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Prof Helmut Digel: Laudatio zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Dr. Wolfgang SChäuble, 26.6.2009
Am 26. Juni 2009 würde Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Inneren, die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen verliehen. Die Laudatio hielt Prof. Dr. Helmut Digel, Direktor des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen.
Die Verleihung stieß auf viel Kritik, auch die Laudatio erntete viel Unverständnis.
Zitate aus der Laudatio:
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Die Entscheidung der Fakultät, Dr. Schäuble mit der Ehrendoktorwürde auszuzeichnen, beruht auf den zahlreichen Beiträgen, die Dr. Schäuble zu Fragen des Spitzen-sports, genaugenommen zu einer verantwortbaren Ethik des Spitzensports, zur Entwicklung der Sportwissenschaft, soweit dies für einen Bundesminister verfassungsrechtlich möglich ist, zu Fragen der Sportentwicklung und zur Rolle des Sports bei Fragen der Migration verfasst und publiziert hat. Dabei geht es nicht um eine Würdigung seiner Leistungen als Politiker und langjähriger Minister des Innern.
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Dr. Wolfgang Schäuble, den wir heute für seine besonderen sportpolitischen und sportwissenschaftspolitischen Leistungen ehren, hat Ziele und Inhalte vorgegeben, die der Bundesrepublik Deutschland ein Sportsystem ermöglicht haben, das in vieler Hinsicht auch als internationales Vorbild Anerkennung findet. Sein Engagement zu Gunsten des Sports zeichnet sich dabei durch eine besondere Authentizität aus.
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Aus der Sicht des organisierten Sports verdient dabei seine Rolle, die er im Vereinigungsprozess zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen DDR gespielt hat, besondere Beachtung. Dank seiner vermittelnden Politik war es möglich, die geradezu konträr ausgerichteten Sportsysteme beider Staaten an einen Tisch zu bringen, den Eintritt der früheren DDR-Sportorganisationen in die Sportorganisationen der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen und einen Weg zu finden, der die freiwilligen Vereinigung als organisatorische Grundlage des Sports in allen Bundesländern möglich machte. Er gab Maßstäbe vor, an denen sich der Vereinigungsprozess zu orientieren hatte, respektierte gleichzeitig aber die autonomen Ansprü-che, die die Sportorganisationen für sich artikulierten.
Bis heute ist er aber auch an einer konsequenten Aufarbeitung der historischen Entwicklung der konkurrierenden Sportsysteme interessiert. Für die Sportwissenschaft bedeutete dies eine besondere Bewährungsprobe. Dr. Schäuble hat dafür Sorge getragen, dass das zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministers gehörende Bundesinstitut für Sportwissenschaft die notwendigen Reformprozesse in die Wege leiten konnte, die angesichts der Entwicklung des Sports in Deutschland dringend geboten waren.
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In Kooperation mit den Organisationen des Sports ermöglichte er Studien zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Erst jüngst hat er gemeinsam mit dem DOSB eine Studie zur Aufarbeitung des Dopingbetruges in der früheren Bundesrepublik initiiert. (…) die Anti-Doping-Forschung wäre ohne seine Unterstützung nicht nur kaum möglich gewesen, sie hätte auch nicht jene Qualität erreichen können, die sie heute im internationalen Vergleich hat.
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Er sieht die Gefahren, die den Sport bedrängen und benennt sie auch, respektiert dabei jedoch immer das Gebot der Autonomie. Er sieht sich eher in der Rolle eines Beraters als dass er reglementierende Auflagen als sinnvoll erachten würde.
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In seinen sportbezogenen Publikationen geht es ihm darum, deutlich zu machen, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass der Sport seine Belange selbst regeln kann, aber sie auch selbst regeln muss und dann auch zu verantworten hat. Er möchte den Sport nicht aus seiner Verantwortung im Kampf gegen Doping, Leistungsmanipulation und Korruption entlassen. Aber auch das Anliegen des Sports, in das Grundgesetz aufgenommen zu werden, unterstützt er nicht. Was ihm nicht nur Freunde einbringt.
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Er sieht wohl, dass der Sport im Kampf gegen Doping überfordert ist. Mit einem „toten“ Gesetz, das ist seine Überzeugung, kann der Anti-Doping-Kampf nicht vorangebracht werden. Es gibt in Deutschland bereits zu viele Gesetze, deren Vollzug in Frage gestellt ist. Er setzt deshalb im Anti-Doping-Kampf eher auf eine Politik der kleinen Schritte. Er sieht das Sisyphus-Problem, sieht aber auch, dass nicht alles, was er diesbezüglich öffentlich geäußert, veranlasst und politisch zu verantworten hatte, angemessen oder gar erfolgreich gewesen ist. Aber er war auch bereit, auf der Grundlage neuer Erkenntnisse neue Positionen einzunehmen, auch wenn ihm dies die öffentliche Meinung als „Sündenfall“ vorhält. Auch Dr. Schäuble hat in den Siebziger Jahren, wie viele der Experten damals, das Dopingproblem unterschätzt. (…) Er weiß, dass das Doping-Problem zu komplex ist, als dass es im Anti-Doping-Kampf einen Königsweg geben könnte. Die Rolle des Staates kann immer nur unterstützend sein; denn jene, die vor allem auf die Hilfe des Staates setzen, leisten einer Verstaatlichung des Sports Vorschub, die es zu verhindern gilt.
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Auch in Deutschland gibt es Kritik an der besonderen Prioritätensetzung Dr. Schäubles. Er ist sich dessen bewusst, als öffentliche Person muss er dies akzeptieren. Umso bemerkenswerter ist es, wie konsequent Dr. Schäuble sich für den Sport insgesamt, insbesondere aber auch für den Hochleistungssport in Wort, Schrift und Tat einsetzt und wie couragiert er jenen begegnet, die den Spitzensport auszubeuten versuchen, die ihn mit Korruption und Betrug in seinem Fundament gefährden.
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