Kofink: Wie ich gelernt habe, mich zu wehren, 2009

BRD / DDR – Vergangenheit

Hansjörg Kofink: Wie ich gelernt habe, mich zu wehren

Am 8. Oktober 2009 erhielt Prof. Dr. Gerhard Treutlein das Bundesverdienstkreuz im Rahmen eines Festaktes verliehen. Teil der Veranstaltung war ein Symposium „Dopingprävention“, in dem dieses Thema mit vielen Facetten vorgestellt wurde. Hansjörg Kofink, langjähriger Wegbegleiter und Freund Gerhard Treutleins, war hierzu gebeten worden, seinen Weg hin zu dem kompromisslosen Dopinggegner, der sich nicht versteckt, aufzuzeigen.

>>> Hansjörg Kofink: Vortrag beim Symposion „Dopingprävention“, 8.10.2009

Wie ich gelernt habe, mich zu wehren

Meine Damen und Herren

im Frühjahr dieses Jahres bin ich durch deutliche Kritik an zwei Spitzenfunktionären des deutschen Sports, einem ehemaligen und einem aktuellen, auffällig geworden. Aus meiner sportlichen Lebenserfahrung will ich das begründen.

I Regeln im und durch Sport

Handball mit anderen spielen lernte ich nach dem Krieg. Dort gab es Regeln, die von allen eingehalten werden mussten, sonst gab es kein Spiel, und Keilerei hatten wir eh genug!

Seit damals bestimmte der Sport mit Regeln meinen Weg.

Gegen Ende meines Lehrer-Studiums tauschte ich aus privaten Gründen meine Sportart Handball gegen die Leichtathletik. Ich hatte 1959 Kurt Scheibner kennengelernt, den Trainer des DDR-Diskuswerfers Manfred Grieser. Scheibner wechselte nach Griesers verpasstem EM-Ticket 1958 die Seiten, übernahm schon bald die DLV-Diskuswerfer und arbeitete unter Gerschler in Freiburg.

Sigrun Grabert, meine zukünftige Frau, hatte in Kurt Scheibner ihren ersten kompetenten Trainer und ich lernte bei ihm das Trainergeschäft von der Pike auf.

1963 bat mich der WLV, das Traineramt Kugel und Diskus der weiblichen Jugend zu übernehmen.

Kraftarbeit, ein Tabuthema in der Frauenleichtathletik, war die nächste Herausforderung für mich in der damals anlaufenden Übungsleiterausbildung.

Zwei Weltereignisse der Leichtathletik in diesen Jahren, der Europa-Cup 1965 und der Erdteilkampf 1969 in Stuttgart brachten für mich als Betreuer der sowjetischen (1965), bzw. der US-Mannschaft (1969) Kontakte zu den weltbesten Leichtathleten und ihren Trainern.

Mein Versuch, das Thema Krafttraining mit Toni Nett zu diskutieren, blieb ohne Erfolg, meiner Bitte das Tabuthema des Jugendtrainings in einen Lehrgang unter Beteiligung des Bundes Deutscher Gewichtheber zu erörtern, wurde 1970 in Braunschweig entsprochen.

Kurz darauf bat mich Ilse Bechthold, die neue DLV-Frauenwartin, die DLV-Süd-Gruppe Kugelstoß Frauen zu übernehmen; sie wusste, dass wir (= meine Frau) uns am Stuttgarter Olympiastützpunkt auf München vorbereiteten.

Wenige Tage später kam der Rest der DLV-Kugelstoßerinnen dazu, der Kollege NORD hatte abgesagt.

Gerd Osenberg, mein kommissarisch tätiger Vorgänger übergab mir einige Utensilien mit diesem Konfirmationsspruch:

Diese Disziplin ist völlig dopingverseucht.

Meine Antwort: Das sind die anderen auch, nur will das bis jetzt noch niemand wissen.

Das war ein Jahr bevor Faina Melnik bei den EM 71 in Helsinki Liesel Westermann den Weltrekord abnahm.

Die internationalen Meisterschaften, für deren Beschickung ich nun verantwortlich war, boten mir von den Europa-Hallen-Meisterschafte (EHM) Sofia (März 71), den EM Helsinki (August 71) bis zu den EHM Grenoble (März 72) ein Spektakel: Innerhalb eines Jahres 3m Leistungssteigerung bei einer Bulgarin, 2m bei einer Polin und 1,70m in einem halben Jahr bei Helena Fibingerowa aus der CSSR. Sie lag sowohl in Sofia wie in Helsinki hinter der DLV-Vertreterin.

Natürlich gab ich diese Erkenntnisse an den DLV weiter und bat um Auskunft für die München-Nominierung unter diesen Voraussetzungen.

Ilse Bechthold, selbst einst Werferin, machte den Athletinnen und mir Hoffnung. Sie werde sich für die Nominierung bei vorliegender Olympianorm einsetzen.

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Trotz Olympianorm wurde keine der drei Kugelstoßerinnen nominiert. Erfahren habe ich das aus der Presse, wo die fehlende Norm als Grund angegeben wurde – eine blanke Lüge.

Das NOK wies meinen umfangreichen Protest zurück; bei ihm läge keine Schuld, der DLV hätte die drei gar nicht vorgeschlagen.

Mein Schreiben an den DLV, das wie alle anderen auch an dpa und sid gingen, wurde nie beantwortet; der DLV hat sich weder schriftlich noch mündlich mir gegenüber zu seiner Entscheidung geäußert.

Interview mit Hansjörg Kofink:
„Wissen Sie, ich erzähle Ihnen mal eine kleine Anekdote. Mein Nachfolger Christian Gehrmann hat mal bei mir angerufen, es muss wohl so um 1975 gewesen hat, als er gerade mit seinen Athletinnen in Sindelfingen bei Meisterschaften war. Ich habe ihn gefragt: Was willst du denn? Er sagte: „Kannste nicht mal vorbeischauen? Weißt du, wir haben jetzt Kraft genug, wir sollten mal nach der Technik schauen.“ So war das.“
(Stuttgarter Zeitung, 9.2.2012)

Erst 1977 bei der deutschlandweiten Chronique scandaleuse nach den OS 1976 in Montreal mit Kolbespritze, Substitution und aufgepumpten Därmen kamen auch Erinnerungen an 1972 wieder hoch. Brigitte Berendonk und Harry Valerien vom ZDF bekamen nach einer Sendung des Sportstudios Anfang März als erste meine Briefe an NOK und DLV, und seither stehen sie in den Büchern (>>> Schriftwechsel 1972 mit DLV und NOK).

Die Fünfkämpferin Eva Wilms wurde 1972 in meine Truppe geschickt, um ihre 15m-Weiten zu stabilisieren.

1977 erreichte sie mit 21,43, den sechsten Platz der ewigen Weltrangliste. Ihr Trainer Christian Gehrmann war der erfolgreichste Kugelstoßtrainer der Frauen im DLV, ich war der erfolgloseste!

Erfolg braucht keine Regeln!

II Fin de Siècle für das Vorbild Spitzensport

Der Medikamententod der Siebenkämpferin Birgit Dressel im April 1987 brachte den DLV und die Sportmedizin vor den Staatsanwalt,

Ben Johnsons Olympiabetrug 1988 erschütterte den Sport weltweit. Beide Erschütterungen waren heftig, aber kurz.

Im Mai 1989 übernahm ich die Präsidentschaft des Deutschen Sportlehrerverbandes (DSLV). Das Ende der DDR veränderte die Arbeit des DSLV grundlegend. Im Februar 1990 begannen Kontakte auf allen Ebenen.

Im Juni lud mich der amtierende Kultusminister Prof. Meyer zu Beratungen nach Berlin ein. Meyer schloss Ende des Jahres als sächsischer Wissenschaftsminister die DHfK mit der Begründung: „Mit dem Ende der DHfK soll auch ein klarer Bruch mit dem Missbrauch des Sports gemacht werden.“

Ende 1990 enthüllten „stern“ und „spiegel“ wechselseitig die Dopingszene in Ost und West. Brigitte Berendonks Buch Dopingdokumente Mitte 1991 traf den Spitzensport ins Mark. Der Einigungsprozess des Sports wurde von einem Doping-Tsunami überspült.

Im Februar 1991 gründeten meine Präsidenten-Kollegen aus Belgien und den Niederlanden und ich einen Verband der europäischen Sportlehrerschaft, die EUPEA (European Physical Education Association).

Das war die Szene zu Beginn der 90er Jahre. Der Deutsche Sportlehrerverband verfolgte eine eindeutige Abgrenzung gegenüber Doping im Sport. Die fünf Verbände der neuen Bundesländer waren von Anfang an beteiligt, die damals 16 europäischen Sportlehrerverbände informiert und hoch interessiert.

Im September 1991 erschienen die erste Erklärung des DSLV zum Doping im Hochleistungssport und die Oldenburger Erklärung der dvs (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft) zum gleichen Thema. DSLV und dvs arbeiteten eng zusammen, was durchaus Wirkung zeigte. Ein Offener Brief an Prof. Hollmann, den Präsidenten des Deutschen Sportärztebundes, appellierte an die Verantwortung der Sportärzteschaft.

Am 5. November 1991 erhielt ich am späten Abend durch einen Telefonanruf Kenntnis von einem ‚real existierenden vierzig Seiten starken Trainingsplan’ über die „Analyse des Einsatzes unterstützender Mittel in den leichtathletischen Wurf- und Stoßdisziplinen und Versuch trainingsmethodischer Ableitungen und Verallgemeinerungen.“ Und um Missverständnisse aus zu schließen, hieß es auf der Seite 3 unter Fußnote:

1) Unterstützende Mittel: im weiteren nur noch UM

Als UM werden in diesem Fall ausschließlich anabole Steroide Präparate angesehen.

Den Verfasser kannte ich längst aus meiner Leichtathletik-Bibliothek: Dr. Bauersfeld.

Der DSLV erhob Einspruch gegen die fast geräuschlose Umsetzung von Mitgliedern des NOK der DDR in das neue NOK. Im Protest gegen die Einstellung von DDR-Dopingtrainern bei DLV und DSV wurden wir durch Belege aus Landesverbänden und Vereinen unterstützt. Die umfassende öffentliche Diskussion in den Medien war hilfreich für den DSLV. Wir stellten kategorisch ein Zusammenarbeit mit Spitzenverbänden in Frage, wenn sie den Empfehlungen der ‚Reiter-Kommission’ nicht folgten.

Alle diese Vorgänge sind schriftlich festgehalten und zum Teil in der Verbandszeitschrift „sportunterricht“ veröffentlicht. (Kontroverse mit DLV, Kontroverse mit DSV)

Unsere Kontakte in Europa zeigten uns, dass nirgendwo der Kontakt von Schulsport und Wettkampf-Sport so eng war wie bei uns.

Deswegen beobachtete man dort unseren Vereinigungsprozess intensiv.

Die zweite Hälfte der 90er Jahre prägten einerseits Kürzungen im Schulsport begleitet andrerseits von Forderungen nach einer Talentförderung für den Leistungssport im öffentlichen Schulwesen, DSB-Präsident Manfred von Richthofen forderte neue Kinderjugendschulen (KJS), natürlich entideologisiert.

Gleichzeitig wurde das Bild des Spitzensports in der Öffentlichkeit immer mehr mit Dopingbetrug verbunden, Krabbe/ Springstein, der Festina-Skandal und Dieter Baumann als die spektakulärsten Beispiele.

Für Schüler, Eltern, die Kollegenschaft, die Sportpädagogik wurde der Begriff ‚Sportart’ zunehmend negativ konnotiert.

Meine Kenntnis von HES spritzenden DLV-Ärzten (1995 und 1998, die bemerkenswerten Umstände um den „Dopingfall“ Dieter Baumann unmittelbar vor meiner Haustüre – mein Restvertrauen in den Spitzensport war mit Ende meiner Amtszeit als DSLV-Präsident 1999 aufgebraucht.

Ich ahnte damals schon, dass diese besondere Art der Vereinigung des deutschen Sports noch Folgen zeitigen werde.

III Epilog oder der Blick von der Galerie

Nach meiner Pensionierung im Jahr 2000 sichtete ich mein gesammeltes Material, las Bücher, die in den 90er Jahren herausgekommen waren und brachte mich elektronisch auf den neuesten Stand.

Dieser Informationsschub nach einem Leben mit und für den Sport warf und wirft Fragen auf.

Ein Schnelldurchlauf durch die erste Dekade des 21. Jahrhunderts zeigt die Probleme.

2000 Sydney: Wer ist eigentlich 100m-Olympiasiegerin;

2001 WM Lahti: Finnischer Dopingskandal im Langlauf;

2002 Salt Lake City: Mühlegg und Russinnen gedopt? Wo und wer ist Walter Mayer?

2003 Aufsehen erregende Doping-Fälle im US-Baseball;

2004 OS Athen: 27 Doping Fälle; Pantani tot; Springstein von jugendlicher Athletin des Dopings beschuldigt;

Balco-Skandal, THG; Trevor Graham, Marion Jones, Tim Montgomery, Justin Gatlin, Kelly White;

2005 Heidelberger Erklärung; Stefan Schuhmacher positiv; Armstrong wird nachträglich des Dopings beschuldigt;

2006 OS Turin: Österreich Razzia, Walter Mayers Flucht; Fuentes-Skandal; Jan Ullrich; Springstein Urteil; Giengers Dopingerklärungen

2007 Donati Report (109 S.); Sportmedizin Freiburg; George Mitchell Report US-Baseball (409 S.)

2008 Humanplasma und ganz Österreich: Susanne Pumper (Stechemesser); Lisa Hütthaler; Bernhard Kohl; Stefan Matschiner; Walter Mayer Buchautor;

Doping bei den Reitern I; Florian Busch Eishockey; IAAF sperrt russische Leichtathleten

Wer weiß noch, dass der 16jährige Fahnenträger der luxemburgischen Mannschaft, ein Schwimmer, positiv getestet wurde.

2009 Die Eltern eines 15jährigen positiv getesteten niederländischen Eisschnellläufers klagen gegen Dopingproben in diesem Alter. Morddrohungen aus Russland gegen Schwedens Biathleten; Doping bei den Reitern II; Österreichs NOK explodiert; Südafrikas LA-Präsident diskreditiert eigene Athletin (Eckart Arbeit); DLV, Trainerprobleme

Es schwelen weiter: Wien, Freiburg, die große Schleife 2008, Turin, Pechstein, Skilanglauf und Biathlon.

Diese bruchstückhafte Aufzählung macht klar, dass Doping und Spitzensport inzwischen untrennbar zusammen gehören. Das wissen die Sportfunktionäre, die Politik, das Publikum und auch die ‚Jugend der Welt’.

„Weder der DOSB noch der damalige Deutsche Sportbund nehmen allerdings eine Wächterfunktion im freiheitlichen Sportsystem ein. Es ist folglich nicht möglich, der evtl. Nichtbefolgung einer Empfehlung Sanktionen hinterher zu schicken.“

Das schrieb mir der Justitiar des DOSB Ende Juni 2009 auf meinen Offenen Brief an Schäuble, Bach und Prokop zur DLV-Trainereinstellung.

Das bedeutet, dass das freiheitliche Sportsystem machen kann, was seine Spitzenfunktionäre wollen. Sie sind nur sich selbst verantwortlich.

Und genau das, der Versuch zweier Funktionäre, die Dopingvergangenheit des Sports in Deutschland zu manipulieren, sie endgültig unter den Teppich zu kehren, hat mich im April dieses Jahres aufgebracht.

– Walter Trögers Aussage zur Dopingvergangenheit der heute noch tätigen DDR-Trainer: „Die ist irrelevant und die ist vergeben,“

ist ungeheuerlich. Sie diffamiert den Dopingkampf, die Dopingopfer und den organisierten Sport insgesamt und sie wirft ein mehr als schräges Licht auf die Institution, deren Ehrenvorsitz er heute inne hat, das ehemalige NOK von Deutschland. Die Aussage des Achtzigjährigen ist zutiefst unmoralisch. Eine Institution deren Führung so denkt, tritt die Gesetze und Regeln mit Füßen, denen sie ihre Existenz verdankt. (Antwort auf Walter Tröger)

– Clemens Prokops Appell „West-Trainer müssen Schweigen brechen“

ist eine vorsätzliche Irreführung der Öffentlichkeit, die einen besonderen Touch der Heuchelei in sich birgt.

Sie spricht ausdrücklich die West-Trainer der siebziger und achtziger Jahre an, um so eine vermeintliche ‚Dopinggleichheit’ zwischen Ost und West herzustellen.

Dieser Versuch missachtet die Souveränität des DLV, Doping in eigener Regie aufzuspüren und zu sanktionieren.

In der Befehlsstruktur des DDR-Sports war genau das nicht möglich. Deswegen berufen sich die ehemaligen DDR-Trainer auf diese Struktur und benützen sie als Entschuldigung.

Prokops Ausgleichskonstruktion ist so infam wie sinnlos und eines Verbandspräsidenten im freien deutschen Sport unwürdig. (Offener Brief an Clemens Prokop)

Die völlig misslungene Vereinigung des Sports zu Anfang der 90er Jahre ist allein der Verantwortung des Spitzenpersonals des Sports anzulasten.

Freiheit, Verantwortung, Selbstbestimmung und Vorbild sind auf der Strecke geblieben. Das beklagen inzwischen auch ehemalige Olympiasieger aus Ost und West.

Der Spitzensport, vor allem auch der in Deutschland, wird erst dann wieder ein anderes Bild abgeben, wenn sein derzeitiges Führungspersonal ausgestorben ist.

Der Sport, der seine eigenen Regeln korrumpiert, gibt er sich selbst auf. Als Zeitzeuge wehre ich mich dagegen! Vielleicht folgen mir noch einige.

DANKE

Hansjörg Kofink