Doping in der BRD – 1970er / 1980er Jahre
Fußball
Der folgende Text ist Teil der Seite >>> Fußball und Doping: Deutschland (BRD), auf der ein größerer Zeitraum berücksicht wird.
der Einsatz von Captagon
„Im Juli 1979 kehrte der Däne Per Roentved der Bundesliga den Rücken, mit 194 Einsätzen für Werder Bremen. Kaum weg, publizierte er seine Insider-Kenntnisse der Bundesliga in seinem Buch „Die Kehrseite“. In Dänemark war die Erstauflage (10.000) schnell vergriffen, in Deutschland herrschte Aufregung. Leseprobe: „Ich weiß, dass einige Spieler von Werder Bremen sich ständig dopen. Ich glaube aber, dass sie diese Mittel nicht von unserem Vereinsarzt bekamen, sondern aus anderen Quellen.“ “
(die Welt, 24.8.2011)
Captagon (Fenetyllin) ist ein Amphetaminderivat, das auch zum Dopen verwandt wurde. Vor allem im europäischen Fußball scheint das Stimulanz häufig eingesetzt worden zu sein. So auch im Deutschen Fußball. De Mondenard (2010) erwähnt, dass vier Spieler von Bayern München 1976 ihren Trainer Dettmar Cramer beschuldigt hätten, ihnen Captagon gegeben zu haben. Er zitiert auch Dr. Manfred Donike, der sagte, er wisse, dass Bayern München Captagon anwende (nach France Football, 2.2.1979). Das bestätigte auch Dr. Gerhard Raab (Duisburg), der während eines Seminars im November 1979 ebenfalls angab, dass bei den Bayern Captagon zum Einsatz gekommen sei ebenso wie Inhalationen von Ephedrin und die Gabe von Codein in Form von Sirup (nach Le Figaro, 1.4.1980).
Im Juni 2007 erklärte der frühere Bundesligatrainer Peter Neururer in der Sport Bild, dass Ende der 80er Jahre Captagon weit verbreitet gewesen sei.
„“Es ist mir bekannt, dass früher Captagon genommen worden ist. Viele Spieler waren verrückt danach“, sagte Neururer der Sport Bild: „Das war überall bekannt und wurde praktiziert. Bis zu 50 Prozent haben das konsumiert. Nicht nur in der zweiten Liga.“““
Schnell wurde dementiert, Doping im Fußball sei sinnlos. Doch Neururer blieb dabei:
„“Man sieht den Spielern den Konsum von Captagon an. Die Augen stehen anders. Der Spieler wird nicht mehr müde und neigt auf dem Platz zu Überreaktionen. Das war ein kompletter Wahnsinn, der da gemacht wurde.“ Auch Ephedrine seien zum Einsatz gekommen. (SZ, 13.6.2007)
Weitere Spieler meldeten sich. Nationaltorhüter Jens Lehmann konnte sich erinnern, Ex-Profi Günter Schlipper, Schalke 04, gab ihm recht und auch die Trainer Benno Möhlmann und Hans-Werner Moors stellten sich hinter Neururer. Schon in den 70er Jahren kam Captagon zum Einsatz. Moors erzählte selbst das Mittel eingenommen zu haben.
„„Das wurde uns damals zum Teil von offizieller Stelle als Multivitamin-Pille angeboten. Auch von Trainer Rudi Faßnacht, das ist kein Geheimnis“, sagte Moors, der zwischen 1974 und 1980 für Münster und Arminia Bielefeld 154 Zweitliga-Spiele sowie für Bielefeld 34 Bundesliga-Partien bestritt: „Es hieß: Probiert das mal, ihr braucht Vitamine. Es wird aus der damaligen Zeit viele, viele Spieler geben, die es probiert haben, ohne dass man von systematischem Doping sprechen kann. Denn die Spieler haben schnell gemerkt, dass es ihnen nichts bringt.“
Laut Möhlmann sei Captagon überall Thema gewesen, doch wäre eher von Spielern genommen worden, die nicht so gut gewesen seien und vor einem Spiel eine Nacht durchgemacht hätten. Ende der 80er Jahre sei die Substanz nicht mehr aktuell gewesen. (die Welt, 15.6.2007)
Uwe Nester berichtete, dass auch bei Eintracht Braunschweig gedopt wurde. Trainer Uli Maslo habe ihm 1980 gedrängt, sich Spritzen mit Captagon geben zu lassen. Nester erhielt Unterstützung:
„Die Teamärzte des heutigen Regionalliga-Klubs bestätigen, dass die Einnahme des Wachmachers wie offensichtlich bei vielen Fußballvereinen früher auch bei Eintracht Braunschweig gang und gäbe war. „Captagon hat damals fast jeder genommen, der ein bisschen müde war“, sagt Dr. Peter Harms, der in den 70er- und 80er-Jahren für die Blau-Gelben zuständig war. Darüber sei auch offen gesprochen worden. Kollege Dr. Jürgen Stumm, der seit den 80er-Jahren die Fußballer betreut, redet nicht drumherum: „Es gab Spieler bei uns, die Captagon genommen haben.“ (newsclick, 18.6.2007)
DFB-Chefmediziner Professor Wilfried Kindermann hingegen forderte Konsequenzen für Trainer Neururer, sollte er Behauptungen aufgestellt haben, die er nicht beweisen könne. (Reviersport, 15.6.2007, der Spiegel, 16.6.2007)
Bekannt sollte dies aber alles schon gewesen sein. Bereits 1970 und 1994 wurde in der Presse über den Einsatz von Captagon im Fußball berichtet. Auch Toni Schumacher (s.u.) hatte schon seine Erfahrungen beschrieben. 1994 ließ der Focus den ehemaligen Bundesligaspieler Peter Geyer (Tennis Borussia Berlin, Borussia Dortmund, Eintracht Braunschweig) zu Wort kommen. Bereits mit 19 Jahren sei er mit Captagon in Berührung gekommen und habe es jahrelang regelmäßig konsumiert.
„Peter Geyer zufolge lagen die Pillen nur so rum. Man ging an den Schrank und bediente sich. Ärzte und Masseure hätten die Pillen besorgt. Er habe ein bis zwei vor jedem Spiel genommen, andere sechs bis acht, eine Dosis, die beängstigend ist. In den sogenannten englischen Wochen, wenn zwei Begegnungen auf dem Programm stehen, habe es Probleme gegeben, weil die Spieler nach der Einnahme von Captagon zwei Nächte nicht richtig schlafen konnten. Dann fiel die Leistung in den Keller.“
Dr. Armin Langhorst, bis 1989 Arzt bei Borussia Dortmund, ergänzte, dass der für Borussia spielende Sergej Gorlukowitsch die Dopingmittel aus Rußland mit nach Deutschland gebracht hätte und die Ware bei den Teamkameraden des Weißrussen heiß begeht gewesen sei. (Focus, 21.2.1994, s.a.u.)
Und 1970 hatte Dr. Dirk Clasing behauptet, „die meisten deutschen Fußball-Lizenz- und Vertragsspieler nähmen zur Steigerung ihrer Leistung Dopingmittel wie Captagon und Dradol.“ (Hamburger Abendblatt, 20.10.1970) Dafür bekam er allerdings heftige Kritik zu hören.
„Der Münsteraner Arzt ist bis jetzt die Beweise für seine massiven Vorwürfe schuldig geblieben und vertritt dafür die merkwürdige These, ‚die Beweislast liege.bei den Bundesligavereinen. Kein Wunder, daß dort die Entrüstung „total“ ist. Dr. Gösmann, Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), Rechtsanwalt in Osnabrück, hat Dr. Ciasing bereits ein Gerichtsverfahren wegen Verleumdung angedroht, über das in dieser Woche mit dem Vorstand des Bundesligaausschusses sowie Helmut Schön, Professor Dr. Schoberth, Ordinarius für Orthopädie und ärztlicher Betreuer der Nationalmannschaft und DFB-Masseur Erich Deuser beraten werden soll. … Aber auch aus den Reihen der Kollegen Dr. Clasings kam mehr Tadel als Unterstützung, denn es fehlt vorläufig nicht, nur an Beweisen, sondern das Beispiel Fußball war als Zielscheibe für Dopingvergehen recht unglücklich gewählt. Nicht, weil die Fußballer Engel wären und aus moralischer Überzeugung nur himmlischen Nektar, aber beileibe keine aufputschenden Drogen zu sich nähmen, sondern deshalb, weil sich das Fußballspiel nach seiner ganzen Belastungsart mit vielen Intervallen und infolge seiner ständig wechselnden Szenerie, die eine ständig wechselnde Beanspruchung der Sinnesorgane und des Nervensystems bedingt, für Doping relativ schlecht eignet.“ (die Zeit, 30.10.1970)
Der DFB setzte Dirk Clasing eine Widerrufsfrist von 5 Tagen, die dieser jedoch verstreichen ließ ohne dass eine Klage folgte. Die entsprechenden DFB-Akten blieben für das Team des Forschungsprojektes ‚Doping in Deutschland‘ jedoch unter Verschluss. Eggers hält fest, dass durch die frühen Vorkommnisse, der Fußball mit seinen Verbänden und Funktionären schon früh über Doping in den eigenen Reihen informiert gewesen sei.
Im August 2013 sah sich der deutsche Fußball erneut mit seiner Captagon-Dopingvergangenheit konfrontiert. Im Zuge der Diskussion um die Ergebnisse der Studie ‚Doping in Deutschland von 1949 bis bis 2007‘ * werden ehemalige Fußballer nach ihren Erfahrungen mit Doping befragt. Viel Konkretes wurde nicht genannt, doch der ehemalige Bundesliga- und Zweitligaspieler Dieter Schatzschneider machte keinen Hehl daraus, dass in den 1980er Jahren in seinen Fußballkreisen recht großzügig mit Captagon umgegangen wurde.
„Ich hab das da erlebt, dass viele Spieler das damalige Captagon genommen haben. … Ich hab nur gesehen, dass viele meiner Spielkameraden das genommen haben. Ich weiß nicht mal, ob das überhaupt eine Wirkung hatte oder ob vielleicht die Wirkung erst nach dem Spiel statt gefunden hat. … Wenn mich einer fragt, ob früher Captagon genommen wurde, und das ist ja wohl ein Dopingmittel, dann kann ich das mit einem klaren Ja beantworten. … In gewissen Kreisen der Spieler war das ganz normal, dass da Tabletten rumgereicht wurden. … Ich bin vor allem vor den Spielen immer Zeuge dabei gewesen, würde aber nie Namen und Vereine nennen, ich glaube das gehört sich nicht. … Also ich glaube schon, dass das stark verbreitet war. … da bin ich mir ganz sicher, dass die gewusst haben, das das ein leistungssteigerndes Mittel ist, wurde halt verteilt … manchmal haben Ärzte das durch die Gegend geschmissen, ich sag das mal so ein bisschen lässig. Aber völlig normal, die hatten das halt und die haben das auch regelmäßig genommen. … Jeder konnte es nehmen oder es nicht nehmen, wie er wollte oder nicht, es wurde nicht medizinisch begleitet. …“ (NDR, 22.8.2013)
*In der Studie selbst steht kaum etwas zu dem Captagon-Missbrauch im Deutschen Fußball. In der offiziellen Kurzversion wird nichts erwähnt. In der offiziellen Langversion ist in Zusammenhang mit den fehlenden Kontrollen im Fußball zu lesen, dass Captagon 1987 noch öffentlich ein Thema war durch Äußerungen bekannter Personen darunter Beckenbauer und Schumacher.
Armin Klümper und Anabolika
Anfang März 2015 gab die Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin erste Ergebnisse zu ihren Erkenntnissen über Arzt Armin Klümper bekannt. Zum ersten mal konnte bewiesen werden, dass Klümper in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre Fußballclubs großzügig mit Anabolika behandelt hatte. Betroffen waren der Bundesligaverein VFB Stuttgart und der Zweitligist FC Freiburg.
… ist nunmehr erstmals der sichere Befund möglich, dass Anabolikadoping auch im Profifußball eine signifikante Rolle spielte, nämlich beim Bundesligaverein VfB Stuttgart sowie – wenn auch nur punktuell nachweisbar – beim damaligen Zweitligaklub SC Freiburg zum Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre. Dabei kam jeweils das Anabolikum Megagrisevit zum Einsatz, das auch von der von Klümper behandelten, 1987 verstorbenen Leichtathletin Birgit Dressel zeitweise eingenommen wurde.
Damit erscheint der Nachweis möglich, dass Doping in der BRD keineswegs nur der individuellen Verantwortung einzelner Sportler überstellt war, sondern dass es über einzelne Sportverbände oder Sportvereine mitunter zentral organisiert und finanziert wurde. … Im Fußball frappieren über die Frage hinaus, ob und in welcher Größenordnung hier Doping auch mit Anabolika historisch eine Rolle gespielt haben, die von den Vereinen umfangreichen finanzierten, ausdrücklich für Gesunde gedachten Medikationen im Umfang von mehreren Zehntausend DM pro Jahr in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Dieser von den Vereinen betriebene sportmedizinische Betreuungsaufwand verweist auf eine verbreitete Praxis des Medikamentenmissbrauchs, die geeignet war, vielen Spielern den Weg in die Medikamentenabhängigkeit zu ebnen. Ausdrücklich sei festgehalten, dass eine Zuordnung von Medikationen an einzelne, konkret zu benennende Spieler nach Auswertung der Akten der Staatsanwaltschaft Freiburg nicht möglich ist. Gezeigt werden können aber erstmalig die Strukturen des Dopings im Fußball am Beispiel der hauptverantwortlichen Mitwirkung von Prof. Dr. Klümper inklusive der Finanzierung solcher Aktivitäten durch die Vereine. (Kurzgutachten)
1987 Toni Schumacher packt aus
1987 erscheint Toni Schumachers Buch ‚Anpfiff – Enthüllungen über den deutschen Fußball‘. Darin schildert er die ärztliche Versorgung der Nationalmannschaft 1986 in Mexico. Er spricht von einer ärztlichen Überversorgung mit Nebenwirkungen wie Durchfall.
„Jeden Mittag schluckten wir zu unserem Elekrtrolytgesöff haufenweise Tabletten: Eisen, Magnesium, Vitamin B in Höchstdosis, Vitamin E, ein paar Hormönchen für die Höhenanpassung…“ … „Außer den Pillen hagelte es Spritzen. Professor Liesen (mehr Infos) selbst hat davon 3 000 gespritzt. Da war alles mögliche drin: Pflanzenextrakte zur Stärkung des körpereigenen Abwehrsystems, die Vitamine C und B 12 in hohen Dosen, Bienenhonigextrakt, um Herz und Kreislauf zu stützen, Kälberblutextrakt gegen die Folgen der Höhenluft. Und dazu noch Vitamin-E-Tabletten. … Die vermaledeite Schlaftablettenschluckerei lehnte ich noch energischer ab.“
„Auch in der Fußballwelt gibt es Doping – natürlich totgeschwiegen, klammheimlich, ein Tabu.“
Beliebt seien Hustensäfte mit Ephedrin gewesen und Captagon. Schumacher gesteht 1984 nach der EM in Paris das Aufputschmittel während des Trainings ausprobiert zu haben. Die Wirkung sei ihm von Ärzten beschrieben worden, er wollte aber wissen, wieweit er seine Leistungsgrenze hinaus schieben, wie lange er sich überfordern könnte.
Er beschreibt sich nicht als Einzelfall.
„Der Vorstand sprach wieder mal von einem ‚Schicksalsspiel‘, wieder einmal ging es angeblich um das Überleben eines Vereins. Einige Kölner Mitspieler probierten das Zeug aus. Querbeet und wahllos schluckten wir Hustensäfte, die die höchsten Dosen an Ephedrin enthalten. Die saftgestärkten Kollegen flitzten wie Teufel über den Rasen. Wir haben gewonnen, aber in welchem Zustand. Nach tagelanger, qualvoller Erschöpfung beschlossen wir: nie wieder!
Meiner Kölner Freunde und ich sind aber absolut nicht die einzigen, die der Dopingversuchung nicht widerstehen konnten. In der Bundesliga hat Doping seit langem Tradition.
Als ganz junger Spieler war ich früher „Chauffeur“ vieler bewährter Fußballstars des 1. FC. Mit meinem kleinen R 5 habe ich oft ein halbes Dutzend unserer großen Spieler zu einem Kölner Arzt gebracht. Bei dem holten sie sich vor wichtigen Spielen ihre Pillen und Spritzen. … Einige von ihnen konnten sich ohne diese Spezial-Hochform-Pillen eine Fortsetzung ihrer Karriere gar nicht mehr vorstellen. Pillen und Leistung – das war für sie zu einer Gleichung geworden, die aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken war.
Ein wichtiges Detail: Dieser Arzt betreute berühmte Sportler zu einem Zeitpunkt, als Doping Schlagzeilen machte [1976/1977]. Ich nehme an, daß zu diesen Spezialmixturen Anabolika, Amphetamine und diverse andere Aufputschmittel gehörten. Damals wie heute.
Es gab Nationalspieler, die waren im Umgang mit der „Stärkungschemie“ regelrecht Weltmeister. Unter ihnen ein Münchener Spieler, den wir als „wandelnde Apotheke“ [Anm.: Jupp Kapellmann] zu bezeichnen pflegten.“ (Schumacher, Anpfiff, S. 109ff)
Toni Schumacher wurde nach diesen Enthüllungen aus der Nationalmannschaft entlassen und der 1. FC Köln löste den Vertrag auf.
Der DFB führte danach Wettkampfkontrollen ein. Doch bereits 1972 soll Prof. Hans Schoberth, Mannschaftsarzt des DFB, für das Spieljahr 1973/74 die Einführung von Kontrollen in der Bundesliga gefordert haben.
Der Kicker führte nach Schuhmachers Enthüllungen im Februar 1987 bei allen Bundesligaprofis eine Befragung durch, er wollte wissen, was an den Dopingvorwürfen dran sei.
„216 antworteten, 31 sagten aus, dass in der Bundesliga gedopt werde. „Natürlich wird gedopt, Captagon genommen“, sagte Hans-Günter Neues, der frühere Kapitän des 1. FC Kaiserslautern. Sein Mannschaftskollege Erhard Hofeditz erklärte: „Ich habe mehrere Spieler erlebt, die sich ab und zu durch einen Schub geholfen haben.““ (Kicker, 18.6.2007)
Toni Schuhmacher spricht von bekannten Sportärzten, die Fußballer betreuten. Einige der berühmtesten und beliebtesten deutschen Sportärzte zählten zu ihren Klienten Sportler aus den verschiedensten Sparten, auch aus dem Fußball. Einige dieser Mediziner werden heute mit Doping in Verbindung gebracht ebenso wie ganze Sportarten und viele Sportler. Erstaunlicherweise sind darunter aber keine Fußballer zu finden. Ist das glaubhaft? (Der Freitag, 9.6.2010: Bringt im Fußball nichts, Der Doc sagt du und hört zu)
Sportarzt Dr. Klaus Steinbach bestätigte Spiegel vom 26.10.1987 den häufigen Griff nach Medikamenten:
„SPIEGEL: Toni Schumacher hat behauptet, daß in der Bundesliga etwa mit Captagon oder Ephedrin gedopt werde. Wie sind Ihre Erfahrungen?
STEINBACH: Zu mir sind Spieler gekommen, die sagten: „Hör mal Doc ich hab“ so “n Durchhänger, haste nicht was, was mich so richtig anmacht, wo ich so richtig die Sau rauslassen kann?“
SPIEGEL: Was haben Sie geantwortet?
STEINBACH: Ja, bist du denn wahnsinnig, du kannst dir doch nicht jeden Samstag die Dinger reinschmeißen, welche Vorstellung hast du denn von deinem Beruf?
SPIEGEL: Wie waren die Reaktionen?
STEINBACH: Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Spieler überzeugt habe. Wenn der Deutsche Fußball-Bund einmal Kontrollen einführen sollte die ich übrigens für dringend notwendig halte, dann rauscht“s in der Bundesliga. Es gibt reichlich Spieler, die mit Aufputschmitteln ihre mangelhafte körperliche Verfassung kaschieren.“
Franz Beckenbauer erklärte gegenüber der Welt am 8.3.1987:
„Doping – das ist ein Kaugummi-Thema, das schon 20 Jahre in die Länge gezogen wird. Aber beim DFB wurde jetzt eine Kommission gebildet. Sie soll bis zum 20. Juni dieses Jahres einen Erfahrungsbericht erarbeiten. Ich gehe davon aus, es gibt schon im nächsten Jahr Stichproben in der Bundesliga, damit das Gerede endlich vom Tisch kommt. Ich habe DFB-Präsident Neuberger gesagt, Doping sei mehr ein Thema für die UEFA. In Europacupspielen laufe etwas. Ich habe es früher selbst beobachtet. …
Kann sein, daß im Kampf um die [Bundesliga-Meisterschaft oder gegen den Abstieg heimlich von Spielern etwas genommen wird. Doch was ist Doping? Bei uns wird Doping doch sofort mit Drogen und Lebensgefahr gleichgesetzt. Vielleicht wirkt eine Captagon-Tablette leistungssteigernd aber sie ist doch nicht gefährlich. Der Weltmeister Tom Simpson, der tot vom Rennrad gefallen ist, hatte 20 oder 25 Captagon geschluckt.
Dr. Liesen nennt 2011 multiple Erfolgsgründe im Hintergund des WM-Erfolges 1990:
SPIEGEL: 1990 wurde die Nationalelf Weltmeister. Auch dank Ihrer ärztlichen Kunst und Trainingssteuerung?
Liesen: Da musste ich gar nicht mehr viel bewegen. Als wir vom Viertelfinalspiel ins Quartier zurückkamen, gab es eine Mannschaftsbesprechung. Franz sagte: „Jetzt wollen wir es packen und den Titel holen. Einer weiß ganz genau, wie wir das am besten hinkriegen. Und der sagt uns ab heute, wann und in welchem Umfang wir trainieren.“ Dann rief er mich und sagte: „Der macht das, und ihr habt alle zu gehorchen.“ So war Franz.
SPIEGEL: Wieso ließ Ihnen Beckenbauer so viel Freiheit?
Liesen: Er hielt mich für kompetent. Er holte mich oft auf dem Trainingsplatz zu sich und sagte: „Guck den mal genau an. Ich brauch den in zwei Tagen. Sieh zu, dass der wirklich fit ist.“ (der Spiegel, 31.10.2011)
Experiment Bluttransfusionen
Jiri Dvorak, FIFA, 4.7.2006:
„Rational wäre Eigenblut-Doping im Fußball nicht begreifbar“…Im Fußball sei Blutdoping allein schon aus organisatorischen Gründen nur sehr schwer durchführbar. „Wenn ich nur die vier WM-Halbfinalisten sehe, sagt mir mein gesunder Menschenverstand, daß es technisch nicht machbar ist“, erklärte Dvorak. Für Fußballer, die 49 Wochen im Jahr von Spiel zu Spiel eilten, sei das ebenso aufwendige wie gefährliche Eigenblutdoping gar nicht praktikabel.“
In den 70er Jahren waren Eigen- und Fremdbluttransfusionen noch nicht verboten, doch es wurde schon länger damit experimentiert. Ziel im Sport war eindeutig die Leistungsverbesserung. 1977 während der Sachverständigen-Anhörung im Sportausschuss des Deutschen Bundestages wurden diese Transfusionen diskutiert. Man sprach von Eigenblutinjektionen, Eigenblutrücktransfusionen, von Blutdoping. DFB-Mediziner Prof. Hollmann:
„Bezüglich der Eigenblutrücktransfusion nimmt man dem betreffenden Sportler etwa 1 bis 1-2 Liter Blut ab, läßt ihn anschließend ca. vier Wlochen weitertrainieren, dann hat sich das Blut regeneriert, dann wird ihm ein Konzentrat des abgenommenen Blutes in Form der roten Blutkörperchen zurückinfundiert, woran anschließend bei durchschnittlich leistungsfähigen Menschen die Spitzenleistungsfähigkeit im Schnitt um annähernd 10 Prozent steigt, die submaximale Ausdauerleistungsfähigkeit etwas über 20 Prozent. Die Werte liegen entsprechend wesentlich niedriger bei Spitzensportlern. Sicherlich sind sie aber in der Lage, über die Reihenfolge bei vorderen Plätzen zu entscheiden. (Abg. Schirmer (SPD): Ist das nachprüfbar?) – Ja, wir haben das sehr eingehend untersucht, aber nachweisbar, ob das gemacht wurde, ist es nicht.“ (S. 6/123)
Franz Beckenbauer
Diese Methode der Leistungssteigerung war zu jener Zeit bei Radsportlern, Leichtathleten und wohl auch bei Fußballern nicht unbekannt, sofern Franz Beckenbauer und Jupp Kapellmann keine Ausnahmen waren. Beckenbauer hat 1977 dem Magazin Stern gegenüber zugegeben, damit auf Top-Niveau zu bleiben.
„In München beschränken wir uns im Wesentlichen auf natürliche Methoden. Doch was mich persönlich betrifft, habe ich eine besondere Methode, um auf Top-Niveau: die Injektion mit meinem eigenen Blut. Mehrmals im Monat entnimmt mir mein Freund Manfred Köhnlechner aus dem Arm Blut, das er mir wieder in den Hintern spritzt. Damit wird eine künstliche Entzündung hervorgerufen. Damit erhöhen sich weißen und roten Blutkörperchen sowie die Widerstandskräfte des Organismus.“ (zitiert nach l’Équipe, 21.5.1977)
Thomas Kistner zitiert den deutschen Topspieler noch weitergehend:
„»Medizinisch ist heute in der Bundesliga praktisch noch alles erlaubt, was den Spieler zu Höchst- und Dauerleistung treibt. Es wird gespritzt und geschluckt … Natürlich wäre es unsinnig, vor jedem Spiel zu dopen. Der folgende Leistungsabfall ist viel zu groß. Aber was machen Trainer und Manager vor entscheidenden Spielen, etwa im Europacup, wo es um Millionen geht – wenn man glaubt, dass die anderen nicht nur Vitaminpillen schlucken? … Es ist längst an der Zeit, dass sich der Internationale Fußballbund nicht nur bei der Weltmeisterschaft um das Problem Doping kümmert .« (Kistner, 24.8.2007)
Hans-Josef ‚Jupp‘ Kapellmann
die Zeit, 8.12.1978:
Frage: Der Deutsche Fußballbund hat für die nächste Saison die Einführung von Doping Stichproben bei allen Spielen der Bundesliga angekündigt. Gibt es Hinweise darauf, daß auch Fußballspieler Drogen benutzen?
Donike: Aus der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur sporadisch Hinweise darauf, daß auch im Fußballsport gedopt wird. Bisher äußerte der DFB immer die Ansicht, daß Doping im bezahlten Fußballsport keine Rolle spiele. Es gibt jedoch in meinem Labor genügend Anfragen, zum Beispiel von Heimvereinen, die Auskünfte über Medikamente erbaten, wenn Packungen und Beipackzettel in den Kabinen der Gastvereine zurückgeblieben waren. Ferner gibt es genügend Beispiele dafür, daß im bezahlten Fußballsport im Ausland Doping nichts Ungewöhnliches ist, ich darf dabei an die positiven Dopingfälle in Italien und bei der Fußball WM in Argentinien erinnern.
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Hans-Josef „Jupp“ Kapellmann, aktiv bis 1981, wird am 3.11.1987 in der französischen Zeitschrift ‚But‘ zu Doping zitiert. Er soll der von Toni Schumacher erwähnte experimentierfreudige Spieler gewesen sein. Kapellmann gibt die Anwendung von Bluttransfusionen und von anabolen Steroide zu. Er schätzte, dass sich ca. 18% der (Profi)Fußballpieler in Deutschland und sonstwo auf der Welt regelmäßig dopen.
„Ich selbst praktizierte ‚Blutdoping‘. Für mich ist das aber kein Doping. Das ist mein Blut, allein mein Blut ohne sonstige Zusätze. Und überhaupt, das sage ich als Mediziner [Kapellmann ist Orthopäde], ich mache mit meinem Körper was ich will!… Der Spieler hatte sich an den Arzt um Hilfe gewandt. Ich war oft verwundet, zu Beginn des Winters oft erkältet. Mit Hilfe eines Freundes, Mediziner wie ich, der das selbst schon versucht hatte, wollte ich meine Widerstandskräfte erhöhen.. Und wahrhaftig, ich habe es so empfunden… ich war nicht mehr so anfällig wie früher! Ich bin nicht gegen Anabolika, wenn die Verletzung schwer ist. Das ist Therapie und die Anabolika sind hilfreich. Besonders für Sportler, denn sie verkürzen die Zeit der Heilung. Ich habe übrigens welche genommen, wenn ich verletzt war.“ (De Mondenard, Dictionnaire, S. 1117)
11freunde, 19.12.2019:
Ihr Spitzname lautete »Die Apotheke«.
Überall, wo viel Geld im Spiel ist, wird mit allen Mitteln versucht, die körperliche Leistungskraft zu verbessern. Im Radsport wurde das bewiesen, warum sollte es beim Fußball anders sein? Die Frage ist nur, wie man Kreativität und Genauigkeit steigern will. Es stimmt, dass gewisse Faktoren im Fußball medikamentös nicht beeinflussbar sind. Aber wenn ich stetig im Kraftraum bin und gleichzeitig Anabolika nehme, dann lässt sich ein enormer Muskelzuwachs verzeichnen.
Haben Sie es auch genommen?
Ja. Ich habe dadurch ja keine mentale Leistungsminderung erlitten. Was natürlich auch beliebt war, sind Stimulanzien, um die Angst in den Griff zu bekommen. Und vor den großen Spielen ging die Apotheke umher. Wie gesagt, im Landesmeisterfinale waren es die Briten.
Dopingbestimmungen DFB
Obwohl der DFB dem Deutschen Sportbund angehörte und damit die >>> Grundsatzerklärung des DSB und NOK auch für den Fußball galt, hatte der Fußball bis 1988 versäumt sich ein Antidoping-Reglement zu geben in dem verbindliche Verbotslisten und ein Kontrollsystem festgelegt waren. Damit hatten deutsche Fußballer nichts zu befürchten und konnten letztlich tun was sie wollten, es durfte nur nicht bekannt werden, damit keine Diskussion aufbrach. Lediglich bei Spielen die unter der Regie der FIFA und UEFA (UEFA: seit 1980 bei Europameisterschaften und den Endspielen um die Europacups) standen, konnten deutsche Spieler Gefahr laufen kontrolliert zu werden. Italien, Frankreich und Großbritannien hatten dagegen bereits in den 1960er Jahren im Fußball Kontrollen eingeführt. Erst im Jahr 1988 übernahm der DFB die Dopingliste des IOC, schloss sich aber in Folge nicht dem unabhängigen Dopingkontrollsystem des DSB an, sondern baute sich sein eigenes auf, was in den späteren Jahren für viel Kritik sorgte, zumal die Kontrolldichte sehr gering war.
>>> Dopingbestimmungen des DFB 1989
Mehr über die Praxis des multiplen Medikamenteneinsatzes im deutschen Fußball ohne Rücksicht auf Antidopingbestimmungen siehe im >>> GesamtbeItrag Doping im Fußball (BRD)
Zum Beispiel berichtete der Spiegel, 9.5.2005 über die schweren Folgen des hohen Medikamenteneinsatzes im Fußball, wobei deutlich wird, dass im Fußball auf die Dopingbestimmungen kaum Rücksicht genommen wurde:
„Außerdem sind viele der Mittel heute als Dopingsubstanzen geächtet, mit denen die Clubärzte dereinst munter hantierten. Beim 1. FC Köln etwa wurde den Spielern zur Muskelmast nach Verletzungen, aufgelöst in Wasser, das Medikament Megagrisevit gereicht – es enthält den anabolen Wirkstoff Clostebol.“
– doch anabole Steroide waren auch zur damaligen Zeit bereits geächtet.