dopingbelastete Schwimm-Trainer der DDR
Folgende Trainer werden hier vorgestellt:
Baumgart Günter Christochowitz, Berndt Eßer, Gerd Frischke, Volker Gläser, Rolf | Henneberg, Bernd Hetzer, Stefan Jopke, Ingolf Lindemann, Dieter Mothes, Eberhard | Neumann, Uwe Regner, Michael Rudolph, Dr. Klaus Tanneberger, Jürgen Warnatzsch, Norbert |
Baumgart, Günter
Trainingswissenschaftler Dr. Günter Baumgart arbeitete in der DDR mit jungen Schwimmerinnen. Brigitte Berendonk veröffentlichte ein Textdokument aus dem Jahr 1986, wonach Dr. Baumgart mit Dr. Rademacher am FKS in Leipzig eine Doping-Optimierungsstudie an fünf 14 bis 15 jährigen Schwimmerinnen durchgeführt hatten. Danach sollte „eine neugestaltete Trainingskonzeption (…) sowie eine veränderte Erstanwendungsvariante von u.M. (niedrigere Dosierung, z. T. andere Anwendungszyklen)“ in ihrer Wirkung geprüft werden.
Nach der Wiedervereinigung fand Dr. Baumgart eine Anstellung als Verbandstrainer beim Württembergischen Schwimmverband und ab 1992 beim SV Cannstadt 1992. (Berliner Zeitung, 8.4.1994)
Gegen seine Anstellung als Verbandstrainer soll es zwar Proteste seitens westlicher Trainer gegeben haben wie der Spiegel berichtete, doch ohne Erfolg. (der Spiegel, 28.12.1992). Wie lange er diese Stellungen innehatte, ist mir nicht bekannt.
Die heftigen internen und externen Diskussionen um die Anstellung ehemaliger DDR-Trainer, die 1992 die Verbände stark belastete, löste der Deutsche Schwimmverband ähnlich wie der DLV mit Anhörungen und anschließenden Vertrauenserklärungen in die Zukunft. Dr. Baumgart gehörte im Januar 1993 zu den ehemaligen Trainern, die der Antidoping-Kommission des Deutschen Schwimmverbandes in Frankfurt/M Antworten geben mussten. Am 11. Februar wurde er wie alle anderen entlastet und konnte auf Empfehlung der Kommission unter Auflagen weiter beschäftigt werden. Was dies für Auflagen waren, wurde nicht bekannt gegeben. (FAZ, 12.2.1993) (Mehr Informationen siehe unter >>> Wendezeit III, 1992 und 1993)
Christochowitz, Berndt
Berndt Christochowitz war zu DDR-Zeiten Schwimmtrainer beim TSC Berlin.
Christochowitz stand 1998 mit vier weiteren Trainern des TSC Berlin vor Gericht. Die Berliner Zeitung schrieb
„Der sogenannte TSC-Prozeß aber war „kein typisches Strafverfahren“, erklärte der Anwalt der Ärztin Dorit Rösler am Donnerstag im Plädoyer. „Ich habe noch nie so einen Grad der Übereinstimmung erlebt.“ Anders als im Dynamo-Prozeß blieben den Opfern Vernehmungen und gutachterliche Untersuchungen erspart. Denn die Angeklagten hatten schon am ersten Verhandlungstag die meisten der ihnen zur Last gelegten Taten gestanden. Sie versorgten minderjährige Schwimmerinnen zwischen 1974 und 1989 nach Planvorgaben mit dem Anabolikum OT, dessen Nebenwirkungen lebensgefährdend sein können. Die Ärzte reichten die Tabletten an die betreuenden Trainer weiter. Und diese schließlich fütterten die Kinder mit dem Gift. Das Gericht wertete, ohne Feststellungen über mögliche Schäden zu treffen, schon die Weitergabe des Dopingmittels als Straftatbestand der Körperverletzung nach dem anzuwendenden DDR-Strafgesetzbuch. Nach den Geständnissen wurden die Namen mehrerer Sportler (ursprünglich insgesamt 17) aus der Anklageschrift gestrichen. Die Verfahren gegen die Trainer Klaus Klemenz und Berndt Christochowitz wurden gegen Bußzahlung eingestellt. Zumindest vier der Angeklagten war anzusehen und anzuhören, wie sehr sie diese alte Geschichte mitgenommen hatte. Rösler und Klemenz entschuldigten sich bei den Opfern. Auch Sünder und Christochowitz drückten öffentlich ihr Bedauern aus.“
Bernd Christochowitz musste eine Geldbuße über 7000.-DM bezahlen. (Berliner Zeitung, 21.8.1998)
2005 verklagte die ehemalige Schwimmerin und anerkanntes DDR-Dopingopfer Karen König das NOK auf Schadensersatz. In diesem Prozess wurde auch Trainer Christochowitz als Zeuge geladen, hatte aber anscheinend wenig zu sagen (TAZ, 3.11.2005).
Eßer, Gerd
Gerd Eßer war in der DDR bereits in den 1970er Jahren Schwimmtrainer beim SC Dynamo Berlin. Dieser Sportclub brachte ein Reihe erfolgreicher Sportlerinnen und Sportler hervor, erreichte aber auch besondere Berühmtheit durch die intensive Dopingpraxis und Stasiververknüpfungen.
Gerd Eßer war eingebunden in das Dopingprogramm, doch reichte dies nicht um ihn wie andere Trainer und Ärzte Ende der 1990er Jahre juristisch zu belangen. Das Verfahren gegen ihn wurde wegen „geringer Schuld“ eingestellt. Eßer arbeitete nach der Wende als Sportlehrer an einem Gymnasium und später als persönlicher Schwimm-Trainer. Bekannt wurde er als Coach der deutschen Starschwimmerin Franziska van Almsick bis zum Jahr 2001 (der Tagesspiegel, 7.9.2001).
Im Jahr 2003 wurde Gerd Eßer zum Ersten Vorsitzenden des neu gegründeten Schwimmclubs Berlin gewählt, mit dabei der 1999 wegen Beihilfe zur Körperverletzung (Doping) rechtskräftig verurteilte Jürgen Tanneberger als ehrenamtlicher Sportwart (Deutschlandfunk, 18.9.2009). Im Frühjahr 2009 wurde Eßer neuer Leiter des Bundesstützpunktes Berlin, 2012 ist er unter Bundesstützpunkt-Trainer Schwimmen in Berlin mit Aufgaben im Landesleistungszentrum aufgeführt.
Gerd Eßers Name taucht 1978 in Stasiunterlagen auf, die von >>> Bernd Pansold stammen. In dem Bericht über Dopingtests heißt es: „Die Trainingsgruppe von Eßer ist einbezogen in Testversuche zur Erprobung eines neuentwickelten anabolen Steroids durch den VEB Jenapharm unter der Bezeichnung STS 83.“ (Berliner Zeitung, 16.4.1998)
Schwimmer Steffen Zesner, berichtete 1997 darüber. wie er von seinem Trainer die blauen Pillen (Oral-Turinabol) erhalten hatte:
„Klar habe er von seinem damaligen Betreuer Gerd Eßer diese blauen Pillen bekommen. Aber statt sie zu schlucken, habe er sie gesammelt und „dem Trainer später zurückgegeben“.“ (der Spiegel, 18.8.1997)
Schwimmer Raik Hannemann erzählte gegenüber Hans-Joachim Seppelt (Kinderdoping, 1999, S. 159f):
„Bei meinem Trainer Gerd Eßer war es so, daß ich ihm keine Vorwürfe machen kann. Man muß das chronologisch erzählen. Ich war als geförderter junger Sportler natürlich unheimlich motiviert, an die Spitze zu kommen. Jeder wußte, das zog Privilegien nach sich. Wenn man viel Zeit als junger Mensch in den Sport investiert, möchte man auch die maximalen Erfolge herausholen. Und da es von oben legalisiert war, hat man leichtgläubig gedacht, daß das in Ordnung geht. Als ich dann allerdings erste Zweifel hegte im Laufe der Zeit, war mein Trainer der einzige, der mich unterstützte. Er sagte, du mußt das nicht nehmen, wir können das absetzen, wir dürfen daraus allerdings kein Politikum machen. Wir können damit nicht hausieren gehen, wir müssen das für uns behalten, weil es Ärger mit der Sportführung geben könnte. Da die Sportführung leider die Einstellung hatte, daß die, die diese Mittel nicht mehr nehmen wollten, nicht mehr förderungswürdig wären, weil sie den hundertprozentigen Leistungswillen vermissen ließen, war das natürlich sehr ärgerlich. Aber im Prinzip ist es meinem Trainer gelungen, auf dieses Dopingmittel zu verzichten und auch noch Erfolge zu haben. …
Gerd Eßer hat mir Dopingmittel weitergereicht, so möchte ich das einmal sagen. Natürlich hatte man damals als Sportler nicht nur Kontakt zum Trainer, sondern auch zu den Sportmedizinern. Und die haben einem ganz einfach den Glauben vermittelt, daß das alles unter hundertprozentiger Kontrolle steht, daß jegliche Nebenwirkungen erforscht sind. Mit Erstaunen habe ich erst später feststellen müssen, daß dem nicht so war. Ich habe eigentlich erst nach der Wende erfahren, daß es da Problemfälle gab, die mich heute noch sehr schockieren. … Soweit ich es weiß, haben wir Oral-Turinabol verabreicht bekommen. Wir hatten allerdings nicht nur in Tablettenform damit zu tun. Ich kann mich daran erinnern, es war, glaube ich, 1988. Ich habe damals an einem Experiment teilgenommen, da wurde es in Form eines Nasensprays verabreicht. Dies wurde hergestellt mit dem Ziel, es später schlecht, also schon nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisen zu können. …
Weil sich die Muskeln zu sehr verhärteten, hatte ich auf meinen Wettkampfstrecken Probleme. Und So haben mein Trainer und der Arzt versucht, bei meiner Dosis zu variieren. Nach den Olympischen Spielen 1988 – da hatte ich zwar die Form meines Lebens gehabt, konnte aber meine Trainingsergebnisse nicht im Wettkampf umsetzen – habe ich beschlossen, das Mittel nicht mehr zu nehmen. Dann habe ich es konsequent abgesetzt, mit der Hilfe meines Trainers, der mich gedeckt hat.
Wann hatten Sie das erste Mal Anabolika genommen?
1985, da war ich 17.
Haben Sie von Beginn an gewußt, daß Sie Mittel nahmen, die auf der Dopingliste standen?
Ich habe es von Anfang an gewußt. Das hing aber sehr damit zusammen, daß ich ein sehr, sehr enges Vertrauensverhältnis zu meinem Trainer hatte. Er war, das kann man schon sagen, ein Ersatzvater für mich. Er hat in allen Lebenslagen für mich gesorgt. Im Prinzip hat er die Funktion meiner Eltern gut ausgefüllt, die ja über 200 Kilometer entfernt lebten. Ich wohnte im Internat. Er hat sich rundum um mich gekümmert. Noch heute möchte ich sagen, daß ich ihm dafür dankbar bin und daß ich keine Minute mit ihm bereue.“
Frischke, Volker
Volker Frischke gehörte zu den Trainern des SC Dynamo Berlin, die nachweislich jugendliche Schwimmerinnen mit Anabolika gedopt haben. 1998 stand er in Berlin mit Trainer Dieter Lindemann vor Gericht.
Nach der Wende hatte er im vereinten Deutschland wie viele andere schnell eine Weiterbeschäftigung als Trainer im Deutschen Schwimmverband erhalten. Im Zuge der Untersuchungen der Reiter-Kommission sah sich der DSV gezwungen von den Trainern eine Erklärung einzufordern, wonach diese nur geringfügig in das Dopingsystem eingebunden gewesen seien und für die Doping eindeutig ablehnten.
Als 1993 diese kritiklose Übernahmepraxis in die öffentliche Diskussion geraten war, gehörte Frischke erneut zu den Personen, die sich in Anhörungen und mittels Erklärungen für eine Weiterbeschäftigung qualifizieren konnten, denn die Prüfer waren erneut der Meinung, dass für die Betroffenen „eine dopingfreie Zukunft garantiert werden könne.“
Frischke und Lindemann arbeitete bis Oktober 1997 beim Deutschen Schwimmverband als Stützpunkttrainer in Berlin, wurden allerdings supendiert, als gegen beide Anklage vor dem Berliner Landgericht erhoben wurde.
„Sie hatten bei Abschluß ihrer Arbeitsverträge unterschrieben, nie etwas mit Doping in DDR zu tun gehabt zu haben. Die Anklageschrift habe dies „eindeutig widerlegt“, erklärte DSV-Präsident RÜDIGER TRETOW.“ (Berliner Morgenpost 17.3.1998, der Spiegel, 4.8.1998)
Die Trainer klagten jedoch gegen dies Suspendierung. Aktuell war er bei den ‚Wasserfreunden Spandau04‘ in Berlin wieder tätig.
Sylvia Gerasch war eine der Sportlerin die bereits als Kind, mit 13 Jahren, 1982, zu, ersten Mal mit anabolen Steroiden traktiert wurde. Sie sagte im Prozess gegen Frischke und Lindemann aus. „Ja, sie haben es mir gegeben, … und ich habe es genommen, immer wieder, all die Jahre.“ (Berliner Zeitung, 25.4.1998, die Zeit, 15.6.2000).
Auch Sabine Siegmund-Ganzkow sagte aus.
„Die 28jährige ist die erste Athletin in diesem Prozeß, die erklärte, sie habe gewußt, daß „ich muskelaufbauende Mittel erhielt“, übersetzt: Dopingpillen. Ihr Trainer Volker Frischke „hat versucht, das ein bißchen zu erklären“. Über mögliche Folgeschäden hatte er sie allerdings nicht aufgeklärt. Dafür teilte er ihr mit, „daß die Pillen zehn Tage vor dem Wettkampf abgesetzt werden müssen. Dann sind sie nicht mehr nachweisbar.“ Damals war Sabine Siegmund-Ganzkow 17 und hatte seit Frühjahr 1986 die berühmten blauen Pillen erhalten. Allerdings betrieb nicht Frischke als erster Aufklärung. Die junge Schwimmerin hatte schon männliche Teamkollegen nach dem Mittel gefragt. Antwort: „Das sind mänliche Hormone.“
Gehört wurde zudem Daniela Hunger, deren Aussagen zumindest nahelegen, dass Frischke Pillen verteilte. (Der Tagesspiegel, 8.6.1998)
Frischke, der ursprünglich der Körperverletzung durch Verabreichung von Oral-Turinabol in 8 Fällen von minderjährigen Mädchen angeklagt war, wurde in 5 Fällen für schuldig befunden. Das Verfahren wurde gegen Zahlung von 5 000 DM wegen „geringer Schuld“ eingestellt.
Kurze Zeit später war Volker Frischke in der Verhandlung gegen Arzt Bernd Pansold als Zeuge geladen. Sein Versuch mittels Erinnerungslücken die Aussage zu verweigern, scheiterte. Nachdem ihm Untersuchungshaft angeordnet wurde, brach er sein Schweigen. Die Beugehaft von 2 Monaten wurde gegen Zahlung von 1000.- DM aufgehoben.
„Er gab die Weitergabe des Dopingmittels Oral-Turinabol an Athletinnen zu, die Pillen seien aus der Hausapotheke des Klubs gekommen.“ (NZZ, 29.10.98).
Im April 1999 hatte Frischke seine Anstellung beim Deutschen Schwimmverband wieder, nachdem das Arbeitsgericht zu Gunsten des Trainers entschieden hatte.
„Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung hat der Verband nach der erstinstanzlichen Entscheidung des Berliner Arbeitsgerichts im Februar darauf verzichtet, Berufung einzulegen. „Das war ein recht eindeutiges Urteil“, sagt Sven Baumgarten, „es muß verantwortungsvoll mit den Geldern umgegangen werden.“ Vor die Wahl gestellt, Frischke zu bezahlen, ohne eine Gegenleistung zu bekommen, oder ihn für seine 80 000 Mark Jahresgehalt arbeiten zu lassen, entschied sich der Verband für letzteres.“ Das Arbeitsgericht hatte u. a. damit argumentiert, „der DDR-Sport habe bereits zu dem Zeitpunkt, als der DSV Frischke einstellte, unter Dopingverdacht gestanden. Deshalb sei auch nach Frischkes Offenbarung eine Weiterbeschäftigung nicht unzumutbar.“ (Berliner Zeitung, 28.4.19999) Frischke trainierte noch 2000 aufgrund eine ‚mit dem DSV abgeschlossenen Langzeitvertrages‘ Franziska van Almsick (der Spiegel, 7.2.2000).
Im November wurde in Berlin die Poelchau-Oberschule
„zur ersten sportbetonten Schule im Westen der Stadt befördert; neben den drei früheren Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) im Osten. … Manfred von Richthofen, der Präsident des Deutsches Sportbundes, nannte die Idee der sportbetonten Schulen in seiner Olympiabilanz am Dienstag ausdrücklich „zeitgemäß“. Der Funktionär will für dieses Modell der Elite-Förderung – „ohne den ideologischen Ballast der DDR“ – bei den Kultusministern der Länder „leidenschaftlich kämpfen“. …
Mit den Profis im Trainerjob kam auch Volker Frischke für den Schwimmnachwuchs. Er war im ersten Prozeß wegen Dopings in der DDR der Körperverletzung angeklagt; sein Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. „Wir sehen darin kein Problem“, sagt Barney. „Die Elternversammlung hatte keine Vorbehalte.“ Frischke ist Vereinstrainer in Spandau.“ (FAZ, 16.11.2000)
Gläser, Rolf
Rolf Gläser begann in den 1970er Jahren als Schwimmtrainer der Frauen und Mädchen beim SC Dynamo Berlin und wurde zwischen 1975 und 1984 zu einem der erfolgreichsten DDR-Schwimmerinnen-Trainer. 1976 war er Nationalmannschaftstrainer.
Nach der Wiedervereinigung bekam er die Stelle in Linz als Landestrainer Schwimmen in Oberösterreich, die zwar nach Bekanntwerden gefährdet schien, doch er blieb auf dieser Stelle bis zu seinem Prozess in Berlin 1998. Er erhielt eine Geldstrafe über 7.200.- DM. Rolf Gläser starb 2004.
In den letzten Jahren der DDR betreute er Raik Hannemann und Christiane Knacke. Beide schwiegen nicht über die Dopingpraxis und auch Gläser soll bereits 1990 im Österreichischen Fernsehen zugegeben haben, dass in der DDR flächendeckend gedopt worden war. Seine Trainerstelle verlor er Ende 1998, als er zusammen mit Sportmediziner Bernd Pansold im ersten DDR-Doping-Pozess vor dem Landgericht Berlin zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
Christiane Knacke, 1988 legal nach Österreich ausgereist, stand in diesem Jahr der österreichischen „Neuen Kronen-Zeitung“ für Interviews zur Verfügung und berichtete darüber, dass in der DDR gedopt worden sei (der Spiegel, 17.7.1989). 1977 war sie als erste Frau über 100 Meter Schmetterling unter 1 Minute geblieben, erst 15 Jahre alt, 1980 gewann sie bei Olympia in Moskau in dieser Disziplin die Bronzemedaille. 1998 sagte sie als Zeugin im Berliner Prozess gegen ihren ehemaligen Trainer Rolf Gläser aus.
„Sie rekonstruierte die Ereignisse von 1977, als sie vor der Europameisterschaft in Schweden in die Trainingsgruppe Gläsers aufgenommen wurde, bis zu ihrem Abschied vom Leistungssport nach den Olympischen Spielen 1980. Pillen seien den Schwimmerinnen schon früher verabreicht worden, dabei habe es sich jedoch um Vitamine gehandelt. Mit dem in der DDR verharmlosend „unterstützendes Mittel“ genannten Doping-Präparat Oral-Turinabol sei sie erstmals während der Vorbereitung auf die EM 1977 in Berührung gekommen. „Wenn man die nicht gleich geschluckt hat, zergingen die im Mund und wurden bitter“, sagte Knacke-Sommer, „es waren die einzigen im Becher, die nicht dragiert waren. Die sind eindeutig zu identifizieren gewesen.“ (…) Während der Vorbereitung auf die WM 1978 in Westberlin habe sie vier oder fünf Injektionen in wöchentlichem Abstand erhalten, sagte Knacke-Sommer. „Ihr kriegt das, damit ihr das harte Training besser aushaltet“, sei gesagt worden. Selbst unmittelbar vor den Endläufen etwa bei der EM 1977 und einem Länderkampf gegen die UdSSR 1978 habe man ihr ein Präparat intravenös verabreicht. (…) Ihr Trainer Gläser habe sie stets zu ihrem Arzt Binus geschickt. Einmal habe sie versucht, sich zu weigern, doch Binus habe Gläser gerufen, der ein Machtwort sprach: „Das ging nach dem Motto: friß oder stirb.“ (Berliner Zeitung, 21.4.1998, Focus, 27.4.1998, ein ausführliches Interview mit Christiane Sommer (Knacke ) und ihrer ehemaligen australischen Gegnerin Lisa Curry ist nachzulesen in Seppelt/Schück, Kinderdoping, S. 193ff))
Rolf Gläser brach während des Prozesses sein anfängliches Schweigen und gestand. Zudem entschuldigte er sich bei den Sportlerinnen, eine selten zu findende Geste unter den verantwortlichen DDR-Dopern.
Von dem ihm zur Last gelegten neun Fällen von Körperverletzung mittels des Anabolikums Oral-Turinabol zwischen 1975 und 1984 bekannte er sich zu fünf. Zuvor hatte er sich während des Prozesses aus Stasiakten einiges zu seiner Persönlichkeit und seinem Trainerverhalten anhören müssen. Arzt Lothar Kipke, IM Rolf, hatte akribisch Buch geführt. U. a. war Gläser an einem Großversuch mit jungen Schwimmerinnen und Schwimmern beteiligt.
„IM Rolf berichtete zudem dezidiert über einen Großversuch mit dem männlichen Hormon-Präparat Turinabol. 23 jungen Frauen und 38 Männern der A-Kader bei allen zehn Schwimmklubs der DDR sollten demnach zwischen April und Juni 1977 in mehreren Phasen nicht nur bis zu 400 Milligramm Turinabol, sondern auch andere Präparate wie das männliche Hormon Testostropin verabreicht werden. In diesen Menschenversuch war laut IM Rolf die Trainingsgruppe von Rolf Gläser und Dieter Krause ebenso einbezogen wie der mitangeklagte Dynamo-Arzt Dieter Binus.“ (Berliner Zeitung, 14.5.1998)
„So erklärte er [Rold Gläser] in Bezug auf die mehrfache Europameisterin Birgit Heukrodt (geborene Meineke): „Auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnert, kann ich es nicht ausschließen, daß ich ihr Dopingmittel gegeben habe. Ich hoffe, daß ihr glücklicherweise gutartiger Lebertumor nicht darauf zurückzuführen ist.“ Zu keiner Zeit habe er den Sportlerinnen Schaden zufügen wollen. Auch sei er, obwohl „in nicht unerheblichen Maße am Erfolg meiner Sportler beteiligt“, nicht auf finanzielle Vorteile aus gewesen. …
Gläsers Kollegen Dieter Lindemann, Volker Frischke und Dieter Krause sowie der ehemalige Dynamo-Chefarzt Bernd Pansold, wie Gläser seit einiger Zeit in Österreich in Lohn und Brot, verfolgten die etwa 25minütige Erklärung nahezu regungslos. Aus dem angeklagten Sextett war im Juli als erster Mediziner Dieter Binus ausgeschert, der die Vergabe von OT-Tabletten an die Schwimmerinnen eingeräumt hatte. Gläser hatte in der polizeilichen Vernehmung noch gesagt, Binus habe auch Spritzen mit dem noch gefährlicheren Depot-Turinabol gesetzt. Am Montag erklärte Gläser lediglich, Binus habe „Vitamincocktails bzw. laktatsenkende Mittel“ gespritzt.“ (Berliner Zeitung, 25.8.1998)
Henneberg, Bernd
Bernd Henneberg begann seine erfolgreiche Trainerlaufbahn 1969 als Assistent. Von 1970 bis 1982 arbeitete er als Trainer beim SC Chemie Halle, 1982 wechselte er zum SC Magdeburg, dem er treu blieb. Am Olympiastützpunkt Magdeburg betreute er viele Jahre über Topathleten. Angestellt war er hier formal als Sportlehrer des Sportgymnasiums Magdeburg. 2010 wurde er 65 Jahre alt.
1996, 2000 und 2004 gehörte er als Trainer der deutschen Olympia-Mannschaft an. 1998 wurde er nach den Schwimmweltmeisterschaften von der Deutschen Schwimmtrainer-Vereinigung zum „Trainer des Jahres“ gewählt (Seppelt/Schück, Kinderdoping, S. 324).
Henneberg würde nach der Wende vom DSV übernommen, geriet aber im Zuge der turbulenten Diskussionen um die Dopingvergangenheit der ehemaligen DDR-Trainer wie viele seiner Kollegen in Schwierigkeiten. Er soll allerdings 1991 vor der ad-hoc-Kommission unter Leitung Manfred von Richthofens eingestanden haben seine Schwimmerinnen gedopt zu haben.
Ungemütlich war es speziell für Henneberg 1992 als bei der von ihm betreuten Schwimmerin Astrid Strauß ein erhöhter Testosteronwert festgestellt wurde. Die Affaire führte während der Olympischen Spiele in Barcelona durch Schwimmerin Dagmar Hase zu einem Eklat, der die großen schwelenden Spannungen innerhalb des gesamtdeutschen Sports zwischen den Gruppen ehemals Ost und ehemals West offen legten. Die Wiedervereinigung war noch längst nicht befriedigend vollzogen.
Die Angelegenheit verebbte. 1993 wurde ihm zudem zusammen mit anderen Trainern erneut Absolution erteilt. Der DSB hatte eine Kommission unter Leitung von Hans Evers eingerichtet, die nach etlichen Anhörungen zu dem Schluss kam, dass den Trainern Dieter Lindemann, Lutz Wanja, Bernd Henneberg, Volker Frischke, Winfried Leopold und Günter Baumgart für ihre zukünftige Trainertätigkeit eine günstige Prognose gestellt werden könne. „“Ich habe nichts verdrängt“, sagt er. „Es gab Kollegen, die da saßen und erklärten, es habe kein Doping gegeben, was ich blödsinnig fand““ (Berliner Zeitung, 24.07.2003). Nach Unterzeichnung einer Erklärung konnten sie weiter arbeiten. (FAZ, 12.02.1993). Dass Henneberg auch als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit geführt worden war, Decknahme Willi Kops, blieb ohne Bedeutung, da keine Unterlagen über eventuelle Aktivitäten gefunden wurden und Henneberg selbst bestritt als IM tätig gewesen zu sein.
1997 fand er sich staatsanwaltlichen Ermittlungen gegenüber, ein Verfahren wurde 1999 eingeleitet. Etliche Schwimmerinnen hatten ihre Trainer schwer belastet. Sein prominentester Schützling, die zu DDR-Zeiten nachweislich gedopt wurde, Kristin Otto klagte ihn allerdings nicht an. Sie leugnet bis heute.
„Früher trainierte der Sportlehrer in Magdeburg die Nachwuchsschwimmerin Kristin Otto. Die sechsfache Olympiasiegerin wird in den Zerv-Akten als Anabolikakonsumentin beschrieben. Auch Unterlagen aus der Gauck-Behörde bezeugen, daß sie gemäß der offiziellen Verbandskonzeption der DDR mit männlichen Hormonen hochgepuscht wurde. Noch 1989 wurden ihr Injektionen von Testosteron bei den in der DDR üblichen Ausreisekontrollen nachgewiesen, ebenso wie bei Hennebergs prominenter Kraulschwimmerin Dagmar Hase.“ (der Spiegel, 18.8.1997)
Das Verfahren wurde nach Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Einer Weiterbeschäftigung und einer Teilnahme bei den Olympischen Spielen 2000 als Trainer von Antje Buschschulte stand nichts mehr im Wege.
„“Unseres Wissens sind alle Ermittlungen abgeschlossen“, sagt DSV-Vizepräsident Sven Baumgarten. Er sieht zwar die ethisch-moralischen Bedenken, „die manche haben können. Aber wenn ich abwäge zwischen der Schwere des Vergehens, dem Zeitpunkt und der Notwendigkeit von Hennebergs Anwesenheit in Sydney, komme ich zu dem Schluss, dass er mit sollte“. (FAZ, 21.6.2000)
Vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking wurde das Thema belasteter DDR-Trainer erneut heftig öffentlich diskutiert. (>>> Doping-Aufarbeitung, Diskussion 2008) Im Vorfeld nach seiner Einbindung in das DDR-System befragt, meinte Henneberg
„seine zu DDR-Zeiten von ihm betreuten Athletinnen hätten keine gesundheitlichen Schäden davongetragen.“ Thomas Purschke: „Was eine glatte Lüge ist. In mehreren Dopingstrafverfahren vor dem Landgericht Berlin ist festgehalten, dass Henneberg in der DDR mehrere minderjährige Athletinnen gedopt habe, darunter sogar 12- und 13-jährige Mädchen. Der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke erklärte dazu wörtlich: „Herr Henneberg war beteiligt an der gezielten Vermännlichung minderjähriger Mädchen, zum Teil sogar noch vor Eintritt der Menstruation.““ (Deutschlandfunk, 13.04.2009, Deutschlandfunk, 12.08.2010)
So war Henneberg als Trainer 1977/78 an einem Großversuch mit 28 Mädchen und Frauen und 48 Männern beteiligt. Ermittelt werden sollten u.a. die individuellen Anstiegs- und Abklingraten der Substanzen, das Verhalten des körpereigenen Testosteronspiegels, die Ermittlung der Leistungswerte. Weitere eingebundene Trainer waren: Warnatzsch, Gläser, Krause, Hübner, Sack, Vorpagel, Herberg, Leopold, Neumann, Rosenkranz, Freyer, Fricke (s.a. Dr. Dieter Binus, Quelle: Spitzer, Doping, S. 282ff, siehe auch der Spiegel, 18.8.1997)
Hetzer, Stefan
Stefan Hetzer war in den 1980er Jahren als junger Schwimmtrainer überaus erfolgreich beim SC DHfK Leipzig. Seine von ihm trainierte bekannteste Schwimmerin dürfte Kristin Otto, die 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul sechs Goldmedaillen erschwamm, gewesen sein.
Im Jahr 2000 erhielt Hetzer eine Geldstrafe über 15 000 Mark wegen Körperverletzung durch Doping, ohne Verhandlung, allein aufgrund vorliegender Beweise. Zu den Sportlerinnen, die er gedopt hat, gehörte nach Angaben der Justiz auch Kristin Otto. Hetzer musste zahlen, obwohl Otto erneut leugnete gedopt gewesen zu sein, bzw. jemals etwas davon gewusst zu haben, eine Haltung, die sie bis heute vertritt.
„Karen König, Kollegin aus der DDR-Nationalmannschaft, wusste den Kommissaren sogar detailliert zu berichten, dass Kristin Otto zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften 1986 in Madrid die Oral-Turinabol-Tabletten von Hetzer „genau wie ich in die Hand bekommen hat“. (der Spiegel, 11.09.2000)
Bereits 1990 hatte der ehemalige DDR-Schwimmtrainer Michael Regner in einem langen Bericht über seine Erfahrungen, den der Spiegel am 12.03.1990 veröffentlichte, erzählt, wie er sich 1989 mit Stafan Hetzer ausgetauscht hatte.
„Im Sportkomplex von Zachkadsor bewohnte ich im zweiten Stock des Hotels gemeinsam mit Stefan Hetzer, dem Trainer der sechsfachen Olympiasiegerin Kristin Otto, ein Zimmer. Zum erstenmal war ich im Kreis der Nationalmannschaft unterwegs. Und spätestens hier wurde mir endgültig klar, daß unsere Methoden aus Potsdam mit denen im gesamten DDR-Schwimmsport identisch waren.
Häufig haben wir während dieser Tage abends in unserem Zimmer zusammengesessen. Wir haben dann Musik gehört, und jeder hat dabei auf dem Tisch die Tabletten – Vitamine, Eisen und auch die „Blauen“ – für den nächsten Tag abgezählt. Stefan Hetzer war der einzige Kollege, mit dem ich offen über das Thema Doping reden konnte.
So erzählte er mir beispielsweise, daß seine beiden Parade-Schwimmerinnen, Kristin Otto und Silke Hörner (zweimal Gold in Seoul), im Zuge der allgemeinen Angst vor verschärften Kontrollen „erst mal bis zu den DDR-Meisterschaften sauber bleiben“ sollten. Vermutlich würden sie während des ganzen Jahres „nichts kriegen“ – denn je häufiger man diese Präparate benutze, um so höher müsse die Dosis beim nächsten Mal sein, damit überhaupt noch eine Wirkung erzielt werde. Lediglich seine jüngeren Sportler, erklärte er mir, sollten weiterhin am Zyklus beteiligt werden.“
1992 übernahm Stefan Hetzer eine Trainerstelle beim SV Wacker Burghausen, dessen Cheftrainer er auch 2012 noch ist. Er ist seit Jahren persönlicher Trainer von Christof Wandratsch.
Jopke, Ingolf
Ingolf Jopke war seit den 1970er Jahren Schwimmtrainer von Frauen und Mädchen beim SC Empor Rostock, dessen Vorsitzender er später wurde und bis heute ist. Jopke ist seit 1994 Präsident des Landesschwimmverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Während seiner DDR-Zeit trainierte er Peggy Büchse, Anja Eichhorst und Ralf Recke (rostock-sport, 2007).
1990 berichtete DDR_Schwimmtrainer Michael Regner im Spiegel über seine Erfahrungen mit Doping im DDR-Schwimmen. Zu dem Jahr 1989 schrieb er:
„So mußte ich etwa während des Höhentrainingslagers im mexikanischen Toluca, wo die unmittelbare Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Bonn stattfand, auch die Rostocker Schwimmerin Anja Eichorst betreuen. Vor dem Abflug klärte mich ihr Heimtrainer Ingolf Jopke über die Dosierung auf: Das Mädchen sollte am Tag bis zu zehn Milligramm schlucken. Das hielt ich für absoluten Wahnsinn und gab ihr während des Zyklus vom 7. bis zum 31. Juli die gleiche Menge wie den anderen Schwimmerinnen auch. (der Spiegel, 12.3.1990)
Lindemann, Dieter
Dieter Lindemann arbeitete nach Abschluss seines Sportlehrerstudiums mit Diplom an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) 1977 von 1977 bis 1991 beim SC Dynamo Berlin als Schwimmtrainer, verantwortlich für den Nachwuchs. 1991 erhielt er eine Stelle als Trainer beim Landessportbund Berlin, 1992 übernahm ihn der Deutsche Schwimmverband (DSV) als Bundesstützpunkttrainer Berlin und ernannte ihn 1996 zum Leitenden Stützpunkttrainer. 1997 wurde ihm wegen der erfolgten Dopinganklage gekündigt. Ab 1998 war er als freiberuflicher Trainer tätig, unter anderem beim SV Halle, wo er den Schwimmnachwuchs trainierte. Anfang 2003 starb Dieter Lindemann im Alter von 51 Jahren (Berliner Zeitung, 4.1.2003).
Dieter Lindemann war nach der Wende einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Schwimmtrainer. U. a. trainierte er Franziska van Almsick, Steffen Zesner und Cathleen Rund.
Lindemanns Einbindung in das DDR-Dopingsystem war im vereinten Deutschland kein Geheimnis. Die Diskussion um die Anstellung belasteter Trainer war in einigen Sportverbänden, insbesondere auch im Deutschen Schwimmverband virulent vorhanden, es siegte letztlich aber meist der Wunsch mit den umstrittenen Trainern an deren DDR-Erfolge anknüpfen zu können. Die meisten Trainer erhielten Verträge, so auch Dieter Lindemann. Er wurde zwar 1992 vom Landessportbund Berlin, Präsident Manfred von Richthofen, nicht weiter beschäftigt wegen unklarer Aussagen zu seiner Dopingvergangenheit, doch dem DSV genügte die Begründung des LSV nicht und stellte ihn selbst ein.
Vereinzelte Proteste waren wirkungslos geblieben. Manfred von Richthofen, auch Vizepräsident des Deutschen Sportbundes (DSB) und Vorsitzender der ad-hoc-Kommission, die 1991 einen Dopingbericht vorgelegt hatte, fand generell wenig Gehör. Er legte Anfang Dezember 1992 sein Amt als Mitglieder Jury zur Verleihung des Josef-Neckermann-Preises nieder. Die Jury hatte Jugend-Schwimmtrainer Dieter Lindemann ausgezeichnet. Von Richthofen:
„Ich sehe mich grundsätzlich außerstande, weiter in einem Gremium mitzuwirken, das eine Person wählte, die nach unseren Recherchen leider keine Gewähr dafür bietet, jederzeit für einen dopingfreien Sport einzutreten.“ (FAZ, 5.12.1992)
1997 holte Lindemann seine DDR-Vergangenheit wieder ein. Gegen ihn wurde in Berlin Anklage wegen Körperverletzung aufgrund von Minderjährigen-Doping erhoben (Berliner Zeitung, 8.10.1997). 1998 stand er gemeinsam mit den Sportärzten Bernd Pansold und Dieter Binus sowie den Schwimmtrainern Dieter Krause, Rolf Gläser und Volker Frischke, alle SC Dynamo Berlin, vor Gericht. Es war der erste Prozess dieser Art.
Hauptbelastungszeugin im Prozess gegen Lindemann 1998 war Sylvia Gerasch. Laut Anklage sollte Lindemann 1982 der damals erst 13jährigen Schwimmerin Anabolika verabreicht haben. Sylvia Gerasch, 1998 noch aktive Schwimmerin im bundesdeutschen Kader, tat sich vor Gericht sehr schwer und lieferte keine klaren Aussagen (die Zeit, 15.6.2000, Berliner Zeitung, 25.4.1998).
Lindemann hatte im Prozess selbst zu den Vorwürfen nichts ausgesagt. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Lindemann hatte ebenso wie Frischke vor Gericht von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und nichts zu den Vorwürfen ausgesagt. Frischke musste später als Zeuge unter Eid gestehen, dass Dopingmittel in der Hausapotheke des SC Dynamo Berlin bereit lagen und an die Sportlerinnen vergeben wurden. Das Verfahren gegen Lindemann wurde wegen „geringer Schuld“ gegen die Zahlung einer Geldbuße über 4.000 Mark eingestellt.
Lindemann hatte 1997 gegen die Entlassung durch den DSV geklagt. Im September 1999 gab ihm ein Berliner Amtsgericht Recht. Die Kündigung wurde für ungültig erklärt. Der DSV habe ihn bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung, längstens bis zum 31.12.2000 sein Gehalt zu zahlen.
„Die Vorsitzende Richterin sagte in ihrer mündlichen Begründung, ein Dopingverdacht gegen Lindemann habe bereits vorgelegen, bevor ihn der DSV eingestellt habe. Entsprechend sei ein Kündigung aus diesem Grund nicht möglich gewesen.“ (der Spiegel, 8.9.1999).
Ein vergleichbares Urteil erging im Falle Frischke.
Mothes, Eberhard
Eberhard Mothes war bereits in den 1970 Jahren Schwimmtrainer beim SC Karl-Marx-Stadt, Sektion Schwimmen. Hier trainierte er bis zur Wende einige international sehr erfolgreiche Schwimmerinnen und Schwimmer.
Nach der Wiedervereinigung fand er von 1990 bis 1998 eine Anstellung beim SV Gelnhausen 1924 (SVG Chronik)
1977 nahm Mothes als einer von 16 Trainern an einem Anabolika-„Großversuch“ teil, der unter Leitung von Prof. Dr. Rudolf Schramme, Lothar Kipke, Winfried Schäker und Dieter Binius stattfand. Betroffen waren 76 Sportler und Sportlerinnen darunter auch Minderjährige. Mothes kümmerte sich um Mädchen des SC Karl-Marx-Stadt. Ermittelt werden sollten u.a. die individuellen Anstiegs- und Abklingraten der Substanzen, das Verhalten des körpereigenen Testosteronspiegels und die Ermittlung der Leistungswerte.
1998 hatte die ehemalige Rekordschwimmerin Petra Kind, geborene Schneider, nöffentlich bekannt, Dopingmittel bekommen zu haben. 1999 gab sie Holger Schück ein Interview.
Petra Kind liebte ihr Sportlerinnen-Leben, aber nun ist sie krank, auch aufgrund der anabolen Steroide, die sie als Jugendliche bekam. Ihr Trainer war ab 1977 Eberhard Mothes.
„Eberhard Mothes hat mir und den anderen aus unserer Gruppe gesagt, sie dienten zur Leistungssteigerung und zum Muskelwachstum. „Macht euch keine Gedanken“, das hörten wir immer wieder. Wir bekamen keine Erklärungen über Inhaltsstoffe, auch nicht über Nebenwirkungen. Und auch unsere Eltern wurden nicht informiert. Meine Mutter hatte es dann gemerkt, daß mit mir so einiges nicht stimmte. Meine Stimme war tiefer geworden. Und wie all überall im DDR-Schwimmsport wurde uns dann gesagt: „Ihr sollt nicht singen, sondern schwimmen“. Die Antwort war damals die gängige Reaktion.“ …
Die Dosis dieser blauen Pillen wurde ständig erhöht, Mit zweien ging es los, dann gab es fünf bis sechs. Eberhard Mothes gab mir die Tabletten am Beckenrand.. Er steckte sie mir in den Mund. Das hatte sogar den Vorteil, daß ich einige davon ins Wasser spucken konnte. Unbemerkt natürlich. Ich habe auch das genau protokolliert.“
Petra Kind wusste nicht viel, aber sie ahnte, dass ihnen verbotene Mittel geben wurden und sie vermutet, dass dies auch die anderen Sportlerinnen so empfunden haben mussten. 1983 wurde sie ernsthaft krank. 1984 beendete sie ihre Karriere mit 21 Jahren. Mit Mothes will sie nichts mehr zu tun haben.
„Das habe ich ihm vor einiger Zeit schon mal klipp und klar ins Gesicht gesagt. … Der ist sich seiner Schuld nicht bewußt, absolut nicht.“ (Seppelt/Schück, Kinderdoping, S. 119 ff).
Im Jahr 2005 beantragte Petra Kind vom Deutschen Schwimmverband (DSV) die Streichung ihrer Rekorde (SID, 22.12.2005), was allerdings bis heute nicht erfolgt ist.
Ulrike Lebek, geborene Tauber, ist eine weitere Schwimmerin, die sich dazu bekannte, gedopt worden zu sein. Eberhard Mothes war auch ihr Trainer in den 1970er Jahren.
„Ich fühle mich von niemandem geschädigt. Zum Glück bin ich von Nebenwirkungen weitestgehend verschont geblieben. Ich hatte damals zeitweise eine tiefe Stimme, die Periode ist schon mal ausgeblieben. Aber ich habe zwei gesunde Kinder. In den 80er Jahren müssen die Mittel und Dosierungen noch viel schlimmer gewesen sein. … Wir bekamen jeden Tag ein Häufchen Tabletten: Vitamin A, B und C, Calcium und so weiter. Eines Tages waren eben zwei türkisblaue dabei. Erst hat man sie kommentarlos genommen, und als man fragte, sagten sie: Nimm sie, die sind gut für dich. Dadurch erholst Du dich schneller. Ich hatte nie das Gefühl, daß ich etwas Falsches tue. Erst in meinem Medizinstudium habe ich gelernt, welche haarsträubenden Dinge mir da verabreicht wurden.“ (Berliner Zeitung, 19.08.1997, mz-web.de, 22.08.1997)
Der DSV hat nie nachgefragt. Doch auch der DSB hielt sich zurück. Der Spiegel schrieb über Renate Bauer, die 1991 vor „ad-hoc-Kommission“ des Deutschen Sportbundes (DSB) Namen genannt hatte:
„“Es wurde viel mit uns experimentiert“, sagte die 36jährige den DSB-Vertretern; manchmal sei sie sich wie ein Versuchskaninchen vorgekommen. Anschließend nannte die Olympia-Zweite von 1972 die verantwortlichen Ärzte und Betreuer: „Einer der schlimmsten Trainer war Rolf Gläser.“ Ins Doping verwickelt, so gab sie zu Protokoll, seien neben anderen auch „Neumann, Frischke, Mothes und Lutz Wanja“ gewesen. Die anklagenden Aussagen der Brustschwimmerin wurden sorgfältig protokolliert und wanderten ins Archiv des DSB – wo sie fast sieben Jahre unter Aktendeckeln ruhten.“ (der Spiegel, 15.06.1998)
Neumann, Uwe
Uwe Neumann studierte in den 1960er Jahren an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig Sport mit Abschluss Diplomsportlehrer. Viele Jahre trainierte er Schwimmerinnen des SC Einheit Dresden, u. a. Ulrike Richter und Rica Reinisch.
Neumann ist von 1974 bis 1989 als informeller Mitarbeiter IM ‚Holbert’geführt. Ausführlich berichtete er über „Athleten, Trainer, Betreuer, Physiotherapeuten oder Eltern von Sportlern … von „Vorkommnissen“ bei internationalen Wettkampfreisen und war natürlich auch Berichterstatter in Sachen „Unterstützende Mittel“. “ Neumanns Trainingsgruppe war Teil des DDR-Dopingprogramms im Schwimmen.
Nach der Wende profitierte er 1991 mittels der DSV-Aktion der Trainererklärungen. Am Olympiastützpunkt Leipzig erhielt der DDR-Erfolgstrainer ab Oktober 1994 eine neue Stelle als Honorartrainer des DSV. 1994 geriet er jedoch in Zusammenhang mit den Äußerungen der ehemaligen Schwimmerin Rica Reinisch unter Verdacht, so dass zumindest einige Medienvertreter nachfrugen. Neumann bestritt alle Vorwürfe. Der DSB fand auch keine Anhaltspunkte für früheres aktives Doping, so dass Neumann seine Stelle antreten konnte. (FAZ, 19.11.1994)
1997 folgte nach Bekanntwerden seiner Stasiakten und damit erwiesener Stasitätigkeit seine Entlassung. Er wurde jedoch sofort vom SC Riesa (Sachsen) übernommen und konnte so seine Topathleten Katrin Jäke und Jens Kruppa, die ihm folgten, weiter trainieren. 1999 musste er einen Strafbefehl verbunden mit einer Geldbuße über 8 000.- DM wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch Doping an Minderjährigen in neun Fällen entgegen nehmen. Das jüngste von ihm gedopte Kind war 10 Jahre alt gewesen. Neumann soll jetzt während der Vernehmungen gestanden haben. (Seppelt, Stück, Kinderdoping, S. 307 ff)
Aus dem Jahr 1977 liegt ein handschriftlicher Stasi-Bericht vor, mit dem IMS ‚Rolf‘ (Lothar Kipke) detailliert einen Anabolika-Großversuch in der DDR-Schwimmnationalmannschaft beschreibt. Betroffen waren 28 Mädchen und Frauen und 48 Männer. 11 Sektionsärzte sowie die Cheftrainer und Trainer der ausgewählten Trainingsgruppen waren einbezogen. Ermittelt werden sollten u.a. die individuellen Anstiegs- und Abklingraten der Substanzen, das Verhalten des körpereigenen Testosteronspiegels und die Ermittlung der Leistungswerte. Beteiligt an den Versuchen waren neben Neumann die Trainer Warnatzsch, Gläser, Krause, Hübner, Sack, Vorpagel, Herberg, Leopold, Rosenkranz, Freyer, Fricke, Henneberg. (Spitzer, Doping, S. 282ff, siehe auch der Spiegel, 18.8.1997)
Ende der 1990er Jahre ging Rica Reinisch in die Offensive und sagte als Nebenklägerin im Prozess gegen Manfred Ewald und Manfred Höppner aus. 1997 erklärte sie öffentlich:
„Man muß sich das mal vorstellen: Als 14jähriger hat mir mein Trainer Uwe Neumann die blauen Anabolikapillen Oral-Turinabol verabreicht – mit dem Hinweis, „Komm Mädel, schluck mal diese Vitamine, dann regenerierst du besser. …
Zwei Jahre später, also 1981, mußte ich wegen chronischer Eierstockentzündung ins Krankenhaus. Der Arzt war entsetzt über meinen hohen männlichen Hormonspiegel. …
Meine Mutter ist daraufhin zu Uwe Neumann in die Schwimmhalle und hat ihn zusammengeschrien. Aber der hat weiterhin nur von „Vitaminen“ gesprochen. …
Ich habe keine Ahnung, wieviel Schindluder mit uns getrieben wurde, ich weiß nur, daß ich eine Liste von Beschwerden mit mir herumschleppe. Im Augenblick leide ich gerade wieder unter einer Herzmuskelentzündung, und obwohl ich wissenschaftlich korrekt abtrainiert habe, plagen mich ständige Extrasystolen. Es ist ungeheuer schwierig, meine multiplen Beschwerden zu behandeln, weil meine medizinische Akte aus den Jahren 1978 bis 1982 vernichtet wurde.“ (focus, 21.04.1997)
In Verbindung mit dem Prozess im Jahr 2000 wird Rica Reinisch wie folgt zitiert:
„“Entweder Du bekommst die Spritze, oder vier Jahre Training sind umsonst.“ Dieser Satz ihres Trainers hat sich Rica Neumann-Reinisch eingebrannt. Gesprochen wurde er am 19. September 1980, am Tag der Staffel-Vorläufe der Olympischen Spiele. Auf Grund zahlreicher gesundheitlicher Probleme hatte sich die damals 15- jährige Dresdner Schwimmerin entschlossen, keine Tabletten und Spritzen mehr über sich ergehen zu lassen. Mit dem Entweder-Oder-Satz wurde sie von Coach Uwe Neumann unter Druck gesetzt. Als dreimalige Olympiasiegerin schied Rica Reinisch von den Spielen zwar überaus erfolgreich, doch für ihr weiteres Leben hatten die Tage von Moskau prägende Wirkung. Rica Neumann-Reinisch gehörte am Dienstag zu den vier Nebenklägerinnen, die vom Berliner Landgericht zu ihren gesundheitlichen Schäden im Top-Prozess um das systematische DDR- Doping befragt wurden. „Als ich schliesslich knapp zwei Jahre später meine Laufbahn beendete, war ich das böse Mädchen. Ich wurde einfach fallen gelassen“, berichtete die heute 35-Jährige. Ein De-facto-Berufsverbot als Lehrerin sei eine der Konsequenzen gewesen.“ (svl.ch, 24.5.2000)
Zum Nachteil gereichten Uwe Neumann diese Aussagen und der Strafbefehl nicht. Seine Athleten hielten weiter zu ihm und auch der DSV tat sich über die Jahre schwer mit eindeutigen Stellungnahmen zu seinen Doping belasteten Trainern. So war Neumanns Anwesenheit (wie die anderer Trainer auch) bei Großveranstaltungen auch nach seiner Entlassung durchaus gern gesehen (Seppelt/Schück, Kinderdoping, S. 310ff, der Spiegel, 5.1.1998, Berliner Zeitung, 28.7.1999, Tagesspiegel, 4.8.2001). Im Jahr 2000 war Uwe Neumann dann wieder soweit offiziell anerkannt, dass der DSV ihm ein Trainingslager finanzieren konnte (Berliner Zeitung, 21.6.2001).
Ab dem Jahr 2009 wechselte Neumann von Riesa wieder nach Dresden. Am Landesstützpunkt des Landessportbundes Sachsen erhielt er eine Anstellung.
2011 ging er in den Ruhestand:
„Während der sächsischen Landesmeisterschaft wurde unter starken Beifall von Sportlern, Trainern, Funktionären, Kampf- und Schiedsrichtern Uwe Neumann – einer der erfolgreichsten Trainer der letzten vier Jahrzehnten – vom Präsidenten des sächsischen Schwimmverband e.V., Dr. Wolfram Sperling, in den Ruhestand verabschiedet. Er wird, so versicherte Uwe Neumann, mit seinem enormen Wissen und seiner trainingsmethodischer Erfahrung in der „zweiten Reihe“ im Dresdner Schwimmsport weiter tätig sein. Dazu wünschen wir ihm alles Gute, viel Erfolg und vor allem Gesundheit. (lsv-sachsen.de, 7.8.2011)
Regner, Michael
Michael Regner war seit 1978 Trainer beim ASK (Armeesportclub) Potsdam. Im August 1989 flüchtete er über Ungarn in den Westen. Er fand eine Trainingsstelle beim EOSC Offenbach, dem Klub von Olympiasieger Michael Groß, ging dann aber nach Neuseeland. Ab Oktober 1993 begann er als Trainer beim SSC Germania Braunschweig.
Michael Regner verließ die DDR 1989, kurz vor deren Ende. Im Spiegel, 11/1990 berichtete er ausführlich über seine Erfahrungen, u.a. wie Arzt Dr. Jochen Neubauer ihn in das System integrierte. 1987 betreute Regner 2 junge hochtalentierte Schwimmerinnen (12 und 14 Jahre alt).
„Elf Jahre lang habe ich bei einem Armeesportklub gearbeitet. Ich war Offizier, obwohl ich im Grunde nie Offizier werden wollte. Alles, was ich anstrebte, war ein Sportstudium und der Posten eines Trainers. Weil sich dieses Ziel bei der Nationalen Volksarmee jedoch schneller erreichen ließ als auf zivilem Weg, habe ich die Uniform in Kauf genommen. …
Ich war damals, im Juni 1987, für eine Gruppe von 12- bis 14jährigen Schwimmerinnen verantwortlich. Unter ihnen hatte ich zwei Mädchen mit überdurchschnittlichem Talent entdeckt: Grit Müller und Diana Block. Beide waren zwar erst 13 Jahre alt, schwammen aber schon so schnell, daß sie bei der Jugend-Europameisterschaft in Rom an den Start gehen sollten….
„Paß mal auf“, sagte der Arzt, „hier sind ein paar Pillen drin. Red da mal nicht drüber und gib denen, die zur Europameisterschaft fahren, pro Tag eine halbe Tablette. Du wirst sehen, das ist gut so.“
In dem Umschlag waren zwölf blaue Tabletten, rund, etwa vier Millimeter lang. Jeweils eine halbe davon sollte ich den Schwimmerinnen während der nächsten zwölf Tage verabreichen – „und zwar am besten so, daß sie nichts davon merken“, wie Dr. Neubauer betonte. …
Schließlich klärte er mich noch über mögliche Nebenwirkungen auf. „Die Mädels“, meinte er, würden durch diese Tabletten vermutlich „ein bissel lustiger“ werden, und sollte eine Sportlerin zudem „über Verspannungen klagen“, so müsse ich eben mal einen Tag mit der „Gabe“ aussetzen. … Ich hatte mir damals einfach gedacht: Die Mädchen kriegen ja ohnehin schon eine Unmenge von diesem Pillen-Zeug – und jetzt kriegen sie eben eine Sorte mehr. Eine Sorte, die man halt nur vor dem Wettkampf nimmt. Heute weiß ich, daß dies nur die halbe Wahrheit war.
Denn als ich den beiden 13jährigen damals eine neue Sorte in die Flasche mischte, habe ich sie gedopt – ohne daß es mir und ihnen bewußt war. Ich habe ihnen ein Anabolikum verabreicht. Es heißt Oral-Turinabol. … Daß solche Mittel im DDR-Sport verwendet werden könnten, hielt ich damals für undenkbar. … Die nächste Lektion bekam ich Ende September 1987. Wieder bat mich Jochen Neubauer in sein Zimmer. Er legte ein vorgefertigtes DIN-A 4-Blatt auf den Tisch. Ich hätte ja mitbekommen, meinte der Arzt, „daß wir da bestimmte Sachen machen, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit gehören“. Und da ich jetzt eine feste Größe in der Konzeption des ASK Potsdam sei, würde er mich „bitten, das hier mal eben zu unterschreiben. Die entsprechenden Informationen bekommst du noch von mir“.
Auf dem Formular stand dem Inhalt nach folgendes: Hiermit wird der Unterzeichner darauf aufmerksam gemacht, daß alles, was im Zusammenhang mit den „Unterstützenden Mitteln“ (UM) steht, der strengsten Geheimhaltung unterliegt. Ein Verstoß gegen diese Geheimhaltungsvorschriften wird bestraft.
Ich wollte wissen, was UM zu bedeuten hat, doch ich bekam keine Antwort. Ich habe das Formular dennoch sofort unterschrieben, weil ich im Hochleistungssport weiterarbeiten wollte. Das Gespräch hat nicht einmal zehn Minuten gedauert.
Vier Wochen später erklärte mir Jochen Neubauer den Begriff UM. Dies sei lediglich „ein Beitrag von medizinischer Seite, der die Sportler belastungsverträglicher macht und auch psychisch ein bißchen lockerer“.
Ende Oktober wurde mir der Posten des Trainers für die weibliche Spitzengruppe des ASK Potsdam angedient. Dazu gehörten neben Grit Müller und Diana Block noch Katrin Gronau, Heide Grein, Corinna Meyer, Franziska Zietemann und Andrea Koch. Ich war nun dafür verantwortlich, möglichst vielen von ihnen die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1988 in Seoul zu ermöglichen. … Zum erstenmal erhielt ich nun die Tabletten nicht mehr in einem Briefumschlag, sondern original verpackt. …
In der Tat konnte ich dann beobachten, daß auch die Trainer der männlichen Gruppen, Jürgen Höfner und Lutz Wanja, das Büro des Arztes mit denselben Medikamentenschachteln verließen wie ich. Solche Kurzbesuche in Zimmer 131 wurden fortan zu einer Selbstverständlichkeit – wenn ein Zyklus begann, wurden wir reingerufen, dann gab es dieses Zeug. Für die älteren Sportler gehörten die Anabolika ohnehin längst zum Alltag. …
So spielte sich während des Zyklus in der Potsdamer Schwimmhalle zur Vorbereitung auf den Europacup 1987 eine merkwürdige Zeremonie ab. Gemeinsam trainierten fünf Gruppen in dem 50 Meter langen und 15 Meter breiten Becken. Jede Gruppe hatte einen eigenen Trainer. Als die Schwimmer ihr Pensum absolviert hatten, bauten die Trainer um das Becken herum jeweils einen quadratischen Tisch auf. Jede Gruppe mußte nun bei ihrem Betreuer anstehen, um sich – so die offizielle Version – ihre „Vitamine“ abzuholen.
Ich war zu dieser Zeit für acht Sportlerinnen verantwortlich – auf meinem Tisch also hatte ich acht Häufchen mit verschiedenen Vitaminen, Eisen und Kalium-Magnesium zusammengestellt. In meiner Umhängetasche auf dem Boden befand sich zudem ein Medizinfläschchen mit Oral-Turinabol-Tabletten. Sie durften nicht auf den Tisch gelegt werden, sondern mußten sofort und möglichst unauffällig geschluckt werden. Die Übergabe erfolgte deshalb in Form eines beherzten Händedrucks.
Die Schwimmerinnen streckten mir nacheinander ihre Handflächen entgegen, die Innenseite nach oben gekehrt. Dann reichte ich jeder einzelnen meine Rechte und übergab so die „Blauen“. Die Mädchen schlossen ihre Hand zur Faust und führten sie zum Mund. Einmal hatte ich vergessen, Grit Müller ihre Tablette in die Hand zu drücken. Sie blieb einen Moment am Tisch stehen und sagte dann: „Herr Regner, da fehlt noch was.“ … Zudem durfte kein Trainer vom anderen wissen, wieviel er welchem Sportler gibt. Denn die wirkungsvolle Versorgung der Sportler mit Anabolika garantiert den Erfolg und mithin die Reputation jedes Trainers – an diesem Punkt hört die Kollegialität auf. … „
[und noch vieles mehr]
Rudolph, Dr. Klaus
Dr. päd. Klaus Rudolph war von 1964 bis 1990 Sportlehrer an der Kinder und Jugend Sportschule Rostock. Er arbeitete in den 1970er Jahren für den
‚Armee Sportklub (ASK) Vorwärts Rostock‘ als Cheftrainer und übernahm als Verbandstrainer Junioren beim Deutschen Schwimmsportverband (DSSV) der DDR für wenige Jahre die Ausbildung des Jugend-EM-Kaders. 1983 wechselte er als Cheftrainer zu seinem alten Sportclub ‚SC Empor Rostock‘. Er ist Experte für Trainingsmethodik und Leistungsdiagnostik.
Nach der Wende ging er für ein Jahr nach China als Verbandstrainer Schwimmen Männer und Frauen.
Von 1991 bis 2005 (Ruhestand) arbeitete er in Kiel als „Leiter der Abteilung Trainingswissenschaften am Olympiastützpunkt (OSP) Hamburg/Kiel“ mit den Schwerpunkten „Anthropometrie, Diagnostik und Training der konditionellen Fähigkeiten“. Zudem gehörte er dem „Topteam des DSV“ an, war an der „Erarbeitung von Rahmentrainingsplänen des DSV“ beteiligt und als „Lehrreferent Schwimmen des DSV“ tätig.
Nach 2005 arbeitete er bis Mai 2008 als Lehrwart in Mecklenburg-Vorpommern, danach als persönlicher Berater innerhalb des Deutschen Schwimmverbandes und Ausbilder der A-Trainer.
Klaus Rudolph war bereits 1986 in China. Ihm war die Aufgabe zugeteilt worden das Trainingsprogramm für die chinesischen Top-Schwimmerinnen zu entwickeln. Grit Hartmann schreibt hierzu:
„Eine Athletin berichtete über seine Hinterlassenschaft: „Sein Training brachte Muskelzuwachs … wir konnten plötzlich in sechs Monaten so viel trainieren wie zuvor in einem Jahr.“ Das Zitat entstammt dem Buch einer chinesischen Soziologin, die untersucht hat, wie Dopingpraktiken ins Reich der Mitte gelangten. Quian Hong war 1992 eine von vier chinesischen Olympiasiegerinnen, die wie aus dem Nichts auftauchten. In den Folgejahren brachten es Chinas Schwimmerinnen auf über 40 positive Proben – mehr als der Rest der Welt zusammen.“ (Müller/Hartmann, Vorwärts und vergessen, S. 219, s.a. doping-archiv.de-Dossier China)
Ende der 1990 Jahre wurde gegen Rudolph wegen Verdachts auf Körperverletzung ermittelt. Er leugnete nicht.
„Bereits am 19. April 1999 hatte er bei seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Berlin eingeräumt, als Vorgesetzter der Vereinstrainer für die Durchführung des staatlich verordneten Anabolika-Programmes und damit für „Körperverletzungen der Schwimmer und Schwimmerinnen“ verantwortlich gewesen zu sein.“
Rudolph habe die Ausgabe und Einnahme der Tabletten überwacht. Von einem Strafbefehl aufgrund der Vorwürfe ist (mir) nichts bekannt, von einer entsprechenden Diskussion innerhalb des deutschen Sports ebenfalls nichts.
Wieder oder erst (?) 2002 wird Rudolphs Rolle innerhalb des Dopingsystem der DDR kurz öffentlich thematisiert. Politiker fordern eine Überprüfung des geschätzten Trainingsberaters. (die Welt, 07.01.2002) Konsequenzen scheint es nicht gegeben zu haben.
Im Zuge der Diskussion rund um die Olympischen Spiele 2008 in Seoul um ehemalige DDR-Trainer, die in das Dopingsystem der DDR aktiv eingebunden waren, geriet auch Klaus Rudolph in die Schusslinie. (>>> der Fall Werner Goldmann und die Folgen). Der DSV ging danach angeblich auf Distanz zu dem Lehrwart des Landesschwimmverbandes von Mecklenburg-Vorpommern Rudolph, dessen Präsident Ingolf Jopke für Rudolph eintrat und im „exzellente Arbeit“ bescheinigte. Jopke und Rudolph waren in früheren Jahren gemeinsam Teil des Trainerstabes des ‚SC Empor Rostock‘. Der DSV kündigte an, Rudolphs ehrenamtlich Tätigkeit in der Ausbildung von A-Trainern zu beenden. (TAZ, 16.01.2009)
Im Jahr 2011 war der Leistungstheoretiker Rudolph jedoch innerhalb des DSV immer noch als Schwimmsport-Lehrreferent und damit für die Ausbildung der A-Trainer tätig (DSV, Referat Lehrwesen/Schwimmen). Seine Meinung ist gefragt (Rudolph: Talentförderung – Eltern – Eliteschulen) und Einfluss auf das Gerangel im verbandsinternen Beziehungensgeflecht scheint er auch zu haben (die Welt, 20.10.2011).
Tanneberger, Jürgen
Jürgen Tanneberger, Diplomsportlehrer, arbeitete ab 1968 als Schwimmtrainer beim SC Magdeburg. Im August 1971 stieg er zum Cheftrainer auf. Von Mitte Februar 1982 bis 1990 war er Verbandstrainer der Frauen und damit eingebunden in die Verbandskonzeption der DDR-Schwimmerinnen und Schwimmer.
1991 ging Tanneberger auf Empfehlung des ehemaligen Schwimmwartes des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) und Funktionär im Europäischen Schwimmverband, Rainer Wittmann, nach Düsseldorf zum Schwimm-Clubs Jan Wellem. Zuvor war ihm bei der internen Überprüfung des DSV auferlegt worden, vorläufig keine Aufgaben im und für den DSV zu übernehmen. Die Anstellung in Düsseldorf führte dazu, dass im Februar 1992 Cheftrainer Thomas Nuyen und im März die Trainerinnen Anne und Tanja Kreise des DSC Jan Wellem zurück traten.
2002 kehrte er nach Berlin zurück. 2009 übernahm er als 65jähriger beim Schwimmclub Berlin als Sportwart ehrenamtlich das Training von Kindern.
Jürgen Tanneberger war seit 1969 für die Stasi als IM, später IMS „Klaus Busch“ aktiv. Aus dem Jahr 1970 liegt ein Bericht vor, in dem er über den Cheftrainer Schwimmen berichtete, der um Ablösung bat, da er nicht bereit war die geforderte Trainingsleistung durchzusetzen. Angesetzt waren 30 Stunden pro Woche, ein Trainingsumfang, der bei den Aktiven auf Widerstand gestoßen war und der nur mit Doping zu erreichen war. „Klaus Busch“: „Beim Cheftrainer vermißt man die richtige Konsequenz und den revolutionären Schwung, bestimmte Maßnahmen in die Tat umzusetzen.“ (Spitzer, Doping in der DDR, S. 163). Er soll rund 600 Berichte verfasst haben, unter anderem politische Einschätzungen über 14 und 16 Jahre alte Schwimmerinnen. (Seppelt/Schück, Kinderdoping)
Tanneberger bezeichnete sich 1976 selbst in einem Bricht an das Ministerium für Staatssicherheit als zum „Kreis der Personen mit Kenntnissen dieser Dinge (UM)“ beim SC Magdeburg“ gehörend (sid, 4.09.1998). Über seine Berichte wurde auch Dr. Eberhard Köhler mit Dopingaktivitäten in Verbindung gebracht.
Jürgen Tanneberger kümmerte sich während seiner Trainerlaufbahn überwiegend um minderjährige Schwimmerinnen. Dabei wurden ihm Nebenwirkungen der Anabolikagaben bekannt. So hat er 1976 an das Ministerium für Staatssicherheit über den Fall einer Schwimmerin aus dem Olympiakader berichtet: „“Die unterstützenden Mittel haben bei ihr Veränderungen in der Gebärmutter hervorgerufen. Sie könnte keine Kinder bekommen.“ Er berichtete zudem über Vorfälle wonach Eltern etwas über den Einsatz ‚unterstützender Mittel‘ erfahren hätten, und sie sich nun „Sorgen über die Gesundheit ihrer Kinder“ machen würden.
1973 erlebte er den Tod des 16 jährigen Schwimmers >>> Jörg Sievers mit. Es sind jedoch zu diesem Fall zwischen August 1972 und März 1973 keinerlei Aufzeichnungen und Unterlagen, weder von IM „Klaus Busch“ noch anderen vorhanden, obwohl die Auflage bestand, jegliche Todesfälle an den SMD zu melden. Jörg Sievers Name wurde vollständig aus allen Akten gelöscht. (Seppelt/Schück, Kinderdoping, S. 157ff)
1999 verurteilte das Berliner Landgericht Trainer Tanneberger, 56 Jahre alt, Generalsekretär Egon Müller (73) und Chefverbandstrainer Wolfgang Richter (62) zu je einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung, eine hohe Strafe im Vergleich zu den anderen Verfahren. Tanneberger waren 47 Fälle von Körperverletzung durch Dopen zur Last gelegt worden.
„Alle drei Angeklagten hatten laut Urteil organisatorisch am Doping mitgewirkt. Den Schwimmerinnen oder deren Eltern wurde gesagt, dass es sich bei den verabreichten blauen Pillen nur um harmlose Vitamine handele. Aber alle diese Zahlen sind abstrakt, weil sie lediglich jene Fälle registrieren, die tatsächlich ermittelbar waren. Wie viel die Mädchen tatsächlich schlucken mussten, welche individuellen körperlichen Schäden darauf zurückzuführen sind die ehemaligen Schwimmerinnen werden es wohl niemals erfahren.“ Tanneberger entschuldigte sich zumindest formal: „“Es tut mir leid, wenn irgendwelche Sportlerinnen durch meine Tätigkeit zu Schaden gekommen sind“. (Berliner Zeitung, 23.12.1999)
Tanneberger stieß 2009, als er zum Trainer des Schwimmclubs Berlin wechselte, auf Widerspruch und Proteste einiger Eltern. Er ist allerdings nicht der erste EX-DDR-Trainer im Verein. Der Club wird von Gerd Eßer geleitet, der ebenfalls Teil des DDR-Dopingsystems war. Tanneberger wies die Kritik zurück und berief sich auf seine frühere Entschuldigung zudem leugnete er jegliches aktive Doping:
„Der Hochleistungssport ist für mich seit dem Ende der DDR tabu. Heute lehre ich die Kinder lediglich die Schwimmtechniken.“ „Ich war nur politisch verantwortlich, weil ich von der Dopingkonzeption im DDR-Schwimmsport wusste. Es trifft zu, dass ich nichts dagegen unternommen habe. Das bereue ich heute.“ „Ich habe mich im Gerichtssaal bei den Leuten entschuldigt, ich habe damit abgeschlossen.“
Nun behauptete er zudem, er habe nichts über die gesundheitlichen Gefahren des Dopings gewusst:
„Der Stasi Informationen zu liefern, dies sei für ihn „damals eben so üblich gewesen im Leistungssport. Ich war überzeugt von dem Staat.“ Aber über schädliche Nebenwirkungen der „unterstützenden Mittel“ habe er „nicht Bescheid gewusst. Dies ist die Sache der Mediziner gewesen.“ Vermännlichungserscheinungen wie die breiten Kreuze, tiefen Stimmen und zunehmende Körperbehaarung sind dem DDR-Elitetrainer nicht aufgefallen: „Wenn man die Mädels ständig um sich hatte, gewöhnte man sich daran.“ (Thomas Purschke in TAZ, 10.08.2009, die Welt, 07.08.2009)
Wanja, Lutz
www.spiegel.de/spiegel/print/d-13498132.htmlIm Oktober 1997 gestand Schwimmer Jörg Hoffmann, von seinem Trainer Lutz Wanja 1988 3 Wochen lang mit Oral-Turinabol gedopt worden zu sein. Danach habe er sich dem widersetzt.
„Am Freitag erklärte Jörg Hoffmann im SFB-Fernsehen, er sei 1988 erstmals mit den „blauen Pillen“, so die Umschreibung für das rezeptpflichtige Anabolikum Oral-Turinabol, konfrontiert worden. Damals trainierte er bei Lutz Wanja im Armeesportklub (ASK) Vorwärts Potsdam und qualifizierte sich hinter seinem Klubgefährten Uwe Daßler über 1500 m Freistil für Olympia in Seoul. …
Er habe „das Medikament“ Oral-Turinabol in der Vorbereitung auf Seoul im Sommer 1988 nur über einen Zeitraum von drei Wochen erhalten, sagte Hoffmann. Als er erfuhr, daß es sich um ein Dopingmittel handelt, habe er die Einnahme verweigert. Zwei Tage zuvor hieß es noch: „Es war immer ein Politoffizier in der Nähe. Wenn ich als einziger in der Mannschaft gesagt hätte, ich nehme es nicht, hätte man wohl auf mich verzichtet. …
Jörg Hoffmanns Aussagen sind durchaus widersprüchlich. Er sagt, Kinderdoping sei „eine Schweinerei“, gleichzeitig aber nimmt er seinen Potsdamer Sportarzt Jochen Neubauer in Schutz. Gegen Neubauer ermittelt die Staatsanwaltschaft. Dem Mediziner droht wegen des Dopings an Minderjährigen der Entzug seiner Approbation.Hoffmanns Sätze werden kurz vor den ersten Doping-Prozessen in einer allgemeinen Situation der Lüge, der Hysterie und des Mißtrauens wie eine heiße Ware gehandelt. Da komme, glaubt Hoffmann, „vieles verfälscht rüber“. (Berliner Zeitung, 4.10.1997, (Berliner Zeitung, 13.1.1998, Berliner Zeitung, 16.6.2000)
Siehe auch den autobiografischen Bericht des Trainers Micharl Regner im Spiegel vom 11.3.1990: »Gib das mal den Mädels«
„In der Tat konnte ich dann beobachten, daß auch die Trainer der männlichen Gruppen, Jürgen Höfner und Lutz Wanja, das Büro des Arztes mit denselben Medikamentenschachteln verließen wie ich. Solche Kurzbesuche in Zimmer 131 wurden fortan zu einer Selbstverständlichkeit – wenn ein Zyklus begann, wurden wir reingerufen, dann gab es dieses Zeug. Für die älteren Sportler gehörten die Anabolika ohnehin längst zum Alltag.“
Für Wanja ergaben aus den Enthüllungen keine Konsequenzen. Die Angelegenheit verebbte. 1993 wurde ihm zudem zusammen mit anderen Trainern erneut Absolution erteilt. Der DSB hatte eine Kommission unter Leitung von Hans Evers eingerichtet, die nach etlichen Anhörungen zu dem Schluss kam, dass den Trainern Dieter Lindemann, Lutz Wanja, Bernd Henneberg, Volker Frischke, Winfried Leopold und Günter Baumgart für ihre zukünftige Trainertätigkeit eine günstige Prognose gestellt werden könne.
Am 1. Februar 1993 wurden alle verbliebenen Zweifel vor der Kommission ausgeräumt. Dieter Lindemann, Lutz Wanja, Bernd Henneberg, Volker Frischke, Winfried Leopold und Günter Baumgart konnten auf Empfehlung der Kommission weiterbeschäftigt werden wenn auch unter Auflagen, allerdings „über das Ausmaß der „strengen Auflagen“ machte Evers am Donnerstag abend in Frankfurt ausdrücklich keine Angaben.“ (FAZ, 12.2.1993) Laut Spiegel soll dabei Dieter Lindemann vor dem DSB jegliches Doping zu DDR-Zeiten abgestritten haben (der Spiegel, 21.6.1993).
Der DSV hat nie nachgefragt. Doch auch der DSB hielt sich zurück. Der Spiegel schrieb über Renate Bauer, die 1991 vor „ad-hoc-Kommission“ des Deutschen Sportbundes (DSB) Namen genannt hatte: „“Es wurde viel mit uns experimentiert“, sagte die 36jährige den DSB-Vertretern; manchmal sei sie sich wie ein Versuchskaninchen vorgekommen. Anschließend nannte die Olympia-Zweite von 1972 die verantwortlichen Ärzte und Betreuer: „Einer der schlimmsten Trainer war Rolf Gläser.“ Ins Doping verwickelt, so gab sie zu Protokoll, seien neben anderen auch „Neumann, Frischke, Mothes und Lutz Wanja“ gewesen. Die anklagenden Aussagen der Brustschwimmerin wurden sorgfältig protokolliert und wanderten ins Archiv des DSB – wo sie fast sieben Jahre unter Aktendeckeln ruhten.“ (der Spiegel, 15.06.1998)
Warnatzsch, Norbert
Norbert Warnatzsch, geboren 1957, war in seiner Jugend erfolgreicher Moderner Fünfkämpfer. Ab 1969 arbeitete er als Nachwuchstrainer beim SC Dynamo Berlin. Hier übernahm er nach seinem Sportstudium an der Hochschule für Körperkultur und Sport Leipzig 1976 weitere Traineraufgaben. Dem Verein blieb er bis nach der Wende, umbenannt in SC Berlin, treu. 1980 betreute er Jörg Woithe bei dessen Olympiasieg.
1991 übernahm er für kurze Zeit das Training der indonesischen Nationalmannschaft bevor er 1992 Cheftrainer bei der SG Neukölln (Berlin) wurde. 2004 ging er als Leitender Trainer Schwimmen an den Olympiastützpunkt Berlin. 2002 nahm ihn der DSV zum ersten Mal in den Trainerstab der deutschen Nationalmannschaft auf. 2002, 2006, 2007, 2008 und 2009 wurde er jeweils Deutscher Schwimmtrainer des Jahres. Seine erfolgreichsten von ihm trainierten Schwimmerinnen sind Franziska von Almsick und Britta Steffen, die er auch 2012 betreut. 2012 ist Norbert Warnatzsch Trainer und Ehrenmitglied des SC Neukölln.
Warnatzsch fand im Gegensatz zu anderen erfolgreichen Trainern direkt im Anschluss an die Wende keine Anstellung im DSV. Nach seiner Rückkehr aus Asien konnte er jedoch beim SG Neukölln eine erfolgreiche Trainerkarriere starten. 1997 wurde er wie viele andere staatsanwaltlich überprüft. Zur selben Zeit hatten einige Dutzend Eltern vom Verein Mitspracherecht bei der Anstellung von Trainern gefordert. Sie misstrauten Trainern, die im Verdacht standen Minderjährige gedopt zu haben (Müller/Hartmann, Vorwärts und vergessen, S. 218).
„Sein Verfahren wurde wegen „geringer Schuld“ eingestellt, doch damit reagierte das Gericht lediglich darauf, dass Warnatzsch eine „schwere Körperverletzung“, also Minderjährigendoping, nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Justizsprecher Matthias Rebentisch sagte seinerzeit, dass sich der Tatverdacht gegen Warnatzsch „zumindest teilweise bestätigt“ habe, jedoch sei ein Großteil der betroffenen Sportler zum Zeitpunkt der Einnahme der in der DDR „unterstützende Mittel“ genannten Anabolika bereits volljährig gewesen. Zudem soll es sich ausschließlich um Fälle gehandelt haben, in denen männliche Sportler gedopt worden seien, die wohl keine körperlichen Schäden erlitten hätten. Das heißt: Das Gericht bestätigt, dass Warnatzsch Dopingmittel weitergegeben hat – an erwachsene Sportler.“ (TAZ, 16.01.2009)
Bekannt ist Warnatzsch Teilnahme an einem Anabolika-Großversuch 1977 bis 1978, an dem 76 Sportlerinnen und Sportler der Nationalmannschaft, auch Minderjährige waren betroffen, teilnehmen mussten. 11 Sektionsärzte und 16 Trainer waren eingebunden. Ermittelt wurden die „Individuellen Abklingraten sowie Wirkung auf den Testosteronspiegel und Integration eines Neurohormons“.
Als um die Olympischen Spiele 2008 in Peking in Deutschland eine rege Diskussion um dopingbelastete ehemalige DDR-Trainer im Dienste der Olympiakader entbrannte, fiel auch der Name Norbert Warnatzsch. Der DOSB hatte im Vorfeld der Spiele von seinem Olympiapersonal eine Erklärung unterschreiben lassen, wonach sie niemals etwas mit Doping zu tun gehabt hätten. Leichtathletiktrainer Goldmann wurde als erstem nachgewiesen, dass seine Unterschrift nicht den Tatsachen entsprach. (>>> der Fall Goldmann und die Folgen). Bald fielen auch andere Namen wie Norbert Warnatzsch, Klaus Rudolph, Klaus Schneider, Klaus Baarck, Gerhard Böttcher, Rainer Pottel, Maria Ritschel, Wilfried Bock und Frank Ullrich. Warnatzsch hatte zu Beginn der Diskussion gegenüber dem ZDF im Juli 2008 erklärt, „er habe in der DDR nur Männer trainiert und insofern nichts mit Doping zu tun gehabt.“ (Deutschlandfunk, 13.04.2009)
Offen steht hierbei immer noch die Frage im Raum, wie der DOSB dazu kam, die Erklärungen der Trainer zu akzeptieren, lagen deren Verstrickungen in das DDR-Dopingsystem doch offen.
Es folgten Überprüfungen und Erklärungen, auch der DSV kündigte Entsprechendes an. Christa Thiel antwortete im Juli 2009 während der Schwimm-WM auf Nachfragen „Norbert Warnatzsch als Trainer von Britta Steffen ist von uns und dem Deutschen Olympischen Sportbund überprüft und für nicht belastet befunden worden.“ (sid, 30.7.2009) Der Trainer hatte jedoch keine Verlängerung seines Vetrages als Stützpunkttrainer erhalten. Als Grund hierfür hieß es, nicht seine Vergangenheit sei daran schuld, sondern die notwendige personelle und strukturelle Erneuerung des Verbandes. Einer Arbeit als persönlicher Trainer von Athleten stünde aber nichts im Wege (die Welt, 14.04.2009).
Im Herbst 2013 kommt Warnatzsch als Trainer wieder.
„Der 66-Jährige betreut gemeinsam mit dem früheren Weltmeister Jörg Hoffmann die Spitzenathleten am Olympiastützpunkt Potsdam. ‚Drei Jahre will ich nochmal richtig machen, danach sehen wir weiter‘, sagte Warnatzsch der dpa.“ (dpa 22.10.2013)
Im Januar 2012, Ehrenmitglied und Trainer beim SC Neukölln, wird Norbert Warnatzsch wie folgt zitiert:
„“Die Situation ist doch die, dass meine Vergangenheit offen liegt. Ich habe nie irgendwas verheimlicht.“ Sein früherer Club Dynamo Berlin war dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt. Er habe aber nie jemandem geschadet.“ (dpa, 14.01.2012)
Nach der Wende fanden folgende Schwimmtrainer Anstellungen im Ausland:
Wolfgang Richter: Spanien
Roger Pyttel: Spanien
Rolf Gläser: Österreich
Andrea Eife: Luxemburg
Heike Friedrich: Japan