Doping: Trainerdebatte II: 2009 Diskussion und Aufarbeitung

BRD / DDR – Vergangenheit

Trainerdebatte II: Diskussion und Aufarbeitung

>>> Trainerdebatte I: der Fall Werner Goldmann und die Folgen

>>> BRD-Dopingaufarbeitung: Das Forschungsprojekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“

DIE VERGANGENHEIT SCHLÄGT ZURÜCK

Jahrelang schien es so, als sei die bundesdeutsche Dopingvergangenheit aufgearbeitet oder besser gesagt abgehakt – es herrschte Ruhe. Mit der Diskussion um belastete DDR-Trainer vor den Olympischen Spielen 2008, hier insbesondere um den >>> Trainer Werner Goldmann, geriet das gesamte wiedervereinigte deutsche Sportsystem einschließlich der damit befassten politischen Gruppierungen in das Fadenkreuz öffentlicher Diskussionen.

FORSCHUNGSPROJEKT „DOPING IN DEUTSCHLAND VON 1950 BIS HEUTE AUS HISTORISCH-SOZIOLOGISCHER SICHT IM KONTEXT ETHISCHER LEGITIMATION“

Der DOSB reagierte im Herbst des Jahres 2008 mit der öffentlichen Ausschreibung eines 500 000 € teuren Forschungsprojektes, welches die west- und ostdeutsche Doping-Vergangenheit aufarbeiten sollte (dessen Mittel bereits im Frühjahr bewilligt worden waren (ND, 19.6.2009)). Der Endbericht wurde am 5. 8. 2013 nach langer kontroverser Diskussion veröffentlicht:

>>> BISp „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“

Die Entwicklungen rund um dieses Forschungsprojekt sind hier nachzulesen:

doping-archiv.de: Forschungsprojekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“

DISKUSSION UM BELASTETE TRAINER

Während dieses Forschungsprojekt in Angriff genommen wurde, wurde weiter daran gearbeitet, belasteten ehemaligen DDR-Trainern eine Brücke zu bauen, mit deren Hilfe sie heute weiterhin ihre Tätigkeiten auf oberster Ebene ausüben könnten. 5 DLV-Trainer (Klaus Baarck, Gerhard Böttcher, Rainer Pottel, Maria Ritschel, Klaus Schneider) unterzeichneten 2009 eine Erklärung, in der sie ihre Einbindung in das DDR-Dopingsystem zwar zugaben aber ihre individuelle Schuld relativierten und den Kontakt zu den betroffenen DDR-Opfern vermieden. (DOSB-Trainer Erklärung, DOSB, 6.4.2009)

Heftige ablehnende Reaktionen von Seiten einiger bekannter DDR-Dopingopfer, Dopinghistorikern und in der Presse waren die Folge. (mehr siehe hier unter Trainerdebatte I)

UND SIE WUSSTEN ES DOCH …

Am 23. April 2009 ging Clemens Prokop an die Öffentlichkeit mit dem Wunsch

„dass auch die Trainer aus dem Westen, die in solche Praktiken in den 70er und 80er Jahren verwickelt waren, den Mut finden, sich zu erklären“. Er gehe bei den West- Trainern davon aus, „dass wohl fast alle nicht mehr bei uns aktiv beschäftigt sind.“ Dennoch sollten die Angesprochenen den Mut aufbringen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich bei ihren Athleten für die Doping-Praktiken zu entschuldigen. „Es gab etliche, die zum Zeitpunkt der Vereinigung etwas zu erklären gehabt hätten.“ (dpa, 23.4.2009)

Auch diese Erklärung erwähnt in keinster Weise, dass in Westdeutschland in den vergangenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Doping kein isoliertes Problem einzelner Sportler und Trainer war, sondern dass das gesamte Westdeutsche Sportsystem einschließlich der entsprechenden politischen Funktionsträger und Gremien involviert und informiert waren. Alwin Wagner ist einer der wenigen Sportler, die dies offen ansprachen und ansprechen. 1991 trat er z. B. als Zeuge im Prozess gegen Trainer Steinmetz auf, der eine Unterlassungsklage gegen Brigitte Berendonk angestrengt hatte. 2009 meint er:

„Es müssten sich alle bekennen. Von den Athleten unten über die Trainer und Funktionäre bis zur Politik und zur Sporthilfe. Es waren alle involviert, alle wussten Bescheid. Jeder sollte mal darüber nachdenken, was er damals angestellt hat, und nicht sagen, er wisse von nichts.“ (mdr, 25.5.2009) (doping-archiv.de: der Fall Steinmetz)

Auch Gerhard Treutlein hatte bereits in den Jahren zuvor immer wieder auf die Untätigkeit der Verantwortlichen, speziell im Leichtathletikverband, hingewiesen. So z. B. in einem >>> Brief an den DLV-Präsidenten Helmut Digel vom 14.6.1998.

die Welt, 7.5.2009:
„Im Westen hat es natürlich auch Doping und Opfer gegeben. Populäre Sportler wie Birgit Dressel und Ralf Reichenbach kamen wegen Doping-Praktiken zu Tode. Vieles, was im Osten und Westen geschehen ist, wurde inzwischen publik. Gerade durch die verdienstvolle Arbeit von Brigitte Berendonk und Werner Franke, was die DDR betrifft, und auch durch Andreas Singler und Gerhard Treutlein, was den Westen angeht. Jetzt müssen sich die Beteiligten selbst äußern und die Vorgänge erklären, damit man aus den Analysen entsprechende Lehren ziehen kann.“

REAKTIONEN

Am 25. April 2009 reagierte Hansjörg Kofink, langjähriger Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes, heute deren Ehrenmitglied, und ehemaliger Kugelstoß-Bundestrainer der Frauen, 1972 zurückgetreten wegen der sich verbreitenden Dopingmentalität. Mit einem Offenen Brief antwortete er Clemens Prokop. Darin legt er dar, wie die Dopingrealitäten, das Dopen und das Wissen davon, im Westen tatsächlich waren oder hätten sein müssen. Clemens Prokop antwortete, allerdings unbestimmt und voller Unverständnis für Kofinks-Anliegen, sodass dieser sich am 10.5.2009 erneut mit einem ausführlichen Schreiben an den DLV-Präsidenten und an die Öffentlichkeit wandte.

Daraus entwickelte sich ein Schriftwechsel, der H. Kofink dazu veranlasste mit einem 3. Offenen Brief neben C. Prokop auch Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister, und Thomas Bach, DOSB-Vorsitzender mit einzubeziehen. Der DOSB antwortete Hansjörg Kofink, der wiederum dazu Stellung nahm.
>>> der Schriftwechsel mit DLV und DOSB

PARLAMENTARISCH DISKUSSION

Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen:
„Man hat den Eindruck, dass im deutschen Sport mit der Vergangenheit sehr fahrlässig umgegangen wird und man nach dem moto verfährt, Medaillen über alles und man nicht darauf schaut, welche Opfer zu beklagen sind.“

Wolfgang Thierse, Bundestagsvizepräsident, SPD:
„Mit der DDR ist Doping nicht untergegangen, das System ist heute ein anders, es ist kein staatlich verordnetes Zwangssystem sonder es ist illegal. Es sind Gesetztesverstöße, aber solange man das eine nicht aufarbeitet wird man das andere nicht glaubwürdig bekämpfen können.“ (WDR, 19.1.2010)

Am 28.5.2009 wurde ein Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln) und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf den parlamentarischen Weg gebracht. Der Deutsche Bundestag möge danach die Bundesregierung zu folgenden Maßnahmen auffordern:

– die in der Vergangenheit gezahlten öffentlichen Mittel für dopinggeständige sowie dopingbelastete Trainerinnen und Trainer und weitere belastete Funktionsträger im deutschen Sport zurückzufordern und statt dessen der Dopingbekämpfung und –prävention einschließlich einer langfristigen Unterstützung von Dopingopfern zur Verfügung zu stellen,

– eine unabhängige externe Überprüfungskommission mit einer rückwirkenden Überprüfung ab 1990 von Deutschem Olympischem Sportbund (DOSB) sowie seiner Vorgängerverbände, von Sportfachverbänden, Olympiastützpunkten und sportwissenschaftlichen Einrichtungen bezüglich der Einhaltung von zuwendungsrechtlichen Vorschriften, der Förderrichtlinien und sonstiger Bestimmungen in der Dopingbekämpfung zu beauftragen,

– die Rolle des Bundesministeriums des Innern und des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) im Hinblick auf die genannten Mängel in der Dopingbekämpfung einschließlich der Beteiligung an umstrittener Dopingforschung durch eine externe wissenschaftliche Studie klären zu lassen,

– mit internationalen Sportorganisationen wie dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) Gespräche zu führen mit dem Ziel, zu einer umfassenden Aufarbeitung der Dopingvergangenheit zu kommen und die daraus notwendigen Konsequenzen für eine konsequente Dopingbekämpfung zu ziehen.

>>> Antrag von Bündnis90/Die Grünen vom 25.05.09.pdf

Über die Annahme dieses Antrags wurde in der Sitzung des Sportausschusses am 17.6.2009 entschieden – er wurde abgelehnt.

ZITATE AUS DEM BRIEF VON H. KOFINK AN CLEMENS PROKOP, 23.4.2009

„Jedes DLV-Präsidium seit 1970 – so weit geht mein Erfahrungsraum – kannte das Dopingproblem in den eigenen Reihen. Das Anabolika-Verbot 1970 durch die IAAF und den DLV sorgte für große Hektik, insbesondere nach dem die frisch gewählte Athletensprecherin Brigitte Berendonk ihren Artikel „Züchten wir Monstren“ im Dezember 1969 in der ‚ZEIT’veröffentlicht hatte.

Die völlig unklare Haltung des DLV gegenüber Anabolika-Doping zu Beginn der 70er Jahre verdeutlichen zwei Zitate aus Lehrbeilagen der Verbandszeitschrift ‚Leichtathletik’. 1970 diskutierten die Berliner Leistungsmediziner Rosseck und Mellerowicz die Gefahren des Anabolikagebrauchs in voller Kenntnis des oben genannten Verbots. (LdLA 37/1970, S. 1460)

Etwa zur gleichen Zeit räumte Parry O’Brien für sich und seine Werferkollegen Anabolikagebrauch bei den OS in Tokio ein – vor dem IAAF-Verbot –, warnte aber nun wegen der unkalkulierbaren gesundheitlichen Risiken. (LdLA 46/1970, S. 1784)  (…)
Die eklatante Verschärfung der DLV-Normen für Montreal 1976 – sie lagen erheblich über den Olympianormen – kann man als das Akzeptieren dieser DDR-Herausforderung verstehen.

Der DLV brauchte Medaillen in der deutschen Ost-West-Auseinandersetzung, so war 1976 auch für die Ex-Weltrekordlerin Liesel Westermann kein Platz mehr im Olympiateam.

Der bundesdeutsche Sport sah sich nach Montreal und über das ganze Jahr 1977 einer bis dahin beispiellosen Doping-Diskussion in allen Medien ausgesetzt. Vergleichbares gab es erst wieder zu Beginn der 90er Jahre. Die Explosion im bundesdeutschen Frauensprint um ihren Bundestrainer >>> Wolfgang Thiele, der Hammerwurf-Weltrekordler Walter Schmidt, der im März vor laufender ZDF-Kamera Do-it-yourself-Doping aus dem Medikamentenkoffer erläuterte, lieferten den DLV-Beitrag zur Dopingdebatte. Nicht zu vergessen „Pillen-Eva“ mit Bundestrainer Christian Gehrmann, die allerdings erst im Juni im nacholympischen Jahr, aber rechtzeitig für die bundesweite Dopingdebatte, die ‚Rekorde purzeln’ ließ: Deutscher Rekord mit 21,43m im Kugelstoßen und Weltrekord mit 4823 Punkten im Fünfkampf. (Stgt N 20.6.77)  (…)
Auch der DSB setzte Zeichen, um den Dopinggerüchten zu begegnen. Nach Montreal richtete er eine Kommission ein, die Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings erarbeiten sollte. Es gab Arbeitssitzungen, Protokolle wurden geschrieben, natürlich eine Grundsatzerklärung gefertigt. Im Verlaufe dieses Unternehmens kam es zu einer Sportausschuss-Sitzung des Bundestages mit erstaunlichen Aussagen zu Doping von Sportfunktionären, Sportmedizinern und Sportpolitikern – Dr. Schäuble war nicht allein – zu der eingeladene Spitzenathleten und Bundestrainer des DLV nicht erschienen. Warum eigentlich? Gab es dafür Gründe, gibt es dazu Unterlagen beim DLV? Ohne Absprachen im Verband ist das wohl kaum möglich gewesen. Übrigens, erst dieser Tage erklärte Ihr Vorgänger im Amt, Prof. Digel, die Protokolle dieser Kommission seien in seiner Hand.

Vielleicht rufen Sie ihn einmal an!  (…)

Der Diskuswerfer Alwin Wagner sagte im Prozess gegen seinen Bundestrainer aus. Schon in den frühen 80er Jahren war er wegen des Zusammenhangs Leistungsnormen – Doping – Sportförderung mehrfach schriftlich und mündlich beim DLV, bei der Sporthilfe und bei NOK-Präsident Daume vorstellig geworden. Doch damals war nicht nur die Doping-Diskussion unerwünscht, genau so unerwünscht waren Dopinggeständnisse. Das haben eine Reihe von Spitzenathleten im Umgang mit Spitzenfunktionären erfahren müssen. Einige Spitzenathleten wie Petra Leidinger gaben deswegen ihren Sport auf.

Ähnliche Erfahrungen musste auch der erste DLV-Präsident machen, der energisch gegen die liberale Dopinghaltung im DLV Front machte. Prof. Munzert forderte nach dem Fall Dressel personelle Konsequenzen. Er wurde dafür von den alten Kameraden aus dem Amt gemobbt, um einem Nachfolger mit Stallgeruch Platz zu machen, der dann die Vereinigung von DLV und DVfL so bewerkstelligte, dass sie noch heute Schlagzeilen macht.“

Monika