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Strafanzeige Werner Franke 1998 zur Verantwortung der ad-hoc-Kommission 1991
Im Januar 1991 begann unter Leitung des damaligen DSB-Vizepräsidenten Manfred von Richthofen die „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ ihre Arbeit. Neben v.Richthofen gehörten Richter Harm Beyer (DSV), Aktivenvertreter Heinz Weis, DSB-Justitiar Jochen Kühl und die Vize-Präsidentin des Deutschen Rollsportbundes Ute Willwock der Kommission an. Ziel sollte der eine ‚rückhaltslose Aufklärung‘ der vorliegenden Dopingvorwürfe zu Ost und West sein. Dazu wurde eine Reihe von Zeitzeugeninterviews geführt und ausgewertet. Das Ergebnis lag am 14. Dezember 1991 vor.
1998 wurde in den DDR-Dopingprozessen deutlich, dass bereits 1991 Zeugen der Kommission über das DDR-Doping ausgesagt hatten. Werner Franke erstattete daraufhin Anzeige. Seiner Ansicht nach wären Manfred von Richthofen, Harm Beyer und Jochen Kühl strafrechtlich und moralisch verpflichtet gewesen, 1991 nach den Zeugenaussagen die Strafverfolgungsorgane davon in Kenntnis zu setzen. Diese Notwendigkeit wurde von den Betroffenen nicht gesehen. Auch die Staatsanwaltschaft verneinte die von Franke geforderte Verantwortung und wies dessen Anzeige zurück.
Werner Franke und Manfred von Richthofen erläuterten der Frankfurter Allgemeinen Ihre Sichtweise. Zitate aus den beiden Interviews:
Werner Franke, FAZ vom 17.6.1998:
„Die Opfer interessieren niemanden, sie stören nur“
Der Dopingforscher über Manipulationen in Ost und West
Professor Dr. rer. nat. Werner Franke ist von Beruf Molekularbiologe, kein Anti-Doping-Forscher. Aber der Wissenschaftler aus Heidelberg kennt sich in den kleinsten Zellen der pharmakologischen Manipulation des Sports offenbar genauso gut aus wie in der Krebsforschung. Frankes Detailwissen über die Dopinggeschichte war die Grundlage für das Buch seiner Frau Brigitte Berendonk, „Dopingdokumente – Von der Forschung zum Betrug“. Es ist die Basis für die systematische juristische Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit in der ehemaligen DDR, die mit dem Prozeß gegen Trainer und Ärzte in Berlin im März begonnen hat. Im Kampf gegen die Täter hüben wie drüben, gegen Vertuscher und Dulder, scheut der 58 Jahre alte Franke keinen Konflikt. Er liefert gerichtsfeste Beweise zur Aufklärung. In der vergangenen Woche stellte eine Heidelberger Kanzlei, die drei Nebenklägerinnen in Berlin vertritt, Strafanzeige unter anderem gegen den Präsidenten des Deutschen Sportbundes (DSB), Manfred von Richthofen. Er soll Kenntnis von strafrechtlich relevantem Doping, etwa dem von Minderjährigen, erhalten und unterdrückt haben.
Welchen Beweis haben Sie für Ihre Vorwürfe?
Der Beweis liegt als schriftliches Dokument vor. Und zwar in den Beiakten des laufenden Prozesses gegen die Schwimmtrainer und Ärzte des SV Dynamo Berlin wegen Dopings Minderjähriger. Dort finden Sie zum Beispiel die Aussagen des Arztes Alwin Sünder, der in der vergangenen Woche im Prozeß gegen Ärzte und Trainer des TSC Berlin freiwillig ausgesagt hat. Das hat besonderes Gewicht, weil er der Referatsleiter der sportmedizinischen Hauptberatungsstelle SAB Berlin war. Nun stellt sich heraus, daß derselbe Sünder auch schon 1991 im wesentlichen Gleichlautendes vor der Ad-hoc-Kommission des DSB ausgesagt hat, die von Richthofen geleitet wurde. Er hat damals schon Details von der Dopingpraxis berichtet. Auch vom Auftreten der Nebenwirkungen und, im Fall beträchtlicher Nebenwirkungen, von der Überweisung der Sportler an das Zentralinstitut des sportmedizinischen Dienstes in Kreischa.
Der ebenfalls angezeigte Jochen Kühl, ehemals Jurist des DSB und damals Mitglied der Ad-hoc-Kommission, bestreitet aber, daß die Befragung konkrete Hinweise auf Straftatbestände ergeben hätte.
Sünder belegt doch, daß es deutliche Hinweise für Körperverletzungen gab. Und Anzeichen für Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz der DDR, die durch das lange Zuwarten aber nun leider verjährt sind. Ich habe bewußt die Aussage von Herrn Sünder erwähnt, weil erst in diesem Frühjahr die entsprechenden Akten in Kreischa von der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV, d. Red.) sichergestellt worden sind. Das heißt also: Hätte die ZERV schon 1991 diese eine konkrete Information von Sünder gehabt, dann hätte man viel zügiger ermitteln können. Und man hätte auch in einigen Fällen Personen direkt gesundheitlich unterstützen können. Denn der Knackpunkt ist doch der: Haben die Opfer, haben die Sportlerinnen und Sportler, für die der DSB eine Fürsorgepflicht hatte und hat, haben die nicht ein Recht darauf, über die Behandlung informiert zu werden, die an ihnen ohne Wissen und ohne ihr Wollen vorgenommen worden sind? Warum hat man sie nicht darauf hingewiesen?
Sie werfen der Ad-hoc-Kommission unterlassene Hilfeleistung vor?
Die ganze Untersuchung wurde im Sinne der Täter, nicht im Sinne der Opfer ausgelegt. Man wollte die Täter schützen und ihnen wieder Anstellungen verschaffen. Ich meine aber, daß man verpflichtet ist, den Staat zu informieren, wenn man erfährt, daß Personen ohne ihr Wissen mit einer potentiell schädigenden Substanz behandelt worden sind. Oder darf man, wissend, daß schwere Schäden entstanden sein können oder entstehen können, dieses für sich behalten? Zum Beispiel zum Schutz von 25 DDR-Trainern, eine Zahl, die von dem Strafrichter Harm Beyer, dem früheren Präsidenten des Deutschen Schwimmverbandes und Mitglied der Ad-hoc-Kommission, in der Zeitschrift Schwimm-Magazin, Ausgabe 26/1991, so angegeben worden ist. Er war stolz darauf, daß er die Trainer zu Geständnissen und einer Erklärung hatte bewegen können. Die Papiere schloß er dann in seinen Safe ein.
Sind die Namen aus dieser Liste bekannt?
Die Staatsanwaltschaft und auch die Polizei beklagen, daß die Liste mit den Namen immer noch nicht herausgegeben worden ist. Beyer sagt, er wisse nicht mehr, wo sie ist. Das ist doch lächerlich. Wenn ein Strafrichter sich so verhält, dann läßt das doch Strafvereitelung erkennen. Zumal erst nach Anordnung eines Berliner Richters zehn Polizeibeamte bei ihm Unterlagen abholen durften, die er nicht herausgeben wollte. Der Richter Beyer hortete also Dokumente, die eigentlich für die Strafermittlung wichtig waren.
Der Generalsekretär des DSB, Wulf Preising, behauptet, Sie selbst hätten vor der Ad-hoc-Kommission teilweise die Aussage verweigert.
Das ist Blödsinn und Lüge. Ich bin nie von dieser Ad-hoc-Kommission geladen worden. Meine Frau auch nicht. Ich bin aber mehrfach Einladungen der Verbände gefolgt. Zweimal bin ich zum DSB gekommen, einmal war ich beim Turnerbund, zweimal beim Deutschen Leichtathletik-Verband. Meine Frau und ich haben also fünfmal auf Wunsch Auskunft gegeben und entsprechende Dokumente übergeben. In allen Fällen sind wir, das muß man so sagen, verarscht worden. Denn auch die Dokumente dienten den Verbänden nur dazu, herauszubekommen, was die Brigitte Berendonk weiß und wo es Probleme geben könnte. Die Sportverbände haben immer im Sinne der Täter oder der Politik gehandelt. Ich kenne keine einzige Handlung zugunsten der Opfer.
Was hätte der DSB denn tun können?
Der DSB hätte, nachdem er in den Anhörungen so viel erfahren hatte, die Sportler darüber informieren müssen, daß sie wahrscheinlich Dopingmittel bekommen haben und daß sie das bei eventuell auftretenden Krankheiten ihren behandelnden Ärzten sagen müßten. Er hätte sie dazu auffordern müssen, bestimmte Krankheitsbilder routinemäßig abfragen zu lassen. Zum Beispiel eine Ultraschalluntersuchung der Leber zu machen. Nur zufällig wurde bei der früheren Weltrekord-Schwimmerin und Medaillengewinnerin Birgit Meineke, heute heißt sie Heukrodt, 1992 ein Knoten in der Leber festgestellt. Glaubt man denn, daß nur bei der Frau Heukrodt so ein Tumor entstehen kann?
Ist der kausale Zusammenhang zwischen Doping und dem Tumor im Fall Heukrodt zweifelsfrei?
Nichts ist hundertprozentig sicher. Wenn man aber einer Frau die Anti-Baby-Pille gibt – im Osten wurde sie vorgeschrieben, weil Spitzensportlerinnen nicht schwanger werden sollten – und wenn noch ein androgenes Dopingmittel dazukommt, dann wird die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung gewaltig gesteigert. Die DDR-Mediziner Pansold und Höppner haben darüber der Stasi berichtet. Die Informationen über diese Schäden und Zusammenhänge haben die Betroffenen aber nie erreicht. Das ist mein Vorwurf. Wer gibt dem DSB das Recht, etwas unter sportlichen Gesichtspunkten zu sehen, aber die Betroffenen nicht mal über das zu informieren, was mit ihnen passiert ist. Was ist das für eine Ethik? Ich sehe, daß die Person A der Person B etwas gibt, was schädigend wirkt. Bin ich als Mensch verpflichtet, vor den möglichen Schäden zu warnen? Alle würden ja sagen. Nur der DSB sagt nein, und Herr Beyer hält das für Denunziantentum.
Sie zweifeln an der vom Sport beschworenen Selbstreinigungskraft?
Einige Täter werden heute noch durch das System geschützt, auch im Westen. Ich erinnere nur daran, daß der westdeutsche Sprinttrainer Wolfgang Thiele, nach wie vor beim Deutschen Leichtathletik-Verband tätig, durch eine Zeugenaussage vor dem Amtsgericht Hamm genauso belastet worden ist wie der seinerzeit verurteilte Trainer Jochen Spilker. Aber das ist nie aufgeklärt worden. Genauso wie 1980 im Schwimmverband die Fälle der Minderjährigen Jutta Kalweit und Nicole Hasse. Opfer stören nur.
Sie behaupten auch, führende deutsche Sportfunktionäre hätten schon seit Jahrzehnten vom Doping in Westdeutschland gewußt. Woher wissen Sie das?
Ende der siebziger Jahre haben wir durch ein Mitglied der Dopingkommission eines Fachverbandes – ich will den Namen nicht sagen, weil er noch als Funktionär tätig ist – davon erfahren. Er hat in Telefongesprächen mit bedeutenden Leuten des deutschen Sports dieses Thema angesprochen und in seiner Not die Gespräche aufgezeichnet. Diese hat er uns vorgespielt.
Und was war zu hören?
Daß keiner etwas gegen Doping tun wollte, obwohl es alle zu wissen schienen.
…
Interview geführt von Anno Hecker
Manfred von Richthofen, FAZ 20.6.1998
„Was Herr Franke betreibt, ist gefährlicher Flächenbrand“
Der Präsident des Deutschen Sportbundes ist in dieser Woche von einer Heidelberger Rechtsanwaltskanzlei, die den Dopingexperten Werner Franke vertritt, wegen Strafvereitelung, unterlassener Hilfeleistung und Begünstigung angezeigt worden. Den Vorwurf, er habe 1991 als Vorsitzender der „Ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ strafrechtlich relevante Informationen über DDR-Doping zurückgehalten, wies Richthofen am Mittwoch vor dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages zurück. Die Fragen dieser Zeitung wollte er nur schriftlich beantworten.
…
Franke sagt, was Sie in der Ad-hoc-Kommission erfahren haben, hätte Sie alarmieren und zur Strafanzeige führen müssen.
Strafanzeige ist nur auf der Basis solider Beweise sinnvoll. Eine Kommission des DSB kann nicht an Stelle einer staatlichen Instanz juristische Bewertungen vornehmen. Darüber hinaus hatten wir allen Beteiligten an dem Verfahren Vertraulichkeit zugesichert.
Welche Aufgabe hatte diese Kommission?
Das DSB-Präsidium unter dem damaligen Präsidenten Hans Hansen hat die Kommission berufen, um die Verbände zu beraten, ob Trainer, Ärzte oder Wissenschaftler aus der DDR problemlos eingestellt werden können.
War es ein Irrtum, zu glauben, der Sport verfüge über ausreichend Selbstheilungskraft, um auch mit dem Komplex Doping Minderjähriger fertigzuwerden?
Der DSB hat 1991 die Initiative ergriffen, um Schaden vom Sport abzuwenden. In einer Zeit also, wo sich andere noch in einem Vereinigungstaumel befanden. Viele, die heute Kommentare abgeben, waren sich über den Umfang der Dopingproblematik genauso wenig im klaren wie der DSB. Doping an Minderjährigen ist erst später in der ganzen Dimension erkennbar geworden. Der Sport hat mit seinen Möglichkeiten schon früh das getan, was durch offizielle Stellen wie die ZERV [Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität; die Redaktion] erst später aufgegriffen wurde.
Warum haben Sie die Öffentlichkeit lediglich pauschal über das informiert, was die Kommission erfahren hat – ohne Einzelfälle, ohne Namen?
Das Präsidium des DSB wurde von der Kommission stets informiert. Aber wir haben den Befragten – genauso wie seinerzeit die Reiter-Kommission – Vertraulichkeit zugesagt. Wie ich schon erwähnte, haben wir aber den Verbänden für ihre Einstellungspraxis selbstverständlich die Namen genannt, die problembehaftet waren. Das war auch die Aufgabe der Kommission.
Wie hat die ZERV die Protokolle dieser Kommission erhalten?
Wir haben sie natürlich freiwillig übergeben
Wußten Sie von strafrechtlich relevantem Doping in der DDR?
Man wußte viel, aber die Beweiskraft war schwierig. Was strafrechtlich relevant ist, klärt sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren.
Was hat der deutsche Sport für Opfer des DDR-Sports getan?
Der DSB hat jedem Opfer die Möglichkeit gegeben – so gewünscht -, Gespräche zu führen und Hilfsmaßnahmen zu erbitten sowie Hilfestellung zu erfahren.
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Gefährdet die Aufarbeitung von DDR-Doping die Einheit, oder noch schlimmer: Ist Franke ein Spalter?
Was Herr Franke betreibt, ist gefährlicher Flächenbrand. Ernstzunehmende Vorwürfe werden vermischt mit Effekthascherei. Oftmals halten die von Franke in Aussicht gestellten Dokumente nicht das, was sie versprechen. Viele Menschen in Ostdeutschland fühlen sich ungerecht an den Pranger gestellt.
Gibt es Defizite und gibt es Errungenschaften in der Aufarbeitung des Sports im geteilten Deutschland?
Ziel des DSB ist die tägliche Bekämpfung der Dopingseuche. Dafür haben wir eine Einrichtung geschaffen, die im Trainingsprozeß wirkungsvoll kontrolliert. Das DSB-Präsidium hat mehrfach erklärt, daß die gerichtlichen Ermittlungen beim Doping Minderjähriger unsere volle Billigung und Unterstützung findet. Es ist oft genug gesagt worden, daß die Aufklärung sich nicht auf Ostdeutschland beschränken darf. Alle Verantwortlichen wissen allerdings, wie schwierig es ist, Nachweise im Westen zu führen. Wenn alle immer mitgetan hätten, wie vom DSB-Präsidium angeregt, wären wir weiter. Es gilt aber auch denen ein Lob auszusprechen, die diese gute Aufklärungsarbeit in ihren Verbänden stets nachdrücklich unterstützt haben. …
Interview geführt von Michael Reinsch