Doping in der BRD 1980er Jahre: Zusammenfassung, Überblick
Inhalt:
Dopingbestimmungen der 1980er Jahre
Kortison, EPO und Co.
Erklärungen / Resolutionen
Trainingskontrollen
Dopingkontrollpraxis,-vorfälle 1980er Jahre
Dopingbestimmungen der 1980er Jahr
Ausschlaggebend für den internationalen olympischen Sport war wie schon in den Jahrzehnten zuvor, die Liste der verbotenen Mittel und Methoden des IOC. Diese galt uneingeschränkt für die Olympischen Spiele und diente als Grundlage der nationalen und internationalen Diskussion. Die Internationalen Fachverbände sowie die nationalen Dachorganisationen und Fachverbände hatten jedoch die Möglichkeiten eigene Listen und Bestimmungen zu verabschieden – oder auch nicht. Diese Regelungen galten dann bei den entsprechenden nationalen und internationalen Veranstaltungen, die unter Federführung der einzelnen Verbände durchgeführt wurden.
Aus dieser Situation ergab sich sich ein wildes Durcheinander und viel Unklarheit. Unklarheiten ergaben sich damit auch bei den durchgeführten Kontrollmaßnahmen und den damit einhergehenden Vergleichen und Analysen wie hier unter >>> Dopingkontrollpraxis 1980er Jahre ausgeführt. So manche in der damaligen Zeit vorgetragene Schlussfolgerungen und Meinungen erscheinen uns heute in einem ganz anderen Licht.
Die Situation war damit vergleichbar mit der hier unter der Rubrik ‚1970er Jahre‚ beschrieben.
Einen kleinen Überblick über die sich veränderten Dopingbestimmungen gibt folgende Liste
>>> internationale Anti-Doping-Maßnahmen
siehe auch >>> 1986 BISp Antidoping-Broschüre
die Situation 1987 – 1990
Manfred Donike erläuterte in der Expertenanhörung ‚Humanität im Spitzensport‘ im Sportausschuss des Deutschen Bundestages am 14.10.1987 den Stand der Dopingkontrollen und -analytik (S. 6/118ff) auf der Basis des IOC-Reglements. Inwiefern und ob sich deutsche Vorgaben anders darstellen, ob es Änderungen gegenüber den Regelungen der 1970er Jahre gegeben hat, ist mir nicht bekannt.
>>> Ausschnitt M. Donike, Sportausschuss 1987
Bezogen auf die IOC-Bestimmungen heißt es darin u.a.:
– „Auf der Dopingliste stehen Medikamentengruppen. Jede Medikamentengruppe setzt sich aus sehr vielen Substanzen zusammen.“
Gruppe der Stimulanzien: „Die Stimulantien wurden nach einem Todesfall, der sich 1960 bei den Olympischen Spielen ereignet hatte ein dänischer Radrennfahrer starb unter dem Einfluß von Amphetamin – auf die Liste gesetzt.“
Gruppe der Narkotika: „nach meiner [Donike] Auffassung im Sport als Dopingmittel ohne jede Bedeutung – a steht auf der Liste der Dopingmittel, nachdem 1967 Tom Simpson bei der Frankreich-Rundfahrt an einem Dopingcocktail, bestehend aus Amphetamin und Narkotika, gestorben ist.“
Gruppe der Anabolika: „Die Anabolika wurden 1974 von der Medizinischen Kommission des IOC auf die Liste gesetzt, nachdem in München, wo zum erstenmal in einem breiten Umfang auf Stimulantien und Narkotika überprüft wurde, der Mißbrauch von Anabolika offenkundig wurde. Hier ging der Mißbrauch sogar so weit, daß nicht nur im Männersport, wo man über die Notwendigkeit der Dopingkontrolle auf Anabolika wirklich diskutieren kann, sondern auch im Frauensport massive Dosen gegeben wurden und – trivial genannt – Geschlechtsumwandlungen auf diesem Weg angestrebt wurden.
Abgeordneter Sauer (Stuttgart) (CDUlCSU): 1988:
„Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den offenkundig gewordenen Meinungsstreit über die Grenzen zwischen unerlaubten Mitteln und medizinisch notwendiger Betreuung, z. B. nach Verletzungen, aber auch in der Regenerationsphase ansprechen. Dieser Kampf der Sportmediziner darf nicht auf dem Rücken der Aktiven, der Athleten ausgetragen werden. Wir dürfen nicht akzeptieren, daß die Dopingliste verlängert und dadurch gleichzeitig die Liste gesunder und leistungsfähiger Athleten verkürzt wird.“„ich habe mich sehr über die Aussage des ehemaligen Weltmeisters in der Nordischen Kombination, Hermann Weinbuch, gefreut, der in den Tagen von Calgary meinte, er lehne Doping ab, weil er sich schämen würde, mit Hilfe von unerlaubten Mitteln eine Medaille erreicht zu haben. Wir müssen dann aber auch ertragen, daß unsere Athleten einmal nicht so erfolgreich sind, wie sie es vorher waren und wie wir es vielleicht von ihnen erwartet haben. Mir ist ein 29. Platz ohne Manipulation lieber als eine Medaille, die nur unter Einsatz von Medikamenten gewonnen werden konnte. Hier muß das Hoch und das Tief sportlicher Leistungsfähigkeit akzeptiert werden.“
„Die Aktiven, die in diesen Bereich vordringen, erfüllen aber nicht nur ihr eigenes Leistungsbedürfnis, sondern auch die Erwartungen unserer Gesellschaft. Sie dienen auch dem Ansehen unseres Landes. Die Förderung des Spitzensports ist eine Aufgabe gesamtstaatlicher Repräsentation. Spitzensport verlangt den Einsatz sämtlicher vertretbarer Hilfsmittel zur Steigerung der Leistung, jedoch nicht jenseits der Grenze, die durch Wahrung der Gesundheit, Chancengerechtigkeit sowie Menschenwürde gesetzt ist. Wir lehnen daher die Anwendung sämtlicher Mittel, die diese Grenzen verletzen, ab.“
– neuere Verbote:
Betablocker: „Nach den Erfahrungen von Los Angeles wurden die Beta-Blocker als Dopingmittel ebenfalls verboten. Der Einsatzbereich sind in, erster Linie die Schießsportwettbewerbe.“
Blutdoping (Bluttransfusionen): Wurde verboten, als „im Jahre 1984 bekannt wurde und nachdem der Beweis bei amerikanischen Radrennfahrern geliefert wurde.“
Manipulation von Urin mit dem Ziel, Dopingkontrollen zu unterlaufen: „Hier spielt zunächst nur ein Wirkstoff eine Rolle: Probenecid.“
„Das heißt: Wenn man die gesamte Liste nimmt, dann ist sie eine Reaktion gewesen auf vorhandenen Mißbrauch.“
Im Jahr 1990 gilt diese
>>> Liste der pharmakologischen Gruppen von Dopingwirkstoffen und Dopingmethoden.
Verboten sind jetzt auch Peptidhormone wie Wachstumshormone, EPO, ACTH, HCG und Releasing Faktoren.
Folgende Liste aus dem Bericht der Reiter-Kommission 1991 führt neben den Substanzen und Methoden noch damit verbundene gesundheitliche Gefahren auf:
Kortison, EPO und Co.
W. Hollmann/Th. Hettinger schreiben über Mittel und Methoden der Verbotsliste in ihrem Standardwerk Sportmedizin, Ausgabe 1990:
Gegenüber den gewissermaßen „klassischen“ Dopingsubstanzen existieren heute biochemische und physikalische Methoden zur Steigerung der Leistungsfähigkeit im Wettkampf, deren Einstufung als Doping umstritten ist. Drei Hauptgründe können für die Nichtaufnahme in Dopinglisten maßgeblich sein:
1. Die ungenügende Kontrollmöglichkeit. Ein Gesetz, dessen Einhaltung praktisch nicht überwacht werden kann, ist durchweg ohne Wirkung.
2. Die Notwendigkeit einer chemischen Substitution verlorengegangener Körpersubstanzen, die unter der gegebenen Trainingsbelastung bei normaler Ernährung nicht voll und nicht rechtzeitig ersetzt werden können (z. B. Vitamine und Elektrolyte).
3. Physikalische Maßnahmen, wie z. B. das elektrische Krafttraining, sind praktisch nicht kontrollierbar und in einer Verbotsbegründung schlecht abgrenzbar gegenüber gestatteten physiko-chemischen Maßnahmen (z. B. Höhentraining).
Punkt 1. war zu der Zeit jedoch nur noch sehr eingeschränkt gültig. Der Problemdruck war mittlerweile so groß geworden, dass das IOC zunehmend Mittel und Methoden in die Verbotsliste aufnahm, die nicht nachweisbar waren wie Eigen- und Fremdblutdoping, Peptidhormone und Corticosteroide.
Mitte der 1980er Jahre wurde es zudem möglich Hormone gentechnisch herzustellen (Rekombinate). Damit konnten die Mengen erweitert und die Kosten gesenkt werden. Zudem wurden Gesundheitsgefahren für die Empfänger reduziert, wie sie in Verbindung mit dem Wachstumshormon bestanden, das bis dato aus Hirnanhangdrüsen Verstorbener gewonnen wurde. Der Spiegel schrieb am 18.5.1987:
„Demnächst erwarten die Experten auch in den europäischen Trainingslagern neue Doping-Drogen, die jetzt schon in USA Furore machen. Sie werden gentechnisch gewonnen, gleichen den körpereigenen Wirkstoffen aufs Molekül genau und sind deshalb überhaupt nicht mehr nachzuweisen. Das Fachblatt „Leistungssport“ freut sich schon auf die „neue Generation der Dopingmittel“. Es werde „inzwischen möglich, nicht mehr durch körperfremde Substanzen den gewünschten Reiz zu erzeugen“, sondern die Körperorgane „so zu stimulieren, daß diese von selbst erheblich mehr der entsprechenden Substanz hervorbringen“. Als Botenstoff wirken von Bakterien produzierte Neurotransmitter.“
Rekombinates EPO wurde bereits 1986 klinisch erprobt. Auf dem Markt kam es ab 1989. Wachstumshormon und die IGF-Gruppe, insulinähnliche Hormone, wurden ab 1985 gentechnisch erzeugt. 1982 war es zum ersten Mal gelungen Humaninsulin gentechnisch herzustellen.
Le Figaro zitiert am 23.1.1987 eine Stimme aus der Leichtathletik, die von einer „Wunderpille“ spricht, einem chemischen Cocktail, der aus einzelnen Produkten für die Sportler ganz individuell zusammen gestellt wird, genannt würde dies „stacking“. (de Mondenard, 1987, S.46)
Medikamentenmix (Polypragmasie)
Insbesondere nach Toni Schumachers Buch und dem Tod von Birgit Dressel wurde der verbreitete Medikamentenkonsum, hier insbesondere die Praxis viele verschiedene Produkte mehr oder weniger gleichzeitig zu geben bzw. einzunehmen, öffentlich problematisiert.
… Biochemieprofessor und Doping-Fahnder Manfred Donike, hat mittlerweile gut 1400 in der Bundesrepublik zugelassene Medikamente, die zum Doping mißbraucht werden, aufgelistet: Von A wie „Aludrin“ (eigentlich gedacht für Asthmatiker und Herzkranke) bis Z wie „Zinc in der Ophtiole“, hergestellt für Augenkranke, zweckentfremdet als Schnellmacher.“ (der Spiegel, 18.05.1987)
Heidi Schüller, Olympiateilnehmerin 1972 und Ärztin, gehörte zu den Medizinern, die in den späteren 1980er Jahren offen die verbreitete Dopingpraxis im Hochleistungssport ansprach und auch keine Scheu hatte, bekannten Sportmedizinern riskantes und unverantwortliches Handeln vorzuwerfen. So zum Beispiel in der Zeitschrift Sports 6/1987. In diesem Artikel, der nach dem Tod von Birgit Dressel entstand, beschreibt sie kurz einen anscheinend üblich gewordenen Medikamentenmix.
„Da wird ein Sportlerleiden mit immer neuen Mixturen und Kombinationen kuriert. „Polypragmasie“ nennt man diese vielgeschäftige Art, mit Phantasienamen belegt und mit bedeutungsschwerer Miene verabreicht.
Zum Beispiel die „Bombe“ aus Einzelpräparaten (Sensiotin®, Pasconeural-Injectopas®, Traumeel®, Zenaviran®, Causat B 12® und Discus Compositum) zur Behandlung schmerzhafter Gelenkschäden und Neuralgien. Erhoffte Wirkungen: Entzündungshemmung, Durchblutungsförderung, Schmerzlinderung etc. Polypragmasie nach dem Motto: Viel hilft viel!
Man könnte auch sagen: Viel Wind um nichts.
Bedenklicher erscheinen da schon andere Präparate, die zur Regeneration von geschädigtem Knorpelgewebe und bei Ischialgien an Spitzensportler verabreicht werden – beispielsweise Ney Chondrin von der Firma vitOrgan, eine Mischung von großmolekularen Organlysaten aus tierischen Geweben. Im Klartext: Ein Hinweis auf gravierende Nebenwirkungen findet sich nirgends. Es handele sich um „entkerntes, gefriergetrocknetes Material“, beschwichtigt ein behandelnder Arzt. Auch von der Firmenleitung kommen Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Diese Beurteilungen jedoch stellen anerkannte Immunologen in Frage. „Es wurde immer wieder davor gewarnt, aber keiner wollte uns hören“, sagt Professor Gerd Uhlenbruck, Leiter der Abteilung Immunbiologie an der Universität Köln. „Das ist ein Thema für das Bundesgesundheitsamt. Da es sich um Extrakte aus tierischen Organen handelt – z. B. Thymus, Hirnanhangdrüse, Stammhirn, Leber, Hoden, Bauchspeicheldrüse und Niere – kann die Gabe solcher Medikamente zu einer immunologischen Reaktion mit Antikörper-Bildung führen.“ Auch das Argument, es handele sich bei den verabreichten Spritzen nur um geringe Dosen, läßt Professor Uhlenbruck nicht gelten: „Selbst bei geringen Einzeldosen kann eine wiederholte Gabe im Rahmen der Anhäufung zu unerwünschten Reaktionen führen.“
Glukocorticoide, Corticosteroide
Vor allem aus dem Radsport war bekannt geworden, dass Glukocorticoide und Corticosteroide, Cortisonpräparate, in hohen Dosen eingesetzt wurden, auch Nebenwirkungen waren Gegenstand der Diskussion. Diese Medikamente wurden von Sportlern zur Schmerzüberbrückung, Regeneration und Stimmungsverbesserung, sowohl in der Trainingsphase als auch in Wettkämpfen angewandt.
Manfred Donike meinte hierzu 1979 in Bild der Wissenschaft:
… sobald die körpereigenen Steroidhormone wie Cortison angewendet werden [ist der Nachweis nicht möglich]. Meines Wissens werden jedoch häufig modifizierte synthetische Corticosteroide eingesetzt, und zwar wegen der besseren Wirksamkeit und des Langzeiteffektes, der sogenannten Depotwirkung. Bei diesen synthetischen Hormonen ist die Frage der Nachweisbarkeii einfach. Wir wollen das jetzt anhand der Urine, die wir von den Radweltmeisterschaften haben, untersuchen. Wie es zur Anwendung von Corticosteroiden gekommen ist, ist mir unklar. Meines Erachtens ist jemand nach einer lnjektion von einem Corticosleroid – vielleicht gegen Asthma oder Heuschnupfen verordnet – sehr schnell Rad gefahren. Das hat sich herumgesprochen.
…
Mir ist aus dem Radsport bekannt, daß Athleten während der ganzen Sommersaison wegen nicht therapierbaren Erkältungskrankheiien aussetzen mußten. Ich erkläre das durch eine Reduzierung des körpereigenen lmmunabwehrsystems aufgrund hoher Gaben von Cortison.
Auch aus westdeutschen Sportler-Berichten ist immer wieder so nebenbei von Cortisongaben auch und besonders unter ärztlicher Aufsicht zu lesen. So erzählt z. B. Karlheinz Förster, langjähriger deutscher Fußballnationalspieler, über seine Erfahrungen des Fitspritzens mit Hilfe Prof. Klümpers:
„Einmal im Monat, an seinem freien Tag, setzte sich der VfB-Vorstopper in seinen Mercedes und fuhr von Schwarzach im Odenwald nach Freiburg. Dort ließ er sich eine „Spritzenkur“ verpassen, „fünf, sechs Injektionen mit knorpelaufbauenden Mitteln, und wenn eine Entzündung drin war, natürlich auch mit Cortison“. … Die Zahl der Spritzen mit cortisonhaltigen Präparaten oder mit Kälberblut, Actovegin etwa, die Klümper ihm über die Jahre hinweg in die Gelenke stach, hat Förster nie gezählt. Es müssen weit über tausend gewesen sein.“ (der Spiegel, 9.5.2005)
In späteren Jahren ist Karlheinz Förster wie viele seiner Kollegen gesundheitlich schwer angeschlagen.
Das IOC hatte 1975 die Anwendung von Kortison explizit nur noch unter ärztlicher Aufsicht erlaubt. Die UCI verbot es 1978 komplett. 1984 findet man Kotison auf der Verbotsliste des IOC nicht, da es keinen Nachweis gab, doch der Olympische Weltverband warnt davor. 1987 erlauben IOC und UCI die Anwendung unter bestimmten Bedingungen, lokal und intraartikulär zu Therapiezwecken, doch ließ sich das so gut wie nicht kontrollieren. Hollmann/Hettinger sahen sich daher auch noch 1990 veranlasst ihre (angehenden) Sportmedizinerkollegen auf eine verantwortungsvolle Anwendung dieser Medikamente hinzuweisen bzw. bei Sportlern darauf zu achten, dass diese Medikamente von Sportlern nicht zur Leistungssteigerung angewendet werden.
„Bedauerlicherweise ist ein Trend festzustellen, nunmehr leistungsfördernde Pharmaka einzusetzen wie z. B. Testosteron und Glukokortikoide. Letztere, wie Kortirol, haben einen tiefgreifenden Einfluß auf den Kohlenhydratstoffwechsel. Sie fördern die Bildung von Kohlenhydraten aus Protein und Vergrößern die Glykogendepots des Körpers (lSSEKUTZ u. ALLEN, 1971). Hierdurch steigt das Leistungsvermögen bei mehrstündigen Ausdauerbelastungen. Auf die Gefahren einer Kortisolapplikation kann nicht genügend aufmerksam gemacht werden. Eiweißkörper können im weitesten Bereich geschädigt bzw. reduziert werden. Die Anfälligkeit für Infektionen aller Art scheint zu wachsen, die sich dann trotz Therapie anormal lang hinziehen. Die gerade bei Berufssportlern oftmals zum Zweck der Leistungssteigerung durchgeführte Hydrokortisonverabfolgung in den verschiedensten chemischen Abwandlungen stellt bei häufiger Wiederholung eine schwere Gefahr dar.“ (Hollmann/Hettinger, Sportmedizin, 1990, S. 633)
Das hinderte aber die Delegierten des Deutschen Sportärztebundes im November 1989 nicht daran, beim DSB mit einem Beschluss vorstellig zu werden, wonach in der Neufassung der DSB-Rahmenrichtlinien 1990 die weitgehende Freigabe der Corticosteroide fest zu schreiben sei. Sie seien ein wichtiges Heilmittel und daher solle ihre Anwendung bei Dopingkontrollen lediglich angegeben werden.
Erythropoetin (EPO)
Ende der 1980er Jahre gab es die ersten toten Sportler aufgrund zu hoher Dosen EPO (>>> Todesfälle im Radsport). Entsprechende Warnungen und Hinweise finden sich jedoch bei deutschen Experten kaum. Dr. Friedrich Ritthaler, Leiter des Instituts für Sportmedizin Stuttgart-Bad Cannstatt, erwähnt allerdings auf einem Anti-Doping-Seminar des Deutschen Fußballbundes im Oktober1989 die Möglichkeiten des Dopings mit EPO und die damit verbundene Ablösung des Höhentrainings und er stellt eine Verbindung zu ersten Toten unter Radrennsportlern her. Eine Doping-Arbeitsgruppe u.a. mit M. Donike, am Bundesinstitut für Sportwissenschaften diskutierte über das neue Medikament, das Bluttransfusionen ersetzen könnte, nach den Olympischen Winterspielen in Calgary 1988 und auch ein Jahr später. Wirkungen und Nebenwirkungen wurden jedoch als noch unbekannt eingestuft. So wurde während der Spiele im Februar 1988 bekannt, dass am Foothills Spital von Calgary mit EPO Versuche gelaufen wären.
„Während das EPO nach wenigen Stunden nicht mehr nachweisbar sei, halte der leistungsfordernde Effekt durch die Vermehrung der roten Blutzellen länger an, erklärte ein Sprecher des Hospitals. EPO soll ferner keine Nebenwirkungen besitzen und wegen seiner Eigenschaften bei derzeit gültigen Dopingkontrollen nicht nachweisbar sein.“
Der deutsche Olympiaarzt Dr. Ernst Jakob, Freiburg, Betreuer der Langläufer und Biathleten, hatte sich bereits ähnlich geäußert.
„Allerdings ist Erythropoetin sehr teuer – und vor allem ein Mittel für Todkranke. Damit stellt sich auf besondere Art die Frage der Moral. … Ernst Jakob, sagte am Mittwoch“ „Wenn der Begriff Moral im Sport noch eine Bedeutung haben soll, dann kann ich mir als Arzt absolut nicht vorstellen und halte es nicht für vertretbar, dieses Mittel Athleten zu spritzen, um Olympia sieger zu machen, wenn es für schwerkranke Menschen lebensnotwendig ist“.(SZ, 19.2.1988)
Prof. Dr. Joseph Keul meinte
„Die Injektion des Präparates bewirkt die starke Vermehrung der roten Blutkörperchen und damit eine höhere Sauerstoff-Aufnahmefähigkeit. Es ist zwar nach den bestehenden Bestimmungen Doping, aber bei richtiger Anwendung ungefährlich“, … „Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt.“ (sid, 18.2.1988)
1989 wurde dann Prof. Liesen vom BISP ein Forschungsantrag genehmigt mit dem u.a. „die Therapie der Eisenmangelanämie durch gentechnisch hergestelltes humanes Erythropoietin bei gleichzeitiger Eisensubstitution zu überprüfen“ überprüft werden sollte. Eine Verlängerung des Projektes liegt für 1990 vor. Als Probanden waren „Ausdauersportlerinnen ca. 20 (nationale Spitzenklasse)“, vorgesehen.
„Sollten die Bedingungen einer regelmäßigen Kontrolle nicht gegeben sein, eventuell Versuch mit einer Gruppe von Ausdauerläuferinnen des Freizeitbereiches. Es gibt jedoch keine Unterlagen darüber, dass das Projekt je durchgeführt wurde. (Spitzer, Doping in Deutschland…, S. 103)
Das Dopingpotenzial von EPO scheint beim IOC nicht erkannt bzw. beachtet worden zu sein. So berichtet Frank Van de Winkel in seinem 2011 erschienen Buch „Zero Dope“, dass Manfred Donike Ende der 1980er Jahre gegenüber Michel Audran (Universität Montpellier) den Gebrauch von EPO im Radsport verneint hatte, es lohne sich nicht Energie für einen Nachweis aufzubringen. Der Sportinformationsdienst (sid) schreibt am 5.6.1988 wie folgt:
„Ein neues Hormonpräparat (Erythopoietin), mit dem die Produktion von roten Blutzellen angeregt wird, nannte Donike in Köln „in seiner Wirksamkeit noch nicht ausreichend nachgewiesen“.
Jacques Rogge hat in späteren Jahren eingestanden, dass der medizinischen Kommission des IOC das Auftauchen von EPO und des künstlichen Blutersatzstoffes PFC zwar bekannt gewesen seien, aber man habe aus finanziellen Gründen keine weiteren Untersuchungen eingeleitet, auch sei es schwierig gewesen Laboratorien zu finden, die sich auf die Dopingbekämpfung konzentrieren wollten. So lange zu warten und dann mit den Analysen auch noch >>> Prof. Conconi zu beauftragen, sei aber ein Fehler gewesen.
Im Juni 1990 ist für das IOC und Donike die leistungssteigernede Wirkung belegt allerdings sieht Donike ebenso wie Keul noch keinen bewiesenen Zusammenhang zwischen den ersten Toten unter Radsportlern und EPO. In dem Protokoll der „Kleinen Arbeitsgruppe Dopingfragen“ des BISp heißt es:
Von Keul und Donike wird Kritik an Zeitungsberichten geübt, wobei drei Todesfälle holländischer Radrennfahrer in Zusammenhang mit der Einnahme von EPO gebracht werden. Diese Berichte sind als spekulativ zu bewerten, da keine Obduktion vorgenommen und die genaue Todesursache nicht geklärt wurde.
der Spiegel, 1.7.1985:
„Als unwirksam betrachtet Donike das vom IOC ebenfalls auf den Index gesetzte sogenannte Blutdoping: Dabei wird Athleten etwa ein Liter zuvor abgezapftes eigenes oder fremdes Blut vor dem Wettkampf eingespritzt. Dadurch sollen die Muskeln durch mehr rote Blutkörperchen besser mit Sauerstoff versorgt und leistungsfähiger gemacht werden.
Aus einem US-Trainingslager im Olympiajahr 1984 wurde inzwischen eine Frankensteinsche Szene bekannt: In einem Zimmer des Motels Ramada Inn in Carson (Kalifornien) ruhten im Doppelbett ein Bahnradler und ein Verwandter. Ein Arzt kontrollierte die Bluttransfusion an den Athleten.“
Bluttransfusionen / Blutdoping
Bluttransfusionen mit Eigen- und Fremdblut ist zwar bereits seit 1984 vom IOC verboten, doch da nicht nachweisbar, dürfte die Dunkelziffer der Anwendungen vor allem im Ausdauerbereich hoch gewesen sein.
Beim Skilanglaug-Weltcup im Februar 1987 in Lahti sollen sogar Blutproben von Teilnehmern genommen worden sein und ein Test auf Blutdoping erfolgt sein.
„Die ersten Sechs der Langlaut-Wettbewerbe und einige weitere ausgeloste Athleten sollen sich diesen Tests unterziehen. Der finnische Arzt Dr. Tapio Videman will eine Methode entwickelt haben, um diese Art der Manipulation in nur 24 Stunden nachweisen zu können. Der Internationale Ski-Verband FIS ist nach Aussagen seines Präsidenten Marc Hodler bereit, in Zukunft Blut- statt Urin-Proben vornehmen zu lassen und hat entsprechende Kontakte mit der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees aufgenommen.“ (sid, 26.2.1987)
Auch bei den Olympischen Winterspielen 1988 Calgary wurde der Verdacht auf Blutdoping offen ausgesprochen. Marty Hall, Trainer der kanadischen Langläufer, beschuldigte die sowjetische Langlaufmannschaft. Wobei von anderer Seite bereits angedeutet wurde, dass vielleicht schon EPO im Einsatz gewesen sein könnte.
„Sehr interessant“ fand Hall, daß „die Sowjets vor dem Rennen zwei Tage lang nicht zu sehen gewesen sind“.
Das ist zwar nicht die feine kanadische Art, mit seinen Gästen umzugehen, doch spricht der Trainer nur aus, was viele denken und hinter vorgehaltener Hand erzählen. Es mag ja wirklich niemand glauben, daß der Amerikaner Kerry Lynch, WM-Zweiter von Oberstdorf 1987, der sich per Selbstanzeige reuig offenbarte, als einziger wider das eigene Blut gesündigt haben soll Andere haben vor ihm, ehe das Verbot ausgesprochen wurde, Schuldbekenntnisse abgelegt Mutti Vainio, finnischer Silbermedaillen gewinn er über 10000 m bei den Sommerspielen, allerdings nicht. Der wurde bloß deshalb erwischt, disqualifiziert und für 18 Monate geächtet weil ihm eine Blutkonserve mit Rückständen verbotener Anabolikasubstanzen injiziert worden war.
Der mutmaßlich gleichfalls blutgedopte Olympiasieger Alberto Cova aus Italien blieb unbehelligt Aus der Luft gegriffen ist der Verdacht gegen ihn ebensowenig wie der gegen seine skilanglaufenden Landsleute. Die Gazetta delio Sport druckte ein Protokoll, dem zu entnehmen ist, daß der Verbandstrainer Luciano Gigiiotti versammelten Leichtathletik-Klubtrainern die Vorzüge des Blutdopings schilderte.“ (Süddeutsche Zeitung, 18.2.1988)
Manfred Donike wird nun zitiert mit der Äußerung, er hoffe, dass diese Methode wirkungslos sei. 1985 (s.l.) war er sich dessen noch sicher. Er warnte, ebenso wie Josef Keul, vor den Gesundheitsgefahren, die mit der Anwendung drohten.
Wachstumshormon (Human Growth Hormone (hGH))
Wie sah es mit der Anwendung von Wachstumshormonen im westdeutschen Sport aus? Angaben hierzu konnte ich nicht finden. International entwickelten sich diese Hormone jedoch zu einem immer größer werdenden Problem. Die Athleten gingen damit vor allem hohe Gesundheitsrisiken ein.
In der Süddeutschen Zeitung vom 14.11.1983 ist folgende dpa-Meldung abgedruckt:
… Prof. Dr. Donike…: Beim Nachprüfen der Urinproben, die bei der LA-Weltmeisterschaft in Helsinki entnommen worden waren, habe ich in meinem Institut Spuren von Somatropin gefunden.“ Diese Äußerung löste sofort eine ungewöhnliche Resonanz aus. “Somatropin ist längst zur Elitedroge der internationalen Leichtathletik geworden“, ließ sich Dr. Robert Kerr, eine Experte der Sportmedizin aus Kalifornien, vernehmen. Zu seinem Patientenkreis zählten Spitzensportler aus 19 Ländern. „Alles, was man in den Medien hört und liest, behandelt lediglich Anabolika und Testosteron. Die Athleten, die zu mir kommen, lachen darüber und sagen, sie hätten dieses fürchterliche Zeug schon seit Jahren nicht mehr genommen.. Sie schwören auf HGH.“… Nicht nur Kerr behauptet: HGH hat die muskelfördernde Wirkung von anabolen Steroiden, nur noch stärker.“ … keine Nebenwirkungen, kaum nachweisbar. Kerr verabreicht vier bis 6 Wochen lang je zwei Spritzen. Auch der vergleichsweise hohe Preis, etwa 45 Dollar eine Behandlung, schreckt die Athleten offensichtlich nicht ab. Eine dreiwöchige Behandlung mit Anabolika ist immerhin schon für 22 Dollar zu haben. Kerr ist sicher, daß HGH außerordentliche Wirkungen erzielt. “Einer meiner Patienten hat in diesem Jahr einen phantastischen Weltrekord erzielt. … vier Monate, nachdem er zum letzten Mal HGH eingenommen hat.“…
1985 warnt Prof. Hollmann:
„Es geht um eine ethische Problematik…. Es gibt eine statistische Untersuchung im internationalen Bereich, welche ergeben hat, daß die sozialen Aufstiegschancen von Personen mit durchschnittlicher oder gar überdurchschnittlicher Körpergröße statistisch eindeutig größer sind als die von Personen von unterdurchschnittlicher Größe. In diesem Jahre wird wahrscheinlich erstmals ein Medikament weltweit in den Handel kommen, womit es gelingt, das Wachstum des Körpers willkürlich zu regulieren. Das ist ein Hormon, welches bisher schon immer existiert hat, das sogenannte Wachstumshormon, was aber aus technischen Gründen nur in sehr begrenzter Menge herstellbar war. Es ist jetzt gelungen, das aus dem Bakterium Coli zu züchten. Damit wird mengenmäßig zukünftig keine Begrenzung mehr existieren. Wenn das mengenmäßig unbegrenzt in den Handel kommt, ist das kein sportmedizinisches oder sportliches, sondern zunächst einmal ein generell medizinisches, ethisches und soziales Problem. … Es kommt vielleicht ein Elternpaar zu einem Arzt und sagt: ‚Meine Frau ist anormal klein, ich bin anormal klein, unser Kind ist jetzt acht Jahre alt, ist das kleinste in der Klasse. … Schon jetzt wird es gehänselt und ist Zentrum der Klassenwitze. Ich bitte, „geben Sie jetzt diese Hormonspritzen, damit mein Kind es besser haben soll als wir es hatten.‘ … Dieses Hormon ist belsplelswelse im Hochleistungssport, ich denke nur an die Tour de France des Jahres 1984, angewandt worden wegen angeblicher Leistungssteigerung. Ob diese Leistungssteigerung besteht, wissen wir nicht. Uns liegen darüber noch keine zuverlässigen medizinischen Untersuchungen vor. … Das Hormon steht ja nicht auf der Liste der verbotenen Mittel. Es ist auf jeden Fall aber eine Manipulation. In dem einen Fall ist es eine soziale Manipulation, um eine soziale Mißkomponente auszuschalten, um einem Kleinwüchsigen gleiche Lebenschancen zu gewähren. Im anderen Fall aber wäre es dann natürlich Manipulation im Sinne der Charta des Sports, weil es durchgeführt wird zum Zwecke der sportlichen Leistungssteigerung. Wo sollen wir da die Grenzen ziehen? Das ist Gott sei Dank im Moment noch Zukunft.“ (sid, 17.1.1985)
1987 erwähnt der Spiegel erneut das Wachstumshormon („STH“ oder „HGH“ genannt), das aus menschlichen Hirnanhangdrüsen gewonnen wird.
„Jetzt läuft die Droge im Sportler-Untergrund, denn dort herrscht „offenbar großer Bedarf“ (Kley). Noch können sich die teure Spezialität nur wenige gut verdienende Athleten leisten. Weil HGH inzwischen jedoch auch von Bakterien sezerniert wird, ist demnächst mit Preisabschlägen zu rechnen.“ (der Spiegel, 18.5.1987)
DIE ZEIT vom 23.1.1987 berichtete ebenfalls, nicht zum ersten Mal, über die angebliche Wunderdroge HGH.
2011 wurde bekannt, dass Prof. Klümper das Wachstumshormon zumindest ab 1991 eingesetzt hatte. Entsprechende Rechnungen waren von ihm beim Bundesleistungszentrum Herzogenhorn e.V. eingereicht worden (Badische Zeitung, 14.9.2011).
Auch die deutsche Dopingdiskussion und -berichterstattung konzentrierte sich in den 1970er und 1980er Jahren vor allem auf die anabolen Steroide. Andere Substanzen und Methoden wurden allenfalls nebenbei erwähnt, eine Problematisierung fand soweit ich das überblicken kann, kaum statt. Lediglich die häufig ausufernde, kaum noch zu überblickende Substanzenvielfalt, die manche Sportler und Sportlerinnen sowohl aus Eigeninitiative als auch unter Anordnung von Ärzten oft gleichzeitig konsumierten, ließ gelegentlich erschrecken.
anabole, androgene Steroide, Testosteron
Zu den Anabolika ist anzumerken, dass spätestens nach den ersten offiziellen Tests auf Testosteron 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles (die IAAF begann 1983), allgemein bekannt sein sollte, dass alle diese Hormone Dopingmittel und somit verboten waren, aber nichtsdestotrotz gab es immer wieder Versuche, deren mögliche gesundheitsschädliche Wirkung klein zu reden, ihre leistungssteigernde Wirkung infrage zu stellen (Beispiele) und darauf hinzuwirken, dass sie als Medikamente unersetzlich seien.
Dies zeigte sich in den immer wieder vorgebrachten Bemerkungen – die Diskussion der 70er Jahre lässt grüßen – wonach zum einen eigentlich nicht erwiesen sei, dass Anabolika und insbesondere Testosteron leistungssteigernd wirkten und zum anderen, dass diese Substanzen zwar für Frauen und junge Menschen nachgewiesener Maßen gesundheitsschädlich seien, doch verantwortungsvoll in geringen Dosen von Ärzten eingesetzt, bei erwachsenen Männern harmlos seien. In Verbindung mit der Betonung einer unbedingt notwendigen Substitution verbrauchter und über die Nahrung nicht ausreichend zuführbarer Stoffe und eines veränderten Stoffwechsels bei Hochleistungsathleten sowie der Forderung nach schneller Regeneration und Heilung von Verletzungen, Stichwort Therapiefreiheit des Arztes, herrschte ein für die Anwendung anaboler Steroide, vor allem in Wettkampf freien Zeiten, begünstigendes Klima.
Hollmann/Hettinger z. B. sprechen in ihren Standardwerk ‚Sportmedizin‘, Ausgabe 1990, den Anabolika eine mögliche leistungssteigernde Wirkung nicht ab – sie sprechen von Wirkungen zwischen 0 und 10%. Sie berichten jedoch von einer von ihnen durchgeführten Befragung von 13 medizinischen Zentren in vier Kontinenten über objektiv dargestellte Schädigungen. Obwohl bei einzelnen männlichen Athleten die Tagesdosis bis zu 700 mg (ohne ärztliche Kontrolle) betragen hätte, seien keine ernstzunehmenden Nebenwirkungen festgestellt worden (S. 257/258). Insbesondere das Testosteron, das bereits 1935 zum ersten Mal synthetisiert wurde, geriet in die Grauzone medizinischer Behandlungsbereiche. Das männliche Hormon hatte seine Karriere als Dopingmittel vor allem den Anabolikatests bei Wettkämpfen ab 1976 zu verdanken. Da die während der Trainingsphasen eingenommenen Hormone rechtzeitig abgesetzt werden mussten, benötigten die Sportlerinnen und Sportler ein Mittel zur Überbrückung dieser Zeit. Mit Hilfe des nicht nachweisbaren Testosterons erhoffte man sich die Aufrechterhaltung des Leistungsvermögens.
An anderer Stelle betonen sie die hohen „gigantischen anmutenden Beanspruchungen, die zwangsläufig zu Defiziten an notwendigen Körpersubstanzen“ führen. Diese Argumentation, die noch viel direkter von Ärzten wie Prof. Heinz Liesen vorgebracht wurden, lieferte dann auch manchen Dopingbefürwortern nötige Argumente, wie folgendes Zitat aus dem Stern vom 8. 10. 1988 zeigt:
Wer beim Rudern zur Weltklasse gehören will, schreibt Professor Hollmann im Deutschen Ärzteblatt »muß neben dem Training an Land jährlich bis zu 12000 Kilometer im Boot bewältigen.« Dabei werden in Spitzenzeiten an die 8000 Kilokalorien pro Tag verbraucht. Dreimal mehr, als ein Nichtsportler benötigt. Durch die übliche Ernährung ist das nicht zu schaffen. Der menschliche Körper kann – selbst wenn er rund um die Uhr mit Essen und Verdauen beschäftigt wäre – allenfalls 6000 Kilokalorien aus der Nahrung gewinnen. …
Um seine Muskeln ausreichend mit Kraftstoff zu versorgen, müßte ihnen etwa ein 100 Kilo schwerer Ruderer täglich 250 Gramm Einweiß zuführen. … Und schließlich muß die Leber die so gewonnenen oder als Fertigpulver zugeführten Proteine erst noch in mehr als ein Dutzend Bestandteile aufspalten, bevor sie in Richtung Muskel abtransportiert werden können. Ob sie dort dann eingelagert und am Ende in Leistung umgesetzt werden, hängt wiederum von Hormonen ab. Und wer fürchtet, nicht genügend körpereigene zu haben, greift dann schon mal zu den verbotenen Anabolika.
Es ist ein Teufelskreis: Ohne Hormone nützt kein Eiweiß. ohne Eiweiß gibt“s keine Leistung, ohne Leistung keinen Sieg. Wen wundert’s, wenn Sportler daraus den Schluß ziehen: Kein Sieg ohne Hormone. Bis zum Dopingfall ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.“
Zur Rolle der westdeutschen Sportmedizin finden sich >>> hier weiterführende Informationen.
Zitate:
Willi Daume am 31.3.1977 an die Mitglieder der DLV-Nationalmannschaft:
„So nützlich öffentliche Diskussionen sind, der Blick zurück im Zorn nützt hier wenig. Wir hätten gerne früher das Bekenntnis oder den Rat gehört, die nun Oberschiedsrichter der Nation sein wollen, denn das Problem des durch Pharmaka manipulierten Athleten liegt seit Jahren auf dem Tisch. … Am allerwenigsten aber sind Beschimpfungen und fragwürdige Denunziationen hilfreich. Nötig sind dagegen Gelassenheit und wissenschaftliche Exaktheit. Frei von Emotionen und Profilneurosen sollten sich jetzt Sportler, Mediziner und Medien darauf kontzentrieren, die Arbeit der zur Lösung dieser Frage eingesetzten Fachgremien zu unterstützen und das Ergebnis abzuwarten.“<br>Singler/Treutlein schreiben dazu: „Der Deutsche Leichtathletik-Verband reichte die Erklärung Daumes an seine Kaderathleten weiter und bekräftigte die Forderung des NOK-Präsidenten nach einer rein sportinternen Behandlung der Problematik, was nicht wenige als Schweigegebot („Maulkorberlass“) interpretierten.“ (Singler/Treutlein, Doping im Spitzensport, S. 220)
Spitzer et al, Doping in Deutschland, Humboldt-Universität, 2011:
Zwischen Prof. Keul und „NOK-Präsident Willi Daume bestand lange ein Vertrauensverhältnis, ihm ließ Keul sogar Interna zur Anabolika-Praxis zukommen. Das Fehlen eines Gegensteuerns Daumes werten wir als billigende Mitwissenschaft, zumal Daume viele Unterlagen zum Doping erhielt und den Problembereich schon früh kennengelernt haben musste. DSB und sein BA-L waren weitere Aktions-Orte Keuls, in denen laut Recherchen von Eggers „offensichtlich Konsens über den Einsatz anaboler Steroide im Spitzensport“ bestand.“
Willi Daume war auch verbunden mit Prof. A. Klümper, dessen langjähriger Patient er war. (von Richthofen, 18.11.2011)
„Obwohl sich besonders in den Zeiten Olympischer Spiele Berichte über Verletzungen und Überlastungsschäden bei Leistungssportlern infolge von Mangelzuständen häufen, wollen Dopingjäger wie der Kölner Professor Donike den Einsatz von Medikamenten im Sport noch mehr einschränken. Der Biochemiker unterstellt etwa dem Paderborner Mediziner Professor Heinz Liesen „Scharlatanerie“ und „Dopingmentalität“, weil er die neue Substitutionstheorie vertritt.
Viele Sportlerinnen wären schon froh über eine ausreichende Versorgung mit dem weiblichen Geschlechtshormon Östrogen. Dann blieben ihnen manche Langzeitschäden als Spätfolgen ihrer Karriere erspart. … Häufen sich solche Mangelzustände, dann ist die Osteoporose, … schon in jungen Jahren programmiert.
Nach dem Doping-Skandal von Ben Johnson erhielt Liesen unerwartet Schützenhilfe. Professor Hartmut Krahl, einer der bundesdeutschen Olympia-Ärzte, sprach sich in Seoul für eine Liberalisierung der Dopingregeln aus. Die Einnahme von anabolen Steroiden, wie sie der Weltmeister aus Kanada genommen hatte, sollte „unter ärztlicher Kontrolle in gesundheitlich unbedenklichem Rahmen toleriert werden.“
(der Stern, 6.10.1988)
Prof. Hartmut Krahl:
„Wirkung und Nebenwirkungen von Anabolika werden von den anwesenden Ärzten unterschiedlich beurteilt. Eine ursprünglich zum Wohle des Sportlers eingeführte Doping-Regel kehrt sich ins Gegenteil, wenn eine immer größer werdende Anzahl von Athleten zur Selbstmedikation schreitet und sich damlt zweifellos einer erhöhten gesundheitlichen Gefährdung unterzieht. Der internationale Sport steht hier aus der Sicht der Medizin am Scheideweg: Entweder werden Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen wirksam ausgebaut oder man bekennt sich zur medizinisch kontrollierten Einnahme von Anabolika, um breiteren Schaden zu verhüten. Die derzeitige Praxis ist für Athlet, Trainer und Ärzte unerträglich.“
Erklärungen / Resolutionen
NATIONAL
In den 1980er Jahren befassten sich verschiedene Ausschüsse mit Doping-Angelegenheiten. Die DSB-Dreier-Kommission unter Leitung von Ommo Grupe, gegründet Mitte der 1970er Jahre, sowie die Arbeitsgruppe „Dopingfragen“ des Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), gegründet am 27.3.1984, diskutierten mehrmals jährlich nationale und internationale Fragestellungen. Die AG des BISP setzte sich zusammen aus Dr. Joseph Keul (Vorsitzender), Dr. Manfred Donike, Dr. Richard Feiten, Dr. Dieter Palm und Dr. Hans-Kuno Kley, erweitert wurde sie im November 1986 aufgrund eines NOK-Beschlusses um Ulrich Eicke, Sprecher des Beirats der Aktiven, Wolfgang Peter als Vertreter der Trainer und Dr. Ernst Jakob als Leiter der Regenerationsstudie betreff Testosteron.
1977 hatten NOK und DSB als Reaktion auf die öffentliche Doping-Diskussion eine Grundsatzerklärung für den Deutschen Spitzensport abgegeben, mit der die deutsche Leistungssportwelt für alle sichtbar wieder auf den Pfad der Tugend geführt werden sollte. Zu dieser Zeit gab es allerdings auch die Aufforderung des NOK-Präsidenten Willi Daume an die DLV-Athleten endlich wieder Ruhe zu bewahren und erst einmal weitere Untersuchungen abzuwarten. Dieses Schreiben an die Mitglieder der DLV-Nationalmannschaft wurde angeblich von vielen als Schweigegebot interpretiert, dahingehend wie gehabt weiterzumachen, aber nichts darüber verlauten zu lassen.
Wie immer die interne Diskussion verlief, 1983 jedenfalls sahen sich DSB und NOK veranlasst ihre Erklärung von 1977 zu erneuern und Maßnahmen aufzuzeigen, wie die Forderungen stringenter umgesetzt werden könnten. Laut DSB/NOK waren Verstöße gegen Geist und Inhalt der Grundsatzerklärung festgestellt worden. Einzelne Verstöße seien entdeckt und geahndet worden. Zudem habe es Versuche von Athleten gegeben sich mit noch nicht verbotenen Methoden Vorteile zu verschaffen. Genaueres wird nicht genannt.
Viel Wert wird in den neuen Ausführungen auf Aufklärung, auf präventive Maßnahmen gelegt, die verstärkt dazu beitragen sollten, den Dopingmissbrauch einzudämmen. Es sollte auch dafür Sorge getragen werden, dass
das Bundesinstitut für Sportwissenschaft, wie in der Stellungnahme seines Direktoriums gefordert wird, die Forschungstätigkeit auf dem Gebiet tatsächlich oder vermeintlich leistungsfördernder Medikamente verstärken wird.“
Lässt hier die wenig später anlaufende Erforschung des Testosterons mit der heute bekannten Prämisse der Dopingforschung grüßen?
Die beiden Grundsatzerklärungen sind hier nachzulesen:
>>> 1977/1983 Grundsatzerklärungen für den Deutschen Spitzensport des DSB und des NOK
Willi Daume äußerte sich Ende 1985 in einem Spiegel-Interview vom 30.12.1985 gegenüber dem Übel Doping kompromisslos:
„Der denkbar schlimmste Akt von Unfairness ist eben Doping. Ich stehe hinter der Forderung der aktiven Sportler selbst: lebenslange Sperre auch bei einmaligem Vergehen, ebenso für den verantwortlichen Trainer und Arzt. Wenn wir heute erleben, daß nach 18 Monaten Begnadigung gewährt wird, so ist das ganz, ganz schlimm.
Doping, Anabolika etwa, sind tausendmal verwerflicher als ein paar Dollar Spesen zuviel oder auch ein paar hunderttausend. Mit dem vielen Geld in den Kassen müßten mindestens die hochentwickelten Länder wirksame Doping-Kontrollen auch in der Trainingsphase durchführen können. Unsere Schwimmer haben damit schon von sich aus angefangen.
SPIEGEL: Doping-Kontrollen im Wettkampf waren durchsetzbar. Aber Sie können die Athleten doch nicht zwingen, auch zu Hause nach dem Training das Testfläschchen zu füllen.
DAUME: Ganz einfach. Wer sich weigert, wird nicht mehr zu internationalen Wettkämpfen zugelassen. Ich bin sicher alle internationalen Verbände werden mitmachen. Es sind ja auch schon staatliche Regelungen versucht worden. Davon halte ich nichts. Der Sport muß das Problem selbst regeln können. Die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse weisen immer dringlicher auf die gesundheitlichen Gefahren hin, die Doping mit sich bringt. Bis zum Karzinom.
SPIEGEL: Was ist mit den Staaten, die den Kontrolleuren einfach die unangekündigte Einreise verweigern?
DAUME: Das IOC kann „exekutieren“. Hier ist es ausnahmsweise mal von der Satzung der olympischen Charta her stark. Wer die Kontrolle scheut, hat bei Olympischen Spielen nichts verloren. Er kann nicht zugelassen werden. Es ist bezeichnend, daß die Athleten selbst – West und Ost – wirksame Ächtung, die unkorrigierbare lebenslange Sperre, wollen.
SPIEGEL: Ein weltweiter Konsens darüber ist schwer vorstellbar. Was halten Sie von einem nationalen Alleingang?
DAUME: Wenn es nicht anders geht: ja. Aber es wird anders gehen. Wir waren bisher nur nicht aktiv und konsequent genug.“
Zu der Frage der Einführung von Trainingskontrollen siehe hier im Text weiter unten.
Die Bundesregierung begrüßte die Erklärungen. Im 6. Sportbericht vom Oktober 1986 (Seite 31) ist zu lesen:
„Die im Jahre 1977 beschlossene Grundsatzerklärung für den Spitzensport und die als Ausführungsbestimmungen zur Grundsatzerklärung erlassenen Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Doping haben für die deutschen Sportverbände und -vereine verbindliche Maßstäbe und Handlungsanweisungen gesetzt, indem sie u. a. das Doping-Verbot, die Doping- Kontrollen und die Sanktionen bei Verstößen im einzelnen regeln. … Der Deutsche Sportbund hat im Dezember 1983 eine Entschließung, der auch das Nationale Olympische Komitee für Deutschland zugestimmt hat, verabschiedet. Darin wird aufgrund der bisherigen Erfahrungen und Entwicklungen in der Doping-Bekämpfung vor allem eine stärkere Betonung der Aufklärung über die Gefahren des Doping gegenüber der reinen Doping-Kontrolle und eine Überarbeitung der Rahmenrichtlinien angekündigt, um noch besser praxisbezogene Regelungen zu erreichen. Eine beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft eingerichtete Arbeitsgruppe für Doping-Fragen hat daraufhin eine Informationsschrift erarbeitet, in der u. a. Aufklärung über Doping-Listen, die Wirksamkeit von Doping-Mitteln, das Blut-Doping sowie über die Doping- Kontrollen gegeben wird. Diese Publikation mit dem Titel „Doping – Informationsbroschüie für Athleten und Betreuer'“ erschienen im Juni 1986, wertet die Bundesregierung als einen weiteren wirksamen Beitrag zur Doping-Bekämpfung, da sie sich sowohl wissenschaftlich fundiert als auch allgemein verständlich an den betroffenen Personenkreis wendet.
Auch die vom Deutschen Sportbund im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern 1979 erlassene Vergütungsverordnung für Bundestrainer ahndet Verstöße gegen das Doping-Verbot. Für solche Fälle ist die (fristlose) Kündigung des Vertragsverhältnisses mit dem betroffenen Bundestrainer aus wichtigem Grund vorgesehen. Schließlich knüpft der Bundesminister des Innern bereits seit Jahren die Bereitstellung von Sportförderungsmitteln daran, daß der die Zuwendung empfangende Sportfachverband die von den nationalen und internationalen Sportorganisationen erlassenen Bestimmungen gegen Doping beachtet und nachhaltig darauf hinwirkt, daß eine technische Manipulation am Athleten (im Sinne der o. g. Grundsatzerklärung) ausgeschlossen ist.“
1987 erklärte die Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage ‚Humanität im Leistungssport‘ von CDU und FDP auf die Frage inwieweit die deutschen Spitzenverbände die Forderungen der Grundsatzerklärungen umgesetzt hätten, unklar und nichtssagend:
„Der Deutsche Sportbund hat die Bundesregierung davon in Kenntnis gesetzt, daß die in der „Grundsatzerklärung für den Spitzensport“ enthaltenen Forderungen von den Mitgliedsorganisationen mit unterschiedlicher Wirkung umgesetzt worden sind. Die Umsetzung richtet sich nach der Struktur des Verbandes und der Wertigkeit der Sportart im internationalen Maßstab. Nach Angabe des Deutschen Sportbundes haben aber alle Mitgliedsorganisationen die tragenden Leitsätze der Grundsatzerklärung aufgegriffen. Im Bereich der pädagogisch-psychologischen Betreuung der Athleten, der Verbesserung des Schulungsprogramms und einer wirkungsvollen Aus- und Weiterbildung der Trainer sind – nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung durch die Bundesregierung – beträchtliche Fortschritte bei der Umsetzung der Grundsatzerklärung erzielt worden. Dies wird auch in einer Entschließung des Hauptausschusses des Deutschen Sportbundes vom 3. Dezember 1983 unterstrichen.
Einen wichtigen Ansatzpunkt, weitere Verbesserungen auf diesen Gebieten zu erzielen, bietet die Einrichtung von Olympiastützpunkten, deren Schwergewicht neben der Optimierung der Trainingsvoraussetzungen auf einer verstärkten sportmedizinischen, physiotherapeutischen und sonstigen wissenschaftlichen sowie der sozialen Betreuung des einzelnen Athleten liegen soll.“
Auch die Frage nach dem Stellenwert von Qualifikationskriterien als Dopingmotivator wurde von Seiten der Bundesregierung mit Floskeln und Ausflüchten beantwortet:
„Die zuständigen Entscheidungsgremien des deutschen Sports legen für die Teilnahme an wichtigen internationalen Wettkämpfen, insbesondere für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele, Qualifikationskriterien fest, die im allgemeinen auf die sog. Endkampfchance abstellen. Der Grund hierfür ist, daß zu diesen Wettkämpfen, die vielfach in Übersee stattfinden und damit besonders kostenaufwendig sind, grundsätzlich nur Sportler mit guten Aussichten auf ein erfolgreiches Abschneiden entsandt werden sollen.
Der Bundesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob und in welchem Umfang Leistungssteigerungen im internationalen Bereich auf medikamentöse Leistungsbeeinflussung zurückzuführen sind. Hinzu kommt, daß eine Leistungssteigerung aufgrund medikamentöser Leistungsbeeinflussung, z. B. durch anabole Steroide, im Spitzensport wissenschaftlich nicht gesichert ist. Indessen gibt es genügend Beispiele hervorragender Vertreter des internationalen Spitzensports, die durch freiwilligen und kontrollierten Verzicht auf unerlaubte medikamentöse Leistungsbeeinflussung das Gegenteil aufzeigen.“
Letztlich wurde auch in dieser Kleinen Anfrage, in der viele dopingrelevante Fragestellungen aufgeworfen wurden, nur allgemein und für Verbände und Politik unbelastende Aussagen getroffen. Das Dopingproblem, so hat es für mich den Anschein, wurde erneut auf den einzelnen Sportler herunter gebrochen:
„In den Fällen, in denen deutsche Sportler in Doping verwickelt waren, war eine Einstellung oder Rückforderung von Förderungsmaßnahmen gegenüber Spitzenverbänden bisher nicht veranlaßt. Die betroffenen Sportverbände haben jeweils den Sachverhalt aufgeklärt und den Bundesminister des Innern auf dessen Anforderung hin umfassend unterrichtet. In keinem Fall konnte ein Verschulden des zuständigen Sportverbandes oder eines Bundestrainers nachgewiesen werden.“
Klartext sprach dagegen Dr. med. Karlheinz Graff, betreuender Arzt der Universiade, von 1989-2000 DLV-Verbandsarzt, im DLV-Magazin 50/1987, >>> hier nachzulesen. Unter anderem nahm griff er das Dopingthema auf und holte zum Rundumschlag aus. Er prangerte die hohlen Worte vieler Verantwortlicher in Sport und Politik an.
„Die offizielle Antwort ist klar. Keine pharmakologische Beeinflussung – aber Höchstleistung. Da dies offensichtlich, zumindest in einer Reihe von Disziplinen, nicht realisierbar ist, muß der inoffizielle Wunsch von Trainer, Verband und allen anderen Beteiligten lauten: „Mach, was Du willst, laß Dich nicht erwischen aber bring gefälligst Höchstleistung“. Die Konsequenz von immer mehr Athleten und Athletinnen ist der Gang in die Illegalität. Denn Doping ist illegal – aber nur, wenn man erwischt wird. Mit feinem Gefühl für die Realität haben vor einiger Zeit hohe Sportfunktionäre deshalb hohe Strafen für Athleten gefordert, die des Doping überführt werden. …
Im Rahmen eines Interviews im ZDF mit dem Reporter Harry Valerien (Aktuelles Sportstudio) teilte Prof. Hollmann mit, daß im Rahmen eines Aufenthalts in der DDR bestätigt wurde, daß auch dort die Einnahme verbotener Substanzen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht habe. … Bei dem immens hohen Stellenwert den der Sport auch als politisch ernstzunehmender Faktor innehat, wäre es sehr verwunderlich, wenn die Möglichkeit des Nachweises verbotener Substanzen nur zur Überführung von Athleten genutzt würde. Man muß doch keine große Phantasie haben, um sich vorzustellen, daß die Nachweismöglichkeiten auch zur „Steuerung“ und „Kontrolle“ vor Wettkämpfen genutzt werden können. …
In der laufenden Diskussion um Spitzensport und Sportmedizin wird allenthalben Ehrlichkeit, vollständige Ursachenanalyse und entsprechende Konsequenz gefordert. Es verwundert den Verfasser nicht, daß gerade letzteres Problem mit einer unverschämten Beharrlichkeit ausgeschwiegen wird. Berührungsängste mit dem Thema „pharmakologische Beeinflussung im Spitzensport“ haben alle beteiligten Parteien – auch die Sportmedizin….
Wenn Qualifikationen zu Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen, selbst Endkampfchancen bei Deutschen Meisterschaften, nur durch pharmakologische trainingsbegleitende Maßnahmen“ zu erreichen sind, dann müssen die unter den Ärzten und speziell den Sportmedizinern, die dies als eine ethisch, moralisch und medizinisch untragbare Situation ansehen, mit Vehemenz und geschlossen gegen die Teilnahme bundesdeutscher Athleten (hier nicht nur der Leichtathleten) bei internationalen Vergleichen eintreten. Dies ist nach Erkenntnis des Verfassers nie geschehen. …
Auch >>> Hansjörg Kofink nahm >>> 1988 in sportunterrricht als Vizepräsident des Deutschen Sportlehrerverbandes kein Blatt vor den Mund und prangerte die langjährige Vertuschungspraxis des Systems Hochleistungssport an.
„Dem kritischen Zuschauer – und welche Jugend ist nicht kritisch? – wurde an der sofort einsetzenden hektischen Diskussion um die Schuldfrage [von Ben Johnson] sehr schnell deutlich, daß hier einer, und zwar ein Prominenter, stellvertretend für viele am Pranger stand: Wieder einmal wird dem staunenden Zuschauer der für den olympischen Erfolg so lebenswichtige Zusammenhang zwischen medizinischen Labors und Wettkampfvorbereitung über alle Medien serviert. Die simple Tatsache, daß in diesen Labors von Fachleuten nur das nachgewiesen werden kann, was vorher von Fachleuten verabreicht worden ist, wird spätestens dann jedem Laien klar, wenn er mit der Wirkungsweise und der Nachweisproblematik von Stoffen konfrontiert wird, deren Namen er in seinem Lexikon gar nicht findet. Doch auch die kaum erkennbare Grenzlinie zwischen Therapie und Doping erkennt der überraschte Zuschauer am Schnupfen des britischen Sprinters Linford Christie, dessen Nasentropfen offensichtlich nicht so viel Ephedrin enthielten, daß es nach Meinung der olympischen Medizinmännern zu einem Doping-Verdacht reichte. Beim Biathleten Angerer war das doch noch etwas anders vor einigen Jahren? …
Die klaren Aussagen einer Olympiasiegerin von 1972 über den Hochleistungssport, bezogen auf das eigene Kind, sollten auch die hardliner nachdenklich machen. Wer einen Ben Johnson in die Pfanne haut für die seit mindestens seit zwei Jahrzehnten unter den Teppich gekehrten Sünden des Hochleistungssports, ist entweder ein Träumer oder ein Zyniker.“
In welchem Dilemma die Sportlerinnen und Sportler sich selbst fühlten bzw. welche Haltungen sie für sich in Anspruch nahmen und wie sie Ihre Chancen im internationalen Vergleich sahen, konnte eine Umfrage näher beleuchten, in deren Rahmen über 1000 bundesdeutsche Athletinnen und Athleten recht freizügig ihre Meinungen äußerten:
>>> 1987 Ergebnisse einer Umfrage unter Sportler/innen zu Doping, Sports 6/7.1987
1988 Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin
Wie oben und an anderer Stelle erwähnt und ausgeführt, kam der deutschen Sportmedizin eine bedeutsame Rolle in der Diskussion um Doping zu. Letztlich stellte sie kein einheitliches Bild dar, doch führende Mediziner waren wohl eher Doping befürwortend eingestellt als strikte Gegner. 1988 sorgte eine Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin für Aufmerksamkeit. Nach einem Treffen in Würzburg 1988 legte sie eine offizielle Stellungnahme zur medikamentösen Behandlung von Sportlern vor. Darin heißt es u.a.:
Die zeitlich limitierte Gabe von Anabolika zum Wiederaufbau atrophierter Muskulatur nach Immobilisierung oder langandauernden Verletzungen stellt eine therapeutische Maßnahme dar und erfüllt nicht den Tatbestand des Dopings. Die Einnahme von anabolen Steroiden und/oder Testosteron von gesunden Sportlern ist nach den Dopingbestimmungen nicht erlaubt, wird aber von einem Teil der Sportler praktiziert. Diese Selbstmedikation beinhaltet eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung. Deshalb sind abschreckende Maßnahmen wie Kontrollen im Training notwendig. Andernfalls bliebe zum gesundheitlichen Schutz des Athleten nur die legalisierte Einnahme unter ärztlicher Kontrolle übrig.
Dies hieß im Klartext, dass Sportmediziner aus medizinischen Gründen aktiven Sportlern anabole Steroide verabreichen dürfen bzw. darauf bestehen, diese zu verabreichen. Das war verboten. Sportlerinnen und Sportler, die aktiv im Leistungssport standen, durften keine verbotenen Medikamente wie anabole Steroide bekommen. Bei Krankheit hatten sie bis zur Genesung eine Sport-Pause einzulegen.
Die Brisanz dieser Erklärung wurde angeblich erkannt und es gab Stellungnahmen, die dieses schiefe Bild zurecht rücken sollten. Meiner Meinung nach bleiben aber auch danach noch Fragen offen.
Die verschiedenen Aussagen finden sich hier unter
INTERNATIONAL
International gab es einige Erklärungen und Resolutionen:
Im Mai 1984 unterzeichneten die europäischen Sportminister die >>> „Europäischen Charta gegen Doping im Sport“
Darin fordern sie den Ministerausschuss des Europarats auf, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten für die Verbreitung und Einhaltung dieser Charta bei den Sportverbänden einsetzen und selbst mittels gesetzlicher Regelungen helfen das Dopingproblem ‚auszumerzen.‘ Zudem soll die internationale Zusammenarbeit intensiviert werden und das internationale Kontrollsystem, insbesondere der Ausbau der Labore, fortgeführt und professionalisiert werden. Auch Präventionsmaßnahmen werden gefordert. Der Europarat folgte dieser Aufforderung und verabschiedete im November 1989 sein Übereinkommen gegen Doping. (The Anti-Doping Convention: an instrument of international co-operation)
Im Juni 1988 findet in Ottawa (Kanada) die erste Welt-Anti-Dopingkonferenz statt. Sie endet mit der Verabschiedung einer internationalen Charta (Ottawa Charter) gegen Doping, beeinflusst von der Europäischen Charta und geht ein in die Olympische Bewegung. Das IOC entwickelt daraus die Internationale Olympische Charta gegen Doping, die im November 1988 verabschiedet wurde (CHARTE INTERNATIONALE OLYMPIQUE CONTRE LE DOPAGE DANS LE SPORT)
Im November 1988 setzte sich auch die UNESCO mit der Dopingproblematik auseinander und bestätigt die Olympische Charta. Auf der >>> Zweiten Internationalen Konferenz der Minister und hohen Beamten für Leibeserziehung und Sport wurden u.a. die Empfehlungen ‚Die Bekämpfung des Dopings‘ und ‚Wahrung der ethischen und menschlichen Werte des Sports und Schutz vor schädlichen Einflüssen auf den Sport wie Kommerzialisierung, Gewalt und Doping‘ angenommen. Die UNESCO bezog sich dabei explizit auf die Europäische Charta. Die Empfehlungen wurden gefasst
in der Überzeugung, daß Doping gesundheitsschädlich ist und der Ethik des Sports widerspricht, im Hinblick darauf, daß Doping im Sport Teil des allgemeinen Problems des Drogenmißbrauchs in der Gesellschaft ist,
unter Betonung der Notwendigkeit eines koordinierten Vorgehens der staatlichen Stellen und der freiwilligen Sportorganisationen als Teil der Kampagne gegen Drogenmißbrauch,
angesichts der Forschungsergebnisse und Erfahrungen, die im Zusammenhang mit der Ersten Ständigen Weltkonferenz gegen Doping im Sport gesammelt wurden, die unter dem gemeinsamen Vorsitz Kanadas und des Internationalen Olympischen Komitees vom 26. bis 29. Juni 1988 in Ottawa stattfand,
in Erwägung der Tatsache, daß die 28 Staaten und verschiedenen internationalen Sportverbände, die bei dieser Konferenz vertreten waren, den Entwurf einer Internationalen Olympischen Charta gegen Doping im Sport erarbeitet und einstimmig angenommen haben“.
Diese Empfehlungen richten sich zum einen an die 113 Mitgliedstaaten, zum anderen an den Generaldirektor der UNESCO (SUCCÈS À MOSCOU). Die Mitglieder waren nun angehalten diese Resolution zu ratifizieren. Der Generaldirektor wurde dazu aufgefordert, sich dafür einzusetzen ebenso wie für die Einrichtung einer internationalen Kommission für Dopingkontrollen. Es dauerte dann noch ein paar Jahre bis zur Schaffung der >> WADA und die damit verbundene UNESCO-Konvention von 2005.
Ende 1986 verordnete sich auch der Weltverband der Sportartikelindustrie (sgi) eine gemeinsame Anti-Doping-Haltung und verabschiedete eine Empfehlung auf Beschluss des gemeinsamen Komitees der Sportartikel-Industrie und der Welt-Sportfachverbände unter Vorsitz von adidas-Chef Horst Dassler.
„Dazu wurden Musterverträge ausgearbeitet und von Juristen in mehreren Ländern prüfen lassen, um die internationale Rechtsgültigkeit zur gewährleisten.
In einem Schreiben an alle internationalen Sportverbände hat der Weltverband der Sportartikel- Industrie (sgi) jetzt dar gelegt, wie er seinen vor einiger Zeit gefaßten Beschluß zur Unterstützung des Kampfes gegen Drogenmißbrauch und Doping im Sport zu verwirklichen gedenkt, sgi- Generalsekretär Pierre A. Ryser unterbreitete die an die rund 200 sgi-Mitglieder ergangene Empfehlung, künftige Sponsorenverträge mit einer „Dopingklausel“ zu versehen. Sie berechtigt bei Dopingverstößen zur sofortigen Vertragsauflösung mit einzelnen Sportlern bezw. zur Beendigung der Förderung von Verbänden oder anderen Institutionen, falls diese nicht innerhalb von vier Monaten Maßnahmen gegen die Dopingsünder ergreifen. … Bei Nichterfüllung die ser Auflage wird nach acht Wochen eine Bußzahlung fällig, nach vier Monaten erfolgt die fristlose Beendigung der Sponsorenvereinbarung.“
Unterstützt wurde die Aktion durch den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees Juan Antonio Samaranch. (NOK-Report Nr. 1/87)
Allen Erklärungen, national wie international, ist gemeinsam, dass sie ein hohes Problembewusstsein durchschimmern lassen, dass Zusammenhänge klar sind, wie es sich z. B. in Forderungen nach Präventionsmaßnahmen zeigt. Doch letztlich blieb es bei Lippenbekenntnissen.
Trainingskontrollen
Die ärztliche Verschreibungspraxis war nicht ohne Grund in die Diskussion geraten und für viele Kritiker ein Grundübel der Dopingpraxis. Unter dem Mantel der Substitution konnten in der Vergangenheit Sportler im Extremfall dutzende verschiedene Mittel und Medikamente zusammen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztlichen Rat hin einnehmen. Auch die Therapie und Heilung von Krankheiten und Verletzungen wurden wie bereits angesprochen, als Notwendigkeiten für Verschreibungen angeführt. Dies wäre aber nur gerechtfertigt gewesen bei ernsthaften Erkrankungen, die keinerlei leistungssportliche Betätigung zulassen. Die Praxis zeigte, dass diese medikamentösen Behandlungen mit verbotenen Mitteln gerne zur schnelleren Regeneration und Heilung im Trainingsprozess eingesetzt wurden, Fitspritzen ist das Synonym dieser Behandlungsart, für die häufig kein Unrechtsbewusstsein vorhanden war. Diese Behandlung konnte allerdings auch als Umschreibung genutzt werden für die Anwendung von Substanzen, insbesondere anabolen Steroiden in der Trainingsphase, in der diese besonders hilfreich waren. Aber auch Cortison, Wachstumshormone, Stimulanzien und Blutransfusionen halfen die Trainingsbelastungen zu erhöhen und auszuhalten. Gefährlich für die Sportler im Sinne der Entdeckung waren vor allem die anabolen Steroide. Hier bestand aufgrund der langen Nachweisbarkeit im Urin die Gefahr, dass Restbestände im Körper bei Wettkampfkontrollen entdeckt wurden. Andere Mittel bauten sich schneller ab, waren nicht nachweisbar oder man konnte medizinische Ausnahmegenehmigungen für bestimmte Anwendungen vorlegen. Eine Praxis, von der viele Jahre lang bis heute ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Besonders bekannt sind hierfür Asthmamittel, zu denen auch Corticosteroide gehören, geworden. Dies war und ist aber oft nur mit Hilfe von Ärzten möglich. (Siehe auch >>> Doping- oder Sicherheitskontrollen?)
Ein wenig Abhilfe hätten allein Trainingskontrollen gebracht. Schon in den 1970er Jahren, als die ersten Anabolika-Tests stattfanden, wurde der Ruf nach Kontrollen während der Zeit vor und zwischen den Wettkämpfen laut.
INTERNATIONAL
der Spiegel, 10/1987:
„Zur Eindämmung des Mißbrauchs hält der Schweizer Tognoni „nur Tests ohne Vorankündigung wie bei uns“ für sinnvoll. Doch unverhoffte Kontrollen auch während der Trainingsphase beschlossen bislang erst der britische Amateursport-Verband und der Ruder-Weltverband. Die Ruderer aus der DDR und UdSSR schlossen sich allerdings aus.
Wie unangekündigte Doping-Tests einschlagen können, zeigte sich zuletzt 1986 in Belgien, das als erstes Land sogar ein Anti-Doping-Gesetz erlassen hat. Die medizinische Abteilung der Kriminalpolizei überführte bei überraschenden Besuchen acht Sportler. Drei von ihnen waren Fußballprofis beim FC Beringen.“
Manfred Donike umreißt die Situation 1987 in der öffentlichen Anhörung im Sportausschuss Humanität im Spitzensport.
Er erwähnt in seiner Antwort auf eine Frage nach durchgeführten Trainingskontrollen international lediglich den Internationalen Gewichtheberverband. Er war sicher der Verband, auf dem der größte Handlungsdruck durch die extreme Häufung positiver Fälle lastete.
„Zur internationalen Situation wäre zu bemerken, daß der Internationale Gewichtheberverband aufgrund der negativen Schlagzeilen schon im letzten Jahr Dopingkontrollen auf internationaler Ebene eingesetzt hat. Sie fangen an zu greifen: In diesem Jahr ist der Internationale Gewichtheberverband wiederum in die einzelnen Länder gegangen, auch in die Ostblockstaaten, und hat dort unbeeinflußt von Manipulationen Dopingproben ziehen können. Ein Einwand gegen international angesetzte Dopingkontrollen ist häufig, daß die Gleichheit der Chancen verletzt würde, beispielsweise daß durch Visumzwang in den Staatshandelsländern der Zugang der Dopingkontrolleure oder der Delegierten der Verbände erschwert werden könnte. Der Internationale Gewichtheberverband war in der Lage, die Kontrolle in diesem Jahr durchzuführen. Von vier Dopingproben, die in Rußland aus dem Kreis der für die Gewichtheber-Weltmeisterschaft in der Tschechoslowakei gemeldeten Athleten gezogen wurden, waren zwei positiv. Sie haben vom Verband die zweijährige Strafe bekommen. Das waren also keine Ausreisekontrollen – nur nichts Positives vorzeigen -, sondern ernsthafte Kontrollen.“
Der Internationale Leichtathletikverband IAAF hatte damals bereits Beschlüsse gefasst in Zukunft Kontrollen außerhalb des Wettkampfes einzuführen.
„Er hat auch viele kleine Schritte initiiert, nämlich mehr Wettbewerbe in die Kontrolle einzubeziehen. Auf der anderen Seite steht ein Beschluß, daß demnächst bei nationalen Wettkämpfen ein internationaler Delegierter Dopingproben ziehen kann. Das Problem ist also auf den Weg gebracht, aber noch weit von einer Lösung entfernt.“
Auf Länderebene gab es jedoch schon weiter gehendere Regelungen. Die Münsteraner Forscher zu Doping in Deutschland halten fest:
„1982 informierte der spätere IOC-Präsident Rogge in einer Sitzung der Arbeitsgruppe „Wissenschafts und Gesundheits-Probleme“ der europäischen NOKs darüber, dass Dopingkontrollen im Training in Finnland, Schweden, Norwegen und Belgien durchgeführt würden … In England beginnt im Jahr 1985 ein Pilotprojekt mit Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen.“ …
„In einem Schreiben an Kirsch machte Donike bereits 1985 darauf aufmerksam, dass Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen in England, Norwegen, Schweden, der Schweiz, Kanada und den USA durchgeführt wurden. … Gegenüber dem DSB nennt Donike 1986 die Länder Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien, Kanada, USA, Österreich, Belgien, UDSSR und DDR. Ein Jahr später machte er das Bundesinstitut darauf aufmerksam, dass inzwischen 23,6% aller Kontrollen in IOC-akkreditierten Laboren auf Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen entfielen, während im Dopinglabor in Köln nur 72 Proben des DSV außerhalb von Wettkämpfen genommen wurden.“ (Münster, Sport und Staat)
1989 beschlossen dann 11 Länder (darunter USA, UDSSR, Deutschland) ab dem 1. 1. 1990 regelmäßig Trainingskontrollen durchzuführen.
NATIONAL
Protokoll Mitgliederversammlung NOK, 7.11.1984, Bericht des Präsidenten:
„Nach wie vor habe man das Doping-Problem in seiner ganzen Vielfalt noch nicht voll im Griff, obwohl es bemerkenswerte Fortschritte gegeben habe. Der weitere Kampf gegen die Medikamentenmanipulation dürfe auf keinen Fall wegen finanzieller Engpässe vermindert oder ausgesetzt werden. Insbesondere sei ein für alle Seiten akzeptierbares Überwachungssystem für Training und kleinere Veranstaltungen weiterzuentwickeln.“Protokoll NOK-MV, 16.11.1985:
Antidopingmaßnahmen seien zu erweitern insbesondere: …
„- die Durchführung von Dopingkontrollen auch im Training und bei minderen Wettkämpfen,
– den Ausschluß von des Doping überführten Wettkämpfern und Betreuern, Arzten usw.,
wobei Daume auf die Forderung der Athleten selbst und der nationalen und internationalen Athletenkommission hinweist, daß der Ausschluß auf Lebenszeit und im allgemeinen ohne Begnadigungsmöglichkeit zu erfolgen habe.“
…
„Beckereit und Prof. ReindelI unterstreichen Daumes Ausführungen zur Dopingfrage, wobei Prof. Reindel1 harte Sanktionen gegen Ärzte durch NOK und Verbände fordert, die sich des Doping schuldig machen.“
Für die Bundesrepublik galt 1987, dass lediglich zwei deutsche Verbände überhaupt erst auf eigene Initiative Wettkampfkontrollen durchführten, der DSV und der BDR. Der DSV führte zudem als einziger deutscher Verband ab 1984 Trainingskonrollen durch, Anlass war der positive Anabolikabefund von zwei jugendlichen Schwimmerinnen (Münster, Sport und Staat; Clasing 1986; wahrscheinlich handelt es sich um die Vorgänge um Schwimmtrainer Claus Vandenhirtz). Den Radfahrern stellte Manfred Donike dabei ein gutes Zeugnis aus:
„der Bund Deutscher Radfahrer hat über das Jahr verteilt so viele Dopingkontrollen angesetzt, daß die Kaderathleten während dieser Zeit immer mit einer Dopingkontrolle rechnen müssen. Das sind Dopingkontrollen im Wettkampf, aber durch die Vielzahl der Kontrollen wird die Trainingsphase mit abgedeckt.“
Laut FAZ vom 7.12.1990 hatte der Deutsche Leichtathletikverband bei den deutschen Meisterschaften in Gelsenkirchen 1987 Trainingskontrollen beschlossen. Präsident Dr. Munzert habe sich am Tag darauf „mit einer starken Front von Gegnern dieser Maßnahmen konfrontiert„ gesehen.
In ihrem Abschlussbericht ‚Sport und Staat‘ erwähnen die Münsteraner Forscher einen Antrag von Dr. Horst Meyer, Ruder-Olympiasieger von 1968 und persönliches Mitglied des NOK für Deutschland, für die Mitgliederversammlung des NOK 1986 wonach Spitzenathleten veranlasst werden sollten, „sich freiwillig stichprobenartigen Kontrollen zu unterziehen“. Der Antrag wurde jedoch bereits im Vorfeld abgelehnt. Hintergrund waren die Dopingfälle der Biathleten Angerer und Wudy, die von ihrem Mannschaftsarzt bei der WM 1986 Methyltestosteron erhalten hatten und für 6 Monate gesperrt worden waren. Dieser Antrag wurde 1987 innerhalb der Arbeitsgruppe Dopingfragen des BISp diskutiert. Die Arbeitsgruppe hat nach kontroverser Diskussion den Verbänden vorgeschlagen „stichpunktartige Kontrollen ihrer Athleten im Training sowie vor Ausreisen zu internationalen Wettkämpfen vorzunehmen“. (AG Dopingfragen des BISp, Empfehlungen). 2 Monate später wurde dieser Beschluss jedoch vom NOK-Präsidium als nicht haltbar erklärt, man habe kein Ergebnis erzielt. Interessant in diesem Zusammenhang wäre zu wissen wie die Ausreisekontrollen bewertet wurden. Ähnlich der Praxis in der DDR? Hier hatten sich die Sportler grundsätzlich entsprechender Kontrollen zu unterziehen. In der BRD hatte 1984 der Fall Gerhard Strittmatter für Aufregung gesorgt, der nach Anabolika-Anwendungen durch Arzt Armin Klümper gezielt intern kontrolliert wurde und dann nicht zu den olympischen Spielen zugelassen wurde. Die Frage stellt sich, ob diese verdeckten Ausreisekontrollen in Westdeutschland häufiger vorkamen. Dass dies eine weltweit verbreitete Praxis war, zeigte eine Untersuchung des IOC aus dem Jahr 1987/1988 (siehe >>> Doping- oder Sicherheitskontrollen?). Hätten diese Ausreisekontrollen nun zu Sperren führen können, wäre den Dopingbefürwortern und -anwendern ein wichtiges Instrument abhanden gekommen.
Im Oktober 1988 sprachen sich die Stiftung Deutsche Sporthilfe sowie das Präsidium des DSB für Trainingskontrollen aus. Das NOK-Präsidium hatte im August einen entsprechenden Beschluss gefasst. Die rechtlichen Probleme seien mittlerweile ausgeräumt. Der Hauptgrund für diese Meinungsumschwünge dürfte aber internationaler Druck gewesen sein, verstärkt durch den Ben Johnson-Skandal bei den Olympischen Spielen in Seoul. (sid, 22./23.10.1988)
Siehe hierzu auch die internationale Antidoping-Charta, die auf der Ersten Welt-Antidoping-Konferenz 1988 in Ottawa verabschiedet und 1989 in Moskau weiter diskutiert wurde und die sich daraus ergebenden Arbeits-Empfehlungen für Deutschland.
Die Aktivensprecher innerhalb des DSB gaben am 16.11.1988 auf ihrer Vollversammlung ebenfalls eine Erklärung zur Dopingproblematik ab, in der sie zu Trainingskontrollen Stellung nahmen:
„Das Doping-Problem muß gelöst werden, um die Glaubwürdigkeit des Sports zu erhalten und die Gesundheit der Athleten zu schützen. Die Sportler erwarten jedoch, daß die sportmedizinische Betreuung und Beratung Vorrang gegenüber Dopingkontrollen erhält. Doping ist ein weltweites Problem. Die deutschen Sportorganisationen sollen deshalb das IOC und die internationalen Verbände auffordern die Zulassungsbestimmungen zu ändern. Es sollen nur solche Sportler zu den Olympischen Spielen und den internationalen Meisterschaften zugelassen werden, die sich bereit erklären, sich jederzeit internationalen [unangemeldeten?] Dopingkontrollen zu unterziehen. Das Doping-Problem kann nur vom Sport selbst gelöst werden, eine gesetzliche Regelung halten die Sportler nicht für erforderlich.“
Eberhard Munzert, Stuttgarter Zeitung 22.5.1990:
„Inzwischen gibt es zwar Beschlüsse Dopingkontrollen im Training durchzuführen, aber es fällt auf, daß von den über 40 olympischen Disziplinen der Leichtathletik zunächst nur sechs, eher Unverdächtige ausgesucht wurden. Erst nach weiteren krltischen Zeitungsberichten werden die Kontrollen auf alle Disziplinen ausgedehnt. Da können schon Zweifel aufkommen ob der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) die Bekämpfung des Dopings wirklich vollen Herzens angeht.“
1989 führte der Deutsche Sportbund (DSB) ein Pilotprojekt durch, das sich laut Bundesregierung auf vier Sportarten beschränkte. Finanziell unterstützt wurde es durch den Bundesminister des lnnern. 1990 verkündet Prof. Dr. Manfred Steinbach, 1990 Präsidiums-Mitglied des Deutschen Leichtathletikverbandes und Abteilungsleiter und Ministerialdirektor im Bundesgesundheitsministerium:
„Das neue DLV-Präsidium hat seine Arbeit beinahe zeitgleich mit den Trainingskontrollen aufgenommen, die vom DSB im Zuge eines ersten Pilotversuches vorgenommen werden. Mit Genugtuung verzeichnen wir, daß sämtliche Pilotproben, also auch der der sechs beteiligten Leichtathletik-Disziplienen, negativ waren. In Kürze wird diese Trainingskontrolle auf alle Diziplinen ausgedehnt. Sollte dies im Gefolge dieser Maßnahme eine internationale Niveausenkung spezieller Disziplinen ergeben, dann werden wir nicht zögern, unsere Richtwerte und Qualifikationsleistungen sofort und unbürokratisch anzupassen. (…)
Der Preis für diese Art Ethik ist hoch, muß doch neben der Leistungsförderung ein teures und aufwendiges Kontrollwerk aufgebaut werden. Dies ist gleichwohl gerechtfertigt, solange Leistung und Leistungssport in der Öffentlichkeit einen so hohen Stellenwert haben, wie dies der Fall ist.“ (DLV, Dopingkontrollen 1990/91)
Neben dem DLV wurden noch die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft, der Bundesverband Deutscher Gewichtheber und der Deutscher Ruderverband für das Pilotprojekt ausgewählt.
Im Mai 1990 gingen Schwimmer an die Öffentlichkeit und forderten ein Pilotprojekt für Dopingkontrollen bei Schwimmern aus Ost und West. Sie wollten damit den ‚Negativschlagzeilen und Vorwürfen (gerade in Richtung DDR)‘ entgegen treten. Jeweils zwölf Aktive aus der Bundesrepublik und der DDR hatten sich verpflichtet, sich drei Trainingskontrollen pro Jahr zu stellen. Die Aktiven waren: Michael Groß, Stefan Pfeiffer, Peter Bermel, Peggy Jähnichen, Frank Hoffmeister, Mark Warnecke, Marion Aizpors, Stephanie Ortwig, Alexandra Hänel, Rainer Henkel, Peter Sitt, Martin Herrraann, Raik Hannemann, Nils Rudolph, Patrick Kühl, Dirk Richter, Jörg Hoffmann, Ralph Färber, Manuela Stellmach, Daniela Hunger, Anke Möhring, Heike Friedrich, eventuell auch Astrid Strauß und Kathleen Nord. (sid, 15.5.1990)(Ob das Projekt durchgezogen wurde, ist mir nicht bekannt.)
Die Bundesregierung hatte folgende Bedingungen für die Einführung von Kontrollen im Training aufgestellt:
1. Die Sportfachverbände müssen die Beschlüsse des nationalen Olympischen Komitees und des Deutschen Sportbundes, wonach auf nationaler Ebene künftig Kontrollen auch außerhalb der Wettkämpfe vorzusehen sind, in ihrem Regelwerk umsetzen.
2. Die von den Sportfachverbänden zu beschließenden Regelungen müssen durch eine Selbstverpflichtung der Athleten ergänzt werden und Sanktionen bei Weigerung durch Sportler oder bei positiven Ergebnissen von Dopingkontrollen vorsehen.
3. Der Komplex „Dopingkontrollen im Trainingsbereich“ muß im Regelwerk des Sportfachverbandes möglichst konkret und für die Sportler als Adressaten verständlich normiert sein. Das wird von den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Normenklarheit gefordert.
4. Die angedrohten Sanktionen müssen verhältnismäßig sein. Sie dürfen nicht so angelegt sein, daß sie in unangemessener oder gar willkürlicher Weise den Athleten treffen können. Auch der Verschuldensgrad darf nicht außer Betracht bleiben. Außerdem muß gegen verhängte Sanktionen ein verbandsinterner Rechtsweg mit rechtsstaatlichen Garantien (z. B. rechtliches Gehör, Vertretungsmöglichkeit des Betroffenen) zugestanden werden. (7. Sportbericht, 1990)
Der Bundesausschuss für Leistungssport bestimmte in seiner Antidoping-Erklärung, Dezember 1990:
11. Die Spitzenverbände werden aufgefordert, Athleten, die keine schriftliche Einverständniserklärung zu Trainingskontrollen abgeben, weder für Welt- oder Europameisterschaften, noch zu sonstigen internationalen Wettkämpfen zu nominieren und sie auch nicht in den Kader zu berufen. Bei der Nominierung für internationale Wettkämpfe wird den Spitzenverbänden geraten, zusätzliche Kontrollen vorzunehmen.
Deutsche Widerstände gegen Trainingskontrollen
Im Rahmen des Forschungsprojektes ‚Doping in Deutschland…‘ veröffentlichten Henk Erik Meier, Marcel Reinold und Anica Rose von der Universität Münster Beiträge über Dopingskandale in der alten Bundesrepublik.
In ihrer Analyse der medialen und sportpolitischen Diskussion des Todes von Birgit Dressel betrachten sie auch den Einfluss, der davon auf die Einführung von Trainingskontrollen im deutschen Sport ausging. Trainingskontrollen wurden zu dem damaligen Zeitpunkt heftig und kontrovers diskutiert.
sid:Was erwarten Sie von dem Antl-Doplng-Pilotprojekt des Deutschen Sportbundes?
Donike:Dieses schmalbrüstige Projekt diente doch nur dazu, die Diskussion vom Tisch zu bringen. Ich halte das für eine Alibi-Veranstaltung. Norwegen, Schweden und Großbritannien sind wesentlich weiter. Geld kann das Problem nicht sein. In den Verbänden wird soviel Geld für unnötige Dinge ausgegegben. … Wir müssen die Anzahl der Proben erhöhen. Nur durch die Ausweitung der Trainingskontrollen ist das Problem wirksam zu bekämpfen. Die Auswahl der Sportarten sollte deshalb vor allem dopingträchtige Dissziplinen berücksichtigen. …
Die Auswahl der leichtathletischen Disziplinen im DSB-Pilotprojekt berücksichtigt genau diese Disziplinen nicht. Da ist der Verdacht einer willkürlichen Auswahl nicht ganz unbegründet.
…
Die meisten Sportler sind mit den Kontrollen einverstanden. Ablehnende haltung kommt nur von Medizinern, Trainern und aus den Verbänden von den Funktionären. Das Problem des Sports ist, daß eine Dopingmentalität entstanden ist. Das hat Manfred Steinbach schon richtig formuliert.
…
Ich habe schon 1980 gefordert der DSB sollte etwas unternehmen. Der einzige, der damals auch so gesehen hat war Willi Daume, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. Er ist derjenige, der das Pilotprojekt sportpolitisch auf den Weg gebracht hat.
(sid, 28.11.1989)
Aus internen Schriftwechseln und Verbandsdokumenten geht hervor, dass von Seiten des deutschen Sports kaum Bereitschaft zu erkennen war, Kontrollen im Training durchzuführen. Statt dessen wurde unter Sportärzten und Sportinstitutionen der Fall Dressel dazu genutzt mehr Sportärzte und sportärzliche Betreuung zu fordern und ein Dopingproblem zu leugnen.
Es war letztlich der internationale Druck, dem die Verbände gezwungen waren, nachzugeben.
Zitate aus dem Text über Birgit Dressel:
„Im Hinblick auf Trainingskontrollen antwortete der BAL auf die Anfrage des BMI einen Monat nach dem Tod Dressels: „Eine gesundheitliche Gefährdung durch die Einnahme irgendeines den Dopingmitteln zuzuordnenden Medikamentes konnte bisher nicht festgestellt werden. Es muß jedoch mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen werden, daß die Zahl der sportbedingten Verletzungen und Erkrankungen sich auf einem hohen Niveau eingependelt hat, ohne daß es bis heute möglich gewesen ist, eine Finanzierung von Ärzten für den Hochleistungssport zu erlangen. Eine Ausweitung der Doping-Analytik und der Zahl der Doping-Bestimmungen scheint somit nicht geboten, wohl eine weitere Verbesserung der ärztlichen Fürsorge […] Die Durchführung von Doping-Kontrollen im Training läßt einen unverhältnismäßig hohen personellen und finanziellen Aufwand erwarten, der nicht im Verhältnis zu möglichen Auswirkungen steht, zudem gesundheitliche Störungen durch irgendwelche medikamentösen Maßnahmen im Training bis heute nicht belegt werden können.“
Etwa zwei Monate nach Dressels Tod diskutierte die „Arbeitsgruppe Dopingfragen“ des Bundesinstituts für Sportwissenschaft in der Sitzung am 2. Februar 1987 das Thema Trainingskontrollen. Es wurde dabei kritisch vorgebracht, „daß es nicht vertretbar sei, mehrere Dopingexperten anzustellen, wobei bis heute noch keine hauptamtlichen Ärzte für trainings- und wettkampfbegleitende Betreuung, die zugleich die Unterweisung in Dopingproblemen vornehmen könnten, vorhanden seien. Schädigungen durch anabole Steroide, um die es bei den Trainingskontrollen auch gehe, seien bei Sportlern bis heute nicht belegt worden. Wohl aber sei gesichert, daß bei Spitzensportlern eine Vielzahl von Erkrankungen und Verletzungen durch unzureichende ärztliche Versorgung eingetreten sei“. … Während die Kommission letztlich eine freiwillige Unterwerfung der Spitzenathleten unter stichprobenartige Dopingkontrollen empfahl, lehnte das NOK-Präsidium diese Empfehlung ab. …
arbeitete das Bundesinstitut an einer juristischen Prüfung von Trainingskontrollen. Allerdings war ein juristisches Gutachten bereits 1983 zu dem Ergebnis gekommen, dass Trainingskontrollen vertraglich verankert werd
Protokoll NOK-Präsidiumssitzung, 21.8.1987:
„Doping-Kommission:
Prof. Kirsch verweist auf den Bericht, der u.a. im NOK-Report 7/87 erschienen ist und verweist weiterhin auf eine neuerliche Aktion des Europa-Rats, dessen Vorstellungen weit über die in unseren Organisationen für zweckmäßig gehaltenen Maßnahmen hinausgehen. Schaible erklärt für die Bundesregierung, daß sie sich gegen diese Aktivitäten wenden werde.“
Obwohl diese Einschätzung auf dem Treffen der „Arbeitsgruppe Dopingfragen“ des Bundesinstituts am 3. Juni 1987 von einem Juristen bestätigt wurde, argumentierten die Sportfunktionäre weiter mit den juristischen Problemen von Trainingskontrollen. So erklärte Heinz Fallak beim öffentlichen Hearing des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, „daß uns die Juristen sagen werden: Das wird nicht möglich sein“. …
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, in diesen Entscheidungsprozess einzugreifen“.
Die ablehnende oder abwartende Haltung gegenüber Trainingskontrollen war jedoch nicht durchzuhalten. Auf nationaler Ebene sprachen sich die Sportminister der Länder am 26. November 1987 eindeutig für Trainingskontrollen aus. …
Im Juni 1988 verstärkte sich der internationale Anpassungsdruck, als die europäische Sportministerkonferenz, der Europarat und die Ständige Weltkonferenz gegen Doping in Ottawa Empfehlungen zur Verankerung von Trainingskontrollen beschlossen. Nachdem das NOK in einem Grundsatzbeschluss vom 30. August 1988 seine Mitgliedsverbände aufgefordert hatte, gemäß den Empfehlungen der internationalen Institutionen Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen einzuführen und in diesem Zusammenhang ankündigte, die Kriterien für die Benennung der Olympiamannschaft entsprechend zu verändern, beschloss man am 19. November 1988 unangemeldete Dopingkontrollen außerhalb von Wettkämpfen mit einer Pilotphase in den Jahren 1989 und 1990.“ (s.o.)
Siehe hierzu die Antwort der Bundesregierung auf eine Umfrage unter Mitgliedsländern des Europarates zum Stand der Diskussion und Einführung von Trainingskontrollen:
>>> 1987 Europarat/Council of Europe: 1987 Enquiry, out-of-competition and out-of-country controls – results of the enquiry, extracts of Replies from_ Austria, Federal Republic of Germany, Netherlands, Norway, Portugal
Monika 2011, Ergänzungen