Ein erster Evaluierungsbericht zum deutschen Anti-Doping-Gesetz wurde Anfang Dezember 2020 von der Bundesregierung beschlossen. Die Erfahrungen mit dem Gesetz sind ernüchternd.
Evaluierungsbericht zum Anti-Doping-Gesetz , 2.12.2020
BMG: Für einen fairen und sauberen Sport: Bundesregierung berät weitere Schritte gegen Doping
Univ. Leipzig: Nur wenige Strafverfahren, kaum Verurteilungen. Anti-Doping Gesetz unter der Lupe
Ergebnisse und Meinungen
DLF: Mahmut Özedmir im Gespräch mit Marina Schweizer, „Kronzeugenregelung besonders wichtig“
Schnell konzentrierte sich die Berichterstattung nach Veröffentlichung der Studie auf die Einführung einer bereichsspezifischen Kronzeugenregelung. Sie wird als mögliche Verbesserung entsprechend des Betäubungsmittelgesetzes benannt (eine allgemeine gesetzesübergreifende Kronzeugenregelung gibt es). Damit solle im AntiDopG ein sichtbarer Anreiz für Sportlerinnen und Sportler geschaffen werden, ‚Informationen über Hintermänner und kriminelle Netzwerke preiszugeben und damit eine effektivere Strafverfolgung zu ermöglichen‘.
Es stellt sich jedoch die Frage, woher die Kronzeugen vor allem im Elite-Sportsegment kommen sollen. Dazu bedarf es staatsanwaltlicher Ermittlungen und Anklagen im Doping-Umfeld. Kronzeugen sind keine Whistleblower und selbst diese sind rar.
Zur Definition der allgemeinen und bereichsspezifischen Kronzeugenregelung:
Knüpft die Möglichkeit, Strafrabatt durch Denunziation erhalten zu können, an ein spezifisches Deliktsfeld an (sowohl bezüglich der Kronzeugentat als auch bezüglich der Aufklärungstat), so handelt es sich um eine »kleine« beziehungsweise »bereichsspezifische« Kronzeugenregelung. Denn hier müssen sowohl der Denunziant als auch der von ihm Denunzierte jeweils Täter beziehungsweise Teilnehmer einer Tat, die ein und demselben Deliktsbereich entspringt, sein.
Im Umkehrschluss liegt eine sogenannte »große« Kronzeugenregelung dann vor, wenn eine tatbestandliche Beschränkung auf besondere Deliktsfelder nicht vorliegt. (Alexander Hardinghaus )
Die Diskussion um eine Kronzeugenregelung ist auf Ebene des Deutschen Bundestages nicht neu. Sie begleitet die Einführung des Gesetzes von Anfang an, s. hier: >>> doping-archiv.de: Kronzeugenregelung .
Anmerkung: Der erneute schnelle Ruf nach einer Kronzeugenregelung mutet hilflos an und weckt den Verdacht, mit Aktionismus eine tiefgreifende grundsätzlichen Analyse vermeiden zu wollen. Eine breite öffentliche Diskussion um den Evaluationsbericht wäre sinnvoll, so könnte auch eine Analyse des bislang einzigen größeren Prozesses, Operation Aderlass, hinsichtlich einer Aufnahme einer Kronzeugenregelung in das AntDopG bringen. Ob solches eintreten wird, ist Stand Anfang 2021 nicht abzusehen. Am 16.12.2020 fand eine nicht-öffentliche Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages statt mit dem Tagesordnungspunkt Ergebnis der Evaluierung des Gesetzes gegen Doping im Sport mit den Autoren des Berichts Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel und Prof. Dr. Elisa Hoven statt. Eine Nachricht hierzu wurde nicht verbreitet.
Das Fazit der Autoren:
Das Fazit der Autoren: „Das Gesetz war und ist sehr wichtig, da die Verbände allein die Integrität des Sports nicht schützen können. Der Staat fördert den Sport wegen seiner sozialen Funktionen Jahr für Jahr finanziell und ideell, daher ist es auch richtig, dass er diese gemeinschaftsstiftende Institution vor korrupten Verhaltensweisen schützt. Auch die Sport- und Athletenverbänden erkennen die präventiven Wirkungen des Gesetzes an.“ In einem der rund 24 Experteninterviews, die die Studienautoren führten, sagte ein Athlet, das Anti-Doping Gesetz habe gerade bei jüngeren Sportlern zu einem Umdenken geführt.
Dennoch hat die Studie nach Einschätzung von Kubiciel und Hoven auch eine Schieflage deutlich gemacht. Die Auswertung sämtlicher Akten zu Verfahren, die deutsche Staatsanwaltschaften wegen des Verdachts des Selbstdoping geführt haben, zeige, dass der Großteil der Ermittlungsverfahren eingestellt wird. „Nur drei Sportler haben in den letzten Jahren wegen Selbstdopings einen Strafbefehl erhalten, die Verurteilung des Berufsboxers Felix Sturm durch das Landgericht Köln zu Anfang des Jahres ist die bislang einzige.“ Die Studienautoren führen dafür zwei Gründe an: „Es fehlt im Sport an Whistleblowern, daher wäre über eine Ausweitung der Kronzeugenregelung nachzudenken.“ Selbstdoping falle in der Regel nur durch positive Trainings- und Wettkampfproben auf. Diese reichten aber für den Tatnachweis und eine Bestrafung nicht aus, da das Gesetz weitere Strafbarkeitsvoraussetzungen habe, deren Nachweis den Staatsanwaltschaften schwerfalle. Kubiciel und Hoven schlagen daher vor, den Straftatbestand zu überarbeiten, um das Gesetz stärker auf die Bekämpfung des Selbstdopings im Wettkampfsport auszurichten.
Stärkerer Fokus auf Wettkampfsport
Dies sei auch aus einem anderen Grunde wichtig: „Bislang betrifft der Großteil der Ermittlungsverfahren Bodybuilder, bei denen anabole Steroide oder andere Dopingpräparate aufgefunden werden. Diese nehmen aber typischerweise nicht an Wettkämpfen teil.“ Dass das Gesetz den Besitz von Dopingmittel kriminalisiere, diene – so Hoven und Kubiciel – nicht der Integrität sportlicher Wettkämpfe. Vielmehr begründe der Gesetzgeber die Besitzstrafbarkeit mit der Vermutung, dass Personen, die Dopingmittel besitzen, diese auch an andere weitergeben oder damit Handel treiben. „Das mag vorkommen, jedoch haben uns viele Experten gesagt, dass die aufgefundenen Mengen oft so gering seien, dass kaum davon ausgegangenen werden könne, dass der Beschuldigte mit diesen Handel treibe oder sie weitergebe.“
Auch an dieser Stelle schlagen die beiden Professoren eine Feinjustierung des Gesetzes vor. „Strafrechtliche Ermittlungen und Sanktionen sind zur Sicherung zentraler Werte und Normen des Sports wichtig, sie sind aber auch aufwändig und teuer. Daher halten wir es für sinnvoll, das Anti-Doping-Gesetz stärker auf strafwürdige Fälle von Doping im Wettkampfsport zu fokussieren.“