Doping in der Leichtathletik – Russland und die IAAF / Doping in athletics – Russia and IAAF
Dollé, Gabriel – Interview 24.6.2016
Gabriel Dollé, 2016 74 Jahre alt, übernahm 1994 beim IAAF die Funktion eines Anti-Doping-Beauftragten. Ab 2004 leitete er die IAAF-Abteilung für Medizin und Anti-Doping. Die Jahre zuvor war ein Frankreich verantwortlich für den Anti-Doping-Kampf der französischen Regierung.
2014 wurde bekannt, dass er in Zusammenhang mit dem IAAF-Russland-Skandal um Präsident Lamine Diack nach einer Befragung durch die Ethik-Kommission von seinem Posten zurück getreten sei. Nun berichtet er selbst, dass er direkt von Lamine Diack entlassen wurde.
Nach Veröffentlichung der Korruptionsvorwürfe um Lamine Diack und seinen Sohn Papa Massala Diack eröffnete die französische Justiz ein Ermittlungsverfahren, in dessen Verlauf bei Gabriel Dollé eine Hausdurchsuchung stattfand und er selbst für kurze Zeit in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde.
Die Rolle Dollés, der im Allgemeinen als integrer Anti-Doping-Funktionär galt, gab Rätsel auf.
Am 24. Juni veröffentlichte die französische Zeitschrift L’Equipe ein Interview mit ihm, in dem er über seine Einbindung in den Skandal sprach (L’Equipe, 24.6.2016).
Eine Zusammenfassung des Interviews mit Zitaten ist hier nachzulesen:
Gabriel Dollé : „Ich fühlte mich in die Enge getrieben“ – «Je me sentais coincé»
Wie kam es, dass Sie in die Russland-Affaire verwickelt wurden?
Im Laufe der Jahre fiel auf, dass die russischen Athleten die meisten Blutanomalien aufwiesen, daher begannen wir, sie gezielt zu überprüfen. Wir haben den Russischen Leichtathletikverband ARAF mehrfach darauf hingewiesen. 2008, 2009 schrieben wir mehrere Briefe an den Präsidenten der ARAF Balakhnichev mit der Aufforderung, tätig zu werden. Die Kontrolle der Russen war schwierig. Es gab damals bei ihnen noch keine richtige Antidoping-Politik, die Kontrollen waren schwierig durchzuführen. Das Labor hatte noch keine Ausrüstung für Blutanalysen und die Ausfuhr von Blutproben war verboten. Kurz, es war schwierig.
Die Sache war Ihnen aus den Händen genommen….
Wenn man so will, ja. Aber wir versuchten dennoch die Russen auf den richtigen Weg, auf den notwendigen Stand zu bringen. Ende des Jahres 2011 machten wir eine Bestandsaufnahme und erstellten eine Liste mit 23 Russen. Zu dieser Zeit verschlechterte sich die finanzielle Situation der IAAF, sodass wir drastische Budgeteinschnitte vornehmen mussten. Mein Ressort hatte ab jetzt mit 30% weniger Mittel auszukommen. Damals erklärte mir Lamine Diack, dass die IAAF Sponsoren bräuchte, dass deshalb Verhandlungen mit einer russischen Bank (VTB) liefen und dass dieses Sponsoring gefährdet wäre, sollte im Laufe des Olympia-Jahres ein Skandal um die russischen Blutanomalien bekannt werden. Er bat mich daher, eine Lösung für die Behandlung der russischen Fälle zu finden und deren Veröffentlichung hinauszuzögern.
Lamine Diack hat Sie direkt unter vier Augen darauf angesprochen?
Ja! Ich war ziemlich überrascht. Ich habe meine Einwände vorgebracht, aber da es um die übergeordneten Interessen des Verbandes ging, fand ich mich damit ab und versuchte, ausdrücklich im Rahmen des Reglements, eine Lösung zu finden. Es sollte nichts hinaus gezögert und auch nichts vertuscht werden. Ich machte deutlich, dass die Athleten mittels einer vorläufigen Suspendierung von den Wettkämpfen ausgeschlossen werden müssten, aber ohne offizielle Bekanntgabe. Es ging vor allem darum, dass diese Athleten nicht an den Olympischen Spielen teilnahmen.
Der russische Verband sollte somit die auffälligen Athleten/Athletinnen von den Wettkämpfen ausschließen aber noch keine Disziplinarverfahren eröffnen, damit nichts bekannt wurde. Die Veröffentlichung sollte auf die Zeit nach den Olympischen Spielen verschoben werden. Eine andere Lösung, so Dollé, war ihm nicht eingefallen. Von Geld oder Gegenleistungen sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede gewesen.
Geregelt wurde alles in weiteren Gesprächen, an denen in Vertretung von Lamine Diack dessen juristischer Berater Habib Cissé teilnahm, in dessen Verantwortung die weitere Behandlung der russischen Fälle gelegt worden war. Dollé selbst informierte seine beiden Kollegen Pierre-Yves Garnier (verantwortlich für die Erstellung des Biologischen Pässe und der damit verbundenen Expertisen) und Thomas Capdevielle (verantwortlich für Fragen des Reglements). Sie seien zwar nicht begeistert gewesen, hätten sich aber nicht gegen die Mitarbeit gesträubt.
Ihre Absicht war also, das Verfahren zu verzögern und die Fälle nach den Olympischen Spielen anzustrengen, damit die laufenden Verhandlungen nicht gefährdet würden?
Ja. Meinerseits beruhte das auf dem Vertrauen, dass ich Lamine Diack und Valentin Balakhnichev (der auch Schatzmeister der IAAF war) entgegen brachte. Dann kam Habib Cissé hinzu, er leitete die Schreiben direkt an Balakhnichev weiter. Wahrscheinlich auf Wunsch des Letzteren, um die Vertraulichkeit zu wahren.
Wer kümmerte sich normalerweise um die Schreiben?
Sie wurden immer von Thomas Capdevielle redigiert und wurden per Email oder per Fax verschickt. Im vorliegenden Fall änderte sich die Art der Zustellung.
Wunderten Sie sich nicht darüber?
Doch, über die ungewöhnliche Vorgehensweise. Und ärgerlich war, dass Cissé nicht immer verfügbar war, so dass die Schreiben sehr spät übermittelt wurden. Das erste Benachrichtigungsschreiben bezüglich Liliya Choboukhova wurde im April verschickt, aber die Eingangsbestätigung durch Balakhnichev kam erst im Juni.
Und Sie trauten dem Ganzen immer noch?
Ja. Bis zu den Olympischen Spielen. Da war ich schockiert. Einige Athleten, die suspendiert hätten sein müssen, nahmen daran teil. Thomas Capdevielle informierte mich darüber. Ich war mit meiner Antidopingarbeit so beschäftigt geweseen, dass ich nichts bemerkt hatte. Ich fiel aus allen Wolken. Ich war getäuscht worden. Ich habe mich heftig bei Lamine Diack beschwert.
Dollé sprach Diack an, der versprach, mit Balakhnichev zu sprechen, wobei dieser wiederum den Präsidenten dazu befragen wollte. Erklärungen gab es keine. Dollé: „Ich fühlte mich in die Enge getrieben.“ Zumal Habib Cissé wiederum erwähnte, Balakhnichev würde sich weigern, bestimmte Schreiben in Empfang zu nehmen, wenn sie Athleten beträfen, die geschützt seien.
Was bedeutete dies?
Ich weiß es nicht aber ich war entschlossen, diese Fälle so schnell wie möglich zu Ende zu bringen, um so mehr als die Weltmeisterschaften in Moskau anstanden. Und, welche Überraschung, einige suspendierte Athleten standen auf der Aktivenliste. Ich reagierte schnell. Ich suchte den Präsidenten auf und das Notwendige wurde gemacht: keiner der Athleten startete bei der WM 2013. Nach der WM begannen wir mit Thomas Capdevielle darüber nachzudenken, wie die IAAF mit der Unzulänglichkeit der ARAF umgehen könnte. Es gibt ein Prozedere, wonach die IAAF Fälle, die von nationalen Organisationen nicht bearbeitet werden, an das CAS geben kann. Wir setzten Balakhnichev insbesondere mit dem Fall Chobukhova unter Druck. Wir wollten, dass die ARAF schnellst möglich eine Sperre ausspricht.
Wussten Sie zu diesem Zeitpunkt etwas über Schmiergelder, die zu zahlen waren (450 000 €)?
Nein. Nach den ersten vier Monaten des Jahres 2014 wurde ich von Sean Wallace Jones (Verantwortlicher für IAAF-Straßenrennen) angerufen. Er erzählte mir von einem Versuch, bei Choboukhova Geld zu erpressen. Ich fiel aus allen Wolken. Für mich war das ein weiterer Schock, unglaublich. Ich traute meinen Ohren nicht. Ich wusste davon nichts. Ich erfuhr von dieser Geschichte, die 2012 stattfand, erst 2014.
Ab da ahnte Dollé, dass Papa Diack Teil der Affaire war. Er habe ihn darauf angesprochen doch keine klare Antwort erhalten, nur dass er nicht darauf reagieren wolle, da es sich um seinen Sohn handelte. Das Ausmaß der Einbindung Lamine Diacks wurde ihm erst klar, als er während seines Polizeigewahrsams erfuhr, dass der IAAF-Präsident mit den Russen einen Deal zur Finanzierung seines Wahlkampfes im Senegal (Präsidetschaftswahl 2012) abgeschlossen hatte. Mit Papa Massata Diack habe er nur wenig Kontakt gehabt. **
Ende 2014 haben Sie die IAAF verlassen …
Da die russische Affaire ein Ausmaß angenommen hatte, eine Wendung genommen hatte, die einen Dollé überflüssig machte… Am 8 September, wurde ich zu einem Treffen mit Lamine Diack, seinem Verwaltungsdirektor Cheikh Thiaré und meinen Kollegen Thomas Capdevielle und Pierre-Yves Garnier gebeten. Mir wurde mitgeteilt, dass meine Funktion ab dem 30. September nicht mehr benötigt würde. Ich war entlassen. Ein weiterer Schock für mich.
Und Ende des Jahres durchsuchte die Polizei Ihre Wohnung…
Das war ein weiterer Tiefschlag. Während meiner Haft tauchte folgende Frage auf: „Haben Sie Geld erhalten?“ Ich sagte ja. Ich habe Ende Juli 2013 50 000 € von Papa Massata Diack und Anfang 2015 von Lamine Diack insgesamt 140 000 € in bar in drei Raten als Gratifikation erhalten. Ich habe sie ebenso wie die 50 000 € beim Finanzamt deklariert.
Die Frage, warum solch hohe Summen in bar ausgehändigt würden, habe er sich nie gestellt. Auch wurde ihm nicht gesagt und er habe auch nicht weiter nachgehakt, warum er von Papa Diack die 50 000 € erhalten habe. Er nahm an, das Geld stehe in Verbindung mit Sponsoring-Aktivitäten.
Sind diese Barzahlungen in der IAAF üblich…?
Ich weiß es nicht… Die Präsidenten, sie sind Präsidenten. *
Eine türkische Athletin hat über einen Bestechungsversuch berichtet, den Papa Massata Diack und sein Bruder Khalil bei ihr unternommen haben. In ihrer Zeugenaussage erzählt sie, dass Papa Diack sagte, er rufe Sie [Dollé] direkt an, um ihren Dopingfall zu regeln. Waren Sie am anderen Ende?
Nein, ich erinnere mich nicht, einen Anruf von Papa Diack erhalten zu haben. Kein Zeuge konnte diesen Anruf bei mir bestätigen. Ich habe versucht heraus zu finden, was an diesem 20. November 2012 geschehen ist. Ich war in Barcelona, um das Treffen des Councils und die 100-Jahres-Feier vorzubereiten.
Im Rahmen der selben Affaire erklärte Papa Diack türkischen Funktionären, dass es ein System gäbe, von dem bereits die 50 besten Athleten profitieren würden. Wussten Sie davon?
Nein, davon erfuhr ich erst im Rahmen der Ermittlungen. Er hat einiges inszeniert und das dann den Leuten präsentiert…
Wurde Ihrer Kenntnis nach das System, dass erlaubte, die Verfahren der Russen zu verzögern, jemals bei anderen Athleten angewandt?
Nein. Vielleicht gibtFälle mit Verzögerungen. Aber nicht mit dieser Begründung. Und ich hätte solch einen Fall an anderer Stelle niemals akzeptiert.
Auf die Frage, ob Sebastian Coe, damals Vizepräsident und heute Präsident der IAAF von den Ereignissen hätte wissen müssen, antwortete er, dass es für Coe keinen Grund gab, warum er Einblick in die Antidoping-Arbeit der Abteilung haben sollte. Coe habe im Rahmen seiner Council-Mitgliedschaft den Rechenschaftsbericht entgegen genommen, mehr nicht.
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* Jean Poczobut, IAAF-Schatzmeister bis 2011 meinte zu der Gratifikation, die Dollé kurz vor seiner Entlassung in bar erhalten hat: „Sicherlich gab es Gratifikationen, aber ich hätte als Schatzmeister niemals solch hohe Summen bar ausgezahlt.“ Er meinte zudem, dass zu seiner Zeit dem Präsidenten keine Gelder, über die er frei verfügen konnte, zur Verfügung standen. Doch im Jahr als Dollé zurück trat, hieß der Schatzmeister Valentin Balakhnichev, Präsident des Russischen Verbandes.
** Anfang Januar 2016 wurden Papa Massata Diack, Valentin Balakhnichev und Alexei Melnikov (russischer Cheftrainer) von der IAAF Ethik-Kommission lebenslang, Gabriel Dollé für 5 Jahre gesperrt. (The Guardian, 7.1.2016, decision – IAAF Ethics Board)