Das Thema Doping in der öffentlichen Diskussion 1990 – eine Annäherung
die Wendezeit Teil I, das Jahr 1990
Der 3. Oktober 1990, der Tag der deutschen Einheit, weckte innerhalb des deutschen Sports hohe Erwartungen und ließ manchen, vor allem westdeutschen Funktionsträger, von kräftigen Medaillenregen träumen. Am 15. Dezember 1990 sollte die feierliche Vereinigung der Sportverbände stattfinden. Doch anstelle eines geordneten Miteinanders ost- und westdeutscher Athleten, Trainer, Ärzte und Funktionäre bot die deutsche Leistungssportwelt eher ein chaotisches Bild. Im Zentrum tobte eine heftige Kontroverse über die Dopingvergangenheiten der beiden deutschen Staaten. Eine Kontroverse, die bis heute andauert bzw. erneut ausgebrochen ist.
Bereits in den Jahren zuvor war öffentlich bekannt gewesen, dass Doping in der DDR Teil des Systems war und auch im Westen die Leistungen mitbestimmte. Spätestens nach dem Tode von >>> Birgit Dressel 1987 und Ben Johnsons Überführung 1988 war die Problematik ein mediales Dauerthema. Doch die Enthüllungen von Dr. Manfred Höppner, Vizechef des Sportmedizinischen Dienstes (SMD) der DDR, die am 29.11.1990 im Stern erschienen, sowie die Vorwürfe zu Bundestrainer Jochen Spilker und dem „Hammer-Modell“, erschienen kurz darauf am 3.12. im Magazin Spiegel, zerstörten die mühsam aufrecht erhaltene Ruhe entgültig. (s.u.)
Innerhalb der verschiedenen Verbandsebenen brodelte es bereits während des gesamten Jahres 1990 heftig wegen der zu erwartenden gesamtdeutschen Kaderzusammenstellungen. Die West-Verbände- und Funktionäre erhofften sich, international die herausragende Rolle spielen zu können, die jahrelang dem DDR-Sport zukam und zugesprochen wurde. Daher musste der Wechsel und die Anerkennung der Trainer, Betreuer, Mediziner und Sportler schnell und unbürokratisch vorangehen. Die Skepsis über ein gelingen war verbreitet. Auch ostdeutsche Sportler zweifelten wie beispielsweise Heike Drechsler, die öffentlich die ungünstiger gewordenen Leistungssport-Bedingungen bedauert und sich gegen die Wiedervereinigung und gegen eine gemeinsame Olympiamannschaft ausgesprochen hatte (Leichtathletik 11-1990). Auf der anderen Seite standen westdeutsche Sportler, die befürchteten, aussortiert zu werden.
„So sieht Sabine Zwiener nach dem deutsch-deutschen Schulterschluß für sich „keine Chance mehr“. Die Zeiten und Weiten der Kolleginnen von drüben seien „eine ganz andere Welt“. Ähnlich frustriert sind viele andere Kollegen aus der Nationalmannschaft des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Denn im Vergleich der diesjährigen Bestenlisten liegen die DDR-Athletinnen in 14 von 17 Einzeldisziplinen vorn.“ „Die Funktionärsgilde bereitet die noch eifrig trainierende Athletenschar daher vorsichtig auf den Karriereknick vor. So prophezeit Ulrich Feldhoff, Vorsitzender des Bundesausschusses Leistungssport, „eine ganze Reihe Härtefälle“. Steinbach wertet die Entstehung der neuen deutschen Leichtathletik-Equipe als einen „zwangsläufig martialischen Akt“.Es werde eine ganz „brutale Auslese“ geben, prophezeit Trainer Heinz-Jochen Spilker. Die Zeiten, in denen sich die traditionell langsameren Westdeutschen im „Lichte eines deutschen Meistertitels sonnen durften“, seien vorbei.“ (der Spiegel, 6.8.1990)
Dieses harte Konkurrieren bestätigte sich bei der Leichtathletik-Europameisterschaft Ende August 1990 in Split. Ost- und Westathleten fanden nicht zueinander, sondern grenzten sich ab, im Trainerlager herrschte Unsicherheit. Misstrauen machte sich breit.
„Das Konkurrenzdenken paßte zwar nicht in die nach außen demonstrierte Harmonie, den bundesdeutschen Funktionären gefiel der Kampfeswille der Ostdeutschen aber dennoch. Die DDR-Athleten seien „viel härter und nicht so verwöhnt“ wie die eigenen Leute, lobte Meyer. Das Wichtigste sei jetzt, erklärte von Moltke gönnerhaft, daß die Sportler ihren Elan bis zu den Olympischen Spielen 1992 durchhielten: „Das ist das beste Sprungbrett für sie.“ „Entschuldigten die Funktionäre in den vergangenen Jahren selbst die peinlichsten Ausrutscher der DLV-Sportler, um nicht die wenigen Leistungsträger zu vergraulen, so wurden die Aktiven diesmal ziemlich schonungslos kritisiert.“ (der Spiegel, 3.9.1990)
gewachsenes öffentliches Wissen über das Systemdoping der DDR
International gesehen begannen ab 1985 die Mauern zwischen Ost und West löchrig zu werden. Langsam erfuhr die Öffentlichkeit immer mehr über das Doping im Ostblock. Den Anfang machte Dr. Torma 1985, der zugab, dass in Ungarn Anabolika fester Bestandteil des Hochleistungsssports waren. Eine wichtige Rolle in der Aufklärung spielte auch Ben Johnson, dessen Dopingfall zur Einsetzung einer kanadischen Untersuchungskommission führte, die durch Zeugenbefragung erhellte, wie bekannt die Dopingpraktiken im Osten, insbesondere der DDR in internationalen Verbands- und Funktionärskreisen waren. Dabei stellte sich z. B. auch heraus, dass kanadische Gewichtheber ihr Traingslager gerne in der CSSR aufgeschlagen hatten. „Nur die härtesten Dopingfestungen des „Warschauer Paktes“ hielten den Angriffen der Wahrheitsfindung noch stand: die DDR und Rumänien.“ (Siehe hierzu Berendonk, 1992, S. 60ff.) Zudem, so wurde immer deutlicher, gab es ein weit größeres ‚internes‘, verschwiegenes Wissen unter und zwischen einzelnen Ärzten und Wissenschaftlern, als allgemein zugegeben wurde.
Hans-Georg Aschenbach:
„Jawohl, ich habe Dopingmittel genommen über den gesamten Zeitraum meiner sportlichen Laufbahn. Acht Jahre lang habe ich Anabolika geschluckt und gespritzt. … Wir mußten diese Medikamente nehmen. Wir wurden dazu gezwungen. … Wir wurden vergattert, zu niemandem darüber zu reden. Wer quatschte, flog sofort raus. … 30 bis 40 Milligramm Nandrolon mußte ich täglich nehmen. Zehn Tage vor einem Wettkampf wurden die Dopingpillen abgesetzt. … Untersuchungen haben ergeben, daß nach fünf Tagen keine Spuren mehr im Körper festgestellt werden konnten. Ich habe immer zehn Tage vor einem Wettkampf abgesetzt. Wir sprachen von doppelter Sicherheit.“
(sid, 26.6.1989, nach Berendonk, S. 63)
Die DDR sah sich in schwerster Bedrängnis nachdem Sportmediziner Hans-Georg Aschenbach, Olympiasieger 1976 und Weltmeister im Skispringen, zusammen mit Judo-Funktionär Dr. Hans Noczensky in den Westen geflüchtet waren. Es brach Panik aus, dachte man doch, dass sich jetzt alle auf Aschenbachs Kenntnisse stürzen würden und fürchtet gar internationale Verwicklungen. Doch das Erdbeben fand nicht statt. Wie durch IM (Informelle Mitarbeiter) festgehalten wurde, erregte zur selben Zeit die Diskussion um Sportmediziner Klümper, dem „Unterschlagung“ und „unsaubere Spritzen-Therapien“ vorgeworfen wurden, die westdeutschen Sportgemüter mehr. (Spitzer, 1998, S. 197) Im Juni 1989 berichtet Aschenbach dann in der Bild am Sonntag ausführlich über seine Erlebnisse und Erfahrungen als Sportler und eingebundener Mediziner. Damit zerstreute er dann letzte Zweifel an der DDR-Dopingrealität der vergangenen Jahrzehnte.
Es folgten weitere Bekenntnisse von DDR-Sportlern. Schwimmerin Christiane Knacke bestätigte Aschenbach und nannte Namen. Auch sie sprach wie dieser von gesundheutlichen Folgen des Anabolika-Dopings und erklärte,
„daß ihre Kollegin Barbara Krause zwei behinderte Babys geboren hat, die Olympiasiegerin Andrea Pollack eine Fehlgeburt erlitt und die eigene Tochter Jennifer mit fünf Monaten schwer erkrankt sei.“
Der Spiegel nennt noch Boxer Hagen Doering und Ruderer Matthias Schumann, die sich offenbarten.
Die nationalen und internationalen Verbände sahen sich durch diese Aussagen jedoch nicht zum Handeln aufgefordert.
„Auch für die Schwimmer sieht Beyer „keine Notwendigkeit, jetzt was tun zu müssen“. Womöglich hätten die Mitglieder des obersten Verbandsgremiums – ein Algerier, ein Amerikaner und ein Holländer – Christiane Knackes Aussagen „überhaupt noch nicht registriert“. Der Internationale Skiverband sieht sich ebenfalls „nicht direkt gefordert“. Den Generalsekretär Gianfranco Kasper hat lediglich die Tatsache schockiert, daß der Springer Aschenbach nach seiner Karriere als Arzt die DDR-Sportler seinerseits dopte und gleichzeitig in der medizinischen Kommission des Verbandes heuchlerisch gegen Doping aufstand.“ (der Spiegel, 17.7.1989)
Im Herbst 1989 berichtete Günter Schaumburg, Diskuswerfer und nach 1972 für 8 Jahre Trainer, über die DDR-Praxis. Er selbst musste bereits ab 1967 hohe Dosen Oral-Turinabol einnehmen. Steffen Grummt, Zehnkämpfer und Bobbeifahrer von Wolfgang Hoppe, nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Auch der Schwimmer Raik Hannemann berichtete ausführlich im Berliner Kurier über die DDR-Dopingpraktiken. (s, hierzu das Interview mir Hannemann in Seppelt/Schück, S. 147ff)
Im März 1990 schildert dann Michael Regner, ehemalige Schwimmtrainer des ASK Potsdam, im Magazin Spiegel ausführlich, wie das Dopingsystem funktioniert hatte. Und auch die Geschichte des Gewichthebers Mario Schult, der bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 plötzlich einen Arm in Gips tragen musste und nicht starten konnte, wurde bekannt. Schult wurden versehentlich Anabolika verabreicht, die bei ihm eine positive Probe wahrscheinlich werden ließ. (der Spiegel, 19.3.1990)
Michael Regner hoffte auf Veränderungen.
„“Wie eh und je“, sagt Regner, „sitzen die Drahtzieher für den jahrelangen Anabolika-Mißbrauch in den Führungspositionen“ – mit seinem Bekenntnis wolle er erreichen, „daß solchen Leuten das Handwerk gelegt wird“. Athleten und Trainer hätten gegen das Diktat der Mediziner „keine Chance gehabt“.“
Doch danach sah es Anfang 1990 nicht aus.
„In Leipzig vereinbarten Sportmediziner aus beiden Teilen Deutschlands eine enge Zusammenarbeit. In einer Aufwallung von Bekennerdrang gab Hermann Buhl, stellvertretender Leiter des Bereichs Sportmedizin im DDR-„Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport“, zu verstehen, die Experten hätten weitere Dopingtricks („lauter Knaller“) in petto.“
Dieses Wissen war im Westen begehrt, und die Ostspezialisten wussten dies. So fuhr z. B. Dr. Jochen Neubauer, Potsdamer Arzt der Schwimmer mit Anabolika versorgte,
„am 20. Februar ins westfälische Warendorf, um „Stellenangebote zu prüfen“. Manfred Thiesmann, Cheftrainer der bundesdeutschen Schwimmer, hatte ihn eingeladen. Im Olympiastützpunkt in der Warendorfer Bundeswehrkaserne führte Neubauer ein mehrstündiges Gespräch mit westlichen Spezialisten.
Das Bonner Verteidigungsministerium erklärte, es habe sich dabei lediglich um einen „Gedankenaustausch“ gehandelt. Kontaktsucher Neubauer indes hofft, seine Fertigkeiten weitergeben zu können: „Langfristig ist auch die Bundesrepublik auf Doping angewiesen, wenn sie in der Weltspitze mithalten will.““ (der Spiegel, 12.3.1990)
In einem weiteren Artikel vom 12.3.1990 berichtete das Magazin über DDR-Dopingforschung und die Rolle von Prof. Winfried Schäker vom Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport FKS, der auf der 68. Tagung der Deutschen Physiologischen Gesellschaft zwar anwesend war, aber zum Missfallen seiner westdeutschen Kollegen wenig Kenntnisse preis gab (der Spiegel, Ratten strampelten für Olympia, 19.3.1990). (>>> mehr Infos über Winfried Schäker)
Dass es starke Bestrebungen gab, die vermeintliche Überlegenheit des ostdeutschen Sportsystems ohne Wenn und Aber in das gesamtdeutsche zu integrieren, zeigt u.a., dass bereits „im April 1990 für DLV-Trainerlehrgänge führende Dopingexperten der DDR als Referenten angekündigt waren“ (Treutlein, 28.7.2009). Der Spiegel arbeitete in einem Artikel vom 27.8.1990 dieses Bestreben heraus. Danach war man auf (gesamt)deutscher Seite bestrebt, möglichst viele Wissensträger im eigenen Land zu behalten, denn Begehrlichkeiten gab es in vielen Ländern. Die USA beschwerte sich darüber, versprochene Angebote nicht zu erhalten. Vielsagend ist auch, dass von den DDR-Institutionen neben der Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte in Berlin ausgerechnet das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig und das Dopinglabor in Kreischa erhalten bleiben sollten, zwei Institutionen, die eine herausragende Rolle im DDR-Doping spielten. Maßgeblichen Druck für deren Aufnahme in den Wiederveinigungsvertrag soll vom Bundesausschuss für Leistungssport (BAL) ausgegangen sein mit Unterstützung des Referats SM 1 des Bundesinnenministeriums. Ulrich Feldhoff vom BAL wird in der SZ vom 11./12.8.1990 wie folgt zitiert: „Unser bisheriges System war falsch, das der DDR – so schön es ist – einfach nicht finanzierbar.“ CDU-Mitglied Kösters und Mitarbeiter im BMI unter Abteilungsleiter Schaible schreibt zu den Übernahmeaktivitäten: „Das alles erweckt den Eindruck. daß maßgebliche Sportführer im Westen ein Interesse daran hatten, die Praltiken der DDR zu erhalten und sich zunutze zu machen. Dafür waren die Politiker massiv beeinflußt worden.“ Köster zitiert den BAL-Direktor Löcken, der dem Leiter des Referates SM 1 gesagt haben soll: „Die Verbände wollen diese Leute haben, wir brauchen sie, darum gibt es nur eins: Kopf runter und durch!“
Der Sportpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Wilhelm Schmidt erklärte im September 1990 in einer Bundestagsdebatte über die Entwicklung und Förderung des Spitzensports:
„Ein besonders schlechter Berater war die Eitelkeit einiger westdeutscher Spitzenfunktionäre und Regierungspolitiker. die offensichtlich mit dem Blick auf künftige Medaillenspiegel den Blick nur auf die Übernahme der Topathletinnen und -athleten richteten und alles andere darüber vergaßen.
Ich halte es z. B. für nachgerade abenteuerlich, wenn die im Einigungsvertrag expressiv verbis genannten sportwissenschaftlichen Institute wie das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig, die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte in Berlin und das Dopingkontroll-Labor in Kreischa ohne Vorbehalte übernommen werden. Da ist weder mit den Fachleuten aus dem Westen eine Bestandsaufnahme erörtert noch ist über die teilweise belastete Vergangenheit dieser Einrichtungen reflektiert worden.“ (Kösters, S. 86ff)
MANFRED HÖPPNER
Höppner zur Aktenvernichtung:
„Nach dem Fall der Mauer wurde die Parole ausgegeben, sämtlichen belastenden Papiere zu vernichten. Der nur mündlich weitergegebene Befehl kam von ganz oben, und er traf sich mit dem dringenden Wunsch der Athleten und Trainer, alle Spuren ihrer Dopingvergangenheit zu verwischen.“
zitiert nach Berendonk, S. 84
Versuchte man die Aussagen verschiedenster Sportler und Trainer zu missachten oder zu bagatelisieren, gelang dies mit denen Manfred Höppners Ende November 1990 nicht mehr. Der hochrangige DDR-Funktionär hatte dem Magazin Stern Unterlagen verkauft, die zum ersten Mal im Detail die Dopingpraxis der DDR darlegten. Die mittgebrachten Unterlagen waren konkret. Exakte Angaben belegten individuelle Anabolika-Anwendungen und Namen von bekannten Sportlern wie Heike Drechsler und Kristin Otto wurden genannt.
HÖPPNER: Als Arzt im Hochleistungssport vertrete ich einen anderen Standpunkt als ein Doktor, der bei der Betreuung der nicht Sport treibenden Bevölkerung seinen Dienst tut. …
Es gibt eine ärztliche Therapiefreiheit, und es gab in der ehemaligen DDR kein Gesetz, das die Anwendung von Arzneimitteln – unter anderem das registrierte Anabolikum Oral-Turinabol – verboten hätte. Wenn ein betreuender Sportarzt der Meinung ist, bei einer länger andauernden, trainingsbedingt verzögerten Erholungsfähigkeit im Organismus des Sportlers eine raschere Wiederherstellung und damit Förderung der Belastbarkeit für die folgenden Traininqseinheiten erreichen zu können und dazu Anabolika in einer pharmakologisch erlaubten Dosierung verabreicht, bedeutet das für mich keinen ärztlichen Kunstfehler, sondern eine persönliche Entscheidung. Unsere Anabolika-Anwendung erfolgte streng nach klinischen Überlegunqen. Der Gesundheitszustand des in Frage kommenden Athleten wurde zuvor gründlichst analysiert und fortlaufend kontrolliert. …
Der Druck der Basis, insbesondere von selten der Trainer, war damals vor den Olympischen Spielen in Montreal enorm. Wir wußten ja, was die Amerikaner machten und wir wollten wettbewerbsfähig bleiben. Ich überlegte mir seinerzeit: Beendest du deine sportärztliche Tätigkeit? Doch wie viele meiner Kollegen auch, sah ich auf der anderen Seite die sportärztliche Verantwortung. Wenn wir uns zurückziehen, behandeln sich die Athleten selbst, oder wir überlassen das Feld rnediziniscben Scharlatanen. Das war zwar ein Widerspruch zu den Regeln, aber der bessere Weg. …
Es bestand die Weisung, daß mit jedem Sportler bei der Erarbeitung des individuellen Trainingsplans alle Dinge, auch die Anwendung von Anabolika, eingehend zu erläutern waren. Wenn ein Sportler sie nicht wollte, dann brauchte er sie nicht zu nehmen. ..
Es ist ja bekannt, daß Leute aus den USA, aber auch aus einigen anderen Ländern Interesse an den wissenschaftlichen Ergebnissen der gemeinsamen Untersuchungen des Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig und des SMD zeigten. Die haben Sich aufgeregt, daß sie diese Dinge nicht zu kaufen kriegten. Auch die Bundesrepublik hat sehr schnell einige Forscher vom FKS eingeladen, um über deren Arbeiten zu hören. … (Stern, 29.11.1990)
Teil der dem Stern übergebenen Dokumente war die verschollen geglaubte ‚Dissertation B‘ von >>> Hartmut Riedel. Dieses Exemplar konnte zwar aus ‚Gründen des Informationsschutzes‘ nicht weiter gegeben werde, aber zumindest eine Tabelle wurde veröffentlicht und damit auch die Existenz dieser Arbeit offiziell bestätigt. Riedel hatte nach seiner Flucht 1987 angegeben, seine Dissertation aus dem Jahr 1986 „Zur Wirkung von anabolen Steroiden auf die sportliche Leistungsentwicklung in den leichtathletischen Sprungdisziplinen“ sei verloren gegangen. Eine Beteiligung am Doping konnte ihm somit nicht öffentlich bewiesen werden und er erhielt eine Stelle an der Universität Paderborn, 1988 eine C3-Professur in Bayreuth. Im Zuge der aufgekommenen Diskussion wurden Riedels bislang vorliegende Aussagen zunehmend hinterfragt. Beispiel: „In einem Streit um die Person der Weitspringerin Heike Drechsler aus Jena erklärte Riedel […] vor Zeugen, er habe einige Daten aus ihrer Jugendzeit , Anabolikagaben betreffend, „gefälscht“.“ (Stuttgarter Zeitung, 26.10.1991)
Höppner, der als „IM Technik“ große Mengen Stasi-Berichte angefertigt hatte, trug auch 1998 im Berliner-Prozess zur Aufklärung bei (Berliner Zeitung, 19.3.1998, Berliner Zeitung, 8.12.1998).
Manfred Ewald:
“ „Doping hat es im DDR-Sport nicht gegeben. Jedenfalls haben wir derartiges niemals angeordnet und es nicht zugelassen.“
„Bei uns war Doping entsprechend der Regeln des lOC verboten.“Dr. Günter Rademacher:
„Wir haben zu Problemen des Sports geforscht, nicht die Sportler gedopt.“
„Wir [am FKS] hatten die Möglichkeit zu sagen, wann man die Dopingmittel einsetzen muß, damit sie bei Wettkampfkontcollen nicht mehr nachweisbar sind.“
[Ich will nicht ausschließen], „daß die Sportführung unsere Forschungsergebnisse genutzt hat, um Dopingregeln zu hintergehen“. Inwieweit dies jedoch geschehen sei, „entzieht sich meiner Kenntnis“. Er könne auch nicht sagen, „welcher Sportler wieviel geschluckt hat“. „Die Dopingforschung an sich ist doch nichts Ehrenrühriges.“ Und: „Bis 1987 war Doping im Trainingsprozeß nicht verboten.“ Im übrigen sei die ehemalige DDR kein Einzelfall. „Es ist absolut Unsinn, die Erfolge der DDR-Sportler nur auf Doping zurückzuführen. Ein Dr. Rademacher ist doch nicht klüger als zahllose Wissenschaftler, die sich in aller Welt mit ähnlichen Problemen beschäftigt haben. Wir hatten ein perfektes System der Auswahl, der Entwicklung und auch der medizinischen Betreuung.“ “
(sid, 6.12.1990)
Dr. Clausnitzer, Leiter des Dopingkontroll-Labors Kreischa und Mitglied der Medizinischen Kommission des IOC:
„Seit 1977 haben wir in der DDR sehr umfangreiche Dopingkontrollen durchgeführt, viel mehr als in anderen Ländern … In der Vergangenheit haben wir alle Sportler, bevor sie die DDR zu einem Wettkampf verließen, kontrolliert. Wir, d.h. der Sportmedizinische Dienst der DDR (SMD). Das war ein Auftrag des DTSB. Wir wollten dem Sportler und damit der DDR die Blamage eines positiven Befunds im Ausland erparen. Wer nicht sauber war, blieb da. Zukünftig werden diese Kontrollen drastisch verringert zugunsten von unangemeldeten Trainingskontrollen und dem Ausbau der Kontrollen bei nationalen Meisterschaften. … Die Veröffentlichung von positiven Fällen ist Sache der Antidopingkommission der DDR. Seit September vergangenen Jahres gibt es eine Anordnung, dies zukünftig auch zu tun. Bisher konnten sich die Athleten sicher fühlen. Sie wurden nicht genannt. Meines Wissens haben in der DDR keine Mittel existiert, die international nicht nachweisbar waren. Bei dem derzeitigen hohen Niveau der Analysetechnik wäre das auch ein Risiko.“ (LAVA 8/1990) (… Beeinflussbarkeit bei der Anti-Dopingkontrolle, 1972)
Prof. Dr. Lothar Pickenhain, 1969 Mitbegründer des FKS, stellvertretender Direktor für Sportmedizin bis 1973, als sein Sohn einen Fluchtversuch in die BRD unternahm und gefaßt wurde.
„Die Entscheidung zur Gründung des Instituts [FKS] fiel auf höchster politischer Ebene und in strikter Geheimhaltung. Sie ging direkt vom Zentralkomitee der SED aus und wurde realisiert von der Leistungssportkommission, in der führende Politfunktionäre saßen und deren Existenz ebenfalls strikter Geheimhaltung unterlag. Dort und in dem untergeordneten staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport wurden grundlegende Beschlüsse über die zu bevorzugenden Sportarten, die Richtlinien für den Leistungssport und die politischen und ideologischen Schwerpunkte der Arbeit im Sport gefaßt. Die Anwesenden durften bei den Sitzungen nur in als „streng vertraulich“ gekennzeichneten Protokollbücher Notizen machen. 1968 war es die klare politische Linie des Zentralkomitees, auf dem Weg über den Sport eine möglichst maximale Anerkennung der DDR durchzusetzen. … Es galt, die DDR vor allem bei den Olympischen Spielen optimal darzustellen. Der Sport sollte organisiert sein wie ein militärisches System, wie eine Armee, und der Sport genoß noch vor der Staatssicherheit und der Nationalen Volksarmee (NVA) höchste Priorität. … Jeder wird leugnen, daß es ein Dopinglabor gab. Die Abteilung hieß natürlich nicht so, sondern „Endokrinologisches Labor“. … und es war den Trainern streng verboten, selbst Dopingmittel zu verabreichen. Da gab es klare Vorschriften.“ (Sports 90, S.48)
Prof. Dr. Winfried Schäker, FKS:
„1975 erhielt das FKS den Auftrag den Auftrag zum Aufbau der Forschung zu anabolen Steroiden. Es waren drei Fragestellungen zu lösen: die Wirkung von anabolen Steroiden generell auf die sportliche Leistungsentwicklung ermitteln, Nebenwirkungen auf die Gesundheit und das Training ausschließen und den Nachweis von Oral-Turinabol als Untersuchungsmethode aufbauen. … Alles geschah unter dem Gesichtspunkt der Schadensverhütung, auf die Gesundheit der Sportler bezogen. Die Gesundheit des Sportlers stand nach unserer Position vor der Medaille. … Wie als Wissenschaftler haben auch von vornherein gefordert, daß Jugendliche keine Anabolika bekommen. …
Wir haben die Grundlagen- und angewandte Forschung betrieben und nur diese ist von uns zu verantworten. … Bis weit in die 80er Jahre haben wir die Position eingenommen, daß eine Substitution vertretbar ist…. Im System des DDR-Leistungssports gab es zwei Möglichkeiten. Entweder wurde der Trainingsplan nicht erfüllt oder die Wiederherstellung durch Substitution, durch Ersatz mit Anabolika zu unterstützen. Deshalb war nach unserer Meinung eine Substitution aus ärztlicher Sicht vertretbar. … das Labor und die spätere Abteilung Endokrinologie haben neben der breit angelegten Untersuchung von den zwei anabolen Steroiden tatsächlich Hormonforschung betrieben, die unverzichtbar ist für den Leistungssport und die Gesundheit der Athleten. … Es darf künftig kein Dopingforschung und Dopinganwendung im Leistungssport geben. Meine Hoffnung gündet sich auf die Untersuchungskommission, die wegen der Fälle in ganz Deutschland gebildet werden soll. … Wir haben eine gediegene wissenschaftliche Arbeit geleistet, in der alle Eventualitäten bedacht wurden. Unsere Ergebnisse wurden dem Sportmedizinischen Dienst exakt übermittelt und auf alle Probleme, die damit verbunden sein könnten, wurde verantwortungsvoll hingewiesen …. (LVZ, 7.12.1990)
INTERNES WISSEN IM WESTEN
der Spiegel, 4.5.1998
„Jetzt gilt als sicher, daß westdeutsche Sportführer schon zum Zeitpunkt, als es die DDR noch gab, detailliert über die Dopingwirklichkeit im Osten informiert waren. Überläufer wie der Turner Wolfgang Thüne, die Leichtathletin Renate Neufeld oder der Skispringer Hans-Georg Aschenbach hatten über die kräftigende Wirkung der blauen Pillen berichtet. Der Hallenser Sportmediziner Alois Mader hielt nach seiner Flucht Vorträge über das flächendeckende Anabolikaprogramm in der DDR. Auch der Bundesnachrichtendienst versorgte die Westdeutschen regelmäßig mit Neuigkeiten von drüben.“
Diese öffentliche Diskussion, durch die die Dopingpraxis der DDR nicht mehr geleugnet werden konnte, ließ allerdings auch die Fragen nach dem internen Wissen aufkommen. Schließlich ergaben sich so manche Widersprüche. Fragen danach wurden allerdings nicht beantwortet, und wie es scheint, wurden diese auch nicht hartnäckig genug gestellt. Die allgemeine Haltung von Politikern und Funktionären der Sportverbände zeichnete sich in den Wendejahren dadurch aus, dass Unwissen und Überraschung über die Enthüllungen die Reaktionen prägten, man fiel sozusagen aus allen Wolken. Oder man versuchte möglichst schnell das Thema zu wechseln und einen Neuanfang zu fordern. Doch schon BND-Berichte (Bundesnachrichtendienst) aus dem Jahr 1974 informierten die westdeutsche Regierungsspitze über die Anwendung von Anabolika bei Hochleistungssportern der DDR.
1993 meinte Ministerialdirigent Erich Schaible, bereits 1974 im Bundesinnenministerium für den Sport zuständig,
„er kenne einen solchen Bericht nicht und besitze ihn auch nicht. Er könne sich aber erinnern, daß es immer wieder Verschlußsachen gegeben habe, in denen berichtet wurde, wie der Staat in der DDR Einfluß auf den Sport nehme und ihn benutze. Die Reaktion des Staates auf solche Erkenntnisse könne man in der Unterstützung des Institutes für Dopinganalytik von Professor Manfred Donike in Köln erkennen. Die Information der Öffentlichkeit über solche Vorgänge liege nicht im Aufgabenbereich seines Ministeriums.“ (FAZ, 31.7.1993, Anklage Kinderdoping, S. 291 ff)
Und Prof. Gildor Hollmann gab 1990 unumwunden zu, er sei nicht überrascht
„von den „Praktiken“ der DDR. …:“ Unter der Decke des Oberflächlichen bestanden schon immer gute Verbindungen zwischen Ost und West. Wir waren auch über die sogenannten Geheimlabors der Sportmedizin informiert, aber nicht über alle Details“.“ (FAZ, 24.3.1990)
1998 wird dies durch den „NOK-Report“ bestätigt:
Das Organ des Nationalen Olympischen Komitees „NOK-Report“ schreibt in der Juni-Ausgabe, das Doping in der DDR sei den Sportfunktionären der Bundesrepublik zum Teil schon seit Jahrzehnten bekannt gewesen. Die inquisitorische Erforschung der Sachverhalte sei nach der Wende aus vielerlei Gründen unterblieben, vorwiegend plausiblen.“ (FAZ, 15.6.1998)
Doping in West-Deutschland
Daimler-Sprecher Matthias Kleinert, Sponsor:
„SPIEGEL: Seit März sind detaillierte und dokumentierte Dopingvorwürfe gegen deutsche Leichtathleten bekannt. Doch im August bei den Europameisterschaften in Split lud Mercedes das deutsche Team zur Party.
KLEINERT: Wir haben immer erklärt, gegen jede Manipulation zu sein. In einem Vertrag mit dem Leichtathletik-Verband steht wörtlich: „Leistungssteigerungen haben mit fairen Mitteln zu erfolgen, Doping ist unfair und schädlich.“ Für die Sauberkeit, das steht ebenso eindeutig fest, haben die Verbände zu sorgen. Wir können doch nicht eine Ermittlungsgruppe einsetzen.
SPIEGEL: Es hat sich aber gezeigt, daß die Funktionäre an Aufklärung kein großes Interesse haben.
KLEINERT: Wenn da nichts passiert, wird unsere Partnerschaft mit dem Verband beendet. Angesichts der jüngsten Vorwürfe müssen sogar ganz schnell Konsequenzen gezogen werden.
(…)
SPIEGEL: Bislang wurden aber alle Vorwürfe beharrlich ausgesessen.
KLEINERT: Sicher werden wir nicht, wenn einige wenige schwarze Schafe auffällig werden, unser gesamtes Verhältnis zum Sport beenden. Aber wir werden deutlich machen, daß bei uns die Jalousie runtergeht, wenn die Verbände nicht überzeugend Manipulationen ausschließen.“ (…)
(der Spiegel, 3.12.1990)
DAS „DAS HAMMER-MODELL“, J. SPILKER UND HANS-JÖRG KINZEL
Fast zeitlich mit Höppners Stern-Interview erschien ein Spiegel-Artikel über Doping in Westdeutschland. Das „Hammer-Modell“ um Vereins- und Bundestrainer Heinz-Jochen Spilker wurde publik. Mitte/Ende der 80er Jahre führte Heinz-Jochen Spilker junge Läuferinnen in Hamm zu deutschen und internationalen Meistertiteln. Dabei kümmerte er sich zwar um ausreichend Sponsoren für seine Athletinnen, erzeugte allerdings damit zusätzlichen Druck, denn finanziell unterstützt wurde nur der Erfolg. Anabolika verhalfen dazu:
„Weil die Hammer Dopingtruppe bei den Deutschen Meisterschaften 1986 „dick abgesahnt“ (Kinzel [Ehemann und persönlicher Trainer von Gisela Kinzel]) hatte und Gisela Kinzel bei den Europameisterschaften Staffel-Silber gewann, fiel der Lohn reichlich aus.
Adidas erhöhte auf 15 000 Mark, honorierte die Silbermedaille zusätzlich mit 15 000 Mark, der Verein zahlte monatlich 800 Mark, mit Startgeldern und Prämien verfügten die Kinzels nun über ein Monatseinkommen „zwischen 5000 und 6000 Mark cash“. (…)
„im März 1987 zog ihn der Frauen-Cheftrainer Wolfgang Thiele auf der Terrasse am Swimming-pool des Touringclub Acoataeias ins Vertrauen: „Was macht ihr denn in Hamm?“ Bei einem doppelten Espresso und portugiesischem Brandy erzählte Kinzel („Ich fand es toll, den großen Thiele mit Du anreden zu dürfen“) bereitwillig, zumal er längst gemerkt hatte, daß unter Kollegen offen über die Dopingpraxis gesprochen wurde.“
DLV-Cheftrainer Thiele war kein unbeschriebens Blatt. „Sogar vor dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages kamen die Anschuldigungen zur Sprache, doch Thiele konnte alle Vorwürfe mit Unterstützung der Verbandsfunktionäre des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aussitzen. Ganz offen konnte er bei wichtigen Wettkämpfen schon bald wieder nach sauberen Athletinnen fragen: „Ich brauch“ zwei zur Dopingkontrolle, kannst du gehen?“
Gegenüber Kinzel machte Thiele keinen Hehl daraus, selbst Dopingmittel an Sportler verabreicht zu haben.
Auch gegenüber der DLV-Vizepräsidentin hatte Kinzel keine Zweifel, dass das Doping geduldet sei: „Seine Frau hatte ihm berichtet, wie die Vizepräsidentin Ilse Bechthold bei einer Weihnachtsfeier im Frankfurter Ramada-Hotel auch künftig Erfolg angemahnt hatte: „Leistungen wollen wir doch alle bringen, und weil wir doch wissen, wie das geht, bitte ich um Verschwiegenheit.“
Spilker selbst begann mit seinen Ost- und West-Kontakten zu prahlen. Er habe erfahren wie Marita Koch von Wolgang Meier und Ben Johnson von Charly Francis fit gemacht wurde. Die Medikamente verschrieb Armin Klümper und ein Arzt in der Nähe, Fehlendes gab es in Fitnessstudios.
Als Spilkers Fehler erwies sich, die Deutsche Juniorenmeisterin Claudia Lepping anzuheuern. Die Leichtathletin ging an die Öffentlichkeit. Zudem wurde aus Kanada durch die Anhörung im Fall Johnson bekannt, dass Spilker sich mit Doping bestens auskannte.
Spilkers „Bilanz liest sich wie eine Sammelliste von Invaliditätsanträgen. Gaby Bußmann leidet unter Herzrhythmusstörungen, deren Ursache nicht einmal im Hamburger Tropeninstitut diagnostiziert werden konnte. Helga Arendt beklagt eine geschädigte Leber und eine chronische Arthrose im Fuß. Andrea Hannemann, in die „extrem viel reingepumpt“ (Kinzel) wurde, um ein exzessives Trainingspensum absolvieren zu können, ruinierte sich ihre Achillessehne. Mechthild Kluth wurde immer langsamer und beendete entnervt ihre Karriere; Silke Knoll wechselte nach Dortmund. Gisela Kinzel, die einst aus Spaß am Laufen begann, hörte frustiert auf und will „vom Sport nichts mehr hören“. (der Spiegel, 3.12.1990
Michael Vesper, DOSB:
„Ich rate dringend, sich von dopingbelasteten Leuten zu trennen. Wer wie im Falle von Herrn Spilker als Trainer Doping zugelassen oder gar gefördert hat, ist für Spitzenpositionen im Sport untragbar und darf auch niemals mehr die Obhut über Kinder und Jugendliche bekommen. Auch Herr Marciniak ist gut beraten, in seinem Landessportbund weiter aufzuräumen.“ Den Hinweis aus dem DOSB nimmt der Thüringer Gösel wie sein Kollege Marciniak nicht ernst: „Spilker ist seit 1990 bei uns in Thüringen und immer wieder im LSB gewählt worden. Es interessiert mich nicht, was ein Herr Vesper sagt.“
(FAZ, 13.12.2007)
Der Fälle Silker und Kinzel kamen vor Gericht. Im Februar 1994 wurde Spilker zu 12 000 DM und Kinzel zu 750 DM wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verurteilt. (Näheres zu den Zeugenaussagen im Prozess siehe in Singler/Treutlein, S. 257ff)
Heinz-Jochen Spilker war bis 2012 Vize-Präsident und Rechtswart des Landessportbundes Thüringen.
WEITERE ENTHÜLLUNGEN ÜBER WEST-DOPING
Der Spiegel setzte seine Berichterstattung zum Thema fort. Am 10. Dezember 1990 deckt er auf, wie Trainer Heinz Hüsselmann vom TV Wattenscheid 1986 Läuferin Ute Thimm versucht zum Dopen zu überreden (der Spiegel, „Das muß man nehmen“, 10.12.1990). Dabei gab er zu, Teamkollegen entsprechend zu versorgen. Die Athletin verweigerte die Einnahme.
Gegen Hüsselmann wurde zu jenem Zeitpunkt bereits seit 1986 wegen Körperverletzung ermittelt. Er war von Hürdensprinterin Brigitte Gerstenmaier angezeigt worden, da er ihr ohne ihr Wissen Anabolika verabreicht hatte.
Zur Anzeige kam es, als ihr Verlobter Thomas Grönich, Arzt, immer misstrauischer werdend, Tabletten analysiern ließ. Das Ergebnis erbrachte das Anabolikum Methandienon (Dianabol), ein Testosteron-Derivat-, ein Präparat, das in der BRD damals nicht hergestellt und vertrieben wurde. Erste körperliche Veränderungen zeigten sich. Th. Grönich frug Manfred Donike vom Kölner Dopinganalyselabor um Rat, der ihm empfahl den Generalsekretär des Deutschen Sportbundes, Karlheinz Gieseler zu informieren, was geschah. Gleichzeitig ging er zur Polizei. Diese beginnt zu ermitteln, stellt aber nach über einem Jahr das Verfahren ein, da nicht geklärt sei, ob die Tabletten von Hüsselmann stammten. (der Spiegel, „Tabletten mit Bruchrille“, 10.12.1990, s. a. Singler/Treutlein, S. 263ff, >>> Heinz Hüsselmann)
In dem Spiegel-Artikel „Das muß man nehmen“ wird auch auf die Verflechtungen und Interessenlagen innerhalb der deutschen Sportwissenschaften hingewiesen. Insbesondere der Fall Hartmut Riedel warf (erneut) viele Fragen auf (>>> mehr Infos). Dieter Baumann wird zitiert, dass
„ihm von DLV-Offiziellen während eines Trainingslagers bei einem Gespräch am Kamin der Anabolikakonsum angetragen wurde. Und als das Gespräch auf Riedel kam, bekannte der Silbermedaillengewinner von Seoul: „Wenn ich diesen Namen nur höre, kommt mir das Kotzen.“
Auch die Bundestrainer Gehrmann und Steinmetz werden erneut (bereits im März 1990) mit klaren Anschuldigungen genannt:
– „So lud der Diskus-Bundestrainer Karlheinz Steinmetz während der Vorbereitung auf den Länderkampf gegen die DDR im Juni 1988 einige seiner Asse ins Auto und chauffierte sie zur „Ernährungsberatung“ zu Riedel, der damals noch in Paderborn wirkte. Von der Beratung zurück, berichteten die starken Männer detailliert, was sie über Dosierungen und Wirkungen von Anabolika erfahren hatten. Da durfte sich DLV-Leistungssportdirektor Horst Blattgerste bestätigt fühlen, der nach der Verpflichtung Riedels frohlockt hatte: „Jetzt wissen wir endlich alles, was die drüben gemacht haben.“
– Und bei der Europameisterschaft in Athen referierte der Frauentrainer Christian Gehrmann beim Frühstück im Athletenhotel ganz ungeniert über die Quelle seines Dopingwissens. Er packe mitunter sein Auto „voll Anabolika aus dem Westen“ und karre sie zu Ostblocktrainern. Im Gegenzug werde er in deren Know-how eingeweiht. „
Zu Sportmediziner Karlheinz Graff, 1990
„Funktionäre und Ärzte warnen nur zur Tarnung, die Dopingmentalität wuchert weiter. So berichtet der Essener Sportmediziner Karlheinz Graff von einem Gespräch unter vier Augen mit einem Leichtathletikfunktionär im Rahmen eines Länderkampfes. Der habe ihm das „Problem“ eines „versierten Trainers“ geschildert, der hochwertige Talente in seinem Kader habe. Die Mädchen lehnten jedoch Doping ab. Nun suche man einen „Arzt des Vertrauens“, der diesen Athletinnen „Hormon-Präparate auch ohne deren Wissen zuführt“.
Obwohl Graff „keinen Zweifel“ hat, daß sich Kollegen dafür „finden oder gefunden haben“, mag er die Namen von Trainer und Funktionär nicht nennen. Kumpanei geht immer noch vor, Verlogenheit, gibt Mediziner Graff zu, „wird zum Prinzip erhoben“.“
(der Spiegel, 26.3.1990)
Bereits am 26.3.1990 hatte der Spiegel über westdeutsche Dopingforschung und insbesondere Dopingforschung an der Universität Heidelberg berichtet. Drei Kugelstoßer, Kalman Konya, Claus-Dieter Föhrenbach und der Schweizer Weltmeister Werner Günthör hatten freiwillig an Versuchen teilgenommen.
„Mit dem Test beauftragte Weicker den Assistenzarzt Dr. Karl-Michael Sehling. Die Laborbefunde von Konya und Föhrenbach, die bis zum Untersuchungsbeginn Anabolika geschluckt hatten, wiesen dramatisch niedrige HDL-Werte auf. Föhrenbach erreichte mit 18 nicht einmal die Hälfte des Normalwertes, Konya kam am 27. Januar 1988 mit 4 sogar in die Infarkt-Gefahrzone. Der besorgte Doktor Sehling wies die Kugelstoßer schriftlich auf das Risiko hin – Konya akzeptierte ungerührt.“
Die Studie wurde unter strengem Verschluss gehalten. (der Spiegel, „Das Zeug hat mich wild gemacht“, 26.3.1990). Die anfallenden Diagnosekosten von Föhrenbach wurden von der Krankenkasse bezahlt, Begründung: „Ferilitätsdiagnostik – Hochleistungssportler (nach Anabolikaeinnahme)“. In die Diskussion kam in diesem Zusammenhang über Werner Günthör der Schweizer Sportmediziner Dr. Bernhard Segesser, der zugab Sportler seit Jahren mit anabolen Steroiden behandelt zu haben. U. a. auch vor den Olympischen Spielen in Seoul 1988 um den Heilungsprozess nach einer Verletzung zu beschleunigen. Dies sein durch das „Therapiefenster“, das Athleten nach einer Verletzung in Absprache mit den Ärzten erlaubte, auf der Dopingliste stehende Medikamente einzunehmen, legitim gewesen. Daraufhin wurde in der Schweiz eine Dopinguntersuchungs-Kommission eingesetzt, die am 14.5.1993 ihren Bericht vorlegte. Für die Schweiz wurde uvm. festgehalten:
„Über die Anabolika-Behandlungen von W. Günthör berichtete „der Spiegel“ bereits 1990. Obschon diese Vorwürfe anschliessend in Interviews bestätigt wurden, blieben Reaktionen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Sportorganisationen von Sportmedizinern weitgehend aus. Berichte und Kommentare wurden gänzlich den Medien überlassen. Aus heutiger Sicht ist schwer zu verstehen, dass keine Anstrengungen unternommen wurden, die Anschuldigungen zu untersuchen und notwendige Konsequenzen zu ziehen.“ (Schlussbericht Dopinguntersuchungskommision (Bern), 17.5.1993)
Der ehemalige Sportredakteur Ruedi Stettler von der Thurgauer Zeitung meinte hierzu 2013: „Man wusste damals, dass Werner Günthör dopte. Aufgrund des «Therapiefensters» habe man es allerdings als legitim empfunden.“ (tagblatt, 5.9.2013)
Siehe hierzu auch die Ausführungen von Walter Aeschimann im Doping Magazin 2/2017, wonach es seiner Meinung und seinen Informationen nach beim Einsatz der Kommission vor allem darum ging, Strukturen zu schaffen, die solche Enthüllungen in Zukunft vermeiden helfen sollten: 1993 Doping Untersuchungskommission DUK.
Auch für den DLV waren die Enthüllungen des Artikels keine weiteren Überlegungen wert. Laut Sportwart Manfred Steinbach wären nur eine positive Probe oder ein Geständnis zu beachten (der Spiegel, 10.12.1990, Interview mit M. Steinbach). 1993 wurde Konya wegen Verdachts der Vereitelung von Doping-Kontrollen im November 1992 suspendiert. Im Oktober wird er wegen Meineids verurteilt:
„Da hatte der Kugelstoßer in einem von Professor Werner Franke und dessen Ehefrau Brigitte Berendonk angestrengten Prozeß als Zeuge jede Einnahme von Dopingmitteln bestritten – und ist nun in einem eigenen Verfahren wegen Meineids verurteilt worden.(…) Auch Kugelstoßkollege Claus-Dieter Föhrenbach (…) war wegen des gleichen Vergehens zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er hatte nicht unter Eid ausgesagt.“ (FAZ, 16.10.1993)
Aufschlussreich sind in diesem Artikel zudem die Schilderungen darüber, wie man Dopingkontrollen zu umgehen versuchte, bzw. in Fällen, in denen die Absprachen nicht klappte, versuchte zu manipulieren. Auch von Doping ohne Wissen des Athleten wird berichtet. 400-Meter-Läufer Mark Henrich machte 1987 völlig neue Lauferfahrungen. Als es danach zu Verwirrungen anläßlich einer Dopingkontrolle kam, wurde ihm klar, warum er diesmal so schnell laufen konnte.
„Schon wenig später habe er gemerkt, daß etwas nicht stimme. Eine italienische Offizielle sei in den Athletenraum gekommen und habe gefragt: „Wer ist an Nummer zwei gelaufen.“ Er habe sich gemeldet und prompt sei bei den Kollegen eine unerklärliche Hektik ausgebrochen. Schließlich habe ihn ein „erfahrener“ Mannschaftskamerad zur Seite geschoben und gesagt: „Ich mach‘ das für dich.“
Im nachhinein, sagt Henrich, sei ihm klargeworden, daß da bei den Planungen „etwas schiefgelaufen“ sei. In Rom hätten die Teamchefs stets vor den Rennen ausgekungelt, welche Positionen in den Staffeln kontrolliert würden. Vor dem 400-Meter-Finale hätte man ihn bis zuletzt im unklaren gelassen, ob er nun als zweiter oder als letzter laufen solle. Erst eine halbe Stunde vor dem Start habe man ihm Platz zwei zugeteilt – und dabei in der Hektik wohl einen Fehler gemacht.“
Der DLV musste sich weiteren öffentlichen Anschuldigungen stellen. Sprinter Christian Haas äußerte sich dahingehend, der Verband wisse genau, „wer clean ist – und wer also permanent zur Doping-Kontrolle geschickt werden konnte“ und Prof. Eberhard Munzert, von 1985 bis 1988 DLV-Präsident, kritisierte offen seinen Amtsnachfolger Meyer und listete u.a. bekannt gewordenen Äußerungen von Athleten auf, die besagten, dass auf allen Ebenen des DLV die Dopingpraxis bekannt und gefördert wurde.
„Munzert, der aus dem Amt gejagt worden war, weil er Trainingskontrollen durchdrückte, hat bei seinen früheren Funktionärskollegen („Die halten zusammen wie Pech und Schwefel“) einen drastischen Werteverfall festgestellt: „Die Moral ist weg.“ (Singler/Treutlein, S. 148, der Spiegel, 27.8.1990: „Ohne das Zeug geht es nicht“)
In der FAZ vom 7.12.1990 wird er zitiert:
„Ich fühle mich heute sehr frei. Als Verbandspräsident hätte ich all das nicht öffentlich sagen können. Ich konnte nur versuchen, meine Vorstellungen nach innen durchzusetzen.“
Der interne DLV-Konflikt aus dem Jahr 1988 zwischen dem DLV-Präsidium und Munzert war erneut, diesmal öffentlich, ausgebrochen. Der DLV gab sich betroffen über die Vorwürfe und versuchte dem ehemaligen Präsidenten den schwarzen Peter zuzuschieben. Munzert sei selbst verantwortlich für die nun von ihm vorgebrachten Versäumnisse und Zustände. Letztlich sähe sich der DLV aber durch die Rechtslage gehindert, den gegenüber Sportlern und Trainern (Storp, Danneberg, Spilker, Gehrmann) vorgebrachten Vorwürfen weiter nachzugehen. Rechtswart Norbert Laurens habe recherchiert, aber ohne Erfolg. Die Betroffenen hätten beteuert, dass die Berichte in der Presse, die Zitate und sonstige Angaben falsch seien. „Schließlich wisse man ja auch, daß die Leichtathletik in den Medien ‚generell madig gemacht wurde, einschließlich der Funktionäre.'“ Es gäbe jedenfalls keine Möglichkeit des Eingreifens von Seiten des Verbandes, das sei nur möglich, wenn der Athlet auf frischer Tat ertappt werde oder ein Geständnis ablegte. Somit seien dem Verband die Hände gebunden.
Es meldete sich auch Hans-Peter Göbel zu Wort. Der Berliner hatte 8 Jahre lang bis August 1989 Hürdenläufer Carsten Köhrbrück trainiert, der als großes Talent galt. Der Trainer hatte damit aufgehört auch wegen „der ‚Unvereinbarkeit‘ seines Standpunkts mit Doping-Dingen.“ Göbel griff vor allem Sportwart Manfred Steinbach an. In einem Brief vom 25.8.1990 heißt es u.a.: „Ihre Ausführungen zum Doping im DLV zeugen von Naivität und Ahnungslosigkeit oder von einem hohen Maß an Unaufrichtigkeit.“
Steinbach hatte nach den Deutschen Meisterschaften in Düsseldorf vom 10.-12. August in Replik auf Munzert u. a. erklärt, dass der DLV dafür sorgen werde, dass Eltern ihre Kinder unbesorgt zu Leichtathletik-Spitzenleistungen ermuntern könnten. Im Verband seien Doper und Vertuscher nicht haltbar. Göbel weiter:
„Ich halte es für unzumutbar , daß Sie als Beamter des Bundesministeriums, das auch eine Verantwortung für die Gesundheit der heranwachsenden Jugend hat, in der derzeitigen Situation verharmlosend oder vertuschend die Empfehlung zum Spitzensport geben können.“ „Ich empfehle Ihnen den Rücktritt als Sportwart des DLV auch, weil eine Interessenkollision besteht zwischen Ihrem Hauptamt und der Arbeit im DLV. Oder Sie begreifen endlich, daß es mit dem sportpolitischen Neubeginn im DLV auch die Chance gibt, beim Thema Doping reinen Tisch zu machen, durch offene Diskussionen und personelle Konsequenzen auf der Funktionärs- und Trainerebene.“ Steinbach sah sich allerdings in Dopingfragen nicht angesprochen, drohte dem ‚Herrn Oberstudiendirektor aber mit möglichen rechtlichen Folgen. (Stuttgarter Zeitung, 1.9.1990)
Prof. Werner Franke:
FAZ: Sie behaupten auch, führende deutsche Sportfunktionäre hätten schon seit Jahrzehnten vom Doping in Westdeutschland gewußt. Woher wissen Sie das?Franke: Ende der siebziger Jahre haben wir durch ein Mitglied der Dopingkommission eines Fachverbandes – ich will den Namen nicht sagen, weil er noch als Funktionär tätig ist – davon erfahren. Er hat in Telefongesprächen mit bedeutenden Leuten des deutschen Sports dieses Thema angesprochen und in seiner Not die Gespräche aufgezeichnet. Diese hat er uns vorgespielt.
(FAZ, 17.6.1998)
Ende 1990 brachte Diskuswerfer Alwin Wagner mit seinen Aussagen den DLV zusätzlich in Bedrängnis. Er packte umfassend aus und gab seine Aussagen an die Staatsanwaltschaft weiter (>>> Alwin Wagner und Spilker). Zitat aus einer Panorama-Sendung Herbst 1991:
„Seit 20 Jahren betreibe ich Leistungssport, habe bis 1976 kein Doping eingenommen … gehörte damals zu den größten Talenten hatte aber nie gereicht an Olympischen Spielen oder Europameisterschaften teilzunehmen, weil die Normen einfach zu hoch waren. Eines Tages kam dann jemand auf mich zu, ein Trainer und sagte, wenn du Anabolika nimmst, wirfst du mir Sicherheit 4 bis 5 Meter weiter. Ich habe mir das lange überlegt und mir dann gesagt, du quälst dich jeden Tag, jede Woche und kommst trotzdem nicht mit zu den Wettkämpfen, also den großen internationalen, versuchst es mal und tatsächlich, der Sprung von 62 auf 67 Meter ist mir dann sofort im ersten Jahr geglückt. Das Ergebnis war ich bekam dann von der Sporthilfe sehr viel Geld, ich bekam von den Firmen Geld, … von Veranstaltungen wurde ich eingeladen, bekam ich sehr viel Geld und auch vom Verein. D. h. es war finanziell ein großer Vorteil.“
Auf die Frage ob alle gedopt hätten, meint er, nicht alle aber der größte Teil der Athleten.
SPORTLERINITIATIVEN – ZEHNKÄMPFER ORGANISIEREN SICH GEGEN DOPING
Eine Sportlergruppe hatte genug von all den Betrügereien und dem tolerierten Dopingkurs. Die deutschen Zehnkämpfer wehrten sich. Seit Jahren forderten sie vermehrte Dopingkontrollen, unterstützt durch Trainer Claus Marek. Nun sollte eben dieser in den Juniorenbereich versetzt werden. Der Ersatz ließ nichts Gutes ahnen.
„Mit Entsetzen“ und „voller Empörung“ reagierten sie zudem in einem offenen Brief an den DLV darauf, daß ausgerechnet Cheftrainer Wolfgang Bergmann und der Schweriner Bernd Jahn ihre Betreuung verantwortlich übernehmen sollten. Für die Athleten, die sich seit zwei Jahren um ernsthafte Dopingkontrollen bemühen, war diese Entscheidung der DLV-Spitze der „Treppenwitz der Zehnkampfgeschichte“.“…“Jahn hatte bei einem Athletentreffen Ende Oktober in Bernhausen zusätzliche Dopingkontrollen abgelehnt, weil man „doch 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona möglichst viele Medaillen erreichen“ wolle. Zehnkampf-Weltmeister Torsten Voss hatte sein Mißtrauen gegen den Meistermacher schon vorher artikuliert und sich von Jahn getrennt – unter anderem wegen Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit der Einnahme von Anabolika. (…)“Die Kontrollen von Meister Kohnle und Vizemeister Müller – die beiden hatten zur Freude der DLV-Herren ihre Bestleistungen erheblich gesteigert – wurden kurzerhand aus „finanziellen Gründen“ abgesagt. Geld war indes wieder vorhanden, als es Ende August bei einem Länderkampf darum ging, Proben von zweitklassigen Athleten zu nehmen.“
Mit dieser Kontrollpolitik standen die beiden Trainer auf einer Linie mit DLV-Leistungssportdirektor Horst Blattgerste und Sportwart Manfred Steinbach.
90 Zehnkampf-Experten schlossen sich nun zu einem Team, einem Verein, zusammen, das Geld für die Kontrollen wurde von der Firma Kraft gesponsort. Marek durfte bleiben. (der Spiegel, 26.11.1990: Postkarte genügt)
Es hat noch weitere Vorstöße gegeben. So hatte Siebenkämpferin Christiane Scharf monatliche Kontrollen aller Athletinnen ihrer Disziplin. Der Vorschlag wurde jedoch sofort von einem Bundestrainer als ‚Blödsinn‘ bezeichnet. Auch die Hochspringerinnen wollten mehr Kontrollen und suchten nach einem Sponsor für die dadurch anfallenden Kosten. Robert Hartmann schreibt zu diesen Initiativen:
„Unterschwellig durchzieht alle diesbezüglichen Diskussionen das Bauchgrimmen, daß der BAL[Bundesausschuß Leistungssport] die falsche Institution für die Dopingkontrollen ist, weil er doch vor allem für die Steigerung sportlicher Leistungen zuständig ist. Es müßte in seinem eigenen Interesse liegen, die Aufsicht über die korrekte Einhaltung der Spielregeln einer gänzlich unabhängigen Einrichtung zu übertragen.“ (SZ, 31.10./1.11.1990)
Bestätigt wurde diese Sichtweise durch Aktivensprecher Volker Grabow, der auf die Frage, wer denn die Kontrollen durchführen solle, antwortete:
Jedenfalls nicht der BAL oder die Verbände. Die sind befangen, weil sie an der Erstellung von Leistungskriterien mitwirken. Außerdem geht es hier nicht nur um Anabolika. … es werden andere Manipulationen diskutiert, etwa mit Wachstumshormonen, die noch schlechter zu kontrollieren sind. Oder im Bereich der Regeneration.(SZ, 22./23.12.1990)
LANGJÄHRIGE INTERNE RUHE
Manfred Donike stellte zu der westdeutschen Praxis der Vergangenheit fest:
Auffällig ist die Zurückhaltung, mit der im bundesdeutschen Sport die Bekämpfung des Doping betrieben wurde (…) Doping-Analytiker Donike mußte zudem bei positiven Befunden hierzulande verwundert feststellen, daß man bei Nachforschungen auf eine Betonwand gestoßen sei. Anders als in Kanada, anders als beim Fall Ben Johnson. In der Bundesrepublik habe selbst nach dem Fall Dressel, der nach Medikamenten-Mißbrauch gestorbenen Siebenkämpferin, „eine hochnotpeinliche Befragung nie stattgefunden.“ (…) Donikes Schlußfolgerung: „Der DLV hätte, wenn er an einer sinnvollen Kontrolle interessiert gewesen wäre, Trainingskontrollen schon vor zehn Jahren einführen können.“ (FAZ 7.12.90)
Thomas Kistner prophezeite für den DSB-Bundestag am 14./15.12. hitzige Debatten aufgrund der Problemlage:
„Der Heidelberger Tumorspezialist Werner Franke und seine Ehefrau, die ehemalige bundesdeutsche Diskuswerferin Brigitte Berendonk, bombardieren den DLV bereits seits Jahren mit Beschwerden und Strafanzeigen. Vor Monatsfrist traf es das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig, vergangene Woche den mutmaßlichen Pillen-Coach Jochen Spilker (Hamm), vor drei Tagen den vom Spiegel belasteten Wattenscheider Trainer Heinz Hüsselmann. Franke: Es geht nicht an, daß ein Verband öffentliche Mittel fordert und kassiert, der Doping nicht nur duldet, sondern auch noch dazu anregt.“
Der Leichtathletik-bleibt trotz der Vielzahl von Attacken beharrlich in der Deckung, auch der Deutsche Schwimmverband (DSV) ist um Stillschweigen bemüht vor der WM im Januar in Perth. DSV-Präsident Bodo Hollemann erklärt lediglich, die Schwimmer seien spätestens seit August „alle clean“, seither nämlich finden Trainingskontrollen statt. Zu einzelnen Anschuldigungen will sich Hollemann nicht äußern, er fordert „zuerst Beweise“. (SZ, 13.12.1990) Den Verlauf des Bundestages, auf dem die deutsche Vereinigung des Sports besiegelt wurde, scheint diese Problemlage jedoch nach außen hin nicht sehr beeinflusst zu haben.
der wiedervereinigte Sport
Am 15. Dezember wurde auf dem Bundestag des Deutschen Sportbundes DSB in Hannover feierlich die Vereinigung des deutschen Sports vollzogen.
Die beiden Nationalen Olympischen Komitees vereinten sich bei einer gemeinsamen Sitzung am 17. November im Berliner Reichstag.
Doping wurde auf der Vereinigungsfeier des DSB, so wird berichtet, kaum angesprochen, die Redner sparten dieses Thema weitgehend aus. Es sollte eine harmonische, positiv in die Zukunft weisende Feier sein. Doch traut man den Aussagen des Magazins Spiegel, brodelte es unter dem Deckel und das Thema kochte zwischen den Athleten hoch. Etliche Sportler hatten es satt, als alleinige Sündenböcke zu gelten. Mit im Zentrum der Kritik stand Willi Daume, seit 1961 Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees. Bereits 1989 hatte er Sportlern das Gespräch über zu hoch angesetzte Leistungsnormen, die deren Meinung nach nur mit Doping zu erreichen wären, verweigert.
„“Alle großen Denker“, klagte Ruder-Weltmeister und Aktivensprecher Volker Grabow, habe Daume beim Vereinigungstag des Deutschen Sportbundes in Hannover bemüht, von Aristoteles bis Horaz, von Platon bis Goethe, „aber kein Wort zu den wirklichen Problemen gesagt“. Und die Erkenntnis aller Gesprächszirkel war: Die Sportler haben mit Daume jahrzehntelang einem janusköpfigen Apparatschik vertraut.“ (der Spiegel, 24.12.1990)
Grabow appellierte an die Verantwortung Daumes. Sie bräuchten ihn, denn die deutschen Aktivensprecher wollten sich mit ihren Kollegen ausländischer Fachverbände zusammensetzen um auf internationaler Ebene im Antidopingkampf voran zu kommen. Dabei könne Daume helfen, „er wäre der Schlüssel, der noch fehlt. Er hat Einfluß. Aber früher hat er nie mit sich diskutieren lassen über Doping, hat jeden, der damit anfing, massiv zusammengestaucht. Ich hoffe aber doch, daß ich noch mit ihm reden kann.“ (SZ, 22./23.12.1990)
Im Januar 1991 kam es zu einem Gespräch zwischen Volker Grabow, Heinz Weiss und Wille Daume. Danach hätte Daume eingestanden, die Schwere der Problematik bislang nicht erkannt zu haben, er sei immer nur von einzelnen Dopingfällen ausgegangen. Nun hätte er sich bereit erklärt auf internationaler Ebene für geänderte Qualifikationskriterien, die geeignet seien, das Dopingbetrugssystem einzudämmen, einzutreten. (FAZ, 12./13.1.1991)
Daneben barg auch die die Zusammensetzung des NOK und des DSB-Präsidiums Sprengstoff. Beide Gremien hatten Doping- und stasibelastete Personen aufgenommen, die ihre neuen Posten nicht lange behielten. So die drei DSB-Präsidiumsmitglieder Martin Kilian, Prof. Dr. Gerhard Junghähnel, Präsident des Brandeburger LSB und Prof. Dr. Manfred Thieß, Präsident des Thüringer LSB. (Hartmann, G., 1998, S. 311ff)
Eine Aufarbeitung musste, darüber waren sich alle einig, kommen. Nur wie? Noch vor Wiedervereinigungsfeier des deutschen Sports am 15. Dezember war von DSB und NOK beschlossen worden, eine ‚Unabhängige Dopingkommission‘ einzurichten, „deren Aufgabe war es, aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit Handlungskonzepte zur Bekämpfung des Doping in Zukunft zu entwickeln. Nicht war es ihre Aufgabe, Einzelfälle von Doping aufzuklären und dafür Sanktionsmaßnahmen den zuständigen Stellen vorzuschlagen.“ Insbesondere der Umgang mit dem Sportpersonal wie Trainern, Medizinern und Funktionären musste festgelegt werden. Offiziell wurde die Kommission am 24.1.1991 eingesetzt, >>> der Abschlussbericht der sog ‚Reiter-Kommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden, lag am 18.6.1991 vor.
Dieses Prozedere dauerte einigen Verbänden jedoch zu lange. In den kommenden Jahren warteten Großveranstaltungen, zu deren Vorbereitung und Teilnahme zügig klagestellt werden sollte, wer daran teilnehmen konnte bzw. wer die Sportler trainieren durfte. Besonders DLV und DSV sannen auf Möglichkeiten, die Situation schnell zu beenden. So entstand die Idee der Ehrenerklärungen. Der Deutsche Schwimmverband hatte es besonders eilig, da vom 3. bis 13. Januar in Perth die Schwimm-WM anstand. Mit Hilfe eidesstattlicher Erklärungen sollten Sportler, Trainer, Ärzte und Betreuer ihre ‚Doping-Unschuld‘ beteuern. Wer nicht unterschrieb, konnte nicht nach Australien fahren. Die Unterschrift hatte jedoch keine strafrechtlichen Konsequenzen, da sie nicht vor einem Gericht oder einer zuständigen Behörde abgegeben wurde. Zivilrechtlich könnte ein falsch geleistete Erklärung allerdings, z.B bei einer Neusanstellung, Folgen haben.
Volker Grabow, Athletensprecher, gehörte in den letzten Wochen des Jahres 1990 zu den gefragten Interviewpartnern der Medien, nicht zuletzt wegen seiner deutlichen Worte gegenüber den Verbandsfunktionären und deren Umgang mit der Dopingproblematik. Er war zudem in die ‚Reiter-Kommission berufen worden.
Für Grabow war eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit unerlässlich und er sah auf Seiten der Sportler dazu auch die nötige Bereitschaft. Er kenne nur noch zwei Sportler, die sagen, wir müssen Doping freigeben. Die anderen seien ehrlich bereit, das Vergangene aufzuarbeiten. Um dies zu erreichen, forderte er eine Vertrauensperson, die es den Geständniswilligen ermöglichen sollte sich unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte zu offenbaren. „
Das könnte zum Beispiel ein Mitglied des neuen Doping-Untersuchungsausschusses sein. Oder einer wie der Sportpfarrer Siegfried Mentz. Jedenfalls eine Person, der sich alle – Sportler, Trainer, Funktionäre, Ärzte – anvertrauen können und die ihre Anonymität wahrt. Da würde viel herumkommen, das die Aufarbeitung der Vergangenheit erleichtert.“ (SZ, 22./23.12.1990).
DDR-Athleten hatten bereits erkennen müssen, dass es wohl besser sei, kein Doping zu zugeben.
„Kaum hatte der Lagenschwimmer Raik Hannemann zugegeben, wie in der DDR gespritzt und gedopt wurde, entzog ihm der 1. SC Berlin, als Dynamo-Club einst von der Stasi gefördert und heute dank der Hilfe des omnipräsenten Fecht-Cheftrainers Emil Beck von Mercedes gesponsert, die Startberechtigung. Hannemann verlor 800 Mark Leistungszulage, und auch den überlassenen Sixt-Mietwagen mußte er wieder abgeben – derweil bereiten sich die des Dopings bezichtigten ehemaligen DDR-Schwimmer ungestört im Trainingslager des Deutschen Schwimm-Verbandes auf die Weltmeisterschaft vor.“
Insgesamt liefen die Mechanismen des Abwiegelns unter Funktionären, Medien- und Sponsorenvertretern Ende des Jahres 1990 auf Hochtouren. Es gab zwar Erklärungen und Initiativen für mehr und schärfere Kontrollen insbesondere Trainingskontrollen, doch konnten diese den Eindruck bei vielen nicht verwischen, dass sie auch dazu dienten, das Dopingproblem klein zu halten.(der Spiegel, 24.12.1990: Aus einer anderen Welt)
„Der BA-L wird mit Beginn des Jahres 1991 die bestehenden Trainingskontrollen ausweiten und die Aufklärungsarbeit bis in den Jugendbereich verstärken. Eine bereits vorliegende Broschüre gegen Dopingmißbrauch wird auch allen Nachwuchsathleten zugestellt. Der BA-L richtet sofort eine Gruppe ein, der unter anderem Juristen und Mediziner angehören, die die Verbände bei der Verfolgung konkret gewordener Dopingfälle beraten soll.“ (SPORT spezial, 1-2/1991)
Eberhard Munzert schreibt in der Stuttgarter Zeitung vom 7.12.1990 zu den Entwicklungen im DLV:
„Ist das alles? … Das Zehn-Punkte-Programm enthätt bloß Selbstverständlichkeiten. Es geht doch nicht nur darum, daß mehr als zehn Athleten der Nationalmannschaft derzeit im Verdacht stehen, gedopt gewesen zu sein. Genannt werden auch acht Trainer und ein Arzt. Zurückgetreten ist erst einer: Jochen Spilker. Ein „Bauernopfer“ – mehr nicht. Wer untersucht denn, ob die Trainer Thiele, Leverköhne, Gehrmann oder Steinmetz aus dem früheren Bereich des DLV oder die Trainer Haase, Beer oder Jahn aus dem Bereich des früheren DVFL überhaupt noch tragbar sind für die Leichtathletik? Auch sie stehen im Verdacht. Deshalb ist dies nicht nur eine große Dopingkrlse, sondern auch eine große Führungskrise im Verband. Das Präsidium hat Kredit und Ansehen durch langes Verdrängen und Zögern bei der Aufarbeitung zunehmend verspielt. Der Anschein des Verdachts, im Präsidium mit diesen Dingen zu tun zu haben, schadet dem Ansehen des ganzen Verbandes. Saubere Charakter gehören deshalb an die Spitze. Die Funktionäre sind viel schuldiger als die Athleten die die verführten sind.“
Und auch Professor Hans Lenk, 1960 Ruder-Olympiasieger mit dem Achter, und kritischer Begleiter des Hochleistungssports, nimmt in einem FR-Interview, erschienen am 10.12.1990, kein Blatt vor den Mund.
Frage: „Die physischen und psychischen Anforderungen in vielen Bereichen des Hochleistungssports sind mittlerweile so hoch geworden, daß Doping von einigen medizinischen Experten in Sinne von schnellerer Regeneration sogar als „legitimiert und human“ bezeichnet wird. Ein Teufelskreis der Leistungsmanipulation. Wer kann da noch ethische Grenzen festlegen?“
Lenk: „„No dope — no hope.“ Man wußte schon lange, daß [Doping] das Opium des medaillenneurotischen, von Funktionärserwartungen, Öffentlichkeitsdruck und Eskalationsspiralen der Erfolgssteigerung gehetzten Hochleistungsathleten ist. Es bedurfte nicht der schriftlichen Beweise aus den nunmehr zugänglichen Archiven sportmedizinischer Geheimküchen, um zu beweisen, was jeder schon wußte. In vielen Sportarten sind Rekorde nicht mehr ohne den pharmazeutischen Fünfjahresplan zu haben. Das Neue daran ist, daß nicht nur athletische Monsterfiguren den Artistenzirkus der professionalisierten Höchstleistungsmaschinen stellen, sondern auch ausgesprochen ansehnliche Damen, auf mehrfache Testosteronspiegel gegenüber dem Normal gesetzt, somit äußerlich kaum sichtbar, auf Gold pharmagepäppelt wurden.
Wer das unter dem Ziel schnellerer Regeneration oder der Chancengleichheit („dopt alle gleich!“) oder zur Anwendung der dunklen Hintertreppenmachenschaften unkontrollierbarer Giftmischer als „human“ legitimieren will, legitimiert die Monstergroteske und nimmt die Teufelskreise einfach hin. … Den Griff zum Pillensortiment als „human“ zu bezeichnen, heißt, den Teufelskreis mit Beelzebub austreiben zu wollen und die Augen vor den Systemzwängen zu verschließen. Zur heillosen Scheinheiligkeit freilich verführen die Erfolgserwartungsspiralen und die Teufelskreise, wenn die oft doppelzüngigen, sich im Erfolgsglanze sonnenden, immer gleichen Funktionäre und die agilen Kommerzmacher mit ihren Verführungen nicht die Systemzwänge durchbrechen und herabmildern. … Je ernster Geld und Ruhm beim Sport, desto wirkungsloser werden Ethikpredigten. Sie wirken wie christliche Ermahnungen im totalen Krieg. Ohne tiefgreifende Systemänderungen, ohne wirksame konzentrierte Abwiegelung der Konkurrenzhärte wird sich nichts ändern. Der Athlet wird weiter seine Menschenrechte selbst mißachten und mißachtet sehen; er wird schweigen und schlucken, solange er es mit dem Elften Gebot „Du sollst Dich nicht erwischen lassen!“ vereinbaren kann. Verbales Ethikgesäusel der Funktionäre und versprengten Idealisten verdeckt nur das Problem, verzögert die Lösung. Der Sport muß sich ernsthaft um eine Zielorientierung bemühen und wissen und endlich sagen, was er wirklich will: Monsterzirkus oder entspanntere echte Eigenleistung?“
(Im Dezemeber 1992 gibt Hans Lenk seine persönliche Mitgliedschaft im NOK aus Protest gegen die Wahl von Walther Tröger zum Präsidenten zurück.)
>>> Fortsetzung Teil II: das Jahr 1991
>>> Fortsetzung Teil III, das Jahr 1992