Dr. Heinz Wuschech
Heinz Wuschech wurde 1933 geboren. 1954 legte er sein Sportlehrerdiplom ab. Im September dieses Jahres begann er dann mit einem Medizinstudium. Nach seinem Studium arbeitet er an der Inneren Klinik der Charité in Berlin als Chirurg. Verletzungen bei Hochleistungssportlern gehörten zu seinen Themen. 1962 begann Wuschech als Sportarzt für die Sportvereinigung Dynamo zu arbeiten. Bis Ende der 1976 war Dr. Wuschech Chefarzt der Sportärztlichen Hauptberatungsstelle Berlin (getragen von Dynamo Berlin) und Olympiaarzt. Während dieser Jahre betreute er vor allem die Nordisch Kombinierten. 1976 wurde er aufgrund seiner Westkontakte (Schwiegereltern, Kollegen usw.) von der Staatssicherheit von seinen Ämtern bei Dynamo entbunden. Nach eigenen Angaben wollte er nicht darauf verzichten.
Dr. Wuschech arbeitete nach der Wende als Arzt in Berlin. Sein besonderes Interesse galt der Arthroskopie.
frühe Anabolikaversuche
Das Anabolikadoping hielt schon Mitte der 60er Jahre Einzug in die Sportvereinigung Dynamo, deren oberster Leiter der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke war und der das neue Hormondoping unterstütze. Die frühen Erfahrungen, die hier mit diesen Dopingmitteln gemacht wurden, legten den Grundstein für das gesamte DDR-Dopingsystem.
Doch immer noch versuchten die Verantwortlichen bei Dynamo ihr Wissen für ihre Athleten so weit wie möglich allein zu nutzen. Unterstützt wurden sie von Mielke. Medizinalrat Dr. Wuschech gehörte in Berlin dazu. In einem Schreiben vom März 1971 an Minister Mielke dankte er diesem für die „große Unterstützung bei der Beschaffung notwendiger Medikamente durch den medizinischen Dienst“ und drückte die Hoffnung aus, weiterhin dessen Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Hintergrund war die bestehende nationale Konkurrenz zwischen der Sportvereinigung Dynamo, der Armeesportvereinigung ‚Vorwärts‘ sowie dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSV) der DDR. Bei den ’notwendigen‘ Medikamente hatte es sich um Anabolika gehandelt.
„Anabolika hatten nun bei „Dynamo“ Eingang in die Trainingssteuerung und die Wettkampfbeeinflussung aller Olympiakader gefunden. Verwendet habe man Anabolika in oraler und Depotform. Für den Sprunglauf wurde demnach ausschließlich Oralturinabol vergeben.“ (Spitzer, Doping, S. 23f, Sicherungsvorgang Sport, S. 140)
Die gute Erfahrungen bei Dynamo, die nicht verborgen geblieben waren, weckten Interesse und so gab es schnell Bestrebungen Ähnliches in das gesamte DDR-Sportsystem zu übernehmen und zu entwickeln.
Dr. Wuschech war auch hierbei schon früh an einflussreicher Stelle eingebunden.
Die erste „zentrale Entscheidung zur Anabolika-Forschung (und damit auch zur Anwendung von Dopingmitteln im DTSB) unter staatlicher Leitung“ ging einher mit der Schaffung der „Leistungssportkommission der DDR“ 1969. Es wurden verschiedene Arbeitsgruppen installiert, so auch die „Zentrale Arbeitsgruppe Unterstützende Mittel'“ unter Dr. med. Manfred Höppner und die Forschungsgruppe „Zusätzliche Leistung“ am FKS unter Prof. Dr. Alfons Lehnert. Daneben kam es in den Klubs zur ’selektiven Dopingeinführung durch Trainer und Ärzte. Diese Arbeit rund um das Anabolika-Doping musste geheim bleiben, denn sie war auch in der DDR illegal. Dr. Wuschech gehörte zu diesem Zeitpunkt der „Kommission für Leistungsbeeinflussung“ an, die von Höppner geleitet wurde und „zentral alle Doping-Fragen entscheiden sollte“. Ziel war die „Durchführung von vertraulichen Sondermaßnahmen“ sowie „individuelle Vereinbarungen mit bestimmten Aktiven treffen“. Die Anwendung der Mittel (Nerobolen und Anabolika) erfolgte laut Höppner erstmals sportübergreifend „mit unterschiedlichem Niveau in allen Sportverbänden.“ (Spitzer, Doping. S. 38f)
der Sapporo-Bericht Sportmedizin
Am 21. Januar 1971 installierte der Bundesvorstand des DTSB in Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 in Sapporo die „Kontrollgruppe Sportmedizin“, Mitglieder der ersten Stunde kamen u.a. aus dem der SED, dem DTSB, dem FKS, dem SMD und Dr. Platzek und Dr. Wuschech von Dynamo. Themen waren von Beginn an Erfahrungen und Wirkungen von Anabolika und welche Sportler welche Mittel bekommen sollten. Dr. Platzek sprach dabei über die Wirkung der Anabolika. (Spitzer, Doping, S. 39/245)
In der Folgesitzung am 1. März 1971 legte Dr. Wuschech dann einen 10seitigen „Sapporo-Bericht Sportmedizin“ vor, der die weiteren Entwicklungen hin zum rigiden DDR-Staatsdopingsystem stark beeinflusst haben könnte. Darin heißt es:
„Nach den ungenügenden Ergebnissen unserer Teilnehmer in den Nordischen Disziplinen, im Eisschnelllauf und im Biathlon bei den Olympischen Spielen in Grenoble 1968 wurde ich im Büro der Zentralen Leitung der SV Dynamo beauftragt, besonders mit den profiliertesten Mitarbeitern meines Arbeitskreises (Dr. Roth, Dr. Jagemann, Dr. Pansold und Dr. Schneider) die komplexe leistungsmedizinische Arbeit in diesen Sportarten zu intensivieren…. Umfassendes Studium der internationalen Literatur führte uns zu dem Ergebnis, daß die Wirksamkeit des Hochleistungstrainings, die Entwicklung von Höchstleistungen sowie ihre Stabilisierung in zunehmenden Maße vom effektiven und integrativen Einsatz einer Reihe leistungsfördernder und -stabilisierender Maßnahmen abhängt.
…
In eigenen umfangreichen experimentellen Untersuchungen überprüfen wir in der Praxis zuerst bei uns Ärzten und danach bei Hochleistungssportlern die Wirkung von unterschiedlich zusammengesetzten hochprozentigen Glukose- Infusionen mit Ferment-, Elektrolyt- und Vitaminzusätzen verschiedener Konzentrationen und die Anwendung von anabolen Steroiden. In Auswertung der positiven Ergebnisse wurden Programme für eine systematische Praxis- Anwendung im Leistungssport erarbeitet. Diese Programme wurden langfristig auf die Höhepunkte der Skilangläufer (WM Feb. 1970), der Bahnradsportler (WM Aug. 1970), des Dynamo-Achters (WM Sept. 1970), einiger Schwimmer (EM 1979) und Leichtathleten im Trainingsjahr 1970 ausgerichtet. …
Es ergeben sich für die sportmedizinische Arbeit im Olympiajahr folgende Schwerpunkte: …
3. Anwendung gezielter leistungsbeeinflussender Maßnahmen (Physiotherapie, Diätregime, Infusions- und Anabolikaprogramme) bei den O-Kandidaten unter strenger Indikation bis zu den Wettkampfhöhepunkten; Bestätigung und Kontrolle durch die verantwortlichen Leitungsorgane. …
In der AGOV [Arbeitsgruppe Olympiavorbereitung] wurden in strenger Abstimmung mit den Leitungsorganen für die O-Kader gezielte beeinflussende Maßnahmen in Anlehnung an das Trainings- und Wettkampfsystem ganzjährig geplant und durchgeführt. Die O-Kader des DSLV und damit die O-Kader der SV Dynamo wurden in dieses System einbezogen. Die bestätigten Programme wurden in der Vorbereitungsperiode durch Dr. Reinnagel (Laufdisziplin), Dr. Wuschech (Nordische Kombination), Dr. Pansold (Biathlon), Dr. Schernikau und Dr. Roth (Eisschnelllauf) durchgeführt. Als Höhepunkt wurde für alle Disziplinen der Zeitpunkt der Wettkämpfe in Sapporo bzw. die WM im Eisschnelllauf und Biathlon festgelegt.
…
Die beeinflussenden Maßnahmen werden ausschließlich in der AGOV beraten und entsprechende Festlegungen durch das Leitungsorgan vom Olympiaarzt durchgeführt. Es muß für alle anderen Kreise ein strenges Verbot für weitere Anwendung von leistungsbeeinflussenden Maßnahmen bei Olympiakandidaten grundsätzlich erfolgen. Eine kontinuierliche Vorbereitung wäre sonst in Frage gestellt.“ (Spitzer, Sicherungsvorgang Sport, S. 486ff, s.a. Spitzer, Doping, S. 24)
Doug Gilbert
Auch 1975, als mit der Gründung der ‚Forschungsgruppe Zusätzliche Leistungsreserven‘ das endgültige geheime Dopingforschungsprogramm der DDR seinen Lauf nahm, ist Dr. Wuschech wieder mit dabei. Er vertrat in der Gruppe die Sportart Skilauf (die anderen waren Gewichtheben, Rudern, Leichtathletik, Schwimmsport, Kanusport, Radsport, Fechten).
Ende der 70er Jahre recherchierte der kanadische Sportjournalist Doug Gilbert über das DDR-Sportsystem, zu dessen Bewunderern er gehörte. Ein Kapitel sollte der Sportmedizin gewidmet werden. Er konnte während seiner Recherchen mit einigen wichtigen Personen in der DDR sprechen, auch mit Dr. Heinz Wuschech, der dem Autor ‚interne Leistungsdaten‘ überlassen hatte. Anfang 1979 kam es zu einem Treffen zwischen Doug Gilbert und dem Sportchef des ‚Neuen Deutschland‘, Dr. Klaus Huhn (GMS [Gesellschaftlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit] „Mohr“), der versuchte im Sinne der DDR Einfluss auf die Veröffentlichung zu nehmen. U.a. schrieb er in einem Bericht
„Ich fand allerdings noch eine Passage, die mir sehr bedenklich erschien. Jenen teil nämlich, als ihm Wuschech einangeblich geheimes Buch mit den Fakten über die Sportler zeigte. Ich habe ihm gesagt, dass Wuschech über diese Indiskretion sehr enttäuscht sei und er versprach einiges zu ändern. Vielleicht wird auf diese Weise von der Sportmedizin etwas gestrichen.“ (Spitzer, Doping, S. 265f)
Ein Zitat von Doug Gilbert lautet:
„Dr (Heinz) Wuschech knows more about anabolic steroids than any doctor I have ever met, and yet he cannot discuss them openly any more than Geoff Capes or Mac Wilkins can openly discuss them in the current climate of amateur sports regulation. What I did learn in East Germany was that they feel there is little danger from anabolica, as they call it, when the athletes are kept on strictly monitored programmes. Although the extremely dangerous side-effects are admitted, they are statistically no more likely to occur than side-effects from the birth control pill. If, that is, programmes are constantly medically monitored as to dosage.“ (Woodland, Les: Dope, the use of drugs in sport, David and Charles, UK, 1980, zitiert nach en.wikipedia.org) 1980 kam Gilbert bei einem Autounfall ums Leben.
1998 Wuschech: Hexenküche DDR?
1998 veröffentlicht Heinz Wuschech ein kleines Büchlein „Hexenküche DDR? Ein DDR-Sportarzt packt aus“ von 95 Seiten. Motivation dieser Memoiren war der seiner Meinung nach unerträgliche Umgang nach der Wende mit der Wahrheit über den DDR-Sport im Allgemeinen und mit DDR-Ärzten im Besonderen, der in den ZERV-Ermittlungen und anschließenden Prozessen gipfelte.
Wuschech erzählt nicht sonderlich viel, doch man erfährt einiges über sein Verständnis und seine Rechtfertigungsstrategien. Ein wenig berichtet er über die Entwicklung des Leistungssportsystems von den 60er bis in die 70er Jahre. Der ‚Komplex 08‘ bzw. das Staatsplanthema 14.25 werden von ihm mit keinem Wort erwähnt.
Er leugnet vehement großflächiges Doping, damit einhergehende Gesundheitsgefahren und eingetretene Schädigungen sowie auch Minderjährigendoping. Immer wieder betont er die vorhandene Dopingpraxis im Westen.
Zitate:
Wuschech betont seine Treue zur DDR trotz Angebote aus dem Westen und beklagt, dass nach der Wende
„die in der DDR gebliebenen Ärzte ihr Wertgefühl für Treue, Pflichterfüllung und Verantwortungsbereitschaft gegenüber ihren Mitmenschen nicht honoriert bekamen, aber aus meiner Sicht mit einem besseren Gewissen leben können.“ (S. 18)
„Politpfarrer, wie Heitmann, Eppelmann, Eggert, Hintze, Gauck haben viel dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu erschüttern.“ (S. 18)
„Unser Geheimnis: Teamarbeit“
Im Vordergrund der Arbeit im Leistungssport stand das Training. Alle anderen Aspekte – Ernährung der Athleten, medizinische Kontrollen oder Einflußnahme auf die Verträglichkeit der Belastung durch rehabilitative Maßnahmen – wurden im individuellen Trainingsplan (ITP) der Sportler festgelegt. Wir kamen bei vielen Untersuchungen dahinter, daß Anabolika für den schnelleren Muskelaufbau nach Verletzungen zwar nützlich sind, aber beim Aufbautraining, der Skispringer zum Beispiel, nachteilig wirkten, weil der Athlet an Schnelligkeit, Explosivität und Dynamik beim Absprung sowie an Koordinationsvermögen verlor. … Bei der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften der Nordischen Disziplinen 1970 in Strbske Pleso hatten wir während des Trainings im Herbst 1969 den Springern und Kombinierten Turinabol als unterstützendes Mittel für eine schnellere Rehabilitation und Belastungsverträglichkeit verabreicht. (S. 40)
Aus dem Jahr 1974 berichtet H. Wuschech von einem Treffen zwischen DDR-Trainern und ihm auf der einen Seite und BRD-Trainern und einem Arzt auf der anderen Seite. Die BRD-Delegation hatte sich angeblich hilfesuchend um einen Erfahrungsaustausch bemüht. Dabei wurden von Seiten der Westdeutschen häufige Fragen nach den unterstützenden Mitteln gestellt. In den Antworten auf DDR-Seite wurde ‚mit gutem Gewissen‘ betont, dass Anabolika keine große Rolle spielten, das wissenschaftliche Trainingssystem sei ausschlaggebend. Wuschech:
„Das ist ein vielschichtiges Problem. Auf keinen Fall steht der Begriff ‚unterstützende Mittel‘ schlicht für Anabolika. In den letzten Jahren haben besorgte Eltern talentierter Kinder der unterschiedlichsten Disziplinen, die Frage an mich gerichtet, was man mit ihrem Kind ärztlich machen könnte, da eine Knochenaufbaustörung vorläge? … Hätte ich ihnen als Arzt raten sollen: ‚Geht nach Hause und spielt Schach?‘ Wenn ich das nicht tat, dann nicht weil ich hoffte, daß sie eines Tages Medaillen für die DDR holen könnten. Ich bin kein Wunderdoktor, aber zu den angeblichen Geheimnissen des DDR-Sports gehörte auch die gute Zusammenarbeit zwischen den Medizinern. Sie waren nicht alle Busenfreunde, aber jeder war bereit, mit seinem Rat zu helfen. Also konsultierte ich Kapazitäten auf dem entsprechenden Gebiet und dank der Ratschläge, die sie mir gaben, verschrieb ich diesen Talenten verschiedene Medikamente.“ (S. 53)
Dr. H. Wuschech wendet sich entschieden gegen die Vorwürfe von Seiten Prof. Werner Frankes, in der DDR-hätten Menschenversuche statt gefunden und die meisten Siege wären nur aufgrund der Anabolen Steroide zustande gekommen: „Oral-Turinabol gehörte als Therapeutikum zur Standardbehandlung im Gesundheitswesen, wie die Beiträge in der 1982 erschienene Monographie von Volker Hesse:
„Endokrinologie des Kindes- und Jugendalters“ (Georg Thieme Verlag -Leipzig) belegen. Auch das im Schrifttum bekannte Standardwerk „Die Wirbelsäule in der Sportmedizin“ von Prof. Dr. med. H. G. Ehricht bei Johann Ambrosius Barth Leipzig 1978 aufgelegt, belegt die heilende Anwendung von Oral-Turinabol in Verbindung mit Dekristolöl, Calcipot-Tabletten und Höhensonnenganzbestrahlungen bei Wirbelsäulenleiden.“
Wuschech betont mit einem Zitat die Notwendigkeit von Genehmigungen für Versuche mit Menschen. Dann zitiert er den Beipackzettel von Turinabol aus dem Jahr 1974, wonach genannte Nebenwirkungen bei Kindern bei Oral-Turinabol ’selbst bei längerer Anwendung bisher nicht bekannt geworden‘ seien. Laut Wuschech sind Spätfolgen bei Kindern und Jugendlichen ’nirgendwo‘ zu beweisen, als Beleg nimmt er Christin Otto, der absolut nichts anzusehen sei. (S. 72ff)
„Da jede sportliche Leistung im individuellen Leistungsvermögen angesiedelt ist, bedeutet die Überschreitung der natürlichen Leistungsgrenze immer die Gefahr gesundheitlicher Risiken. Deshalb darf nach meiner Auffassung der Einsatz von unterstützenden Mitteln nie den Grundsatz „primum nil nocere“ (Vorrang hat, was nicht schadet) verletzen.“ (S. 81)
1999 veröffentlichte H. Wuschech gemeinsam mit Prof. Dr. Margot Budzisch und Dr. Klaus Huhn das Buch ‚Doping in der BRD. Ein historischer Überblick zu einer verschleierten Praxis. Gewidmet Birgit Dressel und Jupp Elze, die in der BRD durch Doping ihr Leben verloren‘.
Monika