G. Treutlein: Dopingverdacht am Beispiel China

>>> Dossier China und Doping

Gibt es ernstzunehmende Hinweise, die   einen Dopingverdacht rechtfertigen?

FAZ, 21.2.1994:
Ein chinesischer Sportfunktionär, der in Montreal um politisches Asyl gebeten hatte, berichtete von flächendeckendem Doping in China „sowie von Ausreisekontrollen, wie in der ehemaligen DDR praktiziert, und von chinesischen Biochemikern entwickelten Mitteln, die durch Dopingkontrollen nicht nachweisbar seien. Der Chinese warf auch dem vom IOC akkreditierten Dopinglabor in Peking Kollaboration mit dem chinesischen Sport vor.
De Mérode (Medizinische Kommission des IOC): „Ich sage nicht, daß die Informationen nicht zutreffen. Aber wir haben keine Beweise, daß im chinesischen Sport gedopt wird. Und solange wir keine Beweise haben, haben wir kein Recht, die Chinesen zu beschuldigen oder sie anzuklagen.““

Bereits Anfang der 90er Jahre gab es viele Hinweise auf systematische chemische Leistungssteigerung in China. Zu verdächtig waren die plötzlichen Erfolge. Vieles erinnerte an den DDR-Sport. Aber genau wollte man das bei uns oft garnicht wissen. Auch in Europa und den USA wusste man die Vorteile von Anabolika, EPO, Blutdoping und Co. seit Langem zu schätzen. Nur unwillig begann man das Staatsdoping in der DDR aufzugreifen und aufzuarbeiten. Weltweit war man von Funktionärs- bzw. Verbands -und Politikseite nur ungern bereit, sich allzu tief hinter die Kulissen schauen zu lassen. Es blieb den Journalisten überlassen, Hintergründe zu sammeln und öffentlich zur Diskussion zu stellen.

1994 stellte Jean Gilbert, Statistiker des französischen Leichtathletikverbandes, die verschiedenen Indizien und Daten zusammen und analysierte die vorgebrachten pro- und contra-Argumente. Doch erst als sich die positiven Fälle häuften, wuchs innerhalb der Verbände der Druck auf China, zumal die Olympiabewerbung anstand.

Prof. Dr. Gerhard Treutlein, Heidelberger Zentrum für Dopingprävention, zeigt anhand der Unterlagen von Jean Gilbert und ausgewählter Presseartikel auf, welche pro- und contra-Argumente genannt wurden und weist auf die Schwierigkeiten hin, die sich ergeben, wenn die Interessen des Sportestablishments betroffen sind.

Dopingverdächtigungen bei großen Leistungen:
Argumente pro und contra Doping am Beispiel Chinas bzw. der chinesischen Läuferinnen 1993

Prof. Dr. Gerhard Treutlein, Heidelberger Zentrum für Dopingprävention, 2008

Am Beispiel Chinas bzw. der chinesischen Läuferinnen kann exemplarisch gezeigt werden, wie pro- und contra-Argumente unversöhnlich aufeinanderprallen. Bei den Weltmeisterschaften 1993 in der Leichtathletik in Stuttgart spielten die chinesischen Mittel- und Langstrecklerinnen eine überragende Rolle, obwohl sie in den vorhergehenden Jahren kaum in Erscheinung getreten waren. Die Argumente prallten schon beinahe unversöhnlich aufeinander, Leistungsbewunderer und Verteidiger des Rechtsprinzips „Wer nicht überführt ist, hat als unschuldig zu gelten“ auf der einen Seite sowie durch die Leistungsexplosion und Überlegenheit geschockte Beobachter und Experten mit Insiderwissen auf der anderen standen sich schon fast unversöhnlich gegenüber. Der französische Leichtathletik-Trainer Jean Gilbert hat wenige Monate nach den Weltmeisterschaften die Argumente beider Seiten zusammengefaßt: (GILBERT 1994)

These: Die Läuferinnen waren nicht gedopt.

Argumente:

– Finnland, ein Land mit nur etwas mehr als drei Millionen Einwohnern, beherrschte über Jahrzehnte die Mittel- und Langstrecken (Nurmi, Larva, Purje, Kolehmainen, Ritola, Is-Hollo u.a.m.), zwischen 1912 und 1936 gewann es hier 37 Olympische Medaillen.

– Seit Beginn der 80er demonstrieren Läufer aus dem afrikanischen Hochland in diesem Diszplinbereich eine ähnliche Überlegenheit, einschließlich des Crosslaufs. Niemand stört sich daran, warum dann die Verdächtigungen gegen die Chinesinnen?

– China hat 1,2 Milliarden Einwohner, fünfmal mehr als die Vereinigten Staaten, viermal mehr als die Europäische Gemeinschaft, 50mal mehr als Kenia und 250mal mehr als Finnland. Warum sollte dieses große Land nicht zu einer ähnlichen Überlegenheit in der Lage sein wie Finnland oder Kenia, zumal mit den Möglichkeiten eines zentralistischen kommunistischen Landes der Talentsuche und -förderung. Außerdem handelt es sich um ein Land, das sich noch auf wenige Sportarten konzentriert (wegen seiner Unterentwicklung konzentrieren muß); in diesen vorwiegend Olympischen Sportarten (Leichtathletik, Schwimmen, Rudern, Gewichtheben, Tischtennis usw.) ist es dann auch sehr erfolgreich.

– Dass in China gerade der Frauenmittel- und Langstreckenlauf so herausragt, hängt mit den Eigenarten der Lebenssituation der chinesischen Frau zusammen: harte Lebensbedingungen, monotone Arbeit usw., d.h. der Sport ist eine Möglichkeit der Emanzipation, zumal vor dem Hintergrund des politischen Ziels der Ein-Kind-Familie, wo es schon fast als Katastrophe erscheint, wenn dieses Kind ein Mädchen ist.

– Ein nicht unbeträchtlicher Teil Chinas liegt höher als 1500m, Tibet sogar weit über 3000m. Ebenso wie das raue Klima und die Härte des Landlebens tragen fehlende Transportmittel (Zwang zum Zrücklegen langer Strecken mittels Gehens oder Laufens) von klein auf dazu bei, dass der Organismus auf harte Arbeit vorbereitet ist.

– Weitere Punkte sind: Für uns nicht vorstellbare Disziplin, Fatalismus, natürliche Selektion aus einer großen Zahl von Sportlern heraus, sozialer Aufstieg durch Sport, Zugehörigkeitsgefühl zu einer Läuferelite, systematisches hartes Training in Gruppen, (30km morgens, 10km nachmittags). Der Einsatz von DDR-Trainern brachte noch mehr Systematik, wie das Beispiel des Trainers Eberhard Mund im französischen Rudern zeigt.

– Die chinesische Ernährung scheint die Basis zu sein: Stärkungsmittel, Pilze, „dang sheng“ (eine Art Ginseng), Schildkrötenblut, Hunderagout, Honig u.a.m. Hier sollte man sich an die Rentiermilch erinnern, die Lasse Viren bei seinem Doppelsieg bei den Olympischen Spielen erwähnte.

– Daneben tägliche Massagen, Akupunktur, die in dieser Form bei der Konkurrenz nicht angewendet werden.

– In einem armen Land ist die Aussicht auf Verdienstmöglichkeiten durch Leistungssport ein Motivationsfaktor ersten Ranges.

– Von der physiologischen Seite her bleibt zu unterstreichen, dass Wang Junxia und ihre Kolleginnen extrem hat trainierten, was ihre Ergebnisse logisch erscheinen lässt.

– 250 – 280km Trainingsumfang pro Woche, lange Höhentrainingslager auf 3000m Höhe. Dies erinnert an die Methoden der italienischen Ausdauerleister, mit großen Erfolgen bei internationalen Meisterschaften.

– Zudem zeigt die Kurve der Weltrekordleistungen über 1.500m bis 10.000m einen großen Rückstand dieser Disziplinen im Vegleich zu anderen Disziplinen, der von den Chinesinnen verringert wurde. Wang hat den 3.000m-Rekord um 16 Sekunden pulverisiet. Trotz der Isolierung durch den Krieg hatte Gunder Hägg 1942 den entsprechenden Rekord der Männer um 8 Sekunden verbessert, obwohl die Strecke zu diesem Zeitpunkt schon über 40 Jahre praktiziert worden war, im Gegensatz zum fast neuen 3000 m-Lauf der Frauen.

– Zusammengefaßt: Die Kritik der Ergebnisse der chinesischen Läuferinnen und die Dopingverdächtigungen gegen die Gruppe des Lauf-Gurus Ma Junren läßt sich in erster Linie auf eine weitgehende Unkenntnis der chinesischen Kultur, Politik gesellschaftlichen Verhältnissse und Psychologie zurückführen. Das hat mit rationaler, sachlicher, wissenschaftlicher Herangehensweise nichts zu tun.

These: Die chinesischen Läuferinnen waren gedopt.

Argumente:

– Die DDR belegte in den geförderten Sportarten bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften in den 70er und 80er Jahren stets einen Spitzenplatz. Mit Ausnahme der Kugelstößerin Slupianek wurden DDR-Spitzensportler bei Dopingkontrollen nie erwischt. Über die geheimen DDR-Dokumente ist seit dem Fall der Mauer nachgewiesen, daß die hohe Leistungsfähigkeit der DDR-Athleten in den meisten Fällen wesentlich durch Doping gefördert wurde.

– Nach Aussagen seines Trainers dauerte es bei Ben Johnson 8 Jahre seit Beginn der Einnahme verbotener Substanzen, bis er 1988 positiv kontrolliert wurde, trotz dutzender Wettkampfkontrollen, die stets negativ ausfielen.

– Nach dem Prinzen Alexandre de Mérode (Präsident der Medizinischen Kommission des IOC) lassen sich bei Wettkampfkontrollen (1993 95 % der Kontrollen) nur „die Dümmsten und die Unvorsichtigsten“ erwischen. Diese Art der Kontrollen ist eher eine systematische Täuschung der Öffentlichkeit bezüglich der Glaubhaftigkeit des Antidopingkampfs des IOC.

– China hat keine leichtathletische Vergangenheit. Chinesen sind misstrauisch gegenüber Leuten, die rennen. Selbst Gehen muß langsam erfolgen.

– Sport ist in Anbetracht der Olympiabewerbung Pekings ein Mittel zum Erreichen eines politischen Ziels. Mit sportlichen Erfolgen kann zudem ein negatives Bild Chinas in den Medien (z. B. durch die Ereignisse auf dem Tienanmen-Platz 1989) abgemildert werden.

– Der Sport ist Opium fürs Volk, vor allem wenn er nationalistisch ausgenutzt werden kann und die Fahne Chinas zum richtigen Zeitpunkt (Weltmeisterschaften, Olympische Spiele) gezeigt werden kann.

– Rein sportliche Argumente: Die Leichtathletik dieses großen Landes war bis 1991 ziemlich rückständig. Wenn man die Entwicklung der Mittel- und Langstreckenrekorde der Frauen zwischen 1992 und 1993 betrachtet (zumal im Vergleich mit der Entwicklung der Männerleistungen), fällt auf, daß irgendetwas passiert ist.

chinesische Männer-Rekorde in den Ausdauerdisziplinen

MÄNNER: 1987 1990 1991 1992 1993
800m 1:48,45 (83) 1:48,45 1:48,45 1:48,45 1:48,45
1500m 3:44,02 (81) 3:43,23 3:43,23 3:43,23 3:43,23
3000m 7:56,19 (87) 7:56,19 7:56,19 7:56,19 7:56,19
10000m 28:24,85 (86) 28:24,85 28:24,85 28:24,85 28:24,85
Marathon 2h12:17 (87) 2h11:58 2h11:58 2h11:58 2h10:57

chinesische Frauen-Rekorde in den Ausdauerdisziplinen

FRAUEN
1987
1990
1991
1992
1993
1994
800m
2:02,9
1:58,56
1:58,56
1:58,56
1:55,54
1500m
4:12,8
4:09,5
4:07,71
3:57,08
3:50,46
4:00,34
3000m
8:50,68
8:50,68
8:50,68
8:46,86
8:06,11
5000m
10000m
31:27,00
31:27,00
31:27,00
31:27,00
29:31,78
Marathon
2h32:11
2h27:06
2h27:06
2:27:06
2h24:07

FRAUEN
1995
1996
1997
1998
1999
2000
800m
1500m
3000m
4:03, 95
5000m
14:49,9
14:51,8
14:28,09
14:46,00
10000m
Marathon

FRAUEN
2001
2002
2003
2004
2005
800m
1500m
3000m
4:04,00
5000m
14:51,58
14:40,41
14:46,73
14:56,01
14:43,64
10000m
Marathon

Außer den Wurfrekorden und dem Hochsprungrekord wurden 1993 alle Frauenrekorde in den Olympischen Disziplinen verbessert, bei den Männern dagegen nur 5.

Die Zahl chinesischer Athletinnen, die in der Weltbestenliste unter den besten 20 zu finden sind, ist ein weiteres Indiz für den schwindelerregenden Aufschwung der chinesischen Läuferinnen zwischen 1992 und 1993:

Chinesinnen in der Weltbestenliste

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993
**
800m 0 0 1* 0 0 8
1500m 0 0 0 0 0 12
3000m 0 0 0 0 0 0 9
5000m 0 0 0 0 0 0 0
10000m 3 3 1 2 2 2 11
Marathon 0 1 1 2 0 2 8
Gesamt 3 4 3 4 2 6 48

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000
*** **** *****
800m 0 0 0 0 0 0
1500m 2 0 0 13 0 0 0
3000m 0 0 0 0 0 0
5000m 3 1 6 1 0 0
10000m 0 0 0 0 0 0
Marathon 0 1 3 0 0 1
Gesamt 2 3 2 22 1 0 1

FRAUEN 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
800m 0 0 0 0 0 0 0
1500m 0 0 0 0 0 0 0
3000m 0 0 0 0 0 0 0
5000m 0 0 0 0 0 0 0
10000m 1 1 1 1 1 0 0
Marathon 6 0 2 2 2 2 2
Gesamt 7 1 3 3 3 2 2

*Bei dieser Leistung wurde die fragliche Athletin positiv getestet.

** 1993: Argumente des Frauentrainers Ma Junren zu den Erfolgen: Schildkrötenblut, Leidensfähigkeit von Chinesinnen, Höhentraining, Trainingsumfänge

*** 1994: Erklärung für den Leistungseinbruch bei den Asienspielen: „Alle wurden vor kurzem am Blinddarm operiert“ (Geipel 2008, 137)

**** 1995: Alle 16 Athletinnen von Ma Junren verlassen diesen wegen Differenzen um Preisgelder (Pekinger Zeitung „News Daily)

***** 1996: Entlassung von Ma Junren

Besonderheiten, zusätzliche Hinweise auf Doping

Reichen die positiven Argumente (siehe oben) aus, um einen solchen Boom zu erklären? 1992 waren 6 % der Weltelite in den Mittel- und Langstrecken Chinesinnen, 1993 48 %, was Verdächtigungen provoziert. 45 Sekunden Leistungsfortschritt über 3.000m in einem Jahr oder 3 Minuten über 10.000m unterstützen diese Verdächtigungen ebenso wie die konstante Spitzenform während eines langen Zeitraums (April bis Dezember).

Bei der ausschließlichen Betrachtung der Situation im Mittel- und Langstreckenlauf fällt auf:

(1) Im Vergleich zu den Frauenleistungen spielen die chinesischen Männer keinerlei Rolle. Eine ähnliche Situation war z.B. in Rumänien oder Bulgarien in den letzten Jahrzehnten gegeben.

(2) Die Spitzenathletinnen sind sehr jung (20 – 22 Jahre im Duchschnitt), erstaunlich für eine Disziplinengruppe, die eher eine lange Reifezeit erfordert. Nur die Keniaten und die Äthiopier sind ähnlich jung; handelt es sich um einen Einfluss der Höhenlage?

(3) Die chinesischen Läuferinnen haben eine plötzliche Explosion hinter sich, entgegen allen Erfahrungen in diesem Bereich seit Jahrzehnten.

(4) Trainingsumfang und -intensität sind dergestalt, dass selbst weltbeste Marathonläufer zum Teil sagen, dass sie dies nicht aushalten würden.

(5) Die Spitzenleistungen wurden innerhalb einer sehr langen Saison erzielt, zwischen April (zu diesem Zeitpunkt Marathonleistungen aller Medaillengewinnerinnen von Stuttgart zwischen 2h24 und 2h26) und Dezember (Asien-Spiele); dazwischen lagen die nationalen Ausscheidungen (Juni), die Weltmeisterschaften in Stuttgart (August), die nationalen Meisterschaften (September) und der Welt-Cup im Marathon (Oktober). *

(6) Erstaunlich war die Aufeinanderfolge von harten Wettkämpfen. Kurz nach dem Marathon vom 4. April erfolgte die Teilnahme am „Ekiden“ (ein Lauf über Marathondistanz mit 6 Staffel-Läuferinnen, Zeit 2h12). Bei den nationalen Ausscheidungen und den nationalen Meisterschaften nahmen alle Läuferinnen innerhalb von kürzesten Zeiträumen an Vor- und Endläufen in mehreren Disziplinen teil, wobei mehrere Rekorde erzielt wurden.

(7) Die Dichte der Ergebnisse provoziert Zweifel an der Streckenlänge. Beim Marathonlauf von Tianjin am 4. April 1993 blieben 7 Läuferinnen unter dem alten Landesrekord. Der alte Weltrekord über 3.000m wird bei zwei Läufen von 5 Läuferinnen unterboten, während sich die besten Läuferinnen der Welt neun Jahre lang daran die Zähne ausgebissen hatten.

(8) Die chinesischen Läuferinnen wurden erstaunlicherweise sehr wenig von Verletzungen betroffen, was man zuvor so nur von den ostdeutschen Läuferinnen kannte.

(9) Beeindruckend sind die Leistungsbreite (400m 54,1, 1500m 3:51,92, 3.000m 8:06,11, 10.000m 29:31,78, Marathon 2Stunden 24:07) und

die individuellen Leistungssprünge z.B. von Junxia Wang, geb. 1973:

3000m
10.000m
1992
8:55,50
32:29,90
Juni 1993
8:27,68
31:08,42
September 1993
8:06,11
29:31,78

* Als Beispiel die Entwicklung der 1,60m großen und 45kg schweren Wang Junxia, die 1973 geboren wurde:

3.000m: 8:55,50 (1992), 8:27,68 (6/93), 8:06,11 (9/93).

10.000m: 32:29,90 (1992 – Juniorenweltmeisterin); 31:08,42 (6/93); 29:31,78 (9/93)

Keine der 6 anderen Läuferinnen mit Leistungen 1993 unter 9 Minuten über 3000m (8:19,78; 8:39,74; 8:49,27; 8:52,41; 8:57,75) hatte 1992 eine bessere Bestleistung als 9:10 (oder handelte es sich hier nur um eine Problem der Informationsübermittlung aus China in die übrige Welt?)

Häufung positiver Fälle

Dopingfälle:
1993 7. Nationale Sportwettkämpfe:
11 Athleten

1994 Asienspiele:
7 chin. Schwimmerinnen

1997 Asienspiele:
12 Dopingfälle; Nationale Wettkämpfe: 22 Dopingfälle

1998 Schwimm-WM Perth.:
1 Kontrolle am Flughafen kontrolliert (HGH in der Thermosflasche), 7 Schwimmerinnen und 3 Trainer positive Tests

2000 Olympia:
2 Wochen vor den Spielen: 27 Athleten und 13 Trainer werden aus dem Team gestrichen, EPO
Dopingfallliste

Gilbert formulierte seine Argumente Anfang 1994. In der Zwischenzeit kommt natürlich ein weiteres Argument hinzu, die bisher nicht ausreichend erklärte Tatsache des fast völligen Verschwindens des Laufwunders von 1993 von den Siegerpodesten und aus den Bestenlisten. Ein weiteres Argument liefern die zahlreichen positiven Dopingkontrollen, vor allem chinesischer Schwimmerinnen und Schwimmer, im Gegensatz zur Meinung des IOC-Präsidenten Samaranch im Herbst 1994: „Chinas großartige Athleten sind frei von Doping“ (Kistner/Weinreich 1996, 198).

Erfolgstrainer Ma Junren gelang es immerhin, seine „Geheimformel für die Spitzenleistungen seiner Läuferinnen“ („ein Resultat von zwanzigjähriger Entwicklungsarbeit“) für 1.15 Millionen Dollar an einen Produzenten von Gesundheitsdrinks zu verkaufen. (Kölnische Rundschau 21.01.1994) Von Erfolgsmeldungen wurde nichts bekannt, offenbar versagte danach das Mittel selbst bei chinesischen Läuferinnen.

Kistner und Weinreich (1996, 200 ff.) listen die Entwicklung des chinesischen „Sportwunders“ auf: Der Boom begann 1988, als bei den Weltmeisterschaften chinesische Gewichtheberinnen alle neun Klassen gewannen. Im gleichen Jahr gab es bei den Olympischen Winterspielen einen Dopingfall, den die chinesische Eisschnelläuferin Qiaobo Ye bei der Pressekonferenz bei den Spielen 1992 eingestand („Eischnelläuferin bewältigt öffentlich und tränenreich die Dopingvergangenheit“). Die A-Proben von Qiaobo und einer weiteren Chinesin waren positiv getestet worden, beide wurden anschließend „verletzungsbedingt“ aus dem Wettkampf genommen worden. „Sie selbst habe keine Ahnung gehabt, daß man sie gedopt hatte. Der Medaillengewinn sei in Albertville sei nun eine große Bestätigung, daß man auch ohne Doping Edelmetall erlaufen könne.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.1992). Die Eisschnelläuferin schockierte damit ihre Sportführung: „Für die Chinesen in Albertville kam die Anklage ihrer besten Sportlerin einem Schock gleich. Quiaobo Ye hat eine chinesische Mauer des Schweigens gebrochen. Schließlich gilt das Riesenland unter Kennern noch heute als Dopinghochburg.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.92).

Des Dopings überführt wurde u. a. die 20-jährige chinesische Judoka Ying Guo Yinggu (Klasse bis 52 kg) schon 1990 (Süddeutsche Zeitung 14.3.90), zur gleichen Zeit die chinesischen Werferinnen Su-Mei Sun (1990) und Xinmei Sui (1991) (Berendonk 1992, 30). Doping mit Anabolika-Substanzen warf schon 1990 der britische Trainer David Haller den chinesischen Schwimmerinnen vor, die bei den Asienspielen in Peking alle 15 Wettbewerbe gewonnen hatten und nannte auch den vermutlichen Urheber des chinesischen Schwimmwunders, den aus der DDR stammenden Trainer Klaus Rudolf, der seit 1985 für die Planung des Trainingsprogramms der Chinesinnen zuständig war (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2./3.10.1990).

Es folgten chinesische Werferinnen in der Leichtathletik, Wunderläuferinnen tauchten auf. 1993 brachte Ma Jun-Rens „Lauf-Armee“ die Lauf-Weltrekorde über 1500 m, 3000 m und 10000 m-Weltrekorde regelrecht zu Explodieren. Verschärfte Dopingkontrollen bremsten das Sportwunder; 1993 wurden 24 chinesische Sportler positiv getestet, 1994 31. Ma Jun-Ren erklärte den Leistungsrückgang seiner Läuferinnen 1995 damit, daß gerade alle am Blinddarm operiert worden sein.

Ein weiterer Skandal ereignete sich, als 1998 bei der Einreise zu den Weltmeisterschaften durch den australischen Zoll bei einer Schwimmerin 13 Ampullen Somatropin (Wachstumshormone) in einer Thermoskanne entdeckt wurden (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.1.1998). John Leonard, der geschäftsführende Direktor des Weltverbands der Schwimmtrainer wies dennoch darauf hin, daß im Gegensatz zur DDR, Doping in China nicht staatlich organisiert sei. Der nationale Verband habe erst vor kurzem harte Regeln erlassen, die den Medikamentenmißbrauch verhindern sollen, und ein eigenes Kontrollsystem aufgebaut.

„Doping in China ist eine individuelle Sache und keine professionelle. Deshalb werden immer wieder Fehler gemacht und immer wieder Athleten erwischt … Das Doping in China geschieht völlig außer Kontrolle der Verbände. Doping ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen’“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.1.1998).

Bei Dopingkontrollen direkt nach Ankunft in Australien wurden vier Chinesen mit einem Diuretikum, einem Verschleierungsmittel, positiv getestet. Alle vier Schwimmer stammten aus Schanghai, was die These Leonards stützt, daß Doping in China nicht staatlich gesteuert wird, sondern durch den Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Regionen und ihren Trainern entsteht (Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.1.1998), eine Meinung, die auch durch Harm Beyer gestützt wurde: Er sah die positiven Doping-Proben als Beweis dafür an, daß Doping in China nicht zentral gesteuert wird, sonst würden weniger erwischt (Frankfurter Rundschau, 16.1.1998).

Dennoch überrascht auch in diesem Fall die Reaktion des Vorsitzenden der Medizinischen Kommission des IOC, des Prinzen de Mérode, der das Echo auf chinesisches Doping „viel Lärm um nichts“ bezeichnete und die internationalen Reaktionen als „stark übertrieben“ ansah. Er jedenfalls habe „volles Vertrauen in die Antidoping-Politik der Chinesen“, womit er seinen Ruf als Verharmloser kräftig stärkte (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.2.1998).

swimvortex, 8.2.2016:
It was in 1993 and then in 1994 that we first saw leading figures in FINA asking the media to stop asking questions about China; when we first heard the president of FINA say ‘we can expect great things from that size of population’, while completely ignoring the views of coaches, swimmers, expert eyes galore and the federation’s own anti-doping experts who were saying ‘there is a serious GDR-style problem here – and you’re not doing anything about it’.
Under pressure from media and coaches worldwide, as well as internally from anti-doping experts, FINA sent a delegation of inquiry to China. The subsequent report was a breath of fresh air. It indicated a form of systematic doping. There was no serious consequence for the Chinese Swimming Federation that must surely have known what was going on.

Trotz der Dopingfälle vertrat die chinesische Sportführung noch 1992 die Meinung, „die Dopingkontrollen in China seien ausreichend. 1991 seien 610 Proben genommen worden, wovon nur 5 positiv getestet wurden. Die chinesische Sportführung sei für ein strenges Dopingverbot sowie strenge Kontrollen und Strafen. Bei den auffällig kräftigen Schwimmerinnen seien keine Traingskontrollen durchgeführt worden, da dies keine Auflage des Internationalen Schwimmverbandes sei. (Süddeutsche Zeitung, 23.1.92). „Seitdem Weltrekordlerin Weiyue Zhong im Januar den Doping-Fahndern ins Netz gegangen war, schwimmen die Chinesinnen um Sekunden langsamer.“ meinte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (17.3.1994). Sieben Dopingsünder aus China, darunter Rom-Weltmeisterin Alhua Yang, wurden von der Fina im Dezember 1994 offiziell für zwei Jahre gesperrt (Frankfurter Rundschau, 3.Januar 1995).

Druck durch die Presse

2009 Ansichten des Schwimmtrainers John Leonard:
Really, Truly “Unbelievable”
China’s Liu Zige went 2:01.81 for the 200 meter butterfly at the National Games of China in October.
Come on. Be serious.
This beat the previous world record by 1.6 seconds. (No big deal in the days of plastic bag suits.)
In 18 months, Zige improved from 2:09 to 2:01.81. Ridiculous. The only other times we’ve seen improvements like this, the swimmer has later been found guilty of doping. That’s history, not opinion.
From 2004 when she went 2:13.28, it took her until 2007 to get to 2:09. Then during 2008 and 2009, she goes 2:01.81?
And in the year of a home Olympic games, in the LZR suit as she swam the 2:01+ in 2009, she swam just 2:04.18 in The Beijing pool.
Her coach for the past nine years is the same man, Jin Wei.

So what’s the secret coach? More turtle blood soup? New Training methods?

Please, this is literally UNBELIEVABLE.
A nation that allows convicted Doping pusher Zhou Ming back on deck at its National Games, when he was supposed to be banned for life by China and should have been banned for life according to FINA Rules, does not get any “breaks” in public opinion.

Individuals in many nations have been caught cheating. None deserve our forgiveness. This looks like another in a long line of “unbelievable” swims. Don’t believe it. 7.2 second drops don’t happen at the world level in 18 months over 200 meters.
Unless it’s a doped performance. That’s what history shows

Der durch die internationale Presse erzeugte Druck zeigte beim Olympiabewerber China mehr Wirkung als bei internationalen Verbänden. Sportminister Wu Shaozu (und zugleich NOK-Präsident Chinas) drohte Athleten, die illegale leistungsfördernde Substanzen nehmen, hohe Geldbußen und Mannschaften den Ausschluß von Wettbewerben an sowie strafrechtliche Verfolgung. Seine Erklärung erfolgte unmittelbar nach der Enthüllung, daß auch zwei Gewichtheber-Weltmeisterinnen aus dem Reich der Mitte gedopt waren (Frankfurter Rundschau, 9.1.95). China mußte befürchten, daß die permanenten Dopingvorwürfe das Image des Landes nachhaltig schädigen würden. Kurz danach wurden allerdings bei den Asienspielen elf Chinesen positiv getestet, darunter die beiden Schwimm-Weltmeisterinnen Yang Aihuda und Lu Bin, was zu weltweiten Protesten gegen die chinesische Sportführung führte, die allerdings stets flächendeckendes und systematisches Doping in China bestritt. Dennoch bezichtigte Prof. Dr. Manfred Donike den Schwimmsport in China des systematischen Dopings (Der Tagesspiegel, 19.2.95).

Daß Druck von außen wirksam sein kann, zeigt die chinesische Reaktion nach dreijährigen Sperre der Schwimmer Wang Wie und Xiong Guoming (wegen der Einnahme von Clenbuterol) durch den internationalen Schwimmverband (FINA) als Wiederholungstäter – China wollte für eine zusätzliche Bestrafung der Schwimmer und ihrer Trainer sorgen: „Man wolle verhindern, ‘daß eine Hand voll Schwimmer mit ihrem Handeln die Entwicklung des gesamten chinesischen Schwimmsports beeinflussen’“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.8.1999). Der chinesische Verband unterstützte die durch den Weltverband verhängten Sperren, ganz im Gegensatz zum Verhalten Kubas nach der positiven Kontrolle des Hochsprungweltrekordlers Sotomayor, wo Kuba CIA-Machenschaften hinter dem für das Land ungünstigen Ergebnise vermutete.

Nachdem IOC-Präsident Samaranch angesichts der Offensichtlichkeit mancher chinesischer Praktiken die chinesische Sportführung dazu aufforderte, für Sauberkeit zu sorgen, brach diese drei Monate später ihr Schweigen:

„Zunächst meldete sich Weiming Yuan, Sportdirektor des nationalen Sportverbands, zu Wort: ‘Es gibt eine Anzahl von Athleten, die auf der Suche nach Ruhm und Wohlstand verbotene leistungssteigernde Mittel nehmen.’ Die staatliche Nachrichtenagentur ‘Xinhua’ setzte nach, zitierte einen Schwimmfunktionär mit den Worten, der chinesische Sport sei ‘vom Dopingkonsum infiziert’“ (Kistner/Weinreich 1996, S. 203).

Letztlich wurde damit das bestätigt, was im September 1991 bereits im „Spiegel“ zum Doping in China zu lesen war. Der Informant des „Spiegel“, ein exzellenter Chinakenner, hatte die chinesischen Leistungssteigerungen eindeutig mit Doping in Verbindung gebracht und Belege dafür geliefert.

Trotz solcher Informationen haben Dopinggegner bis zum Vorliegen eindeutiger Beweise kaum Chancen, die Dopingfreunde sind stets im Vorteil. Es fällt ihnen dann sogar leicht, Dopinggegner und ihre Vorgehensweise zu verunglimpfen. So rechtfertigte der DLV-Sportwart, Prof. Dr. Manfred Steinbach Nicht-Handeln damit: „Gerüchte zwingen den Verband nicht zum Handeln“ und betonte: „Dumpfe und leichtfertige Verdächtigungen aus dem Nebel der Anonymität heraus reichen nicht, um einen Verband zum Handeln zu veranlassen“(FAZ 30.3.90).

Staatsdoping?

Es scheint allerdings richtig zu sein, daß es sich in China nicht um ein staatlich verordnetes und organisiertes Doping gehandelt hat, die Fakten müßten allerdings in China selbst aufgeklärt werden:

„Falls heute noch nicht alle Beweise für Staatsdoping in China vorliegen, so läßt die Zahl und die Bedeutung der ‘undichten Stellen’ zumindest die Vermutung eines ‘wilden’ Dopings an der Basis zu: dies könnte eine Erklärung für einige Schwachstellen sein.

Trotzdem: Im Februar erhielt ein Laborant des IOC-akkreditierten Labors in Peking politisches Asyl in Kanada; er beschuldigte sein Land, aus dem Doping eine „vom Staat geschützte und gedeckte“ Institution gemacht zu haben’. Das Labor, das diese Aktivitäten absichere, sei kein anderes als das vom IOC für die offiziellen Kontrollen akkreditierte, ähnlich wie zuvor Kreischa in der DDR. In China dient der Sport der Politik. Die Behörden nutzen alle Mittel, um gute Ergebnisse im Spitzensport zu erzielen und um damit den Patriotismus anzuheizen.“ (Bruno 1999, 93).

Der Vergleich der pro- und contra-Argumente zeigt: Die Aufgabe der Kritiker ist viel schwerer als jene der Verteidiger; sie müssen sich sehr anstrengen, wenn sie nicht sofort als Verleumder abqualifiziert werden wollen.