Doping: 1977 Interview mit Willi Daume

Doping in der BRD – 1970er Jahre

SZ-Interview mit Willi Daume, 16.4.1977

Im April 1977 antwortet Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und IOC-Funktionär auf Fragen von Journalisten der Süddeutschen Zeitung.

„Es gibt hier wohl nur ein Heilmittel: die Katastrophe“
Diskussion um den Mißbrauch der Anabolika im Hochleistungssport

Das Gespräch mit Wllli Daume führten die SZ-Redaktionsmitglieder Ludwig Koppenwallner, Michael Gernandt, Martin Urban und SZ-Mitarbeiter Robert Oberpeilsteiner. 16.4.1977

ZITATE

Willi Daume an die Athleten der DLV-Nationalmannschaft, 31.3.1977:
„So nützlich öffentliche Diskussionen sind, der Blick zurück im Zorn nützt hier wenig. Wir hätten gerne früher das Bekenntnis oder den Rat gehört, die nun Oberschiedsrichter der Nation sein wollen, denn das Problem des durch Pharmaka manipulierten Athleten liegt seit Jahren auf dem Tisch. … Am allerwenigsten aber sind Beschimpfungen und fragwürdige Denunziationen hilfreich. Nötig sind dagegen Gelassenheit und wissenschaftliche Exaktheit. Frei von Emotionen und Profilneurosen sollten sich jetzt Sportler, Mediziner und Medien darauf kontznetrieren, die Arbeit der zur Lösung dieser Frage eingesetzten Fachgremien zu unterstützen und das Ergebnis abzuwarten.“
Zitiert nach Singler/Treutlein, Doping im Spitzensport. S. 220:
„Der Deutsche Leichtathletik-Verband reichte die Erklärung Daumes an seine Kaderathleten weiter und bekräftigte die Forderung des NOK-Präsidenten nach einer rein sportinternen Behandlung der Problematik, was nicht wenige als Schweigegebot („Maulkorberlass“) interpretierten.“

Herr Daume, was sagen Sie zu den zahlreichen Berichten und Interviews zur Anabolika-Frage?

Daume: Ein ernstes Problem, nun angereichert mit viel ödem Trübsinn. Ein Wort gibt das andere, aber sonst hatte es nichts zu geben. Das Bedrückende an den bisherigen Diskussionen ist nicht, was dabei herausgekommen ist, sondern was dabei nicht herausgekommen ist. Nur gegen etwas zu sein genügt nicht; und mit der Polemik sinkt man dann schnell auf das Niveau dessen, wogegen wir sind. …

Um was geht’s also?

Es ist fast wie mit dem Atom-Müll. Zugemutet wird, Behauptungen für Tatsachen hinzunehmen, die noch in keiner Weise und in ,keinem Detail wissenschaftlich ganz geklärt sind. Es ist noch nicht einmal bewiesen, daß die Einnahme anaboler Hormone in jedem Falle zur sportlichen Leistungssteigerung verhilft; in den meisten Sportdisziplinen sicherlich nicht. Wenn überhaupt, wie ist das dann unterschiedlich zu betrachten bei Männern, bei Frauen, bei Jugendlichen? Und wie ist es mit der Dosierung? Damit ist die Frage der gesundheitlichen Gefährdung angesprochen. Sehr differenzierte Betrachtungsweisen scheinen doch notwendig zu sein, wiederum bei Männern, bei Frauen, bei Jugendlichen. Inwieweit kann man den gleichen Effekt für das angestrebte Muskelwachstum durch Training erzielen? Aber schadet überdosiertes Training gesundheitlich nicht auch? Was schadet mehr? Und schadet nicht möglicherweise das „Mästen“ von Athleten, wie wir es ja auch erlebten, mit Übermengen von Eiweiß, Kohlehydraten und so weiter genauso? Und kann man beispielsweise die Kontrolle der anabolen Hormone ebenso in den Griff bekommen wie die anderen Dopingmittel. Weckamine, Tranquilizer und so weiter? Also Fragen über Fragen. Dabei ist die moralisch-ethische Seite des Problems noch gar nicht angesprochen. Sie bedeutet viel, sportlich und – wie ich meine – auch ärztlich.

Wollen Sie Ihre Entscheidung, ob der Gebrauch von Anabolika Manipulation ist oder nicht, davon abhängig machen, ob dies schädlich ist oder nicht?

Nein! Die Verwendung von Drogen zum Zwecke der Leistungssteigerung ist grundsätzlich Betrug. Der so manipulierte Athlet verstößt auch gegen die Regeln der internationalen Sportverbände und des Internationalen Olympischen Komitees. Anabolika sind ausdrücklich in die Verbote eingeschlossen. Übrigens habe ich mir sagen lassen, daß es in vielen Ländern verboten ist, dem Jungvieh Anabolika zur Erhöhung des Schlachtgewichtes einzugeben. Wollen wir die Sportler weniger „human“ behandeln?

… [Wird] gegen einen Mann, der von der Sporthilfe gefördert wird oder gegen einen Mann, der zukünftig im Olympia-Kader stehen wird, etwas unternommen[…], nachdem dieser Betreffende öffentlich zugegeben hat, daß er gegen die IOC- Regeln verstieß?

Nun, nach Montreal wurden einer Reihe von Athleten die olympischen Medaillen aberkannt, nachdem Dopingkontrollen, die leider in diesem Falle noch so lange dauern, die Einnahme von Anabolika bewiesen hatten. Damit ist für mich die Vergangenheit abgeschlossen, und ganz sicher wird es in unserem Land keinerlei Nachschnüffelei oder ähnliches geben. Dies nicht nur, weil es ja auch weitgehend an Klarheit mangelte.

Der Sprinter Manfred Ommer hat behauptet, heute würden 90 Prozent der Nationalmannschaft der Leichtathleten Anabolika nehmen.

Falls er das gesagt haben sollte, würde eine solche, ungeschneuzte Lüge ihn charakterisieren. Ich glaube mich auch an eine Aussage von Professor Keul zu erinnern, daß längst nicht 5 Prozent betroffen sein würden. Und auch dieser Prozentsatz wäre schon schlimm genug.

Wäre es nicht erforderlich, solchen Vorwürfen zumindest nachzugehen?

Dem geht man doch laufend nach, und zwar unabhängig davon, ob sich bedauerlicherweise Mannschaftskameraden gegenseitig denunzieren.

Sie haben wiederholt gesagt, daß die Lösung dieses Problems von ausschlaggebender Bedeutung für die Zukunft des Leistungssports und der Olympischen Spiele sei. Was ist denn nun unternommen worden?

Ich persönlich habe mit den Leitern verschiedener Max-Planck-Institute gesprochen und viel Verständnis gefunden. Vielleicht wird es einige Forschungsaufträge geben, die bereitwillig der Bundesminister des Innern zu finanzieren schon zugesagt hat. Auch andere wissenschaftliche Institutionen, zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Toxikologie, arbeiten mit, nicht zuletzt natürlich, die Sportärzte. Aber auch die pharmazeutische Industrie, die ja über sehr potente wissenschaftliche Forschungszentren verfügt und sehr kooperativ ist.

>>> Grundsatzerklärung des Deutschen Sports, 1977

>>> Öffentliche Sachverständigenanhörung, Sportausschuss des Dt. Bundestages

Und unter Leitung von Professor Grupe ist ein kleiner Arbeitskreis von DSB und NOK dabei, in Hearings mit einigen urteilsfähigen Gruppen – insbesondere auch mit den Aktiven selbst – zu verhandeln und Grundsätze von Seiten des Sports zur Debatte zu stellen. Sie werden wahrscheinlich schon in aller Kürze veröffentlicht werden. Und im nächsten Monat findet hier in München eine umfassende Diskussion unter Leitung des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft statt.

>>> Horst Klehr:
„„Ich erinnere mich an ein Gespräch von 1977 mit dem damaligen NOK-Chef Willi Daume, vier Stunden lang hatte ich argumentiert und belegt, was damals über die Dopingmachenschaften der Ärzte Keul und Klümper bekannt war und dass man nicht weiter mit ihnen zusammenarbeiten könne. Dann zog Daume ein entlarvendes Fazit: Es wäre ja möglich, dass einer vom Saulus zum Paulus würde. Punkt, Ende“. (desg, 10.9.2009)

Sie haben sich auf Herrn Keul bezogen. Professor Keul war der Mann, der dem Hammerwerfer Uwe Beyer nach dessen eigener Aussage solche Mittel verschrieben hat. Wie kann man sich auf einen Mann beziehen, der sehr fragwürdig erscheint?

Ich beziehe mich nicht immer auf Herrn Keul. Aber er ist ein tüchtiger Sportarzt und als Inhaber eines medizinischen Lehrstuhls an der Universität Freiburg auch ein ernstzunehmender, anerkannter Wissenschaftler. Trotzdem wird er nicht beanspruchen können, immer Recht zu haben. Im von mir zitierten Falle hatte er wahrscheinlich recht.

Sie halten also die Äußerung von Professor Keul, daß nicht einmal 5 Prozent diese Präparate nehmen, für glaubwürdiger als die von Herrn Ommer, daß es 90 Prozent der Athleten tun. Dann wären aber diese 5 Prozent Betrüger, und alIe anderen 95 Prozent wären benachteiligt. Warum unternehmen Sie nichts gegen die 5 Prozent?

Ich meine, ich hätte heute schon einiges ausgesagt über das, was wir unternehmen, um das zugegebenermaßen schwierige Problem vom Grundsatz her in den Griff zu bekommen. „Schnellgerichte“ für den einen oder anderen Einzelfall sind da weniger nützlich. Und immer ist doch das Problem des Nachweises mit im Spiel. Oder wollen Sie etwa, weil ein Herr Ommer so was erzählt hat, ein Verfahren gegen 95 Prozent aller deutschen Olympia-Teilnehmer eröffnen? Hier wird doch die ganze Schizophrenie der Situation deutlich.

Beim Deutschen Leichtathletik-Verband liegt ein Briefwechsel vor. Da erkundigt sich ein besorgter Wormser Arzt, daß einem 19jährigen bei einem DLV-Lehrgang von einem Trainer Anabolika empfohlen worden seien. Gegen diesen Mann ist nichts unternommen worden. Die Frage an Sie: Wird auch nichts unternommen worden?

Ich bin sicher, daß der DLV gegen den betreffenden Trainer einschreiten würde und auch wird, wenn – möglicherweise durch eine Gegenüberstellung – sein Fehlverhalten nachgewiesen ist.

Es sind in der SZ durch Frau Berendonk ziemlich massive Anklagen auch unter Nennung von Namen vorgebracht worden. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat bisher überhaupt eine Äußerung zu diesen Angriffen, auch gegen Trainer, die er angestellt hat, -vermissen lassen. Auch das Bundesinnenministerium, das ja die Bundestrainer finanziert, hat sich noch nicht rührt.

Ich weiß, daß man mit Nachforschungen befaßt ist. Auch für Bonn ist das eine wichtige Frage, denn hier kann es zu Gegensätzen zwischen Spitzensport und Breitensport kommen, die in ihrer Auswirkung noch gar nicht zu übersehen wären. Wenn wir den Weg gehen würden, der hier ersichtlich wurde, so würde das mit der Unterhaltung kostspieliger Leistungslabors, einer komplizierten und höchst aufwendigen medizinischen Forschung und anderem blühenden Unfug gewaltige Summen Geldes verschlingen. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß das Bundesparlament, in dem es an kritischer Einstellung gegen den Leistungssport nicht fehlt – so etwas hinnehmen und dem Sport seine bisherigen Mittel lassen würde, die ja doch zu einem ganz wesentlichen Teil für den Breitensport als sozialer Faktor allerersten Ranges eingesetzt werden.

Es hat sich doch alles entzündet am Fall eines deutschen Silbermedaillengewinners im Rudern in Montreal. Und von anabolen Steroiden war da gar keine Rede. Im übrigen war es ermutigend, daß bei den Anhörungen unserer Beauftragten die Athleten selbst fast immer ganz eindeutig gegen medizinische Manipulationen Stellung nahmen. Aber ich will auch nicht verschweigen, daß es Athleten gibt – nicht viele, und das Ganze hat ja überhaupt nur für verhältnismäßig wenig Sportdisziplinen Relevanz -, die sagen: „Jeder ist seines Glückes Schmied. Ich kann mit meinem Körper machen, was ich will.

Herr Daume, Sie vertreten den olympischen Sport nach außen, Sie sind NOK-Präsident. Die Öffentlichkeit hat von Ihnen als auch von Ihrem Amt eine hohe Einstellung. Erfahren Sie davon, wenn im deutschen Sport manipuliert wird? Haben Sie davon erfahren, beispielsweise von der Sache der Schwimmer mit dem Luftversuch?

Ja, nachdem es geschehen war. Geschehen ist es in Calgary, ganz weit im kanadischen Westen, in der Vorbereitung auf die olympischen Schwimmwettkämpfe. Es ist eine etwas tragikomische Art von Manipulation, wenngleich Regeln nicht dagegen sprechen und keine gesundheitlichen Gefahren zu befürchten sind. Vielleicht können Sie aber mit dem gleichen Recht die Frage stellen, was von den Schwimmern zu halten wäre, die ihre Köpfe kahl scheren und teilweise sogar ihren ganzen Körper glattrasieren – an allen Stellen, wo Haare sind. So was ist ja doch manchmal passiert, wir alle haben es gesehen. Wo also ist die Grenze? Ich möchte meinen: dort, wo gegen den guten Geschmack verstoßen wird.

Sie sehen in Ihrem Amt keine Möglichkeiten, derartige Manipulationen in den Jahren vor oder wenigstens bei den Olympischen Spielen zu verhindern?

Man kann nicht alles reglementieren. Die Schwimmer sind ja auch in Montreal sehr schnell selbst zur Einsicht gekommen. Damit ist doch der Fall erledigt. Und er hatte sogar einen kleinen Sinn für Humor geweckt.

Aber es ist doch etwas anderes, wenn eine körpereigene Substanz auf fremdem Weg – beispielsweise durch eine Spritze – zugeführt wird. Halten Sie das für Manipulation?

Wahrscheinlich überfragen Sie mich. Wenn es aus Gründen der Besorgnis um die Gesundheit des Athleten geht, würde ich es vielleicht akzeptieren. Aber ich will mir nicht anmaßen, mich zum Berufsethos der Mediziner zu äußern. Diese haben sich zu fragen; sind wir dazu da die Gesundheit des Athleten zu behüten, oder sind wir dazu da – in welcher Form auch immer -, zu einer Leistungssteigerung zu verhelfen?

Sie meinen vielleicht, die Sportärzte wären hier überfordert. Muß man sich da nicht einen anderen Apparat zulegen, muß man nicht eine andere Art von Sportärzten oder sonst wen heranziehen?

Daume: Unsere Sportärzte sind von hoher Qualität. Aber mit der allgemeinen Medizin und mit der Sportmedizin ist es doch ein stetes gegenseitiges Geben und Nehmen. Bedeutende Mediziner haben mir oft bestätigt, daß die Ermittlung physiologischer Belastbarkeit sowohl der inneren Organe wie des Bewegungsapparates, wie sie die Sportmedizin erbringt, für die allgemeine Medizin am normalen Menschen von erheblicher Bedeutung sei. Es überlappt auch manches. Brigitte Berendonk sprach bei Ihnen z. B. die Pille an, Die besteht aber doch auch weitgehend aus Hormonen und hat sicher auch anabole Wirkungen. Ich führe das nur an, um evident zu machen, wie medizinisch komplex das ganze Thema schon ist. Auch das Problem des Scheineffektes, der sogenannten „Placebo-Wirkung“, kommt noch hinzu. In der psychologischen Betreuung der Athleten ist man uns anderswo sowieso voraus.