DDR-Dopingopfer
Circa 10.000 oder mehr, die Zahlen schwanken, Sportler/innen wurden zwischen 1970 und 1989 in der DDR mit Anabolika gedopt. Bis Ende 2021 erhielten 1.449 Sportlerinnen und Sportler nach dem Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz eine Entschädigung.
Mehr Informationen siehe unter >>> das Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz vom 24.8.2002 – Gesetzesentwürfe und Diskussion
Im Folgenden werden Dopinggeschädigte kurz vorgestellt, die sich nicht scheuten mit Ihren Erfahrungen und den Folgen an die Öffentlichkeit zu gehen bzw. deren Schicksal bekannt wurde. Die Liste der Betroffenen ist allerdings wesentlich länger.
Ausführlichere Portraits von den Sportler/innen Birgit Boese, Heidi Krieger, Ute Krieger-Krause, Brigitte Michel, Cornelia Reichhelm, Jörg Sievers und Uwe Trömer sind auf doping-archiv.de >>> hier zu finden.
Vorstellung weiterer DDR-Doping-Opfer
> Katharina Bullin – Volleyball
> Yvonne Gebhard – Leichtathletik
> Martina Gottschalt – Schwimmen
> Gerd Jacobs – Leichtathletik
> Marie-Katrin Kanitz – Eiskunstlauf
> Marina Kaschub – Leichtathletik
> Bernd Richter – Leichtathletik
> Birgit Uibel – Leichtahletik
Gerd Bonk – Gewichtheben
Gerd Bonk, SC Karl-Marx-Stadt, gehörte in den 1970er und 80er Jahren national und international zu den erfolgreichsten Gewichthebern.
Gerd Bonk ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer. Der Gewinner der Bronzemedaille von 1972 und der Silbermedaille 1976 bei den Olympischen Spielen steigerte 1976 den Weltrekord im Stoßen auf 252,5 Kilo. Während seiner aktiven Zeit war er mehrere Jahre als Inoffizieller Mitarbeiter unter dem Decknamen IM „Händel“ tätig.
Er starb am 20. Oktober 2014 im Alter von 63 Jahren nach vielen Jahren schwerer Krankheit (FAZ, 21.10.2014).
Das folgende Zitat stammt aus einem Artikel von Prof. Werner Franke in der Berliner Zeitung vom 7.4.1994, ‚Ein zuckerkranker Sportler wurde zum körperlichen Wrack gespritzt‘. In dem Artikel ist von weiteren geschädigten Sportlern die Rede.
„In ganz besonderer Weise aber haben sich die Sportmediziner ausgerechnet am stärksten Mann der DDR, dem Chemnitzer Superschwergewichtler Gerd Bonk, versündigt: Der Europameister hatte 1972 die olympische Bronzemedaile und 1976 die Silbermedaille gewonnen. Obwohl bereits damals bekannt war, daß er an Zuckerkrankheit (Diabetes) litt, wurde er klarer Verstoß gegen ärztliche Ethik — mit noch größeren Dosierungen für ihn schädlicher Hormonpräparate für Moskau 1980 „fit“ gemacht. Das Unternehmen endete in einer doppelten Katastrophe:
Bonk, der jährlich bis zu 11,5 Gramm Oral-Turinabol und ganze Serien von Testosteron und HCGSpritzen bekommen hatte, wurde vom olympischen Start in Moskau plötzlich zurückgezogen. Und IM Technik meldete der Stasi, daß Bonk falsch gespritzt worden war und ein Sicherheitsrisiko darstellte: „Bei den Untersuchungen wurde festgestellt, daß Bonk mit Depotanabolika gespritzt war, und es besteht der Verdacht, daß dies durch den Kreissportarzt in Karl-Marx-Stadt erfolgte, der für die Betreuung des Bonk verantwortlich zeichnet. Der Verdacht wird des weiteren dadurch bestätigt, daß die gezeigten Leistungen des Bonk in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung Aufsehen erregten und nicht in Übereinstimmung mit seinen gezeigten üblichen Leistungen standen.“
Bonks Diabetes verschlechterte sich infolge dieser Wahnsinnsbehandlungen so, daß er heute ein äußerst kranker Fruhinvalide ist.“
Verbandsarzt der DDR-Gewichtheber war >>> Hans-Henning Lathan.
Boris Herrmann besuchte Gerd Bonk im Jahr 2013 und beschrieb dessen gegenwärtige Situation in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 15.6.2013 wie folgt:
„Der stärkste Mann der Welt ist schwach geworden. Zu seinen besten Zeiten als Gewichtheber stemmte er fünf Zentner in die Luft. Heute kann er nicht einmal mehr sein eigenes Körpergewicht tragen.
Gerd Bonk, 61, brachte drei Zentner auf die Waage, als er 1976 den Weltrekord im Stoßen auf 252,5 Kilo schraubte. Von stattlicher Natur ist er immer noch. Es wirkt inzwischen bloß so, als sei dieses Monument von einem Mann in sich zusammengefallen. Bonk sitzt in einem tiefen Wohnzimmersessel in seinem Häuschen im sächsischen Vogtland. Er sitzt da praktisch jeden Tag, seit 24 Jahren. Und wenn er mal nicht da sitzt, dann liegt er meistens im Krankenhaus. Wenn Bonk aufstehen will, muss ihn seine Frau stützen. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung schaffen sie es dann, die paar Zentimeter zum Rollstuhl zu überbrücken. Bonk sagt: ‚Der DDR-Sport hat meinen Körper ruiniert.‘ Das hat er sogar schriftlich. Bonk ist eines von 194 staatlich anerkannten Doping-Opfern der ehemaligen DDR.
‚Da kam der Arzt mit dem Tablett rein und sagte, wenn du das nicht nimmst, bis du morgen raus‘, erzählt Bonk. Er hat dann fast alles genommen, was sie ihm aufzwängten. Er sagt, er habe keine Wahl gehabt. Und auch nicht gewusst, worum es sich bei diesen sogenannten ‚unterstützenden Mitteln‘ gehandelt habe. Man sagte ihm: ‚Da wächst ein bisschen der Bart, mehr passiert nicht.‘ … Bis zu 11,5 Gramm Oral-Turinabol wurden Bonk im Rahmen des berüchtigten Staatsplans 14.25 jährlich verabreicht. Auch in Sachen Testosteron waren seine Ärzte nicht zimperlich. … Weil Bonks Muskeln schneller wuchsen als seine Muskelbänder, wurden ihm ganze Serien von Cortisonspritzen in den Rücken gerammt. Was die Ärzte damals schon wussten: Bonk ist Diabetiker. Was Bonk damals noch nicht wusste: Von Cortison steigt der Blutzuckerspiegel.
Ein paar Wochen vor dem Mauerfall wurde der gelernte Autoschlosser Gerd Bonk zum Invalidenrentner erklärt. Da war er 37. Seine Invalidenrente beträgt heute 1100 Euro. …
Seine Nieren sind kaputt. Die Suche nach einer Spenderniere hat er inzwischen aufgegeben. Zunächst müsste vermutlich das Herz operiert werden, damit er eine Nierentransplantation übersteht. Sein Gewebe verheilt sehr schlecht, wegen der Zuckerkrankheit. Sein linker Fuß ist eine offene Wunde, an der rechten Hand sind nur noch zwei Finger. Die Augen waren auch hinüber, Bonk musste sich neue Linsen einsetzen lassen. Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben ihm allerdings gezeigt: Wenn er sich irgendwo operieren lässt, braucht er danach drei andere Operationen, um die Operationsschäden wieder zu beheben. Nach dem letzten Eingriff lag er neun Wochen lang im Bett, ‚ich war kein Mensch mehr‘, sagt Bonk. Bevor er weiter nach einer Niere sucht, geht er deshalb lieber dreimal die Woche zur Dialyse. …
Man kann einen geradezu vergnüglichen Nachmittag mit ihm in seinem Wohnzimmer verbringen. Da plaudert er dann über Rhythm and Blues, Anabolika sowie das Hochwasser im Vogtland. Und zwischendurch sagt Bonk: ‚Ich hatte mal einen Weltrekord im Gewichtheben. Vielleicht mache ich jetzt noch einen Dialyse-Weltrekord.‘
Bonk hat auch eine Idee, weshalb >>> die Sache der Doping-Opfer [-Rente] politisch wegmoderiert wird: ‚Weil viele Beteiligte noch immer einen schönen Posten haben.‘ In Verbänden, in Vereinen, in Lobbygruppen. Als Verbandsarzt der DDR-Gewichtheber war Dr. Hans-Henning Lathan für Gerd Bonk zuständig. Er betreibt bis heute eine Praxis für Allgemeinmedizin in Leipzig.
Lathan will sich auf SZ-Anfrage nicht zum Thema Doping in der DDR äußern. Nur so viel: ‚Es wird nicht viel anders gewesen sein als in der Bundesrepublik. Es war bloß anders organisiert.‘ Und was Bonk betrifft: ‚Das war mein Patient und da geht es um Schweigepflicht. Ich habe mit der Sache abgeschlossen.‘ …“
Am 29. September 2014 fiel Gerd Bonk in ein Koma aus dem er bis zu seinem Tod am 20. Oktober nicht mehr erwachte.
Katharina Bullin, Volleyball
Der Text und die Zitate beruhen auf einer Sendung des Deutschlandfunks vom 4.11.2007, die als Manuskript abrufbar war:
Deutschlandradio Kultur – Nachspiel 4.11.07: Eine Frau wie ein Mann – Das ruinierte Leben der DDR-Sportlerin Katharina Bullin, Von Alexa Hennings
Katharina Bullin, geb. 1959, spielte von 1972 bis 1980 Volleyball für den SC Dynamo Berlin. mehrfach vertrat sie die DDR in der Nationalmannschaft, mit der sie 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau die Silbermedaille errang.
Mit 11 Jahren begann sie Leistungssport und bereits mit 15 Jahren gehörte sie der Damenvolleyball-Mannschaft an, während ihre Kolleginnen bereits über 20 Jahre alt waren. Dies hatte für das junge Mädchen u.a. die Konsequenz, dass sie für ihr Alter ein viel zu hohes Trainingspension auferlegt bekam. Junioren hatten nicht mehr als 21 Stunden pro Woche zu trainieren, erwachsene Frauen aber 50 Stunden. Für Katharina bedeutete diese eine extreme Überbelastung des Körpers. Zudem wurde sie ohne Rücksicht auf ihr Alter mit Doping, mit unterstützenden Mitteln (UM) traktiert, mit dabei Anabolika.
Ihr Körper streikte. Sie war während ihrer aktiven Zeit immer stark verletzungsanfällig, gesplitterte Knochen, Kapsel-, Bänder- und Sehnenrisse gehörten zu ihrem Alltag. Mit 21 Jahren war deshalb Schluss mit dem Leistungssport. Die Sportlerin musste aufgeben, wurde ausdelegiert und ohne weitere Hilfestellungen entlassen.
Die körperlichen Gebrechen mit ständigen Schmerzen bestimmen ihr Leben bis heute. Drei Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Krankenhäusern, 13 Operationen hat sie hinter sich, nun will sie keine Eingriffe mehr, lebt lieber mit den Schmerzen. Den nötigen Muskelaufbau, den sie in einem Fitnessstudio erhalten könnte, kann sie sich finanziell nicht leisten.
Hinzu kommt, dass die Anabolika, die ihr im Jugendalter verabreicht wurden, ihren Körper vermännlichten (virilisierten) und sich damit schwere Probleme im zwischenmenschlichen Bereich ergaben, sie aber auch in ihrer eigenen Suche nach Idendität oft verzweifelte.
Katharina Bullin weiß nicht, wann sie zum ersten mal Anabolika erhalten hat. Niemand hat sie aufgeklärt. Schmerzmittel und Vitamine sollen es gewesen sein, die ihr die Ärztin einzeln auf die Hand gab oder die später gespritzt wurden.
„Da haben die mich häufig als Tolpatsch hingestellt, dass ich so ungeschickt bin. Heute weiß ich, das Doping nimmt dem Körper ja wirklich seine letztes, da wo man über den Willen nicht mehr hinkommt. Unter Doping erfährt man eine unheimliche Spannung, man hat ne unheimliche Muskulatur, aber wenn die dann wegknallt, da hast du keinen Schutz mehr, der Körper verliert den Selbstschutz. Heute weiß ich, die haben mich so hoch belastet mit 15, 16 Jahren, das konnte ich nur über Doping aushalten. Der Auswahltrainer in Kienbaum, das weiß ich noch ganz genau, der hat es uns sogar auf die Zunge gelegt weil er Angst hatte. Eine Zeit lang, war es mir zu viel an Tabletten und was wir da sonst noch gekriegt haben. Das haben wir ausgespuckt und da hat uns eine Spielerin verpetzt. Und da mussten wir zu ihm rein und da hat er es auf die Zunge gelegt und dann mussten wir vor ihm schlucken und Wasser nach trinken. Man war es auch gewohnt, man hat immer von außen Regeln gekriegt.“
Der Abschied aus dem leistungssport kam abrupt. Nach den OS in Moskau war eine Operation nicht mehr zu vermeiden, d. h. Katharina musste gehen. Ohne Abschiedsworte, Abtrainieren, medizinische Unterstützung und sonstige Hilfe für das weitere Leben.
Der Trainer gab ihr lediglich auf den Weg: „Katharina, du lässt die Mannschaft in Stich.“
„Oh, das saß bis heute drin. Das hat mir ein Schuldgefühl gemacht. Ich habe ein Leben lang gedacht, ich lasse die anderen im Stich, denke wirklich, ich bin nichts wert. Viele viele Monate habe ich gebraucht um den Satz, so wie ich ihn jetzt sage, auszusprechen. Ich konnte ihn nur unter Tränen sagen: Katharina, du lässt die Mannschaft in Stich.“
„Anfang der 80er Jahre war ja schon bekannt, dass Doping natürlich auch Nebenwirkungen hat. Und da war keine Maßnahme dafür da, die haben uns einfach nur fallen lassen. Und das mache ich vielen zum Vorwurf, dass sie dann wo sie wussten, da treten Negativfolgen ein und wir werden körperliche Beschwerden haben und wir werden auch körperliche Einschränkungen haben, also Sportler, die sie gedopt haben. Da die Hand geöffnet haben und haben uns einfach lebensuntauglich ins Leben fallen lassen.“
Erst nach der Entlassung aus dem Sport wurde ihr langsam bewusst, dass etwas mit ihrem Körper geschehen war, dass sie möglicherweise keine richtige Frau mehr war.
„Ich habe es selber ja garnicht gemerkt. Also während des Sports weiß ich dass sie oftmals zu mir gesagt haben, Clodeckel, weil die Hände sind enorm gewachsen. Im Spiegel hat mich sehr gestört, ich hab so ne große Nase gekriegt. Das wurde richtig fleischig, richtig doll, der Knochen alles. Naja, wurde dann bagatellisiert.“
Gesundheitsgefahren, die von den Anabolika ausgingen, insbesondere auch für Jugendliche, waren bei den Verantwortlichen ihres Clubs bekannt. Dr. Bernd Pansold, Sportarzt des SC Dynamo Berlin, der unter dem Decknamen „Jürgen Wendt“ für die Staatssicherheit arbeitete, hatte am 21.6.1977 1977 fest gehalten: „Neben der Gefahr der Lächerlichkeit, z. B. die tiefen Stimmen, das struppige Haar und die unreine Haut bleibt für Sportler die grundsätzliche Möglichkeit einer längerfristigen Wirkung Leberkarzinom bestehen.“
Katharina Bullin:
Und dann war es auch so, die Stimmlage hat sich verändert. Aber das sind so Dinge, die waren so fließend. Während des Sports merkt man es sowieso nicht, weil man immer unter Sportlern ist. Und erst als ich dann im normalen Leben war, wurde ich dann angegriffen. Ja was haben die denn alle. Ich war erst erbost darüber, oder Schwuler oder. Ich habe auch Kleider getragen und mich geschminkt und so. Das habe ich alles hinter mir. Weil ich immer eine zeitlang dachte, ich muss mich anpassen. Da hatte ich Kleider, hab mich geschminkt, hatte auch Ohrringe und hab eine halbe Stunde an mir rumgebastelt aber dann wurde ich erst recht beleidigt. Travestit, Schwuler, komm mal Süßer oder so. Und ich war so orientierungslos. Ich hatte keine Identifikation, ich war keine Frau und ich war auch kein Mann. Und das hat unheimlich weh getan.“
„Das sind so Sachen, wo ich merke: Nicht aufzugeben, ist sehr, sehr schwer. Und ich verstehe auch jeden Sportler, der sagt: Du, Katharina, ich kann nicht mehr. Ich habe keinen Arzt, der mir da irgendwo Hilfestellung gibt. Weil: Oftmals müssen wir uns immer rechtfertigen. Also, ich komm’ zum Arzt zum Beispiel, und dann sagt der zu mir: Ihre Frau muß aber selber kommen! Weil, in meiner Akte steht ja Katharina Bullin. Und da denk’ ich: Jetzt geht das wieder los. Zu 95 % werde ich ja als Mann gesehen. Es gibt Tage, da verkrafte ich’s, und es gibt Tage, da kann ich auch nicht mehr. Es ist sehr, sehr schwer, wenn man immer aus ’ner Damentoilette rausgeschmissen wird.“
Katharina Bullin klagte 2007 für ihre Anerkennung als Dopingopfer, für eine Dopingopfer-Rente. 2014 hatte sie teilweise Erfolg. Das Sozialgericht Berlin sprach ihr Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu. Das Urteil ist rechtskräftig (Sozialgericht Berlin, Urteil – 04.09.2014 – S 139 VG 310/08).
>>> Bernd Pansold hatte später die Leitung des Red-Bull-Leistungsdiagnostik- und Trainingszentrums in Thalgau bei Salzburg inne.
Yvonne Gebhard – Leichtathletik
Yvonne Gebhard kam 1977 mit 14 Jahren auf die Kinder- und Jugendsportschule, SG Dynamo Halle-Mitte, als Speerwerferin. Mit 16 wurde sie in die Nachwuchs-Nationalmannschaft berufen. Sie war Juniorenmeisterin der DDR und 1981 Vierte der Junioren-EM. Mit 20 Jahren musste sie den Sport aufgeben. Trainiert wurde sie von Maria Ritschel.
Yvonne Gebhard ist anerkanntes DDR-Dopingopfer.
„…an einem Abend nach den Übungsstunden, bat Frau Ritschel die siebzehnjährige Yvonne in ihr Zimmer. „Unterstützende Mittel sind Mittel, die unterstützen“, sagte sie bedeutungsvoll. „Sie unterstützen Deinen Körper und sind nur im Komplex wirksam: besserer Stoffwechsel, schnellerer Erholung nach dem Training, mehr Kraft.“Auf dem Tisch lagen verschiedene Tabletten. … Die Trainerin nahm sich Zeit, gab minutiös an, wann dies und wann das genommen wurde, fragte, ob Yvonne die Abfolge der Mittel verstanden hat. … [Ihr Körper] versteinte förmlich, wurde fest, von innen her. Die Muskeln explodierten kalt, unter den Schulterblättern bildeten sich Knoten. … „Über wie viele Zeichen und Signale du hinweg siehst, wenn du in einem System steckst, das konspirativ arbeitet, daß strenge ‚Verschlusssache‘ ist. …
Wir ahnten das damals nicht, wir vertrauten. … Das wären nicht Schmerzen, sagten die Ärzte, sondern nur ein Kopf-Problem. … Zwei Jahre laborierte sie mit ihrem verkrampften Körper herum: Spritzen, Behandlungen, Infusionen. Dann kam das Aus. „Mit zwanzig erhielt ich den Laufpass.“ …
[1997] ergab der Befund: Es war Krebs. … „Frau Gebhard“. sagte er [der bandelnde Arzt, „es besteht der zwingende Verdacht, daß ihre Brustkrebserkrankung in direktem Zusammenhang mit Doping-Mitteln steht, die sie als Sportlerin verabreicht bekommen haben. … „. Ich habe … in den Jahren nach dem Leistungssport einen steroidabhängigen Tumor entwickelt. …
Nur drei ehemalige Hallenser Sportler hatten zu den Doping-Praktiken in ihrem Sportclub vor der ZERV ausgesagt. Sie würde die Vierte sein. „Ich machte meine Aussage und stellte Strafanzeige gegen Maria Ritschel, die heute Bundestrainerin ist, auch gegen meine betreuenden Ärzte. Gegen meine Trainerin wurde mittlerweile ein Ermittlungsverfahren geführt und wegen geringer Schuld eingestellt.“ (zitiert aus Ines Geipel, Verlorene Spiele, S. 95-106)
„Die blauen Tabletten bekam sie etwa zwei Jahre lang, bis eine Verletzung ihre Sportkarriere stoppte. Die Maria sei eine gute Trainerin gewesen, sagt Yvonne Gebhard, ein Rädchen im System, aber dass sie die blauen Tabletten mit dem lapidaren Hinweis vergab, sie sollten in harten Trainingsphasen der schnelleren Erholung dienen, das nimmt sie ihr übel. … „Sie hätte uns sagen sollen, das hat die und die Nebenwirkung.“ Maria Ritschel war doch die Trainerin. „Ich habe ihr total vertraut.“
… Yvonne Gebhard hat eine Entschädigung bekommen, nach langem Kampf, aber das hat ihr wenig bedeutet. „Geld ist Papier“, sagt sie, „Gesundheit ist das Leben.“ Sie weiß gar nicht genau, was sie von Maria Ritschel erwartet hätte nach der Diagnose. Mehr jedenfalls als diese stummen Grüße, wenn sie sich zufällig trafen. Yvonne Gebhard ist müde. Nur das eine möchte sie noch sagen über Maria Ritschel: „Für mich hat sie menschlich total versagt.“ Als sie von der Erklärung hörte, die Maria Ritschel unterschrieben hat, staunte Yvonne Gebhard: „Ich habe gedacht, jetzt gibt sie’s endlich zu.“ (Süddeutsche Zeitung, 6.6.2009)
Maria Ritschel gehörte zu den Trainern, die nach der Wende weiter beschäftigt wurden und im Zuge der >>> Diskussion um Werner Goldmann 2008/2009 durch den DOSB veranlasst wurden, eine Erklärung zu unterschreiben, mit deren Hilfe sie ihre Stellen behalten konnten (Trainer-Erklärung 2009).
Yvonne Gebhard gehörte 2008 im Vorfeld der Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu den Unterzeichner/innen eines offenen Briefes an Innenminister Wolfgang Schäuble. Darin wandten sich Dopingopfer gegen stärker werdende Tendenzen innerhalb des deutschen Hochleistungssports das DDR-Doping endlich ruhen zu lassen:
>>> Offener Brief einiger Dopingopfer an Innenminister Wolfgang Schäuble, 12.8.2009
Martina Gottschalt – Schwimmen
Martina Gottschalt (geb. Fehrecke) wurde bereits im Alter von 10 Jahren zur Leistungsschwimmerin ausgebildet. Mit 13 Jahren errang sie die Titel Juniorenmeisterin über 100- und 200-Meter Rücken.
Im Jahr 2000 gehört sie zu den Nebenklägerinnen im Prozess gegen Manfred Ewald und Manfred Höppner.
Zu Beginn der fünften Klasse, 1976, kommt Martina in das Internat der Sportclubs Magdeburg. Der Drill beginnt morgens um 5:30 Uhr mit Schwimmen. und endet erst abends. Für das Kind war dies eine Tortur, sie wollte aufhören, doch sie musste, auch durch das Einverständnis der Eltern bleiben. Tabletten, beschrieben als Vitamine, Mineralien und Eiweiß begleiteten sie von Anfang an, gegeben wurden dies von Trainerin Gudrun Feustel.
„Mit Beginn der siebten Klasse, da war ich dreizehn, wurde die Medikamenteneinnahme plötzlich strenger kontrolliert, auch lagen mehr und andere Tabletten in unseren Schachteln. Ich erinnere mich, daß wir bei der Einnahme zu tricksen versuchten. Doch einer der Trainer stand jedesmal dabei.“
Das Mädchen veränderte sich. Sie nahm an Gewicht zu, ihre Stimme wurde tiefer und sie litt unter Menstruationsstörungen. Die Eltern wurden misstrauisch, hinterfragten die Medikamente und verlangten Erklärungen, doch die Antwort lautete lediglich, es seien Vitamine. Nachgeholfen wurde mittlerweile auch mit Spritzen und Infusionen.
Martina hatte mittlerweile jegliche Freude am Schwimmsport verloren, da halfen auch die beiden Juniorenmeistertitel über 100- und 200-Meter-Rücken nicht.
1981 zog sich die junge Schwimmerin einen Bänderriss zu. Sie konnte diese Verletzung nutzen und bestand darauf mit dem Sport aufzuhören.
„Dann wurde ich weggeschmissen wie ein Stück Müll. Ich durfte nicht mal abtrainieren. Es hieß, für dich heben wir keine Bahn frei.“ Wenig später reagierte ihr Körper mit einem Gallenverschluss.
Martina Gottschalt schloss nach der zehnten Klasse eine Lehre als Maschinenfahrzeugschlosserin ab. 1985 gebar sie ihren ersten Sohn. Er litt an einem sehr schweren Klumpfuß, direkt nach der Geburt mussten beide Beine eingegipst werden. Dreimal musste der Junge bis zu seinem 6. Lebensjahr operiert werden, doch konnte ihm nur wenig geholfen werden. Bei drei weiteren Kindern gab es Komplikationen bei der Geburt. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass diese Probleme mit den erhaltenen Anabolika zusammenhängen. Im Körper der Frau wurde eine extrem hohe Anzahl an Androgenen festgestellt. Viele andere Sportlerinnen bekamen ebenfalls Kinder mit Klumpfüßen, es könnte am Fruchtwassermangel liegen.
Martina Gottschalt hatte auch nach den Geburten mit hormonellen Problemen zu kämpfen und sie leidet an Depressionen.
Zu den für sie verantwortlichen Ärzten gehörte Dr. Lothar Kipke, der ehemalige Chefarzt des DDR-Schwimmverbandes, der im Januar 2000 zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis auf Bewährung, und einer Buße von 7 500 Mark wegen Körperverletzung in 58 Fällen verurteilt wurde. Martina Gottschalt trat auch in diesem Prozess als Nebenklägerin auf, ebenso wie Jutta Gottschalk (insgesamt waren es 7 ehemalige Sportlerinnen). Auch sie war Schwimmerin und hat eine behindertes Kind – ihr Mädchen ist auf einem Auge blind. (>>> Lothar Kipke).
Quellen: Ines Geipel Verlorene Spiele, der Spiegel, 28.2.2000, Berliner Zeitung, 13.1.2000
Gerd Jacobs – Leichtathletik
Gerd Jacobs, Kugelstoßer beim TSC Berlin, war in den 1980 Jahren Trainingspartner von Ulf Timmermann, der als erster Mensch die Kugel über 23 Meter stieß.
Gerd Jacobs ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer.
Im Juli 2008 beschuldigte Gerd Jacobs seinen ehemaligen Trainer Werner Goldmann ihn zu DDR-Zeiten gedopt zu haben. Goldmann war zu diesem Zeitpunkt Trainer von Robert Hartmann und für die Olympischen Spiele in Peking akkreditiert. Damit löste er eine intensive und hitzigen Debatte über den Umgang mit der DDR-Dopingvergangenheit im gesamtdeutschen Sport aus. Ausführlicher ist dies hier unter der Fall Goldmann beschrieben.
Gerd Jacobs gab 2009 zu für kurze Zeit für die Stasi gearbeitet zu haben.
Gerd Jacobs hatte einen angeboren Herzfehler (eine Mutation im Gen für das Zellverbindungseiweiß Desmoglein 2), der unerkannt geblieben war. Damit Leistungssport zu treiben, war schon gefährlich. Zusammen aber mit den hohen Dosen anaboler Steroide (Oral-Turinabol), die ihm verabreicht worden waren, war das spätere Versagen des Herzens nur eine Frage der Zeit.
Die folgenden Zitate, stammen aus dem Artikel der Frankfurter Rundschau vom 10.8.2009 Gerd Jacobs, Der Mann mit den drei Leben.
„Im Brustkorb des Kugelstoßers Gerd Jacobs schlägt ein gebrauchtes Herz. Er hat sich halbwegs eingelebt damit. Es erfüllt seine Aufgabe so gut es geht. Es begleitet ihn seit geraumer Zeit durch sein drittes Leben. Im ersten war Gerd Jacobs ein Opfer. Im zweiten ein Täter. … Er hält fast immer noch sein Wettkampfgewicht von damals. Es sind jetzt 130 Kilo. Aber würde man ihm heute eine Kugel in die Hand drücken, er würde sie vermutlich nicht mal zehn Meter weit stoßen können. Gerd Jacobs ist ein Wrack. Er hat lange überlegt, ob er erzählen soll, wie es dazu gekommen ist. Er ist misstrauisch geworden mit den Jahren. Er denkt, dass Menschen wie er im Grunde nur noch stören. …
Der kleine Gerd ist für sein Alter [9 Jahre] schon recht groß. Er ist kräftig. Er ist schnell. Ein geborener Leichtathlet, denken die Talentspäher des Regimes, die einmal im Jahr in seiner Schule vorbeischauen. 1971, mit elf Jahren, wechselt er auf die Sportschule TSC Berlin in Prenzlauer Berg. Man legt ihm „Wurfstoß“ nahe – Diskus und Kugel. … Dann stoppt ihn eine Tafel Schokolade. Er klaut sie in einem SB-Markt und wird erwischt. „Da war´n se knallhart“, sagt Jacobs. Er fliegt raus, muss wieder auf seine alte Schule in Friedrichshain, trainiert nur noch spärlich, begibt sich ohne große Hoffnung zur Spartakiade 1974. Dort fliegt sein Diskus auf 50,04 Meter, Platz eins. Gerd Jacobs hat sich mit einer Scheibe zurück in die Speerspitze katapultiert. Man nimmt ihn, ungewöhnlich genug, wieder in der Sportschule auf. Man traut ihm was zu. Er kommt in den Kaderkreis III, zwei Stufen unter der Weltspitze. Sein Trainer wird Peter Börner. Ihn wird man viele Jahre später zu zwei Jahren Haft verurteilen. … Im Winter 1976 stattet Börner der Familie Jacobs einen Besuch ab. Man habe sich entschieden, erklärt er in kleiner Runde, dem 16-jährigen Gerd eine Reihe von „Vergünstigungen“ zu gewähren, darunter auch „unterstützende Mittel“. Unterstützende Mittel? Keiner fragt nach. „Das musste man halt so hinnehmen“, sagt Jacobs. … Tolles Zeug, denkt Jacobs, der sich vom Training immer schneller erholt und „physisch belastbarer“ wird. Er ahnt, dass ihm womöglich doch mehr als Ascorbinsäure verabreicht wird. Er will es gar nicht so genau wissen. Er gehört zur Speerspitze. …
„Gerd, da gibt es auch Risiken.“ Es ist ein Abend im Winter 1982, als ihn die Mutter seiner Freundin beiseite nimmt und vorsichtig nachhakt. Sie ist Krankenschwester, sie kennt sich aus. Ob er wisse, was er da tue? Der Organismus mache das auf Dauer nicht mit. Die Leber, die Lunge, das Herz, er müsse aufpassen, er sei doch noch so jung. … Er weiß inzwischen, dass es sich um Oral-Turinabol handelt, Testosteron in Fünf-Miligramm-Dosen, sein neuer Trainer Werner Goldmann macht sich gar nicht mehr die Mühe, die Pillen in andere Röhrchen zu verpacken. … Tausende Pillen hat Jacobs mittlerweile geschluckt. …
Der Sportstudent Jacobs beginnt nachzuforschen. Heimlich, … Die Pillen sammelt er ab sofort zuhause in einer Schublade. „Im Prinzip hab´ ich das Zeug ab 1983 nicht mehr genommen“, …
Er passt sich an, er verdient ganz gut – bis ihm ab Mitte der 90er Jahre allmählich der Brustkorb eng wird. Atemnot, Beklemmungen, Schlafstörungen. Er muss immer häufiger Pausen machen. Irgendetwas stimmt nicht. 1998 lässt sich Gerd Jacobs durchchecken. Die Diagnose: dilatative Kardiomyopathie. Anders gesagt: „Das Herz ist kaputt.“ …
[Er bekommt] ein neues Herz. Auf die Beine aber kommt Gerd Jacobs nicht mehr. Er muss noch mal operiert werden und noch mal. Das Herz will anfangs nicht so, wie er gerne möchte, die Lunge macht Probleme, dann auch die Nieren. Er steht jetzt kurz vor der Dialyse. Mit 44 Jahren ist Gerd Jacobs schwerbehindert und Frührentner, er bekommt 1200 Euro Rente, 504 davon gehen monatlich für die private Krankenversicherung drauf. Keine gesetzliche will ihn mehr nehmen. Er hat geklagt auf eine Opfer-Entschädigungsrente. Er wurde abgelehnt. … „
Gerd Jacobs gehörte 2008 im Vorfeld der Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu den Unterzeichner/innen eines offenen Briefes an Innenminister Wolfgang Schäuble. Darin wandten sich Dopingopfer gegen stärker werdende Tendenzen innerhalb des deutschen Hochleistungssports das DDR-Doping endlich ruhen zu lassen:
>>> Offener Brief einiger Dopingopfer an Innenminister Wolfgang Schäuble, 12.8.2009
Gerd Jacobs verstarb am 4. Dezember 2015 (DOH, 5.12.2015).
Der doping-opfer-hilfe-Verein und Werner Franke stellten daraufhin Strafanzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch die ehemaligen DDR-Trainer Werner Goldmann, Peter Paul Börner und Helga Börner (sid, 11.12.2015).
>>> doping-archiv.de: Zusammenfassung der langjährigen Diskussion um eine Doping-Opfer-Rente
Marie-Katrin Kanitz – Eiskunstlauf
Marie-Katrin Kanitz, Eiskunstläuferin vom Sportclub Dynamo Berlin, war 1986 und 1987 DDR-Meisterin, gewann die Bronzemedaille 1986 zu den Europameisterschaften in Sarajevo und erreichte 1987 mit Partner Tobias Schröter 1987 die Bronze-Medaille bei den Europameisterschaften.
Katrin Kanitz ist anerkanntes DDR-Dopingopfer.
Die folgenden Zitate stammen aus einem Artikel, der am 11.2.2011 auf freiepresse.de erschienen ist: Schatten auf dem Eis und auf der Seele.
„“Meine Mutter glaubt heute noch, ich war als Kind glücklich. Nein, ich war nicht immer glücklich.“
„Erst Mitte der 1990er-Jahre habe sie erfahren, dass sie Doping-Opfer war. Das wegen der Konzentration von Wintersportzentren im Süden der DDR mit der Aufarbeitung dortiger Doping-Historie beauftragte Landeskriminalamt Thüringen informierte die Berliner Eisläuferin über die Aktenlage. Die belegte, dass man ihr „unterstützende Mittel“, konkret das DDR-übliche Präparat Oral-Turinabol, verabreicht hatte. Zwar habe sie keine der oft zitierten „blauen Pillen“ schlucken müssen, doch seien da an der Bande immer jene Vitamintabletten mit einem angeblich das Schlucken fördernden Getränk gewesen. An halbstündige Sessions am Tropf zur Verabreichung angeblicher Traubenzuckerlösung kann Kanitz sich erinnern. Und an „grüne Dragees“, die man ihr in der Saison 1986/87 zu schlucken gab. Dass es sich um Psychopharmaka handelte, könne sie nicht beschwören. „Aber ich habe mich fantastisch gefühlt in der Zeit“, erzählt sie auf Rückfrage von Herbert Fischer-Solms.“
“ „Es ist nichts Schlimmes. Esst die Präparate“, trotz solcher Beschwichtigungen ihrer Trainerin Heidi Steiner-Walther habe sie manche Dinge aus „innerer Rebellion“ in den Papierkorb gespuckt, sagt Kanitz. Besonders jene weißen Tabletten, von denen die Trainerin ihr einmal zwei gegeben habe, wonach sie auf dem Eis psychische und physische Aussetzer bekam. „Das war wohl ein bisschen viel. Da müssen wir die Hälfte nehmen“, habe sie bekannt. „Kriminell, was meine Trainerin an mir ausprobierte“, urteilt Kanitz. Seit 2001 leidet sie an einer chronischen Krankheit, ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer. Über ihre Erkrankung mag sie öffentlich nicht sprechen. „Ich bin seit vier Jahren stabil, aber es gibt Frauen, die können keine Kinder mehr kriegen. Andere sitzen im Rollstuhl“, sagt sie.“
„Auch die blonde Dame aus Reihe eins springt auf. Bis heute habe sie geglaubt, im Eiskunstlauf habe es kein Doping gegeben, weil es keinen Sinne mache. Nur dass man ihrer Tochter Wachstumshemmer verabreichte, habe sie immer geargwöhnt – ihrer Tochter, der Paarläuferin Mandy Wötzel. „Aber Pillen an der Bande, den Tropf, das hat es bei uns genauso gegeben“, sagt Martina Wötzel erregt. Jetzt würden ihr auch die Umstände jenes „dicken“ Rüffels klar, den sie sich einst von Verbandsarzt Ralph Nicolai (später als „IM Neptun“ enttarnt) eingehandelt habe. Als Mandy sich nachts in Bauchkrämpfen wand, habe sie den Not-, nicht den Verbandsarzt gerufen, was den Zorn des letzteren provozierte. Angesichts des anklagenden Blicks der Mutter hebt Ex-Funktionär Seiffert andere Töne an. Von alledem habe er damals auch nichts gewusst, versichert er, womit er seinerseits provoziert – zu Gelächter im Saal.“
Marie-Katrin Kanitz gehörte 2008 im Vorfeld der Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu den Unterzeichner/innen eines offenen Briefes an Innenminister Wolfgang Schäuble. Darin wandten sich Dopingopfer gegen stärker werdende Tendenzen innerhalb des deutschen Hochleistungssports das DDR-Doping endlich ruhen zu lassen:
>>> Offener Brief einiger Dopingopfer an Innenminister Wolfgang Schäuble, 12.8.2009
Torsten Karl – Schwimmen
Torsten Karl war in den 1980er Jahren Leistungsschwimmer beim SC Turbine Erfurt. Dreimal errang er über 200 Meter Schmetterling die DDR-Meisterschaft. Er gehörte wie Birte Weigang und Cornelia Sirch der Trainingsgruppe von Wolfgang Fricke an.
Torsten Karl starb im April 2003 im Alter von 40 Jahren an einem Hirntumor.
Zitat aus einer Meldung auf Sportgericht.de vom 28.4.2003 ‚Ex-Schwimmer Torsten Karl verstorben‘:
„Der Athlet hatte beim SC Turbine Erfurt der Trainingsgruppe von Wolfgang Fricke angehört, in der auch die beiden Olympiasiegerinnen Birte Weigang und Cornelia Sirch trainierten, und war nachweislich gedopt worden. Das beweist die Vernehmung der ehemaligen Vereinsärztin Dr. Ute Gerullis: „…Ich habe den Trainern gesagt, dass Oral-Turinabol Nebenwirkungen verursacht…, Karl hatte nach der Einnahme feste Muskeln…, reagierte besonders empfindlich mit Muskelverspannungen“, gab die Ärztin 1999 zu Protokoll. … Schon seit mehreren Jahren bereitete ihm seine Krankheit große Probleme, insbesondere das Sprechen fiel ihm schwer. Der frühere Sektionsarzt bei Turbine Erfurt, Horst Tausch, wollte sich zu möglichen Ursachen von Karls Erkrankung nicht äußern. Tausch war später Mediziner der DDR-Schwimm-Nationalmannschaft und im Zuge der Dopingprozesse zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden…. „
„Torsten Karl wurden zu seinen Erfurter Zeiten von dem heute noch in der Thüringer Landeshauptstadt praktizierenden Doping-Arzt Horst Tausch „betreut“. Tausch ist wegen Dopings verurteilt worden. In seinen Einlassungen hat er gestanden, 22 Sportler gedopt zu haben. U.a. gehörte neben Torsten Karl auch die heute noch immer dopingleugnende ZDF – Moderatorin Kristin Otto dazu.“ (dopingopfer der DDR).
Weitere Informationen zu Horst Tausch siehe >>> hier.
Marina Kaschub – Leichtathletik
Im November 2014 berichtete Marina Kaschub über ihre Erfahrungen. Die Mittelstreckenläuferin kam mit 13 Jahren auf die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Berlin. Sie gehört dem SC Dynamo Berlin an. Hier erhält sie ein oder zwei Jahre später zum ersten Mal ohne ihr Wissen die blauen Pillen, das Anabolikum Oral-Turinabol, das in der DDR am häufigsten eingesetzte Dopingmittel. Sie bekommt die Mittel bis zum Ende ihrer Sportkarriere mit 22 Jahren.
Heute ist Marina Kaschub gesundheitlich schwer geschädigt und hat sich entschlossen einen „Antrag auf Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht“ zu stellen.
>>> die Welt: „Sie nahmen uns die Kindheit“
Dagmar Kersten – Turnen
Dagmar Kersten, Turnerin beim SC Dynamo Berlin, gehörte in den 1980er Jahren zu den herausragenden DDR-Turnerinnen. 1985, 1987 und 1988 wurde sie DDR-Mehrkampfmeisterin, 1985 und 1988 holte sie den Titel im Pferdsprung, 1988 zusätzlich am Stufenbarren. Sie gewann die Silbermedaille am Stufenbarren bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul. Heute ist sie ehrenamtlich als Taekwondo-Trainerinin tätig und bildet für den Niedersächsischen Turnerbund Trainerinnen aus. In Veranstaltungen vor Nachwuchssportlern und Studenten berichtet sie offen über Ihre Vergangenheit.
Dagmar Kersten ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer.
Die folgenden Zitate stammen aus einem Veranstaltungsbericht mit Interview der Osnabrücker Zeitung vom 8.12.2010 OZ: DDR-Doping-Opfer: „Ich hätte lieber eine Kindheit gehabt“ (siehe auch OZ: Turnerin Dagmar Kersten besucht Gymnasium Marianum in Meppen, 11.1.2011, OZ: Doping und Schikanen im Sport der DDR, 17.2.2011)
Was war der Impuls für die Aufarbeitung der Vergangenheit?
Lange wollte ich davon nichts wissen, ich war einfach nur froh, dass ich es hinter mir hatte. Langsam entwickelte ich Selbstvertrauen und habe mir mühsam ein neues Körpergefühl aufgebaut. Ausschlaggebend war dann, dass ich mich mit der Vergangenheit befassen musste, als ich den Antrag auf Anerkennung als DDR-Doping-Opfer stellte. Da habe ich meine Krankenbücher gesichtet, meine Stasi-Akte durchforstet, die Röntgenbilder gesehen.
… „Die [beim Vortrag anwesenden Studenten] blättern vorsichtig in den Spitzel-Dokumenten der Staatssicherheit oder schütteln den Kopf, wenn sie in der Krankenakte auf Sätze wie diesen stoßen: „Formalärztlich wäre eine Weiterführung des Trainings nicht möglich.“ Wäre – denn trainieren mussten Dagmar Kersten und ihre Kolleginnen beim SC Dynamo Berlin trotzdem. Sechs Stunden am Tag, 36 Stunden in der Woche. Sie war 14 Jahre alt, ihr Sollgewicht lag bei 41 Kilogramm. Wenn sie ein paar Gramm zu viel hatte, nahm sie Wassertabletten oder Abführmittel.
Wie lief das Doping?
Man hat uns gesagt: Nimm das mal, das sind Vitaminpillen. Anabolika, Psychopharmaka – da war alles dabei. Ich hatte nicht zu denken, sondern zu turnen. Ich wurde zur Täterin an mir selbst. … Das Doping diente dazu, dass wir diese extremen Trainingsbelastungen überhaupt durchhalten konnten. Aber das Doping war gar nicht das Schlimmste … Wir mussten mit Schmerzen trainieren, zur Not wurde gespritzt. Da gab es keine aufmunternden Worte, sondern man wurde angeschrien: „Stell dich nicht so an!“ Und noch schlimmer als Tritte waren die Beleidigungen, das war entwürdigend. „Guck mal an, wie fett du bist“, „Bekommst deinen Arsch wohl nicht hoch“ – das war der Jargon meines Trainers in der Trainingshalle. …
Haben Sie bei der Aufarbeitung Ihrer Vergangenheit einen Ihrer Trainer getroffen?
Ja, das war bei Aufnahmen für einen Dokumentarfilm. Wir sind in die Halle von damals gegangen, und dann stand er da – unglaublich! „Schlägst du immer noch deine Turnerinnen?“, habe ich ihn gefragt. Er hat abgewiegelt und sich rausgeredet. Dann hat er mit seinem Anwalt telefoniert und hat verhindert, dass diese Aufnahmen verwertet werden können, so sagte es mir das Drehteam. …
«Die körperlichen und seelischen Dinge, die Doping anrichtet, sind keine Medaille wert, das müssen junge Sportler erfahren, denke ich», sagte die heute 40-Jährige, die mit ihrer Familie in Oldenburg lebt. (mz-web.de, 17.2.2011)
In einem Beitrag des Deutschlandfunks „Ich bin daran zerbrochen“ am 13. 3. 2011 werden einige Aussagen präzisiert. So berichtet Dagmar Kersten über den Inhalt ihrer Sportlerakte, in der festgehalten wird, wie die Fünfzehnjährige anlässlich ihrer schweren Wirbelsäulenverletzung zur Wiederherstellung ihrer Wettkampffähigkeit behandelt wurde. Neben einer Gibsschale erhielt sie einen Medikamentenmix, bekannt als ‚Kaiserschema‘, zu dem auch das Steroid Oral-Turinabol gehörte. Verordnet wurde diese Behandlung von Mediziner >>> Dr. Bernd Pansold. An den Turnerinnen des Olympiakaders 1988 wurde zudem das Steroid STS646 und weitere neue Präparate getestet. Deren Ziel war die Verbesserung der Konzentration, der Reaktion und der Stressbelastbarkeit.
„“Wir haben zum einen Dopingmittel durch die Trainer erhalten, eben in dieser Tablettenform. Mein Trainer sagte mir damals, das sind Mittel, die auch Säuglinge für den Knochenaufbau bekommen. Zum anderen wurden wir natürlich von Ärzten gespritzt oder haben Kaugummis und so weiter bekommen, ich kann aber nicht genau sagen, wo die Dopingmittel dann verpackt waren, das ist mir nicht aufgefallen.“
Dagmar Kersten erinnert sich, dass Trainer Wolfgang Riedel ihr Tabletten gegeben hat, aber auch, dass er sie während ihrer Verletzungsphase positiv unterstützte. Riedel wurde nach der Wende vom Deutschen Turner-Bund übernommen und war bis 2002 Junioren-Bundestrainer. Er lehnt jeden Kommentar zu dem Thema ab. Anders Jürgen Heritz, der Dagmar Kersten vor Riedel betreut hatte:
„Von mir hat niemand Anabolika oder Tabletten bekommen und ich habe auch keine Rückmeldung von Sportlern, obwohl ich’s ihnen gesagt habe.“ …
Gegen Jürgen Heritz liegt nichts vor. Er allerdings wurde nicht vom Deutschen Turner-Bund übernommen.“
Dagmar Kersten fühlte sich von Heritz allerdings überfordert und sprach in Zusammenhang mit dessen Trainingsmethoden von seelischer Grausamkeit.
Dagmar Kersten gehörte 2008 im Vorfeld der Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu den Unterzeichner/innen eines offenen Briefes an Innenminister Wolfgang Schäuble. Darin wandten sich Dopingopfer gegen stärker werdende Tendenzen innerhalb des deutschen Hochleistungssports das DDR-Doping endlich ruhen zu lassen:
>>> Offener Brief einiger Dopingopfer an Innenminister Wolfgang Schäuble, 12.8.2009
Karen König – Schwimmen
Karen König schwamm 1984 mit der Staffel Weltrekordund wurde 1985 zweimal Europameisterin.
Karen König ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer. 2001 reichte sie eine Klage ein auf Schadensersatz durch das NOK ein. Nach einer erstinstanzlichen Ablehnung, wurde die Klage 2002 zugelassen, Karen König erhielt eine Prozesskostenhilfe (Handelsblatt, 4.3.2003). Ende 2006 klagte sie gegen das Pharmaunternehmen Firma Jenapharm.
Die folgenden Zitate stammen aus einem Spiegel-Artikel vom 24.10.2005, Blaue Schatten. (Siehe auch die Zeit, 5.2.2004)
„Sie wurde ausgezeichnet mit dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold und belohnt mit einer Schiffsreise nach Kuba. Aus Sicht der Partei erfüllte sie ihr Soll damals.
Heute allerdings ist Karen König eine kranke Frau. Die Literaturwissenschaftlerin leidet an immer wiederkehrenden Depressionen und einer tiefen, männlichen Stimme. Wenn sie sich am Telefon meldet, wird sie häufig mit „Hallo, Herr König“ angesprochen. Sie sagt, die Beschwerden habe sie nur, weil ihre Trainer sie als Minderjährige ohne ihr Wissen mit Oral-Turinabol voll gestopft hätten. Ein Hormonpräparat, das die Muskeln wachsen lässt. Hergestellt in den Chemielabors von Jenapharm, Codenummer M1, in Auftrag gegeben von ganz oben: „Staatsplan 14.25“ lautete das Projekt. Und die Steroid-Pillen hießen in den geheimen Papieren der DDR euphemistisch „unterstützende Mittel“. Es ist dieser Zynismus, der Karen König wütend macht. Als erstes Opfer des DDR-Zwangsdopings hat sie Klage erhoben gegen das Nationale Olympische Komitee. Vom NOK fordert sie 10 225 Euro Schmerzensgeld wegen Körperverletzung.
Karen König war zehn Jahre alt, als sie zu den drei besten Schwimmerinnen des Trainingszentrums in Berlin-Friedrichshain zählte. Sie wurde zum TSC Berlin delegiert, in die fünfte Klasse der Kinder- und Jugendsportschule Ernst Grube auf dem Prenzlauer Berg. Zu dem Zeitpunkt für das Mädchen die Erfüllung eines Traums. In der Kaderschmiede begann der Tag morgens um sechs und endete abends um acht. Dazwischen musste König Mathematik pauken, zwei- oder dreimal durchs Wasser pflügen und ihren Körper beim „Landtraining“ im Kraftraum stählen. „Die Kindheit und der Spaß waren schnell vorbei.“ …
Schon in der sechsten Klasse begann die Medikamentenausgabe. Ihr Schwimmtrainer versorgte sie nach den Übungseinheiten mit Dynvital, einer Art Brausepulver und angeblich ein Vitamin-Mineral-Gemisch. Der Trainer saß am Beckenrand an einem weißen Tisch, und auf dem Tisch stand ein Becher mit ihrem Namen drauf. König musste das Gebräu unter Aufsicht herunterwürgen. Dann stand da noch eine kleine braune Glasflasche. Darin befanden sich orangefarbene und weiße Tabletten. Zusammen fünf oder sechs Stück. Die musste sie auch noch schlucken.
Wann genau ihr das erste Mal Oral-Turinabol verordnet wurde, weiß Karen König nicht mehr. Sie sagt, sie müsse 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein. Sie erhielt die hellblauen Pillen, Durchmesser fünf Millimeter, meist in dreiwöchigen Zyklen vor internationalen Wettkämpfen. …
Die Größe der Ration schwankte. Mal erhielt sie eine Fünf-Milligramm-Tablette pro Tag, oft zwei. Vor einem Jugendwettkampf im Januar 1985 betrug die Dosis 10 bis 15 Milligramm. In den entsprechenden Notizen des leitenden Verbandsarztes Lothar Kipke taucht auch der Name Kristin Otto auf (siehe Ausriss). Die heutige ZDF-Reporterin, die 1988 in Seoul sechs olympische Goldmedaillen gewann, schwamm mit König in der Staffel. Bis Ende 1986, präziser lässt sich das nicht sagen, wurde König mit der Droge gefüttert, ohne zu ahnen, was sie sich in den Mund steckte. …
Ihr Erweckungserlebnis hatte sie 1990, drei Jahre nach dem Ende ihrer Laufbahn. Sie traf sich mit ein paar Mitgliedern der alten Schwimmgruppe im Nikolaiviertel zum Kaffee bei Klaus Klemenz, ihrem ehemaligen Trainer. Es war eine fröhliche Runde. Irgendwann sprachen sie zufällig über Doping und alberten, König könne doch wieder anfangen zu trainieren. Klemenz sagte: „Dann kommst du zu mir, und wir zeigen es allen noch einmal.“ Er habe auch noch „ein paar von den Blauen im Schrank“. …
„Wie wäre mein Leben ohne Doping verlaufen?“
Eine Antwort suchte sie im Mai 2000 beim Strafverfahren gegen die Drahtzieher des systematischen DDR-Kinderdopings: Manfred Ewald, von 1961 bis 1988 Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes, und Manfred Höppner, von 1975 bis 1990 Leiter der „Arbeitsgruppe Unterstützende Mittel“. Karen König saß als Nebenklägerin im Saal. … „
Anmerkung: Das NOK Deutschland hatte sich in der Entschädigungsfrage immer als nicht verantwortlich definiert. (s.a. Kontraste, 2.8.2001) Nach Gründung des DOSB, in den des NOK einging, kam es dann 2006 zu Ännaherungen zwischen DDR-Opfern, vetreten durch den Doping-Opfer-Hilfe-Verein (DOH), dem DOSB und Jenapharm. Karen Königs Klagewegbeschreitung brachte diese Einigung voran. (Berliner Zeitung, 14.12.2006, SZ, 13.12.2006, Journalisten-Akademie, 18.8.2009)
Ute Noack – Skilanglauf
Ute Noack, Skilangläuferin beim SC Traktor Oberwiesenthal, gewann 1985 die Bronzemedaille mit der 4×5 km Staffel während der Nordischen Skiweltmeisterschaft in Seefeld. 1984 nahm sie an den Olympischen Spielen in Sarajewo teil und belegte den 8. Platz im 5 km Langaluf.
Die folgenden Zitate sind einem Artikel auf freiepresse.de vom 5.2.2010 entnommen, freiepresse: ‚Wunden, die die Zeit bis heute nicht heilte‘. In diesem Bericht über eine Veranstaltung zum Thema kommen noch weitere Betroffene zu Wort.
„Als die einstige Ski-Langläuferin vom SC Traktor Oberwiesenthal nach ihrer Karriere im DDR-Nationalkader einen Sohn gebar, war der schwer behindert. Muskelatrophie lautete die Diagnose, ein genetisch bedingter Schwund der Muskeln. Seither grübelt die Mutter, ob die Krankheit ihres Kindes mit jenen „unterstützenden Mitteln“ zusammenhängt, die einst im Training ihre eigenen Muskeln aufbauen und sie so zu Höchstleistungen treiben sollten. … Zuerst bekam sie die gleichen „blauen Pillen“ wie andere DDR-Spitzensportler. Weil ihr Körper „immer verrückt spielte“, sie sich weigerte, die Substanz weiterzunehmen, die sich später als Oral-Turinabol entpuppte, wurde umdisponiert: Fortan verabreichte man ihr das Anabolikum im Vitamintrunk ohne ihr Wissen.“ …
Was sie von den Verantwortlichen erwarte, hatte das Filmteam die Frau mit dem behinderten Sohn gefragt. „Ich würde von ihnen erwarten, dass sie sich einfach dazu bekennen“, sagte die Mutter.“ …
Für Ute Noack war Verbandsarzt >>> Dr. Hans-Joachim Kämpfe.
Bernd Richter – Leichtathletik
Bernd Richter, ehemals Hammerwerfer beim ASK Potsdam, kam bereits mit 11 Jahren auf eine Kinder- und Jugendpsortschule. Nachdem er versucht hatte in den Westen zu fliehen, wurde er von er Stasi inhaftiert und verbarchte ein halbes Jahr in Einzelhaft. Nache einer Amnestie, nahm er seine sportliche Laufbahn wieder auf, wurde aber erneut von der Stasi behindert.
Bernd Richter ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer.
Die folgenden Zitate stammen aus dem Artikel der Märkischen Allgemeinen, erschienen a, 8.9.2009, Versehrt an Körper und Seele, (siehe auch PNN, 8.9.2009).
„„So wie ich hier sitze, bin ich ein Produkt der DDR“, sagt Bernd Richter gleich zu Beginn. Er meint damit nicht nur, wie das Land, in dem er aufwuchs, seinen Charakter prägte, sondern auch und in erster Linie seinen Körper. Einen Körper, der fast alle Knorpelmasse abgebaut hat, der unter einer schweren Gerinnungsstörung des Blutes leidet, mit Embolien und Thrombosen kämpft und zeitweise nur durch Morphium vom Druck der Schmerzen entlastet werden kann.
Er hat sich wirklich nichts dabei gedacht, sagt Richter, … als er, der begabte Sportler, … in der Sportschule „Vitamintabletten“, „Eiweißpillen“ und „Spezialessen“ angedient bekam.
Es war Anfang der 70er Jahre, Richter war erst in der 9. Klasse und gerade in die Jugend-Nationalmannschaft gekommen – der Begriff Doping war noch nicht etabliert. Dass dem 15-Jährigen Brüste wuchsen, wurde mit dem „vermehrten Schwitzen“ beim Sport erklärt, wie auch andere hormonelle Probleme, die er lieber nicht vor den 18- und 19-jährigen Zuhörern, überwiegend Frauen, erzählt. „Was wir da bekommen haben, war noch nicht mal für Tierversuche zugelassen“, weiß Richter heute. …
Als er kurz darauf nicht nach Kuba zu einem Wettkampf reisen durfte, beschloss der 17-Jährige, über Ungarn und Jugoslawien in den Westen zu fliehen. Von einem Freund verraten, wurde er in Jugoslawien gefasst, was ihm tage- und nächtelange Verhöre in Budapest, in Berlin-Hohenschönhausen und der Potsdamer Lindenstraße einbrachte. Im dortigen Stasi-Untersuchungsgefängnis musste er ein halbes Jahr Einzelhaft erdulden, eine Qual, an der Richter auch hätte sterben können: Seinem Körper, der zehn Stunden Training am Tag gewohnt war, drohte bei so plötzlichem Trainingsabbruch Herzversagen. … [Doch] Ob in der Armee oder bei der GST (Gesellschaft für Sport und Technik), ob beim Versuch, sich selbstständig zu machen oder bei der Arbeit in der Potsdamer Bauverwaltung: Stets legten Stasi oder SED dem Unbequemen Steine in den Weg. …“
Bernd Richter gehörte 2008 im Vorfeld der Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu den Unterzeichner/innen eines offenen Briefes an Innenminister Wolfgang Schäuble. Darin wandten sich Dopingopfer gegen stärker werdende Tendenzen innerhalb des deutschen Hochleistungssports das DDR-Doping endlich ruhen zu lassen:
>>> Offener Brief einiger Dopingopfer an Innenminister Wolfgang Schäuble, 12.8.2009
Birgit Uibel – Leichtathletik
Birgit Uibel-Sonntag starb am 10. Januar 2010 im Alter von 48 Jahren. In den 1980er Jahren war die Sportlerin vom SC Cottbus zehn Mal bei Länderkämpfen für die DDR-Auswahl gestartet. 1984 wurde sie DDR-Meisterin über 400 Meter Hürden. Bei der EM 1982 belegte sie Platz sechs. Von 1981 bis 1993 war Birgit Uibel-Sonntag mit Radsport-Bundestrainer Detlef Uibel verheiratet.
Birgit Uibel sagte bereits 1997 und später 2000 im Doping-Prozess in Berlin gegen den DDR-Sportführer Manfred Ewald und Arzt Manfred Höppner aus, dass ihr bereits im Alter von 16 Jahren Anabolika durch Ärzte und Trainer verabreicht worden waren.
Birgit Uibel war anerkanntes DDR-Doping-Opfer.
Ines Geipel stellte im Februar 2013 das Schicksal Birgit Uibels vor der Enquete-Kommission des Landes Brandenburg vor.
Die folgenden Zitate stammen aus dem Text ‚Rätselhafter Tod mit 48‘ von Thomas Purschke, dradio, 17.1.2010.
Im Jahr 1997 hatte die Ex-Athletin mit ihren präzisen Aussagen, die sie auch öffentlich vertrat, bei der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des Staats-Dopings in der DDR geliefert. Ihre Schäden an Leber- und Schilddrüse waren erheblich, dazu die schwere Rücken-Akne, die taubeneigroßen Geschwülste im Oberschenkel und dann die schwere Körper-Behinderung ihrer heute 25 Jahre alten Tochter.
All dies führte sie auf die Einnahme von hohen Dosierungen an vermännlichenden Sexualhormonen zurück, die von ihrem Club-Arzt Bodo Krocker sowie ihrem Trainer Siegfried Elle angeordnet und vergeben worden waren. In erster Linie wurde sie mit Oral-Turinabol gedopt. Gegen beide, Krocker und Elle, sowie gegen die Haupt-Verantwortlichen im Deutschen Turn- und Sport-Bund der DDR, Manfred Ewald und Manfred Höppner, stellte Uibel Strafantrag.
Dem Deutschlandfunk liegt das Protokoll der ZERV aus der Anhörung der Zeugin Uibel aus dem Jahr 1997 vor. Darin heißt es unter anderem:
… Alle 14 Tage musste ich Blut und Urin abgeben. Dieses erfolgte in der Sportmedizin Cottbus mit eigenem Labor. Der Arzt Krocker war dort auch Chef. Diese regelmäßigen Kontrollen wurden bei mir ab 1979 – ich war 16 Jahre alt – durchgeführt. Dieses war auch der Zeitpunkt, wo ich erstmals unterstützende Mittel erhalten habe. … Dr. Krocker versuchte mir zu erklären, warum ich diese unterstützenden Mittel nehmen müsse. Ich würde durch diese Einnahme der Mittel bessere Leistungen erzielen und dadurch an großen Wettkämpfen teilnehmen können. … Als 16-jähriges Mädchen vertraute ich ihm bedingungslos. Ich stellte keine Fragen, weil ich ja auch innerlich bereit war, sportliche Erfolge für mich und mein Land zu erzielen. Der Arzt Krocker übergab mir dann an diesem Tag einen Briefumschlag mit kleinen blauen Pillen. Ein Medikamentenname war nicht zu erkennen. Diese Pillen sollte ich morgens einnehmen und abends dann die Anti-Baby-Pille. Mit der Anti-Baby-Pille sollte auch eine vorzeitige Schwangerschaft verhindert werden. Gleichzeitig forderte mich der Arzt Krocker zur strengsten Verschwiegenheit darüber auf. …“
Birte Weigang – Schwimmen
Birte Weigang, Schimmerin beim SC Turbine Erfurt, gehörte in den 1980er Jahren zu den erfolgeichsten DDR-Schwimmerinnnen. 1985 wurde sie über 100m Rücken Europameisterin, ebenso in der 4×100 Meter algen-Staffel. 1986 errang sie die WM-Bronzemedaille über 200 Meter Schmetterling, 1987 den Europameistertitel mit der 4×100 Meter Lagenstaffel und wurde Zweite über 100 und 200 Meter Schmetterling.
Birte Weigand ist anerkanntes DDR-Doping-Opfer.
Die folgenden Zitate stammen aus dem Artikel der Berliner Zeitung vom 1.4.2003 Schatten in der Biografie.
„Wegen Rückenbeschwerden ließ Birte Weigang eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule machen. … später stellte sich heraus, dass zwei ihrer Wirbel brachen, weil sie zu viel und zu stark trainiert hatte. Aber das Training allein führte nicht zu einer solch gravierenden Verletzung. Erst die mit anabolen Steroiden gefütterte Muskulatur, die viel zu kräftig für das Skelett der Schwimmerin des SC Turbine Erfurt geworden war, sprengte zwei Knochenfortsätze ab, eine Diagnose, die nach dem verletzungsbedingten Ende ihrer Karriere freilich nie gestellt wurde. Weigang wurde 1989 offiziell mit einem Bandscheibenreizsyndrom vom Becken der Erfurter Schwimmhalle Süd ins Leben entlassen. Eine Odyssee durch Krankenhäuser begann. …
Wissentlich hat Weigang nie Dopingmittel zu sich genommen, sagt sie. Ahnungen waren es, die sie im Alter von 16 Jahren überfielen und zur Vermutung führten, dass im Sportsystem der DDR im großen Stil manipuliert wurde. Unter den Folgen der Vergabe von Oral-Turanibol an minderjährige Leistungssportler leidet Birte Weigang bis heute. Wenn sie ihr rechtes Bein länger als eine halbe Stunde belastet, schläft es ein und kann nicht mehr willkürlich gesteuert werden. … Ihr Herz ist übernatürlich groß. Sportmediziner versäumten es, sie dazu anzuhalten, richtig abzutrainieren; der rechte Herzmuskel ist deshalb geschädigt. Auch in ihrem Gesicht und beim Anblick der Statur finden sich typische Zeichen der Einnahme männlicher Hormone. Weigang ist darüber hinaus zu einer lebenslangen Diät verdammt, weil der einstmals hochgezüchtete Körper jede Kalorie verwertet.
Nach der Sprachregelung, die sich durchgesetzt hat, ist Weigang ein Dopingopfer. Aber diesen Begriff lehnt sie ab. Sie sei eine Betroffene, sagt sie. „Der Begriff Dopingopfer impliziert, ich sei so etwas wie ein Mutant. Ich will aber kein Mutant sein, kein Opfer, ich will einfach nur normal sein.“ Ihr sei das nie möglich gewesen. „Früher fiel alles dem Training zum Opfer, heute kann ich wegen der Nachwirkungen aus dieser Zeit nicht normal sein.“
Weigang hat … den Antrag auf Entschädigung nach dem Dopingopfergesetz gestellt. … „Es gibt große Ängste“, sagt Weigang, „und eine ganze Reihe bohrender Fragen: Musst du deine Medaillen abgeben, wenn du den Antrag gestellt hast? Schwärze ich damit jemanden an? Habe ich selber Schuld auf mich geladen? Verliere ich als Frau meine Weiblichkeit, wenn ich zugebe, Testosteron-haltige Medikamente in großen Mengen zu mir genommen zu haben?“
Das sei nur ein Bruchteil der Fragen, die durch den Kopf schießen. Überdies musste jeder Antragsteller dem Vorwurf begegnen, sich nur finanziell bereichern zu wollen. Irgendwann war ihr die Meinung der anderen egal, sie wollte einfach nur „Rückgrat zeigen“ – in ihrem Fall macht das doppelt Sinn. „Ich will mit meinem Antrag darauf hinweisen, dass es Doping an Minderjährigen gegeben hat, ich bin kein Mensch, der diesen Fakt versteckt“, sagt die heute 35-Jährige. … „
Zitat aus einer Meldung auf Sportgericht.de, vom 28.4.2003, ‚Ex-Schwimmer Torsten Karl verstorben‘:
„Nach Angaben des „Deutschlandfunks“ ist der ehemalige DDR-Schwimmer Torsten Karl im Alter von 40 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors gestorben.
Der Athlet hatte beim SC Turbine Erfurt der Trainingsgruppe von Wolfgang Fricke angehört, in der auch die beiden Olympiasiegerinnen Birte Weigang und Cornelia Sirch trainierten, und war nachweislich gedopt worden. …“