Werner Franke: Doping in Geschichte und Zukunft:
Verantwortlichkeit und Schuld der Forscher
Auch noch 1993 führte die Trainerfrage und der Umgang mit der DDR-Doping- und Stasivergangenheit zu erheblichen Misstimmungen innerhalb und untereinander der DLV-Landesverbände. Vor allem in den Verbänden der neuen Bundesländer kam entsprechende Kritik schlecht an.
Der DLV versuchte mit Runden Tischen die Spannungen in den Griff zu bekommen. Der 2. Runde Tisch fand am 23.01.1993 in Erfurt statt.
Prof. Dr. Werner W. Franke hielt anlässlich dieses 2. Runden Tisches ein längeres Referat, in dem er die jahrzehntelange verbandsinterne Dopingpraxis in Ost und West anprangerte und die Frage nach Verantwortung und Schuld der beteiligten Ärzte, Trainer und Funktionäre stellte.
I. Einleitung
Wissenschaftler als Täter, Helfer und Schweiger. Das Ziel der Forschung ist Wahrheit, ihr Wesen ist Dialog und Mitteilung. Das Wesen des Doping jedoch ist Heimlichkeit und Lüge, denn der Betrug durch Doping kann nur mit Geheimhaltung, Vertuschung und Verschweigen gelingen. Wo diese beiden Bereiche – Wissenschaft und Doping – einander berühren, muß es also zwangsläufig zum Konflikt kommen. Bisher haben dabei in den meisten Fällen das Doping und die Doper gesiegt, Wissenschaftler haben entweder am opportunen Verbrechen heimlich mitgewirkt oder durch öffentliches Verschweigen versagt. …
Hätten also jene Wissenschaftler und Ärzte, die vom Dopingunwesen wußten und die Verantwortlichen kannten, sogar konkrete Verbrechen Doping mit Minderjährigen etwa oder mit bekannt Kranken wie dem zuckerkranken DDR-Gewichtheber Gerd Bonk -, an die Öffentlichkeit gehen, aufdecken und mitteilen müssen? Uneingeschränkt ja, sie hätten es zumindest versuchen müssen. Die Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen und sie laut zu sagen, ist für den Wissenschaftler absolut. …
Doch mag die Schuld der erklärten Dopingforscher an dieser massenhaften Fehlentwicklung auch groß sein, ein Arzneimittelmißbrauch solchen Ausmaßes auch vieler prominenter Zeitgenossen wäre eben nicht ohne das Schweigen und Stillhalten jener Forscher möglich gewesen, die in ihrem Wissenschaftsbereich immer wieder vom Doping und seinen schädli-chen Nebenwirkungen erfuhren. …
II. Wirkungen anaboler Dopingmittel: 1. Sexualsteroide
II. Wirkungen anaboler Dopingmittel: 2. Nicht-Steroide
Geradezu epidemische Verbreitung unter den Bodybuilding-Anhängern, Gewichthebern und Leichtathleten haben in den letzten Jahren aber weltweit – besonders in Großbritannien und den USA – die Erregersubstanzen (Agonisten) des sog. „ß2 Adrenoceptor“ der Oberflächen-membranen bestimmter Zellen gefunden. Von den Verbindungen dieser Klasse ist heute sicherlich Clenbuterol die meistbenutzte Substanz. Die in der menschlichen Medizin vor allem als Asthmamittel bekannten „ß2-Agonisten“ waren schon seit Anfang der 80er Jahre wegen ihrer starken Wirkung auf das Muskelwachstum von Schlachttieren, aber auch von Nagetieren bekannt geworden (Literaturangaben in 11, 12) und wurden danach illegal zur Tiermast eingesetzt, was zu einer Reihe von „Hormonfleisch-Skandalen“ in verschiedenen europäischen Ländern führte….
Seit 1987/88 wird Clenbuterol auch von Gewichthebern und Leichtathleten regelmäßig zum Doping benutzt – vor allem von Werfern und Sprintern, zuerst in Großbritannien, dann in den USA, dann auf dem Rest des Globus. Inzwischen – 1992 – ist nach Schätzungen der Arzneimittelbehörde FDA des Gesundheitsministeriums der USA der jährliche Schwarzmarktumsatz allein von Clenbuterol (das in den USA auch als Heilmittel nicht zugelassen ist) auf 500 Millionen Dollar angewachsen. Wegen der fehlenden virilisierenden Nebenwirkungen wird es häufig auch von Frauen zum Doping benutzt und hält zur Zeit auf breiter Front Einzug in die Höheren Schulen der USA.
Dabei haben auch wieder Wissenschaftler als skrupellose Mithelfer oder als ignorante „Gutachter“ die Ausbreitung der „ß2-Agonisten“ als Dopingmittel unterstützt. … Tatsache ist aber, daß man – wenn auch in vielen Tierversuchen des Effektes wegen erhöhte Dosen angewendet worden sind – beim Tier wie beim Menschen bereits mit Tagesmengen von etwa einem Mikrogramm (µg) pro Kilogramm Körpergewicht meßbare Muskelzuwächse erzielen kann (z. B. 13, 19), d. h. 3 Tabletten Spiropent (60 µg) sind für eine Sprinterin genau das „richtige“, d. h. wirksame Maß. … Seit 1990 wird über Clenbuterol-Doping in den USA ausführlich berichtet, seit Ende 1991 auch in der Tagespresse (z. B. in der „Seattle Times“ vom 22.12.1991). …
II. Wirkungen anaboler Dopingmittel: 3. Wachstumshormone und Substanzen, die seine Bildung stimulieren
III. Dopingmanipulationen der Zukunft: Intrakorporale Anlieferung durch gentechnologische Methoden
IV. Schädliche Nebenwirkungen von Anabolika
V. Wissenschaft, Ethik und Recht in der Auseinandersetzung mit demDoping von heute und morgen …
Tabelle 3:
Mit Anabolika-Benutzung in Zusammenhang gebrachte, bekannt gewordene Todesfälle, schwere Infarkte oder andere schwerwiegende Krisen von Sportlern in jungen Jahren. 1975 – 1993
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