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2014 DOSB Abschlussbericht der Steiner-Kommission zur Studie „Doping in Deutschkand ….“
Im August 2013 wurden Endergebnisse des Forschungsauftrags „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ veröffentlicht. Forschergruppen der Universität Münster und der Humboldt-Universität Berlin hatten 2008 den Auftrag erhalten, die Dopinghistorie West-Deutschlands aufzuarbeiten.
Die Genese und die Entwicklung des Projektes mit den Ergebnissen, auch Desiderata und Empfehlungen, sind hier beschrieben:
>>> Aufarbeitung der westdeutschen Doping-Vergangenheit – Forschungsprojekt „Doping in Deutschland…“
Nach der Veröffentlichung der Endberichte beauftragte der DOSB eine siebenköpfige Kommission unter Leitung von Prof. Dr. Udo Steiner mit der Aufgabe Handlungsempfehlungen für den deutschen Sport und dafür verantwortliche Gremien, Organisationen und Gruppen auf Grundlage der Studienerkenntnisse zu erarbeiten.
Der Abschlussbericht der Kommission (74 Seiten) wurde am 11.6.2014 veröffentlicht (DOSB, 11.6.2014):
>>> DOSB-BERATUNGSKOMMISSION DOPING IN DEUTSCHLAND – ABSCHLUSSBERICHT
Die aufgeführten auf den Studien basierenden Analysen gehen teils kritisch mit den heute gegebenen Strukturen des Hochleistungssports um. Die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen sind aber nicht neu, vieles wurde immer wieder im Laufe der Jahrzehnte vorgetragen und angeblich auch intensiv diskutiert. Umgesetzt wurde wenig bis nichts.
Hier zum Vergleich die >>> Grundsatzerklärungen für den Spitzensport von DSB und NOK aus den Jahren 1977 und 1983, denen alle Verbände und verantwortlichen Gruppen zugestimmt haben.
Am 11.9.2014 beschloss das DOSB-Präsidium ‚Konsequenzen‘ aus dem Bericht zu ziehen:
DOSB: Bericht der Steiner-Kommission: Konsequenzen
Die Mitglieder der Kommission 2013/2014:
– Prof. Dr. Udo Steiner (ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, Leitung)
– Prof. Dr. Klaus Cachay (Leiter des Arbeitsbereichs “Sport und Gesellschaft” der Uni Bielefeld)
– Meike Evers-Rölver (Ruder-Olympiasiegerin, Kriminalkommissarin)
– Dr. Andrea Gotzmann (Vorstandsvorsitzende NADA)
– Prof. Dr. Herbert Löllgen (Ehrenpräsident Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention)
– Prof. Dr. Wilhelm Schänzer (Leiter Anti-Doping-Labor Deutsche Sporthochschule Köln)
– Dr. Volkhard Uhlig (ehemaliger Basketball-Nationalspieler)
Zitate aus ‚Ergebnisse und Empfehlungen‘ (S. 57ff)
I. Vorbemerkungen
1. Im nationalen Raum der Bundesrepublik Deutschland stehen – soweit ersichtlich und vorbehaltlich der folgenden Empfehlungen – in ausreichendem Maße gesetzliche, administrative und vertragliche Grundlagen zur Bekämpfung von Doping im Sport zur Verfügung. Es kommt darauf an, sie in der Praxis auszuschöpfen. Rechtliche Optionen bestehen noch im Bereich der strafrechtlichen Verfolgung von Dopingvergehen. …
2. Zur erfolgreichen Bekämpfung von Doping im Sport führt kein „Königsweg“. Nur die Summe koordinierter Maßnahmen und Vorkehrungen vermittelt eine Chance auf Erfolg. Qualität und Quantität von Prävention und Sanktionierung bei Dopingvergehen haben heute national und international einen Stand erreicht, der weit über das hinausgeht, was Standard im Zeitraum vor 1990 war. … Dem DOSB kommt dabei die Leitfunktion zu. Von ihm wird erwartet, dass er im Sinne einer relativierenden Reflexion (vgl. dazu unter B I 3) ein Leitbild des Spitzensports in Deutschland entwirft, in dem eine Nulltoleranzhaltung gegenüber Doping deutlich zum Ausdruck kommt und in dem der Verzicht auf sportlichen Erfolg bewusst einkalkuliert wird, wenn er ohne Doping nicht zu erreichen ist.
II. Die NADA als Kompetenzzentrum in Dopingfragen
1. … Es gilt, die NADA als Kompetenzzentrum in allen Dopingfragen anzuerkennen. Ohne eine nachhaltige Finanzierung der NADA und der für die Doping-Analysen zuständigen wissenschaftlichen Einrichtungen, die bei der WADA akkreditierten Labore in Köln und Kreischa, sind die einschlägigen Rechtstexte nur Papier. Die Kommission begrüßt das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Finanzierung der NADA im Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ (2013, u. 4.3., S. 137)….
2. Der DOSB und seine Mitgliedsverbände werden ernsthaft zu erwägen haben, die Anti-Dopingarbeit 12 Jahre nach Gründung der NADA vollständig aus ihren ehrenamtlichen Strukturen herauszulösen. … Professionelle Anti-Dopingarbeit dient dem Schutz der ehrlichen Athleten und muss als Chance und nicht als Belastung empfunden werden.
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5. Unbeschadet der Übertragung von Kontrollfunktionen auf andere Institutionen dürfen der DOSB und die Sportfachverbände nicht von ihrer Eigenverantwortung für einen manipulationsfreien Sport freigestellt werden. Es ist zu erwägen, die Verteilung von Mitteln an die Sportfachverbände durch den DOSB an deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Bekämpfung von Doping in Eigenkontrolle zu knüpfen. …
Kommission S. 15:
Die Sportverbände tragen zum Dopingrisiko implizit bei, wenn sie die Normen für die Teilnahme an internationa-len Wettkämpfen so hoch ansetzen, dass sie mit „normalen“ Mitteln kaum zu erreichen sind, vielmehr geradezu nach „heimlicher Unterstützung“ verlangen. Damit aber ist Doping ein Stück weit dieser spezifischen Akteurskonstellation geschuldet und damit stets als Systemproblem zu verstehen. Dies sollte man wissen, wenn man nach „Lösungen“ sucht, denn schließlich bleibt deren Reichweite immer auch wesentlich durch eben diese Akteurskonstellation bestimmt.
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Um kein Missverständnis hervorzurufen, sei nochmals betont: Der Athlet kann immer noch „ja“ oder „nein“ zu Doping sagen, aber ein „nein“ wird eben in dem Maße, in dem ganz bestimmte Bedingungen vorliegen oder sich teils noch verstärken, immer unwahrscheinlicher, kann in gewisser Weise kaum noch anders denn als „heroische Leistung“, quasi als „Alleingang des sauberen Athleten“ angesehen werden. Dies ist nicht zuletzt auch deshalb so, weil Doping ein internationales Phänomen darstellt, Athleten also immer damit rechnen müssen, dass sich andere durch Dopen Vorteile verschaffen und damit die eigenen Bemühungen um dopingfreie Leistungssteigerung mit all den damit verbundenen Versagungen zunichte gemacht werden.
III. Das internationale Engagement von Staat und Sport
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3. DOSB und Sportfachverbände sind gehalten, sich durch ihre Vertreter in den internationalen Gremien des Sports konsequent – auch mit dem Risiko nachteiliger Folgen, wie etwa der Nichtteilnahme an Wettkämpfen – für eine Harmonisierung der Anti-Doping-Arbeit und ein standardisiertes Kontrollsystem einzusetzen. Sie sollten darauf hinwirken, dass die Zahl der internationalen Wettkämpfe verringert oder zumindest nicht vermehrt und damit eine natürliche Regeneration zwischen den Wettkämpfen gefördert wird.
IV. Nominierungsfragen
1. Internationale Vorgaben („high level international compe-titions“ i.S.d. IOC-Charta) stehen dem Vorschlag entgegen, für die Nominierung von Athleten für Großsportereignisse die nationalen Höchst- oder Bestenleistungen zugrunde zu legen. Die entscheidenden Sportfachverbände sind jedoch gefordert, die nationalen Spielräume athletenfreundlich zu nutzen. Dies gilt insbesondere für die Entsendung von Athleten zu Wettbewerben in Sportarten, die als dopinggefährdet eingestuft sind. … Alle Nominierungsentscheidungen müssen transparent sowie nachvollziehbar sein, um ggf. einer gerichtlichen Kontrolle standzuhalten. Insgesamt muss die Nominierungspraxis immer wieder auf ihre latente Wirkung hin geprüft werden, Doping anzureizen.
2. Zielvereinbarungen zwischen dem DOSB und den Sportfachverbänden im Zusammenhang mit der Entsendung von Mannschaften zu Olympischen Spielen sind legitimer Teil des Spitzensports, der sich an seinen Erfolgen messen lassen muss. Allerdings sollten diese realistisch sein und sich keinesfalls nur an (zunehmend überhöhten) Medaillenvorgaben orientieren, um keine Anreize für Doping zu schaffen.
V. Prävention in Dopingfragen
1. Die Prävention in Dopingfragen muss umfassend angelegt sein („strukturelle“ Prävention über Projektförderung hin-aus) und das zentrale Ziel haben, einer Dopingbereitschaft und Dopingmentalität im gesamten Sport entgegen zu wirken. Sie muss primär bewusstseinsbildend wirken … .
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3. Das Bundesministerium des Innern wird gebeten zu prüfen, ob Zuwendungsbescheide in rechtsstaatlich einwandfreier Weise auch mit Auflagen zur Präventionsarbeit der geförderten Verbände versehen werden können. …
VI. Berufliche Förderung der Athleten während und im Anschluss an den Sport
1. … Unverzichtbar ist es jedoch, alle Mittel einzusetzen, die den Erfolgsdruck des Athleten abschwächen können, um die Chance auf einen dopingfreien Sport zu erhöhen. Als Wege zu diesem Ziel kommen in Betracht:
1. Die berufliche Absicherung des Athleten nach Ende seiner aktiven Sportlerzeit (Sport als Beruf auf Zeit) kann zur Bereitschaft des Athleten beitragen, seine sportlichen Leistungen nicht zu manipulieren. Das Konzept der „dualen Karriere“ erscheint überzeugend und bedarf – über die dienstrechtlichen Modelle (Bundespolizei, Zoll, Feuerwehr) hinaus – des weiteren Ausbaus. …
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VII. Stärkung der Stellung des Athleten im Sportsystem
Alle am Sportgeschehen Beteiligten müssen darauf hinwirken, dass die Stellung des Athleten als eigenverantwortlichem und aufgeklärtem Hauptakteur im Gesamtsystem des Spitzensports gestärkt wird.
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5. Der Erfolgsdruck, unter dem auch das Leistungssportpersonal steht, kann ebenfalls zur Manipulation verleiten. Auch wenn im Spitzensport eine vollständige Entkoppelung der Vergütung des betreuenden Umfelds und insbesondere der Trainer vom Erfolg des trainierten Athleten nicht sinnvoll erscheint, gilt es, Vertragsgestaltungen zu finden, die die ökonomische Abhängigkeit des Betreuungsumfelds vom Erfolg des Athleten verringert. Im Jugendbereich darf der sportliche Erfolg bei der Vertragsgestaltung allerdings keine Rolle spielen.
VIII. Die ärztliche Verantwortung
1. Zu den Erfahrungen der Jahrzehnte bis 1990 gehört nach den Ergebnissen der Studien, dass – trotz fachlicher Kontroversen in der deutschen Sportmedizin – Ärzte jedenfalls an bestimmten Lehrstühlen in Deutschland durch verschiedene Formen der Beteiligung am Doping im Sport ihre Berufspflichten verletzt haben und die rechtlichen Möglichkeiten der staatlichen und ärztlichen Berufs- und Standesaufsicht nicht genutzt wurden, um diesem Missbrauch zu begegnen. Es muss nachhaltig in der Sportmedizin in Erinnerung gebracht werden, dass der Arzt und seine Mitarbeiter nach den Vorgaben des geltenden Arztrechts für die Gesundheit und nur mittelbar (präventiv), etwa zur Vermeidung von Überlastungssituationen, für die Leistungssteigerung des Athleten verantwortlich sind, und Doping mit dieser Verantwortung schlechterdings unvereinbar ist. Ein Verstoß gegen diesen fundamentalen Grundsatz muss unbedingt geahndet und hat in schweren Fällen zum Entzug der Approbation wegen unwürdigen Verhaltens durch die zuständigen staatlichen Stellen der Länder zu führen.
2. Die zuständigen Stellen sind gehalten zu prüfen, ob und in welchem Umfang Wissen über Doping und Medikamentenmissbrauch im Sport zum Pflichtstoff der Approbation gehört.
3. Die Kommission hält es für notwendig, dass die für die staatliche Aufsicht über die Ärzte zuständigen Behörden und die (Landes-)Ärztekammern die ärztliche Berufsausübung im Zusammenhang mit einer möglichen ärztlichen Unterstützung von Doping stärker als bisher überwachen. Bei Verdacht von Dopingverstößen sollte die zuständige Ärztekammer unbeschadet etwaiger staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen unterrichtet werden.
4. Die Lizenzierung von Einrichtungen, Abteilungen oder Personen zur Untersuchung und Betreuung von Spitzensportlern (Bundeskadersportler) durch die dafür zuständigen Organisationen des Sports sollte nur erfolgen, wenn sich der Lizenznehmer in wirtschaftlich stabiler Situation befindet und seine Vergütung nicht vom Erfolg des betreuten Athleten abhängig ist.
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6. Die zuständigen staatlichen Stellen sind angehalten, sorgfältig zu überprüfen, ob über den Besitz und die Verwendung von Medikamenten in Zentren und Stützpunkten des Spitzensports wie bei Krankenhäusern Buch geführt wird.
IX. Trainings- und Betreuungsbedingungen
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X. Compliance-Sicherung
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