Neumann, Georg
Georg Neumann, geb. 1938 in Gablonz/Böhmen, wuchs in Leipzig auf. Hier besuchte er die Kinder- und Jugendsportschule, studierte Medizin, arbeitete für einige Jahre als Assistenzarzt mit dem Abschluss Facharzt für Sportmedizin 1967. Ab 1964 hatte er eine Stelle am Institut für Sportmedizin an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig, von 1969 bis 1990 als Oberarzt und Hochschullehrer am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS). Jahrelang leitete er die Abt. Sportmedizin. Seit 1979 führte er den Professorentitel. Nach der Wende, 1992, wurde Neumann in die FKS-Nachfolgeinstitution Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), übernommen.
Die Deutsche Triathlon Union (DTU) beschäftigte ihn ab 1992 als Verbandsarzt, Antidopingkontrolleur und Berater.
Georg Neumann gehörte 1975 zum erweiterten Kreis der Forschungsgruppe „Zusätzliche Leistung“ am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS), die für die Entwicklung des DDR-Dopingprogrammes verantwortlich zeichnete. Er nahm als Arzt gemeinsam mit weiteren Ärzten des FKS bzw. des Sportmedizinischen Dienstes (SMD) wie Hans-Henning Lathan, Bernd Pansold und Schneider teil (G. Spitzer, Doping in der DDR, S. 80).
In den 1970er Jahren arbeitete Georg Neumann als Verbandsarzt für den DDR-Skiverband. In dieser Position scheint es um seine Person zu Konflikten gekommen zu sein. Dem FKS wurde von der Bezirksverwaltung Leipzig des Ministeriums für Staatssicherheit nahe gelegt, den Einsatz des Arztes zu überprüfen und Konsequenzen zu ergreifen. Es hatte bei den Langläuferinnen positive Befunde gegeben. Deren Wettkampf-Einsatz wurde jedoch nicht, wie eigentlich vorgeschrieben, unterbunden und so belegten die DDR-Langläuferinnen bei den Olympischen Spielen in Lake Placid 1980 über 5 km die Ränge 4,7,9 und 16 und im 10 km-Rennen Gold für Barbara Petzold und weiter Plätze im Vorderfeld. DDR-Frauentrainer war Heinz Nestler. Eine handschriftlich verfasste „Codeliste der auf „individuelle Abklingraten“ von Anabolika im Urin zu testenden „Medaillenkandidaten““ (1979) für die Olympischen Spiele 1980 ist bei Spitzer auf S. 327 zu finden. Zitat aus Spitzer:
„Vorkommnisse im Jahre 1979/80 beim Umgang und Einsatz von UM bei Skilangläuferinnen, die von Prof. N. ärztlich betreut wurden. N. hatte sich in Absprache mit dem damaligen Trainer # nicht an die mündlichen Anweisungen der Sportführung gehalten und untersagte UM-Maßnahmen trotzdem durchgeführt. (…) N. wurde danach als betreuender Arzt der Damen-Skilanglauf-Nationalmannschaft abgelöst. In einer persönlichen Stellungnahme begründete er sein damaliges Vorgehen und sah seine Fehler ein. Er würde am FKS aus der FG Skilanglauf herazsgenommen und als Leiter der Abt. Sportmedizin am FKS bleiben.“
G. Spitzer merkt hierzu noch an, dass mit den „untersagten UM-Maßnahmen“ seiner Auffassung nach Depot-Präparate wie Testosteronester oder Depot-Turinabol gemeint seien und dass die betroffenen Sportlerinnen davon in Kenntnis gesetzt werden müssten.
Prof. Neumann verblieb somit in leitender Stellung am FKS. Seit 1981 konnte er sein Wissen zudem im Rahmen des weiteren Dopingprogramms Komplex 08 als Arzt in der Gruppe „Anwendung anaboler Steroide“ einbringen. (Spitzer, S. 104-105)
1992 wurde Prof. Dr. Georg Neumann in das IAT übernommen und Leiter der Fachgruppe Sportmedizin. Eine Überprüfung auf seine Doping-Vergangenheit zum damaligen Zeitpunkt oder später fand entweder nicht statt oder sie verlief ohne Auffälligkeiten. Vielleicht kamen auch praktische Gründe zum Tragen:
Von dreiundzwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern [des ehemaligen FKS] müsse man sich trennen, sagt Manfred Löcken, der Geschäftsführer des Trägervereins, lediglich 101 könne man halten. Diejenigen, die gehen müßten, seien unter sozialen Gesichtspunkten ausgewählt worden, aber auch Effektivitätsdenken habe eine Rolle gespielt: „Die wirklich Guten kann man nicht auf die Straße setzen.“ Löcken ist im Hauptberuf Direktor des Bundesausschusses Leistungssport (BAL); der Vorsitzende des IAT-Trägervereins, Ulrich Feldhoff, ist Vorsitzender des BAL.“ (FAZ, 5.2.1993) *
1990 brachte sich Georg Neumann in die Gründung des bis dato nicht existierenden DDR-Triathlon-Verbandes ein. Nach der Wiedervereinigung konnte er als Verbandsarzt der Deutschen Triathlon-Union arbeiten, war viele Jahre Vorsitzender des Wissenschaftlichen DTU-Beirats und agierte zusammen mit seiner Frau Dr. Anni Neumann bis 2008 als Doping-Kontrolleur.
2010 wurden beide mit der silbernen Ehrennadel der Deutschen Triathlon Union ausgezeichnet (DTU, 9.11.2010).
Neumann befasste sich u.a. mit der Ernährung von Leistungssportlern, wobei seine besondere Vorliebe Nahrungsergänzungsmitteln galt und gilt. So soll er sich am IAT insbesondere Kreatin gewidmet haben (der Spiegel, 4.12.2000). Gegenwärtig wirbt er mit seinem Namen für Energie- und Protein-Produkte. Gemeinsam mit seinem langjährigen ehemaligen Kollegen Arndt Pfützner, vormals Leistungsdiagnostiker des DDR-Skiverbands am FKS und nach der Wende am IAT angestellt, heute Direktor des IAT, veröffentlichte Neumann mehrere Bücher über Ausdauertraining, insbesondere für den Traithlon.
* IAT Antidoping-Bestimmungen bis 2007
Über die Gründung des IAT und der damit zusammen hängenden Personalpolitik kam es 1993 zu heftigen Kontroversen, die auch politisch ausgetragen wurden. Näheres siehe hier:
doping-archiv.de: Wendezeit III, 1993: Probleme mit dem IAT
S.a. folgendes Zitat aus einem Text des ZDF aus dem Jahr 2007:
„Die bis zum Jahr 2006 verwendete Anti-Doping-Klausel war wesentlich pauschaler [als die ab 2007 geltende]. Sie enthielt in Bezug auf die Arbeitsverträge von Mitarbeitern keine Regelungen.
Nach der früheren Anti-Doping-Klausel wurden „die zusätzlichen Bewilligungsbedingungen zur Bekämpfung des Dopings Bestandteile des Bewilligungsbescheides“. Dabei handelte es sich um die Rahmen-Richtlinien zur Bekämpfung des Dopings der Anti-Doping-Kommission (ADK) (21). Diese richteten sich an die Mitgliedsorganisationen des DSB und deren Sportlerinnen und Sportler. Sie sind damit für das IAT lediglich entsprechend anzuwenden.
Welche Bestimmungen im Einzelnen auch vom IAT zu beachten waren, kann nur durch Auslegung ermittelt werden.
Das BVA hat die Anforderungen an das IAT im Jahr 1994 durch ein Schreiben an das IAT näher konkretisiert. Danach wird zur Bedingung gemacht, dass die endgültigen Anstellungen von Mitarbeitern beim IAT nur unter der Voraussetzung erfolgen können, dass sie nicht in Dopingpraktiken verstrickt waren. In die Arbeitsverträge war eine Regelung aufzunehmen, wonach die DSB-Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings Bestandteil des Dienstvertrages werden und ein Verstoß gegen das Dopingverbot zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt.
Die Klausel wurde vom IAT bislang nur zum Teil umgesetzt. Die Arbeitsverträge für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enthalten als Anlage eine Erklärung, in der der Arbeitnehmer mit seiner Unterschrift versichert, dass er zu keiner Zeit aktiv an der Dopingforschung oder an der Anwendung von regelwidrig leistungsstimulierenden Substanzen beteiligt war und zu (21) [die] Gemeinsame Anti-Doping-Kommission von DSB und NOK hat ihre Kompetenzen mit Errichtung der NADA im Jahr 2004 an diese abgegeben.“
Monika, Mai 2013