DLV Dopingvergangenheit
1993 Treutlein: Kontroverse über den Umgang mit der eigenen Dopingvergangenheit
Ende 1992 und Anfang 1993 sorgte das Thema der Trainerverträge und der Umgang mit der DDR-Doping- und Stasivergangenheit für große Unruhe im DLV. Ende Januar 1993 gab es dazu zwar einen zweiten runden Tisch (Efurt), doch er zeitigte wenige Ergebnisse, danach gingen die Auseinandersetzungen vehement weiter. Die Landesverbände waren untereinander zerstritten und im Präsidium gärte es heftig, insbesondere auch Präsident Helmut Meyer wurde von vielen Seiten aufgrund seiner zwiespältigen Haltung gegenüber Doping attackiert. (>>> Wendezeit 1993)
Ein Beispiel für das herrschende Klima und die tiefen Gräben in der deutschen Leichathletik Anfang 1993 ist die teilweise offen ausgetragene Kontroverse zwischen Prof. Gerhard Treutlein und dem DLV-Präsidium.
Im Januar 1993 griff Prof. Gerhard Treutlein, Pädagogische Hochschule Heidelberg und Disziplinchef Leichtathletik im ADH, bei den Deutschen Hochschulhallen-Leichtathletik-Meisterschaften in Kalbach/Frankfurt am 27.1.1993 das Thema auf und warnte vor der Vertuschungs- und Leistung-um-jeden-Preis-Mentalität innerhalb der Funktionärsriege im DLV. U.a. verteilte er neben einem von ihm verfassten Schreiben (ursprünglich für den Runden Tisch in Erfurt gedacht) das Kündigungsschreiben von 7 DLV-Cheftrainern aus dem Verein „Freunde der Leichtathletik“ sowie eine Stellungnahme der Läuferin Gabi Lesch-Sewing, welche von ihr in Erfurt vorgelegt worden war. Gabi Lesch-Sewing war Aktivensprecherin sowohl im DLV als auch im ADH und als scharfe Dopinggegnerin bekannt (Stellungnahme s. u.).
DER TEXT VON GERHARD TREUTLEIN:
„Die immer wieder aufgeführte und tatsächlich auch vorhandene Vorbildfunktion des Spitzensports für jugendliche Sportlerinnen und Sportler setzt vorbildliche Funktionäre und Trainer voraus. Die Glaubwürdigkeit des Spitzensports und seiner Repräsentanten ist weitgehend verloren gegangen. Es stinkt so sehr, daß man sich nicht wundern dürfte, wenn intelligente Jugendliche sich anderen, weniger von Doping bedrohten Sportarten zuwenden würden. Die Vorbildwirkung des Spitzensports wird zum größten Problem von Verbänden wie dem DLV: Entweder werden sie der Vorbildfunktion gerecht, mit vorbildlichen Funktionären, Trainern, Athletinnen und Athleten oder sie trocknen von selbst durch Nachwuchsmangel aus.
Sportpädagogen an Schulen und Hochschulen haben Brückenfunktion zwischen den Schülerinnen und Schülern bzw. Jugendlichen einerseits und dem Leistungs- und Spitzensport andererseits. Die Frage ist: Dürfen und können sie den Einstieg in den Leistungssport noch empfehlen?“
>>> 1993 Gerhard Treutlein zum Umgang des DLV mit der eigenen Dopingvergangenheit
>>> die Stellungnahme von Gabi Lesch-Sewing
„Glaubwürdige Dopingbekämpfung“ heißt für mich. endlich offen und ehrlich miteinander umzugehen und den Lügen und Taktieren ein Ende zu setzen.
Bis heute vermisse ich eine ehrliche, fachliche Analyse des tatsächlichen Wirkungsanteils von bislang üblichen und mittlerweile unstrittigen Dopingpraktiken.
Sollte der Anteil an früheren Erfolgen, insbesondere der DDR-Leichtathletik tatsächlich so gering wie offiziell immer behauptet gewesen sein, so fehlen bis heute spürbare, positive Impulse der vielgepriesenen, fachlichen Kompetenzen (Trainingswissenschaftlich, medizinisch sowie physiothearpeutisch) des ehemaligen DDR-Sportsystems.
Das Gegenteil ist eher der Fall! Die Betreuungssituation von Kaderathleten ist in vielen Bereichen spürbar schlechter geworden, trotz angeblicher Kompetenzzunahme!“
Die 7 Cheftrainer Wolfgang Bergmann, Lothar Hirsch, Wolfram Ruth, Wolfgang Thiele, Horst Blattgerste, Karl-Heinz Leverköhne, Paul Schmidt
verkündeten am 12.1.1993 ihren Austritt aus dem DLV-Förderverein „Freunde der Leichtathletik“. Die Trainer.
Sie hatten
wiederholte Berichterstattungen im Dezember-Heft 1992, u.a.
– Artikel über Herrn Dr. Schubert
– Zehnkampfartikel
– Artikel zur Junioren-Weltmeisterschaft Seoul
zum Anlass ihrer Kündigung genommen.
REAKTIONEN
Im DLV-Präsidium kam dieses Vorgehen schlecht an. Präsident Helmut Meyer sah sich in der Pflicht zu reagieren. In einem Schreiben den Generalsekretär des ADH Till Luft vom 17.2.1993 prangerte er das ’nicht sehr verbandsfreundliche‘ Verhalten der ‚betreffenden Personen‘ an und forderte eine offizielle Stellungnahe des ADH ein.
„Wir bedauern nicht den Inhalt dieser Schreiben insgesamt, sondern wo und durch wen eine offizielle Verteilung erfolgt sein soll. Die Deutschen Hochschulmeisterschaften sind in gewissem Sinne auch eine Gemeinschaftsveranstaltung von ADH und DLV: Die jahrelangen Bemühungen des ADH um Terminschutz beim DLV beweisen das deutlich. Der Einsatz eines Kampfgerichtes von Unterorganisationen des DLV belegt das noch klarer.
Wegen des Austrittschreibens unserer Cheftrainer hat es bereits Vorwürfe gegenüber demjenigen bei dem Verein Freunde der Leichtathletik gegeben, der diese Unterlagen in Erfurt offensichtlich an den Disziplinchef Leichtahletik weitergeleitet hat. Der Vorstand des Vereins Freunde der Leichtathletik überprüft die gesamte Angelegenheit. Das die Initiative bis zur Verteilung in Kalbach in jedem Fall beim Disziplinchef gelegen haben muß, verschärft den Affront gegen den DLV.“
Dieser Brief wurde an Treutlein weitergereicht, der ausführlich antwortete und dabei u.a. unter kommunikationstheoretischer Sicht sein Vorgehen erläuterte. Konkret gab er an:
„Ich weise jedenfalls deine Ansicht, die vier verteilten Papiere seien gegen den DLV gerichtet gewesen, entschieden zurück, im Gegenteil. Es bleibt dagegen nach wie vor zu überlegen, ob nicht manche Aktionen des Präsidiums (z.B. die undifferenzierte Verlängerung der Trainerverträge) gegen den DLV gerichtet und verbandsschädigend waren. Von daher kann das Öffentlichmachen von Statements auch kein Affront gegen den DLV sein, sondern ein Versuch, die notwendige Diskussion im DLV voranzutreiben.“
Meyer reagierte darauf mit Unverständnis, wodurch sich Treutlein erneut veranlasst sah, deutliche Kritik am Verband und an der Person des Präsidenten Meyer zu üben.
>>> 2. Schreiben an Helmut Meyer von Gerhard Treutlein, März 1993