Doping: Schenk, Sylvia

Doping im Radsport

Sylvia Schenk über Jan Ullrich und Doping im Radsport allgemein

Sylvia Schenk, von 2002 – 2004 Präsidentin des Bund Deutscher Radfahrer (BDR), hat nach ihrem heftig diskutiertem Rücktritt den Kontakt zum Radsport nicht verloren. Sie stand für ein konsequentes und vor allem offenes Vorgehen gegen Doping. (s.a. FAZ 24.9.2004)

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 9.7.2006 nimmt sie Stellung zu Jan Ullrichs Dopingverstrickungen, analysiert die Realitäten im Radsport und fordert ein rigides Umdenken aller Beteilgten.

Zitate:

„Jan Ullrich ist sicher kein armes Opfer“

(…)Sie haben bei Jan Ullrich 2002 schon einmal offensiv Krisenmanagement betrieben. Was würden Sie ihm jetzt raten?
Das gleiche wie damals: Alles auf den Tisch legen. Es gibt keine andere Chance.

Mit dem Abstand von einigen Jahren: Wie beurteilen Sie den sogenannten Party-Pillen-Ausrutscher von Ullrich heute?
Ich würde wieder genauso den geraden Weg wählen. Es gab auch andere Optionen: Ullrich wollte eigentlich hinschmeißen. Aber er hat ja nichts anderes als Radsport. Und die ganze Konstellation war damals völlig anders. Ob man die Geschichte vom großen Unbekannten in der Disco glaubt oder nicht: Zu der Zeit war Ullrich nicht einmal im Training. Amphetamine zur Leistungssteigerung hätten überhaupt keinen Sinn gemacht. Es war ein Dopingfall, aber ein minder schwerer, aus dem man relativ unbeschadet rauskommen konnte. Jetzt sind die Vorwürfe viel gravierender.

Sofern sich die bestätigen sollten: Ist Jan Ullrich Opfer oder Täter?
Er ist immer auch Täter. Das ist schließlich ein Zweiunddreißigjähriger, der schon einmal so einen Fall durchgemacht hat und genau weiß, was passiert. Der ist sicher kein armes Opfer. Aber es ist viel interessanter, wer womöglich noch alles Täter ist. Alle die, die ihn unter Druck gesetzt haben: Funktionäre, Medien, Sponsoren, Manager. Die gesagt haben: So, jetzt mußt du aber mal endlich wieder die Tour gewinnen, wo doch Lance Armstrong weg ist. Alle wissen, daß Jan eine schwache Persönlichkeit ist. Es gibt viele Täter.

Wie beurteilen Sie das Verhalten seines Rennstalls T-Mobile?
Es hat mich positiv überrascht, daß die so knallhart gesagt haben: Alles auf den Tisch. Genau das, was ich als Politik immer für das einzig Richtige gehalten habe: alle Verdachtsmomente auf den Tisch und ihnen im Detail nachgehen.

Was kann der Bund Deutscher Radfahrer tun?
Karten auf den Tisch. Alles, was sie wissen, von allen Betroffenen – raus damit.

Nicht jedem im Verband hat Ihre offensive Art, mit Doping umzugehen, gepaßt. Würden Sie sagen, daß Sie 2004 an dieser Problematik gescheitert sind?
Wenn man das als Scheitern bezeichnen will, kann man das so nennen. Es gab damals einen Hinweis des Mannschaftsarztes an den Sportdirektor, daß die Blutwerte eines Fahrers den Verdacht auf Epo nahelegten. Wenn so etwas gegenüber der Präsidentin über Monate verschwiegen wird und der betroffene Athlet zur Nominierung für die Olympischen Spiele vorgeschlagen wird, dann ist es das genaue Gegenteil von dem, wofür ich stehe: hundert Prozent Transparenz. Ich hätte damals die Nada und das NOK informiert. Sportdirektor und Teamarzt wollten lieber schweigen. Das nährt doch genau jenen Generalverdacht: Wichtige Hinweise werden verschwiegen.

Die UCI steht unter heftigem Beschuß: Sowohl der französische Sportminister Lamour als auch Wada-Chef Pound werfen ihr vor, nicht genügend im Anti-Doping-Kampf zu tun. Sind die Vorwürfe berechtigt? (s. Offener Brief von McQuaid)
Zunächst verstehe ich nicht, wie UCI-Präsident McQuaid als Retourkutsche einen so harschen offenen Brief schreiben kann, selbst wenn er sich über manchen Vorwurf ärgert. Diese Art der Eskalierung, wie sie von der UCI betrieben wird: Da stehe ich fassungslos davor. McQuaid hat sicher insofern recht, als die 08/15-Kontrollen nicht weiterhelfen; da werden sowieso nur noch ein paar „Idioten“ erwischt. Aber die UCI untersucht ja sämtliche Blutwerte. Man fordert den gläsernen Abgeordneten, dann sollte man im Radsport auch sämtliche Blutwerte offenlegen. Man braucht viel mehr Transparenz in diesen Strukturen, um eine Null-Toleranz-Politik durchzusetzen. Ich bin bei Transparency International gegen Korruption engagiert, und es ist interessant, daß genau die Strukturen, die Korruption begünstigen, auch Doping begünstigen. In der Korruptionsbekämpfung gibt es den sogenannten Whistleblower. Das ist derjenige, der auf Merkwürdigkeiten hinweist, ohne daß es vielleicht schon harte Fakten gibt. Diese Hinweisgeber müssen geschützt werden, auch im Anti-Doping-Kampf, statt sie auszugrenzen. Insofern ist die Einführung von Anti-Doping-Vertrauensleuten als Ansprechpartner für die Aktiven, wie das jetzt der Deutsche Olympische Sportbund gemacht hat, eine gute Sache. Aber man bräuchte auch außerhalb des Sports eine Instanz, die Hinweisen nachgehen, Staatsanwaltschaften informieren kann.  (…)

Der Radsport gilt aber als geschlossenes System, umgeben von einer Mauer des Schweigens. Wie kann man die durchbrechen?
Man muß Blutwerte offenlegen, die Kontakte zu Medizinern, zu Trainern, zu den sogenannten Beratern, die Reisen. Daß T-Mobile angeblich nicht wußte, daß ein paar seiner eigenen Fahrer bei Michele Ferrari sind, ist ein Unding. Wenn ich bei einer Bank bin, darf ich auch keine Kontakte zu Geldwäscherkreisen haben. Wenn die Radfahrer so viel Geld verdienen wollen, dann müssen sie das auch unter dem bestehenden Reglement tun: also sauber.

Gibt es im Radsport mehr als in anderen Sportarten von der Tradition her so etwas wie eine Dopingmentalität?
Das hängt damit zusammen, daß der Radsport – und die Tour ist hier das beste Beispiel – von Anfang an ein professioneller Sport war. Zum anderen wird seit je eine extreme Leistung abverlangt, die bisweilen über die Grenzen hinausgeht. Deswegen ist zumindest die Versuchung, Dopingmittel einzusetzen, sehr viel größer als in fast allen anderen Sportarten. Und die Tradition, es zu tun, hängt eng mit der durchgängigen Professionalisierung bis in die untersten Ebenen zusammen. Ein drittklassiger Leichtathlet kann nichts verdienen, der Fahrer eines drittklassigen Rennstalls etwa in Belgien verdient aber sehr wohl noch seinen Lebensunterhalt. Das macht den Radsport sehr viel anfälliger für Doping als andere Sportarten. Wir müssen hier also noch viel mißtrauischer sein.

Es gab 1998 die Festina-Affäre. Daraus scheint man nichts gelernt zu haben. Was gibt Ihnen die Hoffnung, daß der Radsport jetzt seine vielleicht letzte Chance nutzt?
Die Hoffnung gibt mir T-Mobile. Daß ein Sponsor so knallhart reagiert hat. Die haben den Weg angefangen, und sie werden Einfluß auf andere Sponsoren haben. Auch die Tour de France geht konsequent vor. Ich glaube, der Radsport und die Fahrer lernen es nur über das Geld. Wenn wir wirklich eine Politik der Null-Toleranz machen, heißt das – knallharte Sponsoren, knallharte Veranstalter, knallharte Teams: Wer gedopt ist oder verbotene Kontakte hat, fliegt raus. Es war doch eine Katastrophe, als Danilo Hondo zwischendurch fahren durfte. Da haben sich die Veranstalter über diese Schnäppchen gefreut, und die Presse hat ihn zum großen Star der Friedensfahrt gemacht. Wenn einer vom Internationalen Sportgerichtshof verurteilt ist, darf das keiner aus dem Sport unterlaufen. Es muß für wirklich alle Beteiligten gelten: null Toleranz. Dann geht eine Menge.

Das Gespräch führte Claus Dieterle.