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Compliance – Regeltreue / Good Governance
Der Begriff Compliance hat sich auch in der deutschen Anti-Doping-Diskussion festgesetzt. Compliance bedeutet Regeltreue, wer Regeln verletzt ist non-compliant. Eng verknüpft ist der Begriff mit der Forderung nach Good Governance, womit im größeren Rahmen der Komplex ethischer und soziale Normen gemeint ist, nach denen Organisatoren handeln sollen, in etwa kann dies mit Leitbild übersetzt werden.
Sylvia Schenk geht in diesem Text näher darauf ein. Nach der Definition der EU bedeutet Good Governance im Sport:
“The framework and culture within which a sports body sets policy, delivers its strategic objectives, engages stakeholders, monitors performance, evaluates and manages risk and reports to its constituents on its activities and progress including the delivery of effective, sustainable and proportionate sports policy and regulation.”
Diese Governance-Vorgaben des Sports müssen ständig überprüft und angepasst werden und fließen in die Diskussionen um die Überarbeitung des WADA-Codes, der auch als verbindliches WADA-Leitbild bezeichnet werden könnte, ein. Bei der WADA hat dies die Working Group on WADA Governance Matters übernommen, in der auch Andrea Gotzmann, Vorsitzende der Deutschen NADA mitarbeitet.
Für die Praxis im Sport bedeutet dies, dass die Governance-Vorgaben das Handeln der Organisationen und Verbände maßgeblich bestimmen sollen und damit in die Regelwerke einfließen müssen. Im Falle des weltweiten Anti-Doping-Systems führt das u. a. dazu, dass die Regelwerke der WADA von den Institutionen, die von der WADA anerkannt werden wollen, akzeptiert und intern umgesetzt werden müssen. Dass betrifft alle sogenannten WADA-Code-Signatoren, die den WADA-Code als verbindliches Leitbild und Regelwerk anerkannt und sich damit dem Anti-Doping-System unter Leitung der WADA angeschlossen haben. Letztlich haben sich alle Teilnehmer des Systems, kurz die Stakeholder wie Organisationen, Verbände, Kommissionen, Labore usw. einem Compliance-Konzept zu stellen.
Die WADA hat hierzu ein komplexes Compliance Monitoring Programm geschaffen, dass aufgrund der Skandale rund um die IAAF, Kenia und vor allem Russland überarbeitet wurde und mit diesen Änderungen im April 2018 in Kraft treten wird. Ein externes, unabhängiges Compliance Review Committee (CRC) und eine interne Taskforce sollen die Umsetzung sichern.
Joseph de Pencier, iNADO, 29.10.2017:
Aber für die meisten Länder ist es wirklich am wichtigsten, dass sich die Qualitätstandards in der Dopingbekämpfung annähern. Deswegen arbeitet die deutsche Nationale Anti Doping Agentur (NADA) auch mit der Ukraine zusammen. Die Ukraine ist eine große Sportnation, sowohl in Sommer-, als auch in Wintersportarten, hat aber eine katastrophales Anti-Doping-System. Die Deutschen helfen den Ukrainern also, dass sie ihre Sachen richtig machen. Die Ukrainer dieser Welt oder die Kenianer dieser Welt, wo die Norweger jede Menge Zeit investiert haben. Oder nehmen sie Jamaika, da hat meine kanadische Heimatorganisation, zwei Jahre Arbeit reingesteckt. Das sind die Orte, wo wir als Gemeinschaft aushelfen müssen, um die Standards anzuheben, weil es unseren eigenen Athleten zugute kommt, weil sie eine bessere Garantie haben, dass ihre Wettkämpfe fair ablaufen.
Regelmäßig werden Überprüfungen vorgenommen, unplanmäßig reagiert wird dann, wenn Pannen und Unregelmäßigkeiten bekannt werden. Als Ergebnis kann die Anerkennung entzogen und eine Frist benannt werden, bis dahin die Fehler und vorhandenen Defizite behoben werden müssen. Dabei helfen Nationale Doping-Agenturen, die besser aufgestellt sind.
Dass dieses komplexe und kaum überschaubare Feld viele Möglichkeiten bereit hält, die Vorgaben zu umgehen, liegt auf der Hand. Insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass eine der wichtigsten Forderungen, die Unabhängigkeit und weitgehende Transparenz der Organisationen und Gremien in weiten Teilen nicht umgesetzt ist. Auch die WADA selbst wird längst nicht allen Anforderungen gerecht. Eng sind zum Beispiel Verflechtungen mit dem IOC, es gibt personelle Doppelfunktionen und finanzielle Abhängigkeiten. Das Machtgefüge zeigt deutlich in Richtung IOC.
Eine kontinuierliche und gründliche Überprüfung aller betroffenen Stakeholder dürfte aus organisatorischen und finanziellen Gründen auch langfristig gesehen unmöglich sein. Es werden zwar regelmäßig einzelne Institutionen als non-compliant erkannt, doch meist gehen dem offenkundig gewordenen Pannen, Fehler und Mängel voraus. Insbesondere größere Dopingskandale zeigen immer wieder au, wie fragil, unvollständig und undurchdringlich sich vor Ort die Gegebenheiten gestalten.
Das krasseste Beispiel lieferte Russland. Die Aufdeckung der Manipulationen während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 mit den heute bekannten Manipulationen und Betrügereien am russischen Anti-Doping-Labor machen deutlich, dass die gängigen Überprüfungswege bei hoher krimineller Energie versagen.
Ob das (s.o.) erweiterte, im April 2018 in Kraft tretende Compliance Monitoring Programm der WADA die schwersten Mängel beheben kann oder sich weitere neue Baustellen ergeben, wird sich zeigen. Nach all den vielen Veröffentlichungen über korrupte Verbands-Strukturen und Entscheidungen, insbesondere auch den Stakeholder IOC betreffend, sind Zweifel angebracht. Innerhalb der Sportsysteme dürfte nach wie vor der Wunsch vorherrschen, möglichst wenige Dopingvorgänge aufzudecken. Es gibt immer Wege bei angeblicher Regeltreue, genau diese Regeln zu umgehen.
Hier stellen sich mir die Fragen, ob das IOC als Stakeholder ebenfalls dem Monitoring unterliegt und sich somit einer geregelten Überprüfung stellen muss und ob und wenn ja wer die Compliance der WADA überprüft.
MEINUNGEN
Antoine Duval, ASSER Institute, Niederlande
Antoine Duval gehörte zu denjenigen, die sich 2016 nach den ersten Erschütterungen durch die Enthüllungen über das russische Dopingsystem zu Wort meldeten und eine erhebliche Aufstockung des WADA-Etats für die Steigerung der Compliance-Aktivitäten forderten. Vor allem verlangte er die Aufstockung des investigativ tätigen WADA-Personals und umfangreichere Audits (Play the Game, 27.9.2016:
WADA’s failure, reflected in the Russian doping scandal, is mainly on the compliance front. WADA has devised a set of uniform anti-doping rules, the World Anti-Doping Code (WADC) and its adjacent Standards, applying (in theory at least) across the world. Yet, until recently, it lacked the means (and maybe the willingness) to properly check whether the WADC signatories also properly implemented those rules and standards. This was (and still is) a massive blind spot in the World Anti-Doping System, one that jeopardizes the whole ambition to develop common rules and practices to regulate doping at a global level.
From now on, WADA’s focus should be primarily on ensuring compliance with the WADC. In this regard, it is suggested that:
– WADA allocates a substantial share of its budget to compliance activities;
– WADA recruits a solid in-house team of specialised investigators;[1]
– WADA commits to a yearly report on compliance for each individual signatory;
– Based on this report WADA should order a reasonable number of comprehensive audits of non-compliant organisations.
Carsten Kraushaar Martensen und Verner Møller, Aarhus Universität Dänemark
Carsten Kraushaar Martensen und Verner Møller veröffentlichten Mitte 2016 eine Studie, in der sie der Frage nachgingen, ob die Zahl der Aufklärung von Dopingfällen in Relation zur Höhe des finanziellen Einsatzes steht. Sie verneinten diese Relation. Sie untersuchten letztlich nur Berichte von 15 Nationalen Anti-Doping-Agenturen, da nur diese online ausreichend erreichbar waren und entgegen den Compliance-Anforderungen regelmäßig jährliche Finanzreports zur Verfügung stellten.
Abschließend wird festgestellt, dass selbst diese 15 Agenturen, den Compliance-Ansprüchen nicht genügten (More money – better anti-doping?, 4.6.2016.
It may be that our sample is not representative but it comprises – in relation to article 14.4 – the most code-compliant NADOs, so there is reason to believe that the NADOs represented in the sample are among the most advanced and ambitious ones who are examples of best practice.
If that is indeed the case, best practice NADOs still have room for improvement because even the NADOs that met our minimum criteria for inclusion did not live up to WADA’s requirements either. There were many gaps in the reports … Only USA and WADA itself live up to that. …
We concede that this study is lacking in many respects due to the data gathering method we have used but at least it allows us to make one important conclusion: the NADOs which are policing the athletes and bring charges against them if they fail to submit whereabouts information or to comply with the letter of the code in any other respect are, except for one, not code compliant themselves. The gaps in the data we have at hand for this study is proof of that.
Olivier Niggli, Generalsekretär der Welt-Anti-Doping-Agentur
Olivier Niggli, WADA-Generalsekretär, berichtet in einem Interview mit der FAZ vom 22.2.2018 über die Investitionen der Agentur in den Ausbau des Compliance-Komplexes, die in dem Ende 2017 verabschiedeten Compliance Monitoring Program (s.o) festgeschrieben sind:
… Unser neues Compliance-Programm läuft auch, das ist eine große Veränderung. Wir schauen die Praxis an, nicht nur, ob die Regeln in Ordnung sind.
Die Praxis bei den Anti-Doping-Organisationen.
Ja, und bei den internationalen Verbänden. Wir haben Rechnungsprüferteams geschickt, einen Fragebogen ausgewertet, und jetzt legen wir die Prioritäten fest. Dieses Jahr haben wir 20 Prüfungen gemacht. Damit hängt zusammen, und das wurde nicht von vielen erkannt, obwohl es für mich ein entscheidender Schritt nach vorne ist, dass wir den internationalen Standard für Compliance aufgenommen haben. Der definiert im Fall von non-compliance, bei Nichteinhaltung der Regeln, welche Sanktionen angewendet werden können. Sofern wir keine andere Vereinbarung haben, kann die Wada jetzt ermitteln gegen Organisationen, die die Regeln nicht einhalten, und der Cas kann über die Konsequenzen entscheiden. Eine Situation wie in Russland wird nicht mehr vorkommen. Dort entschieden … Sportorganisationen, was zu tun war. Jetzt entscheidet ein unabhängiger Körper.
Was würde jetzt passieren?
Es würde wohl unter die ernsthafteste Verletzungskategorie fallen. Wir würden vor den Cas ziehen und die schärfste Strafe beantragen.
Welche ist das?
Es gibt eine Spanne. Das reicht bis zum Ausschluss von Großveranstaltungen. Der Cas entscheidet dann, und die Entscheidung muss von allen respektiert werden.
Von allen Verbänden und dem IOC?
Richtig. Alle haben dem zugestimmt, vergangenen November. Das ist ein großer Schritt. Was die Compliance angeht, haben wir jetzt den Kreis geschlossen. Wir haben ein gutes Programm, ein unabhängiges Compliance-Review-Komitee und die Regeln, was Konsequenzen angeht. Wir sind viel besser ausgestattet als vor vier Jahren.
Ist es durch das neue Compliance-System möglich, ganze Sportverbände zu sperren, Sportarten also zum Beispiel von Olympischen Spielen auszuschließen?
Potentiell ja, wenn es um Probleme mit dem sportlichen Wettbewerb geht.
Wenn ein Verband sein Anti-Doping-Programm schleifen lässt oder es nur auf dem Papier existiert, kann eine Sportart ausgeschlossen werden?
Normalerweise müsste die non-compliance gemäß der Olympischen Charta heute schon Konsequenzen haben.
Hat sie aber so gut wie nie.
Ja. Und jetzt wird die Entscheidung von einem unabhängigen Gremium getroffen…
Da haben wir die IAAF gefragt: Was macht ihr mit diesen Blutpässen? Was ist da los? Wir haben nicht verstanden, warum sie nichts machen. Es war unvorstellbar für uns, dass die IAAF das Problem war. Wir dachten, sie hätten zu viele Fälle, zu viel Arbeit. Würden wir heute so etwas sehen, könnten wir eine Buchprüfung oder eine Ermittlung auslösen.
Monika