>>> Inhalt Dossier Reform Antidoping
Athletenrechte
Die Athletinnen und Athleten im Hochleistungssport haben die Hauptlast im Anti-Doping-Kampf zu tragen: Sie müssen mittels des ADAMS-Systems über Monate regelmäßig darstellen, wo sie sich aufhalten um ständig für unangekündigte Doping-Kontrollen erreichbar zu sein. Sie unterstehen dem Strict Liability-Prinzip, wonach sie selbst verantwortlich sind für das was sich in ihrem Körper befindet und sind damit verpflichtet gegebenenfalls ihre Unschuld selbst nachzuweisen. Das beinhaltet die Möglichkeit, dass aus finanziellen Gründen auf den Unschuldsnachweis verzichtet wird.
Das strict liabilty-Prinzip macht es aber den Sportlern schwer, die tatsächlich versehentlich und ohne ihr Wissen verbotene Substanzen zu sich genommen haben.
Perikles Simon:
Sportler werden ja weder über die möglichen Folgen ihres Daseins als Leistungssportler, noch über die Folgen und Nebenwirkungen des (Anti-)Dopingsystems aufgeklärt. Athleten werden m.E. einfach „verpflichtet“ und geben für diese Verpflichtung ein Teil ihrer Persönlichkeitsrechte ab. Zumindest unterzeichnen sie dieses auch bei mir in der Abteilung, damit sie weiter ihren Sport treiben dürfen, wenn sie zu gut werden.
Wo bitte leben wir eigentlich? Im Mittelalter?Perikles Simon:
Die Athleten werden durch die Trainingskontrollen extrem in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt, weil sie zum Beispiel im Vorhinein ihre Aufenthaltsorte angeben und umfangreich für Kontrollen zur Verfügung stehen müssen. Wenn bei diesem gigantischen Aufwand unverhältnismäßig wenige überführt werden können und keine Sorgfalt im Umgang mit den Daten der Athleten besteht, gibt es nur eine Konsequenz: Die Trainingskontrollen gehören bis auf Weiteres abgeschafft.
Harald Schmidt, Leiter Nürnberger Eliteschule des Sports:
[Er kritisiert] das Doping-Kontrollsystem, dass auf der einen Seite wenig effizient ist, zugleich aber jedes Maß an Persönlichkeitsrecht längst überschritten [hat]. „Wenn Kinder aus dem Unterricht herausgezogen werden, weil man da sicher sein kann, dass man sie antrifft, um sie einer Sekretärin zu übergeben, die sie dann begleitet, bis ganz bestimmte Körpersekrete abgegeben sind, da halte ich die Grenzen dessen, was wir noch akzeptieren können für überschritten. Wir als Schule haben da auch in erheblichem Maße interveniert.“ (Magazin doping, 3/2017)Gerhard Treutlein, Sportpädagoge und Präventionsexperte:
[Er] sieht die Grenze des Zumutbaren hinsichtlich des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte bei Sportlern längst überschritten. Er fordert daher eine völlig andere Ausrichtung. „Man sollte eigentlich die Zahl der Kontrollen auf die Hälfte reduzieren, das würde als Abschreckung genügen und dann lieber das Geld nehmen und das Geld in die Prävention reinstecken. Wir sind bei der Prävention total entfernt von einer flächendeckenden Dopingprävention. Das, was wir machen, ist gewissermaßen Alibi.“ (Magazin doping, 3/2017)
Die Abnahme der Urinproben verläuft in einer die Intimität verletzenden Weise. Mit den Schiedsvereinbarungen geben sie weitgehende Rechte ab und müssen sich in Ländern, in denen es entsprechende Anti-Doping-Gesetze gibt, noch zivil- bzw. strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren stellen, manchmal für ein Vergehen, dass Normalbürger nicht betrifft wie dem Konsum von Doping-Substanzen. Hinzu kommt, dass bei einem positiven Dopingfall in den meisten Ländern Fällen die Namen öffentlich werden mit alle den negativen Folgen, die durch solch einen Pranger bedingt sind. Nicht selten werden dabei im Falle von Sportler*innen Datenschutz-Bestimmungen und Persönlichkeitsrechte ausgehebelt. So wurde es ni Australien möglich, dass die Australische Anti-Doping-Agentur unter bestimmten Bedingungen die Handies von Sportler*innen hacken kann (sporttechie.com, 23.5.2018).
Entsprechende Fragen bezogen auf die Gesamtbevölkerung werden weltweit in den einzelnen Nationen aufgrund der Verfassungen und Strafsysteme sehr unterschiedlich bewertet. Es wird daher allgemein als positive Errungenschaft angesehen, dass der WADA-Code mit seinen Implikationen weltweite Anerkennung erlangen konnte und damit eine Gleichbehandlung aller Sportler*innen versucht wird. Es werden aber mittlerweile in etlichen Ländern, insbesondere auch in Deutschland, diese restriktiven Maßnahmen in Frage gestellt und in Beziehung zu verfassungsmäßig garantierten Grundrechten gesetzt.
Die Fokussierung auf den dopenden Athleten lässt zudem dessen Umfeld meist außer Betracht. Viele große und kleine Dopingskandale der letzten Jahrzehnte legten Dopingnetzwerke offen, in denen der gedopte Sportler lediglich das Endprodukt darstellt. Nur hin und wieder gelingt es, Trainer, Mediziner, Funktionäre oder Teamleitungen zu überführen und sie zu sanktionieren. Das hat viel mit dem Anti-Doping-Regelwerk aber vor allem viel mit den Strukturen und Abhängigkeiten innerhalb der Verbände bis hin zu politischem Erwartungsdruck zu tun. Die häufig beklagte verbreitete Omerta ist eine Folge dessen.
Des Dopings überführten Sportler*innen wird nahe gelegt, offen zu legen, wie sich ihr Dopingverhalten entwickelte und gestaltete und wer dabei mitspielte und unterstützte. Das hilft ihnen zwar meistens, das Strafmaß zu reduzieren, aber ein Zurück in den Sport gibt es kaum mehr. Nestbeschmutzer haben keine Zukunft im Sport.
Diese Gesamtproblematik ist bekannt und wird häufig benannt, doch die Versuche, wirksame Änderungen einzuführen, zeigen noch nicht die gewünschten Ergebnisse.
Eine Möglichkeit, Bewusstsein zu schaffen und Verhalten zu ändern, liegt für viele Kritiker des gegenwärtigen Zustandes darin, dass die Athletinnen und Athleten selbst mehr Initiative zeigen, sich zusammen schließen und mehr Mitspracherecht einfordern. Es sind zwar in den verschiedenen Gremien der Sportverbände, NOK, NADO, WADA und des IOC gewählte Athleten-Vertreter zu finden, doch ohne Basis im Rücken, die ihre Stellung stärkt und ihrem Wort Gewicht gibt. Nicht selten fühlen sich Athletenvertreter*innen an den Rand gedrängt, nicht ernst genommen und überfordert.
In den letzten Jahren, auch als Folge des Umgangs des IOC, der Weltverbände und der WADA mit Korruptions- und Dopingskandalen, mehrten sich die Stimmen, die grundlegende Reformen der Strukturen des Weltsports fordern und dafür auch die Stärkung der Mitsprache der Athletinnen und Athleten als unabdingbar sehen.
Ein weiterer Aspekt, der erwähnt werden muss, ist die Anwendung des WADA-Anti-Doping-Systems in Bereiche des Amateur- und Freizeitsports. Die Voraussetzungen unterscheiden sich erheblich. Elitesportler sind meist Berufssportler, die in ein professionelles Umfeld mit der Möglichkeit fachkundiger Beratung und Unterstützung eingebunden sind. Die oben genannten Schwachpunkte entfalten im Amateur- und Freizeitsport nicht selten noch gravierendere Folgen. Probleme können sich u.a. ergeben, wenn die WADA-Verbotsliste allgemeine Angaben zu verbotenen Substanzen und Methoden enthält. Um dies zu hinterfragen bedarf es nicht selten Recherchen, die vom einzelnen Sportler nur schwer oder garnicht leistbar sind. Insbesondere im Bereich der Nahrungs- und Sportergänzungsmittel, die häufig bewusst oder unbewusst kontaminiert sind, können überfordern. Zudem sind im internationalen Vergleich die Möglichkeiten der Sportler*innen, damit adäquat umzugehen, höchst unterschiedlich, entsprechend unterschiedlich können auch die Konsequenzen aussehen. In diesem Feld finden sich einige Schwachpunkte des Anti-Doping-Systems, die die Rechte der Athleten beeinflussen und reformiert werden könnten.
Beispiele zu diesem Komplex können in diesem Dossier hier nach gelesen werden:
>>> Kontrollsystem: Verschlankung Dopingliste
WADA Athlete Committee, Leitung Beckie Scott:
Am 15. März 2017 hielt die Athleten-Kommission der WADA einen Workshop ‚Engaging Athletes in the Anti-Doping Process‘ ab. Als Ergebnis kam es zu der Forderung nach einer Charta für Athletenrechte (WADA: Statement from WADA Athlete Committee):
Addressing participants, Scott said: “Athletes are frustrated and are asking that their ‘rights’ with respect to clean, fair sport be recognized and protected.”
…
In presenting the proposed Charter, Sandford highlighted that, today, there is no one document that outlines the rights and responsibilities of athletes vis-à-vis anti-doping. “We want the Charter to be concrete and aspirational,” said Sandford. “Ultimately, the Committee would like athletes to sign on to this Charter and that it be ratified by anti-doping organizations worldwide.”
Participants were then polled and discussed what they would like to see within such a Charter and the responses included elements such as: the right to compete on a level playing field, the right to access education, privacy protection, legal representation, etc.
Following a rich discussion, Koss then switched gears to the Call to Action by polling and engaging the audience regarding what they felt were the top athlete concerns related to anti-doping, which needed to be addressed as a priority. The concerns of course varied across the group but clear priorities included: the need for increased education, trust, resourcing and compliance by anti-doping organizations worldwide.
Athletenkommission des DOSB:
Anlässlich ihrer Teilnahme am Symposium der WADA vom 13. bis 15 März 2017 veröffentlichte die Athletenkommission des DOSB eine Stellungnahme. Neben der Notwendigkeit der Stärkung der WADA verweisen sie auf die Stellung und Situation der Sportler*innen, für die das gegenwärtige Entscheidungsprozedere und mangelhafte Anti-Doping-Management nicht mehr akzeptabel ist.
Die Athleten sind nach wie vor entsetzt darüber, unter welchen Bedingungen der Kampf gegen Doping auf dem internationalen Spielfeld ausgetragen wird. Der Sport ist nach wie vor sehr stark beschädigt und es müssen schleunigst alle relevanten Maßnahmen ergriffen werden, damit vor allem die Athleten das Vertrauen in das internationale Anti-Doping Management und ihre Sportorganisationen zurück gewinnen.
Als Grund für diese sehr dringende Voraussetzung für den sauberen Sport sehen die Athleten darin, dass die Lebenszeit einer ganzen Sportlergeneration vorbei läuft. Diese Athleten können nicht langwierige Gremiensitzungen und Meetings abwarten. In dieser ganzen Zeit gehen Leistungssportkarrieren vorbei und es gibt immer noch keine Voraussetzungen für ein modernes Anti-Doping Management System.
…
Außerdem verlangen die Athleten die Stärkung ihrer Rechte:
• Die Fürsorgepflicht nationalen Spitzenverbände und Länder gegenüber ihren Athleten und deren persönlichen Rechten
• Eine weltweit viel stärkere Einbindung der Athleten in alle Entscheidungen das Anti-Doping Management betreffend, basierend auf einer vertrauensvollen und verantwortungsvollen Zusammenarbeit mit den Anti-Doping Organisationen und Sportverbänden für ein effektives Anti-Doping System
Die Athleten in Deutschland unterstützen vor allen Dingen die Vorbereitungen der WADA Athletenkommission, unter ihrer Vorsitzenden und ehemaligen Skilangläuferin – Beckie Scott, für eine Charta der Athletenrechte.
Athletenvereinigung ‚Athleten Deutschland‘:
Im Oktober 2015 gründeten die gewählten Mitglieder der Athletenkommission im DOSB den Verein ‚Athleten Deutschland‘.
Der russische Dopingskandal war der Auslöser für dessen konkrete Planung mit Zügen einer eigenen Gewerkschaft und dem Ziel einflussreicher Mitsprache.
Wir … wollen, dass Ihr AthletInnen an allen Entscheidungen, die Euch betreffen, maßgeblich und nachvollziehbar beteiligt werdet. Die komplexen Themen, die uns als Kommission in den letzten zwei Jahren beschäftigt haben, haben uns deutlich vor Augen geführt, dass diese Aufgabe ehrenamtlich nicht zu bewältigen ist. … Der Athleten Deutschland e.V. ist eine Serviceeinrichtung für Euch AthletInnen. Er ermöglicht, dass Eure starke und unabhängige Stimme gehört wird.
…
Die Vereinsgründung wird uns in die Lage versetzen, die Kommunikation zwischen AthletInnen und Institutionen zu verbessern. Wir werden Eure Interessen gegenüber den Verbänden, aber auch allen anderen Akteuren in Sport, Politik und Gesellschaft vertreten. Mit diesen Institutionen wollen wir auf Augenhöhe, selbstbewusst und fair kommunizieren. Wir werden mithilfe des Vereins das Rechtsverhältnis zwischen AthletInnen und Verbänden weiterentwickeln und uns für die Erstellung fairer und transparenter Nominierungskriterien einsetzen. Wir werden uns für eine Athletenförderung stark machen, die es Euch ermöglicht, Euch auf eine Leistungssportkarriere einzulassen, ohne Nachteile oder Existenzängste fürchten zu müssen. Und nicht zuletzt werden wir uns für einen sauberen und fairen Sport einsetzen.
Silke Kassner, Mitbegründerin von ‚Athleten Deutschland‘:
Um im Kampf gegen Doping voranzukommen, muss man sicher in den Athleten selbst investieren. Dem Sportler müssen ein Auskommen während seiner Karriere und eine Perspektive nach dem Sport geboten werden. Er muss als mündiger Athlet seine sportliche Entwicklung auf Augenhöhe mit dem Verband vorantreiben können. Wenn ich in den Kampf gegen Doping investieren würde, dann unbedingt in Maßnahmen, die der kulturellen Veränderung im Sport dienen. Der Athlet darf nicht Mittel zum Zweck sein und für eine Medaillenbilanz missbraucht werden. (Stuttgarter Zeitung, 18.7.2017)
Australian Athletes Alliance: Charter of Athletes’ Rights:
In der Australian Athletes Alliance sind Athletenvertretungen von 8 Mannschaftsportverbänden organisiert, ca 3.500 Sportler*nnen gehören “the Triple A” an. Ihre Satzung ist hier zu finden.
Die Alliance hat dazu eine Charta der Athletenrechte verabschiedet:
Every Athlete
1. HAS THE RIGHT
to access and pursue sport as a career based solely on merit.
2. HAS THE RIGHT
to a sporting environment that is well governed, preserves the integrity of sport and is free from corruption and cheating.
3. HAS THE RIGHT
to the free choice of employment and to move freely in pursuit of that employment.
4. HAS THE RIGHT
to just and favourable conditions of work, including a minimum wage, fair hours of work, rest, leisure, workplace representation and the protection of a secure contract.
5. MUST
be provided with a safe workplace, which protects the athlete’s physical and mental health and his or her social wellbeing. An athlete must be treated and supported when injured.
6. IS ENTITLED
to have any dispute resolved through impartial and expeditious arbitration in which the athlete has an equal say in the appointment of the arbitrator. He or she shall not be the subject of any penalty which is disproportionate or without just cause.
7. HAS THE RIGHT
to an education and to pursue life beyond sport supported by the resources of the sport.
8. IS ENTITLED
to have his or her name, image and performance protected. An athlete’s name, image and performance should only be exploited with his or her consent, voluntarily given.
9. IS ENTITLED
to equality of opportunity in the pursuit of sport, free of any discrimination or harassment. An athlete’s right to pursue sport cannot be limited because of his or her race, age, sexuality, gender, religion, political belief, responsibilities as a carer or any other universally recognised attribute.
10. HAS THE RIGHT
to freedom of opinion and expression.
11. HAS THE RIGHT
to privacy.
12. IS ENTITLED,
if a minor, to have his or her rights as a child safeguarded.
13. HAS THE RIGHT
to share fairly in the economic activity of his or her sport.
14. HAS THE RIGHT
to organise and collectively bargain.
15. HAS A DUTY
to advance and promote the interests of his or her sport and community. An athlete shall only be subject to such limitations as are necessary to ensure that everyone can enjoy sport and that the health of sport and its social and cultural role in society is preserved.
World Players Association, Universal Declaration of Player Rights:
Die „World Players Association“ ist eine Spielergewerkschaft innerhalb des Gewerkschaftsverbands Uni Global Union, in der sich über 85.000 Spielern der FIFPro, NFL, NBA, NHL and MLB zusammen geschlossen haben. Am 14.12.2017 verabschiedete sie eine Deklaration für internationale Athletenrechte. Darin verlangt sie u.a. eine Abkehr von der aktuellen Dopingpolitik, in der ihrer Ansicht nach der einzelne Sportler zu sehr als alleinig Schuldiger gebranntmarkt wird und zu wenig Sportverbände, Ligen und Eigentümer der Clubs hinterfragt werden.
The implementation of the principles set out in the Declaration will introduce long overdue reforms to the governance of sport. Some examples include:
• Every player is entitled to equality of opportunity in the pursuit of sport without distinction of any kind and free of discrimination, harassment and violence.
• Every player has the right to freedom of opinion and expression.
• The rights of every child athlete must be protected.
• Every player has the right to share fairly in the economic activity and wealth of his or her sport which players have helped generate, underpinned by fair and just pay and working conditions.
• Every player has the right to organise and collectively bargain.
• Every player is entitled to have his or her name, image and performance protected. A player’s name, image and performance may only be commercially utilised with his or her consent, voluntarily given.
• Every player has the right to a private life, privacy and protection in relation to the collection, storage and transfer of personal data.
• Every player must be able to access an effective remedy when his or her human rights are not respected and upheld. This is particularly crucial given the highly skilled yet short term and precarious nature of the athletic career. …
Scharf, Zurawski, Ruthenberg: Negotiating privacy. Athletes’ assessment and knowledge of the ADAMS:
Eine Studie an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität Hamburg unter deutschen Elite-Sportler*innen, die im Testpool registriert sind, ergab widersprechende Angaben zur Akzeptanz des ADAMS-Systems. Einerseits sprechen sie sich dafür aus, andererseits lehnen sie es aus Gründen des Schutzes der Privatheit ab. Viele haben wenig genaue Kenntnisse darüber und würden dieses Instrument nutzen, um Kontrollen zu vermeiden. Der Wunsch nach mehr Transparenz des Systems, des gesamten Anti-Doping-Systems, ist verbreitet. Die Forscher sprechen davon, dass dieses Überwachungssystem unerwünschte und weitreichende Nebeneffekte und Machtungleichgewichte schafft. Sie plädieren für eine Überarbeitung des bestehenden Kontrollsystems hin zu einem Gleichgewicht der Stakeholder, in dem Athlet*innen auf Augebhöhe an Entscheidungen beteiligt werden und nicht nur wie gegenwärtig, einfache Betroffene sind, die Vorschriften zu befolgen haben.
sciencedirect: Negotiating privacy. Athletes’ assessment and knowledge of the ADAMS, 31.7.2018
Zurawski,Scharf: Negotiating privacy: Athletesassessment and knowledge of the ADAMS., Powerpoint-Präsentation 28.11.2017
We found from the survey that athletes have rather contradictory views concerning ADAMS, and often little knowledge of the system as such and would (or know how to) engage in playing the system to avoid controls. Athletes generally voice strong feelings about privacy, while simultaneously accepting ADAMS despite the concerns raised. However, they want more transparency regarding the system and the fight against doping. We conclude our analysis with a discussion of ADAMS as a surveillance system that, by storing, processing and using data for the purpose of anti-doping measures, engages in social sorting among athletes and creates what we call spillover effects and apparent power asymmetries that have been established throughout the system. We argue for a new balance within the system of controls, in which athletes are to be treated as actors, i.e. equal stakeholders who take part in decision-making regarding the system, rather than simply users and clients of a control interface. It seems that ADAMS threatens athletes’ privacy and that of their social environment rather than guaranteeing fairness for them.
Ross Tucker, Sportwissenschaftler:
Ross Tucker kommt nach der Betrachtung der heutigen unbefriedigenden Anti-Doping-Situation zu dem Schluss, dass sich hinsichtlich der Möglichkeiten einer Verbesserung viel davon abhängen wird, wie sich Athleten und Sponsoren zukünftig engagieren werden (Ross Tucker: The way, then the lack of will: A story of anti-doping and those who might save it, 24.4.2017):
Athletes and sponsors, ultimately, may hold the key. Realistically, it must begin with the athletes, and sponsors may then follow. If you step back, and look at the sports system, athletes are the ones most incentivized to stand up for clean sport. Yes, I realize they’re also the ones most incentivized to dope to win, but this becomes a volume balance, an issue of ‘mass’ on one side against the other. Athletes who wish to be clean have the purest incentives in the sport to press an anti-doping agenda. They also have the most to lose when doping is prevalent (compare this to the regulatory bodies, who have most to lose when doping is revealed).
Sponsors, too, suffer from the latter problem – they gain more from the spectacular performances doping enables, and stand to lose when it happens. However, if that particular balance can be changed, then sponsors with integrity may drive the commercial incentives to clean sport up. I am reminded that cycling was assisted when team sponsors said “no more” and some media refused to cover race results.
However, I maintain it should begin with athletes, and so whatever structure is created, it is athletes who must be given the most important, loudest voice in it. If the commercial interests can be aligned to this voice, it would help enormously. If sponsors and media pulled in the same direction, then even the commercial drivers for cover-ups might start to erode. It is those three – athletes, supportive sponsors, and media invested in the truth, that may save sport from a doping black hole.
I would argue for the creation of a body whose incentive is to catch cheats, athlete-led and supported by independent scientists. A contract that allocates a portion of TV rights money to anti-doping should be entered into, with no option to change for the foreseeable future, so that money can never become a tool for leverage, bargaining or outright bribery. The police cannot be made vulnerable to a bribe or pressure from the criminals.
Whether that happens, unfortunately, is down to existing organizations, who would have to change themselves. That of course, brings us to the need for a “will”, and puts us into a perpetual cycle. Breaking that is going to be the next phase of the enlightenment.
John Leonard, Schwimmtrainer:
John Leonard ist Vorsitzender des Weltverbandes der Schwimmtrainer WSCA und gründet 2017 einen alternativen Welt-Schwimmverband, die Swimming World Association (SWA), da er die FINA durch und durch korrupt einstuft und für nicht mehr reformierbar hält.
Daneben sollte eine eigene Athletenvereinigung gegründet werden, die Mitsprache garantiert und zusätzlich ein eigenes Anti-Doping-System etabliert, mit dem die Athleten glaubwürdig ihre Dopingfreiheit darlegen können. Die Sportler*innen sollen zudem finanziell an Einnahmen beteiligt werden.
Für John Leonard ist eine Reform der weltweiten Misere nur möglich mit der Stärkung der Athletenmitsprache, am besten mit deren Streik (Leonard 8.2.2018).
Interview mit John Leonard (DLF: Revolution gegen den Weltverband, 3.9.2017):
Schweizer: … Athleten sind nicht gerade bekannt dafür, sich in politsche Dinge einzumischen, die meisten wollen sich aus diesen Themen eher raushalten und sich auf Training und Wettbewerbe konzentrieren. Warum glauben Sie, dass Athleten jetzt das Risiko eingehen und sich ihrem Verband anschließen?
Leonard: Diese Einschätzung teile ich nicht! Ich glaube, dass die FINA und ihre verschiedenen Nationalverbände Athleten entmutigt haben, sich für ihre Rechte einzusetzen. Athleten hatten in der Vergangenheit keine Unterstützung, um sich eigenständig zu organisieren. Ich glaube aber, dass sie sich organisieren wollen. Jetzt werden wir ihnen helfen, ihre eigene Organisation auf die Beine zu stellen, die sie selbst führen werden.
Auf meiner Liste von Leuten, die mir gesagt haben, dass sie interessiert sind, dabei zu sein, ist ein großer Teil der Medaillen-Gewinner der vergangenen Olympischen Spiele und zahlreiche andere professionelle High-Level-Athleten.
Schweizer: Über Namen wollen Sie aber nicht sprechen?
Leonard: Ich kann nicht über Namen sprechen aber ich kann Ihnen einige Prinzipien nennen. Und diese Prinzipien, über die wir sprechen, um eine „Professional Swimmer Association“ zu gründen beginnen mit absolut doping-freiem Sport. Wir haben herausragende Technologie, um Doping zu verhindern. Das heißt hochsensible Bluttests mit multidimensionalem Screening.
Das bedeutet, alles, was sich im Blut und im Urin befindet, kann in einem Test identifiziert werden. Natürlich wollen die FINA und das IOC und andere untergeordnete Gremien diese Methoden nicht nutzen, weil sie keine Betrüger erwischen wollen. Und in der „Professional Swimmers Association“ wird es dann einen verpflichtend doping-freien Sport geben, um an den Events teilzunehmen.
Die zweite Sache ist die, dass die Athleten die PSA besitzen werden. Sie haben eine Eigenkapitaldecke. Es wird keine Organisation, der sie beitreten, sondern sie werden sie besitzen und sie werden für den Rest ihres Lebens damit Geld verdienen.
Schweizer: Also wird jeder ein Mitspracherecht haben?
Leonard: Jeder der mitmacht. Aber es wird ein Leistungslevel für Athleten geben, und das wird sehr hoch angesetzt. Sie werden alle eine Eigenkapitaldecke haben und sie werden für den Rest ihres Lebens zusätzliches Geld verdienen.
Außerdem ist an dem Konzept einzigartig, dass die internationalen Richtlinien, nach denen Athleten bezahlt werden, von der „National Basketball Association“ hier in den USA kommen. Die Regel sagt, dass 49 Prozent von jedem Dollar, den die NBA einnimmt – egal aus welcher Quelle, Ticketverkäufe, Fernsehen, Verkauf von T-Shirts – jede Form von Einnahmen. 49 Prozent von diese Einnahmen müssen in den Taschen der Athleten landen. Nach diesem Prinzip werden wir auch in der PSA vorgehen. In Bezug auf die Vergütung wird das der absolute Welt-Standard werden. …
Rune Andersen, Anti-Doping-Experte:
Der Norweger Rund Andersen ist Vorsitzender der Cycling Anti-Doping Foundation (CADF) der UCI und ermittelt für die IAAF in der Causa Russland. In einem Gespräch mit dem DLF. Joseph de Pencier war viele Jahre Vorsitzender der iNADO: Beide treten im DLF-Sportgespräch vom 29.10.2017 für eine stärkere Mitsprache der Sportler*innen ein:
De Pencier: Es gab über viele Jahre Einzelsportler, die sich sehr im Anti-Doping-Kampf engagiert haben und für die Wichtigkeit von sauberem Sport eingestanden sind. Denken wir an Edwin Moses, den großen Leichtathleten der 1970 und 80er Jahre. Der ist jetzt der Vorstandsvorsitzende der US-Anti-Doping-Behörde. Er ist in dieser Sache seit 30 Jahren unnachgiebig. Er installierte die ersten Dopingtest in der US-Leichtathletik außerhalb der Wettbewerbe. Denken wir an Paula Radcliffe. Bei der Leichtathletik-WM 2002 stand sie auf der Zuschauertribüne mit einem Schild, auf dem stand: „EPO betrügt“. Weil sie sauer war, dass sie gegen einen ehemaligen Dopingsünder antreten musste.
Sicher einige Einzelsportler, mit toller Persönlichkeit und Mut, haben sich in den letzten Jahren getraut etwas zu sagen und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch andere Beispiele finden könnten. Was das interessante heutzutage ist, dass es sich Athleten in Ländern zu Gruppen zusammenschließen, die dafür Sorge tragen, dass sich das System um ihre Interessen kümmert. Das ist wirklich eine sehr positive Entwicklung.
Andersen: Ich denke schon, dass die Athleten lauter werden sollten. Und es wird sicher einen Einfluss auf die Entscheidung des IOC in Sachen Russland für Pyeongchang 2018 haben. Sportler sind aber nicht so gut vernetzt. Sie brauchen also etwas Unterstützung, um sich in den Medien zu äußern. Wir hören diese Meinungen in den NADOs. Ich sag immer zu den Sportlern: Macht den Mund auf! Wenn ihr zu mir sprecht, hilft das ein wenig, aber es hilft nicht so viel, als wenn ihr euch in die öffentliche Debatte einmischt.
Stefan Chatrath, University of Applied Sciences Europe, stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Landessportbunds Berlin:
Professor Stefan Chatrath verlangt eine deutliche Kurskorrektur im Anti-Doping-Kampf. Er kritisiert eine deutliche Missachtung von Grundrechten der Sportler*innen, eine Verletzung, die durch den Tatbestand des Dopings nicht gerechtfertigt seien und fordert die Athlet*innen auf, sich zu wehren (Tagesspiegel, 3.4.2018).
… Dopingbekämpfung mag ein legitimes Ziel sein, doch eine auf liberalen Prinzipien gegründete Gesellschaft kann nicht alles dulden. Es gibt gewisse Grenzen – und diese sind derzeit weit überschritten. …
1. Doping-Kontrolle: Verletzung des Rechts auf Privatheit
Das aktuelle Doping-Regularium greift sehr tief in die Privatsphäre ein: Die Welt Anti-Doping-Agentur (Wada) hat ein quasi-totalitäres Überwachungsregime errichtet. … Diese Regelung ist mit der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Dort heißt es nämlich in Artikel 8 zum „Recht auf Privatheit“ …
Das aktuelle Doping-Kontrollverfahren verstößt gegen das Recht auf Privatheit aus drei Gründen: Das Grundgesetz schränkt die Unverletzlichkeit der Wohnung nur unter bestimmten Bedingungen ein, eine Doping-Kontrolle gehört sicherlich nicht dazu. Sportler müssen aber zu jeder Uhrzeit Kontrolleure in ihre Wohnung lassen, auch mitten in der Nacht. Eine Verweigerung würde zu einer Sperre führen. Sportler bestimmen zudem nicht frei über die Preisgabe und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten. Durch die obligatorische Meldung des Aufenthaltsortes an die Nationale Anti-Doping-Agentur ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht verletzt. …
… Eine auf freiheitlichen Prinzipien gegründete Gesellschaft kann ein solches Regularium nicht akzeptieren. Sportler sollten ihr Recht auf Privatheit einfordern, und jeder von uns sollte sich solidarisch zeigen.
2. Doping-Sperre: Verletzung des Rechts auf freie Berufsausübung
Doper werden hart bestraft: Sie sind in der Regel für zwei oder mehr Jahre gesperrt. In diesem Zeitraum darf der gesperrte Sportler an keinem Wettbewerb und Training teilnehmen. Er darf damit in dieser Zeit seinen Beruf nicht ausüben. Ein Berufsausübungsverbot muss aber laut Grundgesetz Artikel 12 besonders begründet werden. Ein Doping-Verstoß ist dafür nicht ausreichend: Doping ist ein vorsätzlicher Regelbruch – wie die „Notbremse“ im Fußball.
Der Sportler will sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, der verboten ist. Wieso muss Doping so hart bestraft werden? Das ist unverhältnismäßig. …
Das Berufsausübungsverbot geht damit zu weit. Ein Sportler wird existenziell vernichtet, da er während der Sperre kein Geld verdienen kann.
Es würde stattdessen ausreichen, das Ergebnis des Wettkampfs zu annullieren, in dessen Rahmen der Sportler positiv getestet wurde. Das Preisgeld müsste er zurückzahlen. Die Annullierung wäre zugleich die Kompensation für die Mitbewerber, die regelkonform agierten: Sie würden entsprechend ihrer im Wettkampf ermittelten Platzierung aufrücken.
Wir halten fest: Das aktuelle Dopingkontrollsystem ist nicht vereinbar mit den Prinzipien einer Gesellschaft wie der unsrigen, die auf einer freiheitlich-demokratischen Ordnung fußt. Fundamentale Grundrechte werden missachtet. … Sie sind Mitglieder unserer Gesellschaft und haben damit das Recht, so behandelt zu werden wie jeder andere auch.
Monika