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Offener Brief einiger Dopingopfer an Innenminister Wolfgang Schäuble, 12.8.2009
Im Vorfeld der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 in Berlin gehörte das Thema Doping zum festen Bestandteil der medialen Einstimmung. Doch nicht allein die neuesten Entwicklungen auf dem Dopingmittel-Markt und das Hinterfragen erstaunlicher Höchstleistungen (z. B. Usain Bolt) waren Thema sondern auch der Umgang mit der Vergangenheit gab zu ausgedehnten Diskussionen Anlass. Allerdings mit der ausgeprägten Tendenz weiter Teile der Politiker- und Funktionärsriege diese Vergangenheit endlich ruhen zu lassen.
Siehe hierzu >>> der Fall Goldmann
und verschiedene Erklärungen, Offene Briefe und eine DOH-Petition unter
>>> Diskussion Dopingaufarbeitung in Ost- und West-Deutschland
In einem Offenen Brief forderten neben anderen Andreas Krieger, Ute Krieger-Krause, Uwe Trömer, Bernd Richter, Yvonne Gebhardt, Gerd Jacobs, Karen König, Brigitte Michel, Bernd Michel, Dagmar Kersten, Marie-Katrin Kanitz und Ines Geipel Innenminister Wolfgang Schäuble und die Politik noch einmal zum Umdenken bzw. Umsteuern auf.
der Offene Brief im Wortlaut:
>>> der Offene Brief an Schäuble vom 12.8.2009.pdf
An Herrn Dr. Wolfgang Schäuble
Bundesinnenminister
Bundestagsbüro
Platz der Republik 1
1011 Berlin
Offener Brief an den Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble wenige Tage vor Eröffnung der 12. Leichtathletikweltmeisterschaften in Berlin
Berlin, den 12. August 2009
Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,
der Countdown für die Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Berlin läuft. Die Fans möchten sich auf einmalige Erlebnisse freuen, doch der Blick auf das Großereignis pendelt zwischen Misstrauen und Desinteresse. Wie nie zuvor steckt der Elitesport in der Krise. Beinah täglich laufen neue Dopingmeldungen über den Ticker. Längst ist man ihrer überdrüssig. Und auch Sie äußerten kürzlich in einem Interview: „Der Sport hat seine Unschuld verloren“.
Was aber wird aus der Faszination des Sports, was aus seiner integrativen und emotionalen Kraft, wenn echte Glaubwürdigkeit nicht mehr aufkommen will? Die traurige Pharma-Bilanz ist ein unleugbarer Beleg dafür, dass der Sport aus sich heraus nicht mehr in der Lage ist, sein Dilemma zu zügeln. Die Verbände zeigen sich zahnlos, der Deutsche Olympische Sportbund hält sich verschämt zurück. Doch wie soll es auch gehen, dass der in sich zerrissene deutsche Sport wieder zu sich findet, wenn er nicht bereit ist, seine historischen Hypotheken anzunehmen?
Insbesondere die leidige Debatte um die dopingbelasteten DDR-Trainer im Weltmeisterland der Aufarbeitung hat noch einmal auf den Punkt gebracht, was Sache ist: Die ostdeutsche Drogenmentalität ist ungebrochen, der angesagte Elitenwechsel ausgeblieben. Der Bund und die Verbände haben zugelassen, dass belastetes Personal nach dem Ende der juristischen Aufarbeitung des DDR-Dopings vielfach bleiben oder wieder in die Strukturen zurückrudern konnte. Legitimiert schien diese Praxis dadurch, weil bekanntermaßen auch im Westen die Dinge in Sachen Doping nicht gerade zum Besten bestellt sind. „Beim DDR-Staatsdoping reden wir von Dingen, die 20 Jahre zurückliegen“, sagten Sie, verehrter Dr. Schäuble. „Irgendwann muss der Blick auch mal nach vorn gehen.“ Wie aber kann der Blick nach vorn gelingen, wenn Sport und Politik die über viele Jahre geleistete Aufarbeitung ohne mit der Wimper zu zucken hintergehen? Warum musste das kriminelle Tun der DDR-Trainer, wie geschehen, derart banalisiert, die mittels Prozessen geklärten Straftatbestände um jeden Preis nivelliert und die Opfer in den vergangenen Wochen so lauthals diskreditiert werden? War das sorglose Ahnungslosigkeit oder nicht vielmehr perfide Strategie?
Und wohin richtet sich eigentlich der Blick, wenn wir im Sport nach vorn schauen? Auf Geref, Synacthen, Hematide, Aicar? Auf neueste Substanzen, die zwar schon erhältlich, aber wie immer noch ohne Test sind? Athleten bekommen in naher Zukunft ihre Gene behandelt, wie sie an anderen Tagen zum Zahnarzt gehen oder ihr Knie operieren lassen. Sie werden in einem fort siegen und Rekorde zu Pulver machen. Manchmal werden sie ihre Leistungen drosseln, damit das Lügen nicht noch offensichtlicher wird. In all dem werden fließende Übergänge sein. Die Athleten werden all das nicht so genau wissen. Sie haben ja ihre Vertrauenspersonen, ihre Trainer.
„So ist der Mensch eben. Seit Adam und Eva wird betrogen. Freiheit beruht auf dem Akzeptieren, dass Menschen unvollkommen sind, dass sie versuchen, Grenzen zu überschreiten und auch mal Regel zu umgehen“, sagten Sie kürzlich. Es fehlt nicht an traurigen Bilanzen, auch nicht an Ränkespielen, wenn es etwa um arbeitsrechtliche Belange belasteter Trainer geht. Wir fordern Sie noch einmal mit allem Nachdruck auf, Ihre Entscheidung in dieser Causa zurückzunehmen! Das ist ein Irrweg. Doch der kranke Sport braucht mehr noch als diese Revision. Er braucht wirkliche politische Verantwortung, mit einer klaren Haltung und mit Konsequenz. Bitte handeln Sie! Jetzt!
Mit freundlichen Grüßen
Eine Gruppe von DDR-Dopingopfern, darunter Andreas Krieger, Ute Krieger-Krause, Uwe Trömer, Bernd Richter, Yvonne Gebhardt, Gerd Jacobs, Karen König, Brigitte Michel, Bernd Michel, Dagmar Kersten, Marie-Katrin Kanitz, Ines Geipel