Dr. Hans-Henning Lathan
Dr. med. Hans-Henning Lathan arbeitete bereits in den frühen 70er Jahren am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig wo er im Fachbereich IV der Forschungsgruppe gewichtheben angehörte. Der Verbandsarzt der Gewichtheber war von Beginn an Mitglieder Forschungsgruppe „Zusätzliche Leistungsreserven“ (ZuLei), die am 16. Januar 1975 die Arbeit aufnahm. Lathan gehörte der Arbeitsgruppe 2 an, die sich mit dem Einsatz von Anabolika befasste.
1988 Mitglied der Medizinischen Kommission des internationalen Gewichtheber-Verbands.
Dr. Lathan war bis zur Wende maßgeblich an der Vergabe und Versuchen mit Dopingmitteln befasst, wie vorliegende Forschungsberichte und andere Dokumente belegen.
Nach der Wende praktiziert Dr. Lathan als niedergelassener Arzt.
Forschungen und Experimente
Dr. Hans-Henning Lathan dürfte zu den erfahrensten Forschern und Anwendern unterstützender Mittel (u.M.) in der DDR gehört haben. Sein Name steht für viele Jahre in Zusammmenhang mit einschlägigen Studien und Experimenten. In den Büchern von Brigitte Berendonk (Doping, 1992) und Giselher Spitzer (Doping in der DDR, 1998) finden sich entsprechende Dokumente.
In einem Rückblick auf die Forschung und Ergebnisse des Anabolika-Einsatzes im Gewichtheben den Lathan 1985 vorlegte, bewertet er die praktische Anwendung seit 1970 (intramuskuläre Injektionen des STS ### und oral durch Anabolika-Tabletten). Damals war der Einsatz jedoch noch für einen kleineren Kreis gedacht. Die Geheimhaltung funktionierte nicht wie gewünscht. Gesundheitliche Probleme nach der Anwendung traten auf. Mit den Jahren wurde der Kreis eingeweihter immer größer, womit auch die Gefahr über den falschen Umgang mit dem Wissen, speziell auch Wissenstransfer ins Ausland z. B. durch Republikflucht, zunahm. Auch die gesundheitlichen Folgen, die bestens bekannt waren, wurden nicht weniger. (G. Spitzer, S. 366f, „Praktische Anwendung seit 1970 auf Basis bestätigter Konzepte“ und Missachtung gesundheitlicher Probleme im Gewichtheben (1985))
In Brigitte Berendonks Buch ist ein Auszug aus „Einschätzung der Wirksamkeit der Anwendungskonzeption ‚unterstützender Mittel‘ im Trainingsjahr 1979/80 im Verband“ der Gewichtheber (Lathan 1981) nachzulesen (Berendonk, S. 377f). Darin werden Erfolge mit neuen Varianten des Überbrückungsdopings (zum Aufrechterhalten der Leistungsfähigkeit vor wichtigen Wettkämpfen ohne positiv getestet zu werden) berichtet. Ausführlich werden die beobachteten Nebenwirkungen beschrieben. Explizit wird auf Erfolge in Trainingszeiten bei Junioren/ Jugendlichen hingewiesen,
„die durch Einsatz von u. M. deutliche, in der Vergangenheit nicht gleichermaßen beobachtete Leistungssprünge zeigten.“ Zudem wird die Notwendigkeit des Einsatzes hervorgehoben „eine progressive Leistungssteigerung bei jüngeren Kadern zu erzielen,“
Als noch zu lösende Probleme werden u.a. festgehalten:
– die Frage der richtigen Dosierung
– die zu hohe Zahl der Nebenwirkungen, vor allem in Hinblick auf Langzeiteinnahmen
– zu hohe Ausdelegierungsrate von Sportlern nach Einnahme von u.M.
– Überbewertung der u.M. (Hinweis auf Fall Bonk)
Eingesetzt wurden nicht allein Anabole Steroide sondern ein umfangreicher Medikamentenmix.
„Außer dem Grundnahrungsmittel Oral-Turinabol wurden testosteronester (TP und TD) und Choriongonatropin (hCG), getrennt oder als Testo-Tropin gespritzt, zuweilen noch zusätzlich das „Anti-Ösatrogen“ Clomiphen gereicht – zur Ankurbelung der, nach so exzessiver Turinabolisierung erschlafften, körpereigene Testosteronsynthese.“ (Berendonk, S 185f)
Untersuchungsergebnisse von Dr. Lathan werden zitiert in einem Ergebnisbericht des FKS durch Rademacher, Schäker und Häcker von 1984. Aufgrund der Nebenwirkungen von Oral-Turinabol schien es notwendig verstärkt weitere Steroid-Substanzen (STS-Gruppe) auf ihre Einsatzmöglichkeiten hin zu überprüfen, insbesondere STS 646. Im Ergebnis wurde die positive Beeinflussung der Leistungsfähigkeit durch Oral-Turinabol und STS 646 festgehalten. (Spitzer, Doping, S. 341f)
Versuche an Jugendlichen
Walter Scholz, Gewichtheber-Jugendtrainer 1976-1989:
„Wer 15 Jahre und körperlich reif war, mußte schlucken. … Ja, ich bekam von unserem Arzt genau abgezählte Tabletten für jeden Jugendlichen. Sie mußten die Pillen vor meinen Augen einnehmen… Die Jungs waren zum Schweigen verpflichtet. Einigen Eltern habe ich es im Vertrauen gesagt. Doch keiner nahm seinen Sohn deswegen von der Schule.“
(Berendonk, S. 189)
Mit Blick auf die Olympischen Spiele 1984 begann Lathan und sein Forschungskollege Ulrich Kämpfe mit einer speziellen Forschung an zwei Gruppen von Jugendlichen. Eine Gruppe bestand aus Jugendlichen mit ‚retadiertem‘ Wachstum, die Jugendlichen der anderen wiesen ein ‚akzeleriertes‘ Wachstum auf. Einbezogen waren 40 Gewichtheber der Kinder- und Jugensportschulen Berlin, Frankfurt/Oder, Dresden und Karl-Marx-Stadt, Durchschnittsalter 15 Jahre.
„Konkret sollte untersucht werden: – Wie sich die Gabe von OT [Oral-Turinabol] auf die körperliche und sportliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit sowie die Belastbarkeit auswirkt; – inwieweit durch OT eine Beeinflussung belastungsbedingter Störungen am Stütz-, Halte- und Bewegungsapparat möglich ist; – ob Nebenwirkungen auftreten und welchen Stellenwert sie besitzen; …
1981 stellten die Forscher fest, dass sich die Sportler der Versuchsgruppen besser als andere entwickelt hatten, wobei die ‚akzelerierten‘ Sportler bessere Steigerungsraten aufwiesen, als die retardierten. Nebenwirkungen wurden festgestellt, doch anscheinend als nicht weiter als problematisch eingeordnet, Langzeitfolgen wurden nicht beachtet. Annehmen kann man, dass mit diesen Forschungen auch untersucht werden sollte, ob sich Anabolika auf das Wachstum von Jugendlichen auswirkt. (Berendonk, S. 186f)
In einem Spiegel TV Magazin des Jahres 1990 kommen drei junge Männer zu Wort, die Teil dieser Studie waren.
Uwe: „Natürlich lernt man das dann [das es Dopingmittel waren], also man wird stärker, hebt mehr … im Prinzip ist man dann durch die älteren Sportler darauf gekommen. Die haben gesagt, wenn man sich selber manchmal gewundert hat, was man drauf hat, … dass es da und da her kommt.
Man hat sich dann auch keine Gedanken gemacht. … wenn der Trainer das gesagt hat, du machst jetzt das, dann wurde das gemacht. Und mit 15 ist man noch leicht beeinflussbar und er war nun mal eine Respektsperson.
Ich habe stagniert in der Leistung … Wahrscheinlich auch schon ein bisschen ausgepumpt durch dieses frühe Hochtreiben in diese Leistungsbereiche. …. Im übrigen, das ging allen so in diesem Jahrgang, es ist jetzt keiner mehr dabei, also man kann sagen, dass die verheizt worden sind.
Steffen: „Schon nach Wochen merkt man, dass das Gewicht gesteigert wird, dass die Leistung, sprich Kniebeuge , Reißen, Stoßen drastisch anzieht.
Ich vermute, dass meine Muskeln schneller gewachsen sind als meine Sehnen und deswegen kamen bei mir große Schmerzen auf im Bereich der Kniee und ich habe schon manchmal daran geglaubt, dass durch das schnelle Muskelwachstum an diesen Präparaten oder Mitteln irgendetwas faul ist.
Man sollte nicht reden darüber … und es hat auch keiner gemacht, denn die Leistung war entscheidend.
Klaus-Dieter: „Was wäre denn passiert, wenn es rausgekommen wäre? Dann hätte man vorzeitig gehen können letztendlich. … Man kam in andere Länder … Wir waren im guten Glauben, die Ärzte wissen Bescheid über die Folgen, über alles.“
Roland Schmidt
1994 berichtete der ’stern‘, dass in den 80er Jahren 12 DDR-Gewichthebern Brüste entfernt worden seien, die ihnen durch die Testosteron-Gaben gewachsen seien. In diesen Fällen bestand Krebsgefahr. Genannt wurden die Nachwuchs-Athleten Roland Schmidt und Eino Göldner. (sid, 30.3.1994)
Roland Schmidt, der von 1975 bis 1981 dem Sportclub Einheit Dresden angehörte, verklagte 1995 seinen Clubarzt Theodor Härtel (Meißen) und Verbandsarzt Hans-Henning Lathan (Leipzig) auf Schadensersatz. Gewusst habe er nichts von den Dopinggaben, „da wurde überhaupt nichts erzählt auf negative Auswirkungen. Es wurde nur gesagt, es wären Vitamintabletten, unterstützende Mittel in der Richtung. Da wurde überhaupt nichts Genaueres bekanntgegeben.“ Die Klage wurde jedoch abgelehnt, da dem Urteil das Staatshaftungsgesetz (StHG) der DDR zugrunde gelegt wurde. Danach konnten Funktionsträger nicht „für in der DDR im staatlichen Auftrag verursachtes Unrecht haftbar gemacht werden“. (rbb, 2.8.2001, Berliner Zeitung, 18.4.1997)
Furcht vor der Aufdeckung der Praxis
Die Furcht vor der Aufdeckung der Dopingpraxis bestimmte über die Jahre die Diskussion, die Forschung und Anwendung in der DDR. Zum einen sollte in der eigene Bevölkerung das Thema unbekannt bleiben zum anderen durfte aber auch das Ausland nichts erfahren. Gut geht das aus dem bereits erwähnten Bericht von Dr. Lathan „Praktische Anwendung seit 1970…“ hervor. Hier wird u. a. unter Problemen aufgeführt, dass es zwischen Trainern, Sportlern, Ärzten, Wissenschaftlern zu viel diskutiert werde, es ein bei einigen einen leichtfertigen Umgang mit dem Wissen gäbe, wodurch die Gefahr bestünde, dass dieses auch ins Ausland getragen werde.
Höchste Alarmstufe bestand daher bei den Gewichthebern 1986, als bekannt wurde, dass die Internationale Gewichtheberförderation unangemeldete Trainingskontrollen beschloss und solche auch in der DDR durchzuführte. Manfred Ewald erließ umgehend ein Anwendungsverbot für anabole Steroide allein für die Gewichtheber. Sofort wurde nach Ersatz gesucht und Dr. Lathan empfahl die Erforschung des aus Bulgarien bekannten Mittels Nivalin. (Treffbericht IMS ‚Klaus Müller‘, alias Hans-Henning Lathan). (Spitzer, Sicherungsvorgang Sport) .
Lange scheint dieses Verbot nicht bestanden zu haben, wie aus folgendem Artikel hervorgeht. Anlässlich der Olympischen Spiele 1988 in Seoul wurden die Teilnehmer gut präpariert.
Für Mario Schult war ein „Makro-Zyklus“ errechnet worden, dessen UM-Phase bis zum 4. August ging. Nach drei Tagen Pillen-Pause begann am 8. August die „Überbrückungs-Phase“. Sechs Wochen lang, bis sechs Tage vor dem Wettkampf, wurden Tabletten mit leichter anaboler Wirkung verabreicht, die der Körper schneller abbaut.“
Doch dann kam es am Vorabend des Wettkampfs von Mario Schult zu einer schweren Panne. Obermedizinalrat Dr. Dietrich Hannemann vergab eine Pille, die wohl zu viel des Guten war. Dr. Lathan, als Mitglied der medizinischen Kommission der Internationalen Gewichtheberförderation anwesend, befürchtete Schlimmes und untersagte Schult die Teilnahme am Wettkampf. Zur Tarnung wurde dem Athleten ein Arm in Gips gelegt. (der Spiegel, 19.3.1990)
Dr. Hans-Henning Lathan 1991, NDR „Fünf für Deutschland“, zitiert nac h Berendonk (S. 189):
„Es gab politische Ursachen, …den Leistungssport [der DDR] zu nutzen, um innere Schwächen zu vertuschen. Und auch in den anderen sozialistischen Ländern war das so. … Ja, Sie können es Großversuche [nennen], ja von der Anlage her und was die Probandenzahl betrifft, kann man’s sicher so sehen. … Ja, rückblickend kann man nur sagen, daß Leistungsmanipulationen im Sport,, … vor allen Dingen, wenn Medikamente eingesetzt werden, nicht nur gegen die Regeln der sportlichen Fairness verstößt, und daß man sich doch weitgehend davon distanzieren muß.“
Monika