Prof. Dr. sc. med. Rüdiger Häcker
Biografische Daten zu Prof. Dr. Rüdiger Häcker sind mir nicht bekannt. Im Jahr 2008 war er 66 Jahre alt. Sein Name steht überwiegend in Zusammenhang mit Tätigkeiten und leitenden Funktionen am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig. In den 80er Jahren war er Stellvertretender Direktor Sportmedizin und 1989 und 1990 der letzte Ärztliche Direktor des FKS. Er gehörte dem Sportmedizinischen Dienst, Abteilung Leistungssport II an.
Rüdiger Häcker war maßgeblich am Aufbau der Dopingforschung beteiligt. Häcker war Leiter der Abteilung Endokrinologie, die „Basis der ‚u. M.‘-Forschung mit 18 Geheimnisträgern, von denen
„als bedeutsamste Geheimnisträger“ Abteilungsleiter Prof. Häcker wegen seiner umfassenden Erkenntnisse und sein Stellvertreter Dr. Schäker wegen des Wissens um die Forschungskonzeptionen und die einzelnen „Leistungsverträge“ für die Verbände besonders hervorgehoben wurden.“ (Spitzer, S. 107/108, 240)
Zumindest einmal scheint Häcker Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Tuns gehabt zu haben. IM ‚Klaus Müller‘ (Dr. Lathan) schildert in einem Bericht über die Situation in der Abteilung Biochemie des FKS 1982, dass einige Mitarbeiter der Abteilung ethische Bedenken gegenüber der Anwendung ‚unterstützender Mittel‘ im Leistungssport der DDR entwickelt hätten, darunter auch der Leiter des Abteilung Prof. Häcker. (Spitzer, S. 370)
Forschungsbeispiele, an denen R. Häcker beteiligt war
Zitat aus dem Dokument Forschungskonzeption 1980-81 der Forschungsgruppe „Zusätzliche Leistungsreserven“ vom 10.12.1980:
„5.2. Teilthema: Überprüfung weiterer u.M. auf ihre Anwendbarkeit im Training und Wettkampf
Leitverantwortung: Prof. Häcker
Ausgangsposition: Durch medizin, Biowissenschaften und die pharmakologische Industrie werden in einem größeren Umfang Mittel zur Therapie aber auch zur zielgerichteten Einflußnahme auf bestimmte Prozesse – Arbeitsfähigkeit untr erschwerten bedingungen, Konzentrationsfähigkeit u.a.m. – produziert und in verschhiedenen Bereichen angewandt. Ausgehend von theoretischen Positionen – Eigenheit der sportlichen Leistung und Wirkmechanismus des gegebenen Mittels . sind einige neu entwickelte Mittel auf ihre Anwendung im leistunmgssport zu untersuchen. Darin wird eine weitere Reserve zur Beeinflussung der Leistungsentwicklung gesehen. Unter diesem Aspekt werden im nächsten Zeitraum folgende Mittel überprüft:
5.2.1. Erprobung des synthetischen Steroids 11ß-Hydroxy-Oralturinabol = Substanz zwölf [„S 12“ war klinisch nicht zugelassen; der Verf.] …
5.2.2. Prüfung des synthetischen Neuropeptids Lysin-Vasopressin (LVP) …
5.2.3. Untersuchung zur Nutzung androgener Komponenten der hormonellen Kontrazeptiva …
5.3. Wissenschaftliche Arbeiten zur Erkundung von Neuentwicklungen im Bereich u.M.
….
– Aufbau einer speziellen Information zum Komplex u.M. zwischen FKS, SMD und Kooperationspartnern – 1981
– periodische Anfertigung von Studien zu Neuentwicklungen im Bereich u.M. – jährl.
– Auschöpfung aller Möglichkeiten – Literaturauswertung. Kongreßmaterialien, wissenschaftliche Konferenzen – für die Informationsgewinnung“
(Spitzer, S. 307f)
Für 1984 liegt vom 22.2. folgender Bericht vor: „Ausgewählte Ergebnisse leistungsphysiologischer Untersuchungen zur Wirkung von Oral-Turinabol R (OT) und der Steroidsubstanz 646 (STS 646, Mestanolon). Die Autoren sind Rademacher, G.; W. Schäker und R. Häcker.
„1. Folgerungen: 1. OT und STS 646 beeinflussen die Leistungsentwicklung positiv
2. In der allgemeinen anabolen Wirkung, in der Wirkung auf die Kraftentwicklung und die dafür notwendigen biologischen Voraussetzungen ist OT der STS 646 überlegen. Deshalb ist in Phasen der Kraftentwicklung weiterhin vorrangig der Einsatz von OT zu nutzen
…
4. OT und STS 646 beeinflussen im Prinzip die gleichen Regulationsvorgänge. Dabei weist STS 646 geringere Nebenwirkungen und keinen Effekt im Sinne eines negativen feedback-Mechanismus auf die Testoteronproduktion aus. Deshalb sollte in Phasen des spezifischen Trainings eine kombinierte Anwendung von OT und STS 646erfolgen, da damit die VOrteile beider Präparate genutzt und die Nachteile nahezu ausgeglichen werden.“ (Spitzer S. 340ff)
Zur Problematik der STS-Substanzen, insbesondere STS 646, zu der in der DDR an Menschen geforscht und experimentiert wurde, siehe Interview mit Dr. Rainer Hartwich in Latzel, S. 205ff. Hartwich, der bei Jenapharm, hatte festgestellt, dass STS 646 keine Zulassung für klinische Prüfungen hatte aber in zunehmenden Mengen vom FKS (Häcker) angefordert wurde. Er monierte dies bei den entsprechenden Stellen bis hin zu Manfred Höppner, erhielt daraufhin aber nur Drohungen, insbesondere von Häcker.
Für 1986 liegt eine Konzeption für eine wissenschaftliche Konferenz (geplant am 5.11.1986) der Arbeitsrichtung Psychotrope Substanzen im Staatsplanthema 14.25 vor. Die wissenschaftliche Gesamtleitung dieses Forschungsschwerpunktes hatten Häcker und Schäker. Geplant war u. a. die Erarbeitung der sportwissenschaftlichen Zielstellung bis 1992. (Spitzer, 312f) Auf einer Ergebniskonferenz am 12.11.1986 sollte Häcker gemeinsam mit Ferkl Untersuchungsergebnisse zum diefferenzierten Einsatz von OT (Oralturinabol) und STS 646 im Bereich LA-Langstrecke (FKS) vorstellen.
1987 wird Häcker in Verbindung mit der Entwicklung eines Androstendion-Spray genannt. Nach vielversprechenden 3. und 4. Experimenten wurde am FKS für Oktober ein weiteres Experiment an Sportlern geplant. Dazu schreibt Prof. Häcker an Hüttenrauch (Jenapharm): „Die Vorbereitung zu diesem Experiment erfolgt im September, und wir werden Sie rechtzeitigzu einer entsprechenden Diskusion einladen. Vorab hätte ich jedoch die Bitte, ob wir nicht schon jetzt daran arbeiten könnten, für das Experiment im Oktober einen etwas probantenfreundlicheren Spray zu haben. Ich befürchte, daß wir das ganze Verfahren in Mißkredit bringen, wenn wir an Probanden mit dem jetzigen Spray herangehen.“ Das Problem stellte das Lösungsmittel dar. Hüttenrauch konnte im Folgejahr selbst ein verträglicheres Mittel finden und im Eigenversuch erproben. (Latzel, S. 122/ S. 293)
nach der Wende
1990 wird Rüdiger Häcker im Westen noch mit offenen Armen empfangen. 1991 erschien im Deutschen Ärzte-Verlag, Köln, der Sammelband „Hormonelle Regulation und psychophysische Belastung im Leistungsport“ mit Beiträgen eines Kolloquiums am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport vom Mai 1990 in Leipzig. Die Forschungsbeiträge stammen überwiegend aus der DDR (Ausnahme M. Donike mit W. Schänzer). Gemeinsame Herausgeber waren der Direktor des Kölner Bundesinstituts für Sportwissenschaft BISp, Professor Horst de Marées, und der letzte Ärztliche Direktor des Leipziger Forschungszentrums FKS, Professor Rüdiger Häcker. Als Autoren zeichnen u. a. so bekannte Dopingpersönlichkeiten wie G. Rademacher, H. Langer, D. Nicklas, A. Lehnert, W. Schäker.
„Gegenüber den Originalen weisen die Veröffentlichungen aber entscheidende Unterschiede auf: Alle inkriminierenden Passagen, etwa das Alter minderjähriger Versuchspersonen oder die Anwendung nicht zugelassener Medikamente betreffend, waren geschönt oder einfach weggelassen worden“, so der Spiegel am 16.9.1991.
Die Autoren Rademacher, Gedrat, Buhl und Häcker sahen sich entsprechend genötigt ihren Beitrag mit dem Titel „Die Beeinflussung des Adaptionsverhaltens ausgewählter Funktionssysteme von Ausdauersportlern während einer kraftbetonten Trainingsphase durch die zusätzliche Gabe von Oral-Turinabol“ wie folgt abzuschließen:
„Bei Berücksichtigung niedriger Tagesdosierungen und kurzen Applikationszeiträumen ließe sich eine wissenschaftliche Begründung für die Gabe von anabolen Steroiden in einigen Sportarten in ausgewählten Trainingsabschnitten bei Hochleistungssportlern ableiten. … Demgegenüber steht jedoch neben moralisch-ethischen Aspekten, daß auch unter ärztlicher Kontrolle ein Mißbrauch und damit das Risiko gesundheitlicher Schädigung prinzipiell nicht auszuschließen ist. Deshalb bekennen sich die die Autoren dieses Beitrages zum Verbot der Anwendung anaboler Steroide im Training und Wettkampf entsprechend den Festlegungen der Dopingbestimmungen der medizinischen Kommission des IOC“.
Giselher Spitzer meinte zu R. Häcker: „Er war ein absoluter Motor dieses Missbrauchs von Heilmitteln und man muss das immer wieder sagen, wenn es um einen Arzt geht, der Verwendung von nicht zugelassenen Stoffen.“ (Deutschlandfunk, 2.2.2008)
Häcker ließ sich nach der Wende angeblich mehrere Arzneimittel patentieren, deren Entwicklung auf seine Arbeit am FKS zurück geht. 1995 erhielt er das deutsche und 1996 das US-Patent für Androstendion, womit der Testosterinspiegel erhöht werden kann. (Deutschlandfunk, 2,2,2008, der Spiegel, 14.2.2009)
Anfang 2008 wurde bekannt, dass Rüdiger Häcker seit dem Jahre 2001 als freier Mitarbeiter für die Schweizer Firma RCC Ltd. in Itingen in der Funktion eines Projektleiters in der Pharma-Abteilung arbeitete. Die Firma prüft im Auftrag von Chemie- und Pharmafirmen Arzneimittel und Agrochemikalien. (BAZ, 28.1.2008, Deutschlandfunk, 2.2.2008)
1991 hatte Prof. Werner Franke, Heidelberg, Rüdiger Häcker zusammen mit Professor Hansgeorg Hüller, Dr. Günter Rademacher, Professor Hans-Henning Lathan und Manfred Höppner „unter anderem wegen Körperverletzung, „vor allem aber wegen illegaler und unethischer Versuche an Menschen, besonders Minderjährigen, darunter die Behandlung junger Mädchen mit Androgenen“ angezeigt. (FAZ, 28.1.1994) 2000 wurde das Verfahren gegen Rüdiger Häcker eingestellt.