteten Dokumente aus den 1970er Jahren: Dopingkontrollpraxis, -vorfälle in den 1970er Jahren)
Als Reaktion auf die entbrannte Diskussion um den Anabolikamissbrauch in den 1960er Jahren gab sich 1970 der Deutsche Sportbund DSB zum ersten Mal Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings (26.9.1970). Manfred Donike zitiert daraus wie folgt :
„Doping ist der Versuch, eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Sportlers durch unphysiologische Substanzen für den Wettkampf zu erreichen.“
Doping-Substanzen im Sinne dieser Richtlinien sind Phenyläthylaminderivate (Weckamine, Ephedrine, Adrenalinderivate), Narkotica, Analeptica (Kampfer- und Strychninderivate), Sedativa, Psychopharmaka und Alkohol.
Doping ist die Anwendung (Einnahme, Injektion oder Verabreichung) einer Doping-Substanz durch Sportler oder deren Hilfspersonen (insbesondere Mannschaftsleiter, Trainer, Betreuer, Ärzte, Pfleger und Masseure) vor einem Wettkampf oder während eines Wettkampfes.“
>>> 1970 /1977 DSB-Rahmenrichtlinien plus Liste der verbotenen Substanzen
>>> DSB-Liste der verbotenen Substanzen 1972, M. Donike in W. Hollmann, Sportmedizin
Uni Münster ‚Sport und Staat‘:
Das IOC beschäftigte sich 1967 auf der Mitgliederversammlung in Teheran ausführlich mit dem Thema Doping, klassifizierte anabole Steroide in einem gesonderten Absatz zwar als Dopingmittel, listete sie aber nicht unter den anderen Dopingsubstanzen auf (Protokoll der 65. Sitzung des IOC, Annex XIa Doping, in IOC-Archiv). Bei der IOC-Sitzung 1972 in Sapporo führte der Präsident der Medizinischen Kommission de Merode folgendes aus:
„However, there had been considerable progress in the field of hormones and steroids, but it was not possible at this point to control these substances. As the Commission had to be certain before carrying out tests, these products were not on the list of prohibited substances”
(Protokoll der 72. Sitzung des IOC, S. 28, in IOC-Archiv).
Das IOC hat seine Bestimmungen 1971 ergänzt (Zitat Donike):
„Alle, auch zu therapeutischen Zwecken verwendete Substanzen, die die Leistungsfähigkeit aufgrund ihrer Zusammensetzung oder Dosis beeinflussen, sind Dopingmittel. Dazu gehören im einzelnen:
1. Sympathomimetische Amine (z. B. die Amphetamine, Ephedrine u. ä.)
2. Zentralnervös stimulierende Substanzen (z. B. Strychnin, Analeptica o. ä.)
3. Narkotische Analgetica (z. B. Morphin, Metadon o. ä.)
Aus diesen allgemein gehaltenen Formulierungen könnte man folgern, dass auch anabole Steroide verboten waren. Doch es wurden Einschränkungen vorgenommen. Danach sind Mittel, auch nicht expressis verbis aufgeführte, dann verboten, wenn sie a) leistungssteigernd wirken, wenn sie b) toxisch wirken und wenn c) es für sie eine Nachweismöglichkeit gibt. Zumindest der Nachweis war für Anabolika Anfang der 70er Jahre noch nicht anerkannt. Daraus ergab sich, dass Anabolika vom IOC ab 1971 nicht mehr verboten waren. Die Jahre zuvor, ab 1967 hatte das IOC verfügt, dass Anabolika nur für ‚medizinische Zwecke‘ erlaubt seien. Manfred Donike führte 1979 in Bild der Wissenschaft 1/1979 folgendes aus:
Schon 1971, im Vorfeld der Olympischen Splele von München, wurde die Frage diskutiert, ob die anabolen Steroide auf die Liste der Dopingmittelgesetzt werden sollten. Man entschloß sich jedoch, auf eine Auflistung zu verzichten, weil ein analytischer Nachweis am Wettkampftag nur in Ausnahmefällen möglich sei. Grund hierfür waren weniger die fehlenden analytischen Möglichkeiten, wie fälschlich in der Öffentlichkeit behauptet wird. Nachweismethoden für anabole Steroide gibt es schon seit 1963. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war vielmehr der Umstand, daß die angeblichen Leistungsgewinne auch noch Wochen nach dem Absetzen der Medikamente anhalten. … Bei den klassischen Dopingmitteln kann vorausgesetzt werden, daß sie nur dann wirksam sind, wenn meßbare Blutspiegel und in Abhängigkeit davon meßbare Urinspiegel vorliegen. Eine Dopingkontrolle nach dem Wettkampf in Form einer Urinplobe, wie die Satzungen der internationalen Verbände es vorschreiben, reicht also aus, einen Mißbrauch dieser Mittel festzustellen. Bei der Überprüfung auf Anabolika ist ein ähnliches Vorgeben wie bei den Stimulantien und Narkotika nicht zweckentsprechend. Am Wettkampftag kann das Präparat schon so lange abgesetzt worden sein, daß die Wirkstoffkonzentrationen unter den Nachweisgrenzen liegen. …
Inzwischen sind beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland, in der Schweiz und in den skandinavischen Staaten Regelungen in Kraft getreten, die eine Kontrolle auch im Training gestatten. Die Medizinische Kommission der IOC tat 1976 einen Schritt in die gleiche Richtung, indem unter Zustimmung der Internationalen Fachverbände schon vor Eröffnung der Spiele Stichproben durchgeführt wurden.
Der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) dagegen führte die Anabolika 1970 trotz der fehlenden Nachweismethoden in seinen ersten Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings auf. Darin werden Steroide verboten und Tests werden gemacht, doch diese wurden nur zu Forschungszwecken verwandt. Die UCI wiederum handelte wie das IOC und hob seine Bestimmungen betreff Anabolika, aber auch betreff Corticosteroide und Wachstumshormone wieder auf. Erst 1978 wurden Anabolika und Corticosteroide von der UCI wieder untersagt.
Die Frage, ob und ab wann Anabolika verboten waren, ist nicht einheitlich zu beantworten. Für die deutschen Verbände lässt sich wohl sagen, dass die meisten überhaupt keine Antidoping-Regularien besaßen bzw. sich auf Regularien ihrer Internationalen Verbände beriefen (s.u.). Beispiel:
In der anderen stark anabolikabelasteten Sportart Gewichtheben wurde in einer Mitteilung der Verbandszeitschrift des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber (BVDG) über die geplanten Dopingkontrollen bei den Deutschen Meisterschaften mitgeteilt, dass „nach einer Mitteilung der Ärztekommission der europäischen Gewichtheber-Föderation […] die Einnahme von Anabolika nicht als Doping angesehen [wird]“ (Athletik, 5, 1972, S. 20). Im Folgenden wurde dabei auch Bezug genommen auf die Rahmen-Richtlinien zur Bekämpfung des Dopings des DSB von 1970, an denen sich die deutschen Spitzenverbände orientieren sollten. Auf dieser Liste waren Anabolika jedoch bis 1977 nicht enthalten. (Univ. Münster, S. 35ff)
Und das Anabolika-Verbot des IOC von 1974 galt streng genommen ausschließlich für Olympische Spiele, zum ersten Male für 1976. Es waren zwar für die Commonwealth-Spiele Anabolika-Kontrollen angekündigt worden, doch diese fanden nicht statt (SID 7.2.1974). Es gab auch folgende Meldung wonach Olympiateilnehmer möglicherweise zu Anabolika-Kontrollen während des Trainings gezwungen werden könnten.
Dies enthüllt eine Broschüre des IOC über die zu den verbotenen Dopingmitteln zählende Muskelpille. Die in Lausanne veröffentlichte Broschüre wurde zunächst an die internationalen Fachverbände und die Nationalen Olympischen Komitees verschickt. Der belgische Dopingexperte Prof.Albert Dirix, Mitglied der medizinischen Kommission des IOC, führt aus, die einzig effektiven Kontrollen seien Stichproben beim Training und Wettkampf. (SZ 24./25./26.Dez.1975)
Die Richtlinien des DSB wurden kaum berücksichtigt.
Am 3.12.1977 ergänzte der DSB seine 1970 verabschiedeten Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings. Bei den Dopingsubstanzen wurden zusätzlich Phenylaethyl Aminderivate (z. B. Weckamine, Narkotika und Analeptika) und die anabolen Hormone aufgenommen. Anabolika wurden zudem als einzige Substanzen auch während des Trainings verboten, für alle anderen galt das Verbot vor und während des Wettkampfes.
>>> 1977 DSB-Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings
Das Anabolikaverbot während des Trainings hatte aber kaum Konsequenzen. Erste wenige Trainingskontrollen fanden erst 1989 statt. Prof. Keul 1979 in Bild der Wissenschaft:
„Man darf auch nicht vergessen, daß innerhalb der Arzteschalt ein Umdenken stattfinden mußte, denn unter den alten Dopingbestimmungen waren die anabolen Steroide nicht einzuordnen, weil nur das verboten war, was während des Wettkampfes eingenommen oder nachweisbar war. Hier handelt es sich jedoch um Substanzen, die während des Trainingsprozesses eingenommen wurden, also keine akute Leistungsverbesserung bedingen, sondern über längere Zeit eine Leistungsverbesserung bringen sollten. Hier gab es für die Alle eine Unsicherheit.“
Es muss zudem das Verbot von Testosteron noch einmal gesondert betrachtet werden. Das körpereigene Hormon wurde im Gegensatz zu den synthetischen Derivaten während der 1970er Jahre noch nicht mit einem anerkannten Verfahren nachgewiesen. Nach der Einführung der Kontrollen auf Anabolika gingen die Athleten dazu über, das körpereigene Testosteron anzuwenden, womit ein Nachweisproblem entstand. Testosteron wurde erst 1982 in die Liste des IOC aufgenommen, nachdem ein von Manfred Donike und seinem Institut entwickeltes Verfahren offiziell übernommen wurde. Damit war Testosteron bis 1982 vom IOC nicht verboten (M. Berlioux IOC, de Mondeanrd, S. 1042). Und auch die sich an der IOC-Liste orientierenden DSB-Richtlinien dürften damit das Testosteron nicht berücksichtigt haben. Entsprechende Äußerungen, wonach Testosteron im Sport nicht verboten sei, liegen von Veranwortlichen vor. Auch gab es aus der deutschen Ärzteschaft Widerstände gegen die Aufnahme von Testosteron in die Verbotslisten.
Donike 1977:
„Ich gehe davon aus, daß die in Düsseldorf an den Start gegangenen Athleten frühzeitig anabole Steroide, soweit verwendet, abgesetzt haben. Aus meinen Untersuchungen kann ich folgenden Schluß ziehen: Ein hoher Prozentsatz der von uns untersuchten Urinproben enthält Testosteron-Metaboliten in einer solchen Konzentration, daß die Substitution von anabolen Steroiden durch Testosteron wahrscheinlich ist“ (Donike an Kirsch vom 21.10.1977, in CuLDA, Nachlass Kirsch, Mappe 91, Doping 1971-77).
Genaue Zahlen sind aufgrund einer Doktorarbeit, die bei Donike zum Testosteronnachweis geschrieben wurde, für das Jahr 1980 bekannt. Von den 342 aus der Routineanalytik genommenen Proben waren nach dem Grenzwert des IOC 8,5% positiv auf Testosteron (vgl. Zimmermann, 1986, S. 168).
… Vor dem Hintergrund des Konkurrenzkampfes um die Verteilung der Mittel sind auch die Konfrontationen zwischen Keul und Donike in der Frage der Aufnahme der Substanzen Testosteron und Koffein in die Dopingliste zu erklären. Donike war an einer Aufnahme interessiert und forcierte dies entsprechend national und vor allem auch innerhalb der Medizinischen Kommission des IOC. Keul war nicht Mitglied dieser weltweit wichtigsten Kommission im Anti-Dopingkampf und befand sich daher strategisch in dieser Frage in einer deutlich schlechteren Position. Keul opponierte jeweils unterschiedlich mit dem Hinweis auf angeblich unzureichende Nachweisverfahren beim Testosteron sowie fehlende Beweise für leistungssteigernde bzw. gesundheitsschädliche Effekte beim Koffein. (Univ. Münster Sport und Staat)
International gesehen hatten erst 1993 alle internationalen Verbände Anabolika verboten. Siehe hierzu auch
>>> 1953-1993 Anabolika-Reglements
>>> 1979 IOC Medizinische Ordnung/Diskussion Dopingliste
1970/1971 DLV-Dopingbestimmungen
Bereits in den amtlichen Leichtathletikbestimmungen des DLV von 1959 ist ein Paragraph zum Thema Doping enthalten, er ist aber wenig präzise.
1970 wird das Dopingthema brennender. Im Februar beschließt der DLV-Verbandstag die Einrichtung einer Anti-Doping-Kommission, die am 24. November 1970 „Empfehlungen zur Neufassung der Dopingbestimmungen im DLV“ vorlegte. Die Kommission setzte sich zusammen aus dem Vositzenden Sportmediziner Dieter Baron, dem Staatsanwalt Dieter Hummel und dem Apotheker Horst Klehr. Vorgeschlagen wird auch ein Verbot der Anabolika.
Bereits im August 1970 hatte der Leistungsrat des Deutschen Leichtathletik-Verbandes auch aufgrund der Vorgabe durch die IAAF in einer Stellungnahme dem DLV empfohlen, Anabolika in die Verbotsliste aufzunehmen (s. Kästchen links). Danach entspräche die Einnahme von Anabolika vor und für den Wettkampf der gültigen Dopingdefinition, eine Verhütung von Überdosierungen und Nebenwirkungen seien nicht durchführbar, ärztliche Kontrollen zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden seien zu teuer und Trainingskontrollen machbar.
„Die Freigabe der Anabolika würde eine Vielzahl anderer chemischer Manipulationen im Training anregen und fördern. Es würde daraus eine weitere Fehlentwicklung im Sport resultieren, die sinnwidrig, ethisch verwerflich und für die Sporttreibenden, insbesondere Jugendliche und Frauen, gesundheitsgefährlich wäre.“ (Leichtathletik, 13.10.1970)
Aufgewühlt hatte insbesondere der erwähnte Artikel von Brigitte Berendonk 1969 Züchten wir Monstren an dem vor allem die Deutsche Leichtathletik nicht vorbei kam. Zwar war im Januar 1970 aus der Geschäftsstelle des DLV in direkter Reaktion auf Brigitte Berendonks Artikel zu vernehmen, dass von Seiten der Mediziner noch nicht geklärt sei, ob es sich bei Anabolika um echte Dopingmittel handele. Doch im März 1971 veröffentlicht der DLV dann seine neuen Dopingbestimmungen in denen wie vom Leistungsrat vorgeschlagen Anabolika aufgenommen waren:
>>> Dopingbestimmungen des DLV 1971
Darin heißt es u.a.:
„Doping ist der Versuch, eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Sportlers durch unphysiologische Substanzen für den Wettbewerb zu erreichen.
Man versteht darunter die Anwendung (Einnahme, Injektion oder Verabreichung einer Dopingsubstanz durch Sportler oder deren Hilfspersonen (insbesondere Mannschaftsleiter, Trainer, Betreuer, Ärzte, Pfleger und Masseure) vor, während oder unmittelbar nach dem Wettkampf.“
Anabolika sind in der angehängten Medikamenten-Verbotsliste namentlich aufgeführt und auch im Training verboten (Anaboleen/Dianabol/Durabolin/Emdabol/Oranabol/Primobolan/Steranabol/Stromba). Die Liste wird als nicht vollständig klassifiziert, in Zweifelsfällen habe der Rechtsausschuss nach Anhörung der Doping-Kommission zu entscheiden. War damit auch Testosteron verboten? Theoretisch wohl schon, praktisch aufgrund fehlender Nachweisbarkeit eher nicht. Ein Problem, dass dem Testosterondoping in den Folgejahren breiten Raum verschaffte.
Der DLV änderte seine Anti-Doping-Textfassung Mitte 1971, nachdem die IAAF neue Regeln erlassen hatte und übernahm diese. Sie entsprachen sich in etwa.
Damit gingen die DLV-Bestimmungen weiter als die Rahmenrichtlinien des DSB es vorgaben, in denen Anabolika nicht erwähnt sind.
Kontrollpraxis in der BRD
Die Bundesregierung gab in Beantwortung einer Kleinen Anfrage am 14.5.1979 einige Informationen über den Stand der Antidoping-Bestimmungen, Kontrollverfahren und -ergebnisse (der Bundestag, 14.5.1977).
Zur Praxis des Kontrollsystems heißt es:
„Zur Verbesserung der Dopinganalytik und der Dopingkontrolle hat die Bundesregierung bereits im Jahre 1974 einen Beauftragten für Dopinganalytik des Bundesinstituts für Sportwissenschaft bestellt, der regelmäßige Untersuchungen bei bedeutenden nationalen und internationalen Veranstaltungen durchführt und deren Ergebnisse systematisch auswertet. Der Dopingbeauftragte befaßt sich darüber hinaus mit der Entwicklung neuartiger Untersuchungsverfahren und der Feststellung spezieller Dopingstoffe.
Für Dopinganalytik hat die Bundesregierung in den Jahren 1970 bis 1978 insgesamt rd. 1,1 Mio DM aufgewendet. Seit dem Haushaltsjahr 1979 verfügt das Bundesinstitut für Sportwissenschaft über einen eigenen Haushaltstitel „Durchführung der Dopinganalytik“ mit einem Ansatz von 400000 DM. Darüber hinaus können nach Bedarf zusätzliche Mittel für Forschungszwecke bereitgestellt werden.“
Manfred Donike, fasste das in den 1970er Jahren in Deutschland geltende Doping-Kontrollsystem in einem Vortrag 1977 zusammen.
Danach galt: „… Die Auswahl der Athleten geschieht in der Regel nach den Richtlinien dar nationalen oder internationalen Fachverbände. Dies trifft auch für Olympische Spiele, bei denen dle Medizinische Kommission des IOC bezüglich der Auswahl der Athleten weitgehend den Wünschen der internationalen Fachverbände entgegenkommt. „
Die Organisation der Abnahmeprozedur ist bei internationalen Veranstaltungen dem Veranstalter überlassen, bei nationalen Wettkämpfen den Fachverbänden.
Die Analytik geschieht in der Regel nach den Richtlinien, die die nationalen oder internationalen Verbände festlegen. Die Untersuchungsmethoden werden entsprechend dem Stand der Wissenschaft pauschal vorgeschrieben. Beispielhaft sind die Vorschriften der Medizinischen Kommission des IOC, denen sich viele nationale und internationale Fachverbände angeschlossen haben. Gaschromatographische und skeptroskopische Verfahren werden zum eindeutigen Nachweis, also zu absoluten Identifizierung verlangt.
Die Beurteilung der analytischen Ergebnisse, die Durchführung einer Gegenkontrolle (anhand der abgegebenen Zweitprobe) und die Überwelsung des Vorganges an die zuständigen Verbandsgremien erfolgt durch eine Kommission oder bei einzelnen Fachverbänden, durch einen beauftragten Arzt. Die Sanktionen werden in den Satzungen der Sportverbände festgelegt. In der Regel wird im Erstfall eine Sperre von 1-3 Monaten ausgesprochen, im Wiederholungsfalle eine längere Sperre oder im Einzelfall schon Lizenzverweigerung. …“
>>> Manfred Donike: Dopinguntersuchungen Stand 1977
Wirrwar der Anti-Dopingbestimmungen
Einen Überblick über den Stand des Anti-Dopings in Europäischen Ländern, sowohl was staatliche Regelungen als auch die von Sportorganisationen anbelangt, gibt eine eine Umfrage von Alexandre de Mérode für den Europarat. Sehr ausführlich hatte die BRD geantwortet und die vorhandenen Regelungen und Beschlüsse geliefert:
1978 Umfrage, Survey A. de Mérode unter Mitgliedern Europarats– Sportpolitik, Sportorganisationen – Stand Antidoping, „The Anti-Doping Campaign“
Die fehlende Einheitlichkeit der Antidopingbestimmungen innerhalb der einzelnen Nationen, der internationalen und nationalen Verbände vereinfachte die Diskussion um Doping nicht. Die Bestimmungen der internationalen Verbände waren im Detail ebenso unterschiedlich wie die der nationalen. So waren für die Teilnahme an den Olympischen Spielen andere Vorgaben zu beachten als für internationale Meisterschaften in der Leichtathletik oder dem Radsport. Auch national sahen sich z. B. Radsportler anderen Regelungen gegenüber als Schwimmer oder Gewichtheber, diese Differenzen zeigten sich auch in den Sanktionskatalogen. Die erwähnten Rahmenrichtlinien des DSB waren dementsprechend keine Regelungen, deren Verstoß direkt zu Sanktionen führten, sondern es handelte sich dabei um verbindliche Vorgaben, die die im DSB vereinten Verbände in ihre Regelwerke übernehmen sollten. Entsprechende Vorgaben fanden sich auch in anderen Ländern. Die Bundesregierung erklärte in der erwähnten Antwort vom 14.5.1977 diese Situation wie folgt:
„Die Grundsatzerklärung für den Spitzensport und die Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings setzen verbindliche Maßstäbe für die deutschen Sportverbände. Der DSB kann, in der Regel über seine Mitgliedsorganisationen, lediglich auf die internationalen Verbände hinwirken, daß Dopingkontroll-Maßnahmen in den Satzungen der internationalen Verbände verankert und durchgeführt werden.
Gesetze, die das Doping verbieten, bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung in Belgien, Frankreich, Griechenland und Italien. Regelungen, vergleichbar den Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Doping des DSB, bestehen in Irland, Luxemburg, Norwegen, der Schweiz und in der Türkei. Dänemark und Finnland beabsichtigen, sich der norwegischen Regelung anzuschließen, ebenso Schweden. In Großbritannien werden Dopingkontrollen durchgeführt, wobei die spezifischen Belange der Sportverbände im Vordergrund stehen.
In den Ostblockstaaten werden Dopingkontrollen durch die jeweiligen zentralen Sportmedizinischen Dienste durchgeführt, wobei jedoch im einzelnen Informationen über den Umfang und die Effektivität der Kontrollmaßnahmen fehlen. Im übrigen Bereich der westlichen Hemisphäre, z. B. in den Staaten Nord- und Südamerikas, werden, jedenfalls auf dem Gebiet des Humansports, Dopingkontrollen nicht regelmäßig durchgeführt.
Folgende internationale Verbände besitzen spezifische Anti-Doping- Regeln: Leichtathletik, Radsport, Fechten, Fußball (WM), Handball, Eishockey, Ringen, moderner Fünfkampf, Gewichtheben, Ski-Alpin und Ski-Nordisch, Olympische Reitsportdisziplin.
Die folgenden internationalen Verbände besitzen keine eigenen Regeln, folgen jedoch überwiegend bei internationalen Meisterschaften den Regeln des Internationalen Olympischen Komitees: Rudern, Basketball, Bob, Boxen, Turnen, Rodeln, Schießen.“
Auf nationaler Ebene verlief die Aufnahme von Antidopingbestimmungen in die Satzungen der Verbände schleppend. 1976 hatten erst 4 Verbände die vom DSB 1970 erlassenen Richtlinien aufgenommen einschließlich von Bestimmungen für Dopingkontrollen. 1978 sah die Situation wie folgt aus:
„Laut einer Umfrageaktion des Deutschen Sportbundes vom Juni 1978 besitzen folgende Verbände in ihren Satzungen eine Dopingbestimmung: Deutscher Amateur-Box-Verband, Bundesverband Deutscher Gewichtheber, Deutscher Leichtathletik-Verband, Bund Deutscher Radfahrer, Deutsche Reiterliche Vereinigung, Deutscher Ruder-Verband und Deutscher Schwimm-Verband.
Die meisten Verbände beziehen sich jedoch bei der Durchführung von Dopingkontrollen auf die Vorschriften entweder der Medizinischen Kommission des IOC oder die der internationalen Dachverbände oder auf die DSB-Rahmenrichtlinien, z. B. Deutscher Badminton-Verband, Deutscher Bahnengolf-Verband, Deutscher Bob- und Schlittensport-Verband, Deutscher Boccia-Verband, Deutscher Fechter-Bund, Deutscher Verband für Modernen Fünfkampf, Deutscher Fußball-Bund, Deutscher Handball-Bund, Deutscher Hockey-Bund, Deutscher Judo-Bund, Deutscher Kanu-Verband, Deutscher Ringer-Bund, Deutscher Schützen- Bund, Deutscher Skibob-Verband, Verband Deutscher Sportfischer, Verband Deutscher Sporttaucher, Deutscher TanzsportVerband, Deutscher Tennis-Bund und Deutscher Turner-Bund.“
sid, 26.5.1977:
„Einen „Sauberkeits-Bonus“ für den bundesdeutschen Spitzensportler bei Vergleichen mit den internationalen Ranglisten hat Sporthilfe-Vorsitzender Josef Neckermann als Folgerung aus der Anti-Doping-Charta gefordert. Neckermann sagte, in der Öffentlichkeit müsse Verständnis für die durch äußere Gegebenheiten unabwendbaren Niederlagen geweckt werden, es sei Pflicht der Gesellschaft, von ihren leistungssportlichen Repräsentanten materielle Not fernzuhalten, „um unseren Sportlern den Gewissenskonflikt eines manipulierten Weges zum lohnenden Erfolg zu ersparen.““
Diese mangelnde Akzeptanz und Umsetzung der Grundsatzerklärung durch die Verbände wurde jedoch nicht weiter öffentlich diskutiert. Die Grundsatzerklärung hatte aber nach deren Beschluss Forderungen des Sports an die Politik zur Folge. Kern dessen war die Schlussfolgerung, wenn nicht mehr wie international üblich, von deutschen Athleten gedopt werden dürfe, hätten diese einen Nachteil. Daher müssten zum einen die Erwartungen an deren Leistungsfähigkeit, sprich Medaillenerwartungen, herunter geschraubt werden. Zum anderen müssten neue Möglichkeiten gefunden werden, um diesen Nachteil ausgleichen zu können. Krüger et al. halten fest, dass der Sport über die Grundsatzerklärung den Staat auffordern konnte, mehr finanzielle Mittel für Förderung, Betreuung und soziale Absicherung bereit zu stellen. Damit würde die Verwirklichung eines ‚humanitären Leistungssports‘ möglich bei gleichzeitigem Erhalt der internationalen Konkurrenzfähigkeit.
„Es stellte sich die paradoxe Situation ein, dass Doping zu einem Legitimationsinstrument für die Einforderung weiterer finanzieller Mittel wurde und nicht, wie noch im Sportausschuss geschehen, die Leistungssportförderung an siich in Frage gestellt wurde.“ (Krüger et al., 2014, S. 106)
ie Doping-Debatte, insbes. die Diskussion um Anabolika
Die Diskussion um den Stellenwert der Anabolika entwickelte sich Anfang der 1970er Jahre zu dem zentralen Dopingthema. Noch Ende des Jahrzehnts herrschte keine einheitliche Meinung, auch international gesehen gab es unterschiedliche Auffassungen.
Doping und deutsche Ärzte – die 70er Jahre
Die Münsteraner Forscher beschreiben in ihrem Abschlussbericht zu Doping in Deutschland mehrere Gründe, die dieses Unklarheiten und widersprüchlichen Aussagen über die Einstufung der Anabolika erklären könnten.
Erstens sei das Problem mit den Aufputschmitteln aufgrund der weiten bekannten Verbreitung und der damit verbundenen Gesundheitsgefahren mit bekannten Todesfällen als dringlicher erschienen. Zweitens hätte die Wirkungsweise der Anabolika und die damit verbundene Einnahmepraxis in den Zeiten vor Wettkämpfen nicht in die vorhandenen Dopingdefinitionen gepasst. Und vor allem seien sie drittens nicht nachweisbar gewesen. Die Nachweisbarkeit der Substanzen war ab Mitte de 1960 Jahre international zu einem der wichtigsten Kritierien für die Einstufung erhoben worden.
„Bereits 1965 wurde bei einer internationalen Dopingkonferenz, welche die Grundlagen für eine europäische Konvention des Europarats gegen Doping erarbeiten sollte, die Nachweisbarkeit von Substanzen als ein Kriterium für die Aufnahme in die Dopingliste genannt (vgl. Weidemann, 1966, S. 50). Auf dem vorbereitenden Symposium zur Ausarbeitung der Rahmen-Richtlinien von 1970 war ebenfalls die Nachweisbarkeit für die Aufnahme in die Dopingliste zentral (vgl. Keul, 1970, S. 15f.). Das IOC beschäftigte sich 1967 auf der Mitgliederversammlung in Teheran ausführlich mit dem Thema Doping, klassifizierte anabole Steroide in einem gesonderten Absatz zwar als Dopingmittel, listete sie aber nicht unter den anderen Dopingsubstanzen auf (Protokoll der 65. Sitzung des IOC, Annex XIa Doping, in IOC-Archiv).“
Diese fehlende sichere Nachweisbarkeit war vor allem deshalb ein wichtiges Kriterium, da es galt justiziable Entscheidungen fällen zu können. Denn eine Nachweismöglichkeit gab es bereits wie Ludwig Prokop 1968 ausführte. Ein vierter Grund ergab sich aus den höchst unterschiedlichen Forschungs- und Studienergebnissen und deren Interpretationen.
Heftig umstritten waren die Möglichkeiten der Leistungssteigerungen und auch die mit der Gabe von Anabolika verbundenen Gesundheitsgefahren. Hier ergab sich ein breites Feld für wissenschaftliche Forschung aber auch für einseitig ziel-/absichtsorientierte Rezeptionen der Ergebnisse seitens der Anwenderkreise. Erik Eggers zitiert in diesem Zusammenhang Studien von Nöcker und Reinhard, deren Ergebnisse erhebliche gesundheitliche Risiken der Anabolikagaben aufzeigten, die aber in der zeitgenössischen Diskussion nicht aufgegriffen wurden. Die Münsteraner Forscher wiederum betonen, dass es in den 1950er bis 1970er Jahren nicht selten Bestrebungen von Antidopingprotagonisten gegeben habe, die leistungssteigernden Potentiale von Medikamenten und Substanzen auch mit wissenschaftlicher Forschung klein zu reden, um damit die Sportler von deren Anwendung abzuhalten. Aus dieser Gemengelage heraus gelang es Sportmedizinern die Theorie der Substitution zu entwickeln und bekannt zu machen. Eine Theorie, die einsichtig scheint, zumal sie verspricht, die Gesundheit der Sportler zu schützen. Einfach ausgedrückt bedeutete sie, dass durch körperliche Anstrengungen verbrauchte körpereigene Stoffe und auftretende Stoffwechselprozesse Mangelerscheinungen hervorrufen, die die Gesundheit beeinträchtigen. Mit Hilfe der Gabe von Medikamenten und Ergänzungsstoffen könne man nun diese negativen Entwicklungen verhindern.
„Damit wurde die Anwendung semantisch in die Nähe einer therapeutischen Maßnahme gerückt. Unter diesen Prämissen gilt nicht die Anwendung per se als illegitim und gefährlich, sondern vielmehr der unkontrollierte Gebrauch ohne ärztliche Begleitung durch den Athleten selbst.“ (Univ. Münster, Sport und Staat, S. 35ff )
Diese ambivalente Argumentation war kein deutsches Phänomen, sondern fand sich international wieder. In Frankreich bürgerte sich der Begriff „rééquilibrage hormonal“ (hormonelle Ausbalancierung) ein, der sich bis in die jüngste Vergangenheit hielt. Und genau besehen, basieren der Nahrungsergänzungsmittelboom und die anti-aging-Industrie auf dieser Vorstellung der Substitution und auch hier sind die Nebenwirkungen des unkontrollierten Einsatzes der verschiedensten Substanzen, darunter auch Hormone, gesundheitlich umstritten und häufig noch immer wenig erforscht. Insgesamt kann bzw. müsste die gesamte Enhancement-Debatte, wie sie gegenwärtig geführt wird, vor dem Hintergrund dieser hier beschriebenen früheren Ereignisse und Entwicklungen betrachtet werden. Andreas Singler geht in seiner Dissertation Doping und Enhancement insbesondere in dem Kapitel >>> „Anabolika und die Vorstellung eines „zivilisierten“ Dopings (1970 bis 1976/1977)“ darauf ein.
Die Schwierigkeiten, die sich aus der Definition und der Bedeutung der Nachweisbarkeit von Dopingsubstanzen ergaben, hatten auch zur Folge, dass z. B. die Coticosteroide/Cortison nicht verboten wurden obwohl diese teilweise in sehr hohen Dosen zum Einsatz kamen und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken bekannt waren. Eine nähere Betrachtung dieser Problematik fehlt allerdings in den vorliegenden Dopingstudien und -analysen.
Zitat aus ‚Sport und Staat‘: „Überblickstudien verdeutlichen das uneinheitliche Bild in Bezug auf die Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Substanzen in besonderem Maße. Haupt & Rovere (1984) analysierten 25 internationale Studien, die zum Thema Anabolika und sportliche Leistung durchgeführt wurden. Sowohl in Bezug auf die Wirkungen als auch in Bezug auf die Nebenwirkungen zeigen sich widersprüchliche Ergebnisse. Diese Analyse wurde von Taylor (1991) bestätigt. Das Abschlussstatement einer internationalen Konferenz des britischen Sportärztebundes 1975 bringt den zeitgenössischen Erkenntnisstand folgendermaßen auf den Punkt:
„The actions of anabolic steroids in healthy, training athletes are not fully understood. Studies show conflicting results in respect of increase in body size, measures of strength and improvement of performance” (British Association of Sports Medicine, 1975, S. 110).“
In Westdeutschland führte die kontroverse Diskussion dazu, dass deutsche Sportmediziner 1976 auf einem Sportärztekongress in Freiburg einstimmig die kontrollierte Freigabe der anabolen Steroide forderten. In einem Communiqué der Verbandsärzte im BAL (Bundesausschuss für Leistungssport im DSB) war zu lesen,
«Den Sportlern sollen Wirkstoffe (Medikamente) nicht vorenthalten werden, die zur Leistungsoptimierung dienen können, vorausgesetzt, dass die endgültigen Dopingbestimmungen des Deutschen Sportbundes eingehalten werden und den Sportlern durch diese Massnahme nicht geschadet wird. (…) Wenn die Ärzte „nein“ sagen, dann gibt es überhaupt keine Kontrolle. Es ist deshalb doch besser, mitzugehen, zu steuern und sinnvoll zu helfen als zu sagen: „Wir sind völlig dagegen!“ – gegen Substanzen möglicherweise, die nicht einmal unbedingt schaden.» Armin Klümper, Verbandsarzt des Bundes Deutscher Radfahrer, präzisierte: „Die Arbeitsgemeinschaft hat sich also auch für die Anabolika ausgesprochen.“ (Badische Zeitung, 25.10.1976, zitiert nach Singler/Treutlein, S. 205) Der parallel in Freiburg tagende wissenschaftliche Arbeitskreis des Deutschen Sportärztebundes kam zu demselben Schluss. (Singler/Treutlein, S. 203, NZZ, 12.10.2006)
Dirk Clasing, damaliger Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Verbandsärzte, und von 2002 bis März 2007 im Vorstand der deutschen NADA, prägte hierzu den Begriff der „praktischen Toleranz“:
„Den Sportlern sollen Wirkstoffe (Medikamente) nicht vorenthalten werden, die zur Leistungsoptimierung dienen können, vorausgesetzt, dass die endgültigen Dopingbestimmungen des Deutschen Sportbundes eingehalten werden und den Sportlern durch diese Maßnahme nicht geschadet wird. … Wenn die Ärzte ‚Nein‘ sagen, dann gibt es überhaupt keine Kontrolle. Es ist deshalb doch besser, mitzugehen, zu steuern und sinnvoll zu helfen als zu sagen: ‚Wir sind völlig dagegen!‘ – gegen Substanzen möglicherweise, die nicht einmal unbedingt schaden“ (Andreas Singler, Clasing, zit. nach Zeit und Welt Nr. 17, 22.01.1977).
Dr. Wildor Hollmann spricht damals von ‚einem Dilemma der Sportmedizin ähnlich dem um den Abtreibungsparagraphen 218‘. Er sieht nur drei Möglichkeiten zur Lösung des Problems:
„1. Wir unterstützen als Ärzte jede Maßnahme zur Leistungssteigerung des Spitzensportlers und nur des Spitzensportlers, die nicht gesundheitsschädlich ist.
2. Wir machen nicht mit, lehnen das Ganze ab und verkünden, daß wir in der Bundesrepublik keine Anabolika verabreichen und überlassen dem Ostblock den Weltstandard.
3. Das IOC verbietet radikal alle Sportarten, bei denen die Muskelpille genommen wird. Das sind mittlerweile 18 Sportarten und würde eine Amputation des Sports an Haupt und Gliedern bedeuten.
„Ich spreche mich für die Lösung eins aus“, sagte Wildor Hollmann. Entscheidend dafür sei die Verhinderung von schädlichen, unkontrollierten Selbstbehandlungen der Spitzensportler mit zu hohen Dosen und über lange Zeiträume hinweg.“ (SZ, 25.10.1976)
„Martin Lauer, der ehemalige Hürden-Weltrekordler und Staffel-Olympiasieger, ironisierte: „Das bißchen Damenbart und Männerbusen hat keinen geschreckt.“
(…)„“Versuchen wir zu helfen, und der Sportler verliert trotzdem, sind wir schuld“, schilderte Sportarzt Pabst das Dilemma. „Helfen wir nicht, weil wir es ärztlicherseits nicht vertreten können, sind wir Spielverderber.“
(der Spiegel, 4.4.1977)
Führende Sportärzte sahen sich alsbald gezwungen, von falscher medialer Berichtserstattung zu sprechen, es sei gar kein gemeinsamer Beschluss der Sportärzte gewesen. Schnell wurde zurück gerudert. Die öffentliche Diskussion zur Dopingsituation nach den Vorfällen bei den Olympischen Spielen in Montreal erzwang die Ablehnung durch den Sport, die Sportmedizin und der Politik der bekannt gewordenen Dopingmanipulationen und damit auch eine Ächtung der anabolen Steroide. Die Bundesregierung zog bezüglich der Ablehnung deer Anabolika mit, auch wenn sie betonte, dass man nicht alle Methoden zur Leistungssteigerung ablehnen würde, damit die deutschen Sportler nicht ins Hintertreffen kämen. Im März 1977 antwortete sie auf eine SPD-Anfrage:
Die Applikation eines jeden pharmakologischen Wirkstoffes hat neben der erwünschten Wirkung auch Nebenwirkungen. So ist auch die Anwendung von Anabolika — selbst die medizinisch indizierte— nicht frei von Nebenwirkungen. … Die Anabolika werden von der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees, der Medizinischen Kommission des Internationalen Leichtathletik-Verbandes und anderen internationalen Sportföderationen als Dopingmittel beurteilt.
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung.
Zudem kündigte sie an, Trainingskontrollen unterstützen zu wollen (Dt. Bundestag, 17.3.1977)
Eine Kommission, welche unter Leitung von Ommo Grupe die Manipulationen im Spitzensport aufarbeiten sollte, wurde eingerichtet. Nicht ohne Proteste prominenter Sportärzte, die nicht einsahen, warum in der Kommission keine Sportärzte vertreten waren und nicht bereit waren mit der Grupe-Kommission zusammen zu arbeiten. Reindell kündigte als Reaktion zwei eigene Kommissionen an.
Die Grupe-Kommission – Ommo Grupe, Heinz Fallak und Dieter Graf Landsberg – befragten Athleten, Trainer, Funktionäre, Journalisten u.a.. Der Abschlussbericht der Kommission wurde zwar nicht veröffentlicht, doch NOK und DSB sahen sich nach dessen Vorlage gezwungen in einer >>> „Grundsatzerklärung des DSB und des NOK für den Spitzensport“ vom 11.6.1977 jede ‚medizinisch-pharmakologische Beeinflussung der Leistungsfähigkeit und technische Manipulation am Athleten‘ abzulehnen. Vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages am 28.9.1977 berichtete Ommo Grupe über gewonnen Erkenntnisse der Kommisssion. Er machte auch deutlich, dass die Argumente derjenigen, die meinten Sportlern sei mittels Medikamenten medizinische Unterstützung zu gewähren (Substitutionstheorie) innerhalb des Sportestablishments durchaus auf breites Verständnis gestoßen waren.
„Dabei haben wir es immer als falsch angesehen, diejenigen, die sich dafür ausgesprochen haben, die Verwendung von Medikamenten zur Leistungssteigerung zu untersagen, als moralischer zu bezeichnen als diejenigen, die sich für eine begrenzte Freigabe eingesetzt haben. Für beides lassen sich durchaus moralische Argumente finden.“
Weitere Ausführungen Grupes lassen den Schluss zu, dass auch Prodopingargumente aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit von einigen ‚ernstzunehmenden Vertretern‘ vorgebracht worden waren. Die Äußerungen Grupes lassen ahnen, wie sich im Hintergrund die Befürworter der sich widersprechenden Positionen in den Haaren lagen. (Protokoll der Sachverständigen-Anhörung 28.9.1977). Eine Ahnung, die Ende 2013 durch die Veröffentlichung persönlicher Notizen von Helmut Digel bestätigt wurde. Digel war neben Jan Kern Protokollant der Dreier-Kommission. Er hält drei Positionen fest, die sich nach der Befragung heraus kristallisiert hatten:
– Doping und Anabolikagaben an Athleten sind nicht zu verantworten (Mediziner H.E. Bock, Pharmakologen D. Palm, H. Klehr, ehemalige Athleten H. Meeuw, I. Mickler-Becker, Pfarrer H. Döring)
– Doping und Anabolikagaben sind unter bestimmten Voraussetzungen verantwortbar (Mediziner R. Felten, Trainer H. Planert, Pfarrer P. Jakobi, kein ehemaliger Athlet)
– Doping und Anabolika müssen zugestanden werden, da man ohne diese Medikamente im modernen Hochleistungssport chancenlos sei (Mediziner Dörr, Trainer Köberich, ehemaliger Athlet R. Altig; mit Einschränkunen M. Donike)
Einige Ärzte widersprechen den Schlussfolgerungen der Grupe-Kommission sofort. Professor Wildor Hollmann nennt die Ergebnisse
„rührend und naiv“. „Für ihn stellte sich die Grupe-Charta so dar, wie wenn ein Raumfahrt-Ingenieur seine Kenntnisse aus dem Märchenbuch „Peterchens Mondfahrt“ beziehe.“
Doch er konnte sich nicht durchsetzen. Die Freiburger Sportärzteerklärung wurde noch 1977 auf einem außerordentlichen Kongress des Deutschen Sportärzte-Bundes in Kiel zurückgezogen. Jetzt galt die Devise, keine Medikamentenverschreibung für Gesunde. (die Zeit, 20.5.1977)
Anfang Mai 1977 legte der Deutsche Sportätztebund Ergebnisse seiner Kommissionen vor mit „Empfehlungen an DSB und NOK zur Verhinderung des Dopings aus sportärztlicher Sicht“ vor. Anabolika wurden aus darin ‚leistungsphysiologischer Sicht‘ strikt abgelehnt. Unterstützung hatten die Gegner der kontrollierten Freigabe der Anabolika durch die „Ständige Kommission für Steroidtoxikologie“ in der „Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie“ gefunden. Unter Vorsitz des Berliner Professors Hammerstein verabschiedete diese eine Stellungnahme, in der vor „konkreten Gefahren und Nebenwirkungen von Anabolika“ gewarnt wurde.
Offiziell waren damit die Reihen geschlossen, nach außen hin wurde mit den Erklärungen eine klare Antidopinghaltung, insbesondere bezogen auf Anabolika hochgehalten. Damit einher ging aber, dass in den Folgejahren das Thema von Verbändeseite tabuisiert wurde. NOK-Präsident Willi Daume, der im März 1977 Schluss der öffentlichen Doping-Debatte gefordert hatte, wurde gehört, ab sofort herrschte www.memo.de/rwiegend eisiges Schweigen. (Kraftmaschine Parlament, S.110). Die beiden Freiburger Professoren Keul und Klümper hielten sich 1978 weniger zurück:
„Die Dunkelziffer derjeingen, die Anabolika nehmen, ist sprunghaft in die Höhe geschnellt,“ ist die Erkenntnis von Professor Joseph Keul …. „Wie kämpfen heute noch mit dem durch die unwürdige Diskussion von 1977 entstandenen Vertrauensschwund der Athleten.“
Keul-Kollege Professor Armin Klümper ….:
„Die ganze öffentliche Diskussion und die verfaßten Grundsatzerklärungen haben uns die Arbeit nicht nur erschwert sondern uns sogar in der Entwicklung zurückgeworfen. Früher konnten wir die Einnahme von Anabolika wenigstens kontrollieren. Da es jetzt viele heimlich tun, ist die Gefahr, daß jemand gesundheitliche Schäden davonträgt, natürlich größer.“ Und daß es viele heimlich tun, steht nach Ansicht von Experten fest. Wenn heute in einigen Sportarten Dopingkontrollen überraschend vorgenommen werden würden, dann würden DSB und NOK ihr blaues Wunder erleben. (Südkurier, 25.10.1978)
>>> die Grundsatzerklärungen für den Spitzensport des DSB und des NOK der Jahre 1977 und 1983
Strategien der öffentlichen Dopingdebatte 1976/1977
Andreas Singler fasste die Debatte, die nach den Olympischen Spielen 1976 in Deutschland entbrannte wie folgt zusammen (Doping und Enhancement):
Die 1976 sich entzündende, öffentlich ausgetragene Kontroverse zum Themenkomplex Doping und Manipulationen im Spitzensport waren paradoxerweise durch Maßnahmen entflammt worden, die gar nicht explizit unter Doping zu subsummieren waren. Die so genannte „Kolbe-Spritze“ und der Skandal um den gescheiterten Versuch, die Leistungen von bundesdeutschen Schwimmern durch Aufblasen der Gedärme zu verbessern, standen am Anfang einer breiten Debatte, in deren Verlauf die öffentliche Ablehnung von Doping- und Manipulationsmaßnahmen insgesamt deutlich wurde (Singler 2006c). Die Debatte verdeutlichte Motive und Rechtfertigungen der Dopingbefürworter nun in vorher und später nie mehr beobachteter Dichte und Deutlichkeit. Der Ton wurde nun schärfer, maßgebliche Befürworter des Anabolikadopings gerieten unter Druck und versuchten sich öffentlich zu rechtfertigen. Dabei kamen im Wesentlichen folgende Strategien zum Einsatz:
– Es wurde versucht, die Forderung nach ärztlich „kontrolliertem“ Anabolikadoping als Schutz vor überhöhten, eigenmächtigen Dosierungen darzustellen.
– Anabolika wurden als angeblich unschädliche Alternativen zu den Dopingmitteln mit unmittelbar aufputschender Wirkung beschrieben, die bis dahin zahlreiche Todesopfer gefordert hatten (Prokop 1968, 2803).
– Es wurde bestritten, dass Anabolika Dopingmittel seien. Dabei wurde die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts etablierte Differenzierung in „Reizmittel“ für den Wettkampf und Mittel, die angeblich nur die natürliche Konstitution unterstützen würden, trotz der fulminanten Auswirkungen von Anabolika auf Körpermorphologie und Leistung aufrecht erhalten.
– Anabolika wurden nun erstmals sogar direkt unter dem Aspekt der Gesunderhaltung der Athleten propagiert. – Es wurde das „Recht am eigenen Körper“ reklamiert. Dabei knüpfte der Sport mit dem Hinweis auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Anti-Baby-Pille an eine der großen Bioethikdebatten der Nachkriegsgeschichte an. Dass „die Pille“ zur Empfängnisverhütung eingenommen werden dürfe, sei nicht anders zu bewerten als eine ärztlich überwachte Anabolikaverabreichung an Sportler, so hieß es. Befürworter einer Liberalisierung beim Neuroenhancement argumentieren heute übrigens in identischer Weise.
– Der Spitzensport wurde als Experiment beschrieben, in dessen Rahmen man zur Vergewisserung menschlichen Fortschritts gewisse Risiken einzugehen habe.
westdeutscher Filz
Und wo liegen die Verantwortlichkeiten für das Dopinggeschehen innerhalb des deutschen Sports, dass sich aus den 1970er Jahren heraus unter der offiziellen Ablehnung des Dopings von Sport, Medizin und Politik munter weiter entwickeln konnte? Wie systematisch wurde Doping mit Einwilligung oder gar mit Anweisung der Politik betrieben? Hatten sich in Westdeutschland Strukturen entwickelt, die einen Vergleich mit dem staatlichen Dopingsystem der DDR aushalten? Ergebnisse der Studie ‚Doping in Deutschland‘ legen viele Ähnlichkeiten nahe. Verwiesen wird in beiden Studien insbesondere auf die Bedeutung der Nominierungskriterien in der BRD, die sich nicht unwesentlich auf den internen Wettlauf um Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zurück führen ließen. Den Erfolgen der DDR galt es entsprechendes entgegen zu setzen, wie es Äußerungen von politischer Seite nahe legen und von Seiten des Sports willig aufgegriffen wurde. Erwartungen, die auch von den Sportlern entsprechend erfahren wurden (s. z. B. >>> Gerhard Steines). Dass die DDR-Leistungen häufig auf Doping beruhten, war letztlich im Westen nicht unbekannt (s.a. cdoping-archiv.de: Was wusste man im Westen?). Wie auch nicht mehr zu leugnen war, dass international gesehen Doping in allen wichtigen Sportnationen Hochkonjunktur hatte.
Insbesondere die Forscher der Humboldt-Universität Berlin halten fest, dass die Grenzen der politischen Einflussnahme zwischen BRD und DDR häufig verwischen, machen aber dennoch einen Unterschied. Sie sprechen von systemischem Doping in der BRD im Gegensatz zum systematischen Doping in der DDR.
Das Geflecht wo und wie genau in den 1970er Jahren Beziehungen wirkten, welcher Filz sich entwickelt hatte und in den 1980er Jahren fortentwickelt wurde, bleibt weiterhin zu entwirren. Gerhard Treutlein, Mitglied der Großen Kommission, die das Geschehen an der Freiburger Universität aufklären sollte, griff zur dessen Beschreibung auf den von Ulrich Beck geprägten Begriff der ‚organisierten Unverantwortlichkeit‘ zurück.
„Das erscheint vielleicht paradox. Aber in einer demokratischen Gesellschaft wie der BRD, in der der Sport autonom ist, sind die Verantwortlichkeiten viel schwieriger aufzudecken als in einer Gesellschaft mit starker und zentralisierter Machtgewalt wie in der DDR. Trotz aller Forschungen, bleiben die Verantwortlichkeiten der Akteure innerhalb des Beziehungsgeflechtes, vor allen die des Innenministeriums unklar.“ (sport &vie, Nr. 142, 1.2.2014)
Monika, August 2012, Ergänzungen