Doping-Affairen im französischen Fußball
– Football: des affaires de dopage dans le football français
>>> Dopingfälle im französischen Fußball
2007 kein Grund zur Unruhe
Dr. Jacques Liénard, Mediziner der Nationalen Französischen Fußballunion, wird am 2.8.2007 in der l’Équipe wie folgt zitiert:
„Frankreich hat die Mittel 9000 Kontrollen pro Jahr durchzuführen, das bedeutet den 3. Rang nach dem Radsport und der Leichtathletik. … Wir sind wachsam und niemand sagt der Fußball sei sauber nur weil man lediglich Cannabis bei Amateuren findet. … der Fußball genießt keinerlei Protektion.“
Seit 2004 unterliegen die Spieler der ersten und zweiten Liga dem Programm einer medizinischen Langzeituntersuchung (le suivi longitudinal). Zweimal im Jahr werden sie gesundheitlich durchgecheckt und verschiedene Blut-Parameter festgehalten. Bislang wurden über diesen Weg im Fußball (obligatorisch auch für andere Sportarten) keine Spieler besonders auffällig. Blutkontrollen finden wie überall im ‚FIFA-Land‘ auch 2010 nur bei wenigen Anlässen statt.
Emmanuel Orhant, Mediziner beim Sporting Club Lille (LOSC), erklärt ebenfalls in der l’Équipe vom 2.8.2007 Doping im Fußball für gegeben:
„Ja, es gibt im Fußball Doping. … Manchmal sehe ich seltsame Dinge. In Frankreich habe ich Vertrauen in meine Kollegen, aber nicht immer in das Umfeld der Sportler. Neben möglichem Blutdoping und der Anwendung von Amphetaminen können anabole Steroide zur Verstärkung der Muskelmasse nützlich sein. Ich sehe wie gewisse Spieler aus dem Ausland in die erste Liga sehr stämmig zurück kommen.“
1970er Jahre AS Saint-Étienne
Jean-Marc Poupel, Mediziner des Athlétique Club Le Havre 1998:
„Klar ist, dass wir auch dieses System kannten, von dem man annimmt, dass es heute in Italien existiert, wonach einem Spieler gesagt wird: „Wenn du diese Spritzen akzeptierst, spielst du, wenn nicht , spielst du nicht.“ Dieses System war anscheinend insbesondere bei Nantes oder bei Saint-Étienne während deren großer Zeit, dem Europacup, etabliert. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass gewisse Spieler von Saint-Étienne und von Nantes anlässlich der Europacup-Spiele mit Anabolika, Testosteron und Amphetaminen geladen waren. Zu jener Zeit gab es keine Dopingkontrollen. In jüngerer Zeit scheint es so zu sein, dass dieses System der Injektionen in Marseille unter Tapie existiert hat.“ (Le Quoditien du Médecin, 8.10.1998)
Dominique Rocheteau (Spieler), meinte 1990, dass er, wenn er müde war, Aufputschmittel bekommen konnte, aber niemals anlässlich großer Spiele. 2005 schreibt er dagegen:
„In Saint-Étienne verschrieben uns die Mediziner von Zeit zu Zeit Vitaminspritzen als Energieschub vor wichtigen Spielen.“
Dr. Pierre Poty Arzt bei AS Saint-Étienne von 1972 bis 1978 gibt dies zu und präzisiert:
„Ich sah bei AS Saint-Étienne Spieler, die einen Teil ihres [psychischen] Gleichgewichts und Selbstvertrauens verloren hatten. Daher habe ich ihnen geringe Dosen die Psyche stärkender Mittel gegeben damit sie sie wieder aus diesen depressiven Phasen heraus kommen. Hätte man damals eine Dopingkontrolle durchgeführt, wären sie dem Gesetz nach positiv gewesen (…). Bezogen auf das Nervenkostum heißt das, die Spieler werden mit den Aufputschmitteln besser, aufmerksamer, intelligenter, zielgerichteter, selbstbewusster. Und wenn zwölf sie nehmen, dann profitieren sie alle von dieser Verbesserung.“ (France Football, 2.2.1979)
1978 bestätigt Dr. Guy Demonteil, Potys Nachfolger, dieses Doping:
„Als ich 1978 in diesem Club anfing, hatte ich die schlimme Aufgabe einigen Dopingpraktiken, die hier Praxis waren, ein Ende zu bereiten. Mein Vorgänger, der heute verstorben ist, hatte die Gewohnheit Spritzen zu setzen oder anderer Dinge. Er verheimlichte das übrigens nicht. Er hatte gegenüber der Presse erklärt, dass er „die Grünen gedopt habe.“ (Le Quotidien du Médecin, 9.10.1998)
(Zitate aus J.-P. de Mondenard, 2010, S. 63f)
2017 gibt auch der französische Ex-Nationalspieler Jean-Francois Larios gelegentliches Doping mit Captagon bei Saint-Etienne und Bastia zu:
Ich dopte nur vor großen Spielen um den Holländern und Deutschen gegenüber auf dem gleichen Stand zu sein. Einmal gingen wir bei einem Heimspiel gegen Mönchengladbach mit 1 zu 4 unter. Ich hatte Captagon genommen, doch die deutschen hatten Besseres, unbekannte Cocktails. Sie waren uns um einiges voraus. Glauben Sie, Ajax Amsterdam mit der Clique um Cruyff wurde sauber dreimal Europameister? Johnny Rep, den ich von Bastia und später von Sant-Etienne, kannte, erzählte mir lachend von kleinen Pillen. Aber man fühlte sich nicht schuldig. Wir wussten nicht, was man uns gab. Man sprach von Vitaminen. Aber es waren nur Amphetamine. Später erfanden sie Besseres wie EPO, Wachstumshormone … (Le Parisien, 16.11.2017, L’Equipe, 14.11.2017, foot01, 15.11.2017, SZ, 17.11.2017)
Olympic Marseille
1988 Nizza-Marseille
Am 13. Dezember 1988, in der Halbzeitpause des Spiels Nizza-Marseille, erfahren die Spieler, dass jeweils 2 Spieler für eine unangekündigte Dopingkontrolle ausgelost wurden. N’Diorio und Oleksiak für Nizza, Germain und Di Méco für Marseille. Germain hatte die Nummer 6, Di Méco die 3.
Der ‚Zufall‘ wollte nun, dass beide Spieler während der zweiten Halbzeit ausgetauscht wurden. Beide duschten, zogen sich an und verschwanden nachhause oder zu Freunden. Diese Verhalten verursachte einigen Wirbel. Der Sportliche Direktor von Olympic Marseille (OM) Jean-Pierre Bernès musste eine Erklärung finden. Er gab an, die ausgewählten Nummern seien falsch gelesen worden: 6 und 3 wurden zu 9 und 2. Daraufhin erschienen die Spieler Papin und Thys zur Kontrolle. Doch der zuständige Arzt bestand darauf Germain und Di Méco zu kontrollieren. Da bekannt war, dass diese beiden das Stadion bereits verlassen hatten, schlug OM-Manager Hidalgo vor, alle verblieben OM-Spieler zu testen. Das wurde abgelehnt und der Mediziner hielt in seinem Bericht für beide ‚Verweigerung einer Dopingkontrolle‘ fest.
Ein Dopingverfahren musste eingeleitet werden. Der Zahlenverwechslung wurde nicht geglaubt und beide Spieler wurden mit der damaligen Höchststrafe belegt: Sperre für 4 Spiele und 100 000 FF. Die Strafe wurde jedoch schnell annulliert. Die Großen des Sports waren entrüstet und die Disziplinarkommission musste ‚auf Anweisung von ganz oben‘ die beiden Spieler freisprechen.
Auch viele Jahre später wollte niemand der Involvierten, weder Ärzte, noch Teamverantwortliche, noch Spieler offen reden. Lediglich Trainer Gérad Gili meinte:
„Als ich in den 70er Jahren Spieler war, nahm man Captagon, eine Art Vitamine, um uns etwas … wenn es an diesem Abend etwas gab, dann eher etwas Entsprechendes. Es waren keine Transfusionen, wie man sie aus Italien kennt.“
Jean-Louis Levreau, Sportdirektor und Journalist, meinte, angesprochen auf die Praxis in den 70er und 80 Jahren:
„Man nennt es vorsichtig ‚Versorgen‘, ‚Präparieren‘, das geschieht in allen Clubs, in allen nationalen Teams. Es gibt Spieler, die nehmen alles und andere, die weigern sich. Bei OM gehörte Éric Cantona zu denen, die sich weigerten, wie auch Jean-Philippe Durand oder Sonny Anderson. Aber es gibt andere, die sind zu allem bereit nur um ihren Platz zu erhalten. Und das ist seit damals so…“ (Maitrot, Les scandales du sport contaminé, S. 94ff)
Jean -Jacques Eydelie
Im Januar 2006 geht Jean -Jacques Eydelie an die Öffentlichkeit und spricht von einem umfangreichen jahrelangem Korruptions- und Dopingsystem in den 90er Jahren bei Olympic Marseille unter der Verantwortung von Bernard Tapie. Eydelie, Jean-Pierre Bernès und Bernard Tapi hatten in den 90er Jahren bereits eine Verurteilung wegen einer Korruptionsaffäre um ein Spiel zwischen Valenciennes-Marseille 1993 hinzunehmen. Der Spieler hatte damals aber weitgehend geschwiegen.
2006 wird er deutlich. Neben Bestechungvorwürfen und Vergiftungversuchen des Gegners spricht Eydelie von einem teaminternen Dopingsystem. Er erzählt u. a. davon, wie das Team OM vor dem Europacup-Finale 1993 gegen AC Milan Spritzen erhalten hatten – lediglich Rudi Völler hätte sich geweigert.
Doping sei allerdings in allen Teams, in denen er gespielt habe (Angoulême, Nantes, Laval, Tours) – außer Bastia – üblich gewesen. Dementis der Betroffenen folgten sofort, auch Rudi Völler konnte sich an nichts erinnern. (Libération, 23.1.2006, der Spiegel, 22.1.2006)
Marcel Desailly, französischer Rekordnationalspieler, protestierte sofort:
„Das ist nicht wahr. In allen Klubs werden Spieler mit Vitamin-Produkten gespritzt, damit sie sich besser erholen können. Aber das ist kein Doping“. (RPO, 24.1.2006)
Die UEFA reagierte gelassen, 12 Jahre nach dem Ereignis seien die Dopingvorwürfe verjährt, es gelte eine 10Jahresfrist.
Jean -Jacques Eydelie veröffentlichte seine Erinnerungen in dem Buch «Sale temps pour le foot» worin er keine der Anschuldigungen zurück nimmt und sich vom System Fußball auf allen Ebenen verraten sieht. (20minutes, 8.5.2009)
1994 bis 1997
Noël Le Graët, von 1991-2000 Präsident des franz. Profiligaverbands LFP, bis 2011 FFF-Vizepräsident:
„Keinesfalls dürfen wir den Eindruck erwecken, wir würden das Problem ignorieren. Man muss daran arbeiten und vorbeugen. Wir möchten mehr Prävention und Kontrollen. Wir müssen im Kampf gegen Doping die Vorreiter in Europa sein.“
(France Football 16.12.1997; nach de Mondenard in Les dopés du foot, S.136)
Schon im Dezember 2003 hatte der ehemalige irische Nationalspieler Tony Cascarino in der Times von Dopingsubstanzen berichtet, die den Spielern zwischen 1993 und 1996 von Tapie gegeben wurden. Im Februar 2006 erneuerte er diese Vorwürfe (einschließlich 1997?).
„“Ich gebe zu, dass ich Injektionen erhalten habe, aber ich kenne viele Spieler, die dasselbe gemacht haben“, sagte der frühere irische Nationalstürmer der französischen Sporttageszeitung L’Equipe: „Ich weiß nicht genau, was es war, aber ich bin zu 99 Prozent sicher, dass es nicht legal war. Es war immer vor einem Spiel. Wir bekamen eine Injektion in den unteren Rückenbereich. Als ich mich nach jeder Injektion großartig fühlte, akzeptierte ich diese Behandlungen.“ Zudem erklärte Cascarino, dass er schon bei seiner Ankunft in Marseille 1994 von solchen Gebräuchen bei Olympique gehört habe.“ (RPO, 4.2.2006)
Bei neuen Spielern inszenierte Bernard Tapie ein Initiationsritual, erst bekam er selbst eine Spritze, dann der Sportler:
„Tapie hob sein Hemd am Rücken, und wartete auf einen Satz Spritzen mit 20 Nadeln, von denen eine in seinen unteren Rücken injiziert werden sollte. Dann streckte er die Arme, ballte die Fäuste und brüllte“,
danach erhielt der Sportler die Spritze. (der Spiegel, 12.4.2006) Nach Cascarino wussten andere Teams von den Injektionen, man habe sich sogar darüber lustig gemacht (Le Monde, 15.12.2003)
Teamarzt Jean Duby, der im Normalfall die Spritzen verabreicht haben soll, stritt alles ab: «
Es gab kein Doping in Marseille. Ich habe 40 Jahre Erfahrung, und das ist etwas, was ich nie getan habe.»
1992
Auch in den Jahren zuvor wurde bei OM bereits gedopt. Dies soll der englische Nationalspieler Chris Waddle, von 1989 bis 1992 bei Marseille, bestätigt haben.
Dr. Jean-Pierre de Mondenard zitiert in seinem Blog eine andere Episode aus dem Jahr 1992, erzählt (wann?) von Marcel Desailly, der Doping 2006 noch Eydelies Anschuldigungen weit von sich wies (s.o.).
La Dèche à l’OM – Du dopage collectif:
19.12.1992, Parc de Princes, Spiel Olympique Marseille gegen Paris SC. Bernard Tapie besucht sein Team OM kurz vor Beginn des Spiels.
„„Also Jungs, passt auf, hört mir zu“. … Alle schweigen. Aufrecht stehend, mitten im Umkleideraum, holt er eine Medikamentenbox hervor. Eine Box, die das medizinische Team der Mannschaft noch nie vor meinen Augen benutzt hatte. Den Namen weiß ich nicht mehr, aber alles was Tapie gesagt hat: „Jungs, dieses Spiel müsst ihr gewinnen!“ Er reichte mir die Packung, ich sollte mich bedienen, eine Tablette schlucken und sie weiterreichen. Doch ich zögerte. Wenn dieses Mittel … ? Und wenn es … wäre ? Ich bin durcheinander, unfähig zu reagieren. Ich reichte die Schachtel an Didier Deschamps weiter. Er nimmt sie und liest eine Warnung vor im Sinne wie: „dieses Medikament ist ab einer bestimmten Dosis bei Hochleistungssportlern als Dopingmittel zu betrachten.“ … Didier ist nicht aus der Fassung zu bringen, er fragt den Boss:
Also, was ist das für Zeugs?
Nehmt es. Vertraut mir.
Aber sie haben schon gesehen, was da hinten drauf steht?
Kein Problem, das ist nur eine Frage der Dosis. Geb es mir, wenn du mir nicht vertraust.
Der Boss nimmt die Packung und schluckt eine Tablette, dann noch eine und nimmt einen großen Schluck Wasser. „Voilà, jetzt machts auch so. Jungs ihr kennt mich, ich habe euch noch nie belogen. Oder, habe ich euch jemals belogen?“ Ist sein Wundermittel verboten? Egal wieviel er nimmt, es ändert nichts an der Tatsache, dass nicht er nach dem Spiel eventuell kontrolliert wird! Es half nichts, er bestand darauf. Ich nahm es, wie viel, weiß ich nicht mehr. Andere weigerten sich. Warum ich nicht? Vielleicht wegen blinden Vertrauens in das medizinische Team. Vielleicht aus Angst nein zu sagen. Vielleicht wegen des Gefühls Marseiller, daher unbesiegbar zu sein. Zweifellos alles zusammen. Ich bin nicht stolz darauf.“
Amphetamin ‚Captagon‘
Bernard Tapie, während seiner Zeit als Patron des Rad-Teams La Vie Claire in den 80er Jahren:
„Im Vergleich zu den Fußballern sind die Radler Chorknaben.“
(Rue89, 25.10.2007)
1998 erzählte Bernard Tapie der Zeitschrift l’Humanité, dass seine Fußballer gewohnt gewesen seien das Amphetamin Captagon zu nehmen:
„“Lorsque j’ai pris le club en main, les joueurs parmi les plus expérimentés du club, ceux qui avaient autour de la trentaine, avaient l’habitude de prendre des amphétamines, du captagon, explique Bernard Tapie.“
Eine frühere regelmäßige Anwendung von Synacthen (Corticoid, allgemein häufiges Dopingmittel) wies Tapie allerdings weit von sich. Dies hatte Dr. Bourgeois, beratender Arzt der französischen Fußball-Union (UNFP) zuvor behauptet. Es sei innerhalb der ‚Fußball-Familie‘ allgemein bekannt gewesen, dass bei OM bis 1993 (Affaire OM-VA) Synacthen zum Einsatz gekommen sei. (L’Humanité, 9.10.1998).
Obwohl Amphetamine leicht nachzuweisen waren, gingen die Spieler kaum ein Risiko ein, da die Kontrollen bekannt waren. Guy Roux erklärte am 2. 2.1993 der l’Équipe:
„Normalerweise erfahren die Spieler bei Halbzeit ob eine Kontrolle stattfindet. Aber bei Marseille weiß man es lange zuvor. Schon 15 Tage vorher, ganz Frankreich weiß das.“
Mit Amphetaminen ließe sich auch der aggressive und gewalttätige Ablauf des Spiels zwischen OM und PSC 1992 erklären.
1995 fünf Dopingfälle und systematisches Doping?
Im Oktober 1995 wird Nationaltorhüter Fabien Barthez (AS Monaco) positiv auf Cannabis getestet. Im Zuge der Diskussion um diesen Fall sieht sich der französische Profifußball heftigen Dopingvorwürfen ausgesetzt. Barthez war schon der 5. Spieler in der laufenden Saison, der überführt worden war (Fontan, Paille, Barthez, Dieng, Hampartzoumian, l’Humanité, 23.12.1995). In der l’Équipe erschien ein Artikel, wonach nicht allein das Joint-Rauchen, sondern die regelmäßige Einnahme leistungssteigernder Substanzen in der ersten Liga an der Tagesordnung sei.
„Ich kenne Mannschaften, bei denen systematisch gedopt wurde“, wird der in Frankreich für die Bekämpfung des Doping-Mißbrauchs verantwortliche Professor Lafarge zitiert. Lafarge richtete zugleich schwere Vorwürfe gegen den FFF [Franz. Fußballverband], der bekannte Doping-Fälle nicht veröffentlicht und nicht geahndet habe. „Gefunden wurde bisher immer etwas. Aber der Verband ist über die Befunde alleiniger Richter und macht damit, was er will. Bekannt wurden Fälle bisher nur durch gewollte Indiskretionen“, sagte Lafarge. Ertappte und vom FFF nicht weiter verfolgte Spieler seien von ihren Vereinen für einige Zeit nicht mehr eingesetzt oder plötzlich ins Ausland transferiert worden, fügte Lafarge hinzu.“ (dpa, 17.1.1996)
1996 David Garcion, erster Anabolikafall in Frankreich
Am 20. Dezember 1996 wird der Spieler von Lille anlässlich des Spieles Nantes-Lille positiv auf das anabole Steroid Nandrolon getestet. Zum ersten Mal wird ein Anabolikum im französischen Fußball gefunden, was für hohe Aufmerksamkeit sorgte. Galt doch auch hier, dass Doping damit im Fußball eher nicht von Vorteil sei. Es stellte sich die Frage, wurde das Medikament zur Steigerung der Muskelmasse oder zur Heilung nach einer Verletzung genommen. Oder hat der Spieler es gar unabsichtlich eingenommen? An sich konnte nach Meinung einiger Funktionäre nicht sein, was nicht sein durfte. Unruhe herrschte zudem, da der Verdacht aufkam, es könne sich hier um die Spitze eines Eisberges handeln. Immerhin hatte Prof. Franscesco Conconi, Mitglied der medizinischen Kommission des IOC, im Januar 1996 in der l’Équipe erklärt, dass Anabolika sowie natürliche und synthetische Hormone in allen Sportarten, auch dem Fußball zum Einsatz kämen. Würden mehr Kontrollen durchgeführt, gäbe es auch hier positive Fälle.
Dr. Franck Le Gall, Mediziner des Französischen Fußballverbandes, Clairefontaine, sieht auch Vorteile des Anabolikaeinsatzes im Fußball. Durch die Erhöhung der Muskelmasse vermehre sich die Kraft. Dies sei auch von Vorteil für die benötigte Ausdauer, die dem Hochleistungsfußballer abverlangt werde. Verabreicht wurden Kuren wärend des Trainings, die Effekte wären noch Monate später feststellbar. Für ihn ist es unwahrscheinlich, dass Sportler die Mittel aus Versehen einnähmen könnten, allerdings durchaus ohne Wissen der Clubmediziner. Eigentlich habe er auch gedacht, dass technische, taktische und kollektive Aspekte im Fußball den Einsatz von Anabolika verhindern würden. Dass dem nicht so ist, täte weh. (l’Équipe, 4.4.1997)
David Garcion wurde für 9 Monate gesperrt, weiter 9 Monate gab es auf Bewährung. Die Sperre wurde im Mai 1997 auf 6 Monate reduziert, mit 12 Monaten auf Bewährung. Garcion war international nach Antonio José Gomes De Matos, Brasilien, der 1993 positiv auf Nandrolon getestet wurde, der zweite entsprechende Fall. 1997 wurden international vier weiterer Nandrolonfälle registriert.
Angesichts dieses Anabolikafalles wurde der positive Befund bei Bernard Lama von Paris-SG im Februar 1997 auf Cannibis schon fast als beruhigend eingestuft. Lama wurde für vier Monate gesperrt.
WM 1998
Marie-George Buffet, 2013:
„Les médias me sont tombés dessus de manière très violente, il y a eu un déferlement où on m’accusait d’empêcher l’équipe de France de se préparer dans de bonnes conditions. Je me suis sentie isolée et j’ai flanché, j’ai presque été amenée à m’excuser“.
„Ce que je peux dire, c’est que nous n’avons jamais donné de directive en ce sens. Ensuite, il faut se replacer dans l’époque. En 1998, il n’y a pas d’AFLD (ndlr: Agence française de lutte contre le dopage), nous n’avions pas les outils d’aujourd’hui, seulement les contrôleurs du ministère“.
l’Humanité, 21.3.2013
Weihnachten 1997. Die französische Nationalmannschaft hält sich in einem Trainingslager in Tignes auf. Am 26. Dezember findet sich im Mannschaftshotel morgens gegen 9 Uhr Dr. Yvon Arnaudo ein. Er hat im Auftrag des Sportministeriums unangekündigte Trainingskontrollen durchzuführen. Teamverantwortliche und Spieler sind erstaunt. Jetzt eine Kontrolle? Im Urlaub? Unangekündigt? Die Situation war angespannt, feindselig, abweisend, erinnert sich der Arzt. Der Kontrolleur hatte keine Chance die ausgewählten Spieler sofort zu kontrollieren, angeblich waren sie unterwegs, er habe sich zu gedulden. Die Spieler waren sehr wohl anwesend, doch sie meldeten sich nicht. Gegen 18 Uhr am Abend erschienen plötzlich die sechs ausgewählten zur selben Zeit. Jetzt sollte es schnell gehen.
Am nächsten Tag hagelte es aus den oberen Etagen der Liga Kritik und wütende Reaktionen. Die Medien berichteten. Die Kontrollen seien geschmacklos, grotesk. So könne man angesichts der WM nicht mit den ‚Blauen‘ umgehen. Die Kritik gelangte bis ins Kabinett der Ministerin Marie-George Buffet und musste diskutiert werden. Das Trainingslager in Tignes war zwar von Seiten des Fußballs als möglicher Termin dem Ministerium vorgeschlagen worden, doch Madame Minister sah sich genötigt, sich nun gegen die Maßnahme zu stellen und ließ verlauten, der Termin sei bedauerlich und rein administrativ zustande gekommen, das Ministerium habe darauf keinen Einfluss gehabt.
2009 erwähnt Patrick Keil, Richter im Festina Prozess, dass alle Radsportler ausgesagt hätten, Fußballer wären ebenso behandelt, ebenso gedopt gewesen, wie sie selbst. Schließlich hätten sie alle dieselben Ärzte und Präparatoren gehabt. Diese Aussagen hätten insbesondere Spieler der französischen und italienischen Nationalmannschaft betroffen. Keil meinte, mit diesen Informationen hätte er eine Untersuchung einleiten können. (l’Humanité, 23.11.2009)
Im August 2010 erregte der Jean-Pierre Paclet, ehemaliger Mediziner der ‚Blauen‘, 1998 zuständig für die Junioren-Nationalmannschaft, großes Aufsehen mit einer kurzem Notiz in seinem gerade erschienenen Buch. Danach hätten vor der WM einige Spieler anormale Blutwerte aufgewiesen. Paclet betonte, dass dies kein Beweis für Doping sei, doch heute hätte man darauf Antworten. 1998, als l’Équipe darüber berichtet hatte, wollte niemand Genaueres wissen, weder die Presse, die Spieler, die Trainer noch die Öffentlichkeit. (AFP, 25.8.2010) Der 1998 zuständige Teammediziner Jean-Marcel Ferret wies 2010 umgehend alle Vorwürfe von sich und berief sich auf umfassende medizinische Analysen über einen längeren Zeitraum, die keinerlei Anlass zur Sorge gegeben hätten. Einzelne außer der Norm gelegene Werte seien ihm erklärbar. Probleme hätte es gegeben mit dem Verbandsrat (Conseil fédéral) und der Medizinischen Kommission, die meinten es würde zu viel getan. (20 minutes: Jean-Marcel Ferret: «Je connais bien les joueurs, il n’y a pas de souci»)
Die FIFA handelte 1998 nach der WM voraus schauend. Laut Jacques de Céaurriz, verstorbener Leiter des Pariser Antidoping-Labors und Mitentwickler des EPO-Tests, beantragte diese beim Französischen Sportministerium die Zerstörung der anlässlich der WM genommenen Urinproben innerhalb von 24 Stunden. Diesem Wunsch wurde unter Beobachtung eines FIFA-Abgesannten entsprochen. Nachanalysen, wie sie bei den Proben der Tour de France 1998 2004 und 2005 vorgenommen wurden, können daher den Fußball nicht mehr erschüttern. Allerdings gab es 1998 generell keine Verpflichtungen für langfristige Lagerung von Proben, wie man sie heute kennt, nach 3 Monaten wurden die Proben vernichtet. Hein Verbruggen, UCI, hatte solche ein Antrag auf (schnelle ?) Zerstörung angeblich auch gestellt, doch seinem Wunsch wurde im Gegensatz zu dem Jahr 2000 nicht entsprochen. Die Proben der Tour de France 1998 wurden ebenso wie die von 1999 auf Wunsch des Französischen Minsteriums zum Zwecke späterer wissenschaftlicher Untersuchungen konserviert – mit den bekannten Folgen der namentlichen Zurordnungen im Jahr 2013 durch die Untersuchungskommission des Französischen Senats.
französische Spieler und der Turiner Prozess
Eric Maitrot hebt in seinem Buch ‚Les scandale du sport condaminé‘ hervor, wie auch in Frankreich die Verbandsstrategie auf das Leugnen jeglichen Dopingproblems ausgelegt war. Um die Jahrtausendwende, vor allem im Prozess um Juventus Turin werden zusätzliche Zweifel an der Sauberkeit des französischen Fußballs gesät. Auch französische Spieler sind betroffen und er stellt die Frage, ob man wirklich trennen kann zwischen den Nationen vor dem Hintergrund des internationalen Spielertransfers. Legen Spieler eine Dopinghaltung/ -gewohnheit an der Grenze ab?
Nationalhelden im Zwielicht
Didier Deschamps und Zidenine Zidane mussten als Spieler von Juventus Turin im Turiner Doping-Prozess aussagen. Dabei wurden deren beider Blutwerte analysiert. Deschamps wies vor allem im Jahr 1995 erhebliche Schwankungen auf. Im Januar betrug der Hämatokrit 43,2%, Ende März war er 51,9% gestiegen, Anfang Juni lag er bei 39,3, im Oktober bei 48,4%. Ähnlich breite Schwankungen wurden in den Folgejahren auch für andere Spieler aufgezeigt. 13 Spieler von Juventus weisen zudem einen wesentlich zu hohen Eisengehalt im Blut auf. Deschamp und Zidane erklären übereinstimmend, sie hätten während dieser Zeit an chronischem Eisenmangel gelitten. Jean-Michel Ferret, Arzt der französischen Nationalmannschaft gibt an, nie Auffälligkeiten bemerkt zu haben. Als Zeuge vor dem Gericht geladen, verstrickt er sich allerdings in Widersprüche zu früheren Äußerungen. Darauf angesprochen, unterstellt er dem Gericht fehlende Sachkenntnis.
Arzt Ferret gibt aber gegenüber Maitrot (2002?) an, dass er in den 90er Jahren feststellen konnte, dass sich irgendetwas in ausländischen Clubs tat. Er erzählte, dass ihn im Jahr 1996 einige im Ausland engagierte Spieler angesprochen hätten.
„Da unten geben die Clubs zu viele Medikamente, viel zu viele. Da gab es für diejenigen, die es wollten fast systematisch Infusionen nach dem Spiel. Es gab auch Spritzen vor den Spielen, verschiedene Dinge. Das war institutionalisiert…. Doch es gab einige, die alles verweigerten. Ich kenne welche, die in Italien waren und nichts genommen haben.“
„Ich kann nur sagen, dass alles was mir aus Italien gezeigt wurde, nicht verboten war… Sie brachten mir die Verpackungen, ich wusste alles… Viele Vitamine zum Spritzen, die es in Frankreich nicht gibt. In Italien, in Spanien, in Belgien haben sie unglaublich viele Mittel zum Spritzen. Es stimmt, dass der italienische Fußball enorm medikalisiert ist.“
Eben das wiederholte Ferret im August 2010, wobei er meinte, Dopingmittel wie EPO seien im Prozess um Juventus Turin nie festgestellt worden. (20minutes, 25.8.2010) Das italienische Gericht kam ebenso wie einige Gutachter zu einem anderen Ergebnis.
Zidenine Zidane und Bluttransfusionen?
Im Oktober 2003 erzählt Johnny Hollyday im Fernsehen, dass er zur Regeneration in eine schweizer Klinik ginge um Bluttransfusionen zu erhalten. Abgenommenes Eigenblut werde mit Sauerstoff angereichert und ihm refundiert. Den Tipp habe er von Zinedine Zidane erhalten, der sich zweimal im Jahr diese Behandlung gönne. (YouTube)
Fußballikone Zinedine Zidane dementierte. 2008 meinte er:
„Nie habe ich mich mit Johnny in eine Klinik begeben. Niemals in meinem Leben. Ich gehe nur seit mittlerweile 12 Jahren nach Merano zu einer Kur, mit der ich die Giftstoffe aus meinem Körper bekomme.“ (news de stars, 13.1.2008)
Grenzgang
Probleme ergeben sich durch die grenzüberschreitenden Sportlereinsätze gelegentlich auch durch unterschiedlich scharfe nationale Gesetzgebungen und Vorstellungen, wie folgende Episode zeigt.
In Frankreich darf das aus Kälberblut gewonnene Mittel Actovegin nicht vertrieben und angewandt werden. In anderen Ländern schon. Es ist im Leistungssport seit vielen Jahren beliebt und wird häufig eingesetzt. Nach der WADA-Liste 2010 ist es bei intravenösen Infusionen angewandt verboten, intramuskulär verabreicht erlaubt.
Im Vorfeld der EM 2008, am 30. Mai verletzte sich Kapitän Patrick Vieira bei einem Freundschaftspiel mit Paraguay. Das hätte für ihn mindestens 3 Wochen Pause bedeutet und damit das Aus für die ersten EM-Spiele. Weder Vieira noch das Team fanden das hilfreich. In der Schweiz angekommen suchte man Lösungen und Rat. Bayern München-Spieler Willy Sagnol wird beauftragt Kontakt zu Dr. Müller-Wohlfarth aufzunehmen. Dieser schlägt die Anwendung von Actovegin vor. Der medizinische Beraterstab der Franzosen berät und lehnt den Einsatz des Mittels letztendlich ab. (Siehe zu Dr. Müller-Wohlfarth und Actovegin espn, 15.12.2011.)
Die Affaire sorgte nach Bekanntwerden für große Aufregung und wird öffentlich diskutiert. Willy Sagnol muss sich Dopingvorwürfen erwehren, hatte er Les Bleus in Versuchung gebracht zu dopen? Teamarzt Dr. Pierre Paclet musste gehen, er wird ersetzt durch Dr. Alain Simon. (AFP, 16.11.2008,Le Parisien, 8.10.2008)
Pierre Paclet meinte im August 2010, dass er kein Medikament verordnen werde, das er nicht kennt und das zudem noch in Frankreich verboten sei, auch wenn es sich nicht um Doping handeln sollte.
„Wenn der Spieler das als nicht normal ansieht, dann akzeptiere ich das gelassen. Wenn die Autoritäten das als etwas Annormales betrachten, dann ist das enttäuschend.“ (AFP, 25.8.2010)
2009 AFLD moniert 19 nicht sanktionierte Fälle
2008 ließ die französische Antidoping-Agentur AFLD ein Forschungsvorhaben durchführen, in dem mittels Haarproben Dopingsubstanzen (anabole Steroide) nachgewiesen werden sollten. Von 138 Profisportlern aus Fußball, Rugby, Leichtathletik und Radsport wurden Proben analysiert. 13.8%, d.h. 19 wiesen das verbotene Steroid DHEA auf. Von den 32 Fußballern zeigten 7 (21,8%) Spuren von DHEA oder Testosteron, das waren etwas mehr als bei den anderen drei Sportarten. (le Figaro, 19.3.2009, Inquiétude…, le Figaro, 19.3.2009, Audran)
>>> 2013 Cédric HENGBART: Medikamentenmissbrauch beim AC Ajaccio
Zitate
die Bild, 29.3.1977:
In Frankreich gab es am Wochenende sogar die ersten Dopingkontrollen bei Fußballprofis der ersten Division. Sie lösten allerdings heftige Proteste aus. Nationaltrainer Hidalgo schäumte: „Ein Skandal! Fußballspieler dopen sich nicht.“
zitiert nach dopage.com:
José Touré, Profifußballer von 1980 bis 1988 schreibt in seinem Buch ‚Prolongations d’enfer‘, Ed. J.C. Lattès, 1994:
„In Nantes, dem schönen Club an der Atlantikküste, war ich gedopt. Und später? … Das war das einzige Mal in meinem Leben, bei dem ich gedopt spielte. Man hatte es für mich entschieden, ich habe es getan.“
Dominique Rocheteau, Fußballer zwischen 1975 und 1986:
“ das existiert, sogar in unserem Umfeld. Wenn ich müde war, konnte ich Aufputschmittel nehmen, aber niemals während wichtiger Anlässe.“ (Impact Médecin, 8. 6. 1990)
Pascal Olmeta, Profifußballer:
„Das erste Mal versuchte ich Captagon um hinter dieses Geheimnis bekannter Fußballer zu kommen. Das zweite Mal war dies einige Monate später. Ich erinnere mich an nichts mehr. … Die Erfahrung war ziemlich hart. Versprochen, ich schwöre, ich werde in Zukunft auf die Idee mit den ‚Vitaminen‘ verzichten. Ich habe seither nichts mehr angerührt.“ (Goal, Ma drôle de vie, Ed. Solar, 1991)
Marcel Desailly, Profifußballer:
Ich habe es ‚genommen‘. Zwei oder drei Mal, ich weiß nicht mehr, immer in Anwesenheit eines Arztes … Noch heute weiß ich nicht worum es sich handelte. Sicher ist nur, selbst wenn ich es mir übel nehme es genommen zu habe, zu keinem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck, ich sei etwas Besonderes.“ (Capitaine de Marcel Desailly avec Philippe Broussard, Ed. Stock, 2002)