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Prof. G. Treutlein: Offener Brief an Clemens Prokop, 18.3.2009
Hintergrund: BRD Doping-Aufarbeitung
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Brief vom 9.4.2009
Briefe vom 12.5. und 17.7.2009
>>> Brief Treutlein an Prokop 18.3.2009
Der Brief im Wortlaut:
Betr.: Ihre Äußerungen bei der Hallen-DM in Leipzig zur Dopingforschung
Sehr geehrter Herr Prokop,
2005 habe ich Ihnen beim DLV-Sportfest in Nürnberg Bücher von Andreas Singler und mir zur Doping-Thematik überreicht. Im ersten Band „Doping im Spitzensport“ geht es vorwiegend um Doping in Westdeutschland, vor allem auch in der Leichtathletik. In diesem Buch sind viele Namen genannt (damit eine wesentliche Ergänzung zum Buch von Brigitte Berendonk von 1991). Konsequenzen aus den genannten Fakten und Namen hat der DLV praktisch nie gezogen, auch nicht mit uns Kontakt aufgenommen (Ausnahme: regelmäßiger Kontakt mit Theo Rous).
Umso überraschter war ich, als ich von Ihrer Äußerung in Leipzig hörte, der DLV würde große Hoffnungen auf das von DOSB und BMI geplante Forschungsprojekt zum Thema „Doping in Deutschland“ setzen. In meinem Brief vom 5.11.2008 an den Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, Herrn Jürgen Fischer, habe ich erläutert, warum ich mich nicht um das 500.000Euro-Projekt bewerbe; die Erfolgsaussichten eines solchen Projekts gehen gegen Null.
Zusammen mit Andreas Singler habe ich 1997 – 1999 ohne Förderung durch den organisierten Sport, das BISp oder das BMI 45 Zeitzeugeninterviews – vorwiegend mit Leichtathleten – durchgeführt; die Zeitzeugen haben uns zum großen Teil gekannt; wir haben ihnen eine eidesstattliche Versicherung mit der Garantie der Anonymisierung überreicht. Die Zeitzeugen waren zum großen Teil sehr hochkarätig. Nur – wenn ich die Funktion nennen würde, wären sie leicht zu identifizieren. Aus den Zeitzeugenaussagen ebenso wie aus der Bearbeitung von 13.000 Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitten und anderen Materialien mehr ergibt sich der Gesamteindruck, dass der Wille zur gründlichen Bearbeitung des Dopingthemas im DLV gefehlt hat; über Jahrzehnte hinaus war Doping im DLV erwünscht und regelrecht gefordert. Noch lebende Akteure jener Jahre werden bei der WM auf der Ehrentribüne sitzen (besonders putzig wäre natürlich, wenn z.B. Ilse Bechtold eine Siegerehrung durchführen würde). Allerdings war der DLV mit dieser Haltung unter den Fachverbänden in keiner Weise allein.
In der Anlage schicke ich Ihnen mein Schreiben an Herrn Fischer (BISp). Aus unserer über vierjährigen Projektarbeit weiß ich, welche Schwierigkeiten das Bearbeiten dieses schwierigen Themas mit sich bringt. Von daher die Frage: In welchen Punkten erhoffen Sie sich weitergehende Aufklärung, zu welchen Konsequenzen ist der DLV bereit und warum haben die Veröffentlichungen von Berendonk und Singler/Treutlein praktisch zu keinen Konsequenzen geführt (außer der Streichung von der Ehrengastliste des DLV …)? In einer weiteren Anlage habe ich einige wesentliche Stationen der Behandlung der Dopingproblematik im DLV aufgelistet. Sie sehen dabei einige Namen, die auch heute noch eine Rolle in der Leichtathletik spielen. Mir ist nicht bekannt, dass auch nur ein Einziger im DLV Nachteile aus seiner dopingfreundlichen Haltung oder sein gerichtsfesten Benennung als Doper erfahren hat.
Idealtypisch für den Umgang des DLV mit der Dopingproblematik sind folgende Vorfälle:
* Mir waren 1991 vor dem Erscheinen des Berendonk-Buchs eine Reihe Dopingdokumente bekannt. Da ich die Leichtathletik vor Schaden schützen und dem DLV Zeit zur Vorbereitung auf das Berendonk-Buch geben wollte, habe ich zusammen mit einem Kollegen ca. 3 Wochen vor dem Erscheinen (13.9.1991) den DLV-Präsidenten Helmut Meyer angeschrieben und ihn über das Erscheinen des Buchs wie auch über die Typen von Dokumenten, auf denen das Buch basiert, informiert. Die Reaktion von Meyer: Zusammen mit Jan Kern hat er versucht, mit einer Presseerklärung das Buch vorab madig zu machen. Der ebenfalls informierte Theo Rous hat dagegen alle Anstrengungen unternommen, um für den DLV glaubwürdig mit der drohenden Katastrophe umzugehen und den Verband vor Schaden zu bewahren. Da er allein gelassen wurde, trat er dann beim außerordentlichen Verbandstag 1991 zurück.
* Im September 1991 wurde bei einer Sitzung des DLV die Einrichtung einer großen Untersuchungskommission beschlossen; der Journalist Robert Hartmann hat mich als Mitglied vorgeschlagen. Bei einer vorbereitenden Sitzung im Oktober 1991 hat Helmut Meyer die Anwesenden damit überrascht, dass erst eine Juristenkommission die Frage der Weiterbeschäftigung der 32 DDR-Trainer bearbeiten müsse. D.h. Leute wie ich wurden an der Nase herumgeführt. Der Aktivensprecher Schult faselte etwas davon, er habe noch nie etwas von Doping mitbekommen. Als ich ihm ein Dokument zeigte mit seinem Namen im Klartext (Kombination von Training mit Dopingmitteln), machte er sich eine Kopie davon, behauptet aber bis heute, er habe nie gedopt. Ich habe dann später die Dokumente Theo Rous zukommen lassen. Die geplante Untersuchungskommission kam nie zustande; da ist es nicht verwunderlich, dass es beim BDR 2007 ähnlich lief.
* Bei einer Veranstaltung habe ich die Vorsitzende des thüringischen Leichtathletikverbands, Frau Löffler, darauf angesprochen, dass der verurteilte Doper Spilker ausgerechnet Rechtswart (später zusätzlich Vizepräsident) im LSB Thüringen sei. Sie sah darin kein Problem, denn er leiste sehr gute Arbeit. Spilker war als Ehrengast auf der Ehrentribüne bei der DM in Erfurt 2007. Der LSB Thüringen wollte die Präventionsbroschüre „Sport ohne Doping“ (dsj/Treutlein et al.) nicht einsetzen so lange ein Zitat von Spilker nicht beseitigt würde.
* 2002 wurde auf mein Betreiben hin der DLV über Dopingvertuschungspraktiken der ungarischen Werfer (Anus, Fazekas) informiert. Bei der EM 2002 in München soll es trotzdem keine Kontrolle im Diskuswerfen gegeben haben; Anus und Fazekas sind trotz dieser Information erst 2004 bei den Olympischen Spielen aufgeflogen.
* Bei meinem letzten Aufenthalt in der DLV-Geschäftsstelle 2007 kam mir auf der Treppe der ehemalige Bundestrainer Steinmetz entgegen, der nach dem Urteil des Landgerichts Heidelberg von 1991 als Doper bezeichnet werden darf. Steinmetz kennt mich nicht, hat noch nie mit mir ein Wort gewechselt. Trotzdem hat er mich einer ehemaligen Studentin von mir gegenüber als „Verbrecher“ bezeichnet. Leute wie Steinmetz sind beim DLV immer noch gerne gesehen, ich nicht. Das DLV-Präsidium hat ja auch abgelehnt, Werner Franke und Brigitte Berendonk für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen.
Im letzten Jahr hat mich die Rechtsanwältin des DLV, Anne Jakob, mit Terminsetzung (7.4.) angeschrieben und mich zur Stellungnahme zu einem Zitat in der FAZ aufgefordert. Ich habe geantwortet; in meinem Antwortschreiben habe ich dann meinerseits einige Fragen zum Umgang des DLV mit der Dopingproblematik gestellt – eine Antwort habe ich bis heute nicht erhalten, ebenso auf nachfolgende Schreiben. Wenn schon der DLV sich weigert, auf Fragen Antworten zu geben, woher nehmen Sie dann die Hoffnung, dass bei einem 500.000Euro-Prokjekt offen und ehrlich geantwortet werden wird? Wird der DLV z.B. sein Archiv zugänglich machen und seinen jetzigen und früheren Angestellten z.B. Antwortgenehmigung erteilen?
Bei der Anhörung des Bundestagsausschusses Sport zur Förderung des BDR wurde ich ja von allen Seiten wegen meiner Präventionsaktivitäten hoch gelobt (beim DLV gibt es anscheinend hierzu eine Kontaktsperre) und das DLV-Präsidiumsmitglied Dagmar Freitag hat mich als „bekanntermaßen sehr glaubwürdig“ bezeichnet. Eine Anfrage an Frau Freitag, warum ich dann von der Ehrengastliste des DLV gestrichen wurde, wurde nicht beantwortet.
Entgegen allen Ethik-Diskussionen konnten und können Athleten quasi mit abmontierten ethischen Bremsen ihre ethikfreie Dopingmentalität entwickeln, idealtypisch dafür die Aussage des Olympiasiegers im Diskuswerfen, Danneberg (1984): „Käse, was hat denn Ethik mit Profisport zu tun? Es geht um Leistung. Dieser viel strapazierte Begriff Ethik: Das ist doch ein fürchterliches Gewabbel und Geschwabbel“ (Sports 3, 1989, 124). Die Danneberg’sche Mentalität wirkt im Leistungssport bis in die Gegenwart weiter; sie schlägt sich z.B. in dem offenen Brief von 20 Leichtathleten zugunsten der Weiterbeschäftigung des ehemaligen DDR-Doping-Trainers Goldmann nieder. Solche Athleten scheinen sich berechtigt zu fühlen, ein Bremsen ihres Leistungsstrebens durch Ethik und Moral abzulehnen – wer hat sie erzogen/sozialisiert???. Allerdings: Die Vergangenheit von Herrn Goldmann war wohl schon 1991, spätestens aber mit der Verurteilung in den Berliner Prozessen 1999 bekannt. Folgen hatte dies im DLV nicht. Und Herr Goldmann wird in Anbetracht des jahrzehntelangen Umgangs mit seiner Vergangenheit jeden Arbeitsgerichtsprozess gewinnen.
In unseren Befragungen (Singler/Treutlein) hat sich herausgestellt, dass das Umfeld der Athleten für die Entwicklung einer Dopingmentalität oder ihre Verhinderung enorm wichtig ist. Zu ihrer Verhinderung wurde und wird im DLV zu wenig getan; die Information der Athleten zu Dopingregeln und zum Ablauf von Dopingkontrollen ist hier eindeutig zu wenig. So kann ein Verantwortungsgefühl der Athleten und ihres Umfelds für sich selbst, aber auch für das Schicksal des DLV und der IAAF kaum entwickelt werden. Im ADH habe ich im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten versucht gegenzuhalten.
Zu einem Gespräch bin ich jederzeit gerne bereit, auch zur Unterstützung des DLV bei der Bearbeitung seiner Vergangenheit und/oder bei der Durchführung von Dopingpräventions-Aktivitäten.
Mit freundlichen Grüßen!
Prof. Dr. Gerhard Treutlein