Konflikt UCI und Veranstalter: AFLD-Dopingkontrollen bei der Tour de France 2008
Im Jahr 2008 eskalierte der Streit um die von der UCI eingeführte ProTour zwischen den Veranstaltern der großen Rundfahrten Giro d’Italia, Vuelta a España, Tour der France und der UCI. Wortführerin war die ASO, Organisatorin u. a. der Tour de France. Die Frankreichrundfahrt wurde daraufhin als nationales Rennen eingestuft. Damit übernahm die französische Antidoping-Agentur AFLD die Organisation und Durchführung der Dopingkontrollen.
Bereits während der Tour fielen Fahrer mit positiven Ergebnissen auf, Wochen später wurde weitere Fahrer durch Nachkontrollen mit einem neuen Verfahren positiv auf die EPO-Variante CERA getestet. Insgesamt waren es Riccardo Ricco, Leonardo Piepoli, Stefan Schumacher und Bernhard Kohl.
2009 wurden weitere Tests vorgenommen, die ersten 20 Fahrer der Gesamtwertung 2008 wurden nachgetestet, doch kein neuer Fall trat auf, Riccos CERA.Konsum wurde bestätigt. (L’Équipe, 26.7.2009, cylismag, 7.10.2009)
Pierre Bordry, Leiter der AFLD, erläuterte in einem Interview mit l’Èquipe, erschienen am 18.12.2008, die französische Vorgehensweise:
Teil 1: BORDRY : «ON N’EST PLUS EN RETARD»
Teil 2: BORDRY : «IL FAUT DES GARANTIES TRES SERIEUSES»
Bordry: Wir kommen nicht mehr zu spät
Pierre Bordry, nach dem Konflik zwischen der UCI und der ASO (Organisatorin der Tour de France) musste die französische Antidoping-Agentur AFLD die Verantwortung für die Dopingkontrollen übernehmen. Wie erging es Ihnen?
Wir passten unser System der Situation an. Es war mir wichtig Pat McQuaid (Präsident der UCI) aufzusuchen, um transparent zu handeln. Alle Resultate gaben wir direkt an die UCI weiter. Wir waren auch den Fahrern gegenüber offen, so wie wir es versprochen hatten. Wir wollten dem hohen Ansehen der Tour de France entsprechend handeln.
Wie 2007 gab es die spektakulärsten Dopingfälle während der Tour. Bleibt der Antidopingkampf ein Kampf zweier Geschwindigkeiten?
Im Reglement der UCI steht, dass der erste und der zweite des Tages, das gelbe Trikot und einige Fahrer, die zufällig ausgewählt werden, zu kontrollieren sind. Das ist sinnvoll für eine Tour, die nur einige Tage dauert, aber nicht drei Wochen. Wenn jemand ein verbotenes Mittel, z. B. EPO, nimmt, beträgt das Nachweisfenster im Urin nur wenige Tage. Daher sorgt der Fahrer dafür, dass er nicht kontrolliert wird. Er versteckt sich im Peloton und zeigt sich dann, wenn das Produkt nicht mehr nachweisbar ist. Wir machten es anders: Vor dem Start entnahmen wir den 187 Fahrern Blutproben, dasselbe noch einmal in Toulouse. Wir hatten festgelegt, wenn die Blutanalysen Auffälligkeiten zeigten, würde man nach Dopingprodukten suchen. Im Rahmen des Reglements würden Zielkontrollen vorgenommen werden. **(…)
Einige Urin-Proben, die während der Tour genommen wurden wiesen geringe EPO-Spuren auf, die nicht als positive Kontrolle gewertet werden konnten. Diese Fahrer wurden für die geplanten Bluttests auf CERA vorgemerkt.
Der Gebrauch von CERA war allerdings im Peloton bereits Monate vor Beginn der Tour de France bekannt.
Man muss die UCI fragen, warum sie nicht bereits vorher nach CERA suchen ließ. Wir wussten bereits vor Beginn der Tour de France, dass CERA möglicherweise in Radrennen benutzt wurde. Wir beschafften uns EPO-CERA vor der Tour, um zu sehen, wie es wirkte. Informiert wurden wir sowohl von ausländischen Antidoping-Institutionen als auch von Fahrern selbst. Seit Juni-Juli arbeiteten das Lausanner Antidoping-Labor und die Labore von Roche daran, einen Nachweis (im Blut) zu finden. Man ging davon aus, dass dieser schon vor der Tour de France und zu den Olympischen Spielen zur Anwendung bereit stünde. Leider war das erst nach der Tour der Fall. Im September-Oktober wurde dann mit dem EPO-Test von Châtenay in Zusammenarbeit mit Lausanne das Blut all derjenigen überprüft, die zweifelhafte Urinproben abgegeben hatten. Die Sanktionen basieren auf den Analyse-Resultaten von Châtenay-Malabry. *
Sie scheinen zufrieden zu sein mit der Strategie der Zielkontrollen basierend auf den verdächtigen Blutprofilen.
Der große Unterschied in der Organisation der Kontrollen (zur herkömmlichen) liegt in den Zielkontrollen und in der damit verbundenen Unvorhersehbarkeit. Wenn der Sportler zwei Stunden im Voraus weiß, dass er kontrolliert werden wird, so wie es im Falle der UCI ist, kann einiges geschehen: Der Typ kann das Rennen verlassen usw. Als man Ricco z. B. kontrollieren wollte nach dem Zeitfahren in Cholet, versuchte er den Kontrolleuren zu entkommen. Die Chaperons mussten hinter ihm her rennen, um ihn einzuholen. Warum machte er das? Vielleicht wollte er sich noch präparieren um einer positiven Kontrolle zu entgehen. Sie waren alle überzeugt davon, dass CERA nicht zu finden sei. Da hatten sie sich nicht vorgesehen. (Ricco wurde schon während der Tour mittels Urintest CERA nachgewiesen.)
Sieben positive Fälle im gesamten Peloton: Ist das ein Symptom dafür, dass sich etwas in der (Doping-)Kultur geändert hat oder ist es ein Zeichen dafür, dass der Kampf noch ungenügend ist?
Es ist durchaus möglich, dass uns noch einige Doper entwischt sind. Man fand sieben. Gleichzeitig kann man sagen, dass die Mehrzahl nicht gedopt hat. Sie wiesen normale Blutparameter auf. Und das ist eine große Veränderung.(…)
Bordry erkannte im Verhalten der Fahrer während der Tour durchaus einen Abschreckungseffekt, hatte sich aber mehr versprochen. Obwohl die Agentur ganau das machte, was sie vor der Tour den Fahrern mitgeteilt hatte, scheinen einige die Ankündigungen nicht ernst genommen zu haben. Doch bei etlichen Sportlern „verbesserten“ sich die Blutprofile zwischen den beiden Blutentnahmen und einige erbrachten dann nicht die erwarteten Leistungen, das sei auffällig gewesen.
Sehen Sie Anzeichen dafür, dass sich der Abstand zwischen den Betrügern und den Kontrolleuren verringert?
Diese im Nachhinein festgestellten positiven Fälle belegen, dass man nicht mehr hinterherhinkt. (…) Unsere Agentur hat einen wissenschaftlichen Beirat auf sehr hohem Niveau, darunter 5 angesehene ausländische Experten. Sie alle sind auf der Höhe des aktuellen Geschehens. Sie kennen im Voraus die neuen Produkte und können entsprechend forschen. Heute kenne ich bereits Dutzende von Verbindungen, die demnächst zum Dopen eingesetzt werden können. Sie könnten ziemlich schnell kommen. Das schwierigste Problem wird sein, sie auf die Liste der verbotenen Produkte zu bekommen. Das Image der großen Laboratorien leidet mittlerweile darunter, dass ihr Entwicklungen zu Dopingzwecken benutzt werden. Sie beginnen daher unserer Agentur ihre Produkte, die Probleme bereiten könnten, zu nennen.
Bordry: Wir brauchen seitens der UCI ernstzunehmende Garantien
Nach der Tour erklärten Sie, Sie hätten den Verdacht, es wären auch Eigenbluttransfusionen durchgeführt worden. Wo stehen sie hier?
Man kommt voran. Gegenwärtig gibt es diesbezüglich zwei wichtige Forschungsprojekte, ich kann aber nicht sagen, wann es soweit sein wird. Momentan sind Polizei und Zoll am wichtigsten, da man die Blutbeutel finden kann. Wir haben nach dem Welt-Antidoping-Code 8 Jahre Zeit, die Proben zu analysieren. Das betrifft auch die Wachstumshormone. Wir bewahren die Proben solange auf, bis der Test voll ausgereift sein ist.
Lässt sich der Antidoping-Kampf noch weiter verbessern?
2008 machten wir etwas ganz neues. Wir schnitten den Sportlern ein paar Haare ab. Davon schickten wir 100 Proben an ein Labor, das auf entsprechende Analysen spezialisiert ist und normalerweise mit der Kriminalpolizei zusammen arbeitet. An den Haaren kann man feststellen, ob jemand verbotene Produkte genommen hat und kann daraufhin entsprechende Zielkontrollen vornehmen. Ein Drittel der hundert sind Radsportler, ein Drittel Mannschaftssportler und ein Drittel Leichtathleten.(…)
Zum biologischen Pass der UCI befragt, meint Bordry, er könne helfen vor den Rennen die Zielkontrollen festzulegen. Er wundere sich aber darüber, dass er, angekündigt zu Beginn des Jahres 2008, anlässlich des Giro, der Vuelta und der WM nicht zum Einsatz gekommen sei. Auch die für November angekündigten „Schlüsselsanktionen“ fehlten. Gegenwärtig sieht er im praktizierten französischen System noch das einfachere und wirkungsvollere Vorgehen.
Die ASO einigte sich mit der UCI, dementsprechend wird die UCI 2009 die Antidoping-Kontrollen wieder selbst organisieren. Was passt Ihnen daran nicht?
McQuaid hat erklärt, dass die UCI die Kontrollen anordnet und die französische Agentur sich wie 2007 lediglich um die Entnahme der Proben zu kümmern habe. Ich möchte nicht zwei Jahre zurück fallen. Es ist 2008 einiges geschehen, es zeigte sich, dass eine aktive Kontroll-Vorgehensweise Ergebnisse zeitigt. Bei den anderen großen Rundfahrten Giro und Vuelta fahren dieselben Fahrer, aber sind nicht positiv wie während der Tour.
Wie lässt sich dieser Dissens lösen?
In einem Brief an Pat McQuaid bat ich ihn um ein Treffen mit mir und meinen Mitarbeitern, damit wir die Angelegenheiten rund um die nächste Tour besprechen könnten. Ein Datum steht nicht fest aber ich habe als Treffpunkt Aigle (Schweizer Sitz der UCI) vorgeschlagen. Ich erhoffe mir davon nicht unbedingt die Leitung der Kontrollen sondern vielmehr, dass die UCI auf 2008 aufbaut. Wenn ich feststelle, dass die UCI-Kontrollweise wirkungsvoll ist, kann ich die Arbeit machen. Wenn ich den Eindruck habe, die UCI macht gegenüber 2007 keine Fortschritte, werde ich sie nicht tun. Wir brauchen ernstzunehmende Garantien im Antidopingkampf.
Abschließend äußert sich Bordry misstrauisch gegenüber den internen Dopingkontrollsystemen der Teams Astana, CSC, Columbia und Garmin. Die durchführenden Institute sind ihm nicht unabhängig genug. Die Vorgehensweisen hätten eher den Charakter teaminterner medizinischer Vorsorgemaßnahmen. Reserviert zeigt er sich auch gegenüber der zu erwartenden Tour-Teilnahme Lance Armstrongs. Er glaube gern dessen Behauptungen sauber gefahren zu sein, doch warum lasse er nicht gut konservierte Proben von 1999 nachuntersuchen? Zudem habe er etwas dagegen, dass der Fahrer, der Angst um seine Sicherheit geäußert habe, durch seine eigene Leibgarde vor der Antidoping-Eskorte (Chaperons) abgeschirmt würde.
* Aus den Aussagen Bordrys geht nicht deutlich hervor, dass für die Nachtests sowohl in Lausanne als auch in Paris neue Bluttest-Verfahren angewandt wurden, die gemeinsam in die Bewertung eingingen. Siehe hierzu Martial Saugy, Lausanne:
„NZZ: Das Dopinglabor in Paris hat wie Lausanne einen auf Blut basierenden Cera-Test entwickelt. Zudem existieren auch zwei Verfahren, die mit Urin funktionieren. Welches Dopinglabor hat nun international die Nase vorn?
Saugy: Ich sage nicht, dass das eine oder andere Verfahren besser ist. Fakt ist, dass die Laboratorien in Lausanne und Paris beide über einen validierten, auch vor einem Gericht standhaltenden Test verfügen, der auf unterschiedliche Verfahren zurückgeht. Im Moment ist es so, dass das jeweils andere Testverfahren zusätzlich eingesetzt wird, wenn in Lausanne oder in Paris ein positiver Cera-Befund vorliegt. Unser Ziel – und auch jenes von Paris – muss es aber sein, die beiden Tests derart zu verfeinern, dass künftig ein einzelnes Verfahren ausreicht, um einen Athleten hieb- und stichfest des Dopings zu überführen.“ (NZZ, 11.10.2008)
** Die AFLD hatte Trainingskontrollen im Vorfeld der Tour angekündigt (AFLD, 24.6.2008). Laut AFP und AP wurden 10 Tage vor Tourstart bei 30 und mehr Fahrern Urin- und teilweise auch Blut-Kontrollen durchgeführt.