DLV-Dopingvergangenheit
Klaus-Peter Hennig
Klaus-Peter Hennig war in den 1960er 70er Jahren einer der erfolgreichsten westdeutschen Diskuswerfer: 1965 Deutscher Jugendmeister, 1966 Vizeeuropameister, 1968 Deutscher Juniorenmeister, 1971 Militärweltmeister, 1971, 1973 und 1975 Deutscher Meister. Er begann bei Peußen Münster und wechselte zu TSV Bayer 04 Leverkusen. Heute arbeitet erals Unternehmensberater.
2017 veröffentlichte Simon Krivec seine Dissertation
„Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik“.
Im Rahmen seiner Untersuchungen konnte er zu 39 ehemaligen Leichtathleten Kontakt aufnehmen, die ihm über ihr Dopingverhalten mit Anabolika berichteten. Die meisten wollten anonym bleiben, doch Klaus-Peter Henning gehört zu denen, die offensiv mit ihrer Sportlervergangenheit umgehen.
Krivecs Studie erregte viel mediale Aufmerksamkeit. Damit wurde auch Hans-Peter Hennig zu Interviews eingeladen und konnte so seine Erfahrungen breit streuen.
ZITATE
Simon Krivec zitiert Hennig wie folgt:
„Das erste Mal von Anabolika, in diesem Fall Dianabol, habe ich 1967 noch zu meiner Zeit bei Preußen Münster gehört. Dies geschah durch Gespräche mit anderen Alhleten. Anfangs überwog noch die Skepsis, ob eine Leistungssteigerung damii erreichbar ist. Zudem war die Verunsicherung groß, da man nicht genau wusste, welche Nebenwirkungen und Schäden die Einnahme zur Folge hat. …
In der Vorbereitungszeit auf den Sommer 1968 habe ich das erste Mal selbst eine Anabolika-Kur von 6 Wochen mit Dianabol eingelegt. Das muss im November und Dezember 1967 gewesen sein. Däs Ganze habe ich dann im Januar und Februar 1968 wiederholt.
Nachdem ich im Olympiajahr 1968 im Grunde nur an Anabolika „gelekt hatte, hhabe ich von 1969 bis 1974 in jedem Jahr das Schema verfolgt: jedes Jah 3 bis 4 Kuren beginnend mit der Vorbereitungs- und Kraftaufbauphase im November/Dezember, im Januar/Februar, um Ende April/Mai sowie im Juni in Vorbereitung auf die Wettkampfhöhepunkte des Jahres. …
967/1968 habe ich meine ersten Tabletten von meinem Hausarzt […] in Münster verschrieben bekommen. Als ich dann zu Bayer Leverkusen gewechsselt bin, sind viele von uns zu [Titel Vorname Name] , einem Sportmediziner in Langenfeld gegangen, der uns sportmedizinisch betreut hat. Mir wurde in den Jahren 1971 bis 1973 durch den Langenfelder Sportmediziner 3- bis 4-mal eine Primobolan-Depospritze gesetzt. 1972 bei einem Länderkampf in München im Vorfeld der Olympischen Spiele gegen die USA wurde mir vom verantwortlichen Verbandsarzt des DLV […] Captovit gegeben, welches meine Leistung noch weiter fördern sollte. …
Mein Hausarzt hat mich 1967 auf den Beipackzettel verwiesen. Ich vermute, dass er selbst nicht so große Ahnung hatte. Mein mich danach betreuender Arzt in Langenfeld hat mich und andere Athleten immer wieder darauf hingewiesen, es doch bitte nicht zu übertreiben, da es sonst zu den in den Beipackzetteln beschriebenen Nebenwirkungen kommen könne. …
Alles ging über Kassenrezepte, das ging damals ohne Probleme. …
Uns Sportlern wurde vom damaligen DLV-Sportwart […] mitgeteilt, wenn wir irgendwelche leistungssteigernden Mittel benötigen würden oder Schwierigkeiten hätten, welche zu bekommen, sollten wir uns doch bitte an Prof. Keul […] wenden. Das war für mich eine klare Handlungsempfehlung und Ausdruck des sich etablierenden Systems des DLV, um den Zugang zu unterstützenden Mitteln zu gewähren. Insbesondere, um ein wenig mit dem Dopingsystem in der DDR schritthalten zu können.
Hans-Peter Hennig, Doping Magazin 2/2017
Hans-Peter Hennig fasste seine Erfahrungen, seine Meinung und sein Forderungen an Politk und Funktionäre in einem Artikel für das Doping Magazin, Ausgabe 2/2017 zusammen. Diesen Text legte er auch den Abgeordneten zu einer nichtöffentlichen Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages vor, zu der er am 28.6.2017 für den Tagespunkt „Anabolika-Doping in der westdeutschen Leichtathletik“ gemeinsam mit Simon Krivec und Alwin Wagner eingeladen worden war.
Zitate aus diesem Text mit dem Titel
„Das Dilemma des Deutschen Sports.
Wie in den 60-er Jahren ein junger Leichtathlet dazu kam, Anabolika einzunehmen.“:
… 1968 mit 21 Jahren gehörte ich bereits zu den vier besten Diskuswerfern in Westdeutschland, obwohl ich nur ein Gewicht von 105 kg hatte. Durch wiederkehrende Bronchitis-Erkrankungen mit anschließender Mandeloperation im Mai 1968 verlor ich sechs Kilogramm Gewicht und war damit für internationale Spitzenleistungen zu schmächtig geworden. Es waren nur noch vier Monate bis zur Olympiade in Mexico. Da musste ich etwas tun, wenn ich die Teilnahme noch schaffen wollte.
Durch meine Sportkontakte national und international wusste ich bereits ungefähr, was die Konkurrenz an unterstützenden Mitteln nahm. Da damals die Mittel nicht als Doping deklariert waren, im Gegenteil von unserem DLV-Verbandspräsidenten sogar als wirkungslos bezeichnet wurden, gab es keine Instanz, die uns von der Einnahme abhielt. Als ich dann als zweitbester Diskuswerfer die Qualifikation für Mexico geschafft hatte, konnte ich meine damals noch spärlichen Kenntnisse über Anabolika mit den weltbesten Athleten vertiefen.
Im Olympischen Dorf traf ich mein Diskus-Idol Jay Silvester, damals Weltrekordler mit über 70 m. Als er mich sah, 1,96 m groß und 105 kg leicht, hat er mich erst für einen Zehn-Kämpfer gehalten, der gut Diskuswerfen konnte. Er sagte zu mir „Klaus-Peter, you are very skinny“. Anabolika-Doping war damals schon eine flächendeckende Erscheinung. Es wurde aber damals auch schon über mögliche Nebenwirkungen gesprochen bei der Anwendung bei Männern wie auch bei Frauen. Das machte mir große Sorgen, denn ich war 21 Jahre jung und wollte meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. So habe ich damals und auch später nur die klinische Dosis in Höhe von 15 mg pro Tag genommen, weil das die empfohlene Dosis für kranke Patienten war. Die Folge war, dass Im Hinblick auf die Olympiade in München alle Athleten mehr trainierten, viele ihr Studium unterbrachen oder streckten, was ich nicht getan habe, und viele offensichtlich unterstützende Mittel eingenommen haben. Im eigenen Land wollten wir es der DDR zeigen. …
Also, Anabolika-Doping war in den 50er Jahren in den USA und seit 1968 weltweit in Anwendung gekommen. In Westdeutschland wurde es 1971 im DLV verboten, aber in München 1972 noch nicht kontrolliert. Warum sich selbst um Medaillen-Chancen bringen. Erst ab 1974 wurden Anabolika international verboten und in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich intensiv kontrolliert. Dazu wurden die Internationalen Olympianormen in Westdeutschland angehoben und verschärft, was einige Athleten in große Gewissenskonflikte stürzte. Wie weit soll ich mit der Einnahme gehen, um die hohen Normen zu erreichen, und wie sehen eventuelle Nebenwirkungen aus. Auch wenn die Einnahme von Anabolika bis 1971 nicht verboten war, war ich als junger Athlet in einem schlimmen Dilemma. Deshalb habe ich mich bei der Dosierung an die Empfehlungen der Herstellerfirma gehalten in der Hoffnung keine Nebenwirkungen zu erleiden. Auf der anderen Seite wurden unsere Leistungen wöchentlich in der Presse mit den Leistungen der DDR-Sportler verglichen. Man wollte selber mithalten zum eigenen Vorteil und zum Vorteil des Verbandes. …
Wie sieht es heute aus?
… Das Problem, welches mich als Hochleistungssportler immer sehr bedrückt hat ist, die `Chuzpe´ und Dreistigkeit, mit der in all den Jahren unsere Politiker und Funktionäre Doping aktiv und auch inaktiv gefördert haben und in Sonntagsreden gegen Doping zu Felde gezogen sind und immer noch ziehen. Die Bevölkerung spürt diese Heuchelei und nimmt den Verantwortlichen in den Innenministerien und den Sportverbänden ihre sogenannte Anti-Doping-Gesinnung nicht ab. Einen Fall habe ich erlebt, wo ein Werfer positiv getestet worden ist und natürlich ein oder zwei Jahre gesperrt worden ist. Im Vorfeld wussten die Verantwortlichen genau Bescheid, was Dr. Klümper mit den Athleten machte. Der erwischte Athlet wurde von den Funktionären als schwarzes Schaf und Einzelschicksal hingestellt, aber unter vier Augen bedauert, dass er wohl Pech gehabt hatte. Wenn sie so etwas erlebt haben, dann vergeht ihnen der Spaß am Leistungssport.
Jetzt sind im Auftrag der Politik die Anforderungen an die Leistungssportler so hoch geschraubt worden, dass nur noch Medaillenanwärter mit zur Olympiade genommen werden sollen. Wie soll man das ohne unterstützende Mittel erreichen? Das widerspricht dem Olympischen Gedanken. …
Wie das funktionieren soll, in einem Sport-System, in dem bei so vielen Funktionären und Trainern das finanzielle Auskommen von den Erfolgen der Athleten abhängig ist, hat uns Athleten noch keiner erklären können. Die kürzlichen Reaktionen von den Chefs des DOSB und DLV auf die Arbeit von Simon Krivec sprechen Bände und die Protagonisten entlarven sich selbst in ihrer Machtlosigkeit. „Man glaubt, dass weiter gedopt wird, aber solange man nichts nachweist, sind die Athleten sauber und alles ist gut. Dann zählt man weiter die erreichten Medaillen und verfrachtet sogar die Athleten, die nachweislich gedopt haben, in die Hall of Fame des Sports. Eine Aufarbeitung, insbesondere der Zeit nach der Wende, ist nicht gewollt.
Und wen interessiert das heute noch?
Zitat DLV-Präsident „Wenn (aber) dieses Problem nicht gelöst wird, wird der Sport irgendwann in sich zusammenbrechen“. In meinen Augen stinkt der Fisch vom Kopf her. Dieses Missbrauchsproblem ist systemimmanent und nur mit dem Willen der Politik und der Sponsoren besser in den Griff zu bekommen. …
Es geht mir nicht um Einzelschicksale, sondern darum, die Perversität der internationalen Sportpolitik aufzuzeigen. Und darum, zu betonen, dass nicht die Athleten die Monster und sog. betrügende Helden sind, sondern eher die Herren und Damen in den Ministerien und Landesverbänden betrachtet werden müssen, die diese überhöhten Leistungsnormen aufstellen und damit große Schuld auf sich geladen haben. Der einzelne Athlet ist das letzte Glied in der Doping-Kette und wird verteufelt. Das sind die Falschen, denn die Treppe wird von oben nach unten gekehrt. …