Doping in der BRD 1970er Jahre
Josef Keul/Wilfried Kindermann:12.8.1977: Antwort auf W. Franke 1977 ‚Anabolika im Sport‘
Im August 1977 antworteten die beiden Sportmediziner Prof. Dr. Josef Keul und Privatdozent Dr. Wilfried Kindermann von der Abteilung Sport- und Leistungsmedizin an der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg auf die Ausführungen von Prof. Dr. Werner Franke
>>> W. Franke: ‚Anabolika im Sport‘
Diese Antwort erschien am 12. August 1977 ebenfalls in Medical Tribune, aber in der Ausgabe Deutschland Jahrgang 12, Ausgabe 32.
Eine Stellungnahme von Werner Franke ist den Ausführungen der beiden Freiburger Ärzten in der Zeitschrift angefügt (s.u.):
>>> Stellungnahme Werner Franke
Zwei Sportmediziner: Wir fühlen uns diffamiert
Mehrere Beiträge in der MEDICAL TRIBUNE (MT Nr. 12, 13. 18/1977) beschäftigen sich mit dem Mißbrauch von anabolen Steroiden im Sport. Eine Eskalation erfuhr diese Berichterstattung durch einen Beitrag von Herrn Prof. Dr. W. W. Franke in einer teils pseudowissenschaftlichen Argumentation und in nicht fundierten Angriffen gegen unbescholtene Ärzte (MEDICAL TRIBUNE, Nr.13).
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In einem Atemzug werden Mediziner verdächtigt, hormonelle Medikamente für außermedizinische Zwecke zu „entwickeln“ (wo jedem Kenner klar ist, daß diese Möglichkeit allein aus wirtschaftlichen Gründen keinem Mediziner gegeben ist) oder Hormone zu verschreiben (wobei Mediziner namentlich genannt werden, die noch nie anabole Steroide verordnet haben). Gegen besseres Wissen wird Ärzten unterstellt, daß sie die anabolen Hormone popularisieren, obwohl gerade diese sich um ein Verbot mit entsprechenden Kontrollen sei Jahren bemühen. …
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Befürworten Ärzte anabole Steroide im Leistungssport?
Nahezu alle Ärzte, auch Sportärzte, sind gegen die Einnahme anaboler Steroide. Sich gegen anabole Steroide auszusprechen, beinhaltet noch keineswegs die Lösung dieses Problems. Der Zehnkampf-Europameister Graf Werner von Moltke erklörte auf dem Symposion des Deutschen Sportärztebundes in Kiel arn 6. 5. 1977, daß eine Reihe von Athleten 1964 erstmals über das Ausland mit anabolen Steroiden in Kontakt gekommen sei. Wiederholte Rückfragen bei Sportärzten hätten eine völlige Ablehnung gezeigt. Dieser Tatbestand hätte dazu geführt, daß viele Athleten in völlig unkontrollierler Weise anabole Hormone eingenommen hätten. Daran ist erkennbar, daß die Einnahme der anabolen Steroide aus dem Leistungsbereich des Athleten heraus eigenständig erfolgte und Ärzte eine Beratung ablehnten.
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In Folge hätten im In- und Ausland Ärzte experimentell versucht die Wirkungen und Nebenwirkungen der anabolen Steroide herauszufinden. Dabei seien gehäuft reversible Schädigungen der Leber beobachtet worden. Sollten daher anabole Steroide nicht verboten werden können, wäre es die Pflicht der Ärzte, Sportler auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinzuweisen, damit gesundheitliche Gefahren, die durch die Selbstmedikation eintreten könne, vermieden werden.
… Es ist ungeheuerlich, daß aufgrund dieser ärztlichen Pflicht den Athleten vor Schäden zu bewahren, die Unterstellung hergeleitet wird, daß von Ärzten anabole Steroide befürwortet oder gar propagiert werden. Wir haben nie eine Befürwortung von anabolen Steroiden zur Leistungssteigerung ausgesprochen, jedoch wissend um diese Problematik schon seit Jahren ein Verbot – und zwar mit Kontrollen – gefordert.
Die Kenntnis möglicher Störungen der Ausscheidungsfunktion der Leber durch anabole Steroide ist zumindest so alt wie die Anwendung dieser Substanzen in der Klinik. Eine vorsätzliche „Bagatellisierung“ wäre deshalb so ziemlich das Ungeschickteste, was Sportmediziner in ihrer Funklion als „Erfüllungsgehilfe des Sportfunktionärs“ anstellen könnten…
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Das Argumentieren Frankes mit erhöhten Transaminasenwerten sei nicht korrekt, da eine solche Erhöhung bei vielen Sportlern allein durch Training feststellbar sei.
Ein gezielter Rundschlag gegen den Leistungssport
Die Autoren zitieren Untersuchungen, nach denen mögliche Nebenwirkungen anaboler Steroide reversibel seien.
… Die Normalisierung blutchemischer Parameter nach Absetzen der Anabolika und eine über Jahre hinaus völlig normale Leberfunktion muß zumindest so lange in dieser Weise gedeutet werden, wie keine gegensätzlichen Beweise vorliegen. Das Ganze – wie Franke es tut mit einem „begrenzten Waldbrand“ zu vergleichen, wo „nur ein Narr auf eine Reversibilität des Feuerschadens schließe, wenn kein Rauch mehr zu sehen sei“, mutet schon fast wie der Witz eines medizinisch völlig ungebildeten Laien hin.
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Etwa 20 Fälle von Lebertumoren unter Anabolika-Einnahme sind bekanntgeworden (Hepatocellular Carcinoma, New York 1976; Cancer Res. 36. 2584, 1976; Lancet 2, 1942, 1975; Lancet I, 1124, 1976). Ferner sind ungefähr 20 Fälle von Peliosis hepatis bekannt (Ann. intern. Med. 81, 610, 1974; Internist 18, 208, 1977). Von wenigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich dabei um schwere hämatologische Grunderkrankungen im Sinne einer aplastischen bzw. Fanconi-Anämie sowie um bereits bestehende Karzinome. Es ist bekannt, daß Patienten mit Fanconi-Anämie, einer Erkrankung mit genetischen Defekten ein hohes Risiko für andere maligne Erkrankungen aufweisen und Hämosiderosen sowie Leberzirrhosen prädisponierende Faktoren für das Auftreten von Lebertumoren darstellen. Schließlich muß eine strenge Differenzierung zwischen benignen und malignen Lebertumoren erfolgen, denn bei den histologisch als Leberkarzinom klassifizierten Fällen wird von einer Reihe von Autoren die Maligniliit angezweifelt.
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Kein einziger Fall belegt, daß anabole Steroide beim gesunden Menschen einen Lebertumor indizieren. Dabei muß darauf hingewiesen werden, daß anabole Steroide seit fast 2 Jahrzehnten im Leistungssport angewendet werden, und kein einziger Fall eines Leberschadens oder Tumors bei einem Sportler in Folge der Einnahme anaboler Steroide bekannt geworden ist.
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Die beiden Ärzte weisen ferner daraufhin, dass noch vor wenigen Jahren Anabolika routinemäßig in der Medizin eingesetzt worden seien und gegenwärtig noch Kombinationspräparate, die anabole Steroide enthalten, bei Lebererkrankungen verordnet würden. Zudem seien weltweit Studien zum Thema angelaufen.
Keine Beweise
Kommt man zu einer abschließenden Wertung der vorliegenden Befunde, dann gibt es lediglich einige Hinweise dafür, daB alkylierte anabole Steroide zu benignen hepatozellulären Läsionen fuhren können, während es für die nicht alkylierten Steroide nach dem derzeitigen Wissensstand dafür keine Hinweise gibt. Dieser Unterschied sollte insbesondere auch für zukünftige therapeutische Maßnahmen streng getroffen werden. Es existieren beim Menschen keine Beweise für eine karzinogene Rolle anaboler Steroide (Internist 18, 208, 1977). In etwa gleichlautend war das Statement des Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Prof. Dr. I. Tamm, in Kiel 1977)
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Zu der von Franke festgestellten erhöhten Anfälligkeit von Infekten bei Leistungssportlern speziell der Kraftsportarten stellen die Autoren fest, solches nicht zu kennen. Dies sei für Ärzte, die sich in diesen Disziplinen auskennen ein absolutes Novum. Die klinische Erfahrung lehre das Gegenteil. Im Gegensatz zu Ausdauersportlern sei bei ihnen eine erhöhte Infektanfälligkeit nicht oder nur selten festzustellen. Es gäbe sogar Hinweise, dass anbole Steroide zu einer Verminderung der Infektanfälligkeit beitragen könnten.
… Einfach skandalös mutet der Vorwurf einer Verharmlosung von Virilisierungserscheinungen bei Frauen an, wenn man weiß, daß die Autoren dieser Arbeit ausdrücklich darauf hinweisen, daß „bei Frauen und Jugendlichen anabole Steroide wegen der Gefahr irreversibler Funktionsstörungen bzw. fehlenden Wissens über Schädigungen abzulehnen sind“ (Med. Klin, 71. 497, 1976). Da an dieser Stelle diese Publikation von Herrn Franke zitiert wurde, kann keinesfalls Nichtwissen sondern nicht zu überbietende Ignoranz zu diesen Schlußfolgerungen geführt hat. das Ganze eskaliert darin, daß ein in der Laienpresse wiedergegebenes Zitat hinsichtlich der Stimmvertiefung bei Frauen ohne Kenntnis der dazugehörigen weiteren Diskussionsbemerkungen nach eigenem Gutdünken interpretiert und dazu benutzt wird, beim Uneingeweihten den Glauben an eine „Verharmlosungskampagne“ der Sportmediziner weiter zu verstärken. Kann man einem Autor, der zumindest in dem Artikel in dieser Zeitschrift immer wieder versucht, den verantwortungsbewußten Wissenschaftler herauszukehren, überhaupt Glauben schenken, wenn er bei Publikationen in medizinischen Zweitschriften auf Zitate aus der Laienpresse zurückgreift und diese völlig ungeprüft als Anschuldigung verwendet?
Zukünftige Erwartungen
Es besteht kein Zweifel, daß aus ärztlich-ethischen und sportlich-ethischen Gründen die Einnahme anaboler Steroide zur Leistungsförderung im Sport abzulehnen ist. Eine Aussage, die seit Jahren bekannt ist! Es muß jedoch die Frage gestellt werden, wem die Kampagne von Diffamierungen bewußter oder unbewußter falscher Unterstellungen und leichtfertigem Umgang mit Fakten nutzt. Es ist sicher, daß die übertriebene Wertstellung der anabolen Steroide im Sport dazu geführt hat, daß allen die anabolen Steroide und ihre Anwendung bekannt geworden sind. Es läßt sich bereits aufgrund der praktisch-tätigen Arbeit der Sportärzte heute sagen, daß eine Verbreitung anaboler Steroide auch bei den Sportlern eingetreten ist, die nicht zur Leistungsspitze gehören.
Der Leistungssport bedarf ohne Zweifel der ärztlichen Hilfe. Es wäre bedauerlich, wenn sich eine Reihe Sportmediziner aufgrund von Diskriminierungen in den letzten Monaten vom Leistungssport abwenden und somit in Zukunft ihre Hilfe versagen würden. Durch die Tatsache, daß Herr Prof. Dr. W. W. Franke uns Sportmediziner zu „Betrugskomplizen“ erklärt, disqualifiziert er sich selbst und kann aufgrund der oben wiedergegebenen Darlegungen unserer Meinung nach nicht als objektiv und emotionsfrei urteilender Wissenschaftler anerkannt werden.
Stellungnahme Prof Werner Franke auf den Kommentar von J. Keul und Wilfried Kindermann
Diese Stellungnahme ist im Anschluss an den Kommentar von Keul und Kindermann in der Medical Tribune abgedruckt.
Auf das Problem der Nebenwirkungen bzw. Risiken bei der Verabreichung von Anabolika an Sportler (risk. vs. benefit?) einzugehen, ist hier nicht der Platz und erübrigt sich wohl auch nach der deutlichen Stellungnahme der „Ständigen Kommission Steroidtoxikologie“, die ja auch in MEDICAL TRIBUNE (Nr. 27 vom8.Juli 1977,S. 13, Die Red,) veröffentlicht worden ist. Diese Empfehlung steht in offenkundigem Widerspruch zu früheren Äußerungen von Keul mit Mitarbeitern in der Fach- wie in der Laien-Presse (letztere hat Herr Keul früher ja wohl durchaus geschätzt und mit solch kernigen Sprüchen gefüttert wie: „Jeder, der einen muskulösen Körper haben und männlicher wirken möchte, kann Anabolika nehmen!“, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 44 vom 21. 2. 1970).
Ob er nun wirklich vom „Saulus zum Paulus“ geworden ist, wie das Prof. Reindell bei dem Kieler „Verteidigungsform“ für seinesgleichen in Anspruch nahm, bleibt abzuwarten. Daß aber ausgerechnet Herr Keul sich nun als Vorkämpfer des Verbots des Anabolika-Dopings entdeckt, ist ein schlechter Witz. Das Gegenteil ist nachweisbar! Auch was die Frage eines möglicherweise erhöhten Risikos von Lebertumoren und P. hepatis anbetrifft, hat sich die Zahl der kompetenten Stimmen inzwischen weiter vermehrt, die auch unter diesem Gesichtspunkt eine Verabreichung an Sportler ablehnen, Die Forderung nach strenger Indikation ist allgemein (vgl. auch Internist 18, 208-214, 1977)*. Die Äußerungen von Keul und Kindermann zum Komplex Steroidgaben und Leberfunktionen zeigen vor allem, daß sie die erwähnten Phänomene nie auf zellulärer Ebene überdacht haben und sich zum Beispiel der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Reversion, Kompensation, Regeneration, (funktionoller) Restitution etc. nicht bewußt sind. Vielleicht finden sie jemanden, der ihnen biologischen Nachhilfeunterricht erteilt und erklärt, daß bei der Heilung der Hepatitis kein reversibler Prozeß stattfindet.
Über die verharmlosende Darstellung der Virilisierung hat sich inzwischen der Leser sicher zur Genüge durch Aufsätze in der Laien-Presse (z. B. die von Dr. A. Mader in der SZ bzw. FAZ) selbst sein Urteil gebildet! Im übrigen ist die Zahl der falschen bzw. falsch pauschalisierten Behauptungen der beiden Autoren zu groß, um hier ausreichend gewürdigt werden zu können. Geradezu bedenklich müssen aber die offensichtlichen Ausfallserscheinungen in der Lesefähigkeit der Autoren stimmen.
Das fängt mit der unwahren Behauptung an, Mediziner würden „verdächtigt, „zu entwickeln“ und hört mit der ebenso falschen Behauptung auf, „den Sportmedizinern“ sei Beihilfe zum sportlichen Betrug vorgeworfen! Wieso ernennen sich die Autoren eigentlich zu Stellvertretern der Sportmediziner schlechthin? Angesprochen war lediglich „eine kleine Gruppe von Sportmedizinern“ die Anabolika im Sport einsetzen, diesen Einsatz popularisieren und die betrügerischen Praktiken durch Rat und Tat unterstützen. Zu dieser kleinen Gruppe gehört Herr Keul allerdings nachweislich dazu! Abschließend muß der Verfasser es aber als tröstlich empfinden, daß über seine wissenschaftlichen Qualitäten Leute anderen Kalibers zu befinden haben als ausgerechnet diese Autoren so dürftiger Publikationen zu Anabolika-Wirkungen.
Prof. Dr. Werner W, Franke
Abt. für Membranbiologie und Biochemie
Instltut für experimentelle Pathologie
Deutsches Krebsforschungszentrum
6900 Heidelberg 1
* dort heißt es auf Seite 212 der Zusammenfassung unter anderem:
„… Solange die Entstehung benigner und maligner Lebertumoren sowie dar Peliosis hepalis unter Längzeitanabolika-Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann, sollen diese Medikamente nur bei strenger Indikation verabreicht werden …“