Wolfgang Knörzer, Giselher Spitzer, Gerhard Treutlein
Dopingprävention in Europa
Erstes internationales Expertengespräch in Europa
Meyer & Meyer Verlag, 1. Auflg. Juli 2006
Im Januar 2005 fand in Heidelberg auf Initiative von Prof. Gerhard Treutlein eine erste europäische Tagung zum Thema Dopingprävention statt. Im vorliegenden Buch sind die Beiträge nachzulesen.
Angesichts der heutigen Situation, in der die Affairen Balco, USA, und, ganz aktuell, Operación Puerto, Madrid, für viel Aufregung und Wirbel sorgen, kann man sich fragen, warum erst so spät. Die Antwort ergibt sich aus der Lektüre: Dopingprävention führte ein Schattendasein, vorangetrieben von einigen Weitsichtigen aber als Notwendigkeit weitgehend geleugnet , verdrängt oder unterdrückt von der Mehrheit der am Tanz beteiligten. Wer bitte schön, hat schon ein Dopingproblem.
Doch spätestens nach 2000 sollten keine Zweifel mehr bestehen, sollte Schluss mit em Leugnen sein: der Hochleistungssport hat ein Dopingproblem, aber, und das ist gravierender, auch der Freizeit- und Amateursport. Und hier setzte die Tagung an. Das Poblem Doping kann nicht allein damit erheblich reduziert werden, dass mit Repressalien gedroht wird, sondern nur mit Hilfe umfangreicher Präventionsmaßnahmen, die bereits im Kinder- und Jugendalter ansetzen. Wie erfolgreich entsprechende Maßnahmen sein können, wird allerdings auch davon abhängen, ob die beteiligten Akteure wie Politik, Sponsoren, Medien, Sport usw. mitziehen und anfangen, zu ihrer eigenen Verantwortung zu stehen.
Die Beiträge der internationalen Teilnehmer sind vielfältig, thematisch breit gestreut, auch wenn kleine Überschneidungen vorkommen. Sie decken zwar ein wissenschaftliches Spektrum ab, bleiben aber im Allgemeinen für Laien gut verständlich. Dies scheint mir wichtig, da das Thema nicht in universitären Zirkeln verstauben, sondern der breiten Öffentlichkeit nahegebracht werden sollte.
Der Tagungsband ist auch 20 Jahre später noch empfehlenswert für alle, die sich theoretisch und praktisch des Themas annehmen möchten. Es ist kein leichtes Thema, das zeigen die Texte, aber die Auseinandersetzung damit könnte sich für alle involvierten Gruppen, auch die Fans, langfristig lohnen.
Die Beiträge wurden in 4 Bereiche gegliedert. Im Folgenden eine kurze Inhaltsangabe (nicht vollständig):
1. Situationsbeschreibung
Italiens führender Antidopingexperte Alessandro Donnati macht deutlich, dass der internationale Dopingmittelhandel längst die Ausmaße des Drogenhandels erreicht hat und nicht mehr von der internationalen Mafia zu trennen ist. Mit Anabolen Steroiden, EPO, Wachstumshormonen u. a. lassen sich beste Geschäfte machen, nicht allein die illegalen Laboratorien rund um die Welt verdienen sich eine goldene Nase, auch die Pharmaindustrie profitiert. Wobei die zuständigen staatlichen und sportlichen Organisationen das Problem weitgehend leugnen und vor so viel krimineller Kompetenz einzuknicken scheinen.
Dieter Quarz und Anno Hecker bestätigen diese Sicht in ihren Beiträgen, wobei Quarz Beispiele aus dem Radsport von 1998 bis 2004 heranzieht. Deutlich wird, dass Deutschland für Dealer und Konsumenten ein Paradies ist.
Die genannten kriminellen Strukturen arbeitet Prof. Werner Franke am Funktionsschema des Balco-Labors heraus, dessen Verantwortliche aus Eigeninteresse heraus handelten, Gesundheit und Leben der Sportler spielte dabei keine Rolle.
Patrick Laure, französischer Präventionsexperte und Gerhard Treutlein fassen die vorliegenden internationalen Studien zum Doping von Jugendlichen zusammen. U. A. stellen sie übergreifend fest, dass hierbei der Missbrauch von anabolen Steroiden das Hauptproblem ist, das Einstiegsalter sinkt und dass bereits sehr früh das direkte Umfeld (Freunde und Verwandte) von hoher Bedeuting ist. Nicht der Leistungssport steht im Zentrum, sondern das körperliche Erscheinungsbild wird immer wichtiger.
Hierauf zielt auch eine Untersuchung ab, die Heiko Striegel und Perikles Simon vorstellen. Ein Trend, der gesamtgesellschaftlich zu finden ist und einen breiten Raum einnimmt.
2. Problembearbeitung – wissenschaftliche Analyse
Soziologe Karl-Heinrich Bette lenkt den Blick auf das System der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure, wie Medien, Politik, Wirtschaft, Publikum und Sportsystem, die jeder für sich und doch sich gegenseitig verstärkend, eine Dopingspirale schaffen in der der Athlet gefangen scheint und die Änderungen nur schwer zulässt bzw. ermöglicht.
Das Beispiel des Staatsdopings in der DDR, aufgearbeitet von Giselher Spitzer zeigt die Auswüchse und den Fortbestand alter Strukturen und Motive: Noch immer sind Involvierte weltweit aktiv und gefragte Experten und es bestehen Zweifel, dass sie ihre Einstellung geändert haben.
Den Blick auf die Sportmedizin lenkt Christophe Brisonneau. Auch in Frankreich ebenso wie in Deutschland und anderswo bildete sich über viele Jahrzehnte häufig eine enge Verständnisgemeinschaft zwischen Ärzten und Sportlern heraus, in der Doping nicht als abzulehndes Verhalten definiert wurde sondern als notwendige Ausgleichsmaßnahme – Haltungen, die fortbestehen.
Patrick Laure stellt 2 eigene Untersuchungen vor. In der ersten stehen die Frage nach Herkunft und Zugang zu Dopingmitteln sowie die Argumente, die zum Doping anregten (verführten) im Zentrum; in der zweiten ging es um einen Versuch an Schulen mit dem Ziel der Verringerung von Dopingversuchung und Dopingmentalität. Beide Studien können mithelfen, effektive Präventionsmaßnahmen zu konzipieren.
Die Entwicklung der internationalen und nationalen Antidopinggesetzgebung ist Thema eines weiteren Beitrags von Laure.
3. Präventionsgrundlagen
Unter Präventionsgrundlagen verstehen die Autoren Präventionskonzepte und Erklärungsmodelle sowie deren Praxistauglichkeit und Wirksamkeit. Wolfgang Knörzer und Rainer Steen wägen in einem Beitrag verschiedene Theorieansätze gegeneinander ab. Wolfgang Knörzer analysiert zusätzlich die Tauglichkeit des Konzepts ‚kompetenzorientierte Prävention und Gesundheitsförderung‘ und Andreas Singler befasst sich mit dem Einfluss des Erziehungsprozesses: Wie funktioniert die Verführung und wie denken Verführer?
Rolf Schwarz stellt noch die Frage nach den zugrunde liegenden Menschenbildern und entwickelt ein Menschenbild des dopingresistenten Sportlers, ein Idealbild, das Präventionsmaßnahmen zugrunde gelegt werden kann.
4. Dopingprävention in der Praxis: Models of Best Practice
Die Praxis nimmt den breitesten Raum des Bandes ein. Projekte aus Italien, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland werden vorgestellt. Erklärte Absicht ist das gegenseitige Profitieren, das Kräftebündeln, um schneller und effektiver vorankommen zu können. Als Beispiel kann der enge Austausch zwischen den Hochschulen Monpellier und Heidelberg gelten. Frankreich scheint in Sachen Dopingprävention die meiste Erfahrung vorweisen zu können. Der Festina-Schock 1998 ließ die Regierung aktiv werden, wodurch eine Reihe von Projekten angestoßen wurde, die anderen heute wertvolle Grundlage und Vorbild sein können.
Einige der im Buch vorgestellten Projekte werden >>>hier auf doping-archiv.de kurz vorgestellt.
Monika