Ralf Meutgens (Herausgeber)
Doping im Radsport
Delius Klasing 2007
Peter Kohl, Juni 2007:
Kein Radsportereignis, kein Tagesrennen und schon gar keine Rundfahrt mehr, ohne dass über Doping diskutiert wird – so sicher wie das Amen in der Kirche. Wer mitreden will, sollte sich mit dem Thema umfassend beschäftigen – eine gute Möglichkeit dazu bietet “ DOPING IM RADSPORT“ von Ralf Meutgens. Erschienen im Delius Klasing Verlag.
Der Autor ist freier Journalist und gehört ohne Frage zu den Doping- Spezialisten hierzulande. Geboren 1959, lebt in der Lüneburger Heide, hat ein Studium der Sportwissenschaften hinter sich, war Honorartrainer im Radsportverband Nordrhein-Westfalen, Vorsitzender eines Radsportvereins und bis Anfang der 90er Jahre als Referent in der Trainerausbildung engagiert. Seinen Einstieg in den Journalismus machte er mit den Schwerpunkten Sport, Medizin und Gesundheit.
DOPING IM RADSPORT ist ein umfassendes Werk, dass das Thema Doping von vielen verschiedenen Seiten beleuchtet. Zu Wort kommen viele Experten aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen in kurzen, gut lesbaren Beiträgen, die einzelne Aspekte des Themas Doping auf den Punkt bringen.
So bietet Dr. Sascha Severin, ein promovierter Pädagoge und Soziologe, der als Radsportler Mitglied der deutschen Nationalmannschaft war eine eindrucksvolle Innenansicht des Systems Radsport. Severin hält fest, dass
„Doping kein spontaner Fehltritt eines erwachsenen Sportlers ist.(…) Der Wille zu dopen, (…), entwickelt sich bei jungen Radsportlern oft aus dem Bedürfnis, sich den Regeln eines neuen sozialen Umfeldes anzupassen – positiv wie negativ.“
In der Folge beschreibt er, wie Jugendliche an das Thema Doping hingeführt werden. Sei es über Trainer, andere Aktive ( vermeintliche Vorbilder), die Werbung und wie leicht die Beschaffung der verbotenen Mittel über Internet möglich ist. Severin verweist zudem auf den Aspekt der Schul- und Berufsausbildung, die oft vernachlässigt wird in jungen Jahren, weil der Trainingsumfang immer größer wird.
„Der Übergang von den Junioren zu den Amateuren wird zur tagesfüllenden Tätigkeit (…), was unter Umständen dazu führt, dass die Schul- und Berufsausbildung für den Sport vernachlässigt oder sogar ganz aufgegeben wird. Was bleibt, ist der Radsport als einziger erlernter Beruf. Das heißt, der Lebensunterhalt muss ausschließlich über den Leistungssport bestritten werden,eine Alternative ist ohne Schul- oder Berufsausbildung verbaut. Da liegt es nahe, dass junge Radsportler dann in bestimmten Situationen (…) zu leistungssteigernden Substanden greifen ( müssen ), um wenigstens den Sport als einzig verbleibende Verdienstmöglichkeiten zu sichern.“
In der Folge wird das „Hamburger Modell“ beschrieben, ein Skandal, bei dem sich im Herbst 2006 Lücken im System der Doping-Kontrollen zeigten, die in größerem Umfang bewußt ausgenutzt wurden. Wie hat sich die Dopingszene entwickelt?
Der Sportmediziner Gustav Raken war betreuender Arzt im Radsport, er schildert als Zeitzeuge den Anabolika-Missbrauch in den 70er Jahren. Unmißverständlich stellt er in seinem Beitrag heraus, wozu der Mißbrauch von Anabolika führen kann.
Erschreckend auch die Erkenntnis, dass zu seiner Zeit als betreuender Arzt Radsportler bis zu 20 verschiedene Medikamente pro Tag genommen hätten.
„Bestimmte Ärzte (…) seien für manche Athleten zu einer Art <päpstliche Anlaufstelle> mutiert. (…) Nach dem Motto <Mach mich fit> oder < Mach mich besser, egal wie> komme es zu einem unverantwortlichen Medikamentenmissbrauch.“
Beeindruckend ist auch die Schilderung von Adolf Müller, einer Legende unter den Sechs-Tage-Mechanikern, der zwölf Jahre selber in den höchsten Amateurklassen gefahren ist, wie er die Radszene wahrgenommen hat. Walter Rottiers, heute 66, ein Belgier, war erfolgreich aktiver Radsportler, hat in vielen Positionen im Radsport gearbeitet und war für viele Medien als Journalist tätig. Er zeigt auf, mit welcher ungeheuren Sorglosigkeit und Selbstverständlichkeit alle Beteiligten über viele Jahre mit Doping umgegangen sind.
Dr. Achim Schmidt, Sportwissenschaftler am Institut für Natursport und Ökologie, Abteilung Radsport an der Deutschen Sporthochschule Köln, ist seit 1985 im Rad- und Mountainbikesport aktiv und seit 1989 A-Amateur. Er blickt auf das Dopingsystem in der DDR Sportpolitik zurück und belegt, dass dieses Kapitel des deutschen Sports noch nicht ausreichend aufgearbeitet ist.
Ebenso erschreckend wie aufrüttelnd ist der Beitrag des italienischen Sportwissenschaftlers und Trainers Alessandro Donati, der weltweit einer der erfolgreichsten Dopingaufklärer ist. Bereits 1981 traf er auf Professor Francesco Conconi und Blutdopingpraktiken in dessen Umfeld. Donatis Warnungen wurden ignoriert. (…)1989 schrieb er ein Buch, das sich auch mit der Rolle Conconis im Sport befasste. Es wurde nie ausgeliefert, weil der Verlag bestochen worden war. Später wurden ihm seine Mitarbeiter entzogen, das Budget drastisch gekürzt, und zeitweise wurde seine Kommunikation mit der Außenwelt durch das Abschalten von Telefonleitungen verhindert. 1994 erstellte er ein Dossier, das auf vielen Gesprächen mit Insindern, vertraulichen Interviews mit Ärzten, Trainern und ehemaligen Radprofis und Journalisten basiert. Schwerpunkt ist dabei der Umgang mit EPO.
Zusammenfassend wird der Fall Jörg Paffrath geschildert, der 1997 als erster Radprofi die neuzeitliche Dopingsystematik im Radsport offenbarte und wie peinlich und erniedrigend mit ihm umgegangen wurde. Andreas Singler ist studierter Diplomsportlehrer und Trainer, der beim USC Mainz und als Lehrbeauftragter an der PH Heidelberg gearbeitet hat, sowie als freier Autor und Journalist tätig ist. Prof. Dr. Gerhard Treutlein lehrt Sportpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er hat viele Jahre als Trainer von Spitzenläufern im Mittel- und Langstreckenbereich sowie über 400 m Hürden gearbeitet. Die beiden beschreiben die Zwangsläufigkeit des Dopings im Radsport. In der Folge kommt Christophe Bassons zu Wort, der Mann, der in der Mannschaft von Richard Virenque nie Dopingprodukte genommen hatte und diese Weigerung auch noch offensiv und öffentlich vertrat nach der FESTINA Affäre 1998. Bassons wurde vom gesamten Peloton geächtet, bis er ausstieg. Diese Geschichte hat er aufgearbeitet in einem Gespräch mit Hans Woller, der als freier Journalist seit 20 Jahren zu zeitgeschichtlichen und kulturellen Themen Stellung bezieht und recherchiert.
Der diplomierte Radsport-Trainer Dieter Quarz leitet mit der Schilderung seiner Erfahrungen das Thema Dopingmittelbeschaffung im Sport ein. Es wird klar aufgezeigt, welch gut strukturiertes Netzwerk dahintersteckt, um welche Produkte es sich handelt und welche Größenordnung der weltweite Handel mit Dopingmitteln derweil hat.
Spätestens seit der OPERACION PUERTO ist Eigenblutdoping in aller Munde – in diesem Buch erfahren sie, wie`s funktioniert, und was alles schief gehen kann, sowie die Folgen! Der Kardiologe und Sportmediziner Professor Hans-Willi M. Breuer beschäftigt sich mit zahlreichen ungeklärten Todesfällen bei jungen Hochleistungssportlern und zeigt auf, wie Doping sich verheerend auf die Funktionen des Herzens auswirken können.
Dr. med. Jürgen Metken, der lange als Arzt in der klinischen Forschung tätig war klärt auf über die Risiken von Medikamentencocktails.Wie das unkontrollierte Zusammenspiel verschiedener Substanzen lebensgefährliche Auswirkungen haben kann, sollte jeden der das liest zu verstehen geben, dass es nur einen Weg geben kann: Finger weg!
Dr. Wolfgang Stockhausen aus Freiburg war betreuender Verbandsarzt im Radsport – er wirft einen beschämenden Blick auf das Innenleben der Sportmedizin, in der Ärzte immer häufiger zu Mittätern und Mitwissern werden.
„Viele Kollegen im Sport arbeiten gut, ruhig und sachlich und halten auch in gefährdeten Sportarten die nötige Distanz und Unabhängigkeit aufrecht. Es gibt aber auch mehr als nur einige Sportmediziner, deren Drang nach Nähe zu populären Schützlingen sehr ausgeprägt ist. (…) das führt dann leicht dazu, jede Begehrlichkeit nach Leistungssteigerung zu erfüllen“ – so eine Aussage.
Stockhausen wirft einen Blick auf die aktuellen Ausmasse des Dopings und die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Erschütternd ist das in der Folge geschilderte Schicksal von Frank Nowak, einem ehemaligen Radsportler, der nach fast 2 Jahren im Wachkoma als Opfer der unheilvollen Allianz zwischen Radsport und Doping verstarb.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verantwortung der Medien – Der Sportsoziologe Karl-Heinrich Bette legt tief den Finger in die Wunden. Nicht weniger informativ ist die Betrachtung von Robert Deller, einem leitenden Oberstaatsanwalt, was die strafrechtliche Situation in Deutschland in Sachen Doping angeht. Auch hier wird klar dargestellt, wo der Hund begraben liegt. Winfried Hermann, sportpolitischer Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen erläutert die Schwierigkeit, die der Staat mit der Dopingbekämpfung hat. Die beiden folgenden Kapitel setzen sich sehr intensiv mit EPO auseinander. Am Schluß werden verschiedene Ansätze aufgezeigt, mit Dopingtätern und Möglichkeiten der Prävention umzugehen.
Für alle, die sich über Doping ein Bild machen oder sich intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen wollen, ein wirklich gutes Buch. Informativ, gut les- und leicht verstehbar. Mir hat besonders gefallen, dass es nicht darum geht, mit dem Finger auf einzelne zu zeigen und die zu brandmarken – vielmehr wird eindrucksvoll gezeigt, wie komplex Doping ist. Besonders abgerundet wird das Werk von Ralf Meutgens durch die immer wieder eingestreuten Belege, wie Doping durchgeführt wird und die Statistiken von Monika Mischke, die Dopingfälle und- affären im Radsport von 1940 – 2006 aufgelistet hat, ebenso wie eine Übersicht über Doping-Prozesse.