DLV Dopingvergangeneheit
Ralf Reichenbach, Kugelstoßen
Kugelstoßer Ralf Reichenbach, LG Süd Berlin und OSC Berlin, gehörte in den 1970er Jahren zu den erfolgreichsten westdeutschen Kugelstoßern. Der zweite Platz bei den Europameisterschaften 1974 mit Deutschen Rekord war sein größter Erfolg. Im Februar 1998 starb Ralf Reichenbach am plötzlichen Herztod. Dass dieser auf sein jahrelanges Doping mit Anabolika in Verbindung steht, gilt als wahrscheinlich.
Im März 1977, nachdem die Doping-Geständnisse verschiedener Athleten wie Manfred Ommer und Walter Schmidt für Wirbel sorgten, reihte sich auch Ralf Reichenbach ein und bekannte, sich gedopt zu haben. Allerdings beschränkte er seinen Griff nach der Pille auf das Jahr 1972. Seine später erzielten Rekordleistungen mit Würfen über 20 Meter seien sauber erreicht worden. Scharf widersprach er damit Dr. Alois Mader, der öffentlich erklärt hatte „alle Kugelstoßleistungen über 19m seien Anabolika-Leistungen.“ Den für die Leistungserbringung wichtigen Kraftzuwachs würde er sich mit großen Mengen Eiweiß ‚anfuttern‘ – eine Tortur für ihn. Da wären Anabolika durchaus die angenehmere Alternative.
„Die Anabolika-Droge, glaubt Reichenbach, bringe mehr Humanität in den inhumanen Leistungssport. Denn sie gestattet dem Athleten Verzicht auf kolossale Körpermaße (jedenfalls beim männlichen Athleten, von dem hier die Rede ist), Verzicht auf magen-, darm- und kreislaufbeschwerende Freßkuren, Reduzierung seines Trainings, im Fall von Reichenbach um 30 % von 6 auf 4 Stunden.“ Auf die Frage, ob er wieder nach Anabolika greifen werde, antwortete er nicht.(FAZ, 26.3.1977)
Der DLV beantragte daraufhin beim zuständigen Landesverband die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen Reichenbach. (SZ, 10.8.1077). Eine Sanktion ist nicht bekannt.
die Zeit, 1.5.1987:
„Er [Prof. Manfred Donike] vermutet hinter den Anabolika Erfolgen häufig auch die psychosomatische Kraft des Placebo Effekts „Das einzig bisher wirklich Nachgewiesene ist die positive Stickstoffbilanz“, sagt Donike. Darüber hinaus aber sei das Wirken der Anabolika im Körper und dasjenige ihrer Stoffwechselprodukte (Metaboliten) weitgehend ungeklärt „Ich weiß nicht, warum der Sportler behaupten kann, er stoße weiter mit dem Zeug. Auf zellulärer Ebene jedenfalls habe ich keine Ahnung, was genau passiert. Da muß ich passen.“
In späteren Jahren gab Ralf Reichenbach, mittlerweile in der Bodybuilder-Szene aktiv, öffentlich zu, 1977 gelogen zu haben. 1987 erklärte er gegenüber der Wochenzeitung die Zeit:
„„Allet, wat ick jetzt sage, is eijentlich vaboten „. … wenn ihn – „das war fast jedes Jahr im Frühling – Infektionen kurz vor den Meisterschaften zurückwarfen, schluckte er Muskeln auf- und Eiweiß einbauende Anabolika – „ein paar Wochen lang, niedrig dosiert. Wenn ich, wie andere, vierzig Tabletten am Tag genommen hätte, dann würde ich allerdings auch nicht darüber reden. Im Fall des Falles aber „bin ich auch jetzt noch dafür“. Gleichzeitig meinte er aber, dass die Leistung bei optimaler Ernährung und optimalem Training mit zusätzlichen Gaben von Anabolika nicht zu steigern sei. (die Zeit, 1.5.1987)
1988 im Stern und 1989 im ZDF-Sportstudio wurde er deutlicher und forderte von den Verbänden „mit der Heuchelei zum Thema Anabolika aufzuhören.“ Anabolika seien für den Spitzensportler unverzichtbar und unter ärztlicher Kontrolle auch unschädlich, die Nebenwirkungen seien so in den Griff zu bekommen. Unverzichtbar seien die Mittel vor allem aufgrund der hohen Qualifikationsnormen, international und national, die clean nicht zu erreichen seien. Doch wenn dann dann Athleten positiv seien, würden sie eben von denselben Leute aus dem Sport geworfen werden. Für Reichenbach sind Spitzenfunktionäre und Verbände die „wahren Verbrecher“. (Rhein-Neckar-Zeitung, 3.4.1989) Trainingskontrollen hält er für sinnlos, führten diese doch höchstens zu einem „raffinierteren Betrugssystem“. (SZ, 12.4.1989)
ERINNERUNGEN VON GERHARD STEINES
Gerhard Steines und Ralf Reichenbach waren in den 1970er Jahren die deutschen Hoffnungsträger im Kugelstoßen. Sie lernten sich 1971 kennen. Zwischen den beiden entwickelte sich sich eine lebenslange Freundschaft. Ab 2003 begann Steines, Sportredakteur einer mittelhessischen Zeitung, seine Erinnerungen in ausführlichen Texten auf der Internet-Seite seiner Zeitung zu veröffentlichen. Ralf Reichenbach spielt darin eine wesentliche Rolle.
>>> Gerhard Steines, Sport-Leben, Teil 1 – 4 – nicht mehr online
Im Folgenden fasse ich seinen Text zusammen und zitiere daraus.
Ralf Reichenbach, in Steines Erinnerungen Jan genannt, beendet seine Leichtahletik-Karriere mit 32 Jahren, nachdem die Leistungen nachgelassen hatten und sich gesundheitliche Probleme einstellten. „Am liebsten würde ich bis 50, 60 auf höchstem Niveau weitermachen und dann tot umfallen.“ Alt werden, krank werden, unbedeutend werden, das ist sein Alptraum.“
Doch was tun nach dem Sport? Was bleibt danach? Er findet sich kaum zurecht. Aktiv steigt er in das illegale Spieler-Milieu ein, organisiert Roulettespiele, sportliche Betätigung findet er im Squash. Er verdient gut. Seinem Wunsch auf hohem Niveau mit dem Sport weitermachen zu können, scheint er durch die Entdeckung des Bodybuildings näher gekommen zu sein. Er betreibt mittlerweile ein eigenes Fitnesstudio und arbeitet selbst zielstrebig auf eine Teilnahme bei den Wahlen zum ‚Mister Universum‘ hin.
„Nach monatelangem Muskelaufbautraining mehr als drei Zentner wiegen, danach mit fettloser Diät innerhalb von drei bis vier Wochen über 30 Kilogramm abnehmen, den Körper austrocknen, zur besseren >>Definition<< kommen – dem Zauberwort der Bodybuilder -, so dass alle Adern und Sehnen plastisch hervortreten. Am Tag X, dem imaginären Mister-Universum-Wahltag, führt Jan vor einem einzigen, für diesen Termin verpflichteten Fotografen sein Wettkampf-Programm vor. Auf diesen Bildern sieht er älter aus, als er werden wird. Noch zwei, drei Jahre, hofft er, und er wird die USA erobern – ein klein wenig wie Arnold Schwarzenegger. …
Während der Mastkur zum Muskelaufbau nimmt Jan immer höhere Anabolika-Dosierungen. Zuletzt schluckt und spritzt er eine im Vergleich zu seinen Kugelstoßerjahren mehr als hundertfache Jahresdosis, dazu kommen weitere gefährliche Mittel, die er mir genau beschreibt, was aber an meinen Ohren vorbeirauscht. Dutzende von Medikamenten, das eine hierfür, das andere dafür. Ein Mittel merke ich mir: Ein Hormonpräparat wird aus dem Urin von Frauen gewonnen, die das Klimakterium hinter sich haben. Weltweit größter Lieferant ist der Vatikan – dort leben die meisten Frauen im richtigen Alter an einem Ort. Dieses Mittel erlaubt es den Bodybuildern, die Pausen zwischen den Anabolika-Kuren zu verkürzen, ohne dass die Anabolika ihre Wirkung verlieren. Andere Medikamente, mit denen er nach ärztlicher Anleitung experimentiert, dienen dazu, den Körper in der Definitionsphase zusätzlich zu entwässern. Da diese künstliche Entwässerung bei gleichzeitiger Anabolika-Einnahme und härtestem Training riskant ist, dienen weitere Medikamente zur Vorbeugung gegen drohendes Nierenversagen, Leber- und Magenschäden. Als Jan auch noch ankündigt, Wachstumshormone nehmen zu wollen, warne ich ihn eindringlich. Er hat auf dem Schwarzmarkt Ampullen aus dem ehemaligen Ostblock erworben und in einer konspirativen Aktion nachts auf einem Autobahnparkplatz übernommen. Er verspricht, die Ampullen, die er zu Hause im Eisfach des Kühlschranks aufbewahrt, vorerst nicht zu benutzen, auch weil er fürchtet, dass sie gepanscht sind und lebensgefährlich sein könnten.“
Jan beginnt auch andere Bodybuilder mit den diversen Stoffen zu versorgen.
In den USA erkrankt er plötzlich an einer Myokarditis, einer durch Viren verursachten Herzmuskelentzündung, die er allerdings nicht ernst nimmt, nach wenigen Tagen setzt er sein Training fort. Bei der Wahl seiner Mittel für den Wunschkörper lässt er kaum etwas aus, selbst Fettabsaugen und Paraffinspritzen werden von ihm als unabdingbar angesehen.
Bald muss er erkennen, dass sein Herz irreparabel geschädigt ist. Die Notwendigkeit einer Transplantation zeichnet sich ab. Die Beschwerden zwingen ihn dazu, sein Intensivtraining aufzugeben. Leichtes Training über wenige Stunden ist erlaubt, wird aber nicht eingehalten.
„Als Jan erfährt, dass Spezialisten in Italien bei der Behandlung von Herzinsuffizienzen mit Wachstumshormonen experimentieren und vielversprechende Erfolge vorzuweisen hätten, bekniet er seine Berliner Ärzte, ihn mit diesen Hormonen zu behandeln, die im Leistungssport der 80er und 90er Jahre die Anabolika der früheren Jahre verdrängen oder zumindest ergänzen. Die Behandlung schlägt an. Jans dramatisch gesunkene Herzleistungswerte, die laut Schulmedizin auch bei bester Behandlung höchstens gehalten, keinesfalls aber gebessert werden könnten, steigern sich deutlich. Ich bleibe zwar skeptisch, aber biete Jan an, einen Artikel über diese mögliche Revolution in der Herzmedizin zu verfassen. Jan stimmt zu. Sein Arzt sei sogar bereit, mir ein Protokoll der Behandlung zu überlassen. Es kommt nicht mehr dazu. Später gibt sich keiner seiner Ärzte zu erkennen.“
Der schwer Herzkranke benutzt seine überschüssige Energie wieder für Glücksspiele, reüssiert und kann nicht davon lassen. Er reibt sich auf in einer leidenschaftlichen sexuellen Beziehung, in der er der Abhängige ist, begleitet von zahllosen unbedeutenden kleinen Affairen. Alles vor dem Hintergrund einer Ehe. Jan befindet sich in einer sich ständig schneller drehenden Spirale der Selbstzerstörung. Steines:
„Er weiß, dass ich ihn für einen Selbstmörder halte. Er bläst sein Leben auf wie einen Luftballon, jeden Tag ein bißchen praller. Ich weiß nicht, wann der Ballon platzen wird, aber er wird platzen. Jan nimmt dieses Bild auf, akzeptiert es, fast freudig.“
Valium und Alkohol sind Begleiter, die Wachstumshormone als Herzmedikament wurden ersetzt durch ein neues anderes aus den USA. Doch geholfen hat es nicht. Ralf Reichenbach starb am 12. 2. 1998 mit 47 Jahren. Er kannte das Risiko und steuerte bewusst auf das Ende zu.
Gerhard Steines:
„Ralf Reichenbach ist nicht an den Spätfolgen von Anabolika gestorben, sondern – wenn überhaupt – an Akutschäden. Nach dem Ende seiner Laufbahn als Kugelstoßer hat er Dinge gemacht, die eine Art Selbstmord mit Anlauf waren. Für ihn als Bodybuilder gab es keine Dopingregeln mehr, sondern höchstens noch Drogengesetze. Wenn er oben im Himmel sitzen sollte, wird er sogar sagen, „es war gut so, wie ich gelebt habe“. Er hat Dinge getan, vor denen ich ihn immer gewarnt habe. Er hat sich aber nicht warnen lassen. Das war ein großer Streit zwischen uns. Eigentlich unser einziger, denn wir waren die besten Freunde.“ ( mittelhessen.de, 10.1.2009)
Monika 2011