Doping: Hannemann, Dietrich

Deutsche Ärzte und Doping

Dr. Dietrich Hannemann

Medizinalrat Dr. Dietrich Hannemann war in den 70er Jahre Leiter der Sportärztlichen Hauptberatungsstelle Cottbus und bereits inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (G. Spitzer). 1975 gehörte er der Ärztekommission des DVfL als Disziplingruppenchef Wurf/Stoß an. 1975 wurde Hannemann für den Bereich Leichtathletik in die Forschungsgruppe „Zusätzliche Leistung (ZL)“ des Komplex 08 am FKS aufgenommen, mit dem das umfassende zentral gesteuerte geheime Dopingforschungsprogramm der DDR institutionalisiert wurde. 1977 stieg der Arzt zum Leiter des Sportmedizinischen Dienstes der DDR (SMD) auf, damit war er der direkte Vorgesetzte des stellvertretenden SMD-Leiters Manfred Höppner. Diese Funktion übte er bis zur Wende 1989 aus. Er gehörte zusammen mit Ewald, Köhler und zwei weiteren Sportfunktionären der Kleinen Leistungssportkommission an. Bis 1990 war er Vorsitzender der Antidoping-Kommission der DDR.


Schon früh war Dietrich Hannemann in das Dopinggeschehen eingebunden. Brigitte Berendonk stellt in ihrem Buch Doping (1992) den ersten offiziellen und geheimen Doping-Bericht des DDR-Sports aus dem Jahr 1973 vor. (S. 132ff, s.a. G. Spitzer, Doping, S. 248-251) Hannemann wird als Mitarbeiter geführt. Während eines Olympia-Zyklus von 4 Jahren, zwischen 1968 und 1972, wird das Oral-Turinabol-Doping bei 42 prominenten Sportlern analysiert und daraus Empfehlungen abgeleitet. Dokumentiert ist damit auch das frühe Anabolika-Doping bei Frauen. (Beispiel Kugelstoßerinnen Margitta Gummel und Renate Boy-Garisch-Culmberger). Dr. Hannemann wird in dieser Studie erwähnt als maßgebend für eine dem Doping zugrunde gelegte Formel, nach der die Menge der OT-Gaben pro Sportler berechnet wurden.

Als Leiter des SMD ab 1977 war er immer bestens informiert und in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden. Zudem war er bezüglich des SMD-Systems weisungsbefugt. Eine entsprechende Weisung aus dem Jahr 1983 ist nachzulesen bei G. Spitzer, Schlüsseldokumente…, S. 281, in der Hannemann festlegt, wie der ‚höchstmögliche Schutz von Geheimnissen im Sportmedizinischen Dienst‘ garantiert werden muss. Angesprochen waren alle Personen, die mit u.M. (unterstützenden Mitteln) in Berührung kamen.

Nach außen hin vertrat er als oberster Mediziner und Leiter der Anti-Doping-Kommission der DDR das andere Bild der DDR. 1989 erklärte Dr. Hannemann in einem Interview:

„Seit Doping und andere unlautere Methoden vor allem im Gefolge von Professionalismus und kommerziellem Mißbrauch im Sport ihre Spuren hinterlassen, treten der DTSB der DDR, das NOK und alle, die im DDR-Sport Verantwortung tragen, konsequent für die Eliminierung dieser den Sport und den Sportler schädigenden Einflüsse ein. Über 20 Vertreter der DDR wirken konstruktiv bei der Erarbeitung und Durchsetzung von gültigen Regeln in den Kommissionen des IOC und internationaler Förderationen mit. Ihre Anstrengungen sind stets darauf gerichtet, hinsichtlich der gleichberechtigten Behandlung aller Länder und Sportler das erforderliche hohe wissenschaftliche Niveau zu sichern. – Für die Tätigkeit in der DDR hat der DTSB nach den Olympischen Spielen eine Anti-Doping-Rahmenrichtlinie beschlossen, deren Festlegungen gleichfalls unsere Grundhaltung ausdrücken. Der humanistische Auftrag besteht darin, den Sport zum Wohle des Menschen allseitig zu entwickeln und das Streben nach hohen Leistungen auf das engste mit dem Schutz der Gesundheit und der gesunden Lebensgestaltung der Sportler zu verbinden. Entsprechend dem Prinzip „Vorbeugen ist besser als heilen“ wird beim Sportler eine vorbildliche Haltung im Kampf gegen das Doping anerzogen… – Folgerichtig wendet sich der DTSB entschieden gegen jegliche Form des Dopings und tritt für dessen weltweites Verbot ein. Er … sieht in den Anti-Doping-Bestimmungen des IOC die Grundlage für sein eigenes, wirkungsvolles Kontrollsystem. – ‚Jeder verantwortungsbewusste Arzt wird seine Verpflichtungen darin sehen, diesen verhängnisvollen Irrweg im Weltsport zu stoppen.‘ Die Sportmediziner der DDR bekennen sich dazu. ‚Wir praktizieren seit Jahrzehnten einen Weg, der die Sportler … Schritt für Schritt an höhere Belastungsanforderungen heranführt und mit anderen gesellschaftlichen Faktoren ein umfassendes System medizinischer Betreuung, Beratung und Fürsorge einschließt.‘ Ein letztlich überlegenes System.“ (Hannemann nach D. Wales in ‚Körpererziehung 39/1989, zitiert nach Berendonk, Doping 1992, S. 90)

1990, nach dem Fall der Mauer hielt er an diesen Ausführungen fest und sprach angesichts der erhobenen Dopingvorwürfe von ‚bösen Unterstellungen und der Unwahrheit‘, so habe es ’niemals eine Anweisung an Sportärzte gegeben, Dopingmittel einzusetzen‘. Der Einsatz hätte ‚in der alleinigen Verantwortung des jeweiligen Arztes‘ gelegen. Der SMD hätte immer betont, die Dopingliste sei ‚hochnotpeinlich‘ zu beachten. Zudem hätte das FKS niemals einen Auftrag vom SMD erhalten. Hannemann: “Ich muß mich entschieden gegen die Behauptung verwahren, die Forschungsergebnisse des FKS wurden für eine systematisches Doping benutzt. Das war nicht so.“ (LAVA, 8/1990)

Zur selben Zeit nutzte er seinen Einfluss auch, um Kritiker innerhalb des noch bestehenden DDR-Systems mundtod zu machen. Jens Weinreich berichtet, dass am 19.1.1990 Regierungschef Hans Modrow eine von einem Sportarzt aus Zinnowitz verfasste Petition erhalten hatte, in dem dieser „strafrechtlich relevante Vorwürfe“ gegen zahlreiche Mitarbeiter des Sportmedizinischen Dienstes der DDR (SMD) [erhob]. Er verlangte, dass die Verantwortlichen zu Rechenschaft gezogen werden, nannte Namen und beschrieb das Dopingsystem ausführlich:

„Es musste schnell, billig und wirksam gehen, bekannte gesundheitliche Schäden wurden in Kauf genommen.“

„Jugendliche wurden „unwissentlich mit den als unterstützende Mittel bezeichneten Dopingmitteln von zentraler Stelle aus versorgt“. Daraufhin verfasste Dietrich Hannemann „persönlich eine Stellungnahme voller Lügen, wie Potsdamer Sporthistoriker um Hans-Joachim Teichler Jahre später in den Akten recherchierten.“ Die Dopingverantwortlichen waren gewarnt. (dradio, 17.1.2010)

Dopingpanne

Während Hannemann noch kräftig leugnete und dabei half zu vertuschen, veröffentlichte der Spiegel eine Episode um den 21jährigen Gewichtheber Mario Schult, der 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul kurz vor dem Gewinn einer Medaille stand. Doch während des Trainings vor dem entscheidenden letzten Wettkampf wurde der Athlet plötzlich DDR-Medizinern überantwortet, die ohne Angabe von Gründen einen seiner Arme vollständig eingipsten. Öffentlich wurde verkündet, Schult habe sich leider den Ellenbogen verletzt. Tatsächlich hatte am Vorabend des Kampfes Dr. Dietrich Hannemann den Gewichthebern Mario Schult, Michael Schubert und Ronny Weller noch schnell eine ‚Überbrückungstablette‘ verordnet und gereicht. Die drei hatten zugegriffen. Als DDR-Verbandsarzt Dr. Hans-Henning Lathan (>>> mehr Infos) davon hörte, schrillten dessen Alarmglocken. Eine positive Probe Schults drohte. So zog der Arzt die Notbremse und verordnete dem Sportlers eine Verletzung. Dr. Lathan war während der Spiele in Seoul Mitglied der Medizinischen Kommission des internationalen Gewichtheber-Verbandes und als Kontrolleur eingesetzt. In dieser Funktion war ihm eigentlich jeglicher Kontakt zu zu Athleten und Funktionären seines Landes verboten gewesen. (der Spiegel, 19.3.1990)

Verurteilung

Die Verurteilung Hannemanns löste im DLV eine Debatte um Aberkennung unter Doping erreichter Rekorde aus. Getan hat sich allerdings nichts. (Tagesspiegel, 25.10.1999, TAZ, 23.12.2005)

Im April 1999 wurde Dietrich Hannemann, 64 Jahre alt, vom Amtsgericht Tiergarten in Berlin wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 191 Fällen zu einer Geldstrafe über 45 000 DM verurteilt (250 Tagessätze zu je 180 DM). 25 Sportler/innen (Schwimmen und Leichtathletik) hatten einen Strafantrag gestellt.

„Hannemann hatte die von Manfred Höppner alljährlich aufgestellte finanzielle Bedarfsplanung für Dopingmittel legitimiert und habe so zu Körperschäden bei den jungen Athletinnen wie etwa einer Beeinflussung des Fettstoffwechsels beigetragen.“ (NZZ, 23.4.1999)

Monika