DLV Dopingvergangenheit
1993 DLV-Presseerklärung zur Spiegel-Berichterstattung über die Anstellung von DLVTrainern
Die Debatte im deutschen Sport um die Anstellung ehemaliger DDR-Trainer führte nach der Wende zu heftiger Kritik in der Presse und zu Auseinandersetzungen in Verbänden, insbesondere dem Deutschen Schwimm- und dem Deutschen Leichtathletikverband. (Siehe z. B. unter doping-archiv.de: Wendezeit IV, 1993)
Nachdem im April 1993 der Spiegel seinen Artikel Schlimme Finger veröffentlicht hatte, sah sich der DLV gezwungen eine Antwort zu formulieren und seine Haltung öffentlich zu rechtfertigen.
Folgende Presseerklärung, verfasst von Helmut Digel und Rüdiger Nickel, wurde am 3. März 1993 weiter gegeben:
PRESSEERKLÄRUNG ZUR SPIEGELBERICHTERStATTUNG ÜBER DIE ANSTELLUNG VON DLV_TRAINERN
1. Die Integration des Sports der ehemaligen DDR in den der Bundesrepublik bedarf gezielter Unterstützungsmaßnahmen. Dazu gehört auch, daß vorhandene Fachkompetenz, die im Bereich des Trainings der Leichtathletik in der ehemali gen DDR ohne Zweifel anzutreffen war, genutzt und einbezogen wird. Gleichzeitig müssen alle menschenverachtenden Methoden, die in diesem Bereich ebenfalls Anwendung fanden, entschieden ausgegrenzt werden. Zu denken ist deshalb auch an all diejenigen Fachleute der Leichtathletik, die sich nicht uneingeschränkt in das System des DDR-Sports einbinden ließen, aber auch an diejenigen, die nun ihre kritische Einstellung hierzu gefunden haben, nachdem sie zuvor in dieses System einbezogen waren. Deshalb ist es zu begrüßen, daß der Bundesminister des Innern zweckgebundene Mittel zur Verfügung gestellt hat, um 22 Trainer aus der ehemaligen DDR eine Anstellung zu ermöglichen.
2. Aufgrund der Vorgaben der Reiter- bzw. der Richthofen-Kommission war es für den DLV naheliegend, die Einstellung der Trainer an eine Überprüfung zu binden. Diese erfolgte in den Jahren 1991/1992 sowohl über eine eigene juristische Kommission als auch über die Richthofen-Kommission, der letztmals am 9. 2. 1993 zusammenfassend berichtet wurde. Dabei wurden die derzeit wieder zur Diskussion gestellten Trainer mit dem Ergebnis überprüft, daß keine Einwände gegen eine Einstellung vorgelegt wurden. Alle verfügbaren und justitiablen Vorlagen konnten dabei berücksichtigt werden. Dieser Sachverhalt hat nun zur Weiterbeschäftigung der 22 Trainer geführt.
3. Damit ist eine, insbesondere auch arbeitsrechtlich gefestigte Situation begründet worden, die das neu zu wählende Präsidium zu respektieren hat, um Wege zu eröffnen, daß die Trainer in einer sachlichen Atmosphäre ihre eigentlichen Aufgaben erledigen können. Dazu gehört, daß ein neues Präsidium die DLV-Trainer vor lediglich pauschalen Unterstellungen und nicht justitiablen Vorwürfen schützen muß. Sobald jedoch weitere juristisch verwertbare Vorwürfe, bezogen auf Einzelpositionen, erhoben werden, muß das neue Präsidium diesem mit aller Sachlichkeit nachgehen und dem betroffenen Trainer die Möglichkeit zur Klärung der Vorwürfe gewähren.
4. Nicht nur im Interesse der gesamten deutschen Leichtathletik, sondern vor allem auch im Interesse der DLV-Trainer selbst, der ehrenamtlichen Funktionäre und des DLV-Präsidiums sollte auf dem bevorstehenden Verbandstag in Duisburg vereinbart werden, daß sämtliche leitenden Angestellten des DLV, einschließlich aller DLV-Bundestrainer in Ost und West, aber auch alle ehrenamtlichen Mitglieder des Verbandsrates, also Präsidium und Landesverbands Vorsitzende, sich- soweit dies nicht bereits geschehen ist – einer Selbstüberprüfung durch die „Gauck-„Behörde“ stellen bzw. diese beschleunigt wird. Belastete Mitarbeiter sollten keinesfalls eine Möglichkeit zur weiteren Mitarbeit im DLV haben. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, daß zukünftig die Arbeit im Verband ohne gegenseitige juristische und moralische Zweifel im Interesse der Leichtathletik erledigt werden kann.
5. Der gemeinsame Kampf gegen Doping und jede Leistungsmanipulation ist das zentrale Gebot für die deutsche Leichtathletik. Der DLV muß dabei durch glaubwürdiges Handeln und durch Offensivität, nicht durch Reaktionen überzeugen. Dazu gehört vor allem, daß die Trainer und Athleten sich einer saubere Leichtathletik verpflichtet haben und daß jene mit konsequenter Bestrafung zu rechnen haben, die dagegen verstoßen. Dabei kann es keinen Unterschied zwischen Ost und West geben. Die heute zur Diskussion gestellten Trainer der ehemaligen DDR dürfen deshalb auch nicht anders behandelt werden als alle übrigen Trainer der Leichtathletik.
6. Das neu zu wählende Präsidium wird vor allem auch all denjenigen fachkompetenten Leichtathletik-Mitarbeitern die Hand zu reichen haben, die aufgrund einer demokratischen und humanen Grundeinstellung Nachteile in der ehemaligen DDR zu erleiden hatten. Dazu gehört auch, zugunsten des prestigeträchtigen Medaillenspiegels vernachlässigte Strukturen im Breiten- und Nachwuchssport gleichwertig neben den Wertkampf- und Leistungssport zu fördern.
7. Für das neu zu wählende Präsidium des DLV muß es eine dringende Aufgaben sein, im Interesse einer nach wie vor notwendigen Integration viele Brücken zwischen der Leichtathletik in den neuen und in den alten Ländern zu bauen, aber auch Brücken zu solchen abzureißen, die nicht bereit sind, sich für eine saubere Leichtathletik einzusetzen. Der Mitgliederschwund auf dem Gebiet der Leichtathletik in den neuen Ländern muß gestoppt, neue Mitglieder müssen gewonnen werden, vor allem im Nachwuchsbereich. An dessen Stelle muß ein gezieltes Programm zum Neuaufbau der Leichtathletik treten. Es gibt genügend Mitarbeiter in den neuen Ländern, die dazu bereit sind und das notwendige Vertrauen genießen. Solidarische Hilfe ist aber genauso notwendig. Ebenso wichtig ist aber auch gegenseitiges Vertrauen und eine neue Offenheit im Umgang miteinander. Selbstherrliche Gerechtigkeit ist dabei gewiß nicht angebracht. Pauschale Verdächtigungen ohne Sachkenntnis beeinträchtigen lediglich die dringend erforderliche Konzentration auf wichtige Aufbau- und Vertrauensbildungsaufgaben und helfen in der Praxis nicht weiter. Der DLV benötigt hierzu auch die faire Unterstützung der Medien. Nur dann kann es gelingen, die Leichtathletik im Interesse der Athleten so weiterzuentwickeln, daß sie auch zukünftig eine interessierte Öffentlichkeit findet.