2006 Jan Mühlethaler: Sportmediziner als Trainer
Conconi, Ferrari und Cecchini – drei bekannte ialienische Sportmediziner, die für ihre Trainingspläne hochgelobt werden, aber als Dopingärzte gelten. Gerichte bestätigten diesen Zusammenhang zumindest bei Conconi und Ferrari. Im Zuge der spanischen Affaire Operación Puerto um Dr. Eufemio Fuentes und Team-Manager Manolo Saiz fiel besonders häufig der Name von Dr. Luigi Cecchini. War er der italienische Verbindungsmann zu Fuentes?
Viele Sportler sind und waren seine Patienten oder besser gesagt seine Klienten. Das gesamte Riis-Team folgte zumindest bis in das Jahr 2005 seinen Trainingsplänen, auch Jan Ullrich vertraute ihm.
Was ist das Besondere an italienischen Sportmedizinern? Was macht sie so viel besser? Warum sind sie für in-und ausländische Sportler, besonders Radfahrer so attraktiv?
Jan Mühlethaler sucht eine Antwort, Neue Züricher Zeitung vom 25.7.2006:
>>> «Wer sich in Italien von einem Arzt beraten lässt, will einen Mehrwert»
«Wer sich in Italien von einem Arzt beraten lässt, will einen Mehrwert»
Sportmediziner sind im Radsport auffallend oft auch als Trainer tätig – Gibt es Gründe dafür?
Fabian Cancellara, der Schweizer Radprofi, hat die Diskussion während der Tour de France zu- sätzlich angeheizt. Er musste – wohl oder übel – zugeben, dass er ebenso wie der des Dopings ver- dächtigte Jan Ullrich mit dem umstrittenen italie nischen Sportarzt Luigi Cecchini zusammenarbeitet, ein Schüler des noch berüchtigteren Michele Ferrari. Dies, nachdem die Beziehung von Bjarne Riis, dem Sportlichen Leiter des Radteams CSC, in einem Interview offengelegt worden war. Dass sich nicht nur Schweizer Radprofis von ausländischen Sportärzten betreuen und bezüglich Trai ning beraten lassen, ist nichts Neues und an und für sich nicht verboten. Und doch ist es suspekt – aus verschiedenen Gründen: Zum einen verheim lichen viele Spitzenathleten ihre Beziehungen zu ausländischen Spezialisten, die auffallend häufig in Spanien und Italien zu Hause sind, zum anderen könnten sie die gleichen Leistungen, zumindest solange sie legal sind, auch in der Heimat beziehen. Dies vor allem deshalb, weil manche Radprofessionals (auch Cancellara) behaupten, dass sie von italienischen Sportärzten wie Cecchini oder auch Ferrari nicht medizinisch betreut, sondern in erster Linie mit Trainingsplänen versorgt werden.
Solche Aussagen legen offen, dass Sportmediziner im Radsport – und dort ganz auffällig – ihrer ursprünglich zugedachten Rolle entwachsen sind und auch als Trainer arbeiten oder von den «Kunden» so wahrgenommen werden. Zwar kommt es auch in anderen Sportarten – zum Beispiel in der Leichtathletik (Langstreckenbereich) – vor, dass Ärzte Trainingspläne schreiben; allein, im Rad- sport ist die Häufung dermassen gross, dass diesbezüglich nicht nur Zufall, sondern System dahinterzustecken scheint.
«Wer sich in Italien von einem Sportmediziner beraten lässt, will einen Mehrwert erzielen», sagt zum Beispiel Peter Dürr, der das Zentrum für Sportmedizin am Zuger Kantonsspital leitet und im Medical Team von Swiss Cycling tätig ist. Die italienische Sportmedizin sei mitnichten um Welten besser als die schweizerische, sofern sie sich im legalen Bereich bewege .., und folglich würde auch ein Schweizer Radprofi kaum nach Italien oder Spanien reisen, wenn er nicht Vorteile sähe, die hierzulande nicht gegeben seien.
Auch die Ausgestaltung von Trainingsplänen werde in Italien nicht anders gehandhabt als in der Schweiz.
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Auf den Kontakt von Cancellara zu Cecchini angesprochen, reagiert Dürr mit Zurückhaltung. Er erachte diesen als «problematisch» und der Glaubwürdigkeit abträglich, doch halte er sich an die Unschuldsvermutung, sagt der Zuger, der sich vor 14 Jahren als Arzt des Schweizerischen Radsportverbandes zu- rückgezogen hat und erst seit November 2005 wieder mitwirkt. Ausgeklinkt hatte er sich damals, weil ihm verklausuliert zu verstehen gegeben worden war, dass die Leistung des verbandseigenen Medical Teams noch zu verbessern sei – dies obschon alle erlaubten Möglichkeiten samt Leistungsdiagnostik ausgeschöpft worden seien, wie Dürr betont.
Das Radsport-Training ist ein «einfaches»
… Der Leiter Trainerbildung bei Swiss Olympic, der auch Triathleten betreut, argumentiert ähnlich wie Dürr.
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Bürgi glaubt auch nicht, dass es der Schweiz an Trainern fehlt, oder dass diese vielleicht schlecht ausgebildet sind. Vor allem im Nachwuchsbereich seien in den vergangenen Jahren etliche Radtrainer auf höchstem Niveau ausgebildet worden.
Bürgi sagt auch, dass gerade in mehrwöchigen Rundfahrten wie der Tour de France die Mediziner – wie vielleicht nirgends anderswo im Sport – eine sehr wichtige Rolle spielen, vor allem auch in der Regeneration. … Ob die täglichen Strapazen an der Frankreichrundfahrt ohne die Einnahme von unerlaubten Substanzen zu ertragen sind? Ja, das sei möglich, meinen Bürgi und Dürr. Ob man die Tour de France auch gewinnen kann? Schweigen, Skepsis, Achselzucken.
Beat Villiger, Direktor des Paraplegikerzentrums Nottwil und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin, sieht die Gründe für das auffällige Wirken italienischer Sportmediziner in der Trainerszene mitunter in der Ausbildung. In Italien sei die Sportmedizin – und damit auch die Leistungsdiagnostik – eine eigene Fachrichtung. «Das bedeutet, dass sich Leute wie Michele Ferrari und Francesco Conconi aus der eigentlichen Medizin verabschiedet haben», urteilt Villiger. In der Schweiz, aber auch in Österreich sei die Ausbildung in Sportmedizin nur ein Zusatz nach der eigentlichen Spezialisierung, so dass die Trainerfunktion weniger in den Vordergrund zu rücken drohe. Für Villiger ist indes klar, dass ein Sportarzt, der Trainer und damit direkt für den Erfolg verantwortlich ist, ja allenfalls auch finanziell davon profitiert, eher dazu neige, das System auszunützen und im Grenzbereich zu arbeiten. Die Wege vom Mediziner zum Trainer und umgekehrt sind zudem kürzer und damit effi- zienter, wenn die Funktionen in Personalunion geführt werden. Eine Argumentation, der sich auch der Mediziner Peter Dürr anschliesst.
«Kontrollmechanismus als Selbstschutz»
Beat Villiger, der selber seit 30 Jahren Hochleistungssportler medizinisch betreut, glaubt, dass die Gefahr einer Unregelmässigkeit deutlich kleiner ist, wenn sich Mediziner und Trainer gegenseitig auf die Finger schauen. Er nennt dies einen «Kontrollmechanismus als Selbstschutz» und gibt sich überzeugt, dass davon auch die Glaubwürdigkeit eines Sportmediziners abhängt.
«Als ich TK-Chef beim HC Davos war, habe ich aus diesem Grund darauf verzichtet, gleichzeitig Teamarzt zu sein», führt er aus und gibt offen zu, dass er nicht allein darum als Sportmediziner arbeitet, weil er kranken Athleten helfen will, sondern weil er sich auch über den Erfolg identifiziert. «Wenn ich im Spitzensport bin, mache ich alles, was erlaubt ist und dem Athleten keinen Schaden zufügt», meint Villiger …
Einleuchtende Gründe – mit einer Ausnahme – gibt es also nicht, warum sich Schweizer Radrennfahrer in Italien (oder sonstwo) im Stillen von Medizinern, die eigentlich Trainer sind, beraten lassen. …