1970er Jahre:
Dopingvorfälle, -geständnisse im Deutschen Leichtathletikverband DLV
Die westdeutsche Leichtathletik war besonders betroffen von den heftigen Diskussionen über die verbreitete Dopingpraxis im Hochleistungssport, die durch die Vorkommnisse rund um die Olympischen Spiele in Montreal 1976 ausgelöst wurden. Etliche Sportler gaben ihr Schweigen auf und berichteten ausführlich über ihre Dopingpraxis und das sie umgebende Doping begünstigende, Doping unterstützende Sportsystem. Andere gaben in späteren Jahren ihre entsprechenden Erfahrungen zu Protokoll und zeigten damit auch auf, dass die vielen verfassten Resolutionen und Richtlinien von Verbänden, die vollmundigen Erklärungen von Ärzten, Funktionären und Politikern häufig nichts wert waren. Gedopt wurde weiter, nur noch versteckter.
Die meisten Berichte der Sportler lassen erkennen, dass sie selbst aus eigenem Antrieb mit dem Doping begannen und sie die Verantwortung für ihren Konsum übernahmen. Sie schildern jedoch auch wie Doping freundlich ihr sportliches Umfeld war, wie selbstverständlich das Doping angesehen wurde und wie indirekt durch die Erstellung von Qualifizierungsnormen Leistungen erwartet wurden, die aus der Sicht der Sportler nur mittels leistungssteigernder Medikamente, insbesondere Anabolika erreicht werden konnten. Neben Funktionären spielten hierbei prominente Sport-Ärzte eine herausragende Rolle. Deren Rolle, insbesondere deren Haltung in den 1970er Jahren wird >>> hier näher beleuchtet.
Einfluss auf das Verhalten der Sportler/innen hatten aber insbesondere Trainer genommen, sei es, dass sie aktiv die medikamentöse Leistungssteigerung anregten, entsprechende Mittel zur Verfügüng stellten oder Informationen weiter gaben über die zu erwartenden Dopingkontrollen, so dass rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen getroffen werden konnten. In die Kritik kamen diese Trainer weniger. Von Entlassungen ist nichts bekannt. Erst Jahre später gerieten einige von ihnen aufgrund fortgesetzer Dopingpraxis unter Beschuss.
1974 erste DLV-Kontrollen auf Anabolika.
„Kontrolliert wurden nach Absprache mit Sportwart Pick und dem Bundestrainer Werner Heger alle Teilnehmer des Endkampfes der Kugelstoßer und des Endlaufs über 60m Hürden. Ein Hürdenläufer entzog sich dabei der Kontrolle.“
Horst Klehr, DLV-Antidoping-Kommission:
„Bei den Anabolikern sieht es finster aus. Von 9 untersuchten Proben waren 3 eindeutig und 3 weitere fast sicher positiv (also 66%). Unter den positiven befand sich auch ein Hürdenläufer. Hier gibt es noch viele Aufgaben für uns zu lösen. Ich habe aber begründete Hoffnung, dass auch auf diesem Gebiet in absehbarer Zeit eine rückläufige Tendenz zu erwarten ist.“
(E. Eggers, Doping in Deutschland….)
Diese Entwicklungen könnten ein Indiz dafür sein, dass ein Athleten-Schreiben von Willi Daume, der öffentlichen Doping-Diskussion ein Ende zu setzen, als Schweigegebot interpretiert und befolgt wurde. Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, appellierte am 31.3.1977 an die Mitglieder der DLV-Nationalmannschaft: „So nützlich öffentliche Diskussionen sind, der Blick zurück im Zorn nützt hier wenig. Wir hätten gerne früher das Bekenntnis oder den Rat gehört, die nun Oberschiedsrichter der Nation sein wollen, denn das Problem des durch Pharmaka manipulierten Athleten liegt seit Jahren auf dem Tisch. … Am allerwenigsten aber sind Beschimpfungen und fragwürdige Denunziationen hilfreich. Nötig sind dagegen Gelassenheit und wissenschaftliche Exaktheit. Frei von Emotionen und Profilneurosen sollten sich jetzt Sportler, Mediziner und Medien darauf konzentrieren, die Arbeit der zur Lösung dieser Frage eingesetzten Fachgremien zu unterstützen und das Ergebnis abzuwarten.“ Singler/Treutlein schreiben dazu: „Der Deutsche Leichtathletik-Verband reichte die Erklärung Daumes an seine Kaderathleten weiter und bekräftigte die Forderung des NOK-Präsidenten nach einer rein sportinternen Behandlung der Problematik, was nicht wenige als Schweigegebot („Maulkorberlass“) interpretierten.“ (Singler/Treutlein, Doping im Spitzensport, S. 220) (>>> Interview mit Willi Daume, 16.4.1977)
Das verbreitete Doping unter Leichtathleten und der eher duldende Umgang durch den Verband selbst, führte Ende der 1980er Jahre intern zu heftigen Spannungen, die mit dazu beitrugen, dass Präsident Dr. Eberhart Munzert im August 1988 zurück getreten war.
„“Ich sehe mit großer Sorge, daß mancher Athlet mehr in Pillen und Spritzen vertraut als in seine eigene Leistungsfähigkeit. Ich bekomme Anru-fe von besorgten Eltern, die mich fragen, ob sie ihre Kinder noch zur Leichtathletik schicken können. Ich höre von Jugendsportlern, die aus der ersten ärztlichen Behandlung mit acht verschiedenen Präparaten zurückkommen“. (Der Kassenarzt 36/1988)
Dr. Munzert hatte sich nach dem Tod von Birgit Dressel vehement gegen die Nominierung von Prof. Klümper als Olympiaarzt für Seoul gewandt und gegen das Präsidium durchgesetzt.
PORTRAITS MIT DEM SCHWERPUNKT DOPING
- Beyer, Uwe – Hammerwerfen
- Dressel, Birgit – Siebenkampf
- Hennig, Klaus-Peter – Diskus
- Kroninger, Annegret – Sprint
- Krug, Joachim – Kugelstoßen
- Lepping, Claudia, Sprint
- Neu, Hein-Direck – Diskus
- Ommer, Manfred – Sprint
- Reichenbach, Ralf – Kugelstoßen
- Riehm, Karl-Hans – Hammerwurf
- Schmidt, Holger – Zehnkampf
- Schmidt, Walter – Hammerwurf
- Steines, Gerhard – Kugelstoßen
- Wagner, Alwin – Trainer Steinmetz, Karlheinz
>>> 1970er Jahre: Trainer und Dopingvorwürfe
MARGOT EPPINGER, Fünfkampf
Margot Eppinger-Bayer spricht 2011 über Ihre Erfahrungen mit dem verbreiteten Dopingverhalten bei den Olympischen Spielen 1972 und insbesondere 1976 in Montreal (Leichtathletik, 16.11.2011):
… „Eppinger war 1973 und 1975 Deutsche Mehrkampfmeisterin und 1972 in München und vier Jahre später in Montreal zweimalige Olympiateilnehmerin im Fünfkampf. Sie gehörte neben den Langstrecklern Stephane Franke und Kim Bauermeister sowie den Sprintern Klaus Just und Stefan Holz zu den Aushängeschildern der LG Filder vor den Toren Stuttgarts, die jetzt ihren 40. Geburtstag feierte. Ausgerechnet die eher zurückhaltende Vorzeigeathletin aus Neuhausen redete bei der Feier offen über Doping. „Bei den Spielen in München sprach man noch über einzelne Athleten, in Montreal ist die Sache dann so richtig losgetreten worden“, sagt die inzwischen 59 Jahre alte Lehrerin. …
„1976 in Montreal hat sich der Sport grundlegend verändert“, spricht Margot Eppinger-Bayer von einer Zeit, als der Sport seine Unschuld verlor. „Als wir ins Athletendorf eingezogen sind, lagen im Badezimmer die Rasierer“, erinnert sie sich. Sportlerinnen mussten sich rasieren und fielen durch ihre tiefen Stimmen auf. Frustrierend sei dies gewesen.
Eppinger-Bayer betont, dass sie selbst klare Indizien hatte, dass die Dopingproblematik kein Ostproblem war. Schon im Trainingslager in Malaga vor den Spielen in Kanada vernahm sie Gerüchte von Doping im eigenen Lager. „Ich war damals die letzte ungedopte Mehrkämpferin“, wagt sie jetzt, bezogen auf das internationale Niveau, eine bemerkenswerte Aussage. „Als ich mich nach manchen Sportlerinnen im Athletendorf umgesehen habe, kam ich mir ziemlich hilflos und verloren vor“, erinnert sich die 1,78 Meter große Ex-Athletin.
Doping war ein Grund, warum Margot Eppinger schon mit 24 ihre Leistungssportkarriere beendete. „Ich hatte ungedopt keine Chance mehr“, war sie entmutigt. Ein Bandscheibenvorfall und ihr Studium taten ein Übriges.“ …
GÜNTHER LOHRE, Stabhochspringer
Günther Lohre, von 1974 bis 1984 fast ununterbrochen Deutscher Meister im Stabhochsprung, seit 2010 Vizepräsident für den Leistungssport im DLV, spricht in einem Interview mit der FAZ vom 28.7.2010 die Dopingmentalität an die Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre bestand. Er erwähnt auch die Rolle der Trainer und der Funktionäre:
… Sie waren vor dreißig Jahren, in der Zeit des Kalten Krieges, Leistungssportler. Sie haben in Amerika studiert. Sind Sie mit Dopingmitteln in Berührung gekommen?
Es wurde so über Trainer herangetragen. Da fragte einer: Hast du schon mal überlegt, ob du was nehmen willst? Die anderen nehmen es auch. Gesundheitlich ist das kein Problem, und bei den Kontrollen passiert nichts. Überleg’s dir!…
Ich habe Nein gesagt. Die Folge war, dass es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gab: die Harten, die richtig wollten, die Medaillengewinner. Und die Weicheier. Bei mir wusste man nicht, ob ich nicht darüber sprechen würde. Es gab damals einen inneren Zirkel derjenigen, die das Zeug mit Löffeln gefressen haben.
Sie hätten Ihre Bestleistung von 5,65 Meter mit Steroiden um zehn Zentimeter verbessern können!
Ich war damals so gnadenlos selbstbewusst, dass ich gedacht habe: Ich werde auch so der Beste. Ich habe mich mehrmals am damaligen Weltrekord von 5,71 Meter versucht. 5,85 Meter habe ich mir am Ende meiner Karriere zugetraut, sauber. Aber ich habe Achillessehnenprobleme bekommen.
Sind Sie bestraft worden für die Weigerung mitzumachen?
Für Los Angeles 1984 bin ich nicht nominiert worden. Ich war in der Form meines Lebens. Und die sagen mir: Du bist zu alt für eine Endkampfchance. Das war völliger Blödsinn. Die Bronzemedaille ging mit 5,45 Meter weg. Ich bin reihenweise 5,50 Meter gesprungen. Die haben damals den Stabhochsprung einfach nicht besetzt.
Das war die Zeit des Bundesausschuss Leistungssport unter Leitung von Helmut Meyer . . .
Meyer ist tot. Man sollte nicht schlecht von ihm reden. Aber man kann wohl sagen, dass er einer von denen war, die von Verbandsseite her Doping geduldet haben. Später, nach seiner Zeit als DLV-Präsident, hat er seine Position revidiert. …