Profis und Amateure erzählen
Thierry Laurent – Ex-Festina-Profi
Im Mai 2003 mußte sich Thierry Laurent, Ex-Profi u.a. bei RMO, Festina und Lotto, in Pergignan vor Gericht verantworten. Ihm wurde vorgeworfen von 1997 bis 2000 die Verwendung von Substanzen oder Methoden zur künstlichen Leistungssteigerung im Sport angeboten, verteilt, verabreicht, angestiftet oder erleichtert zu haben, hauptsächlich ging es um den Pot belge, ein wohlbekannter Drogenmix.
In einem Interview mit Le Monde vom 11.5.2003 erzählt er, wie es dazu kam:
Au procès de Perpignan, la description du dopage au quotidien
DIE SCHILDERUNG DES ALLTÄGLICHEN DOPINGS
Sie sind einer von 26 Angeklagten im Prozess von Perpignan, der am 13. Mai beginnen wird. Sie gaben zu sich seit 1996 gedopt zu haben, wie kamen sie dazu?
Im Radsport müssen sie sich, wenn sie ein gewisses Niveau erreicht haben, entscheiden, ob sie ein kleiner Fahrer bleiben oder aufsteigen wollen. Ich wählte das Risiko und kam in das System, das alle kennen.
(…) Ein Arzt, den ich von Beginn meines Profilebens an kannte, beriet mich. Ich zögerte lange, da ich Angst hatte, erwischt zu werden. 1996 hat man mir innerhalb des Teams Amphetamine vorgeschlagen. Ich hatte keine andere Wahl als zu akzeptieren. Im selben Jahr, nach einer positiven Kontrolle – annuliert wegen eines Formfehlers – wurde ich depressiv und wandte mich dem „Pot“ zu –Pot belge, Drogencoctail – . Jemand riet mir dazu, um die Stimmung zu heben. Danach nahm ich den Pot zum Trainieren und es kam zur Abhängigkeit.
1997 ging ich zu Festina und begann eine Behandlung auf EPO-Basis zusammen mit andern Fahrern der Mannschaft. Man nahm das regelmäßig in der Vorbereitung zu einigen Rennen.
In jener Zeit nahm man ebenso Corticosteroide, da man wusste, dass sie nicht nachweisbar waren. (…)
Mit den Prämien bezahlte ich die Behandlungen (Anm.: bei Festina wurden die Mittel in Rechnung gestellt). 1999 hörte ich damit auf, da ich sie nicht mehr bezahlen konnte. (…) Ich konnte (danach) keine Resultate mehr vorweisen. Zum Training konsumierte ich immer noch den Pot belge. Aber die Resultate wurden immer schlechter und ich beschloss vor dem Ende der Saison 1999 aufzuhören. Ohne diese Substanzen wäre ich ein mittelmäßiger Fahrer geblieben. Zu meiner Zeit konnte man nicht erfolgreich sein ohne sich zu dopen, diese Regel galt im Peloton. (…)
Ein Mannschaftsfahrer macht die Arbeit, die von ihm verlangt wird: immer da sein für den leader, Trinkflaschen holen … Ein guter Equipier soll nicht zu hoch aufsteigen. Um zu vermeiden, dass Fahrer zu viele Punkte gewinnen und damit an zu hohe Gehälter herankommen, spritzte man ihnen gegen Ende der Saison Produkte, welche die Leistungen minderten.
In einem Jahr anlässlich der Französischen Meisterschaften, gab man mir ein Mittel. Mein Rennen verlief viel schlechter als gewöhnlich und ich wurde nicht für die Tour de France ausgewählt.
Nachdem sie den Pot belge konsumierten, haben sie ihn auch verkauft. Wie wurden sie vom Konsumenten zum Verkäufer?
Zu Beginn um den Eigenbedarf zu finanzieren und einem Freund zu helfen – Jérôme Laveur-Pedoux , ebenfalls angeklagt – mit dem ich im selben Club als Amateur begann. Ende 1998 hat er mich gefragt, ob ich ihm etwas besorgen könne. Ich nahm an, es sei für seinen Eigenbedarf.
Als ich merkte, dass er damit einen Handel aufzog, hörte ich auf. Da drohte er mir, dass ich mit ihm unterging, wenn ihm etwas geschähe. Gleichzeitig begann ich an zwei andere Personen zu verkaufen – zwei ehemalige Fahrer, auch angeklagt – die mich darum baten. Zusammen habe ich ungefähr 80 pots verkauft.
Wie kamen sie an die Produkte?
Über den niederländischen Masseur Rudy Longen, mit dem ich 1993 in der Mannschaft Novemail war.
Wie reagierte das Peloton ihrer Meinung nach?
Ich war sehr enttäuscht: Niemand meldete sich. Ich wurde zum schwarzen Schaf.
Wie denken Sie über den Prozess?
Diese Affaire wies mir den rechten Weg. Heute rühre ich keinen Pot mehr an und ich fühle mich mit meiner Familie wohl. (…) Ich denke nicht, dass ich ein Krimineller bin. Ich machte etwas, von dem ich annahm, dass es nicht zu sehr verboten sei, denn um mich herum war die Einnahme und das Verkaufen von Dopingprodukten alltäglich. (…)
Ihr Sohn, der bald 18 wird, möchte Profi-Radsportler werden. Haben sie nicht den Wunsch, ihn davon abzubringen?
Er hat unter dieser Affaire sehr gelitten. Jetzt bringt er gute Resultate auf regionalem Niveau. Ich versuche sein Umfeld zu überwachen, damit er nicht dieselben Fehler macht wie ich, wenn er die Chance haben sollte, Profi zu werden. (…)
36 Jahre alt, beendete Thierry Laurent 1999 seine Profi-Karriere nachdem er eine Bar in Ain eröffnete. 1 Jahre lang trug er das Trikot von RMO, Castorama, Festina und Lotto. Als Modellmannschaftsfahrer war sein größter Erfolg ein zweiter Platz im Prolog der Tour de France 1995.