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DDR-Dopinggeschädigte erheben Einspruch gegen den geplanten Persilschein für belastete Dopingtäter, 1. März 2009
Die Erklärung im Wortlaut:
Seit Wochen läuft, ausgelöst durch die Causa Goldmann, eine Debatte über den dopingbelasteten deutschen Sport in Ost und West. Im Vorfeld der Leichtathletikweltmeisterschaften im Sommer in Berlin und im 20. Jahr des Mauerfalls wird nun hitzig nach einer Zauberformel gesucht, die den Beweis erbringen soll, dass der Sport in Deutschland rein und endlich einig ist. In dieser magischen Zukunfts-Mixtur steckt jedoch nichts anderes als eine Schlussstrich-Rehabilitierung des amnestischen, schwer toxischen Systems und die Absicht, den längst sichtbaren Schaden in einer durchsichtigen PR-Aktion zu neutralisieren. Mit einem faulen Frieden dieser Art lebt der Sport schon zu lange. Diese Strategie hat dem Sport nicht nur seinen aktuellen Imageschaden bereitet, sondern auch willentlich und wissentlich viele Opfer produziert. Wenn es jetzt um eine Zukunftsformel geht, dann doch nur durch einen konsequenten Bruch mit den ausgedienten Strategien im Sport und der akzeptierten, zynischen Täterpolitik.
1. Trainer, Ärzte, Funktionäre und Betreuer, die es in den vergangenen 20 Jahren nicht geschafft haben, sich klar zu ihrer Dopingvergangenheit zu positionieren, haben im deutschen Sport und in der Nähe von Kindern und Jugendlichen nichts zu suchen. Ein generelles polizeiliches und sportliches Führungszeugnis ist im organisierten Sport längst überfällig.
2. Die Situation der DDR-Zwangsdopinggeschädigten hat sich in den vergangenen zehn Jahren im Hinblick auf ihre Gesamtlebenssituation dramatisch verschlechtert. Eine öffentlich finanzierte Beratungs- und Anlaufstelle für Dopinggeschädigte haben die Betroffenen seit langem vergeblich gefordert und ist umso zwingender notwendig.
3. Für die irreversiblen Schädigungen der DDR-Zwangsdopinggeschädigten gilt es, einen gesetzlich verankerten Rentenanspruch zu formulieren.
4. Regionale Medien in den neuen Bundesländern haben die notwendige Aufklärung gegenüber den Betroffenen im DDR-Sport größtenteils gezielt verweigert. Diese Informationsdefizite sind auszugleichen.
5. Informationsdefizite dieser Art beziehen sich ebenso auf öffentliche Verwaltungen und Einrichtungen des Bundes und führen nicht selten zu Retraumatisierungen der Betroffenen. Diese Lücken sind auf institutioneller Ebene dringend zu beheben.
6. Medial wird nicht selten der Eindruck vermittelt, das DDR-Sportsystem sei umfänglich aufgearbeitet. Wesentliche Aspekte, die insbesondere auf praktizierte Menschenversuche zielen, sind jedoch unbetrachtet geblieben. Fundierte Forschungen etwa zum illegalen Leipziger Dopinginstitut FKS fehlen genauso wie wissenschaftliche Arbeiten zur Verstrickung der Sportclubs und der Sportmedizin in das DDR-Dopingsystem.
7. Die vom Sport aktuell anberaumte Studie zur Dopingaufarbeitung in Ost und West muss insbesondere von nicht dopingsozialisierten Experten erstellt werden.
8. Zur Entwicklung wirksamer Therapien und sinnvoller Präventionsmaßnahmen sind von Dopinggeschädigten seit langem differenzierte Analysen von Sportschäden bzw. eine Langzeitstudie zu Krankheitsverläufen gefordert worden. Hier besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf.
Die zu erwartende Zukunftsformel in Sachen Doping für Gesellschaft und Sport lautet: Die Zahl seiner Opfer wird exponential steigen. Persilscheine für das DDR-Zwangssystem und den BRD-Systemzwang sind das stärkste Indiz dafür, dass Sport und Politik dem Zeitgeist hinterhinken. Ein sauberer Sport ist keine Hexerei. Er braucht keine Zauberformeln. Man muss sich für ihn entscheiden und ihn dann realisieren.
Unterzeichnende:
u. a. Ute Krieger-Krause, Andreas Krieger, Uwe Trömer, Bernd Richter, Karen König, Brigitte Michel, Bernd Michel, Dagmar Kersten, Marie-Katrin Kanitz, Yvonne Gebhardt, Ines Geipel.