Doping BRD-DDR: Was wusste man im Westen? Teil II

Spurensuche – Was war in der BRD über das DDR-Doping bekannt? Teil II

>>> Spurensuche Teil I

Der Bundesnachrichtendienst

Man kann davon ausgehen, dass Republikflüchtlinge im Westen vom Bundesnachrichtendienst BND in Empfang genommen wurden und einiges Wissen über ihr Leben in der DDR weiter gaben. Aus dem Sport sollen es insgesamt 615 Personen gewesen sein, die bis zur Wiedervereinigung in die BRD übergewechselt sind, von 1960 bis 1989 gingen 431 DDR-Sportler und Offizielle in den Westen. „In den achtziger Jahren war die Zahl der Republikflüchtigen mit drei bis sechs Personen pro Jahr nahezu konstant, erst 1988/89, gegen Ende des Arbeiter- und Bauern-Staates, schnellte sie wieder in die Höhe (17 bzw. 19).“(Berliner Zeitung, 24.3.2000, G. Spitzer in Goldkinder, S. 190) Bei den Befragungen dürften auch Dopingpraktiken weitergeben worden sein. Ob dem BND dabei das ganze Ausmaß des systematischen Staatsdopings bekannt wurde, kann bezweifelt werden, aber es ist auch wahrscheinlich, dass ein umfassenderes internes Wissen gespeichert war, als gemeinhin behauptet wurde. H.-J. Seppelt zitiert z. B. aus einem vertraulichen BND-Schreiben an NOK-Präsident Willi Daume zu „verschärftem Feindbilddenken im Bereich des DDR-Sports“ 1988. „Die NOK-Zentrale in Frankfurt am Main war über die politischen Vorgaben des Staatssekretariats für Körperkultur und Sport für die ‚Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus‘ bestens informiert. (S. 295)

M. von Richthofen:
Man wollte sicher auch von den Erfolgen der DDR relativ schnell profitieren. Und insofern war man an einer Beschädigung sowohl der Aktiven, der Trainer wie auch der Ärzte nicht interessiert bei dem Zusammenschluss der beiden Sportorganisationen.
Und man wusste es, wie wir nicht erst heute wissen. Man wusste ganz genau, dass mit Dopingmitteln und damals schon verbotenen Substanzen gearbeitet wurde und war an einer Aufklärung nicht interessiert. Man wollte den Mantel der christlichen Nächstenliebe da ausbreiten.
(Frontal21, 7.4.2009)

Werner Franke:
Auch findet man in beiden offiziellen Berichten (1991) von DSB und NOK, dem der „Reiter-Kommlsslon“ und dem der „Richthofen-Kommission“, keine Erwähnung des systematischen Dopings von Minderjährigen. Das Schweigen des Staates und der hier ebenfalls angesprochenen Ärztekammern ist aber wohl zumindest teilweise dadurch erklärbar, daß inzwischen viele der DDR-Verantwortlichen weiter und kommentarlos als Ärzte tätig sind bzw. im deutschen Sport bereits wieder wichtige Funktionen erfüllen und daß es auch in der BRD stille Anwender gab.“ (Berliner Zeitung, 8.4.1994)

Dass der BND Berichte hatte, musste 1974 die DDR erfahren. Ein Stasi-Spitzel im Westen hatte mitgeteilt, ein übergelaufener Sportmediziner hätte detaillierte Informationen geliefert. Dieser Bericht informierte die westdeutsche Regierungsspitze mit Bundeskanzler Helmut Schmidt über die Wirkung und Anwendung der anabolen Streroide Turinabol und das später nicht mehr gebräuchliche Steranobol bei Hochleistungssportern der DDR.

Darauf 1993 angesprochen, meinte Ministerialdirigent Erich Schaible, bereits 1974 im Bundesinnenministerium für den Sport zuständig,

„er kenne einen solchen Bericht nicht und besitze ihn auch nicht. Er könne sich aber erinnern, daß es immer wieder Verschlußsachen gegeben habe, in denen berichtet wurde, wie der Staat in der DDR Einfluß auf den Sport nehme und ihn benutze. Die Reaktion des Staates auf solche Erkenntnisse könne man in der Unterstützung des Institutes für Dopinganalytik von Professor Manfred Donike in Köln erkennen. Die Information der Öffentlichkeit über solche Vorgänge liege nicht im Aufgabenbereich seines Ministeriums.“ (FAZ, 31.7.1993)

Dr. Hansjörg Geiger, Bundesjustizministerium erklärt am 21.6.1993 in der Öffentlichen Anhörung zum Thema „Rolle des Sports in der DDR“ der gemeinsamen Sitzung des Sportausschusses und der Enquete-Kommission zu einer Frage nach der ‚engen Verbindung von MfS und BND:

„Das war wohl ein großes Mißverständnis. Das MfS ist auf die Spur gekommen, daß der BND über Informationen verfüge, in der DDR werde gedopt. Und dem MfS ist es gelungen, wie wir inzwischen wissen, bei den guten Leistungen im geheimdienstlichen Bereich, an das Material, das der BND erarbeitet hatte, heranzukommen und seinerseits Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Hier hat man also gegeneinander gekämpft. An dieser Stelle will ich keine Deatils sagen, aber das war keine Frage der Doppelspionage, sondern das war etwas anderes. Das MfS hatte eben jemanden an guter Stelle sitzen. Der BND hatte aus anderen Quellen Informationen.“ (>>> Protokoll der Sitzung vom 21.6.1993)

Giselher Spitzer hält 2005 in seiner Dokumentensammlung ‚Sicherungsvorgang Sport‘ fest, dass aus diesem BND-Wissen, erworben durch einen Überläufer, nicht geschlossen werden könne, dass der BND in der DDR den Sport ausspionierte. Mögliches Westwissen würde weitgehend auf Republikflüchtige zurück gehen, von denen es bis zur Wende viele gab. (S. 239ff) Auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR hatte keine Anzeichen für BND-Sport-Spionage. (Spitzer, 2005)

„Es ging den neugierigen Führungskräften der alten Bundesrepublik schließlich nie um die Offenlegung und Verurteilung skrupelloser Praktiken im DDR-Spitzensport. Sie waren vielmehr daran interessiert, sich die Erkenntnisse „von drüben“ nutzbar zu machen.
Es war ein Pakt der Kollaborateure. Was die gemeinsame Strategie des Verschweigens und Lügens betrifft, gab es auf dem Sektor des Sports schon lange vor der Zusammenführung beider deutscher Staaten ein einig Vaterland.“(Seppelt/Schück, S. 294ff)

Spannend wäre zu wissen, was genau den BND im Westen wohin verlassen hat. Da die Medaillenjagd auch im Westen hohe Priorität erlangt hatte, ist es wahrscheinlich, dass versucht wurde, manche Erkenntnisse gewinnbringend umzusetzen. Zudem spielte der US-amerikanische Geheimdienst während dieser Zeit auf deutschem Gelände immer kräftig mit.

Äußerungen Manfred Donikes, langjähriger Dopingbeauftragter der Bundesregierung, dessen Kölner Labor vom Wissen profitierte, lassen vermuten, dass auch das Bundesamt für Leistungssport BAL bestens informiert war:

„Meyer habe als leitender Direktor des BAL (Bundesausschuß für Leistungssport) Kontrollen für die Athleten vor Auslandseinsätzen nach DDR-Muster gefordert.“

Helmut Meyer war von 1970 bis 1988 Direktor des BAL und von 1989 bis 1993 Präsident des DLV (SZ, 4.9.1991, zitiert nach Singler/Treutlein, S. 136). Dass die DDR zum Vorbild wurde, auch des BAL, legt ein Spiegel-Artikel vom 19.7.1976 nahe, indem das DDR-System geprießen wird und Helmut Meyer meint „Wir wissen genau, wie es gemacht wird, nur wurden unsere Anregungen leider nicht immer angenommen.“

Grit Hartmann zitiert den Chemiker Dr. Dietrich Behrendt, stellvertretender Leiter des Doping-Kontrolllabors in Kreischa, der 1988 nach einem Aufenthalt an der Sporthochschule Köln in West-Berlin blieb. Berendt wurde im Westen vernommen, doch Leute aus dem Sport zeigten wenig Interesse:

„Öffentlich kann Behrendt über die Geheimnisse des DDR-Sports nicht sprechen. Am Telefon hat ihm Manfred Höppner, ärztlicher Drahtzieher des Staatsdopings und inoffiziell für das MfS im Einsatz, gedroht – mit Folgen für Frau und Sohn, die in Dresden Ausreiseanträge stellen und bereits der üblichen Sippenhaft ausgesetzt sind. Intern ist er auskunftsbereit. Indes: Aus dem Sport fragt kaum einer. Behrendt wundert das, schließlich steht Olympia in Seoul an.“ Zu Manfred Donike (s.u.) meinte er: „Er war sich darüber im Klaren, dass locker vom Hocker gedopt wurde, mit Testosteron und auch mit Oral-Turinabol. Er war sich auch darüber im Klaren, dass vor den Ausreisen Kontrollen gemacht wurden.“ (dradio, 22.8.2010)

deutsch-deutscher Erfahrungsaustausch 1974

1998 veröffentlichte Dr. Heinz Wuschech, ehemals DDR, ein kleines Büchlein ‚Hexenküche DDR‘, in dem er seine Sicht der DDR-Doping-Dinge darlegte (>>> mehr zu H. Wuschech). Dabei ging es ihm darum die 1998 in den DDR-Dopingprozessen vorgebrachten Vorwürfe zu entkräften und auch daraufhinzuweisen, dass in der BRD ebenfalls gedopt wurde.

Für das Jahr 1974 berichtet er unter der Überschrift „Hilferufe der Verlierer“ über ein Treffen bundesdeutscher Mannschaftsbetreuer mit DDR-Kollegen. Während der Winter-WM in Falun (Schweden) 1974 hätten sich die Westdeutschen aufgrund ihres schlechten Abschneidens ratsuchend an die DDR-Kollegen gewandt. Begründung: zuhause würde sie Ärger erwarten. Es kam zu einem Treffen. Aus der DDR waren anwesend Ludwig Schröder, Hannes Braun (Trainer Langlauf), Dieter Neuendorf (Trainer Sprunglauf), Dr. Trommler (Trainer Nord. Kombination) und Arzt Dr. Heinz Wuschech, aus der BRD Dr. Jäger (Sportwart des DSV), Helmut Weinbuch (Trainer Nord. Kombination), Ewald Roscher (Trainer Sprung), Franz Mosler (Trainer Langlauf) und ein Arzt (Name nicht genannt).

„Zunächst herrschte eine recht kühle Atmosphäre, weil Dr. Jäger uns mit der Verdächtigung konfrontierte, die Siege mit medizinischen Mitteln manipuliert zu haben. Korrekterweise sagte er wenigstens, anders könne er sich diese Mannschaftsleistung nicht erklären.“ Pausenlos sei nach dem ‚Präparat‘ gefragt worden. Auf DDR-Seite wurde solches aber heftig abgestritten und die Trainingsintensität betont. „Dr. Jäger fragte wieder, ob wir Erfahrungen mit anabolen Steroiden hätten. Er wollte wissen, ob unter Anabolika-Einwirkungen Verbesserungen dieser Qualität erfolgt seien. Wir verneinten das guten Gewissens. Unsere Erfahrungen in der Vorbereitung auf Strbske Pleso behielten wir für uns. Und wir redeten auch nicht darüber, daß wir nach der Weltmeisterschaft 1970 am Sprungsimulator herausgefunden hatten, daß Anabolika das Reaktionsvermögen, die Schnellkraft und das Koordinationsvermögen stören. …

Dr. Jäger blieb bei seinem Lieblingsthema: „Wir haben gehört, daß ihr, wie die Skandinavier, Infusionen vornehmt. Stimmt das?“ „Und erneut wurde die überragende trainingstechnische und auch medizinische Betreuung gegenüber der BRD vertieft.

„Der Morgen graute schon, als der BRD-Mannschaftsarzt zum Lieblingsthema zurückkehrte: „Was sind nun wirklich unterstützende Mittel?“ Ich war todmüde, versuchte aber eine ehrliche Antwort zu geben: „Das ist ein vielschichtiges Problem. Auf keinen Fall steht der Begriff ‚unterstützende Mittel‘ schlicht für Anabolika. In den letzten Jahren haben besorgte Eltern talentierter Kinder der unterschiedlichsten Disziplinen, die Frage an mich gerichtet, was man mit ihrem Kind ärztlich machen könnte, da eine Knochenaufbaustörung vorläge? … Hätte ich ihnen als Arzt raten sollen: ‚Geht nach Hause und spielt Schach?‘ Wenn ich das nicht tat, dann nicht weil ich hoffte, daß sie eines Tages Medaillen für die DDR holen könnten. Ich bin kein Wunderdoktor, aber zu den angeblichen Geheimnissen des DDR-Sports gehörte auch die gute Zusammenarbeit zwischen den Medizinern. Sie waren nicht alle Busenfreunde, aber jeder war bereit, mit seinem Rat zu helfen. Also konsultierte ich Kapazitäten auf dem entsprechenden Gebiet und dank der Ratschläge, die sie mir gaben, verschrieb ich diesen Talenten verschiedene Medikamente.“ (S. 47ff) .

Jutta Braun zitiert aus einer Tonbandabschrift über einen Besuch im März 1977:

„Im Rahmen internationaler Ärztekommissionen, auch bei wechselseitigen Visiten trafen sich die Kollegen aus der Bundesrepublik und der DDR, und tauschten hierbei ihren Doping-Kenntnisstand aus. Mehrfach besprachen sich auch ein Ost- und West-Berliner Leistungsmediziner, um sich über den Stand der diesseits und jenseits der Mauer und die damit verbundenen Gefahren auszutauschen [Stand 1977]. Der westliche Kollege sei für ein „Verdammung der Anabolika aus dem Trainings- und Sportmedizingeschehen“, da die ,,Wirkung dieser Medikamente in langer Sicht überhaupt noch nicht absehbar“ sei, so hielt der Arzt aus der DDR fest. Zudem hoffe der West-Berliner, dass ,,es zu einer Konvention zwischen West und Ost gegen die Anwendung von Anabolika nach Art der Saltgespräche“ komme, wozu Kontrollen während der Trainingsperioden notwendig seien. Zugleich habe er jedoch illusionslos eingeräumt, dass die bundesdeutsche Sportmedizin gegenwärtig eher darauf zuhalte, Anabolika verstärkt anzuwenden. Man sei entschlossen, unbedingt mit den sozialistischen Ländern in dieser Frage gleichzuziehen, um die ,,bereits ,weggeschwommenen Felle‘ wieder zurück zu gewinnen“.“

Dopingkontrolllabor Manfred Donike

Unabhängig von den weltweit stattfindenen internationalen Sportveranstaltungen ergaben sich zahlreiche weitere Anlässe für Funktionäre, Ärzte, Wissenschaftler usw., die neben den institutionellen auch persönliche Kontakte förderten. Vermutlich werden dabei so manche Informationen und Meinungen vermeintlich starre Grenzen überschritten haben.

Aus westdeutscher Seite gehörte sicher Prof. Manfred Donike zu denjenigen Personen, die national und international bestens vernetzt waren. Seit 1975 Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln und Dopingbeauftragter der Bundesregierung, Mitglied der Medizinischen Kommission des Internationalen Leichathletikverbandes und ab 1980 Mitglied in der Subkommission „Biochemie und Doping“ der Medizinischen Kommission des IOC. Allein schon aufgrund seiner weltweiten Analysetätigkeit dürfte er über den Stand der Dopingpraxis einen guten Überblick gehabt haben.

Es wäre interessant zu wissen, wie detailliert Manfred Donike über das Dopingsystem in der DDR informiert war bzw. was er aus dem ihm vorliegenden Indizien schließen konnte, und auch wie weit er über den allgemeinen Stand des Wissens über Ostdoping in den Verbänden unterrichtet war. Am Rande sei erwähnt, dass Dr. Alois Mader 1974, Mitarbeiter von Prof. Hollmann, Kollege von Manfred Donike an der Sporthochschule Köln wurde.

Dr. Dietrich Behrendt, stellvertretender Leiter des Doping-Kontrolllabors in Kreischa, 1988 im Westen geblieben, sagte 2010 über Donike:

„Er war sich darüber im Klaren, dass locker vom Hocker gedopt wurde, mit Testosteron und auch mit Oral-Turinabol. Er war sich auch darüber im Klaren, dass vor den Ausreisen Kontrollen gemacht wurden.“ (dradio, 22.8.2010)

Auch einige Äußerungen Manfred Donikes legen die Vermutung nahe, dass ihm die in Wendezeiten öffentlich gewordenen Informationen nicht gänzlich unbekannt waren. Zu Hans-Georg Aschenbachs Schilderungen schreibt der Spiegel in resigniertem Ton

„Oder sie reduzieren den Wert der Aussagen auf Null, wie Professor Manfred Donike. Der Dopingexperte des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) entdeckte an den Beschreibungen des früheren DDR-Skispringers Hans-Georg Aschenbach, der sich und andere des systematischen Anabolikamißbrauchs bezichtigte, „nichts Neues“ (der Spiegel, 17.7.1989).

FAZ 7.12.90: Manfred Donike:

“Bei uns hat es nie Ausreisekontrollen gegeben, obwohl einige Verbände mit Bitten in dieser Richtung an mich herangetreten sind.“ … Um nicht erwischt zu werden, brauchten die westdeutschen Sportler nicht besonders clever zu sein, „sondern nur zwei und zwei“ zusammenzählen. Diese dank des großen Zeitraums hohe Sicherheit bezahlten die Athleten aber mit verminderter Wirkung der Dopingmittel. Im Gegensatz dazu ist in der ehemaligen DDR für jeden Athleten individuell die Abbauzeit der Präparate ermittelt worden. Das erlaubte es ihnen, mit der Dopinggabe bis dicht an die entscheidenden Wettkämpfe heranzugehen. … Auffällig ist die Zurückhaltung, mit der im bundesdeutschen Sport die Bekämpfung des Doping betrieben wurde … Doping-Analytiker Donike mußte zudem bei positiven Befunden hierzulande verwundert feststellen, daß man bei Nachforschungen auf eine Betonwand gestoßen sei. Anders als in Kanada, anders als beim Fall Ben Johnson. In der Bundesrepublik habe selbst nach dem Fall Dressel, der nach Medikamenten-Mißbrauch gestorbenen Siebenkämpferin, „eine hochnotpeinliche Befragung nie stattgefunden.“ … Donikes Schlußfolgerung: „Der DLV hätte, wenn er an einer sinnvollen Kontrolle interessiert gewesen wäre, Trainingskontrollen schon vor zehn Jahren einführen können.“

Manfred Donike in der SZ vom 4.9.1991:

„Meyer habe als leitender Direktor des BAL (Bundesausschuß für Leistungssport) Kontrollen für die Athleten vor Auslandseinsätzen nach DDR-Muster gefordert.“ Hemut Meyer war von 1970 bis 1988 Direktor des BAL und von 1989 bis 1993 Präsident des DLV (zitiert nach Singler/Treutlein, S. 136).

der Spiegel, 24.2.1992:

DONIKE: Die Tricks der Sportler sind uns seit langem bekannt. Die häufigste Vertuschungsmethode ist immer noch das frühzeitige Absetzen von Dopingmittteln vor einer Kontrolle, das in der DDR perfektioniert worden war, indem man individuelle Ausscheidungsmuster von Dopingmitteln für einzelne Athleten ausgetüftelt hat. (Anmerkung: die Aussage könnte sich natürlich auch auf Erkenntnisse nach 1989 beziehen) (…)

DONIKE: Ich habe die Euphorie bewundert, mit der der ehemalige DDR-Sport übernommen wurde, ohne die Aufdeckung der Dopingpraxis zu betreiben. Da hat auch die Überlegung eine Rolle gespielt, sich das Doping-Know-how der DDR zu sichern. Denn für mich ist es schlecht vorstellbar, daß die westdeutsche Sportführung nicht von den Praktiken der DDR gewußt hat.

Sportmedizin

Prof. Josef Keul sagte in der ZDF-Sendung Kontrovers ‚Der manipulierte Athlet‘ vom 19.8.1976:

„Der zweite Punkt ist der, daß drüben [DDR] Kindern und Mädchen anabole Hormone verabreicht werden und das ist ein ganz entscheidender Eingriff sowohl in das Physische, als auch in das Psychische.“

Prof. Dr. Nowacki, Verbandsarzt der Ruderer, erklärte in der Expertenanhörung vor dem Sportausschuss am 28.9.1977:

„Die Internationale Kommission der Ruderer hat in mehreren Sitzungen eine ganz strenge Dopingrichtlinie einschließlich des Verbotes von Anabolika ausgearbeitet. Die Ostblocknationen wie natürlich auch die Westnationen haben praktisch bei diesen Sitzungen in Wien geschworen, daß dieses Verbot eingehalten wird. Erst durch die Flucht einer Reihe von führenden DDR-Sportärzten, die als Geheimnisträger dort seit 1972 tätig waren, wurde uns zunehmend bekannt, daß sowohl im Rudersport wie auch im Schwimmsport bei Jugendlichen in massiver Weise anabole Hormone eingesetzt werden.“ (Protokoll Anhörung, 28.9.1977, S. 6/144)

Prof. Wildor Hollmann erklärte 1990, er sei nicht überrascht

„von den „Praktiken“ der DDR. …:“ Unter der Decke des Oberflächlichen bestanden schon immer gute Verbindungen zwischen Ost und West. Wir waren auch über die sogenannten Geheimlabors der Sportmedizin informiert, aber nicht über alle Details“.“ (FAZ, 24.3.1990)

Auch Prof. Dr. W. Kindermann soll 1990 entsprechendes Wissen in einer Fernsehsendung bestätigt haben (Berendonk, S. 56)

Schwäbische Zeitung Leutkirch, 21.8.1976:
Kommentar zu der ZDF-Sendung „Kontrovers“ mit einer Diskussion zwischen M. Steinbach und J. Keul:

„Da stand auf der einen Seite die Meinung von Keul, der Vitaminspritzen, wie sie in Montreal u.a. auch Peter Michael Kolbe verabreicht worden sind, als die harmloseste Sache der Welt darstellte und den Standpunkt vertrat, die Medizin müsse den Sportler in jeder Weise und mit allen Mitteln unterstützen, sofern diese nicht gesundheitsschädigend seien. Dagegen sprach Steinbach von einer ‚ungemein verhängnisvollen Entwicklung‘, die da begonnen habe, und verwies in diesem Zusammenhang auf Praktiken, wie sie die DDR anwendete (…) verabreicht schon in frühester Jugend anabole Hormone, die nachweislich gesundheitsschädlich sind. „Wenn es stimmt, daß die Vitaminspritze im internationalen Sport bereits so alltäglich ist, wie das Einwachsen von Skibrettern, dann hat die Medizin die Athleten in eine Sackgasse hineinmanövriert, aus der es nur noch schwer einen Ausweg gibt.“

Abgeordneter Schmidt (SPD) meinte 1993 in der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission und des Sportausschusses:

„Ich will … auf eine Sitzung des Sportausschusses aufmerksam machen von 1976, in der Prof. Hollmann und Prof. Kirsch von sehr guten privaten Beziehungen zu Vertretern der DDR-Wissenschaft gesprochen haben, was die wissenschaftlichen Kontakte anbetrifft, insbesondere zur Sportmedizin.“ (>>> Protokoll der Anhörung 1993, S. 697)

Die entsprechende Passage im Protokoll der 37. Sitzung des Deutschen Sportausschusses zum „Stand der Sportwissenschaft und der Sportmedizin in der Bundesrepublik Deutschland“ am 17.3.1976 lautet wie folgt:

Einer der maßgeblichen Forscher der DDR, ein Dr. Mader. ist vor anderthalb Jahren von drüben nach hier geflohen und arbeitet heute als Mitarbeiter in meinem Institut. Wir kennen alle Details. … Wir kennen über die Leute alle Details, auch das berühmte so streng abgehaltene, selbst vor sowjetischen Kollegen abgeschirmte Forschungsinstitut in Leipzig. Dort gibt es ein Institut, da wird den Gästen … alles gezeigt und sie glauben, sie haben alles gesehen. In Wirklichkeit gibt es aber eine Treppe nach unten und unter der Erde befinden sich dann Labors, die nur mit Spezialkarten betreten werden dürfen. Da dürfen noch nicht einmal sowjetische Kollegen oder polnische Kollegen herein. Aber wir wissen, was sich dort abspielt. Wir kennen alle die Geräte, wir kennen die Zahl und die Ausbildung der Mitarbeiter und wir kennen die Forschungsfragen, die dort bestritten werden.“ (zitiert nach Krüger et al, 2014, S. 93)

Mehr Informationen zu Alois Mader siehe unter Was wusste man im Westen, Teil I.

Dr. Harl-Heinz Graff schrieb im Magazin Leichtathletik 50/1987:

„Im Rahmen eines Interviews im ZDF mit dem Reporter Harry Valerien (Aktuelles Sportstudio) teilte Prof. Hollmann mit, daß im Rahmen eines Aufenthalts in der DDR bestätigt wurde, daß auch dort die Einnahme verbotener Substanzen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht habe. Es wäre interessant zu erfahren, wieviel DDR-Athletinnen und Athleten bei dem offensichtlich hohen Mißbrauch verbotener leistungsfördernder Medikamente in den letzten Jahren des Doping überführt wurden. Bei dem immens hohen Stellenwert, den der Sport auch als politisch ernstzunehmender Faktor innehat, wäre es sehr verwunderlich, wenn die Möglichkeit des Nachweises verbotener Substanzen nur zur Überführung von Athleten genutzt wurde. Man muß doch keine große Phantasie haben, um sich vorzustellen, daß die Nachweismöglichkeiten auch zur „Steuerung“ und „Kontrolle“ vor Wettkämpfen genutzt werden können.“

Im September 1991 antwortete Wildor Hollmann auf die Frage, ob er/die deutschen Sportärzte ‚eine Vorstellung vom Ausmaß der Dopingpraktiken im Sport der beiden deutschen Staaten gehabt hätte:

„Nein. In gar keiner Weise. Uns war selbstverständlich die von uns angestellte Vermutung bekannt, daß großzügig von Dopingmaßnahmen in der DDR Gebrauch gemacht wurde. Nur: Es fehlte uns der Funken des Beweises. Es gab Sportler, sogenannte Überläufer aus der DDR-Sicht. Inwieweit deren Angaben zutreffend waren, entzog sich unserer Kenntnis.“ (SZ, 25.9.1991) 1977 wird Hollmann in der Welt wie folgt zitiert: „Wenn es eines Tages so weit ist, und du triffst in einem nennenswerten internationalen Wettkampf auf einen Gegner aus dem Osten, dann mußt du eines wissen: Er ist medikamentös vorbehandelt. Das verhilft ihm zu einem entscheidenden Leistungsvorsprung.“ (Die Welt, 5.2.1977)

1977 war Ruder-Verbandsarzt Dr. Günter Karisch, 1979 Ringer-Verbandsarzt Dr. Klaus Büttner und 1984 Skisport-Verbandsarzt Dr. Bodo Werner in die Bundesrepublik übergesiedelt. Im Mai 1987 folgte Dr. Hartmut Riedel.

HARTMUT RIEDEL

Hartmut Riedel hatte in der DDR über Anabolika geforscht und damit gedopt. In seiner Dissertation (Dissertation B genannt)

„Zur Wirkung von anabolen Steroiden auf die sportliche Leistungsentwicklung in den leichtathletischen Sprungdisziplinen“ aus dem Jahrs 1986 steht im Vorwort „Der Einsatz der anabolen Steroide im Leistungssport dient der Ausnutzung biologischer Gesetzmäßigkeiten zum Erreichen eines gesellschaftlichen und persönlichen Zieles. . . . Somit ist der Einsatz anaboler Steroide legitimiert und human“.

Diese Arbeit hatte er angeblich verloren und konnte sie im Westen nicht vorlegen. Sie soll jedoch innerhalb der Universität Paderborn kursiert sein. 1988 erhielt er eine C3-Professur an der Universität Bayreuth auch ohne Vorlage seiner Habilschrift. Brigitte Berendonk enthüllte später Teile der Dissertation. Riedel musste seinen Lehrstuhl aufgeben und seine prominenten Förderer Prof. Liesen, Prof. Hollmann und Prof. Keul suchten Erklärungen für ihr Nichtwissen. (>>> Hartmut Riedel)

„So lud der Diskus-Bundestrainer Karlheinz Steinmetz während der Vorbereitung auf den Länderkampf gegen die DDR im Juni 1988 einige seiner Asse ins Auto und chauffierte sie zur „Ernährungsberatung“ zu Riedel, der damals noch in Paderborn wirkte. Von der Beratung zurück, berichteten die starken Männer detailliert, was sie über Dosierungen und Wirkungen von Anabolika erfahren hatten. Da durfte sich DLV-Leistungssportdirektor Horst Blattgerste bestätigt fühlen, der nach der Verpflichtung Riedels frohlockt hatte: „Jetzt wissen wir endlich alles, was die drüben gemacht haben.“ (der Spiegel, 10.12.1990)

Dr. Riedel hatte anscheinend nach seiner Flucht beschlossen, dem Magazin Stern sein Wissen zu verkaufen.

„Dort erhielt er sogleich den Sportjournalisten Burkhard Lüpke als Führungsoffizier [BND ?] und einen fetten Mitarbeitervertrag. Das war natürlich auch dem DDR-Geheimdienst nicht verborgen geblieben, und beim SMD schrillten die Alarmsirenen“

Dr. Manfred Höppner, stellvertretender Leiter des Sportmedizinischen Dienstes SMD der DDR, er verkaufte Ende 1990 wichtige Unterlagen an das Magazin Stern, mit dabei die Dissertation B, schilderte die Situation 1991 so:

„Daß die bundesdeutschen Sportfunktionäre uns nicht hochgehen lassen würden, dessen waren wir uns sicher. Die wollten doch nur ihr eigenes [Doping-]Wissen verfeinern. Als wie aber vom Stern hörten, gab es Alarmstufe I. Bis hin zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul erwarteten wir eine publizistische Bombe: die öffentlichen Enthüllungen des Dr. Riedel.“ (Stern, 25.4.1991, zitiert nach Berendonk, S. 57)

Prof. Werner Franke meinte:

„Sicher hat die Stasi gedroht. Sie war gut informiert, wußte etwa, daß Riedel, Chefverbandsarzt der DDR-Leichtathleten und Dopingexperte, mit dem Magazin „Stern“ eine Enthüllungsgeschichte vor den Olympischen Spielen in Seoul 1988 vorbereitete. Aber schließlich war die Stasi sehr zufrieden, daß Professor August Kirsch als Leiter des Bundesinstitutes für Sportwissenschaften in Köln auf Herrn Riedel eingewirkt hat, daß diese Veröffentlichung auch im Westen nicht gut sei. Im Artikel stand dann nichts mehr über Doping. Kurz danach erhielt Riedel seine Professur in Bayreuth. (FAZ, 17.6.1998)

Die publzistische Bombe blieb somit aus. Riedel erzählte öffentlich nur wenig, vor allem wenig Neues.

JOSEPH KEUL

Wie sind die Aussagen Manfred Höppners 1994 zu seinem guten Verhältnis mit dem westdeutschen Starsportmediziner Prof. Dr. Joseph Keul einzuschätzen? Bereits 1974 sollen beide auf internationaler Ebene erste Gemeinsamkeiten festgestellt haben, die später in einer langjährigen Freundschaft mündeten. Singler/Treutlein, S. 208)

Der Spiegel schreibt am 21.3.1994:

„Der Freiburger bewirtete Höppner an der Bar, er lud ihn in sein Hotelzimmer, schließlich zu einem Besuch in seine Freiburger Villa ein. „Das einzige, was Keul an einer Tätigkeit in der DDR stören würde“, schrieb Höppner auf, „ist, daß er nicht nebenbei Geld verdienen kann.“Großzügig habe Keul ihm „einen Koffer mit Medikamenten“ angeboten. Höppner lehnte ab, war von da an sicher, „daß uns die Westkollegen nie verraten würden“.

Der Stasi-Spitzel will Keul kleinere Aufträge angetragen haben. Vornehmlich den Aufenthaltsort republikflüchtiger Ärzte sollte Keul herausfinden. Zu Alois Mader, der heute an der Sporthochschule in Köln arbeitet, konnte Höppner Informationen abrufen. Mehrmals habe sich Keul abfällig über den aus Halle gekommenen Kollegen geäußert.

Schließlich habe der Zuträger aus Freiburg von selbst funktioniert. Eines Abends, gegen Mitternacht, habe Keul „zu verstehen gegeben, daß er mit dem IMV noch ein persönliches Gespräch führen will“. Dann habe er detailliert über die Situation eines weiteren ehemaligen DDR-Mediziners berichtet, der „Angst vor einer möglichen gewaltsamen Zurückführung in die DDR“ habe.“

In Sports 3/1992, S. 120 wird Keul zitiert:

Sports: „Wir waren uns immer sicher“, hat der Sportmediziner Dr. Manfred Höppner erklärt, „daß uns die Westkollegen nie verraten würden.“

Keul: „Ich habe Höppner schon vor Jahren ins Gesicht gesagt, ihr macht das flächenübergreifend und systematisch. Er hat das bestritten. Ich bin Wissenschaftler, ich kann doch nicht Gerüchten nachgehen.“

Prof. Joseph Keul:
Diese Vorwürfe sind vollkommen absurd. Wir haben zu keinem Zeitpunkt anabole Steroide verschrieben. Wir hatten nur Vermutungen, wer bei uns die Mittel verwendet. Einzelheiten waren uns nicht bekannt. Wir haben niemals Anabolika verschrieben. Das kann ich jederzeit beweisen. Daß in der DDR gedopt wurde, war bekannt. Wir haben den Kollegen stets entgegengehalten, wie toll muß Eure Republik sein, wenn sie zum Beweis ihrer Leistungsstsärke Doping im Sport betreiben muß.

Ich müßte doch schwachsinnig gewesen sein, wenn ich Kollegen bei Höppner angeschwärzt hatte. Es hat niemals Informationen von mir an Höppner in dieser Hinsicht gegeben. Daß Höppner sich gegenüber der Stasi interessant machen mußte, liegt auf der Hand, und meinen Namen konnte er da ganz gut verwenden.

Aber wir waren niemals Freunde. Mein Name war intemational bekannt, und er hat für die Stasi seine Berichte zusammengedichtet. Die Vermutung einer engen Zusammenarbeit von Höppner und mir ist vollkommen unsinnig.
(Berliner Zeitung, 21.3.1994)

Zitate/Fußnoten aus dem Text von G. Treutlein ‚Doping und Sportmedizin:

„Im Bericht des IMV „Technik“ (Höppner) von der Tagung der Ärzte-Kommission der IAAF vom 27. – 30.6.1974 in Frankfurt heißt es: „Mit dieser Festlegung ergibt sich die Schlußfolgerung nunmehr spätestens 3-4 Wochen vor dem jeweiligen Wettkampf die Verabreichung von Anabolen abzusetzen, damit keine Nachweisführung im Rahmen der Dopingbestimmungen möglich ist. Bisher erfolgte die Absetzung lediglich 1-2 Tage vor dem Wettkampf.“ Bei einem Treffen der DLV-Nationalmannschaft gab Keul diese Empfehlung kurze Zeit später an die Athleten weiter.“

„In einem Brief an Prof. Dr. J. Hellinger schrieb Keul am 11.3.1992 u.a.: „Es besteht gar kein Zweifel, daß nicht nur ich, sondern viele andere Mediziner und Bürger intermittierend erfuhren, daß in der DDR staatlich organisiert Dopingmittel verabreicht wurden. Das betraf ja nicht nur die DDR, sondern alle Ostblockstaaten.““

ARMIN KLÜMPER

Zitat aus einem Vortrag Klümpers vor dem Fußballverband Baden-Württemberg am 18.5.1977:

„Die Entwicklung der Anabolika-Anwendung ist allerdings im Westen und im Osten verschiedene Wege gegangen. In Ostblock gibt es sicher eine weitverbreitete Anabolikaanwendung, die politisch sanktioniert und ärztlich kontrolliert wird. Das Wissen darum behandelt die Öffentlichkeit mit Diskretion, in der DDR unterliegt die Maßnahme strenger Geheimhaltung.“

In der Stuttgarter Zeitung vom 14.3.1991 erklärt Klümper in einem Interview u.a.:

„Wer nicht spätestens 1976 erkannt hat wohin der Zug des Sports zuerst in den Ostblockstaaten fuhr, der muß mit Blindheit geschlagen gewesen sein oder einfach dumm oder ist bewußt politischen Irritationen aus dem Weg gegangen. Ich kenne doch die Kungeleien in den internationalen Gremien, da ist auf dem Weg der Postensicherung vieles toleriert worden. Dadurch ist die Glaubwürdigkeit verloren gegangen und damit hat sich eine beträchtliche Zahl der Sportführer den Boden der moralischen Integrität unter den Füßen weggezogen. (…)

  Es hat kaum eine Sportart gegeben, in denen ich die DDR-Trainer nicht gekannt hätte. Die überwiegende Zahl davon hat vom Doping gewusst.  …

Ich frage mich manchmal: Will man das eigentlich totschweigen, will man das garnicht regulieren, wollte man bei der Annexion nur die Topleute einkaufen, um möglichst viele Medaillen zu gewinnen? Ich hätte mir gewünscht, daß sich die Athleten, die von drüben kamen, hingestellt und gesagt hätten, ja wir haben gedopt. Das war nun mal unser System in dem wir gelebt haben. …

die letzten Jahre der DDR, 1987 – 1990

In diesen Jahren kamen weit mehr Menschen über die Grenze als zuvor, das betraf auch die Zahl der aus dem Sport kommenden. Dabei waren auch wieder Geheimnisträger und Sportler, die ihr Wissen öffentlich weitergaben.

Zu den Überläufern dieser Zeit gehörten der Boxer Hagen Doering, der Ruderer Matthias Schumann, der ehemalige Judo-Generalsekretär Jürgen Noczenski, Schwimmerin Christiane Knacke und der ehemalige Skispringer und Mediziner Hans-Georg Aschenbach. 1988 wechselte Dr. Dietrich Behrendt, stellvertrenter Leiter des Dopingkontrolllabors in Kreischa die Fronten. (s. hierzu Seppelt/Schück, S. 79ff)

Besonders Aschenbach und Knacke erzielten über Interviews große öffentliche Aufmerksamkeit, anscheinend aber wesentlich weniger innerhalb der Verbände. Der Spiegel konstatierte am 17.7.1989:

„Was Medien und Fans seit Monaten erregt, ist Sportfunktionären offensichtlich lange bekannt – und lästig. Da lohnt nicht einmal mehr das Gespräch mit aussagewilligen Dopingzeugen. Um die vorgeblich heile und damit lukrative Sportwelt nicht zu demontieren, wird vertuscht, vertagt und schnell vergessen.“

FERDINAND KÖSTERS

Ferdinand Kösters, während der Wendejahre hoher Beamter im Bundesministerium des Innern und CDU-Mitglied, und u.a. mit der Eingliederung des DDR-Sports in den gesamtdeutschen Sport befasst, schildert in seinem im Jahre 2009 erschienen Buch ‚Verschenkter Lorbeer‘ das Geschehen in der Wiederveinigungszeit 1989/1990 aus seiner Sicht. In einem gesonderten Kapitel nimmt er zu dem damaligen Umgang mit der Dopingvergangenheit von Ost und West Stellung (S. 188ff).

„Als nach der Wende in der DDR die Dopingpraktiken aufgedeckt wurden, war das Geschrei im Westen groß. Das war für mich sehr verwunderlich, weil man doch eigentlich hätte wissen müssen, was sich auf diesem Gebiet „da drüben“ abgespielt hatte. Zahlreiche übergesiedelte oder geflüchtete Sportler und Trainer hatten doch darüber im Westen berichtet, so einmal ausführlich die Leichtathletin Renate Neufeld im „Spiegel“. Sie hatte das Dopingsystem in der DDR ausführlich geschildert und von Kindern von Spitzensportlerinnen berichtet, die mit deformierten Füßen auf die Welt gekommen waren. Sie hatte sogar Dopingpräparate mitgebracht. Wollte man damals solchen Dingen nicht nachgehen aus Furcht, selber in den Sumpf gezogen zu werden?“

„Im Februar 1987 mußte ich zu einer Sitzung des Olympiastützpunktes Hamburg in die Hansestadt. Am Abend fand in der Alster-Schwimmhalle ein Internationales Schwimmfestival statt, für das der Bundesminister des Innern einen Ehrenpreis gestiftet hatte. (…) Ich mußte zur Verleihung hinunter an das Schwimmbecken zu der von dem bekannten Fernseh-Reporter Jörg Wontorra moderierten Siegerehrung, um Moorhouse den Preis zu überreichen. Vor und nach der Zeremonie erlebte ich „hautnah“ die DDR-Mädchen um mich herum in ihren kurzgeschnittenen tanga-ähnlichen Badeanzügen. Ich traute meinen Augen kaum, aber die Innenseiten der Oberschenkel wiesen einen starken Haarwuchs auf. Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie zu rasieren. Es war damals schon bekannt, daß die Einnahme von Anabolika bei Frauen zu vermehrter Behaarung führte. (…) Der starke Haarwuchs (…) ließ eigentlich keinen Zweifel darüber aufkommen, daß hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Aber es war offenbar nicht opportun, darüber zu reden. Ich jedenfalls wunderte mich sehr, daß niemand auf dieses Thema ansprechbar war.“

HANS-GEORG ASCHENBACH

Nachdem Hans-Georg Aschenbach, Olympiasieger 1976 und Weltmeister im Skispringen, zusammen mit Judo-Funktionär Dr. Hans Noczensky 1989 geflüchtet war, und Aschenbach in der Bild am Sonntag kein Blatt vor den Mund nahm, befürchtete man in der DDR Schlimmes, dachte man doch, alle stürzten sich jetzt auf Aschenbachs Kenntnisse und fürchtete gar internationale Verwicklungen. „Doch es gab unter den Kollegen in Ost und West anscheinend andere Themen, wie die Reise-IM feststellten.“ Laut IMS „Manfred“ (H. Buhl) sei ein „westdeutscher Sportmediziner von den eigenen Kollegen der „Unterschlagung“ und „unsauberen Spritzen-Therapien“ bezichtigt“. Es handelte sich dabei um Dr. Klümper. (G. Spitzer, S. 197)

Aschenbach erklärte u.a. „“Jawohl, ich habe Dopingmittel genommen über den gesamten Zeitraum meiner sportlichen Laufbahn. Acht Jahre lang habe ich Anabolika geschluckt und gespritzt. … Wir mußten diese Medikamente nehmen. Wir wurden dazu gezwungen. … Wir wurden vergattert, zu niemandem darüber zu reden. Wer quatschte, flog sofort raus. … 30 bis 40 Milligramm Nandrolon mußte ich täglich nehmen. Zehn Tage vor einem Wettkampf wurden die Dopingpillen abgesetzt. … Untersuchungen haben ergeben, daß nach fünf Tagen keine Spuren mehr im Körper festgestellt werden konnten. Ich habe immer zehn Tage vor einem Wettkampf abgesetzt. Wir sprachen von doppelter Sicherheit.“ (sid, 26.6.1989, nach Berendonk, S. 63)

CHRISTINE KNACKE u.a.

Christiane Knacke, nach Österreich gewechselt, stand 1989 der österreichischen „Neuen Kronen-Zeitung“ für Interviews zur Verfügung. 1977 blieb sie als erste Frau über 100 Meter Schmetterling unter 1 Minute, erst 15 Jahre alt, 1980 erschwamm sie bei Olympia in Moskau in dieser Disziplin die Bronzemedaille. 1998 trat sie als Zeugin in Berlin auf, dabei belastete sie vor allem ihren Trainer Rolf Gläser:

„Sie rekonstruierte die Ereignisse von 1977, als sie vor der Europameisterschaft in Schweden in die Trainingsgruppe Gläsers aufgenommen wurde, bis zu ihrem Abschied vom Leistungssport nach den Olympischen Spielen 1980. Pillen seien den Schwimmerinnen schon früher verabreicht worden, dabei habe es sich jedoch um Vitamine gehandelt. Mit dem in der DDR verharmlosend „unterstützendes Mittel“ genannten Doping-Präparat Oral-Turinabol sei sie erstmals während der Vorbereitung auf die EM 1977 in Berührung gekommen. „Wenn man die nicht gleich geschluckt hat, zergingen die im Mund und wurden bitter“, sagte Knacke-Sommer, „es waren die einzigen im Becher, die nicht dragiert waren. Die sind eindeutig zu identifizieren gewesen.“ (…) Während der Vorbereitung auf die WM 1978 in Westberlin habe sie vier oder fünf Injektionen in wöchentlichem Abstand erhalten, sagte Knacke-Sommer. „Ihr kriegt das, damit ihr das harte Training besser aushaltet“, sei gesagt worden. Selbst unmittelbar vor den Endläufen etwa bei der EM 1977 und einem Länderkampf gegen die UdSSR 1978 habe man ihr ein Präparat intravenös verabreicht. (…) Ihr Trainer Gläser habe sie stets zu ihrem Arzt Binus geschickt. Einmal habe sie versucht, sich zu weigern, doch Binus habe Gläser gerufen, der ein Machtwort sprach: „Das ging nach dem Motto: friß oder stirb.“ (Berliner Zeitung, 21.4.1998, Focus, 27.4.1998, ein ausführliches Interview mit Christiane Sommer (Knacke ) und ihrer ehemaligen australischen Gegnerin Lisa Curry ist nachzulesen in Seppelt/Schück, S. 193ff))

Rhein-Neckar-Zeitung, 12.12.90:
„Der frühere DDR-Schwimmtrainer Gläser, … betreute neben Raik Hannemann, der in der Berliner Zeitung die Geschichte seines Dopings schilderte, noch Christiane Knacke, die bereits im letzten Jahr in Österreich über die Doping-Praxis in der früheren DD berichtete. Gläser droht nun seine Position als Trainer des oberösterreichischen Landesverbands in Linz zu verlieren. … Gläser: „Es wurde bei uns flächendeckend gedopt“.“

Rolf Gläser blieb Trainer in Österreich. Seinen Job verlor er erst Ende 1998, als er wie Sportmediziner Bernd Pansold im ersten DDR-Doping-Pozess vor dem Landgericht Berlin zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.

Verbände, Funktionäre, Politik

IAAF – INTERNATIONALER LEICHTATHLETIK -VERBAND

In der Neuen Züricher Zeitung vom 24.5.2000 unter der Überschrift ‚DDR-Doping-Kumpanei mit IAAF-Präsident Paulen‘ berichtet Giselher Spitzer, wie Manfred Ewald beim IAAF für die Minderung der Sperre von Ilona Slupianek (1977 positiv getestet, s.u. Spurensuche I) eintrat (zitiert nach S. Osterhaus in Doping, NZZ Verlag 2000, S. 168):

„So konsultierte Ewald im Februar 1979 den holländischen IAAF-Präsidenten Adrian Paulen, zwei Jahre, nachdem die (minderjährige) Kugelstoßerin Ilona Slupianek als erste DDR-Athletin posiritv getestet worden war. Laut einem Stasi-Treffbericht habe Paulen „gegen die Mehrheit im (IAAF-) Council auf nur eine einjährige Sperre entschieden“, während die Council-Mitglieder auf einer Sperre von zwei oder sogar vier Jahren beharrt hätten. Während des Gespräches trimmte Ewald Paulen auf Kurs. Resultat war, das der DTSB-Chef einen bemerkenswerten Pakt durchsetzen konnte: „Paulen hatte akzeptiert, dass kein Dopingfahnder jemals die Grenzen der DDR überschreiten würde“.“

Giselher Spitzer in der Welt, vom 14.7.2000:

„Das ungünstige Bild Ewalds wird durch ein Protokoll einer geheimen Pro-Doping-Kumpanei Ewalds mit dem IAAF-Präsidenten Adrian Paulen 1979 verstärkt. Paulen akzeptierte den menschenverachtenden DDR-Dopingkurs und ihres ersten Sportfunktionärs Ewald: Der IAAF-Präsident verstand Kontrolltätigkeit „im Trainingsprozess“ als „eine Einmischung in die souveränen Rechte der nationalen Verbände und der einzelnen Staaten“. Der hohe Preis von Trainingskontrollen störte ihn offenbar mehr als Dopingbetrug. Paulen stützte dadurch das DDR-Staatsdoping, anstatt durch Internationalisierung der Kontrollen dagegen zu kämpfen.“

DR MANFRED HÖPPNER

Dr. Manfred Höppner erklärte im Stern 1991:

„Daß die bundesdeutschen Sportfunktionäre uns nicht hochgehen lassen würden, dessen waren wir uns sicher. Die wollten doch nur ihr eigenes [Doping-]Wissen verfeinern.“ (Stern, 25.4.1991, zitiert nach Berendonk, S. 57)

NATIONALES OLYMPISCHES KOMITEE (NOK)

Dass Höppner mit seinem Wissen und Vermutungen bezüglich der westdeutschen Sportverbände richtig lag, wird 1998 durch den „NOK-Report“ bestätigt:

„Das Organ des Nationalen Olympischen Komitees „NOK-Report“ schreibt in der Juni-Ausgabe, das Doping in der DDR sei den Sportfunktionären der Bundesrepublik zum Teil schon seit Jahrzehnten bekannt gewesen. Die inquisitorische Erforschung der Sachverhalte sei nach der Wende aus vielerlei Gründen unterblieben, vorwiegend plausiblen. „Die allgemeine Euphorie über das Ende der Zweistaatlichkeit verdrängte die Bereitschaft zu rigoroser Vergangenheitsbewältigung. Einfühlung in die Zwangslagen eines diktatorischen Systems, in dem Täter im moralischen Sinne häufig gleichzeitig auch Opfer sind, hemmte zumindest mancherorts die Selbstgefälligkeit leichtfertiger Beurteilung von Tatbeständen“, heißt es in dem Artikel. „Angesichts schon bald aufkommender gesamtgesellschaftlicher Ost-West-Gegensätze schreckten Sportführer aus alten Bundesländern davor zurück, in den Geruch einer Befürwortung von „Siegerjustiz“ zu geraten.“ Auch habe sich die Möglichkeit der Sportorganisation auf die Befragung der Verdächtigen beschränkt; von allen ehemaligen DDR-Akteuren seien bei einer Beschäftigung im gesamtdeutschen Sport schriftliche Erklärungen bezüglich Stasi- und Dopingverstrickung verlangt worden.“ (FAZ, 15.6.1998)

Von dem schwierigen Umgang mit der Wahrheit zeugen im Nachhinein auch die Schwierigkeiten, der sich in den 90er Jahren die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Berlin gegenüber sah:

6. April 1997: „Vor der Zentrale des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) beluden sie [Kripo-Beamte] einen Lastwagen mit rund 20 eigenhändig gepackten Kartons voller Unterlagen. „Wenn wir vorher gewußt hätten, was dort alles liegt“, stellte ein Polizeibeamter nach der ersten Auswertung fest, „hätten wir uns viele Jahre der Ermittlungsarbeit ersparen können.“ Das von den Westfunktionären gehortete Material des ehemaligen NOK der DDR gab Auskunft über Befehlsstrukturen im Leistungssport des Arbeiter-und-Bauern-Staats, über Ärzte, Trainer und Athleten der Olympiakader – Informationen eben, die vor vier Jahren, als die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (Zerv) ihre Suche nach den Schuldigen für Körperverletzungen im ehemaligen DDR-Sport begann, dringend benötigt wurden. (…)

Angesichts der zähen Kooperation mit den Verbandsführern wächst bei den Zerv-Ermittlern der Unmut. Dachten sie bisher, die Funktionäre seien einfach nur unwillig, bei der Aufklärungsarbeit zu helfen, so erhärtet sich nun die Vermutung, daß Verbände bewußt Informationen über Sporttäter zurückgehalten oder unterdrückt haben.   (…)

Monat für Monat verbrachten die Ermittler damit herauszufinden, wer Rechtsnachfolger der DDR-Sportverbände ist, um dort nach Material suchen zu können. Überall blitzten sie ab – was zum Teil bizarre Folgen zeitigte.

Den Bericht der vom Bundesinnenminister 1991 eingerichteten „Unabhängigen Doping-Kommission“ bekam die Kripo weder aus Bonn noch von den Verbänden ausgehändigt. Der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke, der seine Freizeit der Dopingaufklärung gewidmet hat, stellte schließlich ein Exemplar zur Verfügung.

Noch länger dauerte es, bis die Kriminalbeamten auf die Ergebnisse der „ad-hoc-Kommission“ zurückgreifen konnten. Dieses DSB-Gremium unter Vorsitz des späteren Präsidenten Manfred von Richthofen gab vor, sich um Einzelfälle kümmern zu wollen – auch die Zerv hätte die Geschichten der Sportopfer gern genutzt, um gegen die Täter vorzugehen. Sie bemühte sich vergeblich um die Akten. Erst als die Fahnder vor vier Wochen aufgrund einer richterlichen Anordnung das NOK durchsuchten, wurde es dem DSB zu mulmig.  (…)

Jetzt gilt als sicher, daß westdeutsche Sportführer schon zum Zeitpunkt, als es die DDR noch gab, detailliert über die Dopingwirklichkeit im Osten informiert waren. Überläufer wie der Turner Wolfgang Thüne, die Leichtathletin Renate Neufeld oder der Skispringer Hans-Georg Aschenbach hatten über die kräftigende Wirkung der blauen Pillen berichtet. Der Hallenser Sportmediziner Alois Mader hielt nach seiner Flucht Vorträge über das flächendeckende Anabolikaprogramm in der DDR.

Auch der Bundesnachrichtendienst versorgte die Westdeutschen regelmäßig mit Neuigkeiten von drüben. (…) (der Spiegel, 4.5.1998).

„Niemand ahnte von der Existenz der DSB-Unterlagen. Erst mühselige Ermittlungen der Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität (Zerv) in Berlin brachten das Wirken der Hormontrainer ans Tageslicht. Von Beyer mußte die Herausgabe von Akten sogar durch richterlichen Beschluß erzwungen werden.“
(der Spiegel, 15.6.1998)

VOM FKS ZUM IAT

Der Fortbestand des Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport in Leipzig war auf besondere Initiative des Bundesauschusses für Leistungssport (BAL) in den Einigungsvertrag aufgenommen worden. Eine umstrittene und vielen unverständliche Festschreibung. Wozu musste sich der wiederveinigte Sport mit dieser hochbelasteten Institution schmücken?

„Im Dezember 1989, als Fachleute und Journalisten zum erstenmal das FKS besichtigen dürfen, offenbart Ruder-Bundestrainer Ralf Holtmeyer, welche Faszination die Hochburg zentralistisch geleiteter Forschung seit je im anderen Deutschland ausübte: „Das wurde bei uns immer bewußt eingesetzt und hochgespielt, um Gelder zu bekommen. Und weil zusätzlich noch alles geheim war, ergab sich ein besonderer Effekt. Dieser Wahnsinnsapparat, dieser wissenschaftliche Hintergrund, das müssen wir auch machen.“ (Grit Hartman, S. 312)

Karl-Dieter Spranger, Parlamentarische Staatssekretär beim BMI, wird nach den Stern-Veröffentlichungen 1990 zitiert:

„Das Doping-Labor in Kreischa und das FKS in Leipzig kommen mit neuem Personal auf den Prüfstand. Die Bundesregierung will Konsequenzen aus dem Dopingskandal im deutschen Sport ziehen und erwartet von den Sportorganisationen eine umfassende Aufklärung. Wie … Spranger jetzt in Bonn erklärte, sei die Bundesregierung von dem Ausmaß des Dopingmißbrauchs in der ehemaligen DDR und auch in der alten Bundesrepublik überrascht. … “Ich war immer davon überzeugt, daß auf dem Gebiet der früheren DDR in breitem Umfang Doping betrieben wurde. Was mich überrascht, ist das Ausmaß, die Perfektion und die Systematik, mit der dort früher gearbeitet wurde. Mich überrascht aber auch, in welchem Maße in der BRD ganz offensichtlich Doping betrieben wurde.“ … Gleichzeitig warnte der Staatssekrtär vor Pauschalierungen. Man dürfe nicht in den Sportlern der ehemaligen DDR die Hauptsünder sehen. „Die waren das schwächste Glied in der ganzen Kette.“ (FAZ, 15.12.1990)

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister ist hoffnungsfroh:

„Dem Sport in der Bundesrepublik werde durch die Vereinigung nichts verloren gehen. Vielmehr erwartet Schäuble „einen Aufschwung des Sports in ganz Deutschland“. Was in der DDR besser als in der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist, soll nach Meinung des Bonner Sportministers erhalten bleiben. … An seinem Respekt für die „großartigen Leistungen und Erfolge, die im DDR-Sport errungen wurden“, läßt Schäuble keinen Zweifel aufkommen. Doch neben dem Licht sieht er auch lange Schatten, die es im alten Sportsystem der DDR gegeben habe: „Die Bürger in der DDR haben die Revolution gegen die Unfreiheit geführt. Dies wird auch Konsequenzen auf den Sport haben.“ … Nachdrücklich will sich der Bundesinnenminister für den Erhalt wichtiger sportwissenschaftlicher Einrichtungen in der DDR einsetzen. Mit Köln und Leipzig würden in Zukunft zwei große sportwissenschaftliche Zentren vorhanden sein. „Es muß in einem vereinigten Deutschland zentrale Einrichtungen der Sportwissenschaft geben. Ich habe eine klare Priorität für Leipzig…““ (FAZ, 21.7.1990)

Doch Zweifel bestehen weiter:

„Das hier ist nach wie vor ein SED-Institut“, klagt Heiner Schumann, Sprecher einer Wissenschaftlergruppe, die bislang vergebens eine Demokratisierung forderte. Die Sportführer ficht das nicht an. Seitdem ihnen im Herbst 1989 geflüchtete DDR-Wissenschaftler geheime Details des erfolgreichen Staatssports verrieten, machte der Bundesausschuß Leistungssport (BAL) mobil. Der BAL, nach Einschätzung seines Leitenden Direktors für „die Produktion von Leistung verantwortlich“, sorgte dafür, daß das Weiterbestehen des FKS im Einigungsvertrag festgeschrieben wurde. (der Spiegel, 9.3.1992)

Näheres über personelle Irrungen und Wirrungen am frühen IAT sind nachzulesen in Grit Hartmann, Goldkinder, S. 308ff.

internationale Begehrlichkeiten, Export ohne Grenzen

1976 zeigte man sich in den USA offen über die europäischen Erfolge verstört. Lange Zeit führend in der Anwendung leistungssteigender Mittel, gab es mittlerweile andere, die aufholten und besser wurden. Zumindest lässt folgendes Zitat dieses anklingen (der Spiegel, 30.8.1976):

Die Zauberlehrlinge des Sports werden die Geister, die sie riefen, ohnehin nicht mehr los: „Ich mag nicht verlieren“, schimpfte Dr. Irving Dardik, Mitglied des US-Ärzteteams in Montreal. „Unsere Athleten mögen es auch nicht.“ Zwei Wochen nach der olympischen Niederlage gründeten die USA eine sportärztliche Kommission, die „alle Tabu-Zonen ausleuchten“ soll. Sie wird soviel Informationen wie möglich aus Europa heranschaffen. „Ich lehne die Ansicht ab, daß wir für den Erfolg nicht soweit gehen dürfen“, sagte Dardik. „Das klingt mir zu sehr nach sauren Trauben.“ Der in Montreal besiegte Marathon-Olympiasieger von 1972, der Amerikaner Frank Shorter“ will es 1980 in Moskau abermals versuchen – „vorausgesetzt, ich finde einige gute Ärzte“.“

iNTERNATIONALE KONTAKTE: DOUG GILBERT

Was wusste Doug Gilbert, kanadischer Sportjournalist, der Ende der 70er Jahre ein Buch über die DDR-Sporterfolge, das DDR-Sportsystem schrieb? Und was gab er weiter? Gilbert hatte für seine Recherchen viele Möglichkeiten mit DDR-Größen zu sprechen und galt als Bewunderer des Sytems. 1980 kam er bei einem Autounfall ums Leben, so dass er nicht weiter befragt werden konnte. (Book Review: The Miracle Machine, 1981)

„Dr (Heinz) Wuschech knows more about anabolic steroids than any doctor I have ever met, and yet he cannot discuss them openly any more than Geoff Capes or Mac Wilkins can openly discuss them in the current climate of amateur sports regulation. What I did learn in East Germany was that they feel there is little danger from anabolica, as they call it, when the athletes are kept on strictly monitored programmes. Although the extremely dangerous side-effects are admitted, they are statistically no more likely to occur than side-effects from the birth control pill. If, that is, programmes are constantly medically monitored as to dosage.“ (Woodland, Les: Dope, the use of drugs in sport, David and Charles, UK, 1980, zitiert nach en.wikipedia.org)

Doug Gilbert dürfte einiges Wissen gehabt haben. Wie sahen die Absprachen ab? Was erzählte er weiter und wem? Aus dem Jahr 1979 liegt ein Dokument vor, wonach der Sportchef, des „Neuen Deutschland“ Dr. Klaus Huhn, beim Ministerium für Staatssicherheit als IMS „Mohr“ geführt, über ein fünfstündiges Gespräch mit dem Journalisten berichtete, in dem er versuchte im Sinne der DDR auf Inhalte des Buches Einfluss zu nehmen. (The Globe and Mail: The writer, the steroids and the Stasi, 2000; s.a. Spitzer, Doping in der DDR, S. 265.)

Image

Bericht Dr. Klaus Huhn, IMS „Mohr“

RUND UM BEN JOHNSON

Der Dopingfall Ben Johnson bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul wurde von einer kanadischen Regierungskommission untersucht. Der Endbericht lag 1990 vor. Darin berichtet Johnsons Arzt Jamie Astaphan unter Eid von einem Treffen mit einem DDR-Athleten 1985, „von dem er im Austausch gegen 144 Flaschen einer Mixtur aus Inosin, Zucker und Vitamin B12 insgesamt 48 Riesenampullen mit je 30 Milliliter Inhalt eines anabolen Steroids erhielt, das „eingespritzt werden mußte und von gewissen Elite-Athleten der DDR benutzt wurde“. Astaphan vereinbarte mit dem DDR-Boten ausdrücklich, diese Substanz stets nur unter dem Phantasienamen „Estragol“ zu erwähnen, „damit die US-Konkurrenz nichts davon erführe“. Astaphan hatte sich geweigert den Namen des DDR-Athleten zu nennen, um diesen nicht in Gefahr zu bringen. Estragol war Stanozolol. (Berendonk, S. 65)

Charlie Francis, Ben Johnsons Trainer, wusste spätestens seit den Olympischen Spiele in München Bescheid:

„Nie zuvor in meinem Leben hatte ich eine solche Frau gesehen: Sie erschien größer und auch muskulöser als Valerie Borsow [Sprint-Olypiasieger der Männer]. Hier sah ich den Beweis der Wirkung der Anabolika.“

Vor allem bewunderte er sein großes Vorbild, den Trainer der Sprinterinnen von „Motor Jena“, Hans-Dieter Hille, und seine straffe Trainingsorganisation. (>>> das Hammer-Modell und Jochen Spilker )

Die Flaschen trugen deutschsprachige Aufkleber: „Eigentum Der DDR – Versenden Gesetzlich Verboten“. Der Inhalt, anabole Steroide, stammte allerdings aus der Fountain Valley Research Laboratories Inc., südlich von Los Angeles, wo der illegale Doping-Mix entdeckt wurde.
Erhebliche Mengen der gesundheitsschädigenden Muskelmacher fielen der Polizei bei einer Razzia in die Hände. Den Etikettenschwindel erklärte ein kalifornischer Jurist so: „Ostdeutsche Steroide verkaufen sich eben am besten. Ihre Athleten haben den Ruf, besser und stärker zu sein.“

(der Spiegel, 10.10.1988)

Francis schildert auch, wie er bereits ein Jahr später durch die Vermittlung eines befreundeten prominenten westdeutschen Trainerkollegen, des Hammer Frauen-Trainers Jochen Spilker, zur höchsten DDR-Dopingformel für Sprinter gelangte. Denn der kannte den DDR-Coach Wolfgang Meier, Trainer und Ehemann von Marita Koch, der 400m-Weltrekordlerin. (Berendonk, S. 65)

1990 erklärt Francis einiges dem Spiegel, erschienen am 12.11.1990:

SPIEGEL: Woher wußten Sie denn, was die anderen nahmen?
FRANCIS: Das war doch kein Geheimnis. Viele Trainer und Athleten haben über ihre Programme geredet und sie ausgetauscht. Von dem westdeutschen Trainer Jochen Spilker habe ich erfahren, was die DDR-Athleten schluckten. Spilker hatte da erstklassige Kontakte.

SPIEGEL: Nennen Sie mal Namen.FRANCIS: Das möchte ich nicht. Die Kollegen aus der ehemaligen DDR suchen doch zur Zeit alle einen Job. Das Problem ist doch klar. Die DDR-Schwimmerin Christiane Knacke, die jetzt Trainerin in Österreich ist, hat offen über Doping in der DDR gesprochen. Man drohte ihr, sie aus dem österreichischen Trainerverband auszuschließen. Man wollte, daß sie den Mund hält. Warum wohl? (…)

SPIEGEL: Immerhin wurden in jüngster Zeit einige Athleten wegen Dopings gesperrt.
FRANCIS: Aber die kommen doch alle schnell zurück. Wie die DDR-Kugelstoßerin Ilona Slupianek, die 1977 dank Anabolika über 21 Meter weit stieß. Sie wurde ein Jahr gesperrt und stieß danach fast 23 Meter. Die war so kräftig, daß sie sogar dem kanadischen Kugelstoßer Marti Catalano seinen Sport verleidete. Ilona kam eines Tages bei ihm vorbei, nahm die Männerkugel, die etwa doppelt so schwer ist wie die Frauenkugel, und stieß sie aus dem Stand über 17 Meter – so weit kam unser Mann nur an seinen besten Tagen. Da hat Marti seine Kugel eingepackt und ist nach Hause gegangen.

Spanien OS Barcelona 1992 – Eufemiano Fuentes

Vom spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes war bekannt, dass er in den 1970er und 1980er Jahren internationale Sport-Kontakte pflegte, insbesondere auch zu Personen aus dem Ostblock. Spanien begann bereits 1984 nach DDR-Muster Talente zu rekrutieren und zu trainieren. Fuentes wurde 4 Jahre vor den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona von der Spanischen Regierung beauftragt spanische Sportler*innen nach Ostblockmustern fit zu machen, sprich auch nach deren Dopingplänen. Dabei floss Geld. Sportschau, 18.7.2024:

„Laut des Arztes setzten die Spanier auf Methoden und Personal, die Ländern wie der DDR zu einer wahrhaften Medaillenflut verholfen hatten: „Wir kopierten das System aus den Ländern des Ostblocks. Wir hatten Geld, um Informationen mit ostdeutschen, polnischen, russischen, tschechischen Ärzten, aus allen östlichen Ländern, auszutauschen. Und wir kauften die Informationen mit Dollar.“ In der DDR und der UdSSR wurde Staatsdoping betrieben. Welche konkreten Informationen er aus dem Ostblock erhielt, sagte er nicht.“

Vorkontrollen/Ausreisekontrollen

Dopingkontrollen vor der Ausreise wurden in der DDR konsequent betrieben, die Angst vor positiven Tests saß tief. Viele Jahre bis heute wird dies als Besonderheit des Ostsystems verkauft. Doch es gibt Hinweise, dass auch in der BRD bei ‚behandelten Sportlern‘ getestet wurde.

1988 berichtet der Spiegel davon, dass gar weltweit die IOC-akkreditierten Laboratorien entsprechende arbeiteten und sich das IOC veranlasst sah, Einhalt zu gebieten. der Spiegel, 16.5.1988:

„Auch da leisten die Fachverbände ganz offensichtlich Hilfestellung. Jedenfalls forderte das Internationale Olympische Komitee (IOC) jetzt die 21 von ihm anerkannten Doping-Laboratorien in aller Welt auf, den Mißbrauch der Einrichtungen zu beenden. Den Olympia-Funktionären war aufgefallen, daß die Doping-Prüfer ihre Untersuchung in den meisten Fällen gewissermaßen als Vorwarnung verstanden hatten. Eine Umfrage bei den Laboratorien hatte ergeben, daß diese 9759 Dopingproben, die 1987 bei internationalen Wettkämpfen genommen worden waren, untersucht hatten. 229 der Proben waren positiv.

Tatsächlich aber, so fand das IOC heraus, waren – vor den Wettkämpfen – weit mehr Proben genommen worden. Insgesamt hatten die Laboratorien 37 882 Tests vorgenommen, von denen 854 positiv gewesen waren.

Die Umfrageergebnisse bestärkten den Verdacht, daß in einigen Ländern die Athleten ganz offensichtlich vorgetestet und nur dann zu internationalen Wettkämpfen geschickt werden, wenn sie sauber sind, das Doping nicht mehr nachgewiesen werden kann. Die Labors, von denen eine abschreckende Wirkung ausgehen soll, dienen also dazu, Doping im Hochleistungssport zu vertuschen.“

„Von ihnen und ihren Untersuchungen sollte eine abschreckende Wirkung ausgehen. Statt dessen würden sie vielfach dazu eingesetzt, Doping im Hochleistungssport zu vertuschen. De Mérode zog für seine Anklage Zahlen heran, die auf einer Umfrage des IOC bei den einzelnen Instituten beruhen. (…) „Wenn wir die Zahl von 854 Ertappten nehmen, muß gefragt werden, was geschah mit diesen betroffenen Sportlern“ sagte de Merode. Die meisten von ihnen seien nicht bestraft worden. Der Belgier gestand die Ohnmacht des IOC ein, das Strafen lediglich bei Olympischen Spielen aussprechen könne. Er appellierte noch einmal an die internationalen Fachverbände, die Doping-Bestimmungen des IOC zu übernehmen und konsequent anzuwenden.“ (SZ, 6.5.1988)

SZ, 15.10.1987:
Frage an Weidner, Prorektor der Deutschen Hochschule für Körperkultur DHFK:
Innerhalb der Sportwissenschaften an der DHFK spielt die Sportmedizin eine besondere Rolle. Bei den Dopingdiskussionen wird die DDR immer an vorderster Stelle genannt.
Weidner: … Die DDR hat dazu eine klare Position: unabhängig davon, was man auch dazu sagen möchte und wessen man uns beschuldigt. Wir haben die hohen Kosten tätigen müssen, um über leistungsfähige Einrichtungen zu verfügen – beispielsweise in Kreischa – die die Einnahme und Anwendung von Dopingmitteln nachweisen können. Wir lassen nicht zu, daß DDR-Sportler an internationalen Wettkämpfen teilnehmen, wenn sie sich solcher Mittel bedienen.

Wendezitate West

JAN KERN, GENERALSEKRETÄR DES DLV:

„Überrascht sei der Verband von der Veröffentlichung nicht, erklärte Generalsekretär Jan Kern. „Aber daß alles mit dieser Akribie festgehalten wurde, haben wir nicht vermutet.“ … Kern kann sich allerdings nicht vorstellen, daß nur die fünf bisher namentlich genannten … betroffen sind. „In diesem Teufelskreis waren mit Sicherheit mehr Athleten drin.“ Am liebsten wäre es dem DLV jedoch, wenn das Kapitel „Doping in der DDR“ möglichst schnell beendet werden könnte. „Das System der DDR ist zuende. Wir beginnen jetzt in einer Stunde Null und müssen jetzt unter den größtmöglichen Kontrollen normale Arbeit leisten“, forderte der DLV Generalsekretär. (Stuttgarter Zeitung, 30.11.90)

HOCHSPRINGER DIETMAR MÖGENBURG, 1984 Olympiasieger:

Robert Hartmann: Was sagen Sie als altgedienter Leichtathlet zu den Doping-Enthüllungen des Dr.Höppner?
Mögenburg: Ich weiß gar nicht, warum sich alle aufregen.

H: Immerhin liegen dem Stern zum erstenmal die Beweise für flächendeckendes Doping in der ehemaligen DDR schwarz auf weiß vor?
M: Ich brauche es nicht schwarz auf weiß. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, was abgeht. Nicht nur in der DDR. Ich war dabei, als ein Italiener einen Kugelstoßweltrekord aufstellte. Der war so aufgeladen, daß ihm die Pillen aus den Augen tropften. Der hatte einen Eisenarm, den kannst Du nur durch diese Pillen kriegen. Um das Ganze wird halt ein Mantel der Ignoranz gelegt. … Ich habe keine Lust, mich in einem verlogenen System zu engagieren. Ich fühle mich dazu auch nicht stark genug. (SZ, 1./2.12.1990)

GERHARD STEINES, KUGELSTOSSER IN DEN 1970er JAHREN:

Am 2. Oktober 1990 schreibt der nun als Journalist arbeitende Gerhard Steines anlässlich der Vereinigung des Ost- und westdeutschen Sports:

„Man lese, denke und staune: Prominente Vertreter unserer staatstragenden Parteien plädieren, vom Glanz der Medaillen geblendet oder geistig erblindet, für ein Sportsystem, dessen Erfolg nur im Rahmen eines Unrechts-Systems möglich war.

Haben die großdeutschen Medaillenjäger denn vergessen, dass die DDR nur ein Sportriese auf Stelzen war, konzentriert auf wenige Spitzensportler in ausgesuchten Sportarten?

Haben sie vergessen, dass viele Sportarten in der DDR überhaupt nicht vorkamen oder verkümmerten? Schauen wir uns nur einmal die Sportarten an, zu denen man einen Schläger benötigt: Tennis, Tischtennis, Badminton, Squash, Golf, Hockey, Eishockey – was hatte die DDR hier zu bieten? Nachahmenswert? (…) Wissen sie denn nicht, dass die hochgelobte Talentförderung in Wahrheit eine Talent-Zwangsrekrutierung war? Wenn bei einem Zwölfjährigen die Handgelenksvermessung ergab, dass er im Diskuswerfen eine bessere Perspektive als im Handball hatte, dann musste er Diskuswerfer werden, und wenn er noch so gerne Handball spielte. Nachahmenswert?

Wissen sie denn nicht, dass eine Kosten-Nutzen-Rechnung den DDR-Sport an das Ende einer Weltwertung stellen würde? Hinter einer DDR-Medaille stehen so viele Trainer, Funktionäre und Wissenschaftler wie in der Bundesrepublik hinter zehn und mehr Medaillengewinnern. Nachahmenswert?

Wissen sie denn nicht, dass das DDR-Sportsystem kein Prachtstück, sondern ein Sargnagel des real existierenden Sozialismus auf deutschem Boden war? Und nicht nur ein Sargnagel, sondern der Henker des Sports in der DDR überhaupt! Denn im Sport kann Spitzensport immer nur den kleinen, spektakulären oberen Bereich abdecken und muss auf dem Breitensport basieren. Im DDR-Reagenzglas ließ die SED aber einen künstlichen Staatssport mixen und mit einer sportlichen Genmanipulation das Horrorgebilde DDR-Spitzensport entstehen, während der gesamte Breitensport wegrationalisiert wurde. Nachahmenswert? Die DDR ist zusammengebrochen, mit ihr der DDR-Spitzensport. Da ist nichts mehr zu retten, auch nichts hinüberzuretten. Der DDR-Sport kann nicht isoliert betrachtet werden, er war in seiner Summe genauso schlecht und unmenschlich wie das gesamte System. (…)“ (Anstoß online, 23.9.2009)

(Gerhard Steines hat  >>> hier sein Sport-Leben  zusammengefasst.)

WALTER KUSCH

Walter Kusch, in den 70er Jahren erfolgreicher westdeutscher Schwimmer, erklärt in einem Interview mit Hans-Joachim Seppelt 1999, dass im Westen häufig gedopt wurde, dies toleriert war und man auch vom großflächigen Doping in der DDR wusste:

„Ja es war bekannt, es war in allen Etagen der Sportgremien bekannt [dass das Anabolikadoping im bundesdeustchen Sport stillschweigend toleriert wurde]. Zumal ja auch die Sportführung viele Jahre aus der Leichtathletik kam. Da wa Doping gang und gäbe. Da wurde der schwarze Koffer mitgebracht, in dem die Präparate drin waren. (…)

Haben die deutschen Sportführer tatsächlich alles gewußt?
Ich bin mir absolut sicher. Wer das nicht gewußt hat, muß doof gewesen sein.

Zum Doping im DDR-Sport. Ist ihr Wissen der Erkenntnisstand von heute, oder haben Sie es damals schon gewußt?
Es haben damals alle gewußt. Gerade in Jahren 1974 bis 1976 hatten sich die Leistungen der DDR-Schwimmerinnen so extrem verbessert. Und auch das äußere Erscheinungsbild der Mädchen war eindeutig. Unsere Vermutungen wurden bestätigt, als die ersten Mediziner rüberkamen und uns sagten: Klar, die bekommen eben das und das – in der und der Menge.“ (Seppelt/Schück, S. 284)

SEPP SCHÖNMETZLER

Sepp Schönmetzler, in den 1960er Jahren Eiskunstläufer für die BRD und in späteren Jahrzehnten Trainer und Sportjournalist, heute Sportwissenschaftler in Köln, meinte in dem Sportgespröch des Deutschlandfunks „Schatten auf dem Eis“ – Glanz und Elend des Eiskunstlaufs am 20.3.2011:

„Natürlich hat es im Eiskunstlauf, wie in allen anderen Höchstleistungssportarten Doping gegeben. Und ich bin überzeugt, dass das auch heute so ist. Die Frage ist halt immer, wie genau wird untersucht. … Es wird immer behauptet, dass beim Eiskunstlauf Doping nix bringt, weil es die Koordination stören würde wenn die Muskeln wachsen. Das ist natürlich dummes Zeug … Ich bin absolut sicher, dass im DDR-Eiskunstlauf gedopt wurde, weil, wir haben das beobachtet und wir haben bei manchen Läufern gesagt, der springt wie ein Känguruh. Wenn man das das ganze Leben lang beobachtet, dann kriegt man ein Gefühl dafür, was echt ist und was nicht echt ist. Und bei manchen Läufern gingen bei uns sämtliche Alarmlämpchen an. Gut, im Westen wurde sicher auch gedopt, aber jetzt im Eiskunstlauf, damals, da wurde gedopt auf völlig blödsinnige Art, da hat vielleicht der eine oder andere Beruhigungstabletten genommen und das hat ihm mehr geschadet als genutzt, weil das ganze Feuer weg war. Oder wir ham ein Glas Rotwein gekriegt halbvoll mit Dextropur und ein Eigelb obendrauf, weil das eine richtige Energiebombe war. Also das kann man nicht mit Doping vergleichen.“

PROF. DR. ALOIS MADER

1993 wird er deutlich und klagt er in der gemeinsamen Sitzung von Enquete-Kommission und Sportausschuss zum Thema ‚Sport in der DDR‘ die Heuchelei in den Verbänden an:

„… daß die politische Seite im Sport, die Funktionärsseite, soweit es sich um höhere Funktionäre handelte, überhaupt kein Interesse hatte zu erfahren, was sich im DDR-Leistungssport tut – aus persönlichen Vorsichtsgründen. Man hätte ja dann irgendwann in Zusammenhang gebracht werden können mit Kenntnissen, die sozusagen mit einer ethischen Grundhaltung. wie man sie im öffentlichen Leben verlangte, nicht vereinbar gewesen wäre. Aber ich glaube, daß sehr viele Leute hier bezüglich der DDR-Dopingproblematik Bescheid gewußt haben, die das nie zugeben würden.

Ich meine, daß es im internationalen Hochleistungssport eine doppelte Heuchelei gibt, die darin besteht, daß während der 10 oder 15 Jahre, in denen das DDR-System funktionierte, jeder augenzwinkernd gewußt hat, was sich abspielte, es jedoch hier in der Bundesrepublik nie auch nur im entferntesten zugegeben hat. Wenn man versuchte, darüber zu reden, dann war es ein Problem, als hätte man einen Haufen Unrat auf den Tisch gebracht, für den sich niemand interessierte, weil es politisch brisant war. Aus dieser Sachlage muß man auch Konsequenzen ziehen. Es geht nicht an, für das was sich da an Dopingpraktiken in der DDR entwickelt hat, ausschließlich die dort Betroffenen verantwortlich zu machen, sondern es hätte von anderer Seite, genauso wie in der Raketenrüsmng oder in anderen sensiblen Bereichen zwischenstaatlicher Beziehungen, Einfluß genommen werden müssen auf das DDR-System mit der Maßgabe, daß die Leute Bescheid wissen, aber, daß man das möglichst abstellen sollte. Vielleicht wäre es dann nicht so ausgeartet.“ (>>> Protokoll der öffentlichen Anhörung)

HELMUT DIGEL, DLV-PRÄSIDENT

„Es war doch so, dass ein ehemaliger DDR-Trainer bei der Einstellung unterschreiben musste, daß er nie unerlaubte Mittel weitergegeben oder angeordnet hat. Wollte er den Job haben, war er gezwungen zu lügen, und wir wussten das. Unter diesen Bedingungen war Aufklärung nicht mehr möglich.“ (DIE WOCHE, 8.7.1993)

MICHAEL MAURER, STUTTGRTER ZEITUNG:

Nach den Veröffentlichungen des Stern (Höppner-Unterlagen) wird der Journalist deutlich:

„… Während die direkt Betroffenen, die Athleten, alles dementieren und mit Anwälten drohen, geben sich Daume und Co. entsetzt, verfallen in hektischen Aktionismus. Dabei können sie allenfalls darüber entsetzt sein, daß die Spitze dieses riesigen Eisbergs „Doping“ nun immer größer wird. Gewußt haben sie doch alle, was da unter einer glatten Oberfläche dümpelt. Allen gemeinsam ist deshalb die Hoffnung, daß möglichst bald möglichst viel Gras über die Sache wächst. Hat man nicht schon einen Fall Johnson überstanden? Hat man nicht die Vorwürfe, die bei der Untersuchung des Falls Johnson erhoben wurden, in Deutschland kalt lächelnd eingesteckt? Und was ist mit all den anderen Aussagen ehemaliger Sportler, Funktionäre oder Mediziner aus der DDR? Haben sie denn eine nachhaltige Erschütterung bewirken können? Nein. … Die große Gefahr lauert in dem Wunsch der Funktionäre aus den alten Bundesländern, vor allem eines übernehmen zu wollen: Erfolge, Titel, Medaillen. Dazu jene Kollegen, die für den Dopingmißbrauch in der DDR verantwortlich waren. Doch solch unerfreuliche Details haben im Vereinigungstaumel der vergangenen Monate eben keine Rolle gespielt.“ (Stuttgarter Zeitung, 30.11.1990)

PROF. DR. WERNER FRANKE

Werner Franke wurde in der öffentlichen Anhörung der gemeinsamen Sitzung der Enquete-Kommission und des Sportauschusses zum Thema ‚Sport in der DDR, 1993 gefragt, seit wann im Westen bekannt gewesen sei, dass in der DDR gedopt werde. Seine Antwort:

Praktisch von Anfang an. Es wurde nur immer vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Aber es gab auch immer einzelne Personen, die ausscherten. In Deutschland ist es rundum mit allen Details· bekannt spätestens seit der Veröffentlichung des einschlägigen Artikels meiner Frau in der „Zeit“ im Jahre 1969. Der wurde dann nachgedruckt und ausgewertet. z. B. in „Newsweek’·. Das ist im Prinzip alles lange bekannt. spätestens seit 1976/77. Es war auch diesem Sportausschuß so bekannt – bis in die Details – J977. Er hat sich eben, wie ich finde, damals mit den falschen Leuten verbunden. Leute, die man heute laut Gerichtsbeschluß offen und öffentlich „Doper und flächendeckende Doping-Rezepteure“ nennen darf. Das ist inzwischen ja anerkannt.“ (>>> Protokoll der Anhörung, S. 700)

ROLAND KROMER, LEICHTATHLETIKTRAINER, 1970-90er Jahre

Roland Kromer, Leichtathletiktrainer ab den 1970er Jahren, von 1980 bis 1994 Bundestrainer über 400 m Hürden Frauen, wurde nach der Veröffentlichung der Studie ‚Doping in Deutschland…‘ von der Ludwigsburger Kreiszeitung nach seinen eigene Erfahrungen gefragt. Zu seinem Wissen über das Doping in der DDR meinte er:

„„Ich hatte von Anfang an keine Berührungsängste mit den DDR-Trainern“, blickt Kromer zurück. Unter der Hand bekam er auch Einblick in deren staatlich verordnete Trainingspläne und er sah auch die verschieden farbigen Punkte an den einzelnen Tagen, die für die Einnahme bestimmter Pillen gesetzt waren. Einer der DDR-Trainer habe ihm einmal gesagt: „Bei euch wird auch gedopt, nur dilletantisch.“ (Ludw.KrZ, 14.8.2013)

>>> Spurensuche I: Was war in der BRD über das DDR-Doping bekannt?


Quellen:

Singler, A./Treutlein, G: Doping im Spitzensport,Sportwissenschaftliche Analysen, Auflage 2006
Berendonk, Brigitte: Doping, 1992
Hartmann, G.: Goldkinder, 1998
Gamper, M. (Hrsg.): Doping, 2000
Latzel, K.: Staatsdoping, 2009
Seppelt, H.-J./Schück. H: Anklage: Kinderdoping, 1999
Spitzer, G.: Doping in der DDR, 1998
Wiese, R.: Staatsgeheimnis Sport – Die Abschottung des Leistungssportsystems der DDR
Archive zahlreicher Medien (s. Text)

Monika