Doping DLV: Trainer Spilker und Kinzel – das Hammer-Modell

BRD / DDR – Vergangenheit

das ‚Hammer-Modell‘
– Trainer Heinz-Jochen Spilker und Hans-Jörg Kinzel

Daimler-Sprecher Matthias Kleinert, Sponsor:
„SPIEGEL: Seit März sind detaillierte und dokumentierte Dopingvorwürfe gegen deutsche Leichtathleten bekannt. Doch im August bei den Europameisterschaften in Split lud Mercedes das deutsche Team zur Party.
KLEINERT: Wir haben immer erklärt, gegen jede Manipulation zu sein. In einem Vertrag mit dem Leichtathletik-Verband steht wörtlich: „Leistungssteigerungen haben mit fairen Mitteln zu erfolgen, Doping ist unfair und schädlich.“ Für die Sauberkeit, das steht ebenso eindeutig fest, haben die Verbände zu sorgen. Wir können doch nicht eine Ermittlungsgruppe einsetzen.
SPIEGEL: Es hat sich aber gezeigt, daß die Funktionäre an Aufklärung kein großes Interesse haben.
KLEINERT: Wenn da nichts passiert, wird unsere Partnerschaft mit dem Verband beendet. Angesichts der jüngsten Vorwürfe müssen sogar ganz schnell Konsequenzen gezogen werden.
(…)
SPIEGEL: Bislang wurden aber alle Vorwürfe beharrlich ausgesessen.
KLEINERT: Sicher werden wir nicht, wenn einige wenige schwarze Schafe auffällig werden, unser gesamtes Verhältnis zum Sport beenden. Aber wir werden deutlich machen, daß bei uns die Jalousie runtergeht, wenn die Verbände nicht überzeugend Manipulationen ausschließen.“
(…)
(der Spiegel, 3.12.1990)

Heinz-Jochen Spilker war in den 1980er Jahre Cheftrainer des Vereins Eintracht Hamm. Später avancierte er zum Sprint-Bundestrainer der Frauen. Im Dezember 1990, als die internen und öffentlichen Auseinandersetzungen um das Doping in der DDR immer heftiger wurden, veröffentlichte der Spiegel einen Artikel, in dem ein umfassendes Dopingsystem um Trainer Silker offengelegt und damit der Blick auf vorhandenens Doping in Westdeutschland gelenkt wurde (der Spiegel, 3.12.1990: Extrem viel reingepumpt).

Mitte/Ende der 80er Jahre führte Heinz-Jochen Spilker als Cheftrainer des Vereins SC Eintracht Hamm junge Läuferinnen zu deutschen und internationalen Meistertiteln. Unterstützt wurde er von Trainer Hans-Jörg Kinzel, der 1983 mit seiner damaligen Ehefrau, der Sprinterin Gisela Kinzel nach Hamm wechselte.

Spilker war bekannt dafür, dass er seinen Athletinnen ausreichend Sponsoren beschaffen konnte, er erzeugte allerdings damit zusätzlichen Druck, denn finanziell unterstützt wurde nur der Erfolg. Anabolika boten sich dafür an:

„Weil die Hammer Dopingtruppe bei den Deutschen Meisterschaften 1986 „dick abgesahnt“ (Kinzel [Ehemann und persönlicher Trainer von Gisela Kinzel]) hatte und Gisela Kinzel bei den Europameisterschaften Staffel-Silber gewann, fiel der Lohn reichlich aus.

Adidas erhöhte auf 15 000 Mark, honorierte die Silbermedaille zusätzlich mit 15 000 Mark, der Verein zahlte monatlich 800 Mark, mit Startgeldern und Prämien verfügten die Kinzels nun über ein Monatseinkommen „zwischen 5000 und 6000 Mark cash“.

(…) „im März 1987 zog ihn der Frauen-Cheftrainer >>> Wolfgang Thiele auf der Terrasse am Swimming-pool des Touringclub Acoataeias ins Vertrauen: „Was macht ihr denn in Hamm?“ Bei einem doppelten Espresso und portugiesischem Brandy erzählte Kinzel („Ich fand es toll, den großen Thiele mit Du anreden zu dürfen“) bereitwillig, zumal er längst gemerkt hatte, daß unter Kollegen offen über die Dopingpraxis gesprochen wurde.“

DLV-Cheftrainer Thiele war kein unbeschriebens Blatt.

„Sogar vor dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages [1977] kamen die Anschuldigungen zur Sprache, doch Thiele konnte alle Vorwürfe mit Unterstützung der Verbandsfunktionäre des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aussitzen. Ganz offen konnte er bei wichtigen Wettkämpfen schon bald wieder nach sauberen Athletinnen fragen: „Ich brauch“ zwei zur Dopingkontrolle, kannst du gehen?“ (Anhörung Sportausschuss, 28.9.1977, 6/119)

Gegenüber Kinzel machte Thiele keinen Hehl daraus, selbst Dopingmittel an Sportler verabreicht zu haben. Auch gegenüber der DLV-Vizepräsidentin hatte Kinzel keine Zweifel, dass das Doping geduldet sei:

„Seine Frau hatte ihm berichtet, wie die Vizepräsidentin Ilse Bechthold bei einer Weihnachtsfeier im Frankfurter Ramada-Hotel auch künftig Erfolg angemahnt hatte: „Leistungen wollen wir doch alle bringen, und weil wir doch wissen, wie das geht, bitte ich um Verschwiegenheit.“

Spilker selbst begann mit seinen Ost- und West-Kontakten zu prahlen. Er habe erfahren wie Marita Koch von Wolgang Meier und Ben Johnson von Charly Francis fit gemacht wurde. Die Medikamente verschrieb Armin Klümper und ein Arzt in der Nähe, Fehlendes gab es in Fitnessstudios.

Als Spilkers Fehler erwies sich, die Deutsche Juniorenmeisterin Claudia Lepping anzuheuern. Die Leichtathletin ging an die Öffentlichkeit. Zudem wurde aus Kanada durch die Anhörung im Fall Johnson bekannt, dass Spilker sich mit Doping bestens auskannte.

Claudia Lepping im Tagesspiegel vom 19.7.2009:

„Dann die EM 1986 in Stuttgart: Der Cheftrainer eines westdeutschen Vereins, der mit einer Handvoll Läuferinnen den Frauensprint neu erfinden und mit den erfolgreichen DDR-Klubs mithalten wollte, sagte: „Wenn du zu uns wechselst, zeigen wir dir, warum die DDR-Mädels so schnell sind.“ Ich dachte an moderne Trainingsmethoden, verdrängte alle leisen Zweifel und fand nicht einmal etwas dabei, vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) während der EM fast täglich zur Dopingkontrolle geschickt zu werden: Die wussten, dass ich nichts nehme.

Der Vereinswechsel glich dem Zutritt ins Panoptikum. Während der Trainingslager deponierte meine Zimmernachbarin einen zweiten Kulturbeutel im Bad – übervoll mit Medikamenten. Ich notierte deren Namen und legte die Liste der Hausärztin meiner Eltern vor: Doping. Eine andere Kollegin sammelte die Packungen in einem umgedrehten Zylinder auf ihrem Kühlschrank. An Pinnwänden hingen Blanko-Rezepte, unterschrieben von Ärzten, die viel Geld verdienten am Erfolg ihrer sogenannten Patienten. Welche Anabolika sich die Mädchen aus der Apotheke holten und in welcher Dosierung sie diese schluckten, würde der Trainer entscheiden – je nach Trainings- und Wettkampfergebnis. Je mehr ich bei den Läuferinnen nachhakte, umso mehr Nebenwirkungen nannten sie. Zwei Sprinterinnen seien an Herz und Leber erkrankt; andere hätten verstörende Veränderungen der primären Geschlechtsteile.

Der Coach war zugleich Nationaltrainer des DLV. Von seiner Beurteilung hing auch ab, mit wie viel Geld der Verein die Sportler unterstützt; je nach Kaderzugehörigkeit erhielten sie Sporthilfe und Prämien der Ausrüsterfirmen.

Ohne Namen zu nennen, schrieb ich einen Brief an den DLV: Ob der Verband ahne, in welchem Umfang an der Basis gedopt werde? Ich erhielt einen Dreizeiler zurück: „Liebe Claudia, meines Erachtens liegt hier ein Missverständnis vor. Mit sportlichen Grüßen – der Leistungssportdirektor.“

Durch die Journalistenausbildung war bei einer Pressekonferenz Gelegenheit, DLV-Funktionäre zu fragen, warum sie sich nicht zum Handeln aufgefordert fühlten, obwohl sie von einer Athletin auf Missstände hingewiesen werden? Keine Antwort. Mein neuer Trainer wusste von meinem Nein zum Doping; die Fronten waren klar. Er selbst übte keinen Druck auf mich aus; der entstand durch Vereins- und Verbandsfunktionäre, die vieldeutig unkten, dass mir mein Verhalten sportlich und beruflich schaden würde. Ihr langer Arm reichte bis zum direkten Vorgesetzten, der mir riet, „gut zu überlegen, was du auspackst“. (Der Tagesspiegel, 19.07.2009)

Helga Arendt, Presseerklärung 5.12.1990:
Ich, Helga Arendt, schließemich der gestrigen Presseerklärung von Silke Knoll vollinhaltlich an. Im übrigen erkläre ich folgendes:
1. Die mir gemachter Vorwürfe werden mit Nachdruck zurückgewiesen. Sie sind unwahr. Ich habe nie unerlaubte Mittel eingenommen.
2. Als Endlaufteilnehmerin bei den Olympischen 5pielen 1988 in Seoul, als Hallenweltmeisterin 1989 in Budapest, Vizeeuropameisterin in der Halle 1988 in Budapest und mehrfache Deutsche Meisterin mußte ich zwangsläufig Doping-Kontrollen über mich ergehen lassen. Sie waren alle negativ.
3. Auch ich bin bereit einer offiziellen Kommission des DLV oder DSB Einsicht in die einschlägigen Unterlagen meiner Ärzte, Apotheker und Krankenkasse (KVB) zu gewähren und auf Anforderung diesen Personenkreis von der gesetzlichen Schweigepflicht zu entbinden.
4. Ich stand in der Vergangenheit und stehe auch in der Zukunft zu offiziellen, auch unangemeldeten Dopingkontrollen jederzeit zur Verfügung, und zwar sowohl im Wettkampf als auch im Training.
Mehr kann ich aus meiner Sicht nicht sagen. Sollten von anderer Seite andere Erkenntnismöglichkeiten an mich herangetragen werden, so werde ich auch diesen zur Verfügung stehen.

der Spiegel, 3.12.1990:

Spilkers „Bilanz liest sich wie eine Sammelliste von Invaliditätsanträgen. Gaby Bußmann leidet unter Herzrhythmusstörungen, deren Ursache nicht einmal im Hamburger Tropeninstitut diagnostiziert werden konnte. Helga Arendt beklagt eine geschädigte Leber und eine chronische Arthrose im Fuß. Andrea Hannemann, in die „extrem viel reingepumpt“ (Kinzel) wurde, um ein exzessives Trainingspensum absolvieren zu können, ruinierte sich ihre Achillessehne. Mechthild Kluth wurde immer langsamer und beendete entnervt ihre Karriere; Silke Knoll wechselte nach Dortmund. Gisela Kinzel, die einst aus Spaß am Laufen begann, hörte frustiert auf und will „vom Sport nichts mehr hören“.

Die Fälle Spilker und Kinzel kamen vor Gericht. Im Februar 1994 wurde Spilker zu 12 000 DM und Kinzel zu 750 DM wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verurteilt. Das Urteil ist >>> hier nachzulesen.

Ausführlich zitiert werden Zeugenaussagen aus dem Prozess in
Singler/Treutlein, Doping im Spitzensport, S. 257ff).
Sie lassen das Dopingsystem, dessen Hintergründe wie Motivationen, Abhängigkeiten, Duldungen und die konkrete Anwendungspraxis erkennen:

(Protokoll der Zeugenvernehmung Birgit Schümanns durch das Amtsgericht Königswinter am 12. Februar 1993 in der Strafsache gegen Jochen Spilker u.a., 2 f.):

„Unter dem Namen ‚Stromba‘ kann ich mir durchaus etwas vorstellen. Es handelt sich um ein Anabolikum. Der Name ‚Anavar‘ sagt mir nichts. …

Bei dem SC Eintracht Hamm war Herr Kinzel mein Trainer. Herr Spilker war Cheftrainer, er trainierte eigentlich nur mit Gabi Bussmann. Von November 1986 bis März 1987 habe ich zur Aushilfe in der Rechtsanwaltskanzlei von Herrn Spilker mitgearbeitet. Herr Spilker hat mich hin und wieder zum Essen eingeladen. Bei den Gesprächen wurde häufiger über Doping geredet, zunächst hat Herr Spilker mir aber keine Dopingmittel konkret angeboten. Im Laufe der Zeit sagte er, wenn man wolle, könne er etwas besorgen. Er stellte zunächst also nur die Möglichkeit dar. Ich hatte auch zunächst kein Interesse, ich wollte eigentlich nicht. Das Gespräch kam immer wieder auf Dopingmittel. Es fiel dann in eine Zeit, in der ich über meine sportlichen Leistungen frustriert war. Irgendwann nach der Hallensaison 1986/87 habe ich dann doch zugestimmt. Wegen Problemen mit einem Fuß hatte ich damals auch einen Trainingsrückstand“

(Protokoll der Zeugenvernehmung Hans-Jörg Kinzel bei der Staatsanwaltschaft Dortmund am 10.4.1991.):

„Ende Oktober 1984 kam Spilker zu meiner Frau und sagte ihr sinngemäß, es wäre doch auch mal ganz schön, zu gewinnen, er wisse, wie das gehe, es gebe Unterstützungsmöglichkeiten auf medikamentöser Basis. Meine Frau wollte darüber erst mit mir sprechen. Wir waren beide sowohl aus sportlichen als auch aus finanziellen Gründen heraus daran interessiert, daß sie schneller lief und wollten deshalb mehr Informationen. Ca. 1 Woche später kam meine Frau mit einem Zettel, den ich hier in Fotokopie als Anlage übergebe. … Angegeben ist darauf der Einnahmeplan für Stromba-Tabletten. In den ersten zwei Wochen sollte täglich 2, dann drei Wochen täglich 3, danach 1 Woche täglich zwei Tabletten zu je 5 mg eingenommen werden. … Meine Frau brachte auch gleich 2 Packungen Stromba mit 50 Tabletten mit, die sie nach ihren Angaben von Spilker bekommen hatte. Ich bin noch am selben Abend bei Spilker gewesen und habe ihm gesagt, daß die Tabletten nicht ausreichten.“

„Bis Ende 1987 gab es im Verein keine Probleme. Das änderte sich, als Spilker vermutete, daß der Bundestrainer Thiele über meine Frau und mich Einblicke in Trainingsmethoden aus unserem Verein und über unsere sonstige Arbeitsweise er¬halten konnte. Ich habe mich zu dieser Zeit, also 1987, auch an den Verein gewandt, weil ich mehr Geld verdienen wollte. Ich hatte bis dahin ein Einkommen von 800,–DM, angefangen hatte ich mit 500,–DM monatlich. Ich bekam daraufhin ein Schreiben, welches von dem 1. Vorsitzenden Magersuppe und von Spilker unterzeichnet war, in dem ich aufgefordert wurde, sämtlich Kontakte zu Thiele zu beenden. Auch wurde gesagt, daß ich den von Spilker abgesteckten Rahmenbedingungen im wesentlichen Folge zu leisten hatte. Als Entgelt sollte ich dann monatlich 2.500,–DM erhalten.“

Michael Vesper, DOSB:
„Ich rate dringend, sich von dopingbelasteten Leuten zu trennen. Wer wie im Falle von Herrn Spilker als Trainer Doping zugelassen oder gar gefördert hat, ist für Spitzenpositionen im Sport untragbar und darf auch niemals mehr die Obhut über Kinder und Jugendliche bekommen. Auch Herr Marciniak ist gut beraten, in seinem Landessportbund weiter aufzuräumen.“ Den Hinweis aus dem DOSB nimmt der Thüringer Gösel wie sein Kollege Marciniak nicht ernst: „Spilker ist seit 1990 bei uns in Thüringen und immer wieder im LSB gewählt worden. Es interessiert mich nicht, was ein Herr Vesper sagt.“
(FAZ, 13.12.2007)

Hans-Jörg Kinzel, 2011:
„„Ich bereue das, weil ich ohne diesen Bruch sicherlich einen erfolgreicheren Weg als Trainer hätte einschlagen können. Das Doping belastet meine Karriere auch heute noch.“
„„Ich habe mit jedem Athleten auch über das Risiko gesprochen. Das ist etwas anderes, als wenn man Athleten Mittel gibt und die nichts davon wissen. Auch das gab es meines Wissens im Westen.“
„Wer das nicht gemacht hat, hat sich gegen den Leistungssport entschieden. Wir hatten einen Auftrag. Um den zu erfüllen, war es gang und gäbe zu dopen.“
(Daniel Drepper, 3.12.2011)

Singler/Treutlein halten fest:

Beim Prozess vor dem Hammer Amtsgericht wurde dann im Februar 1994 durch die Aussage von Hans-Jörg Kinzel noch deutlicher, dass es in der Bundesrepublik in verwandten Arbeitsbereichen unter Trainern so etwas wie eine nationale Doping-Konkurrenzsituation, hier zwischen Staffel-Bundestrainer Thiele und Vereinscheftrainer Spilker, gegeben haben muss. Nicht drohende Entlarvung durch höhere Verbandstrainer war dabei die Ursache für Abschottung, sondern die Wahrung des auf eigene Initiative erarbeiteten Doping-Know-hows durch Jochen Spilker. Dieser dürfte sein Wissen um Anabolikadoping von Charlie Francis, dem Trainer Ben Johnsons, maßgeblich bezogen haben, während als Wolfgang Thieles Quelle von Zeitzeugen häufiger der DDR-Sprinttrainer Horst Hille benannt wird. Dopingsolidarität gab es also anscheinend über Grenzen hinweg, sogar über gesellschaftliche Systemgrenzen.“

Heinz-Jochen Spilker war seit 1991 Mitglied im Präsidium des LSB Thüringen und von 1997 bis 2012 dessen Vize-Präsident Recht.

Im Zuge der Diskussion um die Ergebnisse der Studie ‚Doping in Deutschland‘ geriet durch den offenen Umgang von Claudia Lepping mit ihren Erfahrungen, die sie zuvor auf dem Internationalen Symposium „Sportmedizin und Doping in Europa“ 2011 in Freiburg vorgetragen hatte, der Landesssportbund Thüringen mit seinem Rechtswart Spilker in die Kritik. Der LSB sah sich im Oktober 2011 zu einer öffentlichen Erklärung gezwungen, siehe unten auf dieser Seite.

Beim 8. Landessportbundtag 2012 trat Spilker nicht mehr für eine Vize-Präsidentschaft an.

Spilker hatte eine enge Verbindung zur Familie des Arztes Mark Schmidt, der die zentrale Rolle in der Affaire Operation Aderlass inne hatte. Ansgar Schmidt, Marks Vater,  gründete gemeinsam mit Heinz-Jochen Spilker in Erfurt die Anwaltskanzlei Spilker & Collegen.  Ansgar Schmidt war Vorstandsmitglied der Thüringer Sporthilfe, Rechtswart im Thüringer Skiverband sowie viele Jahre Vorsitzender des Schiedsgerichtes im LSB und hatte 2007 den Ehrenbrief des Freistaats Thüringen erhalten, der ihm Anfang 2021 aber wieder aberkannt wurde. Heinz-Jochen Spilker verstarb im Dezember 2022 (DLF, 20.12.2022)

Hans-Jörg Kinzel beendete vorerst seine Trainertätigkeit. Ab 2005 fand er als Leichtathletik-Kinder- und Jugendtrainer in Baden-Württemberg ein Betätigungsfeld (Daniel Drepper, 3.12.2011, tagblatt.de, 7.1.2012).

MÖGLICHE REKORDSTREICHUNG?

Grit Hartmann in der Berliner Zeitung, 2.9.2011: In der biografischen Falle

Nach anfänglichen Ausweichmanövern rang sich der DLV ein Bekenntnis zu seinem Präsidiumsbeschluss von 2000 ab, wonach gerichtsfeste Beweise zur Löschung von unsauberen Rekorden reichen. Seit Oktober prüft eine Kommission nun alle Bestmarken….

Am 20. Februar 1988 liefen vier Hammer Sprinterinnen das Staffelrennen ihres Lebens: Helga Arendt, Silke Knoll, Mechthild Kluth und Gisela Kinzel absolvierten in Dortmund die 4 x 200 Meter in 1:32,55; das war Hallenweltrekord. … 1994 verurteilte das Amtsgericht Hamm den früheren Cheftrainer des Vereins, Heinz-Jochen Spilker, und seinen Assistenten Jörg Kinzel wegen der Weitergabe von Anabolika. …

Kronzeuge Kinzel hatte das, was man heute wie damals im Westen „biografische Falle“ für Spitzenathleten nennt, ausführlich geschildert: Wie 1984 ein Formtief von Gisela Kinzel das erfolgsabhängige Familieneinkommen schmälerte, wie Spilker dann mit der „Möglichkeit einer medikamentös bedingten Leistungsverbesserung“ lockte, so dass man schließlich „nicht lange überlegte“. … Den Gerichtsakten liegt das Trainingstagebuch von Silke Knoll bei. Am 19. Januar 1988 malte sie das erste blaue Quadrat für die Einnahme einer Stromba-Pille. Trainer Spilkers Rezeptur: Schlucken bis etwa 18 Tage vor dem Wettkampf. Klarer kann die anabole Vorbereitung des Rekords am 20. Februar nicht dokumentiert sein. „Konspirative Absicherung“ kriminellen Tuns bescheinigte das Gericht Spilker, weil er später auch das nicht zugelassene Anabolikum Anavar vergab….

Die manipulierte Hammer Weltbestmarke wurde 2005 von einer russischen Staffel geknackt. In der deutschen Rekordliste steht sie noch immer. … Geht es nach Dietmar Ulrich, dem Vorsitzenden des SC Eintracht Hamm, bleibt es dabei nicht. Er wird dem Vereinsvorstand vorschlagen, die Streichung des Rekords zu beantragen: „Eine saubere Lösung, auch für unsere Glaubwürdigkeit.“ Womöglich, so hofft der Kommissar, zeigen dann andere Vereine ebenso Neigung, ihre Historie zu recherchieren. Der SC Motor Jena etwa, der nicht nur den Rekord, den Ines Geipel annullieren will, in Frage stellen müsste. Der Juristin Anne Jakob, der Anti-Doping-Beauftragten des DLV, die im Kommissionsauftrag die Akten sichtet, wäre ein derartiger Beistand willkommen: „Auch von Athleten, wenn sie das wollen.“ Bisher ist beim DLV keine Reaktion eingegangen.

OKTOBER 2011, ERKLÄRUNG DES LANDESSPORTBUNDES THÜRINGEN ZU HANS-JOCHEN SPILKER

Thüringer Allgemeine, 19.10.2011:

Die ungekürzte Erklärung des Landessportbundes Thüringen zu seinem Festhalten am Vize-Präsidenten:

Nach Bekanntwerden erster vorliegender Ergebnisse der Studie „Doping im Westen“ erschien in einigen Medien ein Interview mit der früheren Leichtathletin Claudia Lepping, das unter anderem Dopingvorwürfe gegen den früheren DLV-Trainer Heinz-Jochen Spilker beinhaltet. Die dabei getroffenen Aussagen kann der Landessportbund Thüringen e.V. (LSB) im Detail nicht bewerten.

ia Lepping fordert in ihrem Interview den LSB zu einer Erklärung über seine Zusammenarbeit mit Heinz-Jochen Spilker auf, der aufgrund seiner Rechtskenntnisse seit Gründung des LSB im September 1990 in verantwortlicher Funktion im LSB-Präsidium tätig ist. Dies unter anderem seit dem Jahr 2000 als Vizepräsident für Recht/Liegenschaften.

Trotz bereits vielfacher Darlegungen zu diesem Thema möchte der LSB nochmals seine Position bezüglich der Einbindung von Spilker in die Arbeit des LSB seit nunmehr 21 Jahren erklären.

Bereits im Dezember des Jahres 1990 erfuhren die Vertreter der Mitgliedsorganisationen des LSB von Dopingvorwürfen gegen Heinz-Jochen Spilker in seiner Funktion als Trainer in der ehemaligen BRD. In intensiven und offen geführten Gesprächen des Präsidiums mit Spilker, aber auch durch ihn mit den Mitgliedsorganisationen, stellte er sich kritischen Fragen und erklärte die Gründe für sein damaliges Tun, welches 1993 mit einem Gerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz mit einer Geldstrafe unterhalb der Vorstrafengrenze geahndet und abgeschlossen wurde.

Spilker ging dem LSB Thüringen gegenüber offen mit den Vorwürfen um und nahm eine sehr kritische Distanz zu seinem früheren Handeln ein. Dass ihm im November 1993, nur wenige Wochen nach Abschluss des Gerichtsverfahrens, durch die Delegierten des 2. Landessporttages und auch auf den folgenden fünf Landessporttagen mit deutlicher Mehrheit jeweils erneut das Vertrauen ausgesprochen wurde, hatte zwei wesentliche Gründe: Zum einen war dies der Anerkennung seines außerordentlich hohen ehrenamtlichen Engagements und den dabei erworbenen unbestreitbaren Verdiensten innerhalb des rechtlichen Neuaufbaus des organisierten Sports in Thüringen geschuldet. Zum anderen war für die Delegierten ausschlaggebend, dass Heinz-Jochen Spilker in seiner beruflichen Eigenschaft als Rechtsanwalt bei seiner rechtsberatenden Tätigkeit im Präsidium, z.B. im Bereich der Sportversicherung und der vollständigen Modernisierung der Landessportschule in Bad Blan- kenburg, keinerlei Bezüge zu leistungssportlichen Prozessen besaß. Diese gehören bis heute nicht zu seinem Aufgabenspektrum. Nachweislich unterstützt der LSB, und dies auch seit Gründung im Jahr 1990 in enger Partnerschaft mit dem für die Sportförderung zuständigen Landesministerium, alle Bemühungen und Aktivitäten zur Bekämpfung des Dopings im Sport. Dabei hat er wesentliche Beiträge für eine gezielte Präventionsarbeit, insbesondere bei jugendlichen Leistungssportlern, erbracht. Diese finden bundesweite Anerkennung. In die Erarbeitung brachte sich auch Spilker konzeptionell ein. Eine wissenschaftliche und umfassende Aufklärung von Dopingvergangenheiten in Ost- und Westdeutschland wird durch das Präsidium des Landessportbundes sehr begrüßt. Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass Doping im Leistungssport vor 1990 auch Teil eines Systemwettbewerbs war, welcher, wenn auch in zu differenzierendem Maße durch die Sportverbände beider deutsche Staaten getragen wurde.

Trainer der ehemaligen DDR erhielten nach 1990 neue Chancen, wenn sie sich zu einem manipulationsfreien Sport deutlich erklärten. Dies muss auch für einen früheren Trainer der alten Bundesrepublik gelten, der seit 1990 nicht mehr leistungssportlich tätig ist und seine Geldstrafe akzeptiert hat.

Weiter muss berücksichtigt werden, dass Spilker in seinen vielfältigen ehrenamtlichen Funktionen unbestritten enorm viel für die Entwicklung des Thüringer Vereins- und Verbandssports im Verlauf von mehr als 20 Jahren geleistet hat.

Ein offener Umgang mit Dopingvergehen in der Vergangenheit ist notwendig. Gleichzeitig muss es in unserem Gesellschaftssystem aber auch möglich sein, deutlich sichtbare Veränderungen im Denken und Handeln zu registrieren und anzuerkennen, zumal wenn es um ein ganz anderes berufliches Spektrum geht.

CLAUDIA LEPPING

Claudia Lepping stand Anfang Oktober dem Journalisten Stephan Klemm für ein Interview zur Verfügung, das mit unterschiedlichen Textstellen im Kölner Stadtanzeiger und in der Berliner Zeitung erschien.

Berliner Zeitung vom 08.10.2011; Stephan Klemm:
„Panoptikum des Grauens“ …

Ihre eigenen Erlebnisse wollen Sie nicht länger für sich behalten …

… der Anlass war ein Satz im Geständnis des Radprofis Erik Zabel: „Ich habe gedopt, weil es ging.“ Meine Botschaft ist: Es geht auch, Nein zu sagen. …

Der Hammer Sprint-Trainer Heinz-Jochen Spilker hat mich vor den 200-Meter-Läufen bei der EM 1986 in Stuttgart mit einem Satz gelockt: „Komm zu uns, dann zeigen wir dir mal, warum die DDR-Mädels so schnell sind.“ Ich habe das Angebot angenommen, denn ich dachte, er spricht von besonderen Trainingsmethoden. …

Viele Mädels, die Spilker in Hamm schnell gemacht hat, konnten deshalb mit der DDR-Combo mithalten, weil sie ebenso anabole Steroide schluckten wie die Kolleginnen im Osten. Es geht hier um zwei Mittel: Anavar und Stromba, das auch als Stanozolol bekannt ist. Das wiederum ist exakt das anabole Steroid, auf das Johnson 1988 in Seoul positiv getestet wurde. Spilker hatte viele Kontakte, unter anderem zu dem Zirkel um Ben Johnson und auch um den der DDR-Läuferin Marita Koch, die noch heute den Weltrekord über 400 Meter hält. Das war so eine Art West-Ost-Drehscheibe. …

Haben Ihre Kolleginnen Klümper regelmäßig in Freiburg aufgesucht?

Ja, klar. Das nannte sich dann Kreuzweg nach Freiburg, weil sie über drei Autobahnkreuze von Hamm nach Freiburg fahren mussten. Von diesem Kreuzweg kamen sie dann mit Medikamenten oder mit Blankorezepten ausgestattet zurück. Die haben sie in einer Apotheke eingelöst.…

Die Mädels haben mir erzählt, dass das Kontrollsystem gnädig war. Sie wurden von Spilker darüber informiert, wann die Kontrolleure kamen. Von der Ankündigung bis zum Erscheinen konnte man locker mal eine Woche überbrücken, so dass dann die abgesetzten Mittel nicht mehr nachweisbar waren. …

Kölner-Stadt-Anzeiger vom 08.10.2011; Stephan Klemm:
„Was pfeift die sich denn da rein?“

Frau Lepping, können Sie verstehen, warum das Ende September veröffentlichte Ergebnis des wissenschaftlichen Forschungsprojekts, mit dessen Hilfe die Dopingkultur in West-Deutschland aufgearbeitet wird, für derart großes Erstaunen gesorgt hat? Handelt es s ich dabei nicht um längst bekanntes Wissen?

Ja, denn dass auch im Westen Deutschlands massiv und beachtlich und flächendeckend gedopt wurde, kam schon mit der Aufarbeitung des Dopingsystems Deutschland-Ost zu Tage, also gleich nach der Wende. Spätestens seit 2000 liegen die Fakten auf dem Tisch ….

Was haben Sie selbst gesehen?

Ich war mit der Sprinterin Silke Knoll in einem Trainingslager in einem Zimmer. Sie nutzte einen zweiten Kulturbeutel, voll mit Medikamenten, und ich dachte: „Was pfeift die sich denn da rein?“ Ich habe mir die Namen der Medikamente notiert und die Liste einer Ärztin gezeigt. Sie sagte: „Da sind Doping-Mittel drunter.“ Mit furchtbaren Nebenwirkungen.

Haben Sie Veränderungen bei den Athletinnen festgestellt?

Bei drei Sprinterinnen war eine Vermännlichung unübersehbar. Ich habe die Mädels gefragt: Kennt ihr die Nebenwirkungen? Keine Antwort. Sie schotteten sich ab. Ich hatte an den Konsens geglaubt, dass Doping des Teufels ist. Der Leichtathletik- Verband reagierte übrigens nicht auf meinen Hinweis. Aber ich sah noch etwas: Blankorezepte. …

Der Heidelberger Professor Werner Franke stellte später Strafanzeige gegen Spilker, es kam zum Prozess, Spilker wurde 1994 vom Hammer Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verurteilt. Er musste 12 000 Mark zahlen. Okay. Ich rege mich aber enorm darüber auf, dass jemand mit dieser Vergangenheit im deutschen Sport noch so eine Nummer ist.

Welche Funktion hat er denn noch?

Er ist stellvertretender Vorsitzender des Landessportbundes Thüringen. Warum kann so jemand noch aktiv Einfluss nehmen auf den Sport? Der Landessportbund sollte sich erklären, warum er mit jemandem zusammen arbeitet, der diesen Doping-Hintergrund hat. Ich möchte von der thüringischen

Landesregierung wissen, warum sie den Eindruck in Kauf nimmt, der dadurch entsteht. Dass Politik und Sport so nachsichtig mit jemanden! umgehen, der vermännlichendes Doping an jungen Frauen vorgenommen hat. …

Sie wollen nun Ihre Erlebnisse an junge Sportler weitergeben. Was genau planen Sie?

Ich versuche junge Leute zwischen 15 bis 17 Jahren darauf vorzubereiten, dass da mal jemandkommen könnte und sagt: „Willst du besser werden? Ich kenne einen Arzt, der zieht das durch. Das machen doch alle.“ Ich will dabei helfen, nein zu sagen.

Wie soll das funktionieren ?

Doping-Trainer nutzenja die Unerfahrenheit junger Sportler aus. Mein Ziel ist eine Graswurzel-Kampagne von unten nach oben, in der Athleten sich zum Widerstand verbinden und Alarm schlagen können, wenn der Druck beginnt. …

Monika, 2011; Ergänzungen