Doping im Amateur- und Freizeitsport
Belgien: Doping im Freizeit- und Amateursport
Der Radsport ist zutiefst verankert in der belgischen Bevölkerung. Profi- und Amateuradsport gehen nahtlos ineinander über, die Strukturen gehören untrennbar zusammen und damit auch die Verhaltensweisen, die sich über viele Jahrzehnte eingespielt haben. So verwundert es nicht, dass das Doping hier eine ähnliche Rolle spielt wie im Profisport.
Im Zuge der Affaire um den Tierarzt Jos Landuyt und Johan Museeuw wurde das Dopingproblem unter Amateuren ausführlich diskutiert, denn viele Spuren ließen öffentlich werden, dass das Dopingnetzwerk nicht nur den Profisport durchzog, sondern der Amateurbereich stark involviert war.
Het Nieuwsblad vom 17.9.2003 zitiert Betroffene: „Het wielerwereldje is totaal verziekt“
Die deutsche Übersetzung:
Die Radsportwelt ist total verseucht“
Der Dopingmissbrauch war bei den Amateurradfahrern noch nie so hoch wie zur Zeit. Das sagen die Fahrer selbst und die Zahlen der ‘Vlaamse Gemeenschap’ gaben ihnen recht. Von April bis Juni wurden 37 Amateure des Dopings überführt – vor allem bei den Amateuren über 23 (eliterenners zonder contract) – gegenüber 14 in ganz 2002. An der Spitze mit dabei ‘Siegkönig’ Johan Verhaegen (34) bei dem alle anderen 2001 und 2002 das Nachsehen hatten mit seinen 34 und 36 Siegen. Verhaegen hängte dieses Wochenende sein Rad an den Nagel nachdem er zum zweiten Mal in seiner Karriere des Dopings überführt wurde. (Verhaegen wurde ab dem 1.12.2003 lebenslang gesperrt)
Diese Fahrer sind nicht nur das Aushängeschild des flämischen Radsports, sondern eine Kategorie, die zehntausende Sportliebhaber zu den Kirmesrennen lockt. Die Teilnehmer der Wettkämpfe sind eine Mischung aus Fahrern zwischen 25 und 50 Jahren. Fahrer die zu alt sind für die Nachwuchsserien, Fahrer, die nicht gut genug sind für einen Profivertrag und auch viele ehemalige Profis, die in ihren späten Tagen noch etwas von dem Geld abhaben möchten, das es rund um den Kirchturm noch zu verdienen gibt.
Durchgeführte Kontrollen
Denn es mag zwar um den Amateursport gehen, doch es rollt eine Menge Geld in dieser kleinen Welt. So können die Topleute bequem eine monatliche Vergütung von 300 Euro, ein Rad im Wert von 2500 Euro und eine Prämie von 240 Euro pro Sieg einstreichen. Ein Zusatzverdienst, der über das Jahr gesehen schnell bis zu 10 000 Euro bringt und der die Fahrer in die Versuchung bringt, die Leistung künstlich zu steigern.
Doch die Amateure hatten in den letzten Jahren praktisch unterste Priorität in der Dopingbekämpfung. “Wir wurden kaum kontrolliert”, sagt ein Fahrer. “Es ist mindestens vier Jahre her, das ich Pinkeln musste. Da muss man sich dann nicht wundern, dass jeder da nur so drauflos schluckt”.
Beim Ministerium gibt man zu, dass die Aufmerksamkeit früher vor allem den Profisportlern galt, aber dieses Jahr wurden die Kontrollen bei den Amateurradsportlern erneut erhöht. Mit spektakulären Ergebnissen wie es aussieht.
Laut einem der Kontrollärzte haben die Fahrer übrigens selbst darauf hingewirkt. “Es wurde ihnen offenbar zu bunt. Uns erreichten regelmäßig Klagen über Fahrer, die tief im Doping stecken und damit das ganze Renngeschehen verfälschen” sagt der Arzt.
Ertappt durch eine Urinkontrolle
Johan Verhaegen war offensichtlich einer dieser Fahrer. “Er wurde nach kurzer Zeit fünf, sechs Mal hintereinander kontrolliert”, sagt Sponsor John Saey. “Er hat mich vor kurzem davon benachrichtigt, dass es nicht gut aussieht.
Da ihm eine zweite Strafe droht, hat er nun definitiv beschlossen mit den Rennen aufzuhören. Damit ist die Sache für mich erledigt.”Fest steht, dass Verhaegen nach einem Radrennen in Boekhoute falschen Urin bei einem Test abgegeben hat. Er wurde dabei erwischt und soll laut einiger Kollegen probiert haben die Sache mit dem kontrollierenden Arzt gütlich zu regeln. Der Arzt hat das jedoch kategorisch abgelehnt.
Der 34 jährige Verhaegen bestätigte unserem Sportmitarbeiter letztes Wochenende, dass er all die Jahre gedopt hat. “Bis 26 fuhr ich sauber. Ich gewann jährlich etwa 10 Wettkämpfe, aber ich selbst und meine Umgebung wollten immer mehr. Dann orientierst du dich um und landest beim Doping”, sagt Verhaegen, der sich auf dem Schwarzen Markt mit Nandrolon eindeckte.
Offen in Spanien einkaufen
Einige von Verhaegens Kollegen sagen, dass der Dopingkonsum bei den Elitefahrern mit Vertrag völlig aus dem Ruder gelaufen ist. “Die Vielfalt an Dopingmitteln wird immer größer”, sagt ein Fahrer. “Die Amphetamin-Szene ist nie völlig verschwunden, aber unterdessen sind da drei, vier neue Dopingkanäle hinzugekommen.”
Jeder weiss zum Beispiel, dass man bei Bodybuildern leicht an anabole Steroide und andere muskelstärkende Mittel kommen kann. Du kannst die Fahrer sofort herausfinden, die im Winter das Zeug zu sich genommen haben: das sind echte ‘dikbillen’ (Muskelprotze/’gemästete Kühe‘) geworden. Und was sie da nicht finden, bekommen sie über das Internet: da kannst du heute anonym an egal welche Dopingprodukte kommen.”
“Ich kenne Amateure, die vier Mal im Jahr in sogenannte Trainigslager nach Spanien fahren”, sagt ein andere Fahrer. “ Ich behaupte nicht, dass sie immer falsch spielen, aber jeder weiss, dass eine Menge Dopingmittel in diesem Land frei erhältlich sind. Du kannst dort sogar auf Rezept EPO bekommen. Einige Fahrer lassen sich die Mittel gewöhnlich von Urlaubern und LKW-Fahrern mitbringen.”
von Willy DE BUCK
Bart erzählt
Bestätigt wird dieser Artikel durch die Aussagen eines belgischen Profisportlers, der erzählt, wie es zugeht unter Junioren und Amateuren:
Bart: Als Neuling und Junior amüsierte ich mich riesig. Es war so schön, dass ich zu meinem 18. (Geburtstag) zum großen Ärgernis meiner Eltern beschloss, nicht auf die Universität zu gehen, sondern ein A1-Studium gemacht habe, so dass ich noch genug Zeit hatte für das Radfahren. In diesem Alter wurde noch nicht über Doping gesprochen. Und ich bin davon überzeugt, dass kaum geschluckt wird. Mein bester Freund war – nach Frank Vandenbrouke – das größte Radsporttalent Belgiens. Dennoch fuhr er sauber, außer es war etwas in den großen Mengen Chips, die er ass. Er musste nicht ‚pakken’ (dopen), um zu gewinnen. Selbst Vitamine nahmen wir kaum. Eine Dopingkontrolle war ein nettes Ereignis. Niemand fürchtete sich davor, niemand hatte Geheimnisse. Im Gegenteil, ich war sogar ein bisschen neidisch auf diejenigen, die pinkeln durften.
Ich unterstelle mal, dass die Fahrerunschuld bei den Amateuren mit 19 Jahren endet, (Elite ohne Vertrag, auch ältere fahren hier).
Bart: Das stimmt. Nicht nur sportlich, sondern auch die Stimmung ändert sich wie Tag und Nacht. Es zählen andere Dinge. Es kann Geld verdient werden und bestimmt jeder dritte von den Amateuren hofft auf einen Profivertrag.
Und so kommt jetzt auch logischerweise Doping dazu ?
Bart: Während der Ronde van Antwerpen sah ich zum erstem Mal jemanden sich eine ‚Dopingspritze’ setzen. Ich war gehörig geschockt, entdeckte aber schnell, dass das alles andere als etwas besonderes war.
Bei den Junioren schluckte eine Minderheit, bei den Amateuren eine Mehrheit?
Bart: Laß es mich so sagen, 20 bis 30 Prozent der Amateure gehören in die Kategorie ’schwere Fälle’. Nochmal 20 bis 30 Prozent nehmen es nicht immer, ‚packten‘ gezielt zu bestimmten Rennen.
Hast du daraus nicht den Schluss gezogen: Ich muss das auch mal versuchen?
Bart: Nein, mein erstes Amateurjahr war nicht einfach, aber im zweiten Amateurjahr erreichte ich manchmal eine Top Ten-Plazierung bei Klassikern (für Amateure) und in meinem besten Jahr gewann ich drei wichtige Rennen. Immer völlig sauber. Ich begriff sehr wohl, dass die anderen es anders angingen, aber das interessierte mich nicht. Ich habe später viel darüber nachgedacht, warum ich so reagierte. Ich vermute, dass es mit meiner Erziehung zusammen hängt: für meine Eltern war Ehrlichkeit eine wichtige Tugend. Und natürlich war es auch deshalb, weil ich als ungedopter immer noch mit den besten mithalten konnte. Eigentlich gab es mir einen Kick, mich mit Leuten zu messen, die unsauber fuhren.
Wurdest du nicht ausgelacht?
Bart: Absolut nicht. Ich fühlte schon, dass ich etwas gemieden wurde. Und dicke Freunde hatte ich im Peloton nicht mehr. Aber man ließ mich in Ruhe. Und wenn ich auf die Suche nach Dopingmitteln gegangen wäre, hätten sie mich bestimmt direkt an die richtigen Personen verwiesen.
Andere Fahrer?
Bart: Auch, aber in erster Linie Menschen aus dem Milieu. Die Namen der Dealer rund um das Peloton waren bekannt. Ich konnte da einfach hingehen und sagen: Ich will etwas probieren. Und selbstverständlich (mußte ich) das nötige Geld auf den Tisch legen.
Wurde offen über Doping gesprochen?
Bart: Das bestimmt nicht. Chris Goossens (Sportarzt, Kabinet Anciaux (Minister)) sagte unlängst in einem Interview, dass, wenn Fussballer zusammensitzen, sie sich immer erst über Frauen unterhalten und dass es bei den Radfahrern sofort über Doping geht. Das ist nicht meine Erfahrung. Dopinggebrauch war eine Frage von Cliquen. Eine Gruppe von Fahrern vertraute sich untereinander, aber sie posaunten ihre Dopingpraxis sicher nicht aus. Aber es war nicht alles extrem geheim. Wer Augen und Ohren offenhielt, konnte einiges mitbekommen. So erfuhr ich, dass „wieviele Striche hast du gemacht ?“ der Code für den Cortison-Gebrauch war. Und im Gegensatz zu den Junioren war die Angst vor Dopingkontrollen wohl echt. Ich habe mehr als einmal erlebt, dass Fahrer plötzlich aus der führenden Gruppe verschwanden, als bekannt wurde, dass eine Kontrolle anstand.
Kontrollen, Hintergründe
Als Reaktion auf die durch die Museeuw/Landuyt angeregte öffentliche Diskussion von 2002 wurde 2003 in Flandern* beschlossen, die Kontrollen zu verstärken:
Sporters krijgen ook tijdens training verrassingscontroles , 15.9.2003
dazu passt auch der Artikel aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Schlucken und strampeln – bis der gelbe Bus kommt, 10.9.2003
Ergebniss aus dem Jahr 2003 bestätigen den hohen Dopingfaktor:
NZZ, 9. April 2004:
„«Erfolgsquote» von 10 bis 15 Prozent
An die 60 000 flämische Hobby-Rennfahrer, die keinem Klub angehören und keine festen Mannschaften bilden, absolvieren im Nordwesten des Landes ihr tägliches Training und an fast jedem Wochenende ein Rennen. Diese Art des Volkssports gehört in Flandern seit eh und je zum festen Bestandteil des öffentlichen Lebens. Seit etlichen Jahren aber hat sich diese Volksbewegung im Anti-Doping-Programm der flämischen Gemeinschaft zu einem echten Sorgenkind ausgewachsen. Denn Flanderns Hobby-Radler bilden mittlerweile den wichtigsten, weil grössten Markt für Doping-Dealer. Vor allem die über 50-Jährigen, zunehmend aber auch Jugendliche unter 18 Jahren gelten ihnen als wohlfeile Kundschaft. Von den jährlich 900 Dopingkontrollen in Hobby-Rennen sind satte zehn bis fünfzehn Prozent positiv. Nachgewiesen werden meist Amphetamine und anabole Steroide. Die Tendenz im flämischen Breitensport, so die Prognose der erfahrenen Kontrolleure, sei steigend. Da helfe es auch wenig, vor schlimmen Spätschäden wie Krebs zu warnen. „
Die Zeit, 15.Juli 2004:
„Die Zeit des Schweigens ist vorbei
DIE ZEIT: Herr Cooman, Sie führen regelmäßig unangekündigte Dopingkontrollen bei Amateurradrennen in Flandern durch. Was kommt dabei so heraus?
Hans Cooman: 2003 waren zwölf Prozent der getesteten Fahrer positiv, in der Regel nahmen sie Steroide und Amphetamine zur Leistungssteigerung. Und diese Zahl bezieht sich lediglich auf das eher noch geringere Problem.Wir kontrollieren beispielsweise nicht auf Epo, ein Hormon, das die Bildung von roten Blutkörperchen anregt, oder auf Wachstumshormone. Sodass mit Sicherheit von mehr Fahrern verbotene Mittel eingenommen werden als nur von zwölf Prozent. Außerdem führen wir auch keine Trainingskontrollen durch.
ZEIT: Woher bekommen die Amateursportler die Dopingsubstanzen?
Cooman: Es dauert gerade mal fünf Minuten, um das Zeug über das Internet zu bestellen. Zusätzlich kennen die Sportler in der Regel Dealer – Tierärzte oder die soigneurs, die medizinischen Betreuer der Athleten. Letztes Jahr haben wir den König der Amateurrennen Johan Verhaegen erwischt. Zuerst hat er versucht, beim Dopingtest zu betrügen, und hat die Urinproben vertauscht. Wir haben es allerdings bemerkt, und er war dann auch bei allen Tests positiv. Er ist schon ein älterer Fahrer, aber wir erwischen auch sehr viele junge Athleten, Anfang 20. Sie hoffen auf einen Profivertrag, und nur wenn sie gute Resultate in den Amateurrennen erbringen, haben sie Chancen. (…)“
*Ob vergleichbare Zahlen und Reaktionen für die Wallonie exitieren, weiß ich nicht.
Oktober 2009:
einem Amateur wird nach dem Tod von Frank Vandenbroucke bange
Anfang Oktober stirbt Frank Vandenbroucke in einem Hotelzimmer im Senegal. Sein Leben war ein einziges Auf und Ab, letzlich mehr ein Ab mit Medikamentenmissbrauch und Drogen, begleitet von schweren Depressionen. Seiner Sozialisation und seinem Leben im Radsportmilieu wird allgemein ein erheblicher Anteil an seinem Schicksal zugesprochen.
Aufgeschreckt von Franks Ableben, spricht ein belgischer Amateur über seine Dopingerfahrungen.
rtbf, 15.10.2009: „On trouve facilement des produits dopants“
die Übersetzung:
Exklusivbericht eines ehemaligen Amateur-Radrennfahrers. Er sagte, dass Doping weit verbreitet ist, auch unter den Amateuren. Zum Schutz junger Menschen schlägt er Alarm. „Dies ist ein Problem für die Volks-Gesundheit.“
Der Tod von Frank Vandenbroucke war für unseren Zeugen wie ein Elektroschock. „Da habe ich erkannt,dass die Öffentlichkeit alarmiert werden muss. Sucht entsteht ohne dass man es merkt. Diese Botschaft möchte ich jungen Menschen vermitteln. Anfangs kommt einem alles harmlos vor. Dann wird daraus Routine. Zunächst sind es Substanzen, die oral eingenommen werden, dann folgen Inhalationen, um dann zu Injektionen überzugehen. Es ist ein endloser Kreislauf.“
„Im Profibereich gegen Doping vorzugehen ist lobenswert. Aber für Amateure ist Doping viel gefährlicher … weil es nicht von Ärzten begleitet und überwacht wird. Es ist ein Problem für die Volksgesundheit“ erklärt der ehemalige Rad-Amateur (höheres Leistungsniveau). Er erklärt, wie er in das Doping hineingeraten ist, weil er Chancengleichheit mit den dopenden Konkurrenten herstellen wollte. „Doper verfälschen die Ergebnisse aller Rennen“. Er gibt zu,
dass ihm der Mut gefehlt hat, der Versuchung zu widerstehen.
Unser Zeuge führt im Detail auf, wie leicht es war, sich die verschiedensten Dopingmittel zu besorgen. Bei der Frage, wie er bei Kontrollen unentdeckt bleiben konnte, ist unser Zeuge zugeknöpfter. Doping ist teuer, in seinem Fall mehr als 300 € pro Monat … Hierfür reichen eventuelle Prämien in Rennen nicht aus. Geld ist also nicht das vorangige Motiv. „Man will einfach dazu gehören, aktiv Handelnder sein.“
M.W. und D. Riffont
Übersetzung Prof. Dr. Gerhard Treutlein