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Deutscher Skiverband DSV:
Abschlussbericht der Kommission „DDR-Doping“ zu Frank Ullrich und Wilfried Bock, 26.7.2009
Die fünfköpfige Kommission „DDR-Doping“, die vom Präsidium des Deutschen Skiverbandes beauftragt worden war, die Doping-Verdachtsmomente gegen die ehemaligen DDR-Trainer Frank Ullrich und Wilfried Bock zu untersuchen, hat ihre Arbeit beendet und ihren Abschlussbericht vorgelegt. Nach sorgfältiger Prüfung empfiehlt die Kommission dem DSV, aus sportpolitischen Gründen von einer weiteren haupt- oder ehrenamtlichen Beschäftigung des Altenberger Stützpunkttrainers Wilfried Bock auf DSV-Ebene abzusehen. Herrn Bock bleibt es aber unbenommen, von der DOSB-Steiner-Kommission eine andere Empfehlung zu erwirken. Hingegen sieht die Kommission keinen Anlass für arbeits- oder dienstrechtliche Schritte beziehungsweise sportpolitische Konsequenzen gegen den derzeitigen Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich. In ihrem Abschlussbericht spricht die Kommission gleichzeitig klare Empfehlungen aus, wie der Deutsche Skiverband zukünftig bei ähnlich gelagerten Vorwürfen aus der DDR-Vergangenheit verfahren sollte.
Die Kommission
Die Kommission – bestehend aus Dr. Franz Steinle (Vorsitz), Gerhard Dambeck und Stefan Krauß, sowie den externen Mitgliedern, dem Präsident des Internationalen Rennrodelverbandes Josef Fendt und PD Dr. med. Dr. jur. Heiko Striegel, Mitglied des AK Recht der NADA und Anti-Doping-Beauftragter des WLV – war vom DSV-Präsidium beauftragt worden, die im März erhobenen Vorwürfe gegen die beiden ehemaligen DDR-Trainer Frank Ullrich und Wilfried Bock zu untersuchen.
Ergebnisse des Abschlussberichts
Die Kommission weist in ihrem Abschlussbericht darauf hin, dass im Zuge der Untersuchungen keine erneute Aufarbeitung des komplexen Themas „Doping im Hochleistungssport zu DDR-Zeiten“ stattfinden sollte und konnte. Grundlage der Ermittlungen waren vielmehr die Ergebnisse der so genannten „ad-hoc-Kommission“ unter Vorsitz von Manfred von Richthofen vom 14. Dezember 1991 sowie der so genannten „Reiter-Kommission“ vom 19. Juli 1991 mit Empfehlung des erweiterten BA-L-Vorstandes. Neben der sorgfältigen Prüfung einer Vielzahl an Unterlagen und schriftlichen Aussagen von ehemaligen Mitgliedern der DDR-Biathlon-Nationalmannschaft wurden im Rahmen der Kommissionsarbeit auch zahlreiche mündliche Anhörungen von Betroffenen und Zeugen – unter anderem auch von Jürgen Wirth und Dr. Jens Steinigen – durchgeführt.
Nach Abschluss der Untersuchungen kommt die Kommission „DDR-Doping“ zu folgendem Ergebnis:
1. Zumindest bei mehrtägigen Lehrgängen der Nationalmannschaft wurden auch im Biathlon-Bereich in der ehemaligen DDR Dopingmittel verabreicht. Diese so genannten „blauen Pillen“ oder „blauen Blitze“, bei denen es sich um das Präparat Oralturinabol handelte, wurden zur Beschleunigung der Regeneration eingesetzt.
2. Bei einem Herbstlehrgang der damaligen DDR-Biathlon-Nationalmannschaft im Jahre 1985 in Kiruna (SWE) wurde auf Nachfrage von Sportlern in einer Mannschaftssitzung von dem damaligen Mannschaftsarzt bestätigt, dass es sich bei den blauen Pillen um Dopingmittel handelte, während die Trainer immer nur von „trainingsunterstützenden Mitteln“ gesprochen haben.
3. Alle im sportlichen Umfeld der Spitzenathleten tätigen Personen mussten auf Grund der Art und Weise der Verabreichung dieser so genannten „Blauen Pillen“ davon gewusst haben, dass es sich um etwas „Verbotenes“ handelte. Darüber hinaus ist die Kommission davon überzeugt, dass zumindest die Chefverbandstrainer näher informiert gewesen sein mussten.
Kommissionsergebnis zu Frank Ullrich
Frank Ullrich war im maßgeblichen Zeitraum (ab 1986) Teildisziplintrainer „Lauf“ der DDR- Biathlon-Nationalmannschaft. Er hat die Einnahme von Dopingmitteln weder angewiesen, noch selbst welche an Athleten verabreicht und auch nicht die Einnahme überwacht beziehungsweise kontrolliert. Er gehörte nicht zu den „Cheftrainern“, die im engeren Kreis eingebunden waren und die im Sinn der ad-hoc-Kommission als „besonders belastet“ gelten.
DSV-Bundestrainer Ullrich entlastet
Auch nach heutigen Maßstäben hätte er sich keines Dopingverstoßes zu verantworten, ungeachtet dessen, dass die Kommission davon ausgeht, dass eventuelle Dopingverstöße sowohl in strafrechtlicher wie auch in dopingrechtlicher Hinsicht verjährt wären.
„Trainingsunterstützende Mittel“
Andererseits geht die Kommission davon aus, dass auch Frank Ullrich zumindest ahnen konnte, dass in Form der sog. „blauen Pillen“ etwas „Verbotenes“ verabreicht wurde, selbst wenn er bei dem Kiruna-Lehrgang 1985 noch nicht dabei war und angenommen werden kann, dass in seinem Beisein niemals das Wort „Doping“ gefallen ist.
Wenn Frank Ullrich auch heute daran festhält, er sei davon ausgegangen, dass es sich lediglich um trainingsunterstützende Mittel im legalen Bereich gehandelt hat, geht die Kommission von einem unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus aus. Dahingehend, dass er sich die Dinge als junger, ehrgeiziger und an Spitzenleistungen orientierter Trainer in dem Sinne zu recht gelegt hat, dass dies nach dem damaligen Erkenntnisstand notwendig gewesen sei.
Empfehlung an das Präsidium
„Infolge der zuvor getroffenen Tatsachenfeststellungen und ihrer Bewertung sieht die Kommission keinen Anlass, rechtliche Schritte gegen Frank Ullrich einzuleiten, zumal darüber hinaus strafrechtliche und/oder dopingrechtliche Sanktionsmöglichkeiten offensichtlich verjährt wären.
Ob arbeits- oder dienstrechtlich Konsequenzen angezeigt wären, bedarf keiner Empfehlung der Kommission an das DSV-Präsidium, nachdem Anstellungsträger von Frank Ullrich die Bundeswehr ist. Allerdings würde die Kommission aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen und Bewertungen für solche Schritte keine Veranlassung sehen.
Gleiches gilt für sportpolitische und sportethische Konsequenzen im Hinblick auf den Einsatz von Frank Ullrich als Bundestrainer Herren im Biathlon-Bereich. Frank Ullrich hatte als DDR-Disziplintrainer „Lauf“ im Biathlon zum einen nicht die Möglichkeit, aktiv zum Doping in der ehemaligen DDR beizusteuern und hat dies nach dem Erkenntnisstand der Kommission auch tatsächlich nicht getan. Es verbleibt somit allenfalls das Wissenselement, ohne freilich gegensteuern oder die Dinge positiv beeinflussen zu können. Dies wäre ihm in einem System, in dem Leistungsmanipulation als Staatsziel vorgegeben und flächendeckendes Doping in einer hierarchischen Struktur von Befehl und Gehorsam von oben nach unten zwingend angeordnet worden ist, mit Sicherheit nicht möglich gewesen.
Nicht unberücksichtigt darf in diesem Zusammenhang bleiben, dass bis heute kein Athlet aus dem Biathlon-Bereich der ehemaligen DDR den Vorwurf gegen Frank Ullrich erhoben hat, durch eine von ihm zu verantwortende Doping-Verstrickung gesundheitlich geschädigt worden zu sein. Auch nicht seitens der Biathleten, die ihn im gegenständlichen Verfahrenszusammenhang beschuldigt haben. Damit kann zugunsten von Frank Ullrich auch berücksichtigt werden, dass er – im Gegensatz zu ehemaligen DDR-Trainern in anderen Sportdisziplinen – nicht mit einer „Opferdebatte“ belastet ist.Weiter ist Frank Ullrich nunmehr fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung als Trainer tätig und hat sich in dieser Funktion immer uneingeschränkt zu einem dopingfreien Sport bekannt. Dass es sich hierbei nicht um Lippenbekenntnisse gehandelt hat beweist die Tatsache, dass während dieser langen Zeit niemals auch nur ansatzweise ernst zu nehmende Verdachtsmomente gegen ihn persönlich oder seinen Verantwortungsbereich zu Tage getreten sind.“
ZITATE UND MEINUNGEN ZUM PRÜFUNGSERGEBNIS FRANK ULLRICH:
Der Sporthistoriker Giselher Spitzer zeigt sich enttäuscht.
„Es verwundert, dass die Kommission die Ergebnisse der historischen und juristischen Aufarbeitung des DDR-Dopings nicht zur Kenntnis nimmt“, sagt der wissenschaftliche Experte für DDR-Doping, „sie verkennt die Verantwortung der Trainer auch in der zweiten oder dritten Reihe.“ Damit falle sie weit hinter den aktuellen Forschungsstand zurück. Er weist auch daraufhin, dass die in der DDR im Biathlon verabreichten Anabolika-Mittel nicht für das Schießen hilfreich waren, sondern für das Laufen. Also genau für den Bereich, den Frank Ullrich zu verantworten hatte.
… „Der Bundeswehr ist dringend anzuraten, dass sie in diesem Fall disziplinarische Untersuchungen einleitet, da sich wie von der Kommission angedeutet sportethische und sportpolitische Fragen ergeben.“ (Tagesspiegel, 29.7.2009)
Tagesspiegel, 3.8.2009: Doping wird verdrängt? Na und!
„Die Forschung hat festgehalten, dass ein Mitwissen der DDR-Athleten beim Doping auch im Spitzenbereich nicht die Regel war. Der Verbandsarzt Kämpfe berichtete als Stasi-Mitarbeiter, dass man bei den Frauen sogar zur Vergabe mit der Nahrung überging, weil Vorbehalte bestanden hätten. Dagegen waren DDR-Trainer und -Ärzte über Dopingwirkungen und über gesundheitliche Gefahren informiert. Dies belegen geheime Richtlinien zur Fort- und Weiterbildung. Laut Verbandsarzt Kämpfe sollten ab 1984 je Biathlet und Saison zwischen 450 und 600 mg OT eingesetzt werden. In den Nachbar-Disziplinen Langlauf und Nordische Kombination wurden noch mehr Dopingpräparate eingesetzt als nur das lebertoxische Oralturinabol: Vor Wettkämpfen wurde den Läuferinnen vermännlichendes Testosteronpropionat gespritzt und von Männern psychoaktives Clomiphen geschluckt.
Laut DSV-Kommission musste das sportliche Umfeld „davon gewusst haben, dass es sich um etwas ‚Verbotenes’ handelte“. Man sei davon „überzeugt, dass zumindest die Chefverbandstrainer näher informiert gewesen sein mussten“. Solche unscharfen, kaum belastbaren Aussagen lassen sich nur erklären, wenn sie auf Grundlage von Erklärungen des mutmaßlich dopingverstrickten Personals entstanden ist. Und: sie fallen hinter den juristischen und historischen Erkenntnisstand zurück – sie sind falsch.“
Frank Ullrich zu den Vorwürfen:
… Wie stark haben die Anschuldigungen an Ihnen genagt?
Ullrich: Sie waren nach dem Tod meiner ersten Frau und meiner Schwester eine der schwersten Situationen in meinem Leben. Ich bin zwar gegen solche Anfeindungen schon etwas resistenter, denn bereits Mitte der 90-er Jahre wurde ich von der Sportbild denunziert. Die dreiste Behauptung lautete damals, dass der Tod meiner Frau im Zusammenhang mit Doping steht. Nun wurde ich von Jürgen Wirth und der ARD-Doping-Redaktion an den Pranger gestellt und mit Dingen konfrontiert, die über 20 Jahre zurückliegen. Wie im Fall der angeblichen Blutbank-Affäre in Wien, die sich zur Weltmeisterschaft 2008 gegen eine Vielzahl unserer Athleten richtete, erwiesen sich die Anschuldigungen abermals als absolut haltlos. Das ist Rufmord. Doping-Verfehlungen, ob in der Gegenwart oder Vergangenheit, müssen selbstverständlich aufgearbeitet werden. Aber hier ist mein Name missbraucht worden….
(Freies Wort, 30.7.2009)
Kommissionsergebnis zu Wilfried Bock
Verbandstrainer Wilfried Bock war aktiv in die Verabreichung von Dopingmitteln involviert. Dies hat er bei seiner Vernehmung vor der DSV-Kommission auch eingeräumt. Nicht glaubhaft erscheint in diesem Zusammenhang seine Relativierung dahingehend, dass er es jedem Athleten freigestellt habe, ob er die Mittel nehme oder nicht.
Empfehlung an das Präsidium:
„Auch wenn Wilfried Bock schon allein auf Grund seiner Verbandstrainerposition eine mit Frank Ullrich nicht vergleichbare aktive Rolle innehatte, sind dennoch straf- und dopingrechtliche Schritte verjährt.
Allerdings wäre es für die Kommission aus sportpolitischen Gründen bedenklich, wenn Bock weiterhin eine haupt- oder ehrenamtliche Funktion innerhalb des Deutschen Skiverbandes ausüben würde. Sie empfiehlt daher dem DSV-Präsidium, davon Abstand zu nehmen. Wilfried Bock bleibt es selbstverständlich unbenommen, in einem Verfahren vor der DOSB-Steiner-Kommission eine anderslautende Empfehlung zu erwirken.
Kommissionsempfehlung zu ähnlichen Vorwürfen
„Noch einmal sei betont, dass eventuelle Verstöße dopingrechtlich wie auch strafrechtlich längst verjährt wären. Zum Maßstab für Verhaltensanforderungen des DSV können daher nur sportpolitische und sportethische Erwägungen gemacht werden. Danach ist aus Sicht der Kommission wie folgt zu verfahren, wenn künftig Vorwürfe gegenüber Funktionären, Trainern, Ärzten, Physiotherapeuten etc. aus dem DSV-Bereich erhoben werden:
1. Waren die Vorwürfe schon Gegenstand einer validen Untersuchung (staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, Gerichtsverfahren, Disziplinarverfahren, Untersuchungskommission etc.) sollte unter Verweis auf deren Ergebnis den Vorwürfen nicht erneut nachgegangen werden.
2. Betreffen die Vorwürfe den Personenkreis aus der 2. Linie, die im Sinn der ad-hoc-Kommission nicht als besonders belastet gilt, sollte den Vorwürfen nicht weiter nach gegangen werden. Hier wäre auf das seinerzeit von Staats wegen angeordnete und hierarchisch von oben nach unten strukturierte flächendeckende Doping zu verweisen. Hervorzuheben wäre, dass der Betroffene in dieser Struktur nur ein Glied in der Kette war, ohne jede Möglichkeit, die Dinge in irgendeiner Art und Weise aktiv und/oder gar positiv beeinflussen zu können.
Ausnahme:
Vorwürfe gegen einen Angehörigen dieses Personenkreises unter 3 Voraussetzungen:
a. Doping an namentlich genannten Personen mit gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen
b. und/ oder gegenüber Minderjährigen
c. sowie die substanzielle Behauptung eines aktiven Beteiligungsbeitrages, die geeignet ist, einen dringenden Tatverdacht zu begründen.
3. Ist der Personenkreis betroffen, der im Sinn der ad-hoc-Kommission als besonders belastet gilt, ist diesen Vorwürfen nur dann nach zu gehen, wenn es sich nicht nur um allgemeine Verdächtigungen, sondern um substanzielle Tatsachenbehauptungen handelt, die geeignet sind, einen dringenden Tatverdacht zu begründen.“
Pressemitteilung des DSV-Präsidium
DSV-Präsidium folgt Empfehlungen der Kommission „DDR-Doping“.
Nach einem einstimmigen Beschluss des DSV-Präsidiums wird der Deutsche Skiverband die Empfehlungen der Untersuchungskommission „DDR-Doping“ in allen Punkten umsetzen. Frank Ullrich wird demnach auch im kommenden Olympiawinter als Bundestrainer für die Biathlon-Herren verantwortlich zeichnen. Das Arbeitsverhältnis mit Wilfried Bock wird zum 31. Oktober beendet.
Hörmann: Verantwortungsbewusste Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit
„Ich danke allen Kommissionsmitgliedern für ihre umfangreiche, gewissenhafte und hochqualifizierte Arbeit sowie die ausgesprochenen Empfehlungen“, erklärte DSV-Präsident Alfons Hörmann. „Mit der Einsetzung der Kommission hat der DSV aus Verbandssicht alles getan, um der Aufarbeitung der „DDR-Vergangenheit“ nicht nur im aktuellen Fall, sondern auch zukünftig verantwortungsbewusst Rechnung tragen zu können.“