Fußball: Doping-Geschichten 1937 bis heute
1937 Drüsenextrakte und Vitamine
Die Behandlung von Profifußballern der Teams aus Portsmouth und Wolverhampton mit Spritzen eines Extraktes aus tierischen Drüsen (Hormone) und Vitamin B1 löste 1937 in London heftige Debatten darüber aus, ob das denn Doping sei. Die Londoner Football Association sowie der britische Gesundheitsminister sahen jedoch keine Probleme. Vorteile sollten eine bessere Vitalität, eine schnellere Koordination von Muskeln und Gehirn, eine Stimulation des Zentralnervensystems sein. Die Behandlung der Fußballer erstreckte sich über sechs Wochen mit jeweils zwei Spritzen pro Woche, anschließend genügte eine Spritze in 7 Tagen. Die Behandlung fand offenbar großen Anklang, noch Jahre später soll sie auch in anderen Clubs von Ärzten angewandt worden sein. (De Mondenard, Dictionnaire, S. 347)
(Das Experimentieren mit tierischen Zellen im Sport, insbesondere Hormonen, hat insgesamt eine lange Tradition und ist auch heute noch nicht abgeschlossen (Niehans-Therapie, Kälberblutextrakte usw.), s. John Hobermann, Sterbliche Maschinen).
Amphetamine und Co.
André Noret, 1981:
„Ich kann bestätigen, dass der Griff nach ‚verbotenen Substanzen‘ im Fußball genauso verbreitet ist wie in zahlreichen anderen Sportarten! Possitive Tests gibt es deshalb kaum, weil die Fußballer, mit sehr wenigen Ausnahmen, nicht getestet werden.“
Dr. André Noret, belgischer Sportarzt, schreibt 1981:
„Persönlich lernte ich die Sportmedizin … und Doping in den 50er Jahren kennen. Als Student gehörte ich der Kommission eines großen belgischen Fußballclubs an, die ein internationales Jugend-Turnier der wichtigsten europäischen Teams zu organisieren hatte. Jede Mannschaft erhielt von uns eine Begleitung, ich wurde einer italienischen zugeteilt, die einen Mediziner dabei hatte. Damals war das revolutionär, keine anderer Mannschaft hatte eine medizinische Betreuung für ihre Junioren, weder die Engländer, Deutschen, Franzosen noch die Niederländer. 5 Tage verbrachte ich ununterbrochen mit den Südeuropäern, insbesondere mir dem Mediziner, der mich in das 1×1 der Sportmedizin einführte. … Neben den medizinischen Untersuchungen verteilte der Arzt eine große Menge an Medikamenten nach dem Aufstehen, vor dem zu Bett gehen und zu den Mahlzeiten. Zudem setzte er einigen Spielern eine Viertelstunde vor den Spielen intravenöse oder intramuskuläre Spritzen. … Mir sagte er, bei den im Hotel verteilten Medikamenten handele es sich um Leberschäden vorbeugende Mittel, um Vitamine und Stärkungsmittel, über die Inhalte der Spritzen sagte er nichts. … Misstrauisch geworden, ließ ich Doktor X nicht mehr aus den Augen und hatte eines abends das Glück zu sehen, wie er in einer dem Stadion benachbarten Straße leere Ampullen, die er sorgfältig in der Tasche verborgen hatte, wegwarf. Einige Stunden später kehrte ich in diese Straße zurück um die Ampullen zu holen, die mir endlich das Geheimnis verraten sollten, warum die jungen Spieler nicht müde wurden. Es handelte sich um Amphetamine! Amphetamine, die jungen Fußballern im Alter von 17 bis 19 Jahren verabreicht wurden.“ (Noret, le dopage, 1981, S. 129f) (mehr Infos über >>> Doping im italienischen Fußball)
Christoph Biermann, Autor des Buches ‚Fast alles über Fußball‘, sagte im Mai 2010:
„Es gibt zum Beispiel die Geschichte, dass 1957 ein englischer Journalist etwas ganz einfaches gemacht hat. Er hat nämlich damals alle Clubs der damaligen First Division, der ersten Liga angerufen und gefragt, welche Art von leistungssteigernden Mittel sie denn nehmen und fast alle haben frank und frei bekundet, ja, dass die Spieler Amphetamine bekommen würden. Man hat damals offensichtlich schon relativ weit verbreitet damit gearbeitet.“ (ZDF-History, Die sieben Geheimnisse des deutschen Fußballs)
Michael Gabbert, britischer Journalist, der durch Recherchen mithalf verbreitetes Doping im englischenTeam Everton offen zu legen:
„Everton have long been one of the top clubs in the English association football league. The club were champions of the 1962-63 season. And it was done, according to a national newspaper investigation, with the help of Benzedrine. Word spread after Everton’s win that the drug had been involved. The newspaper investigated, cited where the reporter believed it had come from, and quoted the goalkeeper, Albert Dunlop. (Mehr Infos siehe unter Doping und Fußball: Großbritannien, Doping in sport)
Dr. Louis Delezenne, Mitglied der medizinischen Kommission des franz. Fußballverbandes 1963:
„Eine persöhnliche Untersuchung von mir ergab die Anwendung von Amphetamintabletten, die gewisse Trainer großer Clubs vor den Spielen ausgaben. Der Kapitän eine kleinen Clubs im Norden wurde kürzlich lebenslang gesperrt, da er einen Schiedsrichter angegriffen hatte; er hat mir gestanden vor dem Spiel Tabletten eines bekannten Amphetaminpräparates genommen zu haben, heute würde er das bedauern.“ (de Mondenard, S.56)
le Figaro, 25.11.1968:
„Der 18jährige Jean-Louis Quadri, der eine 19jährige Witwe und ein Baby von 2 Monaten zurücklässt, starb im Stadion von Saint-Égrève bei Genoble. Jean-Louis Quadri fiel in den letzten Wochen durch sein Laufvermögen und seine Ausdauer auf. Man hatte ihm bereits Angebote besserer Mannschaften unterbreitet. Im Laufe des Spiels, Jean-Louis wollte gerade nach einem Dribbling auf das Tor schießen, brach er brutal zusammen. Ein Sanitäter versuchte es mit Mund zu Mund-Beatmung. Er wurde in das Krankenhaus von Grenoble gebracht doch alle Maßnahmen waren vergebens. Seine Familie wollte die Gründe für den unerklärlichen Tod wissen. Die Autopsie erbrachte, dass Jean-Louis Amphetamine im Körper hatte.“
Prof. Dr. Ludwig Prokop, Wien, sagte 1959 und 1968:
„Leider hat sich in einigen Sportarten die Anwendung von solchen künstlich leistungssteigernden Mitteln schon weitgehend eingebürgert. So wird eine solche medikamentöse Wettkampfvorbereitung z. B. beim Radfahren, der Schwerathletik, Fußball und bei Langstreckenläufen fast gewohnheitsmäßig betrieben.“ (>>> Prokop 1959)
„Viele Sportler, zum Beispiel Radrennfahrer, Schwerathleten, Fußballer, viele Leichtathleten, Skiläufer und Eisschnelläufer, werden fast routinemäßig auf den Wettkampf mit Medikamenten vorbereitet. Doch muß ein solches Doping sowohl aus medizinischen als auch allgemein sportlich-ethischen Grundsätzen abgelehnt werden.“
(Die Präparate und ihre Hersteller: Cardiazol Knoll Ludwigshafen, Dianabol Ciba Wehr (Baden), Emdabol Merck Darmstadt, Pervitin Temmler Marburg, Sympatol Boehringer Ingelheim) (>>> Prokop 1968)
Professor Arnold Beckett, 1965 verantwortlich für die ersten Dopingkontrollen bei einem großen Wettkampf auf der Britischen Insel, der Tour of Britain (Radsport), und Mitglied der Medizinischen Kommission des IOC, erklärte 1967:
„Wir wissen, dass das Doping im Fußball weiter fortschreitet“ und er unterstellte den Verantwortlichen in Bezug auf das Doping-Verhalten Selbstgefälligkeit (smug attitude) (Malcolm, in Waddington/Smith, Drugs in Sport 2009, S. 159).
Juan Gomez Juanito, spanischer Fußballer 1979:
„Als ich für Burgos spielte, kam es vor, dass ich mich dopte. Ich nahm Centramin (Amphetamin), das man in der Apotheke in Verpackungen zu 20 Stück bekommt.“ (de Mondenard, S. 58)
Carlo Petrini, italienischer Fußballer in den 60, 70er und 80er Jahren, beschreibt seine Erfahrungen (ARDradio, Juni 2010):
„Als ich in Genua spielte, wurden wir von Giorgio Ghezzi trainiert, sehr berühmt hier in Italien, ehemaliger Torhüter in der Nationalmannschaft, von Inter und Milan. … An jenem Tag [1967] erschienen zum ersten Mal Arzt, Masseur und Trainer zusammen in der Kabine. Der Arzt hatte ein Fläschchen mit rotem Deckel und einer gelblichen Flüssigkeit in der Hand. Damals hatte man noch keine Einwegspritzen, es gab nur eine Spritze und eine Nadel, und die wurde dann reihum benutzt, ohne gewechselt zu werden. … An einem bestimmten Punkt des Spiels aber begann mir grüner Sabber aus dem Mund zu laufen, sodass ich fast keine Luft mehr bekam.“.
Dr. Michel D’Hooghe, Präsident der Medizinischen Kommission der FIFA seit 1988:
„Mein erster Kontakt mit Doping war recht dramatisch. Während des Spieles FC Brügge und FC Lüttich am 12. November 1972 brach Rico Rijnders auf dem Spielfeld zusammen. Einige Monate zuvor war ich Clubmedinziner geworden. Ich gelang mir, zuerst allein, dann mit einem Team des ehemaligen Hospitals Saint-Jean, Nico zu reanimieren. Nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus erlangte er erst um 6 Uhr morgens das Bewusstsein wieder. Die folgende medizinische Behandlung hat uns näher gebracht und so erzählte er mir wie er in seinem ehemaligen Club mehrmals Pillen bekommen hatte, die ihm eine beachtliche Leistungssteigerung beschert hatten. Möglicherweise wurde dadurch sein Herz zu stark belastet.“ (M. D’Hooghe, 2001; nach de Mondenard in Les Dopés du Foot, 2012, S. 189)
Dr. Rolink, 1980:
„Um so mehr als ich Arzt des sportlichen Nachwuchses bin, gehe ich davon aus, dass ich ihnen dieselben Medikamente geben kann, die ich meinen Patienten im Allgemeinen verschreibe. Ich schließe kein Produkt aus.“
(Panorama du Médecin, 8.10.1980; nach de Mondenard in Les dopés du foot, S. 1204)
Dr. Jimmy Van Rompou, Mediziner des niederländischen Clubs AZ’67, 1976:
„Doping ist unter den Fußballern meines Landes weit verbreitet“. Danach benutzen mehrere Clubs der Ersten Liga Dopingprodukte für ihre Spieler und er kündigte an, dass er den zuständigen Stellen verstärkte Verbandskontrollen empfehlen werde.
(L’Equipe, 28.10.1976; nach de Mondenard in Les dopés du foot, 2012, S. 196)
Gomez Juanito, 1974-1977 bei Burgos, danach Flügelstürmer von Real Madrid, erzählte 1979:
„Als ich bei Burgos spielte, kam es vor, dass ich mich dopte. Ich nahm Centramin (Amphetamin), die Packungen gab es à 20 Pillen in der Apotheke.“ (France Football, 30.10.1979;nach de Mondenard in Les dopés du fott, S. 201)
William Johnston war der zweite offizielle Dopingfall im internationalen Fußball: Im Juni 1978 wurde der Schotte wegen Dopings von seinem Verband von der weiteren Teilnahme an der WM und auf Lebenszeit aus der Schottischen Nationalelf ausgeschlossen. Ihm wurde das Mittel Fencamfamin, ein Amphetamin, nachgewiesen. Zu Johnston schreibt die SZ:
„Dr. Gottfried Schönholzer, der Vorsitzende der FIFA Ärzte-Kommission, äußerte: „Nach meiner Kenntnis wird das in Johnstons Urin bei beiden Tests gefundene Fencamfamin als Stimulanz verwendet.“ … “ Wie Schönholzer urteilt auch der Mannschaftsarzt des deutschen Teams, Professor Dr. Heinrich Heß: „Fencamfamin … zählt zu den schwersten Drogen. Die deutschen Kampfflieger haben es im Zweiten Weltkrieg benutzt, um wach zu bleiben. Es ist in dem Präparat ‚Hallo Wach‘ enthalten. Auch Bergsteiger benutzen es.“ … „Englische Journalisten, die das Geschehen in der Liga seit Jahren verfolgen, fühlen sich durch den Dopingsünder Johnston bestätigt: Die Spieler des Klubs [West Bromwich Albion] werden schon seit Jahr und Tag durch Drogen aufgeputscht, behaupten sie.“ (Süddeutsche Zeitung, 7.6.1978)
Weitere Fälle mit und Diskussionen um Amphetamine bzw. Amphetaminderivate wie Captagon im Fußball siehe unter Fußball und Doping: Deutschland (BRD)
frühe Kontrollen
1969 wurden im brasilianischen Bundesland Parana die erste Fußball-Dopingkontrollen in Brasilien durchgeführt. Dabei wurde deutlich, dass zwölf der dreizehn Mannschaften, die in der Serie A spielten, regelmäßig Stimulanzien einnahmen, wobei bis zu 60% der kontrollierten Spieler positiv waren. (E.A. De Rose, 1969, nach de Mondenard in Les Dopés du Foot, 2012, S. 184)
Anlässlich des Europacup-Spiels Anderlecht-Barcelona am 18. Oktober 1978 taucht plötzlich das Team einer belgischen Polizei-Sondereinheit auf und möchte von jedem Team drei Spieler kontrollieren. Alle sechs weigern sich. Die Spanier sahen sich nicht an Gesetze fremder Länder gebunden (in Spanien gab es laut Noret ein ähnliches Antidopinggesetz wie in Belgien). Am 23.Januar 1979 wurde verkündet, es gäbe keine juristischen Sanktionen wegen der Verweigerungen. Diese Ankündigung stieß allerdings auf heftige Kritik all derjenigen, die sich ähnlichen Kontrollen unterworfen hatten. Offen wurde der Einfluss des europäischen Verbandes angesprochen, der die Angelegenheit so gut wie möglich geregelt haben wollte, was wiederum umgehend dementiert wurde, die Justiz sei unabhängig. (Noret, le Dopage, S. 133)
Ephedrin
1966 wurden zum ersten Mal bei einer Fußball-Weltmeisterschaft Dopingkontrollen durchgeführt. Nach jedem Spiel mussten zwei ausgeloste Spieler zur Dopingkontrolle. 2011 fanden Historiker der Berliner Humboldt-Universität, die an dem Forschungsprojekt ‚Doping in der BRD… arbeiteten, einen Brief von 1966 von Mihailo Andrejevic, Vorsitzender des Medizinischen Komitees der Fifa, an Max Danz, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Darin informierte er seinen deutschen Arztkollegen darüber, dass es lediglich drei positive Proben von deutschen Spielern mit Ephedrin-Spuren gab.
„Wir hatten nur zum Schluss bei der deutschen Mannschaft bei drei Spielern sehr feine Zeichen von der Einnahme eines gewissen Ephedrinmittels gegen Schnupfen entdeckt.“. Sanktionen gab es nicht (der Spiegel, 1.10.2011). Siehe auch der Spiegel, 18.7.1966: Giftig ohne Gift.
Arnold Beckett, Direktor des Drogenkontrollcenters des Chelsea-Colleges schrieb 1980 über diese Dopingkontrollen und Beobachtungen während der Weltmeisterschaften 1966:
„Während der WM 1966, die in England stattfand, stellte man allgemein fest, dass es aufgrund der durchgeführten Dopingkontrollen viel weniger Aggressivität als erwartet gab. Eine weitere bemerkenswerte Beobachtung war: gewisse der älteren Spielen spielten nur über kurze Zeit und man vermutete, dass sie ohne Doping nicht mehr in der Lage waren gut zu spielen. Es gab insgesamt nur drei positive Fälle während der WM aber aus Zeugenaussagen ergab sich, dass diese Personen Nasentropfen gegen Schnupfen genommen hatten, denn ab dieser Zeit war es möglich im Sport verbotene Substanzen auch in Medikamenten, die in Form von Tropfen eingenommen wurden, festzustellen.“ (A. Beckett, 1980, nach de Mondenard in Les Dopés du Foot, 2012, S. 178)
Im ‚Paris Match‘ vom 3.6.1977 meinte ein französischer Fußballtrainer zu Gebräuchen bei den Profis:
„Drei Tage vor einem Spiel wird erklärt, der Start des Mittelstürmers – der Star des Teams – sei aufgrund eines grippalen Infekts ungewiss. Am Tag des Spiels ist er aber da. Uns erzählt man, die Grippe sei überwunden, er spielt auf eigenen Wunsch! Blödsinn! Der Junge war nie krank. Aber am Tag vor dem Spiel hat er sich die Brust mit Ephedrin frei gemacht. Damit hat er seine Atmung verbessert und damit auch seine Regenerationsfähigkeit. Sollte er während des Spiels Pech haben, ein Unfall geschehen, und er würde im Krankenhaus kontrolliert, hätte er eine Verschreibung dabei für antigrippale Medikamente. Sollte man also Ephedrin bei ihm finden, wäre alles normal. Das gehöre zur Behandlung.“ (de Mondenard, Dictionnaire, S. 450)
Ephedrin war auch Grund des Bebens, dass die Fußballwelt während der WM 1994 erschütterte, als Diego Maradona positiv getestet wurde. Auch hier wurde breit diskutiert, ob es sich bei diesem Mittel um Doping handelte oder eher um eine eine gesundheitsfördernde Maßnahme. Dagegen sprach allerdings, dass bei dem Star ein Cocktail fünf verschiedener Substanzen, die nach Dr. Michel D’Hooghe, Präsident der Medizinischen Kommission der FIFA als sehr gefährlich einzustufen waren (Ephedrin, Phenylpropanolamin, Pseudiephedrin, Norephedrin, Metephendrin) gefunden wurden. (de Mondenard, 2010, S. 172) Laut „Gazzetta dello Sport“ war Doping zu der Zeit im argentinischen Fußball auch nichts Besonderes,
„63 Prozent von 209 Profis der Ersten Liga hätten in einer Umfrage in Argentinien diese Annahme bestätigt. 22 Prozent kennen demzufolge mindestens einen Spieler der Ersten Liga, der unter Einfluß von Dopingmitteln im Einsatz war.“ (FAZ, 8.7.1994)
1980er Jahre Wurde die Nationalmannschaft Algeriens gedopt?
Wurden Spieler der algerischen Nationalmannschaft in den 1980er Jahren ohne ihr Wissen gedopt? Wenn ja mit welchen Mitteln? Im November 2011 gingen 3 ehemalige Nationalspieler an die Öffentlichkeit und stellten einen Zusammenhang zwischen möglichem Doping und Köperschäden bei Kindern der Spieler her. (El Watan, 13.11.2011, algerie360.com, 12.11.2011) Bereits 2010 hatten Mohamed Chaïb et Kaci Said versucht mit diesem Thema Öffentlichkeit zu erhalten, allerdings ohne Erfolg. Alles was sie unternommen hatten, blieb ohne Resonanz, sie seien gegen eine Mauer des Schweigens angerannt. Schnell hätten sie begriffen, dass es um ein Tabu ging.
Mindestens 7 Spieler, Djamel Menad, Kaci Saïd, Tej Bensaloua, Mehdi Cerbah, Mohamed Chaïb, Abdelkader Tlemçani und Salah Larbès, haben behinderte Kinder. Der ehemalige Verteidiger Mohamed Chaib hat sogar drei behinderte Töchter.
Die Spieler erinnern sich, dass sie von einem russischen Betreuer gelbe Pillen erhalten hätten, die angeblich Vitamine gewesen seien. Von offizieller Seite wurde schnell dementiert, es habe keine ausländischen Mitarbeiter, vor allem keinen ausländischen Mediziner in den 1980er Jahren gegeben. Angestellt waren jedoch der russische Auswahltrainer Guenaddi Rogov, von 1980 bis zur WM 1982, ein russischer Therapeut und der jugoslawische Trainer Zdravko Rajkov, der von 1981 bis zur WM 1982 sowie erneut von Oktober 1986 bis März 1988 Mitglied des Betreuerstabs der Nationalmannschaft war (europe1, 17.11.2011). Der algerische Arzt Dr. Rachid Hanifi erinnerte sich daran, dass Guenaddi Rogov einen Mediziner dabei hatte, der bald den Ton angab. Er selbst habe damals keinen Zugang mehr zu den medizinischen Protokollen bekommen und habe daher seinen Abschied genommen:
„je n’ai plus eu accès aux dossiers médicaux. Je pensais qu’ils faisaient des tests d’évaluation qu’ils ne voulaient pas divulguer. J’ai envoyé un rapport au directeur général du Centre national de médecine du sport et au ministère. On m’a répondu qu’il fallait laisser Rogov travailler avec son médecin. Alors, j’ai démissionné“, explique le Dr Hanifi. „Le lien (avec les produits dopants) n’est pas évident mais il est possible“. (le Monde, 17.11.2011).
„Chaïb, Menad und Kaci-Saïd erinnern sich gut an den Arzt namens „Sascha“ und seine Pillen und Pulver. France 2 hat diesen „Sascha“ in einem Krankenhaus in Tscheljabinsk aufgetrieben, 1500 Kilometer östlich von Moskau: einen Professor namens Aleksander Tabartschuk [Tabarchuk], der einräumt, Algeriens Nationalelf seinerzeit behandelt zu haben. Aber nur mit „Vitaminen aus französischer und Schweizer Produktion“. Bezahlt habe alles der algerische Verband.“ (SZ, 30.6.2014). Das Interview mit Tabarchuk ist hier auf youtube zu finden.
Auch wenn der Beweis eines Zusammenhanges wohl kaum ohne Geständnisse und entsprechende Nachweise möglich sein wird, gibt die hohe Zahl der behinderten Kinder zu denken. (SZ, 21.11.2011, mideastsoccer.blogspot.com, 18.11.2011) Die betroffenen Väter fordern nun offizielle Untersuchung, ob sie gehört werden, ist noch nicht bekannt.
1992 Olympische Spiele Barcelona
Bei den Olympischen Spielen gewann die polnische Mannschaft die Silbermedaille 2:3 gegen Spanien. Anfang März 1994 meldete die polnische Sportzeitschrift „Tempo“ dass drei Spieler der polnischen Mannschaft wenige Wochen, am 3. Juni 1992 vor der Reise nach Barcelona positiv getestet worden waren: Piotr Swierczewski, Piotr Klak und Dariusz Kosela. Drei Professoren der polnischen Dopingkommission hatten jetzt zugegeben, dass die A- und die B-Proben der Sportler damals große Mengen unerlaubter Substanzen aufwiesen. Das Sportministerium hätte versucht, die Affaire zu vertuschen. (kicker, 10.3.1994)
Machtspiele: WM 1998 in Frankreich
In den 90er Jahren trat EPO seine Siegeszug an. Das Dopingproblem eskalierte und fand im Festina-Skandal 1998 während der Tour de France einen Höhepunkt. Alles schaute auf den Radsport, Doping in anderen Sportarten wurde kaum mehr thematisiert. Verdachtsmomente gab es jedoch auch im Fußball. 1998 fand in Frankreich die Weltmeisterschaft statt. Im Vorfeld gab es heftige Auseinandersetzungen um unangekündigte Trainingskontrollen, die am 26.12.1997 bei der französischen Mannschaft im Trainingslager in Tignes durchgeführt wurden. Unangekündigt? Während der Ferien? Selbst Ministerin Buffet sah sich genötigt sich zu rechtfertigen und entschuldigte sich offiziell bei der Mannschaft für das gewählte Datum. Von diesem Zeitpunkt an bis zu der WM im Juni/Juli wurden die ‚Blauen‘ nicht mehr im Training kontrolliert. Durchgeführt wurden wohl Kontrollen während eines Freundschaftsspiels im Januar gegen Spanien, doch nicht bei den Spaniern. Diese weigerten sich, Frankreich sei nicht zuständig, auch FIFA-Präsident Blatter soll dieser Meinung gewesen sein. Der Spanische Sportminister erklärte dazu auf Anfrage, „bei uns läuft das nicht so wie in Frankreich, … Fußballer sind unantastbare Helden“ (mehr siehe >>> hier ).
Glaubt man Éric Maitrot, Autor des Buches ‚Les scandales du sport contaminé‘, versuchte die FIFA ihre eigenen Vorstellungen der Dopingbekämpfung während der WM durchzusetzen. Die Ministerin wollte Trainingskontrollen, Havelange weigerte sich. Es soll lautstarke Auseinandersetzungen gegeben haben. Havelange argumentierte z. B. damit, dass die FIFA einen höheren Haushalt habe als Frankreich, „hören Sie, Madame, wir haben Ihnen die WM gegeben, also nerven Sie uns nicht länger mit Ihren Kontrollen und Ihren Ärzten….“.
Zu der Zeit bestand vor allem Gefahr Sportler mit Nandrolon zu überführen. In Frankreich waren sechs Fußballer damit aufgeflogen, auch in anderen Ländern war es ein beliebtes Mittel. Über die Nachweismöglichkeiten gab es zunehmend Auseinandersetzungen, gerne wurde den Laboratorien Fehler unterstellt. In diesem Sinne versuchte die FIFA auch dem Pariser Analyselabor die Kompetenz abzusprechen und drohte mit den Proben nach Lausanne zu gehen. Es blieb bei Paris, doch mit gewissen Auflagen: u.a. keinerlei Trainingskontrollen, Ergebnisse mussten erst an die FIFA (Blatter) übergeben werden, die sie dann anonym an das Ministerium weiter gab, ein FIFA-Beobachter war ständig im Labor anwesend. Zwischen Ministerium und Labor wurde allerdings telefoniert und penibel darauf geachtet, dass kein Ergebnis unterwegs verloren ging.
Fünf Tage vor WM-Eröffnung wurden die für die Kontrollen zuständigen Ärzte von Michel D’Hooghe, dem Vorsitzenden dem medizinischen Kommission der FIFA, eingewiesen. D’Hooghe sprach sich für ein genaues und rigoroses Vorgehen aus, demonstrierte aber den Ablauf fehlerhaft – damit wäre jeder positive Fall wegen Verfahrensfehlers abgeschmettert worden. Zufall oder Absicht? Die Franzosen wurden misstrauisch und setzen für die Kontrollen das Beisein französischer Ärzte durch. Geholfen hat es wenig. Nach Dr. Alain Garnier, französischer Anti-Doping-Chefmediziner, wurden diese Ärzte ausgetrickst und es häuften sich die Verfahrensfehler, die nicht korrigiert wurden. So verschlossen die FIFA-Kontrolleure selbst die Urinproben anstelle der Sportler. Proteste halfen nicht.
Am 16. Juli 1998 verkündete die FIFA: All the doping tests carried at the 1998 World Cup proved to be negative. … The names of 256 players were drawn by lots at the 64 matches and these players subjected to tests. This represents 35% of the 704 footballers in the 32 World Cup teams. Taking only the finalists into account (France, Brazil, Croatia and the Netherlands), 64% of the players from these four teams had undergone tests for prohibited substances at least once….“ (FIFA)
Am 31. Januar 2002 veröffentlicht Damien Ressiot in der l’Équipe eine Liste mit Medikamenten, die von ausländischen Teams bei der Einreise nach Frankreich angeben werden mussten. Trinitrin hatten Italiener, Spanier, Holländer dabei, Actovegin die Österreicher und Belgier, Esafosfina die Italiener und Belgier. Die Holländer hatten insgesamt 128 verschiedene Mittel deklariert, mit dabei Nandrolon-Ampullen. (Innerhalb des folgenden Jahres wurden aus diesem Team Edgar Davids (Juventus Turin), Franck De Boer (FC Barcelona) und Jaap Stam (Lazio Rom) positiv auf Nandrolon getestet.). Angeblich habe man in Frankreich die Information zu Nandrolon weitergereicht, doch eine gesetzliche Handhabe dagegen hätte es nicht gegeben.
Im August 2011 veröffentlichte der ehemalige britische Nationalspieler Gary Neville sein Buch ‚Red‘. Darin spricht er zwar nicht von Doping schildert aber wie Spieler des Nationalteams vor dem Spiel gegen Argentinien Spritzen erhielten, die erstaunliche Wirkungen entfalteten.
When the 1998 World Cup started, some of the players started taking injections from Glenn’s favourite medic, a Frenchman called Dr Rougier. It was different from anything we’d done at United, but all above board, I’m sure. After some of the lads said they’d felt a real burst of energy. (mail online, 21.8.2011).
Dass einiges bei der WM 1998 zu verbergen gewesen war, legt auch eine Bemerkung von Patrick Keil, Richter im Festina Prozess, nahe. Keil sagt, alle vernommenen Fahrer hätten ausgesagt, dass auch Sportler anderer Sportarten, insbesondere Fußballer dieselbe medikamentöse Behandlung genossen hätten wie sie selbst. Schließlich hätten sie alle dieselben Ärzte und Präparatoren gehabt. Insbesondere die Fußballnationalteams Frankreichs und Italiens seien betroffen gewesen. Keil meinte, mit diesen Informationen hätte er eine Untersuchung einleiten können. (l’Humanité, 23.11.2009, o-f: 5.11.2009)
D’Hooghe, darauf angesprochen, gab an nichts gewusst zu haben. Er hatte allerdings 1999 mit ungewohnt offenen Aussagen für Aufregung gesorgt. AFP zitiert in nach einem Interview in De Morgen am 4.2.1999 wie folgt:
„Michel D’Hooghe … ist überzeugt, dass „einige während der Fußball-WM 98 EPO genommen haben“…. Alle Proben während der WM waren anabole Steroide betreffend negativ. Aber das bedeutet nicht, dass gewisse Spieler keinen Zugriff auf nicht nachweisbare Substanzen wie EPO hatten. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass EPO bei dieser WM eine Rolle spielte. da ich keinerlei Beweise habe, kann ich auch niemanden beschuldigen. Aber wenn ich die Schwierigkeiten sehe, die die belgische Nationalmannschaft dabei hatte sich zu erholen und das mit der Frische vergleiche, die einige der Gegner an den Tag legten, stelle ich mir Fragen.“ (zitiert nach De Mondenard, Dictionnaire, S. 473)
Im September meinte er, „“was in anderen Disziplinen zehn bis fünfzehn Prozent der Athleten betrifft, tangiert im Fußball ein bis drei Prozent.“ Seinen Glaubenssatz ergänzt D’Hooghe allerdings mit einer Bemerkung, die auf Skepsis gegenüber der Zukunft schließen lässt: „Das Risiko ist beträchtlich, dass Doping auch im Fußball zu einem schweren Problem wird. Die Versuchung hierzu ist angesichts von immer mehr Spielen und immer mehr Geld größer geworden.“ Erforderte mehr Kontrollen, schärfere Strafen und eine Aufklärungs- und Informationskampagne. „Er ist davon überzeugt, ohne es beweisen zu können, dass es auch in seinem Sport genügend Epo-Konsumenten gebe; der Belgier hätte auch nichts gegen die mancherorts umstrittenen Blutkontrollen. „Natürlich gibt es eine Doping-Mentalität auch im Fußball“, sagt D’Hooghe. Sie zu bekämpfen, sei eine lohnende Aufgabe. Was er damit konkret meint, hat er in Genf gesagt und angekündigt. Trainingskontrollen sollen dabei helfen – gerade vor den größten Festen des Fußballs.“ (FAZ, 25.9.1999)
Vier Jahre später 2002 klang alles moderater, jetzt meinte er, EPO im Fußball sei wie andere Mittel auch nur ein Randproblem, schließlich wäre Fußball eine zu komplexe Sportart für diese Art des Dopings.
Untermauert sah er seine Ansicht, durch Blutanalysen bei der WM 2002. 256 Proben wurden auf auffällige Parameter hin untersucht (Hämatokrit, Hämoglobin, Reticulozyten (australischer EPO-Test?). Da es diesbezüglich nichts zu beanstanden gab, wurden keine Urinproben mit dem neuen EPO-Test analysiert. Im Januar 2002 hatte d’Hooghe noch angekündigt, EPO mit dem Urintest suchen zu lassen. Nach einem internationalen FIFA-Mediziner-Workshop im Februar hatte es dann geheißen, man wolle beide Tests, Blut- wie Urintests durchführen. D’Hooghe begründete den Entschluss mit juristischen Notwendigkeiten. Bekanntermaßen würden Spieler mit den teuersten Anwälten aufwarten, man müsse daher sicher gehen. 2003 war man wieder beim alleinigen Urintest angelangt. Dieses Schwanken zwischen den Methoden ist aber nicht allein bei er FIFA festzustellen, sondern findet auch in anderen Verbänden und dem IOC statt.
2002 Cédric Lécluse: ‚chinesische Vitamine‘
Der ehemalige Verteidiger von Nancy Cédric Lécluse hatte im Sommer 2002 einen gut dodierten Vertrag in China bei Cosco Shanghai unterschrieben. Recht bald wunderte er sich über medizinische Praktiken, die er während der chinesischen Meisterschaften beobachtete. Einem Freund berichtete er per Email, dass die Spieler wie Zitronen ausgepresst und gedopt würden. Zurück in Frankreich erzählte er in Le Parisien von eigenen Erfahrungen:
„Ja, ich dachte, dass sie dopten. Einmal hatte ich fast fünf Tage lang 40Grad Fieber. Es sah nicht so aus, als könne ich das kommende Spiel bestreiten. Man gab mir eine intravenöse Spritze. Niemals habe ich erfahren, was darin war. Ich konnte danach spielen auch wenn ich am Ende der Begegnung fertig war. Zweifel sind erlaubt …. Kein Arzt hat mich untersucht. Man erzählte mir etwas von ‚chinesischen Vitaminen‘, denselben, die der chinesischen Nationalmannschaft während der ersten Runde der WM 2002 verabreicht worden seien…“ (Maitrot, Les Scandales…, S. 226)
2003 systematische Doping bei Spartak Moskau?
Im November 2003 wurde Yegor Titov anlässlich des Spiels Russland gegen Wales positiv auf Bromantan, ein Stimulanz und maskierendes Mittel, getestet. Daraufhin wurde in russischen Medien der Vorwurf laut, bei Spartak Moskau werde systematisch gedopt. Argumentiert wurde mit dem plötzliche Rückzug einiger Spieler dieses Clubs aus dem Nationalteam am Vorabend des Spiels Russland gegen Irland im September 2003. Unterstützt wurde dieser Verdacht durch Aussagen der beiden ehemaligen Spartak-Spieler Vladislav Vashchyuk und Maxim Demenko, die angaben an solch einem Dopingprogramm teilgenommen zu haben. Demenko sprach von ‚kleinen weißen Pillen‘, die vor jedem Spiel den wichtigsten Spielern gegeben wurden. Vashchyuk erwähnte Infusionen, mit denen Ärzte Dopingmittel verabreicht hätten. (Mosnews, 3. 5.2005, zitiert nach Malcolm in Waddington/Smith, S. 163, ergogenics, 8.5.2005)
Nandrolon
Nandrolon, ein körpereigenes Steroid, wurde bereits 1950 synthetisiert. Als Nandrolondecanoat (Esther) ist es in Deutschland unter dem Namen Deca-Durabolin im Handel. Es wirkt als Depotpräparat, das den Blutspiegel über längere Zeit aufrecht erhält, ist aber sehr lange nachweisbar. Im Fitnessbereich kommt es heute noch sehr häufig in höheren Dosen zum Einsatz, im kontrollierten Leistungssport wurden sie durch verwandte Prohormone ersetzt, vielleicht kommen auch Mikrodosen zur Anwendung. Prohormone werden in einigen Ländern als Nahrungsergänzungsmittel verkauft, sind in Deutschland aber nicht zugelassen. Nandrolon und dessen Prohormone sind grundsätzlich verboten. Nachgewiesen wird Nandrolon über dessen Hauptmetaboliten Norandrosteron, der allerdings im Körper auch natürlicherweise vorkommt. Daher muss mit Grenzwerten gearbeitet werden. Für Sportler gefährlich wird es, wenn sie Nahrungsergänzungsmittel erwerben, die mit Anabolen Steroiden, auch Nandrolon und Prohormonen verunreinigt sind. (dopinginfo.de) Aufgrund des körpereigenen Vorkommens und verunreinigter Nahrungsergänzungsmittel sorgten die auch dank feinerer Analysemethoden gehäuft auftretenden positiven Befunde im internationalen Hochleistungssport in den Jahren um die Jahrtausendwende zu heftigen Diskussionen und Auseinandersetzungen insbesondere um die Höhe des gültigen Grenzwertes. (NZZ, 20.8.1999, FIFA, 6.10.03)
Das Argument der verunreinigten Nahrungsergänzungsmittel wurde 2011 von >>> Stefan Matschiner um eine andere Variante ergänzt. Der ehemalige österreichische Leichtathlet und Sportlermanager berichtete von positiven Nandrolonfällen, die auf verunreinigtes Testosteron zurückgingen. Ein Grund warum er Apothekenware bevorzugte.
Ab 1993 war Nandrolon von allen internationalen Organisationen verboten. 1993 wurde der erste positive Fall im Fußball öffentlich, 1994 folgte der zweite, 1996 der dritte. 1997 sorgten vier französische Fußballer sowie ein Handballer und ein Judoka für helle Aufregung und heizten die Diskussion darüber an, ob das Steroid als exogen zugeführt nachgewiesen werden kann. Im Durchschnitt wurden diese vier Spieler für 6 Monate gesperrt. 1998 und 1999 fielen drei Fußballer auf, einer wurde sanktioniert. Ab dem Jahr 2000 nahm die Kontrolldichte zu und auch die positiven Fälle. 2000 und 2001 waren es 14 Spieler außerhalb Portugals (u.a. 6 Italiener, 3 Niederländer, dabei auch Josep Guardiola (SZ, 18.1.2013), der 2mal positiv getestet wurde ), in Portugal sollen innerhalb von 5 Monaten 31 Spieler innerhalb von 5 Monaten positiv getestet worden sein. Von 2004 bis 2010 wurden noch 6 Spieler auffällig.
Dopingmentalität im Fußball ? !
Die Einnahme verbotener Mittel zur Leistungssteigerung hat meist eine Vorgeschichte. Sportler finden sich häufig in einer Kultur wieder, in der sie langsam herangeführt werden. Nahrungsergänzungsmittel gehören zur Normalität und Pillen für alle möglichen ungeliebten Symptome oder gegen angebliche Defizite werden gerne empfohlen und genommen, sie sind selbstverständlich und häufig bilden sich Abhängigkeiten. (Der Begriff Dopingmentalität ist daher nicht gleichzusetzen mit einem ’schlechten Charakter‘.) Hinzu kommt der Anspruch, dass Verletzungen im Rekordtempo heilen sollen und der Körper sich generell möglichst schnell zu regenerieren hat. Solch eine Medikamentenkultur begünstigt nach allen Erkenntnissen den Griff zu stärkeren, auch verbotenen Mitteln. Im Hochleistungssport hat sich schon seit Jahrzehnten solch eine Kultur herausgebildet, nicht zuletzt mit tatkräftiger Unterstützung der Trainer und des gesamten therapeutischen Umfeldes.
Prof. Dr. Liesen, 1990 Arzt der deutschen Fußballnationalmannschft:
Beckenbauer „holte mich oft auf dem Trainingsplatz zu sich und sagte: „Guck den mal genau an. Ich brauch den in zwei Tagen. Sieh zu, dass der wirklich fit ist.“ „
Es deutet wenig darauf hin, dass Doping im Fußball keinen entsprechenden Nährboden findet oder fand. Die verschiedenen Schilderungen und Zitate aus früheren Jahrzehnten lassen vermuten, dass hier ebenso wie in anderen Sportarten die Versuchung groß war, Mittel und Methoden auszuprobieren, die das Leistungsvermögen unterstützten oder erweiterten. So nahm die Diskussion um das Für und Wieder von Sauerstoffgaben schon Ende der 1940er und 50er Jahren breiten Raum ein. International wurde damit experimentiert. Die Wirkungsweise war zwar nicht richtig klar, doch Effekte schienen sich einzustellen, auch wenn einige Experten vor allem die Kraft der Einbildung dafür verantwortlich machten. Einigkeit darüber, ob es sich hier bereits um Doping handelte, herrschte nicht. (der Spiegel, 19.05.1954: Sauerstoff-Stürmer)
Ludwig Prokop schreibt 1959:
„Unter den Mitteln, die in letzter Zeit sehr oft, vor allem im Fußball, zur Leistungssteigerung herangezogen werden, spielt der Sauerstoff eine große Rolle. Die leistungssteigernde Wirkung von Sauerstoff wurde schon vor 50 Jahren bekannt, und schon zu dieser Zeit haben belgische und englische Fußballmannschaften vor dem Match und in der Halbzeitpause Sauerstoff geatmet.“ (>>> L. Prokop, 1959)
Dass Versuchungen groß waren nach leistungssteigernden Mitteln und Methoden zu greifen, darauf deutet auch eine Diskussion um Doping im englischen Sport hin, die Anfang der 60er Jahre auf der Insel stattfand und wahrscheinlich mit dem Skandal um den Club von Everton zusammen hing (Beispiel s.o. unter Amphetamine). Die Zeit veröffentlichte 1964 darüber einen Artikel. U. a. ging es auch um den Fußball.
„Kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele hat Sir Adolphe Abrahams, der Vorsitzende der britischen Vereinigung für Sportmedizin, kategorisch erklärt, daß es im englischen Sport kein Doping-Problem gäbe und daß „daher nicht der geringste Anlaß zu irgendeinem Vorgehen bestehe“. Im Gegensatz zu dieser optimistischen Erklärung steht die Ansicht von Dr. John Williams, der englischer Vertreter im Doping-Ausschuß des Europarates ist. Er hatte vor Weihnachten auf einer Pressekonferenz in Spanien erklärt, daß Doping im englischen Fußball nicht unbekannt sei. Später informierte er die „Football Association“, daß „ihm eine qualitativ bedeutsame Anzahl von Spielern mitgeteilt hätte, daß sie Doping-Mittel nehmen“. Dr. Williams versteht unter „Doping“ jene Definition, die der Europarat inzwischen angenommen hat, die sich freilich etwas vage liest, aber doch ziemlich deutlich ausgelegt werden kann. Die „Football Association“ antwortete, daß es tatsächlich Doping gäbe, wenn man diese Definition akzeptieren würde. Sie wäre aber unannehmbar, da sie die Verwendung von Sauerstoff, Glukose und Koffein-Tabletten einschließe. (die Zeit, 3.4.1964)
Es wurde wohl immer experimentiert, mit Amphetaminen, anabolen Substanzen, Bluttransfusionen (Beckenbauer, Kapellmann, Zidane) und vielem mehr. (Weitere Beispiele sind Zelltherapien, Injektionen von Kälberblutextrakten (Actovegin), Blood Spinning. Wobei Actovegin als Verschleierungsmittel von Dopingmitteln, vor allem EPO, benutzt werden kann. ) Zudem zeigen sich Überschneidungen verschiedener Sportarten in der ärztlichen Betreuung (u.a. Dr. Liesen und Freiburger Sportmediziner). Die Diskussion um das ‚hormonelle Gleichgewicht‘, um die Substitution von Substanzen, die durch intensiven Sport verbraucht würden, die der Körper aber dringend brauche, wurde in Bezug auf die medizinische Betreuung von Fußballern ebenso geführt wie von anderen Sportarten (Substitutionstheorie).
Da waren und sind Grenzen schnell überschritten, auch im Fußball. Aus der deutschen Dopingdiskussion der 1970er und 80er Jahre liegen Äußerungen vor, die zeigen, dass im Fußball anabole Steroide bei Verletzungen eingesetzt wurden und glaubt man Stefan Matschiner, dann ist das heute immer noch so.
„Es ist ganz klar, wenn du in der achtzigsten oder fünfundachtzigsten Minute die gleichen koordinativen Fähigkeiten hast, wie in der 3. Minute, weil du eben besser mit Blut versorgt bist oder mit Sauerstoff versorgt bist, dann hat du einen Vorteil gegenüber deinen Gegnern und Doping ist auch im Fußball, genauso wie im Tennis, genauso wie in der Leichtathletik, beim Schwimmen, beim Radfahren, genauso ein Problem oder ein täglicher Teil wie woanders auch. …
Ich habe mit Fußballern zusammen gearbeitet. … Die haben mit Testosteron gearbeitet, mit EPO, manche wollten eigentlich nur Ephedrin, ja? Also Stimulanzien, aber von dem habe ich nicht viel gehalten.“ [Die Fußballer spielten in Österreich.] (Deutschlandfunk, Sportgespräch, 22.1.2012)
In seinem Buch ‚Grenzwertig‘ spricht er zudem von einem bayrischen Top-Fußballclub, bei dem Testosteron in geringen Dosen Teil des berühmten Fitspritzens gewesen sein soll.
Das Beispiel der Schmerzmittel zeigt, dass im Fußballsport die Neigungen zu Medikamenten und aufbauenden Mitteln zu greifen, weit verbreitet sind. Der Unterschied zu anderen dopinggefährdeten Sportarten dürfte damit gering sein. Auch die dopingbegünstigenden Rahmenbedingungen, in denen der Sport stattfindet, sind vergleichbar, wenn nicht sogar gravierender: Kommerzialisierung, finanzielle Umsätze, Leistungsdruck, mediale Aufmerksamkeit, Konkurrenz usw. sind ausgeprägter als in anderen Sportbereichen. Die geschlossene Fußballwelt, mächtig und diskret, dürfte einiges mehr begünstigen.
Dass wenig bekannt ist über Dopingpraktiken im Fußball heißt nicht, dass Doping kaum existiert – diese Meinung wird heute immer häufiger öffentlich vertreten. So spricht der französische Dopingexperte Prof. Michel Rieu 2011 von der totalen, absoluten, kompletten Omerta im Fußball, die es den Fahndern unmöglich macht, zu erfahren was wirklich läuft.
medikamentöse Unterstützung, Medikamentenmissbrauch
Toni Schumacher hat in seinem Buch ‚Der Anpfiff‘ geschildert, wie er und sein Team in den 80er Jahren mit Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten traktiert wurden. Im Sinne der Substitution wurde den Spielern von Dr. Heinz Liesen große Mengen, einschließlich Schlafmittel, eingeredet. Doping war dies nicht, sofern keine verbotenen Mittel zum Einsatz kamen. (>>> mehr Infos)
Pierre Poty, in den 70er Jahren Arzt von AS St-Etienne, erzählte Ähnliches. Vor wichtigen Spielen gab den Spielern abends Beruhigungsmittel. Nach Bedarf arbeitete er auch mit Kuren von Antidepressiva. (Zitiert nach De Mondenard, Dictionnaire, S. 1104) Bernard Lama, französischer Spieler, 1996 positv auf Cannabis getestet und für zwei Monate gesperrt, meinte zur damaligen Situation:
„Hört auf mit der Heuchelei. Man sagt mit Cannabis könne man sich entspannen, aber ist Frankreich nicht weltweit der größte Konsument an Beruhigungsmitteln und Antidepressiva? Wieviele Sportler, insbesondere Männer, verschlingen vor den Wettkämpfen Neuroleptica? Oft kommen sogar noch am Vorabend die Ärzte in den Zimmern vorbei. Aber da diese Produkte legal sind, beginnt man keine Diskussion darüber, spricht man nicht von Moral, das ökonomische Gewicht dieser Produkte ist zu beträchtlich.“ (De Mondenard, Dictionnaire, S. 221)
Glaubt man vielen Schilderungen, ist diese Situation im Fußball wie in vielen anderen Sportarten nicht besser geworden. Sport ohne Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente scheint für die meisten Athleten, auch im Hobbybereich, und ihr Umfeld nicht mehr möglich.
Zu den Medikamenten, die besonders zur Anwendung kommen, gehören Schmerzmittel. Deren Anwendung, international und national, hat in den letzten Jahren vor allem auch im Fußball, beängstigende Ausmaße angenommen, damit einhergehende Gesundheitsgefahren werden nicht mehr geleugnet. Auch in der FIFA machte man sich darüber Gedanken und reagierte erschreckt über die Vebreitung.
Mediziner Toni Graf-Baumann, Vorsitzender der Fifa-Anti-Doping-Kommission, im Interview, FAZ 22.8.2008:
„Graf-Baumann: Es ist erschreckend, wie unkritisch im Fußball mit Schmerzmitteln umgegangen wird. Voltaren, Ibuprofen oder auch Aspirin werden mit einer Selbstverständlichkeit geschluckt, als würde man einen Kaffee trinken – früh, mittags und abends.
… Bei der WM 2002 nahm beispielsweise jeder zehnte Spieler Schmerzmittel vor jedem Match, 20 Prozent bei zwei von drei WM-Spielen und die Hälfte mindestens einmal während des Turniers.
… Aber Sie können davon ausgehen, dass auch hier [normaler Ligaalltag] ohne eine ordentlich geführte Diagnostik und eine medizinische Indikation Schmerzmittel regelmäßig eingenommen werden. Teilweise sogar prophylaktisch, um angesichts der Überbelastung Muskelschmerzen vorzubeugen. Dabei sind die Folgen gravierend, wie der Fall Klasnic zeigt.“
Grundsätze für die Gesundheitsfürsorge in der Sportmedizin,
Deklaration des Weltärztebundes, 1999:
Deshalb muss der Arzt die Verabreichung all dieser Mittel oder die Anwendung dieser Methoden ablehnen, die nicht in Einklang mit der ärztlichen Ethik stehen und/oder die für den Sportler, der sie anwendet, schädliche Folgen haben können, insbesondere:
…
4.4 Verfahren, die den Schmerz oder andere Schutzsymptome überdecken, damit der Sportler an Wettkämpfen teilnehmen kann, wenn Verletzungen oder andere Anzeichen vorhanden sind, die eine Teilnahme nicht ratsam erscheinen lassen. …
Tim Meyer, der Internist der deutschen Nationalelf meinte 2010:
Schon bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 hat mehr als die Hälfte aller Spieler mindestens ein Mal während des Turniers mit Schmerzmitteln gespielt. Das ist das Ergebnis einer anderen Fifa-Studie. „Wir verteilen auf keinen Fall vorbeugend Schmerzmittel. Aber natürlich gibt es auch bei uns kleinere Verletzungen, bei denen wir Spieler schmerzhemmend behandeln. (FAZ, 13.5.2010)
Hans Geyer spricht von 33 Prozent der Fußballer (Datenauswertung von 2000 – 2005), die im Wettkampf Schmerzmittel nehmen, im Training liege die Quote in etwa bei 20 % (fußballdoping.de, 7.6.2012). Die Zahlen sind wahrscheinlich nur auf den DFB bezogen.
Anfang Oktober 2010 veröffentlichte der ehemalige Arzt des Niederländischen Fußballverbandes (KNVB) Han Inklaar ein Studie, wonach 27% der Spieler regelmäßig nach Schmerzmitteln griffen, ohne über die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren informiert zu sein.
„Edwin Goedhart, Teamarzt des Rekordmeisters Ajax Amsterdam, bestätigte im niederländischen Fernsehen den hohen Medikamentengebrauch und gab einen erschreckenden Einblick: Je wichtiger das Spiel, desto mehr Tabletten werden genommen. „Die Medikamentierung wird ausschließlich aus medizinischen Gründen angeordnet. Gesundheitliche und sportliche Interessen werden abgewogen. So kann es vorkommen, dass ein Spieler für ein Champions-League-Spiel eine höhere Dosis entzündungshemmende und schmerzstillende Medizin erhält als für ein normales Meisterschaftsspiel“, sagte Goedhart.“ (sid, 5.10.2010, nos.nl, 4.10.2010)
Siehe hierzu auch den Leidensweg von Ronaldo wie ihn Jean-Pierre de Mondenard beschreibt: >>> Wer hat Ronaldo getötet?
Auch bei der WM 2010 in Südafrika wurde der Schmerzmittelkonsum untersucht. 30 Prozent der Spieler haben danach vor Spielen nach schmerzstillenden Medikamenten gegriffen. Mehr Medikamente als je zuvor sollen bei diesem Turnier verabreicht worden sein.
Prof. Jiri Dvorak:
Seit 1998 haben wir bei sämtlichen FIFA-Turnieren die vollständigen Daten über die Verabreichung von Schmerzmitteln gesammelt. Dabei haben wir 55 Wettbewerbe von U-17-Meisterschaften bis hin zu internationalen Turnieren auf Vereins- und Nationalmannschaftsebene untersucht. Die Ergebnisse sind alarmierend. Bereits bei den U-17-Turnieren nehmen 20 bis 25 Prozent der Spieler entzündungshemmende Medikamente und Schmerzmittel ein. Das steigert sich dann bis hinauf zum WM-Niveau, wo 30 bis 35 Prozent der Akteure solche Mittel einnehmen. Zählen wir dazu noch die nichtsteroidalen Antirheumatika, sprechen wir hier von etwa 50 Prozent der Spieler.“ (FIFA, 5.6.2012: FIFA warnt vor Medikamentenmissbrauch
Chefmediziner Michel D’Hooghe beklagte 2013 ebenfalls den hohen Konsum unter jugendlichen Spielern.
„Doping ist nicht unser größtes Problem. Die Schmerzmittel sind unser größtes Problem“. „Das Schlimmste daran ist, dass wir immer mehr sehen, wie dieses Problem auch im Jugendbereich auftritt.“ Ungeachtet möglicher Spätfolgen würden gerade jüngere Spieler viele Muskelverletzungen mit starken Medikamenten behandeln, statt sie vernünftig auszukurieren, warnte der leitende Experte des Fußball-Weltverbands. Besonders auffällig sei das bei der U17-WM 2011 in Mexiko gewesen. „Da gab es eine Mannschaft, in der 21 von 23 Spielern solche Entzündungshemmer genutzt haben“. (AP, 18.3.2013, dpa, 18.3.2013
„[Eintracht Frankfurt-Trainer] Kovac sagte am Mittwoch am Rande des Reservistentrainings:
„Basti geht es schon besser, er hat bereits wieder lachen können.“ Der Coach ließ durchklingen, dass man versuchen wird, den Verteidiger mit Hilfe von schmerzstillenden Medikamenten spielfähig zu machen. „Im Fußball geht es ohne Schmerzmittel nicht“, meint Kovac. Wer etwas Anderes glaube, sei auf dem Holzweg.“ kicker.de, 1.3.2017
Doping ist das, legt man die Verbotsliste der WADA zugrunde, nicht. Schmerzmittel fehlen darauf. Warum? Angeblich gab es Initiativen, das zu ändern, doch der Widerstand aus verschiedenen Verbänden heraus war zu groß. Verständlich, legt man die Häufigkeit und Selbstverständlichkeit der Anwendung zugrunde. Doch Schmerzmittel erfüllen die Ansprüche, die normalerweise angelegt werden um Mittel und Methoden zu verbieten. Hans Geyer, Köln:
„Geyer: Das ist Doping! Schmerzmittel gehören auf die Liste. Die Athleten verbessern ihre Leistungsfähigkeit und schädigen sich, möglicherweise sogar irreversibel, weil sie den Schutzmechanismus des Körpers unterdrücken.“
(RPO, 4.6.2007, die Zeit, 6.9.2011, BBC, Interview mit Geyer, 5.6.2012)
Prof. Dr. med. Tim Meyer sieht das allerdings anders:
„Ich bin dennoch entschieden dagegen, dass Schmerzmittel auf die Dopingliste gehören. Wenn das geschieht, muss es im Umkehrschluss die Möglichkeit geben, diese in medizinisch gerechtfertigten Situationen doch zu verordnen. Dann können wir das Personal der Nationalen Antidoping-Agentur (NADA) verfünffachen, weil allein Anträge auf Schmerzmittelgebrauch deren Tag fünfmal füllen würden. Das ist nicht praktikabel. Schmerzmittel sind kein Doping. Schmerzmittel steigern nicht die Leistungsfähigkeit, sie stellen bestenfalls die schmerzbedingt reduzierte normale Leistungsfähigkeit her. Das darf man nicht in einen Topf schmeißen mit EPO. Wenn Sie sich perfekt gesund fühlen und nehmen EPO, werden Sie besser. Wenn Sie sich perfekt gesund fühlen und nehmen ein Schmerzmittel, sind Sie so leistungsfähig wie zuvor. Das ist ein entscheidender Unterschied.“
(der Stern, 23.5.2008)
Auch 2018 spricht sich der Mediziner für die freie Anwendung von Schmerzmitteln aus:
… die üblichen Schmerzmittel, Acetylsalicylsäure, Paracetamol und so weiter, stehen nicht auf der Doping-Liste, und ich glaube auch, dass jetzt nicht ernsthaft jemand sagen würde, dass man sie daraufsetzen sollte, denn das sind Mittel, die sind in Deutschland beispielsweise bis zu einer gewissen Dosis rezeptfrei und die nimmt jeder für Kopfschmerzen.
Der andere Punkt ist: Auch ein Spieler hat sicherlich grundsätzlich Recht darauf, dass bei ihm Schmerzen bekämpft werden – zumindest dann, wenn durch die Schmerzbekämpfung allein keine Gefährdung, keine medizinische Gefährdung entsteht. Ich finde, wenn man so seriös ist, als Arzt die Medikamente einsetzt, dann ist das in Ordnung. Es ist überhaupt nicht so, dass bei einem gesunden schmerzfreien Menschen Schmerzmittel plötzlich zu höherer Leistungsfähigkeit führen.
Was wir natürlich ganz schlecht kontrollieren können, ist der Einsatz dieser Schmerzmittel auf dem nichtärztlichen Weg – schlicht und einfach, weil der Gesetzgeber in Deutschland der Meinung ist, es muss keine Rezeptpflicht her. Das heißt aber mit anderen Worten natürlich auch, der Gesetzgeber hält es für nicht so gefährlich, das dem Individuum zu überlassen.
Insofern tue ich mich etwas schwer mit einer Rechtfertigung dafür, Schmerzmittel auf die Dopingliste zu setzen. Wir reden hier, wohl gemerkt, nicht von Opiaten. Die stehen ja auf der Dopingliste. *(DLF, 22.7.2018)
* Opiodhaltige Schmerzmittel, die u.a. in den USA, Großbritannien und anderen Ländern für schwere Drogen-/Suchtprobleme in der Gesellschaft sorgen, stehen nicht auf der Dopingliste. Lediglich die UCI hat mittlerweile Tramadol verboten.
Es gibt auch Mischungen verschiedener Substanzen, wie das argentinische Beispiel Axa B12 zeigt, eine Kombination aus Diclofenac, Vitamin B12 und Betamethason. Hier greift die Verbotsliste. Wegen des Bethamethasons, ein Glukokortikoid (Kortison), ist das Mittel im Wettkampf verboten. Bis zu 67 argentinische Fußballer, darunter ca 21. der Ersten Liga, Stand Mai 2016, sollen darauf positiv getestet worden sein (xinhuanet,com, 20.5.2016, epmundo, 46.2016).
Medikamenten-/Schmerzmittelmissbrauch und Folgen im Fußball:
Jupp Kapelmann, Orthopäde und in den 1970ern prominenter Spieler:
„“Über 70 Prozent der damaligen Spieler haben Hüft- oder Kniegelenksbeschwerden und sind teilweise mit implantierten künstlichen Gelenke für Hüfte oder Knie versorgt – und das in einem Alter, in dem sie von der Endoprothetik normalerweise noch nichts hätten hören dürfen“, … „Wenn so viele schon in jungem Alter endoprothetisch versorgt werden müssen, ist das kein Ruhmesblatt für den Hochleistungssport Fußball. Verletzungen werden häufig nicht adäquat auskuriert.““
(orf.at, 26.6.2008)
Meyer könnte man antworten, dass Schmerzmittel Sportler indirekt helfen, ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen, in dem sie zusätzliche Trainingsumfänge zulassen doch die Leistungssteigerung ist nicht alleiniges Kriterium für die Aufnahme in die Verbotsliste. Die gesundheitlichen Risiken, die von Mitteln ausgehen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Da in den vorliegenden Studien festgehalten ist, dass der Konsum, verordnet oder freiwillig, besorgniserregend ist und gesundheitliche Folgen haben kann, müsste hier eine andere Gewichtung statt finden. Dvorak, Chefmediziner der FIFA, wird 2012 wie folgt zitiert:
„Ärzte und Spieler werden durch ihre Manager und Trainer aus wirtschaftlichen oder sportlichen Überlegungen heraus unter Druck gesetzt. Doch alle sollten sich bewusst sein, dass jeder Mensch unterschiedlich lang braucht, um sich zu erholen. Über allem steht natürlich die Überlegung, dass sich der Fussball als gesundheitsfördernder Sport präsentieren sollte. Daher sollte die Gesundheit der Spieler im Mittelpunkt des Interesses stehen.“
Er sagt nicht, dass es wahrscheinlich zu kurz gegriffen ist, wenn nur Managern, Trainern, Ärzten und Spielern die Verantwortung zugeschrieben wird. Es ist das gesamte System mit den hohen Anforderungen, das hinterfragt werden muss. Es ist zudem ein altes Problem. Es ist aber wohl auch ein generelles Problem unserer Gesellschaft.
neuere Dokumentationen:
Belegt werden diese Argumente eindrucksvoll mit einer Recherche von Correctiv und der ARD-Dopingredaktion 2019/2020, deren Ergebnisse Anfang Juni 2020 veröffentlicht wurden.
Danach scheint der Konsum von Schmerzmitteln in allen Fußball-Klassen Deutschlands, vor allem auch im Amateurfußball, zu eskalieren. Ein Problembewusstsein fehlt weitgehend.
2022 ergab eine neue Recherche ein vergleichbares Bild. Immer mehr rückt dabei das Schmerzmittel Tramadol in den Fokus. Das opioidhaltige Mittel kann zu Abhängigkeit führen und wurde von der UCI bereits geächtet. Die WADA wird es ab 2023 verbieten.
>>> PILLENKICK-Schmerzmittelmissbrauch im Fußball
Kokain
Kokain ist in vielen Sportarten verbreitet, Basketball, Tennis, Football, Fußball, angeblich auch in der Formel 1. Durch die Beschränkung auf Tests im Wettkampf wird der Droge Dopingpotential im Training abgesprochen, bzw. ihr Konsum wird als Privatsache eingestuft und damit der länderspezifischen Drogengesetzgebung überlassen. Ob dies gerechtfertigt ist und/oder ob damit eine mögliche Abhängigkeit von Sportlern durch im Sport Verantwortung tragende Personen begünstigt wird, ist eine andere Frage. Sportler sind nicht selten besonders suchtgefährdet.
>>> Sport, Doping, Suchtgefahr
Kokain gehörte schon immer zu den Dopingmitteln, insbesondere im Radsport war es bekannt und verbreitet. Es ist fester Bestandteil des >>> Pot belge und wurde bzw. wird zur Leistungssteigerung und im Freizeitbereich angewandt. Gelegentlich wird dem Kokain Dopingpotential abgesprochen, dem widersprechen jedoch einige Experten. Kokain hat Eigenschaften, die den Wettkampf erleichtern und in präziser bewältigen helfen (>>> Kokain und Doping). Besonders wirksam ist es, wenn noch keine Abhängigkeit vorhanden ist. Aufgrund seines Suchtpotentials verschwimmen jedoch bei einigen Sportlern gelegentlich die Grenzen zwischen reinem Dopingmittel und Drogenabhängigkeit, ähnlich wie es auch bei Amphetaminen der Fall war. Paul Merson, englischer Nationalspieler zwischen 1991 und 1998: „Zu Beginn [1994] war ich nur neugierig und wollte auf em Spielfeld meine Probleme vergessen. Dann fand ich Gefallen daran, da das Kokain mir mehr Selbstvertrauen gab.“ (de Mondenard, 2010, S. 149)
Seit 2004 ist diese Droge durch den WADA-Code im Wettkampf verboten, im Training erlaubt. Aufgrund der kurzen Nachweiszeit sollte es daher im Allgemeinen den Sportlern möglich sein, im Wettkampf clean zu sein. Dennoch wurden einige Fußballer überführt.
Der erste positive Fall im Fußball war 1988 der Portugiese Hernanini von Benfica Lissabon, er wurde für 3 Monate gesperrt. Eva Russo, italienischer Nationalspieler musste 1989 für sechs Monate pausieren. 1991 folgten der italienische D2-Spieler Bortolotti und unter großem Aufsehen Diego Maradona, der für 15 Monate aussetzen musste. 1993 gab es 3 Fälle im Fußball, 1995 / 1996 je einen, 1997 / 1998 je sechs, einschließlich Diego Maradona, der wiederholt auffiel, 1999 gab es einen positiven Fall. In den Jahren 2000 – 2010 wurden 29 Spieler mit Kokain positiv getestet, wobei insbesondere das Jahr 2004 heraussticht.
Maradona gab später in seiner 2001 erschienenen Biografie zu, dass Kokain in der argentinischen Mannschaft zur Leistungssteigerung eingesetzt wurde. Nach seine Worten breitete sich die Droge im argentinischen Fußball aus um die physische Kondition zu verbessern. Um auf der Höhe der Deutschen zu sein. Um den Weltcup und den Copa Libertadores zu gewinnen. (zitiert nach de Mondenard, 2010, S. 148)
Diego Maradona:
„Das erste Mal war in Europa 1982. Ich war 22 Jahre alt. Ich fühlte mich sehr schlau.“ „Im Fußball gibt es wie überall Drogen. Ich bin nicht der einzige, viele machen es.“ „Ich war, ich bin, ich werde immer drogensüchtig sein.“ „Du kannst nicht aufstehen und sagen: Das ist vorbei. Du mußt aufwachen und Dir sagen, heute kämpfe ich wieder gegen die Hölle der Droge. Nur so kannst du versuchen, davon abzukommen.“ (dpa, 4.1.1996)
2017/2018 macht der Fall des peruanischen Nationalspielers Paolo Guerrero Schlagzeilen. Seine Sperren werden mehrmals geändert. Nachdem das CAS im Mai 2018 14 Monate Sperre festgelegt hatte, konnte Guerrero vor dem Schweizer Bundesgericht erreichen, dass diese aufgeschoben wurde, so dass seiner Teilnahme an der Fußball-WM 2018 nichts im Wege stand. (Bundesgericht, 31.5.2018)
„Höchstens eine Stunde hält die Wirkung an, dann muß aufgefrischt werden. Im Fußball wie auch in anderen Sportarten dient dazu die Halbzeitpause. Und während des Wettkampfs gibt es auch verschiedene Methoden, für Nachschub zu sorgen. Kokain unter den Schweißbändern an den Handgelenken hat sich nicht durchgesetzt, weil das weiße Pulver feucht wird und verklumpt. Ausgetüftelter sind da schon kleine, im Hemdsaum eingenähte Täschchen außen am Oberarm, in denen es in flachen Plastiktütchen deponiert wird. Mit einer Hand aufgedrückt, dann scheinbar den Schweiß von der Stirn gewischt, schon kann die Droge geschnüffelt werden.“ (E. Klein, 1994, S. 300)
Todesfälle im Fußball
„Jean-Louis Quadri, 18 Jahre alt, starb im Stadion von Saint-Egrève [während eines Spiels], einem Vorort von Genoble. Er hinterlässt eine Frau, 19 Jahre und ein Baby. … Die Familie wollte eine Erklärung für den unerwarteten Tod. … Die Autopsie stellte Amphetamine im Körper von Jean-Louis fest.“ (le Figaro, 25.11.1968 (de Mondenard, S. 78))
1975 stirbt der Spieler Tonono vom spanischen Erstligisten Las Palmas auf dem Spielfeld. Die Autopsie ergab ‚blockierte‘ Nieren durch Dopingmittelmissbrauch.
(Paris Match, 3.6.1977, nach de Mondenard in Les Dopés du Foot, 2012, S. 195)
Doping und Tod sind kein unbekanntes Paar. Die Liste von Sportlern, deren früher Tod mit Medikamenten und Drogen in Verbindung gebracht werden kann, ist lang.
Wesentlich länger ist die Liste von Todesfällen, die Zweifel wecken, aber bei denen kein Nachweis auf einen Zusammenhang gegeben ist. Der Fußball blieb nicht verschont. Neben den vielen rätselhaften Erkrankungen an amyotrophe Lateralsklerose (ALS) (>>> mehr Infos) erschreckt der Plötzliche Herztod. Und solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Medikamentenmissbrauch beteiligt war, muss darüber gesprochen werden. Doch gerne wird von eine Verbindung zu Doping sofort abgestritten oder verschwiegen, im Fußball und anderswo. (FIFA: Getting to the heart of cardiac problems)
Verbürgt ist ein Todesfall, der in Verbindung mit einer Bluttransfusion steht. 1993 wurde in Belgien der Arzt Dr. Michel Van Deun zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe über 20 000 FB verurteilt. Der Arzt hatte einen 25jährigen Fuballspieler des Clubs von Tournhout (2. Liga) in seiner Praxis Blut entnommen und mit Sauerstoff angereichert rückinjiziert. Luc De Rijck starb im April 1991 nach der Anwendung. (Zitiert nach De Mondenard, Dictionnaire, S. 1119)
>>> doping-archiv.de: Dossier ‚Doping und Tod‘
In dem ARD-Radiofeature: Außer Kontrolle. Doping im Fußball vom 30 5.2010 wird folgend Liste von Sportlern aufgeführt, die einem Plötzlichen Herztod erlegen sind:
1968 Jean-Louis Quadri, Frankreich,1975 Fernando Pascoal Neve, Portugal, 1977 Renato Curi, Italien, 1987 Paulo Navalho, Portugal, 1989 Samuel Okwaraji, Nigeria, 1990 Dave Longhurst, England, 1990 Joao Pedro, Brasilien, 1993 Gabor Zsiborázs, Ungarn, 1993 Michael Klein, Deutschland, 1993 Stefano Gessa, Italien, 1993 Ricardo Ferreiro, Portugal, 1994 Bruno Pezzey, Österreich,1995 Amir Angwe, Nigeria, 1995 Hédi Berkhissa, Tunesien, 1995 Waheeb Jabarra, Israel, 1997 Emmanuel Nwanegbo, Nigeria, 1998 Axel Jüptner, Deutschland, 1998 Markus Paßlack, Deutschland, 1999 Stefan Vrabioru, Rumänien, 2000 Daniel Orbeanu, Rumänien, 2000 John Ikoroma, Nigeria, 2000 Catalin Hildan, Rumänien, 2000 Paulo Sergio, Portugal, 2001 Vladimir Dimitrijevic, Serbien, 2001 Ocheaga Esheku, Nigeria, 2002 Stefan Toleski, Mazedonien, 2002 Michalis Michael, Zypern, 2002 Sergio Sánchez, Spanien, 2002 Marcio dos Santos , Brasilien, 2003 Marc-Vivien Foé, Kamerun, 2003 Manuel Mondaca Silva, Brasilien, 2003 Max Ferreira, Brasilien, 2004 Cristiano de Lima Junior, Brasilien, 2004 Miklos Feher , Ungarn, 2004 Shalva Apkhazava, Georgien, 2004 Paulo Sergio de Oliveira, Brasilien, 2004 Andrei Pavistski, Ukraine, 2004 Iván Caceres, Spanien, 2004 Lucas Molina, Spanien, 2005 Nedzad Botonjic, Slowenien, 2005 David di Tommaso, Frankreich, 2005 Hugo Cunha, Portugal, 2006 Victor Alfonso Guerrero, Kolumbien, 2006 Nilton Pereira Mendes, Brasilien, 2006 Mohamed Abdelwahab, Ägypten, 2006 Paul Sykes, England, 2007 Phil O’Donnell, Schottland, 2007 Sixto Rojas, Paraguay, 2007 Chaswe Nsofwa, Sambia, 2007 Ivan Karačić, Bosnien-Herzegowina, 2007 Antonio Puerta, Spanien, 2008 Guy Tchingoma, Gabun, 008 Hervé King, England, 2009 Clement Pinault, Frankreich, 2009 Ayhan Akpinar, Deutschland, 2009 Rustem Bulatov, Russland, 2009 Antonio de Nigris, Mexiko, 2009 Dani Jarque, Spanien, 2009 Salem Saad, Vereinigte Arabische Emirate, 2009 Fabrizio Greco, Deutschland
– diese Liste ist um einige Spieler länger geworden.
Chat mit Gérard Dine, französischer Antidopingexperte:
Frage: Kann man eine Verbindung zwischen dem Plötzlichen Herztod bei Fußballern, wie bei Marc-Vivien Foe 2001 während des Confederations Cups und Doping herstellen? Mit anderen Worten, kann Doping bei Fußballern ebenso zu Tode führen, wie es im Radsport geschehen ist?
Gérard Dine: Man kann nicht ausschließen, dass bei einigen Fällen des Plötzlichen Herztodes eine Verbindung zu Dopingpraktiken besteht. Dabei handelt es sich nicht um Doping während des Spiels, während dessen der Tod eintrat, sondern es handelt sich Doping im Verlauf der Karriere des Spielers, das sich negativ auf das Herz auswirken kann, wie z. B. durch eine Hypertrophie des Herzmuskels, die patologisch werden kann. Die Hypothese kann angesichts der verwendeten Mittel nicht ausgeschlossen werden. In dem zitierten Fall gibt es keinen Beweis, dass zum Zeitpunkt des Todes Dpingmittel eingenommen worden waren. Doch das genügt nicht um zu behaupten, es gibt keine Verbindung zwischen bestimmtem Dopen und dem Plötzlichen Herztod.
Monika