Doping in der BRD – Anfänge und 1950er und 1960er Jahre:
– Doping in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
– die 1950er Jahre
– die 1960er Jahre
Doping in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Am 25. 10. 2010 wurde in Leipzig der erste Zwischenbericht des Forschungsprojektes „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ vorgestellt. Das Projekt wurde mit 500 000.- Euro durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft finanziert und ist bis zum Jahr 2012 angelegt. Beteiligt waren Forschergruppen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Prof. Michael Krüger) und der Humboldt Universität Berlin (Prof. Gieselher Spitzer).
Im folgenden Text versuche ich einige der in Zwischen- und Endberichten angesprochenen Fragen zu den Jahen 1950-1960 etwas näher darzustellen, binde jedoch auch andere Quellen und Informationen ein.
Anmerkung: Das Forschungsprojekt fand seinen vorläufigen Abschluss im August 2013 mit der Veröffentlichung der vorläufigen Abschlussberichte durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp):
>>> BISp „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“
Weitere Veröffentlichungen in Form von Aufsätzen und Büchern liegen vor.
Die Genese und Entwicklung des Projektes wird hier beschrieben:
>>> doping-archiv: BRD Doping-Aufarbeitung: Doping-Studie BRDhttps://www.doping-archiv.de/deutschland-doping-geschichten/doping-brd-nach-1990-wiedervereinigung-wendejahre-aufarbeitung/brd-doping-aufarbeitung-doping-studie-brd/
Erik Eggers weist 2010 daraufhin, dass eine sinnvolle Einschätzung der Dopingkultur nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Darstellung der ‚historischen Basis‘ wenig sinnvoll ist. Dazu gehört neben dem Diskurs darüber wie Doping zu definieren und zu beurteilen ist, welche Substanzen sich wie über welche Wege zu Dopingmitteln ausbildeten vor allem auch die Frage wie sich die Wissenschaft entwickelte, sich verhielt und welchen Einfluss sie über Forschung und Praxis ausübte.
In den 20er und 30er Jahren fanden bereits Experimente mir verschiedensten Substanzen und zu ihren Wirkungen auf die sportliche Leistung statt. Breit wurde über den Sinn des Einsatzes von Dopingmitteln diskutiert wobei die Meinungen weit auseinander gingen. Neben gesundheitlichen Fragen wurden auch sportethische Argumente formuliert. Wo lagen die Grenzen, wo die Verantwortung? Das individuelle Gewissen wurde zur letztendlichen Entscheidungsinstanz, schließlich gab es noch keine Kontrollen und festen Vorgaben. Doch auch zu der damaligen Zeit waren die Individuen eingebunden und agierten in Abhängigkeiten, waren Erwartungen, Gruppeninteressen und -druck ausgesetzt. John Hobermann meinte dazu,
„es wäre jedoch ein großer Fehler, diese individuellen Entscheidungen nicht im Zusammenhang der Sport-Subkultur dieser Zeit zu sehen. Damit ist eine Gemeinschaft von Athleten, Ärzten, Trainern, Bürokraten und den pharmazeutischen Firmen gemeint, die nahezu ein Jahrhundert lang im Hintergrund des Dopingproblems gelauert hatten. Die deutsche sportmedizinische Literatur der Periode zwischen den Kriegen macht klar daß die Dopingpraktiken dieser Zeit in ein Netzwerk von Beziehungen eingeflochten waren, die diese Interessengruppen miteinander verbanden.“
Hobermann beschreibt die Zwänge, denen insbesondere Sportärzte im Beziehungsgefüge zwischen Trainern, Sportlern und Funktionären und auch Industrie ausgesetzt waren. Schon damals verteilten z. B. Pharmaunternehmen kostenlose Produkte und machten Ärzte Werbung für Medikamente. Es hatten sich jedoch auch eine große Opposition gebildet, Mediziner, die sich deutlich gegen Doping aussprachen. Otto Riesser, Pharmakologe an der Universität Breslau, wird in diesem Zusammenhang gerne stellvertretend für die Gegner des Dopings genannt. Er gehörte Anfang der 30er Jahre zu den schärfsten und weitsichtigsten Kritikern medikamentöser Gaben. 1930 hielt er auf einer Fortbildungsveranstaltung des „Deutschen Ärztebundes zur Förderung der Leibesübungen“ in Berlin einen Vortrag mit dem Thema „Ist medikamentöse Beeinflussung im Sport möglich?“ Darin warnte er eindringlich vor dem Versuch mit Pharmaka eine
Leistungssteigerung im Sport herbeiführen zu wollen. Sie könne zwar kurzfristig und künstlich erzielt werden, doch angesichts der Tatsache, dass jeder medikamentöse Eingriff für den gesunden Organismus eine Störung bedeute, müsse man von einem Versuch dringend abraten. Vor allem auch in Hinblick auf die große Zahl von „Doping-Mitteln“, die auf den Markt seien …. Eine medikamentöse Beeinflussung der sportlichen Leistung könne nur bei Menschen mit Störungen der Leistungsfähigkeit in Frage kommen, für den gesunden und fairen Sportsmann hingegen muss das Training das einzige Mittel bleiben, um seine körperliche Leistungsfähigkeit zu heben.“ (Bebenek-Gerlich 2009)
Nach Eggers (2006) hatte der Forscher 1933 in einer Rede vor dem Deutschen Schwimmverband Klartext geredet und das gesamte System aus Athleten, Ärzten, Trainern, Sportverbänden und Industrie für die breite Verwendung der Dopingmittel verantwortlich gemacht.
Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zeitkomplex die Frage nach Wurzeln, die in der Nationalsozialistischen Ideologie und den Realitäten des Dritten Reiches liegen. Junge Nachkriegssportler waren hierin aufgewachsen und ein Reihe von Wissenschaftlern, Ärzten, Funktionären usw. hatten bereits in früheren Jahrzehnten ihren Beruf erfolgreich ausgeübt. Eggers erwähnt beispielhaft die Ärzte Prof. Frohwalt Heiss oder Prof. Herbert Reindell, deren Rollen in bezug auf die Dopingproblematik noch nicht vollständig geklärt seien. Beide gehörten zu den bekanntesten Sportmedizinern in den 30er und 40er Jahren und beide konnten an prominenter Stelle ihre Karriere nach dem Krieg fortsetzen, insbesondere Reindell gelang mit dem Aufbau des Freiburger Sportmedizinischen Instituts eine einflussreiche Institution. Grit Hartmann griff dieses Thema auf und weist in Verbindung mit Angelika Uhlmanns Dissertation über Kohlrausch und die Geschichte der deutschen Sportmedizin auf wesentlich umfassendere Beziehungen hin. (s.u. Grit Hartmann)
Die Vielschichtigkeit des Problems, die Einbindung in den Zeitgeist, spricht auch Eric Gremmelmaier in seinem Aufsatz Doping im Zeichen von Krieg und Swing an, in dem er auf die Verbindungen zwischen deutschen und Schweizer Wissenschaftlern und Ärzten und deren geistigem Gleichklang, deren ideologischem Hintergrund aufmerksam macht. In Zeiten des Nationalsozialismus waren demnach auch in der Schweiz rassenhygienische Argumente in den Dopingdiskurs mit eingeflossen. Dazu gehörte die Diffamierung USamerikanischer Lebensweisen und Kultur, wie sie im 3. Reich verbreitet war.
„Typisch für die damalige Sichtweise war, dass sich die Dopingexperten nicht für die Gebaren der vielfach als «Zirkusartisten» und «Sportkanonen» diffamierten professionellen Spitzensportler interessierten, sondern vor allem den Breitensport im Visier hatten. Nach 1943 wurde Doping auch in der Schweiz, wie zuvor in Deutschland, als Begleiterscheinung der sogenannten Swing-Mentalität angeprangert, die, von Amerika kommend, die Jugend angeblich willensschwach und selbstverliebt mache. Doping wurde zunehmend mit gesellschaftlichem Trittbrettfahren gleichgesetzt, das soldatische Tugenden wie Mut, Entschlossenheit und Opferbereitschaft unterlaufe.“
„So sah der [Schweizer] Sportmediziner Schönholzer das Problem weniger darin, dass einzelne Sportler mit Doping ihre Gesundheit ruinierten oder die sportliche Fairness sabotierten. Vielmehr bestand seiner Ansicht nach die Gefahr, dass sich dopende Sportler im Prozess der natürlichen Selektion künstliche Vorteile verschafften. Das führe zu «Über- und Unterwertigkeiten», die der Staat nicht wünschen könne. Auch nach Auffassung der ETKS hatte der «wahre Sportgedanke» die Funktion, der Nation einen «widerstandsfähigen, derben Nachwuchs» zu garantieren, der die «nötige Härte im Kampf um die Existenz» von Natur aus besitze und sie nicht mit chemischen Mitteln herbeizuführen brauche.“
(Gremmelmaier)
Hans Grebe:
„Überliefert ist ein Streit mit dem amerikanischen Kollegen Ernst Jokl. Nach einigen Todesfällen plädierte Jokl 1984 für ein Verbot des Boxens. „Der K.o.“, meinte er, „ist die einzige gesetzlich erlaubte Tötungsart“. Grebe hielt dagegen: Boxen sei von „hohem erzieherischem Wert“. Die Wege der beiden Mediziner hatten sich schon 1933 getrennt: Jokl war Jude. Er musste emigrieren, als Grebe seinen Aufstieg begann.“
(Grit Hartmann, 7.11.2010)
Diese Ablehnung des Dopings war laut Hobermann recht duchgängig. Allerdings stellt er auch fest, dass die ’sportmedizinischen und physiologischen Zeitschriften‘ zwischen den Kriegen zeigten, „daß der Einsatz von Pharmaka im deutschen Sport nun weitverbreitet und weitbekannt war.“ Das betraf in zunehmendem Maße die Stimulanzien aber auch viele andere Stoffe wie Phoshate (z.B. Tecresal). Hier werden bereits Argumente vorgebracht, die an die in späteren Jahrzehnten so gerne vorgebrachte Substitutionstheorie erinnern. Die Diskussion verlief sehr kontrovers mit häufig ablehnendem Tenor. Längerfristig betrachtet dürften aber Ärzte, die ihr Hauptaugenmerk auf die Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit gerichtet haben, auch wenn es nur wenige waren, einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung des Dopings im Sport gehabt haben, zumal dann, wenn sie fest in die ‚Subkultur des Sports‘ (Hobermann) eingebunden waren.
DER SIEGESZUG DES PERVITINS
Gérard Nicolet, französischer Sportarzt 2013:
Der Glaube an die Wirkung von Substanzen war und ist sehr stark. In den 60er Jahren z.B. dachte man, den Krieg gegen die Nazis dank der Amphetamine gewonnen zu haben, denn die alliierten Flieger konnten damit viel länger in ihren Flugzeugen bleiben als die anderen. Die Sportler vernahmen die Botschaft…
Als nun die Vorteile und auch die Einsatznotwendigkeit der Amphetamine für Soldaten erkannt waren, bot es sich geradezu an, sie auch im Sport einzusetzen. Pervitin wurde zum Erfolgsmittel,
„das 1938 von den Marburger Temmler-Werken entwickelt worden war und bis 1941, als es Reichsgesundheitsführer Conti unter das Opium-Gesetz stellte, rezeptfrei in Apotheken zu erhalten war. Die Stuka-Tabletten oder Hermann Göring-Pillen, wie sie der Volksmund nannte, wurden nach Kriegsbeginn von der deutschen Kriegsführung als Angsthemmer eingesetzt, und von Soldaten wie dem späteren Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll in hohen Dosen konsumiert. Auch die deutsche Sportwissenschaft experimentierte schon 1939 mit der Wunderdroge Pervitin.“ (TAZ, 28.12.2006)
Dirk Clasing erläuterte 1969 in Freiburg:
Schon 1939 überprüften Lehmann und Mitarbeiter die Wlrkung von 15 mg Pervitin per os bei Fahrradergometerarbeit an drei Probanden. …
Bei Dauerbelastungen bis zum Abbruch wurden unter Pervitinmedikation erheblich höhere Gesamtleistungen erzielt. Diese werden auf eine rein zentrale Erregung mit erhöhter lnanspruchnahme der Leistungsreserven des Körpers zurückgeführt, wofür auch die verlängerte Erholungszeit nach Pervitingaben spricht. Heyrodt und Weißenstein ließen 1940 einen trainierten Probanden sechs Wochen lang täglich bis zur Erschöpfung auf einem motorgetriebenen Laufband rennen. Gegenüber den Placeboversuchen kam es nach 15 mg Methamphetamin i. m. (insgesamt 9mal) zu einer erheblichen Leistungssteigerung, die jedoch mit nachträgllchen Allgemeinbeschwerden wie Brennen hinter dem Sternum, Leibweh, plötzlichem Schwindelgefühl, mangelnder Konzentrationsfähigkeit und Kopfschmerzen verbunden war. Ähnliche Laboruntersuchungen wurden in den folgenden Jahren von verschiedenen Autoren unter wechselnden Bedingungen durchgeführt. … Neben den Labortests überprüften Smith und Mitarbeiter die Wirkung von Amphetamin (14 mg/70 kg Körpergewicht) per os auf die Leistungsfähigkeit von trainierten Kugelstoßern, Läufern und untrainierten und trainierten Schwimmern bei Wettkämpfen in ihren Spezialdisziplinen. Unter dem Einfluß von Amphetamin kommt es in allen drei Disziplinen bei 75 % der Probanden zu einer statistisch gesicherten Leistungszunahme. … In den angeführten Untersuchungsreihen wurden die Substanzen in therapeutischen Dosen angewendet. Die von den Sportlern eingenommenen Dosen sind um ein vielfaches höher. Bei Radrennfahrern sind Gaben von mehr als 100 mg Amphetamin pro Tag nicht ungewöhnlich. In einem der beschriebenen Zwischenfälle hatte der Straßenfahrer 120 – 150 mg Dexamphetamin genommen.
Der Basler Mediziner Staub sprach offen die Vorteile des Pervitins für den Sport an und stellte sich gegen einige Kritiker.
„Demgegenüber vertrat Fischers Basler Berufskollege, der Pharmakologieprofessor Staub, in einem vor verschiedenen ranghohen Offizieren wie Oberfeldarzt Vollenweyder gehaltenen Referat die Meinung, der Sportler der Zukunft könne auf «diese traumhaft schönen Dopingsubstanzen» nicht mehr verzichten. Im Zentrum von Staubs Ausführungen stand zwar die – für ihn positive – Vision einer zweckmässig ernährten, bestens ausgebildeten, physisch und psychisch gedrillten Truppe, die bestens auf leistungssteigernde Stoffe anspricht. Aber Staub freute sich auch unumwunden auf «neue Weltbestleistungen Marke Benzedrin oder Pervitin».“ (NZZ, 16.4.2005)
Karl Ziegler, bekannter deutscher Radsport-Trainer, insbesondere von Rudi Altig, kannte diese Dopinggeschichte bestens. 1967 hält er in Bad Boll einen Vortrag, in dem er sie ebenso wie die aktuelle Dopingpraxis beschreibt, eine Dopingpraxis, die nicht auf Deutschland beschränkt war:
>>> doping-archiv.de: 1967 Karl Ziegler: Doping im Sport – Erfahrungen aus der Praxis
ÄRZTE MIT NATIONALSOZIALISTISCHER VERGANGENHEIT
Grit Hartmann geht in einem Beitrag für den Deutschlandfunk am 7.11.2010 näher auf die NS-Vergangenheit einiger Ärzte, die nach dem Zweiten Weltkrieg weiter Karriere machten, ein. Sie zitiert Angelika Uhlmann, die über den Chef der Sportmedizin an der Universität Freiburg Wolfgang Kohlrausch promovierte. Der Mediziner gilt als Begründer der deutschen Krankengymnastik und genießt als solcher heute noch hohe Wertschätzung. Er hatte sich im Laufe seiner Tätigkeit insbesondere auch mit der Erforschung der Leistungsgrenzen Jugendlicher befasst. Uhlmann:
„Für die Produktion von Spitzensportlern, für die Produktion von Volksgesundheit und für die Wehrhaftmachung der Jugend, das war ein ganz wichtiger Aspekt. Militär und Sport verschmolzen immer mehr miteinander. Zum Beispiel das militärische Gradestehen wurde als die beste Sportübung bezeichnet.“
Frohwalt Heiss, verantwortlicher Mediziner der Olympia-Expedition 1952, war ebenfalls eingebunden in das System. Er war erster Assistent Karl Gebhardt.
„Gebhardt selbst war einer der Ideengeber für die 1919 gegründete Deutsche Hochschule für Leibesübungen, der späteren Reichsakademie. Er leitete dort das Medizinische Institut, auch unter den Nationalsozialisten. Bei den Berliner Spielen 1936 war er Chefmediziner des Olympiateams. Wie wichtig die Nazis diese Betreuung nahmen, zeigt ein anderer Umstand: Gebhardt diente zugleich dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, als Leibarzt. Er steuerte Menschenversuche im Konzentrationslager Ravensbrück und wurde im Nürnberger Ärzteprozess zum Tode verurteilt.“
Heiss, habilitiert 1942, gehörte 1936 zu den Olympiaärzten und wurde der erste Vorsitzende des 1950 gegründeten Deutschen Sportärztebundes.
1957 übernahm Prof. Dr. Hans Grebe diesen Vorsitz.
„Mit dem späteren Auschwitz-Arzt Josef Mengele assistierte und promovierte Grebe in Frankfurt bei Otmar von Verschuer. Dessen Zwillingsforschung basierte dann auf den Versuchen von Mengele. Grebe brachte es 1944 zum Direktor des Instituts für Rassenhygiene und Erbbiologie in Rostock. Zwischen 1958 und 1976 beschäftigte ihn der Deutsche Box-Verband als Chefarzt.“
Herbert Reindell folgte 1963 und leitete den Deutschen Sportärzteverbandes zwanzig Jahre lang. Auch er hatte bereits (s.o.) während des NS-Regimes Karriere gemacht und dann nach dem Krieg Dopingforschung betrieben (s.u.).
Zu erwähnen ist zudem der Kölner Sportarzt Martin Brustmann, Chefarzt des Deutschen Ruderverbandes, der 1952 wegen Anabolikadopings einen Skandal verursachte und der Auslöser der ersten bundesdeutschen Antidoping-Erklärung der Sportärzte nach dem Krieg gewesen sein soll.
„Brustmann begann als Sportlehrer der Kaiserlichen Hoheiten des Hauses Hohenzollern und startete 1906 selbst als Sprinter bei den Spielen in Athen. Schon als Medizinstudent verabreichte er Athleten eine selbst kreierte angeblich leistungssteigernde Mixtur aus Schokolade, Salzen und Alkalien. Von ihm betreute Leichtathleten erzielten sechs Weltrekorde. 1912 war Brustmann Olympiaarzt, ebenso 1936, bei den Nazi-Spielen in Berlin. Dort vermaß das Medizinerteam auch die Athletenfüße. Wichtigste Fragestellung: „Ist die Form des Fußes rassisch bedingt?“ (dradio, 7.11.2010)
Anmerkung: Um diesem Komplex ‚Sportmedizin und Nationalsozialismus‘ scheint es noch einigen Aufklärungsbedarf zu geben. Wurde dem Sport, der sportlichen Betätigung im Nationalsozialismus doch Wert zuerkannt. Das betraf auch den Leistungssport. Recht deutlich wurde dies anlässlich der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die auch dazu dienten die Überlegenheit des ideologischen Systems, und damit der Rasse unter Beweis zu stellen. (s.a. Bernett, Der Leistungssport der Hitlerjugend) (Als Beispiel für Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung des Komplexes Sport und Nationalsozialismus kann die langjährige Diskussion um Carl Diem gelten. (Jungbauer 2004, Biografie und Reaktionen, TAZ 6.12.2010)
Dabei bleibt auch wenig erwähnt, wie ideologische Wertschätzungen und Ziele, die in der Sportmedizin und Sportwissenschaft über Jahrzehnte herangereift waren und im Nationalsozialismus ihre schrecklichste Anerkennung erfuhren, nach 1945 weiter wirkten.
Dopingpraxis / -diskussion/ -forschung 1950er Jahre
GEHEIME DOPINGFORSCHUNG IN FREIBURG?
Reinold, Becker, Nielsen, Universität Münster, 2012:
Schließlich setzte seit den 50er Jahren ein grundlegender Wandel in der sozialen Funktion der Medizin ein. Seit der Zwischenkriegszeit bestand ein großes wissenschaftliches, kommerzielles und praktisches Interesse an Aufputschmitteln, Hormonen, Vitaminen und anderen Nahrungsergänzungsmitteln. Eng im Zusammenhang damit steht das Aufkommen der Präventivmedizin (vgl. Crellin 2004, S. 55 ff.). Beide Entwicklungen ließen den Zugriff auf pharmakologische Produkte auch ohne direkte medizinische Indikation in der Gesellschaft allmählich normal werden2 (vgl. Waddington & Smith, 2009, S. 65). Dieser Prozess der Medikalisierung fand auch im Sport statt. Hinzu kam, dass mit der Sportmedizin eine wissenschaftliche Fachdisziplin allmählich zu einem integralen Bestandteil der Produktion sportlicher Spitzenleistungen wurde. Waddington und Smith (2009, S. 81) sprechen in diesem Zusammenhang von einer neuartigen Arzt-Sportler-Beziehung, durch welche der Sportmediziner neben dem Trainer zum wichtigsten Akteur im Umfeld des Athleten kulminierte. Durch die genannten Prozesse wurde die Grenze zwischen legitimen und illegitimen Formen der Leistungssteigerung zunehmend diffus. Angesichts der Verfügbarkeit und Anwendung einer wachsenden Zahl leistungssteigernder Pharmaka wurde innerhalb der Sportmedizin die Frage nach den Grenzen des Erlaubten zu einem diskutierten Thema, das man zunächst vergeblich durch die Formulierung einer Dopingdefinition zu lösen versuchte und dessen Lösung man dann in den 60er Jahren in der Formulierung einer Liste von verbotenen Substanzen suchte.
Der erwähnten festgestellten mehrheitlichen Ablehnung des Dopings zum Trotz begann nach dem zweiten Weltkrieg an einigen wissenschaftlichen Instituten die Suche nach Erkenntnissen über die Wirkungsweise von Medikamenten und sonstigen Substanzen erneut, die Forschung um und mit Amphetaminen wurde fortgesetzt. So erwähnte die Süddeutsche Zeitung eine Dissertation des Mediziners Heinz-Adolf Heper aus dem Jahr 1949 mit dem Titel „Leistungssteigerung durch chemische Hilfsmittel im Sport“. Heper, damals auch Fußballspieler des 1. SC Göttingen 05, wertete Versuche mit Pervitin aus, die er mit seinen Göttinger Mannschaftskollegen durchgeführt hatte (SZ, 6.10.2011). An welcher Universität diese Dissertation erstellt wurde, wird nicht genannt.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren es vor allem die Universitäten Köln und Freiburg, die sich auf dem Gebiet der Dopingforschung hervortaten, wobei vor allem Freiburg und einige ihrer Sportärzte über Jahrzehnte bis ins 20. Jahrhundert, einschlägige Berühmtheit erlangten. Entsprechende Untersuchungen laufen zur Zeit noch durch die >>> Große Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin.
Die Forscher des BISp-Projektes fanden an der Universität Köln eine Reihe unveröffentlichter Diplomarbeiten, die sich mit Doping befasst hatten. Nach Eggers (2006) wiesen viele frühe Diplomarbeiten an der sportärztlichen Abteilung der Sporthochschule Köln eine ‚gesperrt‘-Vermerk auf,
„waren mithin nicht für die Öffentlichkeit, respektive für den sportlichen Gegner bestimmt.“ „Beispielsweise werde in einer Diplomarbeit aus dem Jahr 1951 von Doping als einem „hart umkämpften Problem“ gesprochen. In einer anderen Diplomarbeit von Jürgen Bliesener, die sich speziell mit Doping im Radsport befasst, gaben die Radsportler schon wenige Jahre nach Ende des Zeiten Weltkrieges bereitwillige Auskunft über in ihrem Metier weit verbreitete Praktiken und den Grad der Verseuchung. Vor allem hinsichtlich des Einsatzes von Amphetaminen, also künstlich hergestellten Drogen mit stimulierender Wirkung.“ (Jürgen Bliesener, Zur Frage des Doping, 1958)
Erik Eggers (2010) erwähnt bezogen auf Köln eine Studie an Menschen , die sich mit der Wirkung von Koffein und Strychnin auseinandersetzte (Potthoff, F. et al. (1951)). Eine weitere, durchgeführt an 10 Personen, veröffentlicht 1951, hatte die Wirkung von Pervitin auf den Kreislauf zum Thema (Potthoff, F./Oleck, G.H. (1951)). Als Ergebnis wurde eine „Verlängerung der Arbeitsdauer um 35% sowie eine Erholung des Sauerstoffverbrauchs“ festgehalten, die Überwindung des ‚toten Punktes‘ sei damit leichter. Eggers (2010) hält fest, dass beide Autoren dieser Pervitin-Studie „der Schule des Direktors der Medizinischen Universitätsklinik Köln, Hugo Wilhelm Knipping“ zuzurechnen sind. Dieser ließ ab 1947 an der Sporthochschule umfangreiche Spiroergometrieversuche mit Sportstudenten durchführen. Inwieweit diese Verbindungen und Konstellationen Einfluss hatten auf den Dopingmissbrauch im Sport sei nach Eggers noch zu klären, er weist jedoch daraufhin, dass Knipping dem 1955 gegründeten „Kuratorium für Sportmedizinische Forschung“ vorstand.
„Dieses Gremium stand unter der Schirmherrschaft des Deutschen Sportbundes (DSB) und vergab seither Mittel des Bundesinnenministeriums für sportmedizinische Projekte. Es gilt daher als institutioneller Vorläufer des 1970 gegründeten Bundesinstituts für Sportwissenschaft.“
Erik Eggers: Oskar Wegeners Studie „Die Wirkung von Dopingmitteln…“
Neben den Kölner Forschungen hatte sich, wie bereits erwähnt, in Freiburg unter Professor Herbert Reindell ein Sportwissenschaftliches Zentrum entwickelt, dessen Forschungspraxis in Hinsicht auf die Dopingentwicklungen die Bedeutung Kölns übertraf. Die Autoren der Studie Doping in Deutschland der Humbold Universität sprechen sowohl in ihren Vorveröffentlichungen wie in ihrem Endbericht einer Studie (Dissertation der Medizin) von Oskar Wegener eine besondere Bedeutung zu. Sie wurde 1954 in Freiburg unter Prof. Reindell durchgeführt. Erik Eggers, einer der HU-Autoren, hatte bereits 2006 diese Arbeit von Oskar Wegener über den Einfluss von Pervitin, Coffein, Strychnin und Veriazol näher betrachtet und in den Medien vorgestellt. Die 2006 vorgenommenen Einschätzungen finden sich auch 2013 weitestgehend wieder.
„Interessanter noch [als Köln] scheinen die damaligen Aktivitäten an der Universität Freiburg. Dort wirkte Professor Herbert Reindell. Als Sportarzt arbeitete der Herzspezialist seit den späten 1930er Jahren zusammen mit dem berühmten Leichtathletik-Trainer Woldemar Gerschler, dem Leiter des Freiburger Institutes für Leibesübungen. Damals hatte Reindell bei dem legendären Jahrhundertläufer Rudolf Harbig, einem Schützling Gerschlers, Pulsschlagmessungen vorgenommen. Der Ruf des Sportwissenschaftlers war legendär. Einige Sportler nannten ihn einen weißen Zauberer. Und sogar britische Mittelstreckler wie Gordon Perry kamen nach Freiburg um Weltrekorde zu programmieren. (Sportgespräch ‚Hintergründe der deutschen Dopingdebatte der 1950er Jahre‘ vom 3.12.2006, Autor Erik Eggers.)
Oskar Wegener, ein junger Leistungssportler und Medizinstudent aus Gerschlers Trainingsgruppe erarbeitete zwischen 1952 und 1954 seine Dissertation an dem Institut Reindells mit dem Titel „Die Wirkung von Dopingmitteln auf den Kreislauf und die körperliche Leistung“.
Wegener erwähnt in seiner Dissertation „Die Wirkung von Dopingmitteln auf den Kreislauf und die körperliche Leistung“ in der Begründung für seine Forschung, dass der Wiener Olympiaarzt Dr. Ludwig Prokop sowie auch Trainer Gerschler über Beobachtungen während der Olympischen Spiele berichtet hatten, wonach Mannschaftsbetreuer ihren Sportlern vor den Wettkämpfen geheimnisvolle Mittel gegeben hätten. Ob sie wirkten, sei nicht feststellbar gewesen, möglicherweise könnten auch negative Reaktionen auftreten. Einem Leichtathleten sei nach der Einnahme während der Olympischen Spiele in London sehr schlecht geworden. 4 Jahre später, nach gründlicher körperlicher Vorbereitung, sei er dann Olympiasieger geworden.
Eggers zitiert aus Wegeners Dissertation über die Wirkung des Pervitin und schließt daraus, dass zwischen der Forschung und der geschilderten Leistungsexplosion des Leichtathleten eine Verbindung bestehen könnte. Eggers unterstellt deutlich Amphetamindoping.
„Der gedopte Leichtathlet, der 1952 in Helsinki Olympiasieger wurde, war Josy Barthel, der bis heute einzige Goldmedaillengewinner Luxemburgs bei Olympischen Spielen. Das berichtet der gut informierte Doktorant Wegener ein halbes Jahrhundert später. Damals sprach das deutsche Fachorgan Leichtathletik von einer Sensation im 1500m-Lauf, zumal französische Trainer dem Mittelstreckler zuvor jedes Talent abgesprochen hatten. In Deutschland war der Ärger darüber besonders groß, war der Luxemburger doch von Gerschler innerhalb kürzester Zeit in diese Leistung gebracht worden. Der Trainer galt hernach in Deutschland als Vaterlandsverräter, da Barthel auch den erklärten Favoriten, den deutschen Weltrekordinhaber Werner Lueg überspurtet hatte.“
Wegeners Dissertation dient Eggers als Erklärung für Leistungsexplosion des Luxemburger Athleten und für weitere Verdachtsmomente:
„Heute rund ein halbes Jahrhundert später liefert die Dopingdissertation eine schlüssige Erklärung für die unvermittelte Leistungsexplosion des luxemburgischen Sporthelden. Gleichzeitig nährt diese Verbindung zwischen Gerschler und Barthel einen Verdacht, dass auch die beiden Weltrekorde Rudolf Harbigs über 400 und 800m, die 1938 als Meilensteine der Leichtathletik gefeiert wurden, nicht allein mit Trainingsfleiß zu erklären sind, sondern dass das Trio Harbig/Gerschler/Reindell schon 1939 mit dem Mittel Pervitin experimentiert und so einen neuen Raketentreibstoff gefunden hatte.“ … (2006)
Nach Eggers könne Wegeners Forschung so durchaus als Bestätigung oder Fortführung bereits vorgenommener Dopingpraktiken gewertet werden.
Eggers behält diese Einschätzung auch 2010 und 2013 bei. Wegeners Arbeit bleibt für ihn ein ‚Schlüsseldokument der frühen bundesdeutschen Dopinggeschichte‘. Es zeige sich, dass die Freiburger Sportmedizin nach den Erkenntnissen Wegeners davon ausgehen musste, dass ohne Amphetamin-Doping in einigen Disziplinen keine vergleichbare Wettbewerbsfähigkeit gegeben war.* Daher und auch deshalb, weil Reindell diese Arbeit angeblich 5 Jahre lang komplett unter Verschluss hielt, scheine es gerechtfertigt, hier von ‚geheimer Dopingforschung‘ zu sprechen. Bei der Teilveröffentlichung 1959 wären zudem Ergebnisse nicht korrekt wiedergegeben und geschönt worden, wodurch der Leser den Eindruck einer ‚Ermutigung zur Dopinggabe‘ haben konnte. Woldemar Gerschler war von 1951 bis 1971 neben seiner Trainertätigkeit Professor und Leiter des Instituts für Leibesübungen an der Universität Freiburg.
* Anmerkung: In der Dissertation, die mir vorliegt, erwähnt Wegener nicht, welches Mittel er in dem beschriebenen Fall in Verdacht hatte.
Holger Schnell, 2013 – Wegener und Reindell; frühe Multimedikation
Holger J. Schnell geht in seinem Beitrag in G. Spitzer (Hrsg), ‚Doping in Deutschland: 1950-1972, 2013‘, in dem er die ethischen Aspekte des Dopings in diesen frühen bundesrepublikanischen Jahren betrachtet, detailliert auf die Untersuchungsreihen Wegeners und deren Bezug zu Reindells Forschungstätigkeit ein. Er argumentiert wie Eggers in die Richtung heimliche Dopingforschung mit möglicher Anwendung durch Reindell. Er äußert die Meinung, dass es Wegener klar gewesen sein musste, dass er mit Dopingmitteln an Sportlern experimentierte (von Koffein über Strychnin, Veriazol und Pervitin bis hin zu einem pervitinhaltigen Dopinggemisch). Dopingmittel waren nach damaliger Definition des Deutschen Sportärztebundes Medikamente, die mit der Absicht der Leistungssteigerung genommen wurden und daher im ‚Kontext von Sportwettkämpfen‘ nicht erlaubt.
Wegeners Forschung ginge nach dessen eigenen Angaben (war als Zeitzeuge befragt worden) direkt auf die Forschungen Reindells mit Radrennfahrern zurück und wären von diesem angeregt, thematisch vorgegeben und begleitet worden. Auch eine gemeinsame Veröffentlichung Klepzig/Reindell/Wegener aus dem Jahr 1959 liegt zum Thema Belastung des Herz-Kreislauf-Systems unter den genannten Dopingmitteln vor. Die festgestellten geringen schädlichen Auswirkungen könnten, so Schnell, „wie ein medizinischer Freibrief“ und als „Ermunterung zur Dopinggabe“ verstanden werden. Er spannt den Bogen zu Reindells medizinischer Praxis als Betreuer von Radrennfahrern in Freiburg,
„sei es auch nur, um geeignete Vorsichtsmaßnahmen gegen die unerwünschten „Nebenwirkungen“ der Dopingsubstanzen zu entwickeln“. Ob Reindell zudem ‚kontrolliert‘ dopte, sei zwar nicht eindeutig zu sagen, doch dass die Freiburger Sportmedizin der Forschung mit leistungssteigernden Substanzen einen wichtigen Stellenwert einräumte und in der Konsequenz von Reindells Forschungstätigkeit (delegiert an Wegener) zur Dopingforschung wurde.“ (S. 98/97)
Einen Zusammenhang zwischen dem Doping der Sportler und seinem Betreuungsumfeld erkennt Schnell noch aus einem weiteren Bericht aus den 50er Jahren. Dr. Bernhard Kwiet aus Berlin schilderte 1954 den Fall eines Radrennfahrers, der aufgrund seines Dopingmittelmixes kollabierte. Dieser Rennfahrer dopte sich mit Stimulanzien bereits vor den Rennen, nutzte ‚Aufbaukuren‘. Solche Kuren seien häufig von ‚geschäftstüchtigen Managern‘ angeordnet, so Kwiet. Entsprechende Aufbaukuren hatten auch die von Bliesener befragten Radsportler angegeben. (Anmerkung: zudem gab es im Radsport schon von von Beginn an europaweit Soigneure, Pfleger, die Fahrer mit den seltsamsten und oft geheimgehaltenen eigenen Mixturen aufbauten und unterstützten).
Kwiet akzeptiert als Arzt eine Unterstützung des Sportlers mittels ‚unschädlicher Maßnahmen‘. Ob damit auch solch ein Mix gemeint war, wie in der Diplomarbeit von Bliesener (s.o) beschrieben, wird nicht gesagt. Danach sollen bereits systematisch in
„allen Sparten des Berufsradsports während des Trainings“ intravenös oder intramuskulär Phoselit (0,06 g Na-a-oxy-benzylphoshinicum, 1-2 Ampullen täglich), kristallisiertes Vitamin B12 (1-3 Ampullen wöchentlich), Calcium Sandoz mit Vitamin C (1-2 Ampullen täglich) sowie eine Traubenzuckerlösung (z.B. „SCHI-WA“, 1-2 Ampullen 50%-iger Traubenzuckerlösung) zugeführt [worden sein].
Andreas Singler/Gerhard Treutlein: Wissenschaftliches Gutachten zu Herbert Reindell
Im Juli 2016 wurde als ein Ergebnis der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin das Gutachten zu Herbert Reindell, erstellt von Andreas Singler und Gerhard Treutlein veröffentlicht:
Herbert Reindell als Röntgenologe, Kardiologe und Sportmediziner: Wissenschaftliche Schwerpunkte, Engagement im Sport und Haltungen zum Dopingproblem
Darin nehmen die Autoren auch Stellung zu den o.g. Ausführungen über den Stellenwert der Wegener-Studie.
Sie kommen zu anderen Ergebnissen und Gewichtungen hinsichtlich der Relevanz für die Doping-Geschichte, siehe Gutachten S. 169 – 182.
Nach ihren Recherchen und Einordnung in den historischen Zusammenhang widersprechen Sie u.a. in folgenden Punkten:
– Zu Rudolf Harbig: „Diese Passage will eindeutig folgendes aussagen: Weil Rudolf Harbig von Herbert Reindell sportmedizinisch betreut worden sei – was so vermutlich noch nicht einmal stimmt – und von Woldemar Gerschler trainiert wurde, müssten seine sportlichen Leistungen, darunter zwei Weltrekorde, in Frage gestellt werden. Dieser Vorwurf ist aus Sicht der Verfasser dieses Gutachtens auf der Basis der genannten und der insgesamt vorliegenden Daten nicht begründbar.“
– Zum Vorwurf der Geheimforschung: „anders als von Eggers dargestellt gibt es Hinweise auf die Wegener-Arbeit nicht erst fünf Jahre nach der Abgabe der Dissertation (Klepzig, Wegener und Reindell 1959), sondern spätestens zwei Jahre danach (siehe Klepzig, Müller und Reindell 1956). … Der Stellenwert, den Dissertationen in der medizinwissenschaftlichen Diskussion einnehmen, ist zweifellos nicht vergleichbar mit anderen Fachgebieten, und nicht immer kann von dem in den Promotionsordnungen verlangten Fortschritt für die Wissenschaft bei Dissertationen in der Medizin tatsächlich auch die Rede sein. Eine Publikation von Dissertationen war zum damaligen Zeitpunkt über das verlangte Mindestmaß an abzugebenden Pflichtexemplaren der gebundenen Arbeit hinaus denn auch nicht nur nicht zwingend. Die damals geltende Promotionsordnung sah Publikationen von medizinischen Doktorarbeiten sogar allenfalls in Ausnahmefällen vor – die Publikation von Dissertationen war grundsätzlich also von Seiten der Medizinischen Fakultät überhaupt nicht erwünscht.“
– Zum Vorwurf der ‚Versteckten‘ Dissertaion: „Auch der Vorwurf, dass die Doktorarbeit von Reindell gewissermaßen versteckt worden sei, vermag nicht zu überzeugen. Es ist vor dem Hintergrund der damaligen Gepflogenheiten grundsätzlich ausreichend, wenn die Arbeiten in Bibliotheken verfügbar.“ … Sie war … zudem wie in der Promotionsordnung verlangt auch in der Deutschen Bücherei in Leipzig (Nationalbibliothek Leipzig), also in der DDR (!), für Interessierte einsehbar.“
– Zum Vorwurf schädliche Nebenwirkungen unterschlagen zu haben: „Des Weiteren kann nach Auffassung der Gutachter nicht behauptet werden, dass Klepzig, Wegener und Reindell (1959) schädliche Nebenwirkungen unterschlagen hätten, die von Wegener 1954 noch „befürchtet“ worden seien.“
– rechtliche Aspekte des Dopings: „er nahm auf Weisung von Herbert Reindell und unter Betreuung des Assistenzarztes Helmuth Klepzig Versuche vor, wie sie in der Geschichte der Arbeitsphysiologie zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast einem halben Jahrhundert üblich waren und wie sie heute in der internationalen Sportmedizin oder Sportphysiologie noch immer regelmäßig durchgeführt werden, auch im Sinne der Dopingbekämpfung. Für solche Versuche ist der Erwerb von Medikamenten, selbst wenn sie dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, zulässig.“ … „Wegener agierte, als Student wohlgemerkt, bei seinen Versuchen also nicht in ärztlicher, sondern in arbeitsphysiologischer Mission. Er bzw. der Initiator der Studie, Herbert Reindell, knüpften dabei an eine experimentelle Tradition an, die bis heute ungebrochen ist. … Diese Praxis könnte durchaus Anlass für kritische Diskussionen geben, denn die WADA pflegte dies noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts regelmäßig auch mit solchen Wissenschaftlern, die zugleich in die Praxis der Spitzensportbetreuung als Ärzte oder Leistungsdiagnostiker eingebunden waren, u.a. mit Freiburger Ärzten und Wissenschaftlern. Eine kritische Diskussion um die ethische Vertretbarkeit von Versuchen zur pharmakologischen Leistungssteigerung aber bei einem Medizinstudenten des fünften oder sechsten Semesters zu eröffnen, ist nach Auffassung der Gutachter nicht angebracht.“
– zum Dopingvorwurf gegenüber Josy Barthel: „Nicht nachvollziehbar ist für die Evaluierungskommission wie … zu Josy Barthel von einem Doping oder auch nur einem potentiellen Doping des luxemburgischen Olympiasiegers im Jahr 1952 [ausgegangen werden kann]. Wegeners Einleitung zu seiner Dissertation ist zwar zu entnehmen, dass der Läufer, bei dem es sich offenkundig um Barthel handelt, 1948 gedopt gewesen sein soll und dass er das Dopingmittel dabei so schlecht vertrug, dass er darüber beinahe in den Vorläufen ausgeschieden wäre. Die auf Woldemar Gerschler zurückgehende Darstellung ist jedoch ganz offensichtlich und eigentlich unmissverständlich dahingehend zu deuten, dass Barthel 1952 gerade nicht gedopt gewesen sein und dass er seinen Olympiasieg stattdessen einer gründlichen körperlichen Vorberetung (unter Gerschlers Anleitung) verdankt haben dürfte.“
„Anwendungsfreundliche Tendenzen, wie sie bei Joseph Keul über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg mehr oder weniger unverhohlen auszumachen waren, können bei Reindell, seinen Kollegen und Doktoranden zumindest in den 1950er und vermutlich auch in den 1960er Jahren noch nicht aufgezeigt werden. Inwieweit Joseph Keul bereits in den 1960er Jahren z.B. mit der Forschung zu Kortison zugleich eine Anwendung im Sport verbunden haben mag, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten.“
Exkurs 2013 : Monika, eigene Anmerkungen, offene Fragen
Wegeners Dissertation nimmt in dem ersten Band Doping in Deutschland, 1950-1972 sehr breiten Raum ein. Auch Co-Autorin Yasmin Wisniewska, die in ihrem Text die rechtlichen Aspekte des Dopings betrachtet, bezieht dessen Forschung neben Eggers und Schnell als Basis ein. Nach Wisniewskas Analysen waren Wegeners Forschungen nach staatlichem Recht illegal. Doping sei zwar nicht strafrechtlich verfolgt worden, doch das gesetzliche Instrumentarium hätte durchaus eine Strafverfolgung zugelassen.
In den Mittelpunkt der Berliner Texte, die sich mit den 1950er Jahren beschäftigen, rückte Prof. Herbert Reindell, Begründer der mittlerweile berühmt-berüchtigen Freiburger Sportmedizin. Reindells eigene jahrzehntelange Forschungen hatten schwerpunktmäßig die Funktionsweisen des Herzens, insbesondere des Sportlerherzens zum Thema. Neben seiner Tätigkeit an der Universität war er als Sportarzt aktiv und betreute insbesondere Radsportler. Von Radsportlern, Profis und Amateuren, war bekannt, dass eine breite Palette von Dopingmitteln zum Alltag gehörten.
Die Autoren der Studie stellen nun die Frage, ob Reindell, der bestens über die Dopingpraktiken Bescheid wusste, sein Wissen auch nutzte, Doping gezielt anzuwenden. Sie kommen zu dem Schluss, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall gewesen sein muss, auch wenn klare Beweise fehlen. Dies ist letztlich eine Kernaussage der vorliegenden Teilstudie 1.
Wegeners Dissertation dient für diese Behauptung als Untermauerung. So z. B. dadurch, dass sich sein Thema gut in den Gesamtkomplex von Reindells Forschung einpassen ließ, noch besser in dessen Betreueraktivitäten, zu erkennen auch daran, dass er das unter Radsportlern beliebte Substanzengemisch über Reindell zur Analyse bekommen habe. Wegener selbst machte aber in seiner Dissertation über die Herkunft des Fläschchens keine Angaben. Wichtig zur Untermauerung der These des aktiven Dopings durch Reindell ist den Autoren zudem die Tatsache, dass Wegeners Arbeit mit seinen ’spektakulären‘ Ergebnissen (Eggers) nicht sofort nach Beendigung veröffentlicht wurde sondern erst 4 Jahre später, wobei einige textliche Änderungen vorgenommen wurden, die nach Verharmlosung der Ergebnisse, der möglichen gesundheitlichen Gefahren, aussähen. Die Autoren sprechen daher in diesem Zusammenhang von einer geheimen Dopingforschung, die bereits für die 1950er Jahre systematisch gewesen sein soll (s.o.).
Die Studie selbst wirkt recht unauffällig. Sie würde heutigen Anforderungen an eine Dissertation der Medizin nicht genügen. Hier zeigt sich deutlich der Wandel der Zeit. Z. B. fehlt eine umfängliche Diskussion der Gründe, die zu der Arbeit Anlass gaben und nach heutigen Maßstäben unabdingbar wäre. Auch Fragen der Probantenauswahl und der Ethik spielen keine Rolle. Der Doktorant bezieht sich in seiner Einleitung auf Dopingvorfälle, die in der Presse und von Dr. Ludwig Prokop von den Olympischen Spielen berichtet worden waren. Versuchspersonen waren Sportkameraden aus Freiburg.
Die Studie erhält heute Brisanz durch die Einordnung der Forscher. Betrachtet unter den verschiedensten Aspekten böte sie nach deren Meinung beste Voraussetzungen für Reindells möglichen aktiven Dopinghintergrund. Es bleiben jedoch meiner Meinung nach einige Fragen offen bzw. unzureichend beantwortet.
Wie spektakulär waren die Ergebnisse wirklich?
Handelte es sich bei Wegeners Dissertation tatsächlich um geheime Dopingforschung?
Lässt sich aus der Aufgabenstellung durch Reindell begründen, dass Reindell aktiv gedopt hat und Wegeners Ergebnisse ihm dazu von Nutzen waren?
Lässt sich aus den Ergebnissen ein Freibrief zum Dopen ableiten?
Es lagen zu der damaligen Zeit schon einige Erkenntnisse zu der Wirkungsweise der untersuchten Substanzen vor. Insbesondere die Amphetamine hatten seit Langem das Forscherinteresse erregt (siehe auch die oben genannten Forschungen). Die Hinwendung der Mediziner, hier insbesondere der Sportmediziner zur Erforschung des Leistungsvermögens von Sportlern erregte jedoch in diesen Jahren international zunehmend das Interesse und damit auch der Wunsch nach mehr entsprechendem Wissen über die Wirkungsweise von Medikamenten und anderen Stoffen. Dabei wurde alles untersucht, was irgendwie im Laufe der Zeit zum Einsatz gekommen war und kommen könnte. Auch Ludwig Prokop, einer der schärfsten Kritiker der Dopingkultur führte eigene Forschungen durch. Dieses wachsende Interesse an dem sportlichen Leistungsvermögen nicht allein in der Sportmedizin, ließ auch eine Diskussion um das ‚Schneller, Höher, Weiter um jeden Preis‘ aufflammen. Doch eine klare Einordnung dessen, was unter Dopingmittel zu verstehen ist, gab es nicht. Vor allem gab es so gut wie keine Dopingsanktionen.
Siehe hierzu >>> Inhaltlicher Bericht der WWU Münster „Sport und Staat“
>>> doping-archiv.de: Reglements/Definitionen/Mittel 1950-1960er Jahre.
Holger Schnell legt unter ethischen Gesichtspunkten dar, dass die Verabreichung von Drogen, wie sie von Wegener in seiner Studie durchgeführt wurde, damals verwerflich war und Wisniewska beschreibt die Verabreichung von Drogen unter dem damaligen staatliche Recht als illegal, der Konsum selbst war allerdings wie heute nicht strafbar und der Erwerb für wissenschaftliche Zwecke war möglich.
Eggers spricht davon, dass die Ergebnisse der Dissertation als Freibrief zum Doping betrachtet werden könnten.
Doch kann man Wegener und Reindell aufgrund dessen unterstellen, bewusst unethisch, illegal oder gezielt zu Dopingzwecken geforscht zu haben? Kann man solche Vorwürfe nicht immer machen, sobald Forschungsergebnisse zu Dopingmitteln und -methoden veröffentlicht werden? Ließe sich z. B. Prokops Warnung von 1959 nicht ebenso interpretieren?
Die Forscher versäumten meiner Meinung nach des besseren Verständnisses wegen und in Anbetracht der Bedeutung, die sie Wegeners Arbeit beimessen, den damaligen Zeitgeist der 1950er Jahre genauer darzustellen, insbesondere die Forschungspraxis an den Universitäten und in dem vorliegenden Fall die Anforderungen, die an eine medizinische Dissertation, geschrieben von einem Studenten, gestellt wurden. Wie waren damals die Forschungsgepflogenheiten? Wie sah die damalige Promotionsordnung aus, mussten medizinische Dissertation veröffentlicht werden? Gab es ethische Grundlagen, die zu beachten waren, wurde solches diskutiert? Ab wann mussten Forschungsvorhaben auch unter ethischen Gesichtspunkten genehmigt werden? Welche anderen Forschungen fanden zur damaligen Zeit und später zu Themen statt, die unter Dopinggesichtspunkten betrachtet werden können? Z. B. führte Manfred Steinbach in den 1960er Jahren Anabolika-Studien an Jugendlichen durch, die er später selbst als ethisch fragwürdig betrachtete. Warum wird die Diskussion innerhalb der Sportärzteschaft, Wissenschaft zu inhaltlichen und ethischen Forschungsfragen nicht näher dargestellt, gibt es eine solche überhaupt? Dies wäre zur Einstufung wichtig.
Eine solche umfassendere Darstellung der damaligen Gegebenheiten wären meiner Meinung nach hilfreich für das Verständnis der Entwicklungen.
DOPING MIT ANABOLIKA IN DEUTSCHLAND SCHON IN DEN 1950er JAHREN?
Allgemein wird die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre hinein im Kontext der Dopinggeschichte als präanabole Phase bezeichnet.
Die ersten Forschungen mit den Geschlechtshormonen liegen sehr weit zurück, John Hobermann hat diese lange Geschichte interessant aufgearbeitet. Er betont allerdings, dass nach seinen Erkenntnissen Hormone, insbesondere Testosteron, entgegen vieler Gerüchte so gut wie nicht im nationalsozialistischen Sport Einzug gehalten hätten. Noch 1942 wäre Testosteron im Rahmen einer medizinischen Diskussion nicht in Zusammenhang mit dem Miltär und dem Sport erwähnt worden. (Hobermann, S. 250f) Eggers (2010) weist daraufhin, dass 1943 über solch eine Verbindung zu lesen war. Diese nach dem Krieg fortgesetzten Forschungen wurden wohl auch bald aus Kreisen der Sportwissenschaft mit Interesse verfolgt. Eggers nennt die Mediziner Max Hochrein und Irene Schleicher, die nach 1945 ihre in den 1940er Jahren erfolgten und veröffentlichten Forschungen in Leipzig fortsetzten und mit ihren Ergebnissen bestätigten, dass Hormone im Sport Sinn machen können:
„Bereits 1953 konnte in der dritten Auflage des Standardwerkes „Leistungssteigerung“ von Hochrein/Schleicher jeder Sportarzt lesen, dass „mit Nebennierenrindenpräparaten eine gewisse Dopingwirkung möglich ist“. Hormon-Präparate wie Testoviron, Testosteron, Testoglandol, Perandren hatten diese Autoren bereits während des Zweiten Weltkrieges im Zusammenhang mit Sport erwähnt.“ (Eggers (2010)) (>>> doping-archiv.de: 1943/1953 frühe Dopingmittel)
Andreas Singler konstatiert in seiner 2012 veröffentlichten Dissertation ‚Doping und Enhancement‘, in der er die Entwicklung des Dopingdiskurses in Deutschland analysiert in Bezug auf die Anwendung von Anabolika:
„Zurückgewiesen werden muss die in der Literatur zum Doping zumeist aufzufindende Annahme, dass anabole Steroide zunächst in den USA missbräuchlich im Sport angewendet wurden und dann erst nach Westeuropa gelangten (siehe etwa Hollmann und Hettinger 1990, 257). Nach John Zieglers glaubwürdig erscheinenden Angaben wurde in Russland mindestens seit 1954 mit Testosteron manipuliert. De Mondenard (1996, 57) datiert die ersten Anwendungen im russischen Gewichtheben bereits für 1952, dem Jahr der erstmaligen Teilnahme von Athletinnen und Athleten aus der Sowjetunion an Olympischen Spielen. Aber selbst die Annahme, dass Testosteron in den USA erstmals ab 1954 durch John Ziegler getestet und angewendet wurde, ist nicht bewiesen, denn Hoberman und Yesalis konstatieren: „„… schon in den vierziger Jahren sprach es sich unter Bodybuildern und Leistungssportlern herum, dass derartige synthetische Hormone den Aufbau der Muskulatur beschleunigen und ein intensiveres Training ermöglichen“ (Hoberman und Yesalis 1995, 87).“ (Singler, 2012, S. 44/45)
Die Rolle Zieglers an der kometenhaften Karriere des Testosterons ist aber belegt. John Ziegler arbeitete in den 1950er Jahren in Summit, USA, für das Unternehmen und stand in engem Kontakt zu Bodybuildern und Gewichthebern. Er soll bereits vor 1954 verschiedene Präparate von Ciba an Sportlern getestet haben. Als Mannschaftsarzt der US-Gewichtheber bei den Gewichtheber-Weltmeisterschaften 1954 erfuhr er, dass Testosteron im russischen Gewichtheben weit verbreitet war. 1956 konnte er sich besser über den Testosteronmissbrauch der Russen während der WM in Moskau informieren. 1954 begann er erste Versuche mit Dianabol mit Bodybuildern und Gewichthebern, auch an sich selbst. Messbare Erfolge stellten sich 1959 ein. Damit begann der Siegeszug von Dianabol. Sein Konsum war nicht mehr zu kontrollieren. Weil die Kenntnisse über die Anwendung von anabolen Produkten im Spitzensport noch in den Kinderschuhen steckten, funktionierten die ersten Etappen der Einführung nach dem Prinzip von trial and error. Der Siegeszug des Testosteronproduktes wurde offenbar von Ciba unterstützt, denn innerhalb kurzer Zeit stieg dessen Umsatz weltweit signifikant an. Bereits bekannte schwere Nebenwirkungen wurden bagatellisiert. (W.Aeschimann, 2016, Portrait John Ziegler)
Die Vermutung, dass in der jungen Republik schon sehr früh im Leistungsport mit Anabolika und Testosteron experimentiert wurde, wird gestützt durch die Affaire um den Sportarzt Dr. Brustmann 1952, der mit Testoviron bei den Ruderern gearbeitet hatte (der Spiegel, 16.7.1952: Dr. Brustmanns Kraftpillen). Diesem Fall zugrunde liegt nach Hobermann die Anwendung von Androstin durch die dänische Rudermannschaft 1951, die damit die Europameisterschaft gewonnen hatte (Münsteraner Studie, S. 54).
Im Rahmen des Forschungsprojektes ‚Doping in Deutschland‘ veröffentlichten Forscher der Universität Münster eine Zusammenstellung der medialen und sportpolitischen Reaktionen der damaligen Zeit auf den Fall Brustmann:
>> Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen – Die Brustmann-Affäre
Singler/Treutlein (Doping im Spitzensport, 2010, S. 183) zitieren einen Athleten, der darüber berichtete, wie ein Vorläufer des Medikaments Dianabol, das erst 1960 offiziell auf den Markt kam, von Athleten bereits Mitte der 1950er Jahre angewandt wurde. Erhalten hatten sie das Mittel in einem ’süddeutschen Sportzentrum‘. 1960 wurden auch erste Verdachtsmomente geäußert, die sich auf körperliche Veränderungen von Sportlern bezogen, die bei den Olympischen Spielen in Rom angetreten waren. Eggers schreibt dazu 2010:
„Der Bericht eines Zeitzeugen, er habe bereits 1956 in einem süddeutschen sportmedizinischen Zentrum Dianabol erhalten, erscheint vor diesem Hintergrund glaubwürdig. Fest steht, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit etwa 1956/57 mehrere Dianabol-Studien durchgeführt wurden, unter anderem im Stadtkrankenhaus Buxtehude. Dieses Präparat kann mithin schon in der Testphase in den Leistungssport gelangt sein, obwohl es offiziell erst 1960 auf dem deutschen Markt verkauft wurde.“
Dass Anabolika als Dopingmittel Ende der 1950er Jahre europaweit in sportmedizinischen Kreisen bekannt waren, zeigt eine Aussage von Tour de France-Arzt Robert Boncour. Bemerkenswert an diesem Zitat ist zudem die Meinung, dass mit den neuen Mitteln, insbesondere männlichen Hormonen und Corticoiden, eine größere Gefahr für die Gesundheit der Sportler verbunden sein werde als mit den bekannten Aufputschmitteln. Mit dieser Meinung steht er im Widerspruch zu führenden deutschen Experten wie Manfred Donike und Armin Klümper, die noch in den 70er Jahren die Gefährlichkeit der Amphetamine öffentlich wesentlich höher einschätzten.
„D’effroyables dangers menacent la vie du champion-cobaye transformé en champion-suicide. Notre inquiétude de médecins pénetrés de notre mission est immense. Car les conséquences des manoeuvres chiimiques auxquelles sont soumis les sportifs en mal de rendement sont parfaitement prévisibles. Les anciennes méthodes de doping déjà très nocives, utilisaient entre autres les amphétamines et apparentés ainsi que la strychnine; le danger était au coeur, au foie, au rein, aus système nerveux. Dysfonctions neurovégétatives, hypertension, insuffisance cardiaque, hépatique ou rénale parfois mortelles, pénalisaient les fins de carrière précoces des abonnés de ces méthodes. Les nouveaux produits issus de ces découvertes relativement récentes de la pharmacologie pathologique, utilisent des hormones et les corticoides. S’il est permis de déterminer une hiérarchie dans les risques que toutes ces méthodes comportent, et pour fixer les idées, ces dernières sont infiniment plus dangereuses. On peut affirmer que l’emploi irrationnel d’hormone mâle et de corticoides divers, et j’insiste, comporte un effroyable danger qui menace la vie même du coureur-cobaye dans un laps de temps impossible à déterminé.“ (Miroir des Sports, 25.7.1960 zitiert nach de Mondenard, Drogues et Dopages, 1987)
FRÜHE WESTDEUTSCHE DOPINGFÄLLE 1950er JAHRE
Gerhard Treutlein:
„Mitte der fünfziger Jahre wurde ein sehr talentierter Mittelstreckler aus Gaggenau angesprochen, er solle doch mal nach Freiburg kommen, sie hätten eine Pille, mit der er deutlich schneller werden könne. Seine Antwort: “Wieso Pille, ich bin doch nicht krank!”.
Genauere Daten über das Ausmaß des Dopings in den verschiedenen Sportarten liegen mir nicht vor. Es gibt jedoch Hinweise.
Radsport
Eine Diplomarbeit von Jürgen Bliesener aus dem Jahr 1958/1959 mit Interviews von Kölner Radprofis zeigt den alltäglichen Gebrauch verschiedenster Mittel wie Coramin, Cardiazol, Strychnin, Arsen, Sympatol, Ephedrin, Pervitin, Testosteron und möglicherweise auch Anabolika auf. Drogen wie Morphium und Kokain werden ebenfalls nicht ausgeschlossen. Bestätigt werden die Ergebnisse Blieseners durch den Berliner Arzt Kwiet 1955. Deutlich wird, dass diese Dopingkultur auch Amateure betraf und dem BDR nicht unbekannt war. (Mehr zu Doping und Radsport während dieser frühen Jahre findet sich >>> hier auf doping-archiv.de)
Alpinismus
Über den Einsatz von Metamphetaminen (Pervitin) im Hochalpinismus wurde nicht geschwiegen. Sie wurden offen von Karl Maria Herrligkoffer als notwendig für den Aufenthalt in extremen Höhen beschreiben.
Fußball
Bereits während der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern, die von der deutschen Nationalmannschaft gewonnen wurde (‚das Wunder von Bern‘) tauchten erste Dopinggerüchte auf. Noch immer sind die wahren Begebenheiten nicht geklärt, doch es spricht einiges dafür, dass während der WM im deutschen Lager mit Amphetaminen gearbeitet wurde. Internationale war diese Sportart nicht frei davon. (Hintergründe über Doping bei der WM 1954 oder nicht finden sich >>> hier auf doping-archiv.de). Amphetamine waren dem Fußball nicht fremd, so gab es bereits vor 1949 Versuche damit, in die Fußballer eingebunden waren.
weitere Sportarten
Eggers (2010) nennt noch einen Pervitin-Fall in der Leichtathletik 1951, den Skandal um die Ruderer mit Dr. Brustmann 1952 (s. o.) während der Deutschen Meisterschaften und das spätere Geständnis von Reiter Hans-Günther Winkler, der 1956 auf seiner Stute Halla mit Morphinunterstützung zur Schmerzbekämpfung die olympische Goldmedaille erringen konnte.
1961 ging aus einem Bericht des Europarats hervor, dass in einigen Ländern wie Italien, Frankreich, Spanien, Belgien und z. T. Großbritannien das Thema Doping bereits auf politischer Ebene diskutiert wurde. Anfang 1963 stellte der Europarat >>> Auszüge einer Studie vor, die Berichte der Jahre 1961/1962 von Mitgliedsnationen auswertete. Insbesondere >>> Italien und >>> Spanien hatten hierzu ausführliche Angaben zu nationalen Dopingproblemen abgegeben. Die Bundesrepublik Deutschland sah sich Anfang 1962 nicht sehr betroffen:
In the Fereal Republic of Germany, too, cases of „doping“ have occured but not on such a scale as to necessitate any official action by sports organisations.
Apart from the latter a number of sports doctors have studied the problem of the use of medicaments in this field. There are several works in German dealing with this question, for example those of Dr. Schönholzer (Switzerland). It would be possible in due course to draw up a list of the relevant scientific works‘ available in Germany.
Dr. Felician Prill
Permanent Representaive of the Feral Republicque of Germany to the Council of Europe
die 1960er Jahre
Den größten Raum in der heutigen Diskussion um frühes Doping in der BRD ab den 1960er Jahren nimmt die Frage nach dem Stellenwert der Anabolika ein. Diese Hormone setzten ihren in den 1950er Jahren begonnen Siegeszug in den 60ern rapide fort und beherrschten auch in den Folgejahrzehnten die politische und verbandsinterne Diskussion.
Damit ist die Dopingproblematik jedoch nur unzureichend beschrieben. Noch immer waren die Stimulanzien, insbesondere die Amphetamine, die in einigen Sportarten am häufigsten eingesetzten Mittel. Sie standen auf der Verbotsliste, wurden ab Mitte der 60er getestet und sanktioniert. Insbesondere aus dem Radsport war damals auch in der Öffentlichkeit bekannt, dass sie fast flächendeckend zum Einsatz kamen, aber sie waren auch im europäischen Fußball häufiger anzutreffen. Siehe >>> Karl Ziegler: Doping im Sport – Erfahrungen aus der Praxis
Zitat: 1964 ZEITUNG Nr. 18:
ZEITUNG hat den Leiter des Instituts für Leibesübungen an der Universität Freiburg, Direktor Waldemar [Woldemar] Gerschler, gefragt:
Ist Doping eine Gefahr?
GERSCHLER: „Nein, darin sehe ich keine Gefahr.“
ZEITUNG: „In Tokio sollen sehr viele Sportler gedopt gewesen sein. Wissen Sie etwas darüber ?“
GERSCHLER: „Nein, davon ist mir nichts bekannt. … Ich möchte doch sagen, daß das nur die Schwachen, schwache Naturen machen.“
ZEITUNG: „Sie halten Doping also nicht für eine weit verbreitete Erscheinung im Sport?“
GERSCHLER: „Nein, das kann man wirklich nicht sagen.“
Der Leiter des Institutes für Leibesübungen an der Universität in Wien, Professor Dr. Ludwig Prokop, ist Delegierter für Doping-Fragen beim Europarat in Straßburg. Und er war der Vorsitzende des Internationalen Kongresses gegen Doping in Tokio. Dieser Kongreß tagte während der Olympischen Spiele.
Professor Prokop : „Ich weiß, daß mindestens ein Drittel aller Athleten in Tokio gedopt waren. Ich nenne Ihnen natürlich keine Namen.“
…
Professor Dr. Prokop sagte, daß er in Tokio Streit mit dem österreichischen Olympiatrainer Peterllk hatte. Weil er, Prokop, sich weigerte, den österreichischen Hammerwerfer Thun zu dopen.
Hinzu kommt in den 1960er Jahren das zunehmende Interesse der Sportwissenschaft und Sportmedizin an der Ergründung leistungssteigernder Methoden und damit auch leistungssteigernder Substanzen. Umfangreiche Untersuchungen gab es hierzu europaweit z. B. über den Einfluss des Höhentrainings (P.-O. Ästrand in W. Hollmann, Sportmedizin, 1972). Die Anfänge des später umstrittenen Medikaments Actovegin liegen in dieser Zeit. Auch der Einsatz von Cortison nimmt Fahrt auf. Über dessen extremen Missbrauch gibt es vor allem aus dem Radsport späterer Jahre viele Schilderungen.
Generell lässt sich sagen, dass das Arsenal an Drogen und Medikamenten, das zum Einsatz kam, groß war. Letztlich wurde experimentiert mit allem was der Medikamentenschrank so her gab.
Einiges davon wurde damals nicht als Doping eingestuft, muss aber zur Beurteilung der Dopinghistorie und späterer Vorkommnisse mit herangezogen werden. Insbesondere hinsichtlich der häufig praktizierten Multimedikation und Substitutionstheorien durch verschiedene bekannte Sportärzte, bereits für die 1950er Jahre für den Radsport dokumentiert (s.o. Bliesener) und bis heute gilt, ist diese Entwicklung zu beachten.
Spitzer sieht die entscheidende Wende in Bezug auf den breiten Missbrauch anaboler Steroide (und anderer Mittel) im Spitzensport durch deren Verfügbarkeit in Tablettenform anstelle von Spritzen gegeben. Damit wurden die Kosten verringert und die Anwendung, auch hinsichtlich geheimer Dopingprogramme, wesentlich erleichtert. In der westdeutsche Szene hat sich das Produkt Dianabol verbreitet, wenn auch nicht von allen akzeptiert. So gab es Befürworter und Gegner des Dopings, Spitzer spricht von zwei Lagern, die sich gegenüber standen. Dabei war die Frage ob Anabolika Doping sei, ob gesundheitlich schädlich und damit abzulehnen sei, nicht einheitlich beantwortet, hatte bis Mitte der 1960er Jahre allerdings auch noch nicht zu vielen Diskussionen innerhalb der Sportwissenschaften und Medizin geführt. Die Dopingdiskussion, insbesondere auch die unter Ärzten, beschäftigte sich während dieser Jahre noch überwiegend mit Amphetaminen (s. z.B. J. Keul, H. Reindell, H. Roskamm, E. Doll, H. Weidemann:<br>Pharmakologische Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit 1966).
Spitzer zitiert einen Zeitzeugen (Mediziner, Trainer und früher Sportler), dessen Erfahrungen die Diskussion der 1960er Jahre gut verdeutlicht.
„Spätestens Mitte der 60er Jahre begann ja der Athlet uns zu zeigen, was bei anderen Athleten konstitutionell passiert ist … Guck mal, was der in einem Jahr an Muskeln zugenommen hat, das haben wir vorher nie gesehen. … Und dann kam hinzu, als Zweites: Gib uns doch auch mal diese Tabletten. Und die hatten sie in der Hosentasche, die hatten sie von anderen bekommen. Das war Dianabol. Es war ja von keinerlei Verbot oder Untersagung die Rede. … Natürlich ist das kein Doping, denn das ist ja kein Aufputschen. Das war gang und gäbe …. Und mein Verbandschef [Präsident des Verbands] seinerzeit … ein ganz braver … ohne Dopingmentalität. Aber das war für ihn kein Doping … ‚Da müssten wir ja das tägliche Frühstück verbieten.“ (Spitzer (Hrsg), 2013, S. 139/140)
Ein Athlet berichtete darüber, das sein Trainer großzügig mit den Hormonen hantierte und auch Jugendliche damit versorgte.
„Ich sitze in der Umkleidekabine und bin nach nem Training wirklich niedergeschlagen gewesen und erschöpft … und da geht die Tür auf, da kommen da (… zwei Sportler) rein … und die reden miteinander: Welche Tabletten, welche Pillen hat denn dir der ‚Meister‘, also (…) gegeben? Hast du die weißen oder die roten bekommen? Welche sind denn nun besser? Und dann erklären der (…) und der (…) dem 16 Jahre alten Jungs da, dem (…) und (…), dass es ja sinnvoll wäre, erstmal mit den weißen anzufangen.“
DOPING MIT ANABOLIKA IN DEN 1960er JAHREN
Anabolika wurden ab dieser Zeit für viele Sportarten interessant, da Krafttraining generell an Bedeutung gewann. Laut Singler/Treutlein setzte in Westdeutschland die entsprechende sportmedizinische Forschung zu Muskelwachstum Ende der 1950er Jahre ein (Dr. Th. Hettinger, Dortmunder Max-Planck-Institut). Eine intensive sportwissenschaftliche Beschäftigung mit anabolen Steroiden war nach den beiden Autoren in den frühen 60er Jahren jedoch noch nicht gegeben.
„Bis 1960 hat man ja geglaubt, wenn man jemand organisch trainiert, reicht das aus. … Aber als man das dann merkte, da wird was gemacht, da kam das dann als Vorwurf, aber nicht ethischer Art, sondern dahingehend: das müßten wir jetzt auch mal machen. Wir arbeiten falsch. In dem Sinne wurde man sich nicht bewußt über Doping. Zu diesem Zeitpunkt gab es wirkliche Bedenken moralischer Art ganz wenige.“ (Singler/Treutlein, Doping im Spitzensport, S. 184)
Bemerken konnte man die Anwendung der Steroide schon durch alleiniges genaues Hinsehen. Während der Gebrauch von Amphetaminen und anderen Stimulanzien höchstens am Verhalten der Konsumenten zu erkennen war, können Anabolika den Körper deutlich verändern. Zeitzeugen berichteten sowohl gegenüber Singler/Treutlein, als auch Giselher Spitzer über entsprechende Beobachtungen bei US-amerikanischen Athleten anlässlich der Olympischen Spiele in Rom 1960. Präziser wurden die Beobachtungen vier Jahre später:
„Also, mir ist das am deutlichsten von Athleten zugetragen und gesagt worden auf einer Reise, die wir ein Jahr vor Tokio gemacht haben. Tokio war ’64. Ein Jahr vor Tokio haben die mich auf Leute, amerikanische Werfer aufmerksam gemacht. Und gesagt haben: Guck mal, die haben wir im vorigen Jahr gesehen und jetzt. … Und von DDR-Leuten und Frauen, im Besonderen Frauen, sagte man das auch.“ (Spitzer, S.141)
Ab Tokio 1964 scheint die Existenz der Anabolika und deren Anwendung im Sport unter Leistungssportlern verschiedenster Disziplinen allgemein bekannt gewesen zu sein scheint.
„„Ich war damals in der Bundeswehr zusammen mit … (Name eines bekannten Sportlers), mit … (Name eines anderen Sportlers). Ich war damals ein ganz kleiner Sportler, der so rumkrebste. Ich war 1959 oder 1958 deutscher Juniorenmeister. Da habe ich irgendwie mitgekriegt, ich glaube, da war der Arzt … (Name des Arztes), das war so die Geschichte Radfahren, Boxen, da hörte man zum ersten Mal, da gibt es was, aber da war noch überhaupt nichts (Konkretes, d. Verf.). Dann kam 1960 Rom. Da kam ich in die Gespräche mit rein und habe mitgekriegt, irgendwas muß da laufen. Damals kam das so ein bißchen hoch. Aber ich weiß von nichts, ich würde es sagen. 1964 nach Tokio kam die Geschichte rüber. 1965/66 mußte jeder Athlet was mitbekommen, daß da was lief.“ (Singler/Treutlein, S. 184)
Der Athlet, Student, suchte mit dem Gehörten Beratung bei einem seiner Professoren, der ihn über die Wirkung der Anabolika aufklärte, ihn mit entsprechender Literatur versorgte und ihn vor allem vor dem Konsum wegen möglicher schwerer Nebenwirkungen warnte. Der Sportler ging zudem auf den Trainer, seinen Trainer, zu. Zur Rede gestellt – „du bist ein Schwein, im Grunde, weil du ein 14jähriges Mädchen, weil du 16jährige Jungs und die gesamte Mannschaft ansonsten mit diesen Dopingmitteln versorgst“ – zeigt dieser kein Unrechtsbewusstsein. Der Sportler wechselt daraufhin seine Trainingsstätte. (Spitzer (Hrsg), 2013, S. 145ff; alle Namen mussten vor Veröffentlichung entfernt werden)
Spitzer hält fest, dass diese Warnungen, diese kritische Haltung seitens des Professors zum damaligen Zeitpunkt ‚einen weiteren Kreis‘ nicht erreicht hätten.
Im Oktober 2013 meldete sich Erich Vogt, Schwimmer in den 1960er Jahren, Mitglied in den Vereinen SV Bochum und SSF Bonn, in der Süddeutschen Zeitung zu Wort. Er bestätigt Dopingpraktiken in der Olympiavorbereitung, auch mit Dianabol:
„Das Steroid Dianabol, zum Beispiel, gehörte bereits 1968 zur Vorbereitung der ‚Olympiaverdächtigen‘ in den damaligen Spitzenvereinen SV Bochum und SSF Bonn. Ich war Ende der Sechzigerjahre Mitglied in den beiden Vereinen. Ich trainierte bei Gerhard Hetz, der in den Sechzigerjahren Deutschlands Aushängeschwimmer war – Weltrekordler, Europarekordler, Olympiamedaillengewinner, dreifacher Sportler des Jahres. …
Aber Hetz hat mit seinen Schwimmern nicht nur hart im Becken trainiert und danach Vitamintabletten verabreicht. Zum Training gehörte auch die Verabreichung von Anabolika. Dianabol war das von ihm – und der Sporthochschule Köln – empfohlene und verabreichte Steroid. Dianabol war modern. Es war das erste massenproduzierte Steroid. Es gilt bis heute als eines der wirksamsten Mittel, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Muskelmasse aufzubauen. … Auch mich hat Gerhard Hetz bedrängt, Dianabol zu nehmen. Ich lehnte dies aus ethischen und gesundheitlichen Gründen ab und schwamm weiter meine Bahnen. Weltrekordler wurde ich nicht, aber immerhin Mitglied der deutschen Nationalmannschaft und deutscher Staffelmeister und -rekordhalter. Und trotzdem war es nicht einfach, sich gegen dieses Angebot zu entscheiden. Der Trainer und die Sporthochschule Köln attestierten dem Mittel Unbedenklichkeit. Die anderen schluckten, wenn auch diskret, und die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Bochumer und Bonner Schwimmer sammelten nationale Meisterschaftstitel, stellten nationale Rekorde auf, es gab Europameister, Weltrekordler und erfolgreiche Olympioniken.“ (SZ, 12.10.2013)
Schwimmer Wolfgang Kremer, 1969 zu dem Bonner Verein gewechselt, bestätigte die Dopingpraktiken von Hetz und belastete damit auch seinen Kollegen Werner Lampe, der in einem Gespräch mit einem Nachwuchsschwimmer die Einnahme von Anabolika erwähnt hatte.Da Lampe zu dem damaligen Zeitpunkt mit 17 Jahren noch Jugendlicher war, handelte es sich um Minderjährigendoping. Lampe dementierte allerdings die unterstellten Anabolikaanwendungen. Hetz bezog sich gegenüber Kremer auf die Doktoren Keul (Freiburg) und Hollmann (Köln), die ihn in der Anwendung stützen würden. (DLF, 20.10.2013)
SIND ANABOLIKA DOPINGMITTEL?
Waren Anabolika als Dopingmittel einzustufen? Diese Frage wurde Ende der 1960er Jahre häufig mit nein beantwortet. Es gab jedoch auch die Meinung, es handele sich klar um Doping und es wurden vor möglichen schweren Nebenwirkungen gewarnt. Der österreichische Sportmediziner Ludwig Prokop gehörte >>> bereits 1959 dazu.
Giselher Spitzer zitiert 2013 einen Vortrag des tschechischen Sportmediziners Jaromir Frič anlässlich des Jahrestages des DLV-Leistungsrates 1968, aus dem die damalige Ambivalenz, insbesondere der Sportmedizin, deutlich hervor geht. Spitzer spricht von einem Schlüsseldokument zum Verständnis der Anabolikahistorie in der BRD. Frič fasste die Anwendung und die Wirkung der Anabolika im Sport aufgrund einer bei Sportlern durchgeführten Studie zusammen.
„(Es wurden …) 15 der besttrainierten (Name der Sportart) aus den Jahren 1951-60, wo Anabolika noch nicht genommen wurden, mit 10 der besttrainierten (Sportart) der letzten 2 Jahre verglichen“. Er stellte fest, Anabolika seien Dopingmittel. Dies wurde so auch im Protokoll der Tagung festgehalten: … 3. Anabolika sind als Dopingmittel zu bezeichnen; Anwendungsnachweis ist über die Urinausscheidung möglich.
4. Wegen der möglichen schädlichen Nebenwirkungen wird von der Anabolika Anwendung abgeraten.“
Mediziner Manfred Steinbach, ehemaliger erfolgreicher Sprinter, von 1965 bis 1970 Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Universität Mainz, urteilte ähnlich.
„Nach bisherigen Beobachtungen erweist sich das Anabolicum als ziemlich ungefährlich, dennoch ist es, falls Indikationen gegeben sind, nur unter strenger ärztlicher Aufsicht zu verordnen. Es kommen doch zuviele Momente ins Spiel, die Beachtung erfordern und die dem Laien entgehen können. Erinnert sei an Fragen der Dosierung zur Verhütung weiterer androgener Effekte, an Ödembildung und die aufgezählten Kontraindikationen, für Frauen ist die Problematik bezüglich evtl. Cycluslabilität ohnehin größer. Anabolika zählen nun einmal zum Doping, darum und aus Gründen der aufgezählten Schädigungsmöglichkeiten kann der Athlet nicht genug vor der Einnahme derartiger Präparate gewarnt werden, insbesondere wenn er in der Annahme es mit absolut harmlosen Substanzen zu tun zu haben kritiklos und über lange Zeit unzuträgliche Dosierungen auf eigene Faust riskiert.“ (Steinbach, 1968)
Grundlage seiner Darlegungen war eine von ihm durchgeführte Studie mit 125 Jugendlichen, von der sich später aus ethischen Gründen distanzierte, und einigen erwachsenen Spitzenathleten des USC Mainz:
>>> Studie 1968 und >>> Bild der Wissenschaft 1969
Kritisch sieht Spitzer in dem Referat von Frič das Nebeneinander der Hervorhebung positiver Wirkungen auf das Leistungsvermögen und der Ablehnungsgründe. Im Protokoll der Diskussion wurde zwar festgehalten, es existierten keine Beweise, dass Anabolka die Muskelkraft des Höchstrainierten steigere. Der Mediziner hatte aber in seinem Bericht anderes berichtet.
„Wenn wir zusammenfassend die positive Wirkung anaboler Steroide auf Muskulatur, Nieren, Leber und Blutneubildung betrachten, dann ist es verständlich, dass Anabolika im Sport als Unterstützungstherapie Anwendung finden. … Hier haben einige Sportler und Trainer sicher bessere Erfahrungen als Sportärzte oder Pharmakologen. Es wird manches geheim durchgeführt, da Anabolika, wie oben erwähnt, theoretisch zur Leistungssteigerung ohne größere Gefahr beitragen können und sehr gut als Dopingmittel geeignet erscheinen.“
Diese Ambivalenz, die sich auch in den Texten Steinbachs findet, dürfte mit dazu beigetragen haben, dass Anabolika in den folgenden Jahren, nicht zuletzt in der Leichtathletik, großflächig zum Einsatz kamen und damit auch, wie sich später zeigte, von Verbandsseite toleriert, wenn nicht gar gefördert wurde.
Es liegen weitere Zeugnisse vor, wonach die Gefahren des Dopings mit Anabolika in den 60er Jahren bereits bekannt waren und Sportärzte davor gewarnt hatten: >>> 1970 D. Rosseck und H. Mellerowicz: Nebenwirkungen der Anabolika
Simon Krivec fasste in seiner Dissertation Ergebnisse seiner Suche nach frühen Erkenntnissen über die Nebenwirkungen von anaobol-androgenen Steroide wie folgt zusammen:
Als erstes Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass schon in frühen Jahren nach der Markteinführung der anabolen Steroide ein großer Teil der Nebenwirkungen der anabolen Steroide der medizinischen Fachwelt bekannt war.
Die Diskussion um Anabolika im Sport war vor allem eine interne des Sports. Am direktesten betroffen waren die Sportler, vor allem der Kraftsportarten, aber zunehmend auch der Disziplinen Leichtathletik, Schwimmen und Rudern. Am besten erforscht scheint für die BRD das Dopinggeschehen in der Leichtathletik, wie auch obige Zitate zeigen. 1968 nach den Olympischen Spielen in Mexiko dürften die meisten Athleten, Trainern und Funktionären schon einmal damit konfrontiert gewesen sein. (Siehe hierzu auch die Zitate unten (*))
Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde diese Problematik durch den Artikel von Brigitte Berendonk in der Zeit vom >>> 5.12.1969 „Züchten wir Monster“. In deutlichen Worten beschrieb sie die bereits verbreitete Anwendung der anabolen Steroide im Sport, beschrieb die dadurch hervorgerufenen körperlichen Veränderungen, insbesondere bei Frauen und warnte vor schweren gesundheitlichen Gefahren. Damit stellte sie sich offen gegen die immer häufiger zu hörende Meinung, Anabolika seien richtig dosiert kaum schädlich, sondern seien im Gegenteil sogar als Substitutionsmittel nötig. Eine Meinung, die 1968 auch von Dr. Max Danz, Präsident des DLV vertreten wurde. Der Artikel dürfte dazu beigetragen haben, dass der DLV Anabolika 1970 auf seine Verbotsliste setzte. Damit war er der erste deutsche Verband innerhalb des DSB. Der Artikel zeigt aber auch, ebenso wie einige Zitate weiter oben, wie falsch und unglaubwürdig die Beteuerungen späterer Jahre sind, man habe z. B. vom Doping in der DDR nichts gewusst.
Singler/Treutlein (Doping im Spitzensport, 2000/206/2010) belegen mit Leistungskurven der Rekordentwicklung verschiedenster Disziplinen den weltweiten, aber auch bundesdeutschen, von Berendonk angeprangerten Anstieg des Anabolika-Konsums. Sie bringen zudem eine Reihe konkreter Beispiele, aus denen hervor geht, dass Anabolika-Doping Ende der 1960er Jahren in der Bundesrepublik keine Seltenheit mehr war.
Auch in der Bundesrepublik hatte die Verwendung von Anabolika in bestimmten Disziplinen flächendeckende Ausmaße angenommen. Dass auch junge Athleten bereits zu diesem Zeitpunkt fast zwangsläufig mit Anabolika in Berührung kamen, liegt auf der Hand. Dabei bezogen sie erstes Know-how nicht mehr nur aus Werferkreisen, wie ein ehemaliger Kugelstoßer berichtet:
„Im Winter 1969/70 wurde ich im Sportinstitut … (Name der Stadt) von Sprintern aus … (Name der Stadt) darauf aufmerksam gemacht, dass man heutzutage im Leistungssport so was zu nehmen hat, es nähmen alle, die Chancengleichheit wäre damit wiederhergestellt. … Da habe ich zum ersten Mal davon gehört, und in … (Name der Stadt) kam das dann von allen Seiten. Es war ja da niemand, der mich verführen wollte aus böser Absicht, sondern aus Freundschaft.“
Diskuswerfer Heinz-Direck Neu berichtete 2014 in einem Zeitzeugeninterview im Rahmen der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin folgendes:
Zeitzeuge: Der […] [Name eines anderen Werfers] und wie die alle hießen, die waren ja auch älter als ich, […], und die haben das auch da auf ihren Dingens stehen gehabt, da bei den Lehrgängen, hat man das gesehen.
… Die hatten ihre Pillen aufgebaut im Schlafzimmer. Die haben sich da totgelacht, wenn sie sich die reingehauen haben.
Frage: In den 60er Jahren?
Zeitzeuge: Ja. Wann war denn das? Ja, 60er. 64, 65, da habe ich die ja kennengelernt, auch in Freiburg. Da waren wir noch in so einem Hotel. […]
Frage: Also in den 60er Jahren war ein offener Umgang auch mit Medikamenten?
Zeitzeuge: Was heißt offen, die haben es halt nicht versteckt. Ich hätte es nicht hingestellt, dass es jeder gesehen hätte, wenn ich da gewesen wäre, aber die haben das da halt hingestellt und das war auch, da das ja im Training nicht kontrolliert wurde war das auch nicht so schlimm, glaube ich. Also man hatte da nicht das Gefühl, dass man auffällig wird. Hätten wir damals schon diese Trainingskontrollen gehabt, wär das sicher alles nicht so breit gelaufen.
Frage: Der Impuls ging nicht vom Bundestrainer aus?
Zeitzeuge: Eigentlich nicht. Nein. Die waren zwar an Leistung interessiert, aber wie gesagt im Jugendbereich hat es ja bei uns jedenfalls keine Rolle gespielt, wurde es nicht gemacht. Ich weiß nicht, ob Jugendliche es gemacht haben oder heute machen inzwischen. […]
Ausführlichere Informationen über die rechtliche Situation und die Antidoping-Bestimmungen der damaligen Zeit sowie die Diskussion um den Stellenwert der Anabolika sind zu finden unter
>>> Reglements/Definitionen/Mittel 1950-1970.
(*)Zitate zu Anabolika, die Zeit 16.8.1968
Dr. med. Max Danz, DLV-Vorsitzender
Ich halte Dianabol nicht für ein Dopingmittel, sondern für ein langsam echt aufbauendes Kräftigungsmittel auf anaboler Basis, das ich laufend in meiner Praxis verordne.
Ich kann nicht verstehen, wie man zu der Auffassung kommt, es sei mit der Einnahme von Dianabol eine Wirkung zu erzielen wie mit der Doping-Peitsche.
Trainer Karl Adam
Mit Ihrer Ansicht, daß die Anabolica auf die Dopingliste gehören, stimme ich nicht überein. Sie operieren mit dem Begriffspaar „natürlich“ und „künstlich“. Wenn Sie diesen Ansatz konsequent durchführen, müssen Sie synthetisch hergestellte Ascorbinsäure auf die Dopingliste setzen, aus Zitrusfrüchten gewonnene zulassen, das ist doch offenbarer Unsinn. Sie werden darauf einwenden, Ascorbinsäure kommt „natürlich“ vor, Anabolica nicht. Dann müßten Sie aber konsequenterweise männliche Geschlechtshormone zulassen, Anabolica verbieten, was Sie kaum tun werden. Seit Wähler ist der Begriff „natürlich“ nicht mehr brauchbar, außer in Predigten, Wahlreden und vegetarischer Werbung. Er ist nur noch ein Synonym für gewohnt, und man kann nicht alles Ungewohnte verbieten.
Die herkömmlichen Dopingmittel müssen verboten werden, weil sie die psychischen Sicherungen gegen gefährliche Überlastungen des Organismus außer Funktion setzen und damit den Athleten gefährden. Die Anabolica verbessern lediglich die physiologischen Leistungsvoraussetzungen. Dem Athleten das verbieten zu wollen, bedeutet einen unnötigen und unberechtigten Eingriff in seine persönliche Entscheidungsfreiheit.
Prof. Dr. Manfred Steinbach
Gegenwärtig trifft man in der Tagespresse auf die widersprüchlichsten Meinungen in der Frage, ob das jüngst „in aller Munde“ befindliche Dianabol, daß zu den sogenannten Anabolica gehört, Doping sei oder nicht. Das liegt nicht an der mehr oder weniger ausgeprägten Qualität der Befragten, als vielmehr an der noch immer nicht hinreichend präzisen Definition des Dopings.
Immer wieder bekommt man in diesem Zusammenhang zu hören, daß Dianabol schließlich keine Aufputschdroge sei und damit auch kein Doping. Wer sich aber mit dem Dopingproblem beschäftigt, dem kann nicht entgehen, daß die Aufputschmittel nur eine Seite dieses Komplexes darstellen. Seit langem schon werden auch langfristig könditionierende Präparate im Zusammenhang mit Doping aufgezählt und neben die kurzfristigen gestellt.
In der Definition des Doping, die zuletzt vom Europarat in Straßburg konzipiert wurde, ist daher auch nicht nur vom Verbot, Aufputschmittel einzunehmen, die Rede, sondern viel allgemeiner die medikamentöse Leistungsverbesserung untersagt. Geht man vom Buchstaben dieser Definition aus, dann dürfte es nicht schwerfallen, auch Dianabol als Doping zu bezeichnen. Es wird unter anderem gern mit jenen international kursierenden Listen der Dopingmittel argumentiert, in denen Dianabol nicht zu finden ist. Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß bei weitem nicht alles erlaubt ist, was in diesen Listen noch fehlt. Sie enthalten nämlich nur die nach derzeitigem Wissen häufigsten und zudem gefährlichsten Mittel, die sich selbstverständlich vorwiegend aus den Reihen der kurzfristig wirksamen rekrutieren.
Dianabol ist auch nicht mit Vitaminen zu vergleichen. Letztere gehören zum normalen Nahrungsbedarf und sind daher auch im Sport erlaubt, soweit sie auf normale Weise zugeführt werden. Dianabol hingegen ist ein sehr differenziertes Medikament, daß sich nachweislich zum Beispiel auf die Stickstoffbilanz auswirkt und auf diesem Wege zu Eiweißaufbau und damit Muskelansatz führt. Es sind Kontraindikationen für Anabolica zu beachten, sie werden nur bei ganz bestimmten Krankheitszuständen ärztlich verordnet.
Rein vom ärztlichen Standpunkt aus sind Einwände angebracht, ein so differenziertes Medikament kerngesunden Menschen zu verordnen. Aber selbst wer die Gabe der Anabolica für harmlos hält und den Dopingbegriff nur eng an jenen genannten Listen orientiert, sollte es sich als verantwortungsbewußter Arzt genauestens überlegen, hier Schleusen zu öffnen. Die Anabolica könnten nur der Anfang einer „chemischen Athleten-Produktion“ sein, und dem muß entgegengewirkt werden, auch wenn es zunächst noch unüberbrückbare Nachweisschwierigkeiten gibt. Der Sportwart des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Herr Fallak, soll, wie „Bild“ berichtete, geäußert haben, daß in Zukunft nicht der gewinnen soll, der den besten Pharmazeuten im Hintergrund hat.
Quellen:
– Singler/Treutlein: Doping im Spitzensport, 6. Auflage, 2012
– Sportgespräch ‚Hintergründe der deutschen Dopingdebatte der 1950er Jahre‘, Deutschlandfunk, 3.12.2006, Autor Erik Eggers
– Berichte zum Projekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“, Forschungsprojekt 2009-2012 initiiert durch den DOSB:
– E. Eggers: „Geschichtliche Aspekte in der präanabolen Phase“ Präsentation von Zwischenergebnissen des Teilprojektes an der Humboldt-Universität zu Berlin, Leipzig, 25. 10. 2010 (Manuskript)
– Y. Wisniewska: „Rechtliche Aspekte des Dopings in der präanabolen und anabolen Phase von 1950 bis 1972“ Präsentation von Zwischenergebnissen des Teilprojektes an der Humboldt-Universität zu Berlin, Leipzig, 25.10.2010 (Manuskript)
– H. J. Schnell: „Ethische Aspekte des Dopings in der präanabolen und anabolen Phase von 1950 bis 1972“. Präsentation von Zwischenergebnissen des Teilprojektes an der Humboldt-Universität zu Berlin, Leipzig, 25.10.2010 (Manuskript).
– Giselher Spitzer (Hrsg), Doping in Deutschland: Geschichte, Recht, Ethik. 1950-1972
siehe auch Links im Text, sowie:
Monika, 2010 Ergänzungen