DLV Dopingvergangenheit
1991 außerordentliche DLV-Hauptversammlung:
BERICHT DES PRÄSIDIUMS unter besonderer Berücksichtigung der Dopingproblematik
8. Oktober 1991
Der DLV steht wie kein anderer Verband im Blickpunkt der Medien und der Öffentlichkeit. Ihn trifft deshalb auch in besonderem Maße Kritik an den bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Dopings in der populären Sportart Leichtathletik.
Werte und Image der Leichtathletik können auf Dauer nur gesichert werden, wenn der Verband zu Stärke und Gestaltungskraft zurückfindet. Berechtigte Kritik wird deshalb aufgearbeitet, bisherige Mängel werden beseitigt.
Entscheidendes Defizit der jüngsten Vergangenheit war weniger das Fehlen von Beschlüssen als vielmehr ihre konsequente und in Verband und Öffentlichkeit akzeptierte Realisierung.
Ein kurzer Rückblick auf die jüngste Vergangenheit:
Der DLV ist kein Rechtsnachfolger des DVfL. Trotzdem liefen im Jahre 1990 die Verhandlungen mit dem DVfL über die Vereinigung zunächst auf der Basis der Gleichberechtigung. Eine Wende entstand erst – wie in der Politik – durch die Gründung der neuen Landesverbände und deren Beitritt.
Die Nationalmannschaften bereiteten sich 1990 deshalb noch getrennt vor, das Ergebnis der EM in Split ist bekannt.
Aus dem unterschiedlichen Abschneiden der beiden Mannschaften entstand die Forderung, möglichst viel von den Strukturen und dem Personalbestand des DDR-Sports zu übernehmen, soweit diese in das freiheitliche politische System der Bundesrepublik passen.
Die Auswahl der Trainer erfolgte hauptsächlich nach dem Ausmaß ihrer Betreuungsaufgaben für die Athleten, die Auswahl der Funktionäre und Mitarbeiter gemäß ihrer Akzeptanz durch die neuen Landesverbände.
Die Veröffentlichungen nach der Vereinigung über Doping in der Vergangenheit der beiden alten Verbände brachten neue Erkenntnisse hinsichtlich des Umfangs und der Systematik und stellten den Sport vor die Frage, wie die Vergangenheit aufgearbeitet und bewältigt wird und mit welchen Handlungskonzepten Doping beseitigt werden kann.
Der DLV hat bisher u. a. folgende Schritte unternommen:
– er führte als bisher einziger Verband ein eigenes Dopingkontrollsystem ein, das bis heute ca. 1200 Trainingskontrollen ausweist und aus eigenen Mitteln finanziert wurde;
– es wurde eine Informationsbroschüre erarbeitet und allen Athleten zugestellt;
– bei den Deutschen Jugendmeisterschaften wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt;
– die Befragung aller Beschuldigten durch den Rechtswart wurde vorgenommen, blieb jedoch ohne rechtsrelevante Ergebnisse, Verstöße gegen das geltende Kegelwerk lagen nicht vor (die Satzungsänderung über die Zulassung weiterer Beweismittel giltnicht für die Vergangenheit);
– die Empfehlungen der Reiter-Kommission und der Vollversammlung der Verbände vom 05.08.1991 zu Satzungsänderungen und weiteren Maßnahmen, die jeder Verband für seinen Geltungsbereich beschließen muß, wurden entweder bereits vorgenommen bzw. zur Beschlußfassung vorgelegt; – ebenso wurden z. B. die Nominierungskriterien verändert;
– die Abstimmung mit der Richthofen-Kommission hinsichtlich der Aufarbeitung der Vergangenheit und die Vorlage einer Gesamtliste von Trainern, Ärzten und Funktionären ist erfolgt,
– das vorliegende Material gegen Trainer, Ärzte und Funktionäre wird von einer unabhängigen Juristengruppe ausgewertet, die zur Beratung und Anhörung Experten und Betroffene heranziehen wird; dabei ist dem DLV klar, daß das Problem nicht mit juristischen Mitteln allein zu lösen ist, sondern das neben einem entscheidenden Beitrag zur Aufklärung der Vergangenheit moralische und ethische Kriterien zur Beurteilung herangezogen werden müssen,
– das vom Sportausschuß des Bundestages von den Verbänden geforderte Konzept zur Planung und Durchführung von Dopingkontrollen, Aufnahme von Dopingbestimmungen in Satzung und Ordnungen, Dopingklausel in den Arbeitsverträgen, kann ails bereits erfüllt betrachtet werden.
Zum Entwicklungsstand der Dopingkontrollen im Training
Mit Hinweis auf die vorliegende Dokumentation mit Zahlenmaterial wird zu einzelnen Schwachstellen und Vorwürfen Stellung genommen:
– Der Vorwurf der Regelmäßigkeit und Berechenbarkeit von Kontrollen wurde beseitigt (zunächst zweimal im Laufe des Monats, dann Auslosung auf Zufalisprinzip; Verringerung der Gesamtzahl ab Juni. – Abstimmung mit Rous-Kommission nach dem Grundsatz: nicht die Quantität ist entscheidend, sondern die Möglichkeit, jederzeit kontrolliert zu werden).
– Der Vorwurf, daß nicht alle WM-Teilnehmer kontrolliert wurden (oder nicht häufig genug) läßt sich dadurch erklären, daß die WM-Mannschaft bei weitem nicht identisch war mit dem ursprünglichen A-Kader.
– Der Vorwurf, „im Juli gab es null Kontrollen“, stimmt nicht – es wurden allein bei WM-Teilnehmern 40 Proben genommen; im August waren es bis zum 06.08. 20 Trainingskontrollen, außerdem noch Wettkampfkontrollen bei einer Serie von internationalen Meetings, der Abreisetag der Mannschaft war der 13.08.
– Der Vorwurf, in Seoul sei womöglich eine „Endkontrolle“ durchgeführt worden, damit man sicher sein konnte, „saubere“ Athleten an den Start zu bringen, ist eine bösartige Unterstellung. Die Proben waren erst auf dem Weg ins Labor, als die Mannschaft bereits an den Start ging.
– Es wurde unterstellt, daß zwischen der Auslosung der Athleten und der Durchführung der Kontrollen ein zu langer Zeitraum entsteht und daß durch die Einbeziehung eines größeren Personenkreises (DSB, DLV-Geschäftsstelle, LV-Vorsitzende bzw. deren Dopingbeauttragte) die Athleten vorzeitig informiert werden können. Dieser Zustand wird mit der Ausführung des Verfahrens durch eine verbandsfremde Institution beseitigt.
– Die Hinweise auf die Durchfünrungsmängel sind richtig – die Ursachen liegen u.a. in der Ehrenamtlichkeit der Kontrolleure (häufiger Ausfall), Mangel an weiblichen Kontrolleuren, Fehlen geeigneter Örtlichkeilen.
„Bezogen auf die Trainingskontrollen kann man sagen, daß die Beschlüsse des Verbandsrats, ergänzt durch Verbesserungen und Erweiterungen die sich aus der Entwicklung ergeben haben, durchgeführt worden sind wobei die Qualitätsverbesserung ein ständiges Thema bleibt.“ (Theo Rous, Schreiben vom 07.09.1991)
Probleme/Schwachstellen/Lösungsvorschläge
Es wäre sicher besser gewesen, das gut gemeinte Projekt trotz Zeitdruck gründlicher zu planen. Allerdings waren die meisten Pannen und Fehler nicht vorauszusehen, da aus den vergangenen Jahren über ein System von Trainingskontrollen keine Erfahrungen vorlagen. Ein systematisches oder im nach hinein vertuschtes Doping war jedenfalls nicht möglich. Unterstellungen in dieser Richtung müssen zurückgewiesen werden. Um allen aufgetretenen und denkbaren Fehlern zu begegnen, muß es das Ziel sein, unangemeldete Kontrollen durch eine unabhängige Institution nach überprüfbaren Vorgaben des Sports durchführen zu lassen.
Das größte organisatorische Problem besteht in der Wahrnehmung der Informationspflicht über den jeweiligen Aufenthaltsort der Athleten. Die Athleten sind zur Bringschuld in diesem Punkt im eigenen Interesse verpflichtet, denn sonst wird der Vorwurf nicht verstummen, sie wollten sich den Kontrollen entziehen. Ein bewußtes „Sich-unauffindlich-machen“ muß einem positiven Dopingbefund gleichgestellt werden.
Das Tochterunternehmen des TÜV-Rheinland, die German Control Warenprüfungs-GmbH wird ab Mitte Oktober 1991 die Durchführung der Kontrollen übernehmen.
Diese Überlegungen wurden auch dem DSB vorgetragen – die Kalkulation des DSB-Frojektes für die Trainingskontrollen in 1992 basiert auf den Berechnungen des DLV.
Ober die Beauftragung einer außersportlichen Institution mit der Durchführung der Kontrollen hinaus ist die Schaffung einer hauptamtlichen Koordinationsstelle „Antidoping“ zur Sammlung, Auswertung von Daten, Überwachung von Terminen u.a.m. unbedingt erforderlich.
Es wäre unverantwortlich, diese Aufgabe nun verlagern zu wollen und den Partner noch einmal die Ertahrungen machen zu lassen, die wir erlebt haben.
Wir müssen zwar einsehen, daß es wahrscheinlich nie ein so perfektes Kontrollsystem geben wird, das alle Möglichkeiten zum Dopingmißbrauch ausschließt, doch muß alles bis an die Grenze des Vertretbaren getan werden.
Am Beispiel des Dopingproblems traten auch fehlende Strukturen im Verband bzw. Schwachstellen in den vorhandenen zutage.
Die Leichtathletik dient als Exempel für die schwer zu bewältigenden Aufgaben großer Sportverbande, angesichts derer weder die ehren- noch die hauptamtlichen Strukturen mitgewachsen sind bzw. angepaßt wurden.
Dies wird umso deutlicher, wenn ein Problem wie dieses nicht ein einziges Ressort betrifft, sondern den gesamten Verband.
Von den vielen Aufgaben sind einige bewältigt, z. b. die Konsolidierung derFinanzen ohne Beitragserhöhung, die erfolgreichen Bewerbungen um internale Großveranstaltungen, die Förderung der Vereinigung mit wirksamen Hilfen für die neuen verbände, das gute Abschneiden unserer Nationalmannschaften im Leistungssport.
Bewältigung der Verbandsaufgaben
Der DLV verfügt über mehr als 50 ehrenamtliche Gremien; er ist selbst in etwa genausoviel nationalen und internationalen Institutionen vertreten Neben der rund tausendköpfigen Gruppe von Athleten, Trainern, Ärzten, Masseuren und anderen Betreuern sind es mehrere Hundert ehrenamtliche Mitarbeiter, die betreut und informiert, deren Informationen verarbeitet Entscheidungen vorbereitet und umgesetzt werden müssen.
Auch wenn die Geschäftsstelle die Personalstärke aus den Jahren von 1988/89 nunmehr wieder erreicht hat – mit Integration von Mitarbeitern aus dem Osten Deutschlands – ist insbesondere im Hinblick auf die WM in Stuttgart Unterstützung durch eine qualifizierte Verstärkung in Verwaltung und Management, zeitlich begrenzte Projektsteilen, aber auch auf Sachbearbeiterebene und für ressortübergreifende Aufgaben (wie Z. B. das Dopingproblem) notwendig.
Es reicht nicht mehr, wenn die Verbandsinteressen nur von einzelnen – wenn auch engagierten – ehren- oder hauptamtlichen Verbandsmitgliedern vertreten werden.
Wir haben aber auch Beschlüsse gefaßt, deren Umsetzung durch eine „Erhöhung der Schlagzahl“ nach dem Motto „das schaffen wir schon“ vorausgesetzt wurde und die deshalb unzureichend oder gar nicht realisiert wurden.
Die vielfältigen Struktur-, Organisations- und Repräsentationsaufgaben machen eine sinnvolle Aufgabenteilung – auch für die WM in Stuttgart – mit standiger Rückkoppelung und eine einheitliche Vorbereitung, Findung und Kontrolle von Entscheidungen, die dann auch von allen getragen werden müssen , erforderlich.
Dies gilt in der heutigen Medienlandschaft vor allem für die Öffentlichkeitsarbeit. Hier ist neben zusätzlichen hauptamtlichen Ressourcen die Verankerung eines verbandspolitisch tätigen Sprechers im ehrenamtlichen Bereich notwendig.
Eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, die auch Trends innerhalb des Verbandes darstellt und die von außerhalb aufnimmt oder noch besser vorwegnimmt ist notwendig. Sie muß Kritik ertragen, aber auch austeilen können und sie muß auch von allen getragen werden. Daß es nicht immer einfach ist haben gerade die letzten Tage gezeigt.
Die strukturellen Änderungen setzen entsprechenden politischen Willen in der Verbandsfuhrung, dem Verbandsrat und bei den Delegierten des Verbandstages voraus. Dringend notwendige inhaltliche und strukturelle Diskussionen in verschiedenen Aufgabenbereichen des Verbandes sollten nicht von vordergründigen Personaldiskussionen überlagert oder gar verdrängt werden Personalentscheidungen könnten und dürften erst Ausfluß neuer struktureller und inhaltlicher Festsetzungen und Entscheidungen des gesamten Verbandes und seiner Fuhrung sein.
Zusammengefaßt sind folgende Aufgaben erfüllt:
– Abstimmung mit der Richthofen-Kommission
– Gründung einer unabhängigen Juristengruppe am 28.09., erste Sitzung 03.10., weitere Termine für November sind fixiert.
– Beschlußfassung zur Dopingbekämpfung in bezug auf Athleten, Trainer, Ärzte, Funktionäre durch den Verbandstag.
– Beauftragung einer verbandsunabhängigen Institution mit Durchführung der Dopingkontrollen (TÜV Rheinland/German Control).
Weitere Maßnahmen:
Es werden alle noch nicht aufgearbeiteten Beschlüsse des Verbandsrats auf ihren Stand hin überprüft und bis zum Jahresende aufgearbeitet, u.a.:
– Entwicklung einer Kommunikationsstrategie
– Erarbeitung einer „Werte“-Vorstellung
– Konzept für die Lehr- und Jugendarbeit
– Abstimmung mit den Vereinen über Auslandstrainingslager
– Installierung einer Arbeitsgruppe zur Vor- und Nachbereitung der Dopingkontrollen, mit der Funktion eines Kontrollausschusses
– Erarbeitung eines Doping- und Medikamentenpasses
die Strukturkommission legt einen Zeitplan zur weiteren Entwicklung der Verbandsstruktur bis zur nächsten Sitzung des Präsidiums und des Verbandsrats am 23./24.11.1991 vor.