Mediziner im Dopingsystem der DDR –
Portraits und kurze Historie
>>> Buhl, Hermann
>>> Fröhner, Gudrun
>>> Häcker, Rüdiger
>>> Hannemann, Dietrich
>>> Hartwich, Rainer
>>> Israel, Siegfried
>>> Kämpfe, Hans-Joachim
>>> Kipke, Lothar
>>> Lathan, Hans-Henning
>>> Neubauer, Jochen
>>> Neumann, Georg
>>> Pansold, Bernd
>>> Riedel, Hartmut
>>> Schäker, Winfried
>>> Wendler, Hans-Joachim
>>> Wuschech, Heinz
>>> weitere DDR-Mediziner
Frühe Einbindung
In der Dopinggeschichte lässt sich ohne die besondere Berücksichtigung der Rolle von Ärzten bzw. Medizinern nicht erfassen und auch nicht verstehen. Ihr Einfluss wuchs im Laufe der Jahrzehnte immer weiter an. Das war im Westen nicht anders als im Osten. Heute stehen sie mit ihm Zentrum der internationalen und nationalen sportlichen Hochleistungssysteme. Im Sportsystem der DDR waren sie schon relativ früh fest verankert mit einigem Einfluss. Man findet sie in allen Positionen und Funktionen, in den hochrangigsten bis auf Vereinsebene.
Grob beschrieben, stand im Zentrum des Systems der Sportmedizinische Dienst SMD. 1963 gegründet, war er zuständig für alle Sporttreibenden des Landes. Aufgrund der Schwerpunktverlagerung hin zum Hochleistungssport war der SMD zunehmend in diesen Bereich eingebunden und mitverantwortlich. Neben ihm erhielten die deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK), verantwortlich für die Trainerausbildung und die Sportentwicklungshilfe, und das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS), zuständig für die Spitzensportförderung (geheim), beide in Leipzig angesiedelt, hohe Bedeutung.
Von 1974/75 wurde der SMD personell um ein Drittel ausgebaut, mit der Folge, dass Ende 1988 allein 578 ‚medizinische Hochschulkader‘ und 104 andere Akademiker angestellt waren. Damit hatte der SMD fast doppelt soviele Mitglieder wie die DHfK und das FSK zusammen. Doch auch in diesen beiden Einrichtungen gab es eine Fülle von medizinischem Personal.
Da alle drei Einrichtungen in das DDR-Dopingsystem auf vielfätigste Weise eingebunden waren, stößt man bei der Beschäftigung mit dem DDR-Dopingsystem immer wieder auf Mediziner, die an herausragender Stelle daran beteiligt waren, sei es als Funktionäre, Forscher, Trainer oder Clubmediziner. Ohne sie wäre das Programm nicht möglich gewesen.
Giselher Spitzer beschreibt die Entwicklung des DDR-Sportsystems und darin die Entwicklung des Dopings in seinem Buch ‚Doping in der DDR‘, erschienen 1998, ausführlich. Bereits in der ersten Phase, der klassischen, präanabolen Phase während der fünfziger und Anfang sechziger Jahre spielen Ärzte eine Rolle. Genannt sei Siegfried Israel, Arzt des Radsportverbandes, zuständig für einen Großversuch bei Radsportlern mit reinem Testosteron.
Eine differenzierte Zusammenstellung der Rolle(n) von Medizinern im DDR-Sportsystem kann hier nicht erfolgen, wäre aber sicher interessant und auch aufschlussreich. Bekannt ist sehr viel. Doch es bestehen noch einige offene Fragen, nicht zuletzt nach der Verantwortung, nach dem ärztlichen Verständnis und nach der ethischen Basis.
Anregungen
Die wenigen Vorstellungen ehemaliger DDR-Mediziner, die ich anhand öffentlich zugänglichen Materials anbieten kann (und noch ergänzen werde), bilden nicht sehr viel ab. Sie können höchstens kleinste Einblicke in die Dopingverstrickungen bieten. Aber vielleicht wecken sie Interesse, geben einen ergänzenden Eindruck von dem System des Dopings der DDR und lenken den Blick auf Ursachen und Folgen, auch wenn möglicherweise mehr Fragen als Antworten bleiben.
Die Basis der ‚Portraits‘ sind die folgenden Bücher:
Giselher Spitzer, Doping in der DDR, 1998
Giselher Spitzer, Sicherungsvorgang Sport, 2005
Brigitte Berendonk, Doping, 1992
Klaus Latzel, Staatsdoping, 2009
Eine ausführlichere Literaturliste zur DDR-Dopinghistorie ist
>>> hier zu finden.
Zitate zur DDR-Sportmedizin
Zitat aus ‚Die Goldmacher – Sport in der DDR‘, arte 2009:
Ernest Strauzenberg, einer der Gründerväter der DDR Sportmedizin, leitete bis 1972 das Zentralinstitut des Medizinischen Dienstes mit Schwerpunkt Regeneration. Er verweigert 1972 die Mitarbeit an der Dopingpraxis und verliert seinen Chefposten.
Strauzenberg: „Das Doping, das begann eigentlich schon ungefähr 1963/64. [Anabolika waren noch nicht verboten]. Und zwar erst einmal Mittel, die man schlucken konnte, das Turinabol und diese Mittel, die also die Muskelbildung unterstützen. Und auf dieser Basis beruhte dann die medikamentöse Beeinflussung der Leistungsfähigkeit.“ …
„Erst war es also wirklich ein Rehabilitationszentrum, hatte dann aber eine immer mehr sich vertiefende wissenschaftliche Aufgabe, eben die Leistungsverbesserung, die ja mit der Rehabilisitaion nun nicht indentisch ist.“
„Es wurde überhaupt nicht öffentlich darüber gesprochen. Aber unter uns Ärztekreisen hat man gesagt, was soll man denn machen. Man konnte nicht hingehen und konnte nicht sagen, ich bin dagegen. Dann wird gesagt, na und die anderen? Es wurde immer darauf hingewiesen, du kannst hier nicht gegen die Mauer rennen.“
Zitat aus Grit Hartmann ‚Goldkinder‘:
„An der SHB Halle jedoch regt sich ausgerechnet im vorolympischen Jahr [1975] Widerstand gegen den Mißbrauch der Muskelmenschen als besserer Sportgeräte: Zehn Ärzte weigern sich „die vorgegebenen Verpflichtungen über die Geheimhaltung der Anwendung unterstützender Mittel zu unterschreiben. Zwangsläufig wäre damit verbunden, diesen Personenkreis aus dem Leistungssport herauszulösen, was jedoch wiederum negative Auswirkungen haben kann, wenn diese dann sprechen“. Der Sportleitung bleibt diesmal nichts anderes übrig, als die dopingkritischen Mediziner ins staatliche Gesundheitswesen abzuschieben. Fortan jedoch werden für den SMD nur noch Ärzte rekrutiert, die keine solche Skrupel kennen. Die beste Gewähr dafür bietet offensichtlich das Parteibuch der SED – es steht an erster Stelle der neuen Anforderungen für den Job.“ (S. 219/220, enthaltenes Zitat stammt aus einem Treffbericht mit IMV ‚Technik‘, 1975)
Zitat aus Seppelt/Schück ‚Anklage Kinderdoping‘
Zur Beschaffung und Verteilung der ‚Unterstützenden Mittel‘ nach 1974:
„Doch um all die Pläne in die Tat umzusetzen, benötigten die ausführenden Personen für die Hundertschaften von Athleten reichlich „Unterstützende Mittel“. Der Sportmedizinische Dienst mußte den „Stoff“ also in großen Mengen beschaffen. Eine ganz normale Apotheke an der Straßenecke kam dafür nicht in Frage, der Bestellumfang wäre zu große gewesen, und Außenstehende hätten unnötig Verdacht schöpfen können. Die SMD-Leitung bestellte vorschriftsgemäß die Medikamente stets bei der Regierungapotheke, der Apotheke im Haus der Ministerien im Stadtbezirk Mitte. Von dort gelangten sie über den SMD-Apotheker schließlich in die Dienststelle im Prenzlauer Berg zu Strippenzieher Manfred Höppner. Und hier lagerten die Mitarbeiter die Präparate erst einmal ein. So lange, bis die Sportärzte aus der Republik Nachschub orderten. … Ein leitender SHB-Mediziner [Sportärztliche Hauptberatungsstelle] oder ein Verbandsarzt gab … seine Wunschliste fernmündlich durch. Die Lieferung erfolgte umgehend: In der Regel wurde ein Botendienst mit dem Transport der Pharmaka beauftragt. Von Höppners Berliner Büro gingen die Anabolika-Transporte dann in alle 15 DDR-Bezirke. … Nicht selten reisten die SHB- oder Verbandsärzte sogar persönlich nach Berlin, um die Pillenpackungen abzuholen.“ (S. 41)
Zitat aus Spitzer ‚Wunden und Verwundungen‘:
Giselher Spitzer veröffentlichte 2007 das >>> Buch ‚Wunden und Verwundungen‘, in dem 52 Intensivinterviews mit schwer doping-geschädigten DDR-Sportlern analysiert und dargelegt werden. Auf die Frage, „Wer hat Ihnen welche Substanzen, die Ihnen nicht als Medikamente gegeben wurden, die Sie aber einnehmen mussten?“ antworteten:
„- Trainer: 47 Gesprächspartner (90%)
– Clubarzt: 35 (67%)
– Verbandsarzt: 6 (12%; Mehrfachnennungen möglich)
Insgesamt ergab sich, dass die Vergabe durch die Trainer … absolut dominierte, obwohl diese Gruppe dem medizinischen Sektor nicht angehörte und zur Durchführung medizinischer Therapiepläne überhaupt nicht befugt war.
Ebenso bildet sich die Rolle des Club-Arztes … für die Vergabe viel stärker ab als früher angenommen. Die Beteiligung des Sektionsarztes und des Verbandsarztes wurde in der Dokumentation grundsätzlich bestätigt.“ (S. 45)
Zitate aus dem Text von Giselher Spitzer >>> ‚Vorbild oder Zerrbild?‘
„Geheimgehaltene Risikomethoden im Training wurden nur in Ausnahmefällen mit Aktiven besprochen – Ärzte und Psychologen brachen in der Regel das Patientengeheimnis und diskutierten den „Fall“ mit Trainern und Funktionären, nicht etwa mit dem Aktiven und dessen Eltern. Resultierende Schäden wurden nach Möglichkeit vertuscht, was durch die Unwissenheit der SportlerInnen die Wahrscheinlichkeit von Folgeschäden erhöhte. Stichproben zeigen, dass bei Invalidisierungen die „magische“ Grenze von 20% fast nie überstiegen wurde („Schwerbehinderung“). Die offiziell beurkundeten Schäden waren fast immer bedeutend niedriger als zunächst angegeben: Beispielsweise wurden bei einer Werferin nach der Untersuchung im amtlichen Protokoll 50% Schaden angegeben und mit Dienstsiegel beurkundet. Derselbe Arzt trug dann in das Formular für die Sportlerin nur noch 20% Schädigung ein.
…
das Doping [war] keine private Initiative. Es fand unter Aufsicht des staatlichen „Sportmedizinischen Dienstes der DDR“, mit Wissen z. B. Erich Honeckers oder des Sport-Staatssekretärs Prof. Günter Erbach statt, genauso aber im Medizinbereich von NVA und MfS sowie der Gesellschaft für Sport und Technik. Die Leitung hatte jedoch das vermutlich am stärksten nationalsozialistisch belastete DDR-Regierungs-Mitglied: Manfred Ewald. Er wurde 1952 der erste Sport-Staatsekretär und später DTSB-Präsident.
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Seit 1972 wurden nach diesen zentralen Plänen jährlich 2.000 Sportlerinnen und Sportler gedopt, in überwiegender Mehrzahl ohne ihr Wissen oder ihre rechtliche Mitwirkung. Die Gesamtzahl ist nach meiner Schätzung mit 10.000 Opfern solcher Angriffe auf die Gesundheit anzusetzen. Durch Forschungen wie Gerichte können mittlerweile körperliche Störungen durch Dopingmittel belegt werden. Bei rund 500 offiziell gedopten DDR-Aktiven sind Folgen wie Herzmuskel- oder Leberschäden, Krebserkrankungen und hohe Frühsterblichkeit zu erwarten. Nebenwirkungen auf die Keimbahn mit der Folge von Behinderungen der Kinder dürften über dem Bevölkerungsschnitt gelegen haben, unabhängig vom Ausmaß des Anabolika-Abusus: Die sind Schädigungen des Genotyps durch Dopingmittel.
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Etwa 25 % der Anabolika waren Experimentalsubstanzen, die letztlich erst durch Rentenanträge auf Nebenwirkungen geprüft werden – die Folgen waren bis zum Ende der DDR unbekannt, da diese Steroidsubstanzen nie entsprechend getestet oder zugelassen wurden. Nach offiziellen, aber selbstredend geheim gehaltenen DDR-Forschungen hat genau ein Drittel der Frauen und Mädchen schwerwiegende gynäkologische Schäden erlitten. Gespräche mit zahlreichen ehemaligen Athletinnen ergaben hingegen fast in jedem Fall solche Schäden. Wenn man das olympische Paradigma citius – altius – fortius auf dieses menschenverachtende Doping-System anwendet, kann pointierend gesagt werden: Es wurde (besonders bei Mädchen und Frauen) mehr, länger und früher gedopt als in jedem anderen Staat. Der Vorsprung an Wissen und den verwendeten Präparaten betrug etwa 15 Jahre.
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Wie schon angedeutet, hatten Sport-Ärzte wie -Psychologen die Pflicht, dem Athleten jedoch nur beruhigende Auskünfte zu erteilen. Diese intime Entmündigung wurde durch das Verbot der freien Arztwahl im Sport ergänzt. Fiel hingegen auf, dass jemand – typischerweise Mädchen mit Gesundheitsschäden – sich Medizinern des „normalen“ Gesundheitswesens anvertrauten, war der Ausschluss aus dem Sport die Folge, und die Ärzte mussten dem MfS „Schweigerklärungen“ unterschreiben. Damals wie heute ist wichtig, dass dadurch elementare Fürsorgeinteressen missachtet, ja pervertiert wurden. Athleten verließen unter Vorspiegelung falscher, harmloser Diagnosen den Sport. Sie wissen daher bis heute nichts über Schäden und Gefahren, die sich beispielsweise aus dem ohne Einwilligung und rechtliche Mitwirkung stattgefundenen konspirativen Zwangsdoping in den Förderstufen 2 und 3 ergeben. Gleiches gilt für die durch Menschenexperimente bzw. geheimzuhaltende Risikomethoden verursachten Schäden. Mündigkeit als Ziel heutiger Pädagogik war gerade im fremdbestimmenden DDR-Sport kontraproduktiv: Sie hätte die zahlreichen Manipulationen und die extremen Belastungen im Training unmöglich gemacht.“
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