2013 Hansjörg Kofink: Kommentare, Meinungen

BRD / DDR – Vergangenheit

2013 Hansjörg Kofink: Gedanken, Meinungen, Kommentare

Dezember 2013

Sport, Staat, Doping

Das Anabolikaverbot war die Verbots-Regel eines internationalen Sportfachverbands – IAAF, Mai 1970 – die für alle Leichtathletikverbände weltweit Gültigkeit hatte.

1974 übernahm das IOC das Anabolika-Verbot, gültig von nun an für alle ‚olympischen Fachverbände‘.

Der Fachverband war ab sofort zuständig für die Überprüfung der Einhaltung des Verbots und im Falle seiner Übertretung für die Sanktionierung des Täters.

Der Fachverband als Monopolist einer Sportart ist zuständig für die Auswahl seiner Mitglieder für nationale und internationale Meisterschaften. Die dazu notwendigen Finanzmittel stellt der Staat zur Verfügung. Für den internationalen Bereich sind das Bundesmittel, die jeder öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle entzogen sind.

Daraus entsteht ein Wettbewerb aller Fachverbände untereinander. Es ist naheliegend, dass sowohl der Geldgeber wie auch die Geldempfänger nach einem für alle Beteiligten überzeugenden Verfahren suchen: go for gold.

Damit verliert der einzelne Fachverband seine Unabhängigkeit bei der Auswahl seiner Wettbewerber für internationale Meisterschaften. Diese stehen unter dem Druck der „Endkampfchance“, um sich selbst und damit ihrem Verband weiterhin die Alimentierung durch den Staat zu sichern.

Der Sportart-Monopolist muss nun gleichzeitig erstklassige Leistungen liefern, Dopingproben veranlassen, und sie gegebenenfalls sanktionieren. Dabei steht er in Konkurrenz zu jedem anderen Fachverband.

Beteiligt an der Leistung des Wettbewerbers sind Trainer, Ärzte und Funktionäre.

Beteiligt an der Einhaltung des Dopingverbots sind Ärzte, Trainer und Funktionäre.

Wenn nun Staat und Politik glauben, ihre eigene Reputation von Sporterfolgen abhängig machen zu müssen, dann ist das Szenario komplett, das die Doping-Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ erhellen sollte.

Und das Urteil ist entsprechend:

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an.

Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können. Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein „Staatsdoping“ ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung. (1)

Ob Sport und Politik in Deutschland heute den Willen und die Kraft haben werden, um die nachstehenden Vorstellungen der Forscher in ihrer zukünftigen Zusammenarbeit zu berücksichtigen, bleibt unter den gegenwärtigen Umständen und den Erfahrungen der letzten 20 Jahre abzuwarten.

Um die Wende zu einer Re-Humanisierung des Sports einleiten zu können, die zugleich eine Voraussetzung für den Erfolg Doping-präventiver Maßnahmen im Sport sind, muss zunächst eine offene sportpolitische Diskussion über die Frage geführt werden, welche leistungssportlichen Ziele Staat und Gesellschaft, Parlament, Regierung und der organisierte Sport, aber auch die Medien in Deutschland mit welchen Methoden erreichen möchten und wie ein solcher Sport finanziert sein soll. Zum Schutz der Athleten, aber auch der Zuschauer und Steuerzahler, die den Spitzensport mit finanzieren, ist nur ein Spitzensport zu verantworten und mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, der ohne Betrug und Doping möglich ist und organisiert wird. Nur bei einer breiten Verständigung über diese Fragen wird sich das Misstrauen gegenüber einem Sport, dessen größtes Kapital letztlich das Vertrauen ist, welches ihm Politik, Öffentlichkeit und die Aktiven selbst entgegen bringen, abbauen lassen. (2)

Der Staatssport der DDR und der Hochleistungssport des ‚freien Sports‘ der Bundesrepublik haben in 30 Jahren ‚Krieg auf der Aschenbahn‘ der Glaubwürdigkeit des Sports einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zugefügt. Spitzensport und Doping sind für Heranwachsende heute die beiden Seiten einer Medaille.

Die fugenlose Vereinigung von Doping Ost mit Doping West wird eines der dunkelsten Kapitel des deutschen Sports im zwanzigsten Jahrhundert bleiben.

Sport und Doping ist ein Begriffspaar, das heute jedes Kind kennt. Das haben jene verursacht, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert ehrenamtlich und professionell Verantwortung für den Sport getragen haben.

Hansjörg Kofink 12.2013

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(1) Dopingskandale in der alten Bundesrepublik Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen 30.5.2012 deutschlandarchiv

(2) Bericht über das Münsteraner Teilprojekt zur Dopinggeschichte in Deutschland

8. Dezember 2013

„Medizinische Hilfen“

Die DDR, die seit Staatsgründung den Erfolg im Sport zur Demonstration der Überlegenheit ihres sozialistischen Staatssystems ausgerufen hatte, machte nach jahrelangen Vorbereitungen 1974 mit dem Staatsplanthema 14.25 die „u.M.“ (=unterstützende Mittel) zur Grundlage internationaler Sporterfolge (1). So steht es in einem der vorbereitenden Trainingspläne. Als ‚Unterstützende Mittel‘, im weiteren nur noch UM genannt, werden in diesem Fall ausschließlich anabole Steroide angesehen (2).

Positive Dopingproben gab es nur eine in all den Jahren, Geständnisse keine, dafür aber Rekorde für die Ewigkeit aus den 80er Jahren, so zum Beispiel – über 104m Speerwerfen bei den Männern, 80m bei den Frauen, im Diskuswerfen 76,80m bei den Frauen, 74,08 bei den Männern – Weltrekorde bis heute.

Die Sportmediziner der DDR, soweit sie sich mit diesem Staatsplanthema einließen, sorgten für zuträgliche, einträgliche Verwendung des Anabolikums Dehydrochlormethyltestosteron ein in den 1960er Jahren im Arzneimittelwerk VEB Jenapharm in der DDR entwickeltes und unter dem Markennamen Oral-Turinabol® vertriebenes Anabolikum (3).

Liest man in der unvollendeten Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ über die enge und offensichtlich auch konspirative Zusammenarbeit von Sportmedizinern und Athlet(inn)en in der BRD, dann bekommen Begriffe wie ‚Substitution‘ und ‚Regeneration‘ ein Eigenleben, das durch zeitgenössische Medienberichte wie Kraft durch Spritzen (4) nachdrücklich belegt wird.

Es ist sicher kein Zufall, dass die staatlich und medizinisch planmäßig eingesetzten „unterstützenden Mittel“ im Spitzensport der DDR, der einfühlsamen ‚Substitution‘ von Sportärzten in der BRD in von ihnen indizierten ‚Fällen‘ im Endeffekt durchaus ähneln, nicht nur der sprachlichen Verwandtschaft wegen. Außerdem hatten die Experten beider Lager auch während des ‚Kalten Krieges‘ international immer wieder fachlichen Kontakt.

Es war ein kleiner, aber prominenter und sehr einflussreicher Teil der Sportmedizin, der sich um Doping in Deutschland Ost und West verdient gemacht hat.

Hansjörg Kofink 8.12.13

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(1) Analyse des Einsatzes unterstützender Mittel in den leichtathletischen Wurf- und Stoßdisziplinen und Versuch trainingsmethodischer Ableitungen und Verallgemeinerungen, DVfL – WZ – Sektor Wurf und Stoß, Juni 1973 Dr. Bauersfeld, J. Olek

(2) Fußnote 1 auf Seite 3

(3) de.wikipedia.org/wiki/Dehydrochlormethyltestosteron

(4) Kraft durch Spritzen, Der Spiegel 36/1976, 30. 06. 1976

10. November 2013

„Sportrecht“

Das Haus des Sports und das Dopingverbot

Die Institution ‚Sport‘, der Deutsche Olympische Sportbund und alle Sportfachverbände bewohnen ein eigenes Haus in der Bundesrepublik Deutschland. Die NGO (non-governmental-organization) ist autonom und damit in ihren Entscheidungen unabhängig. Diese Gliederung wiederholt sich auf Länderebene und auf weiteren Ebenen darunter. Die Kommunikation in diesem Gebilde regeln die Gremien des Sports autonom und selbstverantwortlich.

Non-governmental organizations (NGOs) are legally constituted corporations created by natural or legal people that operate independently from any form of government.

Wichtig ist hierbei, dass der DOSB und die Fachverbände nebeneinander agieren. „Weder der DOSB noch der damalige Deutsche Sportbund nehmen allerdings eine Wächterfunktion im freiheitlichen Sportsystem ein. Es ist folglich nicht möglich, der evtl. Nichtbefolgung einer Empfehlung Sanktionen hinterherzuschicken“ (1).

Das bedeutet, dass jeder einzelne Sportfachverband ebenfalls Herr im eigenen Haus ist. Er legt die Regeln fest, regelt ihre Einhaltung und bei Verstößen die von ihm festgelegte Sanktionierung.

Auf diesen Festlegungen beruhen Entscheidungen von Schieds- und Kampfrichtern, wenn beim Fußballspiel dem Gegner in die Beine getreten oder bei einem 100m-Lauf zu früh gestartet worden ist.

Die ‚Tatsachenentscheidung‘ ist die Basis für das ‚Sportrecht‘ der Fachverbände: eine schnelle unabhängige Sanktionierung von Regelverstößen, um den Wettbewerb sofort fortsetzen zu können.

Auch das Anabolikaverbot der IAAF vom 14. Mai 1970 in Amsterdam ist eine Regel, aufgestellt von einem Fachverband.

Doch der Verstoß gegen diese Regel und ihre Sanktionierung braucht Experten, die nur in räumlicher und zeitlicher Distanz zum Wettkampfort agieren können. Eine sofortige Sanktionierung ist nicht mehr möglich:

Nur eine positive Dopingprobe oder ein Geständnis manifestieren den Regelverstoß und veranlassen die Sanktionierung durch ein Verbandsgericht des Fachsportverbandes.

Wie kann man hiermit gegen Mittäter, Ärzte, Funktionäre, Trainer vorgehen?

Diese Vorgehensweise erfolgt nach dem Hausrecht der Verbände. Die öffentliche Gerichtsbarkeit kann lediglich überprüfen, ob sich der Verband an seine eigenen Regeln gehalten hat.

Eine positive Dopingprobe ist nicht verhandelbar. Die Beweislastumkehr lässt eine Untersuchung des Wie, Wann, Warum nicht zu, da sie den Tatbestand nicht verändert.

Hansjörg Kofink 10.11.13

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(1) Brief des Justitiar des DOSB, Dr. Holger Niese, vom 29. Juni 2009 an mich

27. Oktober

Was nun?

Der deutsche Sport, Deutschland, hat eine unvollendete, zweigeteilte Studie über Doping in Deutschland hinter sich. Der sperrige Titel „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ (1) verspricht Aufarbeitung mit Zukunftswirkung. Herausgekommen ist Streit aus allen und in alle Richtungen und eine Medienhype, wie jüngst Prof. Steinacker in der ‚Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin‘ feststellte.

Wie auch immer, neben 1977 nach den OS von Montreal und der Vereinigung des deutschen Sports aus Ost und West zu Beginn der 90er Jahre zeigten die Monate August und September 2013 ein gewaltiges Medieninteresse am Thema Doping in Deutschland.

Ende Juli veröffentlichten die MAIN POST und die Märkische Oderzeitung Kritik am Verlauf des Forschungsvorhabens mit dem Verweis auf neue Akten und weiterhin Ungeklärtes.

dradio, 6.8.2013:
Barenberg: Wie beurteilen Sie denn, wie Thomas Bach sich äußert, jetzt, wo einige Ergebnisse der Studie jedenfalls öffentlich sind, der Präsident des DOSB – er ist seit Jahrzehnten dabei: zunächst als Athlet, jetzt als Funktionär seit vielen Jahren -, dass er sagt, er hat gar nichts mitbekommen von diesen ganzen Zusammenhängen, von denen Sie sprechen?

Kofink: Ich glaube ihm kein einziges Wort! Wer 1976 Olympiasieger war und erlebt hat, welche Wogen in der öffentlichen Berichterstattung Doping 1977 Montreal ausgelöst hat, wer 1980 Sprecher der Athleten war, mit dem Bundeskanzler verhandelt hat, ob man nach Moskau fährt oder nicht – dabei ist er unterlegen -, wenn der das nicht gewusst hat, dann hat er ein gespaltenes Bewusstsein.

Prominente Zeitzeugen

Interessanter als manche Inhalte in der Studie waren viele Veröffentlichungen über und von Zeitzeugen. Die prominenteste und mehrfach veränderte kam vom jetzigen IOC-Präsidenten Bach, der als Olympiasieger von 1976 nichts von Doping mitbekommen habe – im Fechten, wie er später modifizierte. Er bekam heftiges Kontra von der Sprecherin des Olympischen Eides von München, Heidi Schüller. Sehr verwunderlich ist auch das Erstaunen von Spitzenfunktionären wie Clemens Prokop über das Ausmaß von Doping im Westen, immerhin sind sie ja im autonomen Sport der Bundesrepublik die Instanz, bei der das gesamte Dopinggeschehen zusammen läuft. Selbst der Sportausschuss und seine Vorsitzende Dagmar Freitag, Vizepräsidentin des DLV, kritisierte, die veröffentlichte Minimalversion des Berichts werfe mehr Fragen auf als sie Antworten gebe. Sie sprach von einem Bericht, „der von Auslassungen und Platzhaltern wie N.N. dominiert wird“ (2).

Besondere Beachtung verdienen die Aussagen prominenter Zeitzeugen. So berichteten die 4x100m-Olympiasiegerinnen von München, Heide Ecker-Rosendahl (3) und Ingrid Mickler-Becker durchaus Unterschiedliches.

„Ich muss sagen, ich finde das alles ganz spannend, jetzt einmal Dinge zu hören, von denen ich vorher nie gehört hatte. … Ich habe nie von systematischem Doping in meiner Zeit gehört. Man hat munkeln gehört, dass es irgendetwas gibt … Ich habe 1972 aufgehört, und danach hat man sich häufiger gefragt, ob die irgendetwas mit Mitteln machen, die nicht erlaubt sind. Aber ich kann nicht sagen, dass da systematisch ausprobiert wurde, um vielleicht Aufbaumittel wie Steroide einzusetzen. Das habe ich aus späteren Zeiten gehört, aber nie zu dieser Zeit,“ berichtete Heide Ecker-Rosendahl dem WDR.

Ingrid Mickler-Becker, ebenfalls Mitglied der Goldmedaillen-Staffel von 1972, Olympiateilnehmerin von 1960, 1964 und Olympiasiegerin von 1968, hatte schon 1964 bei Kolleginnen der DDR ‚die kleinen Blauen‘ gesehen. Auf die Frage, „Würden Sie für die anderen Mitglieder der Frauenmannschaft ihre Hand ins Feuer legen, dass sie nicht gedopt waren?“ antwortete Ingrid Mickler, „Ich würde für keinen im Sport die Hand ins Feuer legen außer für meine Freundin Helga Hoffmann. Das heißt aber nicht, dass ich irgendjemand anderem etwas unterstelle.“ Und auch der folgende Frage-Antwort-Wechsel macht nachdenklich: „Gibt es Indizien, die einen Verdacht gegenüber Kolleginnen haben wachsen lassen?“ „Darüber möchte ich keine Aussage machen.“ (4)

Dafür lässt Hein Diereck Neu, der beste Diskuswerfer des DLV, keinerlei Zweifel aufkommen:

«Praktisch jeder von uns Werfern, der sportlich weiterkommen wollte, hat damals mehr oder weniger regelmäßig zu Anabolika gegriffen oder es zumindest einmal probiert. Einige haben es nicht vertragen und wieder abgesetzt. Ich hatte damit keine Probleme», erklärte der heute 69-Jährige in einem Interview des «Wiesbadener Kurier». Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu (5).

Weitere Interviews mit Spitzenathlet(inn)en der 70 Jahre im August und September bestätigen das kontroverse Bild vom Doping im Westen in jener Zeit, wobei auffällt, dass nur sehr wenige Trainer und so gut wie keine Funktionäre sich äußern, vielleicht auch nicht gefragt wurden.

Vernichtendes Urteil

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an. Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können.

Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein „Staatsdoping“ ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung. (6)

Diese Zusammenfassung des Artikels‚ Dopingskandale der alten Bundesrepublik‘ von der Forschergruppe der Universität Münster im Mai 2012 ist ein Urteil, das an den Grundfesten der Struktur des freien Sports in Deutschland rüttelt.

An ihm werden wohl weder der DOSB, noch die Sportpolitik und auch nicht die Sportmedizin vorbeikommen.

Wenn der Deutsche Olympische Sportbund zum Ende dieses Jahres Entscheidungen für seine Zukunft trifft, wird er sich mit der 2009 initiierten aber immer noch unvollendeten Doping-Forschung und deren Folgen intensiver befassen müssen, als das im Beschluss der Präsidiums am 16. Juli dieses Jahres geschehen ist (7).

Hansjörg Kofink, 27. Oktober 2013

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1) „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ Forschungsprojekt 2009-2012 initiiert durch den DOSB, beauftragt und gefördert durch das BISp

2) FAZ, 6.8.2013

3) WDR 2 26.08.2013

4) Der Tagesspiegel, 02.09.13

5) Wiesbadener Kurier, 08.08.2013

6) Dopingskandale in der alten Bundesrepublik, Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen, bpb 30.05.12, Deutschland-Archiv

7) BESCHLUSS DER 59. SITZUNG DES DOSB-PRÄSIDIUMS AM 16. JULI 2013 – FORSCHUNGSPROJEKT „DOPING IN DEUTSCHLAND“

September 2013

Spitzensport in Deutschland 2013 verbreitet Misstrauen. Athleten misstrauen sich gegenseitig, Zuschauer haben Zweifel an Rekorden aus der Vergangenheit. Leistungen von heute stehen unter Generalverdacht.

Dopingmeldungen gehören zum Alltag des Spitzensports. Doping und Sport vereint seit langem eine kriminelle Allianz. Statt Vorbild für die Jugend zu sein, untergräbt der Spitzensport seit einem halben Jahrhundert die Fundamente des Sports: Fair Play, den ‚Olympischen Geist‘ und Regeln, die sportlichen Wettkampf erst möglich machen.

Er beschädigt nicht nur das Vertrauen unserer Gesellschaft in das ‚Haus des Sports‘, er produziert fortlaufend physische und psychische Opfer aktuell und langfristig.

Die Vereinigung der Sportsysteme Ost und West 1990 haben die Schäden beider Systeme unter der ausschließlichen Verantwortung des autonomen Sports begraben und damit für alle Zukunft fortgeschrieben. Der notwendige Bruch mit der Dopingrepublik Deutschland ist ausgeblieben. Der Sport hat sich im Bereich des Spitzensports zur Event- und Geldmaschine degradiert. Für nachwachsende Generationen sind Wettkampf und Spiel nicht mehr Entwicklung des persönlichen Talents sondern deren Vergesellschaftung. Die Vorbildwirkung des Spitzensports besteht für sie im Herandopen an tolerable Grenzwerte und im rechtzeitigen Absetzen verbotener Substanzen.

Sehr geehrte Abgeordnete, diese Pervertierung der ‚Werte des Sports‘ geschieht seit Jahren vor Ihren Augen, sie lebt von ihrer bona-fide-Finanzierung bis heute. Und das obwohl die Medien umfangreich und regelmäßig über Doping, Sportbetrug und Korruption im Sport berichten und Ausschüsse des deutschen Bundestages 1977, 1987 und zu Beginn der neunziger Jahre diesen Sachstand ausführlich und flächendeckend verbreitet und diskutiert haben.

dradio, 6.8.2013:
Barenberg: Zum Schluss, Herr Kofink, die Frage. Sie machen ja keinen Hehl aus Ihrer Skepsis. Dennoch die Frage: Ist das jetzt, die Studie und die Debatte, die das jetzt möglicherweise auch auslöst, eine Chance für einen Neuanfang?

Kofink: Das ist es mit Sicherheit wieder. Es ist vor allem eine viel größere Chance, das Misstrauen, das über diesem Spitzensport und vor allem über seinen Veranstaltern liegt, vielen, vielen Menschen in der Republik noch deutlicher zu machen, und das Entscheidende ist, dass diese Menschen sehen, was hier geschieht, und dann selber entscheiden, vor allem die jungen Menschen, will ich da mitmachen, will ich das noch sehen, oder gehe ich lieber in den Zirkus.

Am 2. September 2013 tagte der Sportausschuss des deutschen Bundestages in einer Sondersitzung. Ihre Vertreter wollten und sollten sich über das Desaster des unvollendeten Forschungsprojekts „Doping in Deutschland aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ äußern. Staatlich gefördertes Doping im Westen war eine der Kernaussagen.

Der anwesende Innenminister Friedrich hatte dazu nichts zu sagen, er ließ die Doping-Debatte durch sein Desinteresse versanden. Die Vertreter der Regierungskoalition beschlossen die Redezeiten und beschworen das Mantra vom sauberen Sport.

Diese Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages hat, sehr geehrte Abgeordnete, die Glaubwürdigkeit dieser Republik in Sachen Sport erschüttert, sie hat die politische Integrität in Sachen Spitzensport zerstört. Wir glauben Ihnen nicht mehr, und wir zählen nicht mehr auf sie im Kampf gegen verantwortungslose Funktionäre des Spitzensports in Deutschland.

Nach einem bis dahin unvorstellbaren Medienecho auf Dopingvorwürfe bei den Olympischen Spielen 1976 reagierte der Deutsche Sportbund mit einer ‚Grundsatzerklärung für den Spitzensport‘, in der neben anderem festgehalten wurde:

„Der Spitzensport hat öffentlichen Charakter. Deshalb verantworten auch Staat und Gesellschaft (Bund, Länder und Kommunen, die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Kirchen, die Medien) die Entwicklung des Spitzensports mit. Sie sind aufgerufen, diese Mitverantwortung zu erkennen und auszuüben.“

Was danach folgte ist bekannt. Überlässt die deutsche Politik 2013 erneut eine gegenüber Doping völlig hilflose Führung des autonomen deutschen Sports sich selbst?

Welchen Preis wollen / werden sie dafür bezahlen?

September 2013

Eine halbe Million Euro, ein halbes Dutzend Wissenschaftler aus zwei Universitäten haben nicht ausgereicht, um die Dopingvergangenheit im deutschen Sport seit 1950 zu erforschen.

Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hat in einer bemerkenswerten Sitzung am 2.9.13 dieses Nichtergebnis auf seine Weise fortgeschrieben:

Main Post: Doping in Deutschland: Regierungskoalition hat an Aufarbeitung wenig Interesse

Berl. Z.: Speeddating im Bundestag

die Zeit: Doping-Debatte versandet in unwürdiger Parteipolitik

spiegel-online: Manipulation in Westdeutschland : „Irgendwann ist jede Tasse Kaffee Doping“

SZ: Kabarett im Sportausschuss

n-tv: Friedrich sabotiert den Doping-Gipfel

nd: »Ihre Zeit ist abgelaufen«

Der Spitzensport in Deutschland 2013 ist verunsichert, er treibt Athleten und Zuschauer in den Generalverdacht. Seine einzige Botschaft heute ist: Misstrauen.

Jeder Euro Steuergeld zu viel ist,

– wenn Olympiasiegerinnen von 1972 genauso wie Weltmeisterinnen von 2009 erklären, dass sie für niemanden in Sachen Dopingbetrug die Hand ins Feuer legen,

– wenn Vorbildwirkung des Spitzensports für die nachwachsende Generation im Herandopen an die tolerablen Grenzwerte und im Wissen um das rechtzeitige Absetzen von Dopingmitteln besteht

Es ist Zeit, dass der Staat die Verantwortlichen des autonomen Sports auf die Grundsatzerklärung für den Spitzensport vom 11.06.1977 verweist:

6. Der Spitzensport hat öffentlichen Charakter. Deshalb verantworten auch Staat und Gesellschaft (Bund, Länder und Kommunen, die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Kirchen, die Medien) die Entwicklung des Spitzensports mit. Sie sind aufgerufen, diese Mitverantwortung zu erkennen und auszuüben.

Das zu vermitteln ist der Politik weder 1977 noch 1987 nach umfangreichen Anhörungen im Sportausschuss gelungen, wie Kritik aus jener Zeit belegt:

Dr. W. Hollmann wird in der FAZ am 7. Mai 1977 wie folgt zitiert: „Die Anti-Doping-Erklärung von Willi Weyer und Willi Daume, bei aller persönlichen Wertschätzung vor beiden Männern, ist von rührend anmutendem Niveau. Ihr Verhalten gleicht dem Ingenieur, der einen Mondflug vorbereitet und sich dabei der Materialien von Peterchens Mondfahrt bedient.“

Die Zeit schreibt am 11.11.1977: „Das Vorhaben des Deutschen Sportbundes (DSB), der medizinischen, pharmakologischen und technischen Manipulation durch eine Anti-Doping-Charta zu begegnen, ist zwangsläufig so lange ein Versuch am untauglichen Objekt, wie der Wille und die Möglichkeit zu steter Kontrolle fehlen. Hatte DSB-Präsident Willi Weyer noch Anfang des Jahres lautstark und entschieden für „Kontrollen auch auf unterster Ebene“ plädiert, so sprach, sich jüngst, knapp vier Monate nach Verabschiedung der Charta, die wissenschaftliche Kommission des Bundesausschusses für Leistungssport während einer Tagung in Beckstein (Taunus) „gegen alle etwaigen Kontrollmaßnahmen beim Training der Spitzensportler“ aus.“

In diesem Geist von 1977 vollzog der Spitzensport WEST die Vereinigung mit dem Spitzensport OST 1990/91:

… Wir haben bis 1990 in der DDR als hauptamtliche Trainer im Spitzensport gearbeitet. …

Das Sportsystem der DDR war durch eine straffe Hierarchie gekennzeichnet, unser Arbeitsgebiet durch eindeutige Dienstanweisungen klar geregelt.

Wir waren im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Doping-mittel) beteiligt. Uns war bekannt, dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert. Bei einer Weigerung, diese Mittel weiterzugeben, hätten uns der Ausschluss aus dem Leistungssport und damit erhebliche berufliche Nachteile gedroht.

und beide haben damit in bis dahin unvorstellbarer Weise die Fundamente des Sports, das Fair Play, den ‚Olympischen Geist‘ und die vom Sport selbst gesetzten Regeln beschädigt.

Die Politik, finanziell zuständig für den Spitzensport, sah zu und zahlte. Bis heute hält sie diese Zahlungen (Zielvereinbarungen) selbst gegenüber dem Rechnungshof geheim.

Wie obskur die Haltung der Politik zum Spitzensport heute ist, lässt sich aus der Antwort des Sportsprechers der CDU/CSU, Klaus Riegert, zu den in die öffentliche Diskussion geratenen ‚Zielvereinbarungen‘ entnehmen:

… „Angemerkt sei, dass die künftige Offenlegung von Einzelmaßnahmen und Förderstrategien die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Athleten und Athletinnen schwächt. Eine

strategische Ausrichtung ausländischer Olympiamannschaften an nationalen

Förderinitiativen ist somit möglich, was die sachgemäße und zielgerichtete

Verwendung von Förder- und letztlich Steuergeldern z.T. in Frage stellt. …“

Was ist das für eine Auffassung von Spitzensport? Ist das die Haltung der Männer und Frauen, die sich in wenigen Tagen in den Bundestag wählen lassen wollen?

Wir wollen das wissen!

23. August 2013

FAZ, 4.8.2013:
Kofink: es gibt vor allem kein Vertrauen mehr. Athleten wie die Speerwerferin Steffi Nerius beenden ihre Karriere mit den Worten: ,Ich traue keinem, auch keinem aus der eigenen Mannschaft‘. Beschreibt das nicht den desolaten Zustand? Heute, zwanzig Jahre nach der Vereinigung, vierzig Jahre nach München, beklagen sich Spitzenathleten über den Druck und ihre Nöte. Eine Studie der Stiftung Deutsche Sporthilfe hat das belegt.

Was müsste also geschehen?
Kofink: Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist keine Garantie für einen Neuanfang. Auch die Änderung der Strukturen reichte nicht, denn die Personen sind letztlich entscheidend. Bis heute sind noch ehemalige Doper im Spitzensport aktiv, sei es als Funktionäre oder Betreuer. Die müssten weg. Eigentlich ist ein Neuanfang nur möglich mit Funktionären unter fünfzig Jahren. Aber das ist wohl kaum umsetzbar. Es fehlen mir die großen Menschen, die den Willen und die Kraft dazu haben.

Generalverdacht

Jens Knipphals, ein Spitzenleichtathlet von gestern, Deutscher Meister im Weitsprung 1979 und 1980, fühlt sich „erneut von Politik und Sportfunktionären im Stich gelassen“, wenn es um den Generalverdacht geht, der heute auf dem Spitzensport, insbesondere auf der Leichtathletik lastet.

Robert Harting, Spitzenleichtathlet von heute, dreifacher Weltmeister und Olympiasieger im Diskuswerfen, sieht diesen Verdacht als „eine massive Beleidigung meiner Arbeit“ und scheut sich nicht, einen ‚handfesten‘ Angriff gegen die Doping-Opfer-Hilfe und Ines Geipel zu fahren wie schon 2009.

Woher kommt dieser Generalverdacht? Doping kann nur durch eine positive Dopingprobe oder ein Geständnis konstatiert werden.

In 40 Jahren gab es in der DDR nur 2(!) positive Dopingproben. Marion Jones, Lance Armstrong und viele andere können bis zu einhundert negative Dopingproben nachweisen, ehe sie – zufällig – erwischt wurden.

Wie bekämpft man heute Doping? Der Spitzensportverband, z.B. der DLV, veranlasst Dopingproben; stellt Doping fest, entscheidet über die Veröffentlichung und letztendlich über Art und Umfang der Sanktion. Danach kann das Spiel von vorne beginnen.

Schon für München 1972 versagte der DLV seinen drei Kugelstoßerinnen mangels Endkampfchance die Teilnahme. Für Montreal 1976 lagen die DLV-Normen für die Teilnahme erheblich höher als die IOC-Normen. Prominentestes Opfer war die ehemalige Weltrekordlerin Liesel Westermann, der das die Teilnahme kostete. Gerhard Steines, mehrfacher Deutscher Meister im Kugelstoßen der 70er Jahre hat das in seinen bemerkenswerten Erinnerungen ‚Sport-Leben‘ drastisch beschrieben.

So entstand der Druck, der freie Athleten im ‚freien Sport‘ der freien Bundesrepublik zur freien und persönlichen Entscheidung zum Dopen brachte.

Dass die Dinge in der DDR anders lagen ist bekannt und unmissverständlich dokumentiert.

Die Vereinigung des Sports Anfang der 90 Jahre kehrte die Doping-Vergangenheit Ost und West unter den Teppich. Dass das keine Bewältigung der Vergangenheit war, zeigen Reaktionen bei allen Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften bis heute.

Deutschland hat damit das denkbar schlechteste Beispiel weltweit zur Dopingbekämpfung gegeben: Die Funktionäre der Spitzenverbände haben jede Offenlegung mit allen Mitteln verhindert, die Politik, das Bundesinnenministerium und das Parlament haben zwar Mittelstreichungen angedroht, aber nicht eine einzige realisiert.

Das registrierte die gesamte Welt des Sports, das IOC und alle internationalen Spitzenverbänden.

Wie Generalverdacht entsteht zeigt das Beispiel Diskuswerfen, die Disziplin Robert Hartings.

Der Olympiasieger von 1984, Rolf Danneberg, hatte eine sehr dezidierte Haltung zu Doping. Eine seiner zurückhaltendsten Äußerungen war, er könne an der derzeitigen Praxis nichts Schlechtes finden, weil es alle machten.

Sein Nachfolger von 1988, Olympiasieger Jürgen Schult, hält bis heute den Weltrekord mit 74,08m und ist seit 2001 Diskus-Bundestrainer des DLV, sei 2011 Leitender Bundestrainer für die Wurf- und Stoßdisziplinen. Unterlagen aus der NVA-Akademie in Bad Saarow schreiben ihm wie vielen anderen DDR-Athleten eine umfangreiche Dopingpraxis zu, die er bis heute bestreitet, obwohl ihm Einsicht gewährt wurde.

Der sechsfache DLV-Meister Hein Diereck Neu gestand dieser Tage eine jahrelange Dopingkarriere unter dem damaligen DLV-Trainer Steinmetz. Genau den hatte Alwin Wagner, ein weiterer DLV-Werfer der Spitzenklasse, schon 1990 beschuldigt, Dopingmittel verteilt zu haben.

Früherer Diskus-Meister Neu spricht offen über Doping – Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu. (SZ 08.08.2013)

Ende 1991 wurde Steinmetz von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.“ (http://www.cycling4fans.de/index.php?id=4597)

Als sein langjähriger Widersacher Alwin Wagner 1990 die jahrzehntelang geduldete Dopingpraxis auch unter westdeutschen Leichtathleten offenlegte und DLV-Trainer Steinmetz beschuldigte, Dopingmittel verteilt zu haben, sprach Danneberg – neben seinen deutschen Disziplin-Größen Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker – in einem Brief an den DLV davon, dass sie den Trainer „als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. (NDR – Sport-Legenden 4.12.2012)

Steinmetz war als Heimtrainer von Lars Riedel noch lange Zeit auf DLV-Kosten bei Meisterschaften unterwegs. Das NOK entsandte ihn ‚im Zuge seiner Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas‘ 2006 nach China. (DOSB 29.12.2005).

Es braucht kaum noch die ‚Olympischen Geschichten‘ des ungarischen Spitzenwerfers Robert Fazekas von 2004 bis 2012, um die Gebräuche in dieser Disziplin etwas anrüchig zu finden. Ein Hinweis auf Hartings Trainer Werner Goldmann erübrigt sich auch. Das ist bereits 2009 gelaufen.

Generalverdacht entsteht immer dann, wenn Vergangenheit nicht bewältigt sondern vertuscht wird. Sie trifft alle, die Athleten, die Funktionäre, den Wettkampfsport, aber auch die verdeckte Finanzierung durch die Politik und eine Ärzteschaft, die ‚Substitution‘ und das ‚Therapiefenster‘ ins Spiel bringt.

Es gibt in Deutschland viele Spitzenathlet(inn)en in Ost und West, die nicht gedopt haben, nicht im Rampenlicht standen. Der Generalverdacht deckt den Betrug ihrer „erfolgreicheren“ Kolleg(inn)en.

Dank deswegen an Hein-Diereck Neu für sein Geständnis. Es fehlen noch viele, die bis heute kommenden Generationen diesen Generalverdacht hinterlassen, einen Spitzensport im Betrug.

Hansjörg Kofink, 23. August 2013

DLV-Trainer Kugel Frauen 1970-1972, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes 1989-1999

18. August

An Robert Harting

Wenn der dreifache Weltmeister sagt, dass er seine Leistungen sauber erbringe, dann glaube ich ihm, wie ich allen geglaubt habe, die das versichert haben. Doch mein Glaube wurde in den letzten 40 Jahren immer wieder erschüttert.

Wenn Robert Harting den allgemeinen Verdacht, der – auch – die Spitzenleistungen der Leichtathletik betrifft, als „eine massive Beleidigung meiner Arbeit“, sieht, muss ihm gesagt werden, dass genau seine Disziplin einen wesentlichen Beitrag zu diesem Generalverdacht beigetragen hat.

Der Olympiasieger von 1984, Rolf Danneberg, hatte eine sehr dezidierte Haltung zu Doping. Eine seiner zurückhaltendsten Äußerungen war, er könne an der derzeitigen Praxis nichts Schlechtes finden, weil es alle machten.

Sein Nachfolger von 1988, Olympiasieger Jürgen Schult, hält bis heute den Weltrekord mit 74,08m und ist seit 2001 Diskus-Bundestrainer des DLV, sei 2011 Leitender Bundestrainer für die Wurf- und Stoßdisziplinen. Unterlagen aus der NVA-Akademie in Bad Saarow schreiben ihm wie vielen anderen DDR-Athleten eine umfangreiche Dopingpraxis zu, die er bis heute bestreitet, obwohl ihm Einsicht gewährt wurde.

Der sechsfache DLV-Meister Hein Diereck Neu gestand dieser Tage eine jahrelange Dopingkarriere unter dem damaligen DLV-Trainer Steinmetz. Genau den hatte Alwin Wagner, ein weiterer DLV-Werfer der Spitzenklasse, schon 1990 beschuldigt, Dopingmittel verteilt zu haben.

Früherer Diskus-Meister Neu spricht offen über Doping – Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu. (SZ 08.08.2013)

Ende 1991 wurde Steinmetz von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.“ (Wagner/Steinmetz)

Als sein langjähriger Widersacher Alwin Wagner 1990 die jahrzehntelang geduldete Dopingpraxis auch unter westdeutschen Leichtathleten offenlegte und DLV-Trainer Steinmetz beschuldigte, Dopingmittel verteilt zu haben, sprach Danneberg – neben seinen deutschen Disziplin-Größen Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker – in einem Brief an den DLV davon, dass sie den Trainer „als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. (NDR – Sport-Legenden 4.12.2012)

Steinmetz war als Heimtrainer von Lars Riedel noch lange Zeit auf DLV-Kosten bei Meisterschaften unterwegs. Das NOK entsandte ihn ‚im Zuge seiner Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas‘ 2006 nach China. (DOSB 29.12.2005).

Es braucht kaum noch die ‚Olympischen Geschichten‘ des ungarischen Spitzenwerfers Robert Fazekas von 2004 bis 2012, um die Gebräuche in dieser Disziplin etwas anrüchig zu finden. Ein Hinweis auf Hartings Trainer Werner Goldmann erübrigt sich auch. Das ist bereits 2009 gelaufen.

Damals war Robert Harting nicht gut beraten bei seinem ‚handfesten‘ Angriff gegen die Doping-Opfer-Hilfe und Ines Geipel. – Offensichtlich hat er daraus nichts gelernt.

Robert Harting hat, wie jeder Athlet heute, einen Vertrauensvorschuss. Den kann man, wie die Geschichte des Diskuswerfens zeigt, verspielen. Erfolge von heute können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.

Zukunft hat der Hochleistungssport nur durch saubere Leistungen heute und eine klare Haltung zu dem, was in den letzten 60 Jahren in Deutschland geschehen ist.

Ich habe niemanden geschadet – das ist kein Sport, keine Haltung – und vor allem kein Vorbild!

Hansjörg Kofink, 18. August 2013

DLV-Trainer Kugel Frauen 1970-1972, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes 1989-1999

26. Juni 2013

Mein Gedenkblatt

zum 30. Jahrestag von Jarmila Kratochvilovas 800-Meter-Weltrekord, zum 25. von Ben Johnsons Olympiasieg und zum 15. des Festina-Skandals der Tour de France.

Et tu, Brute?

Du auch!?, ruft der Sportbegeisterte, wenn er tagtäglich sieht, wie sich die ‚Helden des Sports‘, Olympiasieger, Weltmeister und Tour-de-France-Gewinner mit ihrem Betrug prostituieren.

Es sollen Cäsars letzte Worte gewesen sein, als er unter seinen Mördern seinen (Sports-) Freund Brutus entdeckte. (Die weitere Erklärung von „brutus“ kann hier entfallen, selbst wenn auch sie zutrifft!)

Der Olympische Geist, Banner des Spitzensports, wird gegenwärtig endgültig von seinen ‚vornehmsten‘ Protagonisten in den Dreck gezogen.

Grenzenloses Misstrauen ist das Einzige, was vom ‚Olympischen Ideal‘ des französischen Barons de Coubertin und vom Fair-play der großen britischen Sportnation geblieben ist, als das Allerletzte vom Vorbildcharakter des Sports.

Die Gretchenfrage, wie hältst Du’s mit den Regeln, stellt keiner mehr. Sie stört. Nationalistisches Prestige, hirnlose Gier nach Erfolg, Geld und Macht habe die ‚Werte des Sports‘ gemeuchelt. Und die Politik spielt – volksnah wie immer – mit!

Hansjörk Kofink, 26.07.2013

„Der Sport könnte ein Vorbild sein, wenn er sich selbst und die Verantwortung für seine Spielregeln ernst nimmt. Und da habe ich gemerkt, dass es im Berufssport immer schwieriger wird, vernünftige, humane Ideen umzusetzen.“

Toni Innauer *1958
Skiflugweltrekordler 1976
Olympiasieger 1980
ÖSV-Skisprungdirektor bis 2010

aus einem bemerkenswerten Interview mit Thomas Hahn in der SZ vom 28. 12. 2010

28. Januar 2013

Blick zurück…

wenn großer Rummel über Doping und seine tatsächliche Existenz Überraschung und große Emotionen auf dem Olymp (Rogge) und bei der Sporthilfe (van Almsick) auslöst – vgl Kistner SZ 28.01.13, S. 31 „Eins zu einer Million“ – dann sollte man nicht das eigene Haus vergessen, zumal der heutige Fuentes-Prozess in Spanien sich zunächst einmal gegen die gewonnene Weltmeisterschaft durchsetzen muss.

Die letzte DOSB PRESSE 4-2013 vom 22.01.13 schaute in das Jahr 1991 und liefert als Sportpolitisches Dokument – Kein Sieg um jeden Preis – die Empfehlungen der „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ in elf Punkten vom 14. Dezember 1991. (hängt an)

Und die sind lesenswert. Sie sind ein echter Kontrast zum DOSB-Abstimmungsergebnis vom 8. Dezember 2013.

Wie herrlich weit haben wir’s gebracht.

Ich leiste mir heute abend das Stuttgarter Sportgespräch 2013 „Feigenblatt Fair Play“ mit Prof. Gebauer, Prof. N. Müller, DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock u.a.m. mit Moderator Eike Schulz vom ZDF. Veranstaltet wird das wie schon seit Jahren von den Kanzleien Wüterich Breucker und Lengerke Thumm mit ihrer ‚Kooperation Sportrecht‘.

Vielleicht gibt’s was Neues!? Immerhin, so hört man, habe es eine Promotion über ‚Sportbetrug‘ gegeben.

Medienträchtig und öffentlichkeitswirksam wäre ein Vergleich der Richthofenschen Empfehlungen mit den Erfahrungen des Sportjahres 2013 (und natürlich der Zeit davor!)

Der DOSB macht’s ja möglich.

Was sich in vierzig Jahren getan hat, ist eigentlich unvorstellbar. Der Spitzensport in Deutschland heute ist das Erbe, das aus dem GAU der Vereinigung des Staatssports der Deutschen Demokratischen Republik mit dem ‚freien Sport‘ der Bundesrepublik Deutschland in den Wendejahren 1989 bis 1993 entstanden ist. Das Sportjahr 2012 fokussiert diese Entwicklung:

– Die Verantwortlichen des Sports verändern Regeln unter dem Druck von Ereignissen

– Sport als Wirtschaftsfaktor soll seine aktuelle Erscheinungsform legitimieren

– Erfolge im Spitzensport werden zu Ikonen der Nation stilisiert

– Finanzen vom Staat und schulische Talentsuche werden dazu angemahnt

– Es gibt keine gemeinsame Dopingbekämpfung von Sportrecht und öffentlichem Recht

– Der deutsche Sport ist nicht in der Lage seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten.

Und am Ende dieses erstaunlichen Jahres lehnt mit einer unfassbaren Mehrheit von 94% (!) das Parlament der größten NGO Deutschlands, des freien und souveränen Deutschen Olympischen Sportbundes, den Antrag ab:

– Die Finanzmittel der Nada von 500 000€ auf 1 000 000€ zu erhöhen

– Strafverschärfungen im Bereich der Drogenkriminalität vom Staat zu fordern

Mit diesem Sport ist kein Staat zu machen.

Januar 2013

1972 – 2012 Eine persönliche Bilanz

Im August 1972 habe ich als verantwortlicher Bundestrainer das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) und den Deutschen Leichtathletikverband (DLV) damit konfrontiert, was die Nichtnominierung der drei DLV-Kugelstoßerinnen – alle mit Olympianorm – für die Olympischen Spiele in München, also im eigenen Land, bedeutet:

… Sie liquidieren damit eine Disziplin der Frauen-Leichtathletik in unserem Land, die sich aus guten Gründen gegen den sich seit Jahren immer mehr verbreitenden Anabolika-Mißbrauch gestemmt hat!

Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß dieser, Ihr Beschluß als eine de-facto-Zustimmung zur Verwendung von Anabolika auch im Frauensport gedeutet wird und Sie werden die Verantwortung dafür zu tragen haben, wenn der von Sportärzten mehrfach beklagte Anabolikamißbrauch in der Jugend-Leichtathletik im DLV-Bereich von nun an auch auf die Mädchen übergreifen wird! …

Von März bis zu den Olympischen Spielen in London im Juli 2012 haben Claudia Lepping und ich im Namen von prominenten Dopinggegnern fünf ‚Offene Briefe‘ zur aktuellen und zur grundsätzlichen Doping-Situation im Land an Politik, Sport und die Medien verschickt, alle mit der Präambel:

Es reicht.

Seit Jahrzehnten beißen konsequente Doping-Gegner bei Sportorganisationen und nationalen Regierungen auf Granit. Weil es dort um den nationalen Erfolg im internationalen Kräftemessen geht, gilt unausweichlich: Das System duldet Doping, aber keinen Dopingfall. Wir wiederum dulden das nicht mehr. Dem Eindruck, dass sich die Sportverbände aus Ost- und Westdeutschland zusammengefunden haben, auch um das Dopingsystem zu perfektionieren, wollen wir Dopinggegner mit vereinten Kräften entgegen treten. Wir fordern von Politik und Sport ein konsequentes und glaubwürdiges Eintreten für einen sauberen Sport.

Was sich in vierzig Jahren getan hat, ist eigentlich unvorstellbar. Der Spitzensport in Deutschland heute ist das Erbe, das aus dem GAU der Vereinigung des Staatssports der Deutschen Demokratischen Republik mit dem ‚freien Sport‘ der Bundesrepublik Deutschland in den Wendejahren 1989 bis 1993 entstanden ist. Das Sportjahr 2012 fokussiert diese Entwicklung:

– Die Verantwortlichen des Sports verändern Regeln unter dem Druck von Ereignissen

– Sport als Wirtschaftsfaktor soll seine aktuelle Erscheinungsform legitimieren

– Erfolge im Spitzensport werden zu Ikonen der Nation stilisiert

– Finanzen vom Staat und schulische Talentsuche werden dazu angemahnt

– Es gibt keine gemeinsame Dopingbekämpfung von Sportrecht und öffentlichem Recht

– Der deutsche Sport ist nicht in der Lage seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten.

Und am Ende dieses erstaunlichen Jahres lehnt mit einer unfassbaren Mehrheit von 94% (!) das Parlament der größten NGO Deutschlands, des freien und souveränen Deutschen Olympischen Sportbundes, den Antrag ab:

– Die Finanzmittel der Nada von 500 000€ auf 1 000 000€ zu erhöhen

– Strafverschärfungen im Bereich der Drogenkriminalität vom Staat zu fordern

Mit diesem Sport ist kein Staat zu machen.

Hansjörg Kofink Januar 2013

Kofink /DSLV

2013-2018 Kofink: Kommentare/ Meinungen

Kofink: Offener Brief an Hörmann, Prokop, Freitag 22.4.2017

Kofink: Sport, 2017

Kofink/Lepping: Dopingforschung, PM 31.7.2013

Kofink: Doping-Opfer-Rente – Briefe 5.2013

Kofink: Wie ich gelernt habe, mich zu wehren, 2009

Schriftwechsel 2009 H. Kofink mit DLV und DOSB

Kofink: Antwort auf Walter Tröger, 7.4.2009

Kofink: Olympische Idee ist tod, 2008

Doping wird gelernt. 11.2007

Kofink: Werte des Sports, 2007

Kofink: Gedopt?…Erledigt! 2007

Kofink: Sportsommer 2006

Kofink: Schulsport – Nachwuchsförderung für die Leistungsspitze? 1993

Kofink: Vorbild Olympia 1988, 10.1988

Schriftwechsel 1972 H. Kofink mit DLV und NOK

DSLV, Resolution Kinderdoping SU 43/1994

DSLV, Doping Spitzensport SU 8/1994

DSLV, DSV: Kontroverse um dopingbelastete Trainer 1993

DSLV, DLV: Einstellung dopingbelasteter DDR-Trainer 1993

DSLV, Kofink Hollmann SU 11/1991

DSLV, Worauf warten wir noch? 2.11.1991

DSLV, Reaktion Testosteronforschung 11.1991

DSLV, Doping Hochleistungssport SU 10/1991

BRD / DDR – Vergangenheit

2013 Hansjörg Kofink: Gedanken, Meinungen, Kommentare

Dezember 2013

Sport, Staat, Doping

Das Anabolikaverbot war die Verbots-Regel eines internationalen Sportfachverbands – IAAF, Mai 1970 – die für alle Leichtathletikverbände weltweit Gültigkeit hatte.

1974 übernahm das IOC das Anabolika-Verbot, gültig von nun an für alle ‚olympischen Fachverbände‘.

Der Fachverband war ab sofort zuständig für die Überprüfung der Einhaltung des Verbots und im Falle seiner Übertretung für die Sanktionierung des Täters.

Der Fachverband als Monopolist einer Sportart ist zuständig für die Auswahl seiner Mitglieder für nationale und internationale Meisterschaften. Die dazu notwendigen Finanzmittel stellt der Staat zur Verfügung. Für den internationalen Bereich sind das Bundesmittel, die jeder öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle entzogen sind.

Daraus entsteht ein Wettbewerb aller Fachverbände untereinander. Es ist naheliegend, dass sowohl der Geldgeber wie auch die Geldempfänger nach einem für alle Beteiligten überzeugenden Verfahren suchen: go for gold.

Damit verliert der einzelne Fachverband seine Unabhängigkeit bei der Auswahl seiner Wettbewerber für internationale Meisterschaften. Diese stehen unter dem Druck der „Endkampfchance“, um sich selbst und damit ihrem Verband weiterhin die Alimentierung durch den Staat zu sichern.

Der Sportart-Monopolist muss nun gleichzeitig erstklassige Leistungen liefern, Dopingproben veranlassen, und sie gegebenenfalls sanktionieren. Dabei steht er in Konkurrenz zu jedem anderen Fachverband.

Beteiligt an der Leistung des Wettbewerbers sind Trainer, Ärzte und Funktionäre.

Beteiligt an der Einhaltung des Dopingverbots sind Ärzte, Trainer und Funktionäre.

Wenn nun Staat und Politik glauben, ihre eigene Reputation von Sporterfolgen abhängig machen zu müssen, dann ist das Szenario komplett, das die Doping-Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ erhellen sollte.

Und das Urteil ist entsprechend:

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an.

Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können. Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein „Staatsdoping“ ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung. (1)

Ob Sport und Politik in Deutschland heute den Willen und die Kraft haben werden, um die nachstehenden Vorstellungen der Forscher in ihrer zukünftigen Zusammenarbeit zu berücksichtigen, bleibt unter den gegenwärtigen Umständen und den Erfahrungen der letzten 20 Jahre abzuwarten.

Um die Wende zu einer Re-Humanisierung des Sports einleiten zu können, die zugleich eine Voraussetzung für den Erfolg Doping-präventiver Maßnahmen im Sport sind, muss zunächst eine offene sportpolitische Diskussion über die Frage geführt werden, welche leistungssportlichen Ziele Staat und Gesellschaft, Parlament, Regierung und der organisierte Sport, aber auch die Medien in Deutschland mit welchen Methoden erreichen möchten und wie ein solcher Sport finanziert sein soll. Zum Schutz der Athleten, aber auch der Zuschauer und Steuerzahler, die den Spitzensport mit finanzieren, ist nur ein Spitzensport zu verantworten und mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, der ohne Betrug und Doping möglich ist und organisiert wird. Nur bei einer breiten Verständigung über diese Fragen wird sich das Misstrauen gegenüber einem Sport, dessen größtes Kapital letztlich das Vertrauen ist, welches ihm Politik, Öffentlichkeit und die Aktiven selbst entgegen bringen, abbauen lassen. (2)

Der Staatssport der DDR und der Hochleistungssport des ‚freien Sports‘ der Bundesrepublik haben in 30 Jahren ‚Krieg auf der Aschenbahn‘ der Glaubwürdigkeit des Sports einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zugefügt. Spitzensport und Doping sind für Heranwachsende heute die beiden Seiten einer Medaille.

Die fugenlose Vereinigung von Doping Ost mit Doping West wird eines der dunkelsten Kapitel des deutschen Sports im zwanzigsten Jahrhundert bleiben.

Sport und Doping ist ein Begriffspaar, das heute jedes Kind kennt. Das haben jene verursacht, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert ehrenamtlich und professionell Verantwortung für den Sport getragen haben.

Hansjörg Kofink 12.2013

__________________________________

(1) Dopingskandale in der alten Bundesrepublik Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen 30.5.2012 deutschlandarchiv

(2) Bericht über das Münsteraner Teilprojekt zur Dopinggeschichte in Deutschland

8. Dezember 2013

„Medizinische Hilfen“

Die DDR, die seit Staatsgründung den Erfolg im Sport zur Demonstration der Überlegenheit ihres sozialistischen Staatssystems ausgerufen hatte, machte nach jahrelangen Vorbereitungen 1974 mit dem Staatsplanthema 14.25 die „u.M.“ (=unterstützende Mittel) zur Grundlage internationaler Sporterfolge (1). So steht es in einem der vorbereitenden Trainingspläne. Als ‚Unterstützende Mittel‘, im weiteren nur noch UM genannt, werden in diesem Fall ausschließlich anabole Steroide angesehen (2).

Positive Dopingproben gab es nur eine in all den Jahren, Geständnisse keine, dafür aber Rekorde für die Ewigkeit aus den 80er Jahren, so zum Beispiel – über 104m Speerwerfen bei den Männern, 80m bei den Frauen, im Diskuswerfen 76,80m bei den Frauen, 74,08 bei den Männern – Weltrekorde bis heute.

Die Sportmediziner der DDR, soweit sie sich mit diesem Staatsplanthema einließen, sorgten für zuträgliche, einträgliche Verwendung des Anabolikums Dehydrochlormethyltestosteron ein in den 1960er Jahren im Arzneimittelwerk VEB Jenapharm in der DDR entwickeltes und unter dem Markennamen Oral-Turinabol® vertriebenes Anabolikum (3).

Liest man in der unvollendeten Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ über die enge und offensichtlich auch konspirative Zusammenarbeit von Sportmedizinern und Athlet(inn)en in der BRD, dann bekommen Begriffe wie ‚Substitution‘ und ‚Regeneration‘ ein Eigenleben, das durch zeitgenössische Medienberichte wie Kraft durch Spritzen (4) nachdrücklich belegt wird.

Es ist sicher kein Zufall, dass die staatlich und medizinisch planmäßig eingesetzten „unterstützenden Mittel“ im Spitzensport der DDR, der einfühlsamen ‚Substitution‘ von Sportärzten in der BRD in von ihnen indizierten ‚Fällen‘ im Endeffekt durchaus ähneln, nicht nur der sprachlichen Verwandtschaft wegen. Außerdem hatten die Experten beider Lager auch während des ‚Kalten Krieges‘ international immer wieder fachlichen Kontakt.

Es war ein kleiner, aber prominenter und sehr einflussreicher Teil der Sportmedizin, der sich um Doping in Deutschland Ost und West verdient gemacht hat.

Hansjörg Kofink 8.12.13

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(1) Analyse des Einsatzes unterstützender Mittel in den leichtathletischen Wurf- und Stoßdisziplinen und Versuch trainingsmethodischer Ableitungen und Verallgemeinerungen, DVfL – WZ – Sektor Wurf und Stoß, Juni 1973 Dr. Bauersfeld, J. Olek

(2) Fußnote 1 auf Seite 3

(3) de.wikipedia.org/wiki/Dehydrochlormethyltestosteron

(4) Kraft durch Spritzen, Der Spiegel 36/1976, 30. 06. 1976

10. November 2013

„Sportrecht“

Das Haus des Sports und das Dopingverbot

Die Institution ‚Sport‘, der Deutsche Olympische Sportbund und alle Sportfachverbände bewohnen ein eigenes Haus in der Bundesrepublik Deutschland. Die NGO (non-governmental-organization) ist autonom und damit in ihren Entscheidungen unabhängig. Diese Gliederung wiederholt sich auf Länderebene und auf weiteren Ebenen darunter. Die Kommunikation in diesem Gebilde regeln die Gremien des Sports autonom und selbstverantwortlich.

Non-governmental organizations (NGOs) are legally constituted corporations created by natural or legal people that operate independently from any form of government.

Wichtig ist hierbei, dass der DOSB und die Fachverbände nebeneinander agieren. „Weder der DOSB noch der damalige Deutsche Sportbund nehmen allerdings eine Wächterfunktion im freiheitlichen Sportsystem ein. Es ist folglich nicht möglich, der evtl. Nichtbefolgung einer Empfehlung Sanktionen hinterherzuschicken“ (1).

Das bedeutet, dass jeder einzelne Sportfachverband ebenfalls Herr im eigenen Haus ist. Er legt die Regeln fest, regelt ihre Einhaltung und bei Verstößen die von ihm festgelegte Sanktionierung.

Auf diesen Festlegungen beruhen Entscheidungen von Schieds- und Kampfrichtern, wenn beim Fußballspiel dem Gegner in die Beine getreten oder bei einem 100m-Lauf zu früh gestartet worden ist.

Die ‚Tatsachenentscheidung‘ ist die Basis für das ‚Sportrecht‘ der Fachverbände: eine schnelle unabhängige Sanktionierung von Regelverstößen, um den Wettbewerb sofort fortsetzen zu können.

Auch das Anabolikaverbot der IAAF vom 14. Mai 1970 in Amsterdam ist eine Regel, aufgestellt von einem Fachverband.

Doch der Verstoß gegen diese Regel und ihre Sanktionierung braucht Experten, die nur in räumlicher und zeitlicher Distanz zum Wettkampfort agieren können. Eine sofortige Sanktionierung ist nicht mehr möglich:

Nur eine positive Dopingprobe oder ein Geständnis manifestieren den Regelverstoß und veranlassen die Sanktionierung durch ein Verbandsgericht des Fachsportverbandes.

Wie kann man hiermit gegen Mittäter, Ärzte, Funktionäre, Trainer vorgehen?

Diese Vorgehensweise erfolgt nach dem Hausrecht der Verbände. Die öffentliche Gerichtsbarkeit kann lediglich überprüfen, ob sich der Verband an seine eigenen Regeln gehalten hat.

Eine positive Dopingprobe ist nicht verhandelbar. Die Beweislastumkehr lässt eine Untersuchung des Wie, Wann, Warum nicht zu, da sie den Tatbestand nicht verändert.

Hansjörg Kofink 10.11.13

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(1) Brief des Justitiar des DOSB, Dr. Holger Niese, vom 29. Juni 2009 an mich

27. Oktober

Was nun?

Der deutsche Sport, Deutschland, hat eine unvollendete, zweigeteilte Studie über Doping in Deutschland hinter sich. Der sperrige Titel „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ (1) verspricht Aufarbeitung mit Zukunftswirkung. Herausgekommen ist Streit aus allen und in alle Richtungen und eine Medienhype, wie jüngst Prof. Steinacker in der ‚Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin‘ feststellte.

Wie auch immer, neben 1977 nach den OS von Montreal und der Vereinigung des deutschen Sports aus Ost und West zu Beginn der 90er Jahre zeigten die Monate August und September 2013 ein gewaltiges Medieninteresse am Thema Doping in Deutschland.

Ende Juli veröffentlichten die MAIN POST und die Märkische Oderzeitung Kritik am Verlauf des Forschungsvorhabens mit dem Verweis auf neue Akten und weiterhin Ungeklärtes.

dradio, 6.8.2013:
Barenberg: Wie beurteilen Sie denn, wie Thomas Bach sich äußert, jetzt, wo einige Ergebnisse der Studie jedenfalls öffentlich sind, der Präsident des DOSB – er ist seit Jahrzehnten dabei: zunächst als Athlet, jetzt als Funktionär seit vielen Jahren -, dass er sagt, er hat gar nichts mitbekommen von diesen ganzen Zusammenhängen, von denen Sie sprechen?

Kofink: Ich glaube ihm kein einziges Wort! Wer 1976 Olympiasieger war und erlebt hat, welche Wogen in der öffentlichen Berichterstattung Doping 1977 Montreal ausgelöst hat, wer 1980 Sprecher der Athleten war, mit dem Bundeskanzler verhandelt hat, ob man nach Moskau fährt oder nicht – dabei ist er unterlegen -, wenn der das nicht gewusst hat, dann hat er ein gespaltenes Bewusstsein.

Prominente Zeitzeugen

Interessanter als manche Inhalte in der Studie waren viele Veröffentlichungen über und von Zeitzeugen. Die prominenteste und mehrfach veränderte kam vom jetzigen IOC-Präsidenten Bach, der als Olympiasieger von 1976 nichts von Doping mitbekommen habe – im Fechten, wie er später modifizierte. Er bekam heftiges Kontra von der Sprecherin des Olympischen Eides von München, Heidi Schüller. Sehr verwunderlich ist auch das Erstaunen von Spitzenfunktionären wie Clemens Prokop über das Ausmaß von Doping im Westen, immerhin sind sie ja im autonomen Sport der Bundesrepublik die Instanz, bei der das gesamte Dopinggeschehen zusammen läuft. Selbst der Sportausschuss und seine Vorsitzende Dagmar Freitag, Vizepräsidentin des DLV, kritisierte, die veröffentlichte Minimalversion des Berichts werfe mehr Fragen auf als sie Antworten gebe. Sie sprach von einem Bericht, „der von Auslassungen und Platzhaltern wie N.N. dominiert wird“ (2).

Besondere Beachtung verdienen die Aussagen prominenter Zeitzeugen. So berichteten die 4x100m-Olympiasiegerinnen von München, Heide Ecker-Rosendahl (3) und Ingrid Mickler-Becker durchaus Unterschiedliches.

„Ich muss sagen, ich finde das alles ganz spannend, jetzt einmal Dinge zu hören, von denen ich vorher nie gehört hatte. … Ich habe nie von systematischem Doping in meiner Zeit gehört. Man hat munkeln gehört, dass es irgendetwas gibt … Ich habe 1972 aufgehört, und danach hat man sich häufiger gefragt, ob die irgendetwas mit Mitteln machen, die nicht erlaubt sind. Aber ich kann nicht sagen, dass da systematisch ausprobiert wurde, um vielleicht Aufbaumittel wie Steroide einzusetzen. Das habe ich aus späteren Zeiten gehört, aber nie zu dieser Zeit,“ berichtete Heide Ecker-Rosendahl dem WDR.

Ingrid Mickler-Becker, ebenfalls Mitglied der Goldmedaillen-Staffel von 1972, Olympiateilnehmerin von 1960, 1964 und Olympiasiegerin von 1968, hatte schon 1964 bei Kolleginnen der DDR ‚die kleinen Blauen‘ gesehen. Auf die Frage, „Würden Sie für die anderen Mitglieder der Frauenmannschaft ihre Hand ins Feuer legen, dass sie nicht gedopt waren?“ antwortete Ingrid Mickler, „Ich würde für keinen im Sport die Hand ins Feuer legen außer für meine Freundin Helga Hoffmann. Das heißt aber nicht, dass ich irgendjemand anderem etwas unterstelle.“ Und auch der folgende Frage-Antwort-Wechsel macht nachdenklich: „Gibt es Indizien, die einen Verdacht gegenüber Kolleginnen haben wachsen lassen?“ „Darüber möchte ich keine Aussage machen.“ (4)

Dafür lässt Hein Diereck Neu, der beste Diskuswerfer des DLV, keinerlei Zweifel aufkommen:

«Praktisch jeder von uns Werfern, der sportlich weiterkommen wollte, hat damals mehr oder weniger regelmäßig zu Anabolika gegriffen oder es zumindest einmal probiert. Einige haben es nicht vertragen und wieder abgesetzt. Ich hatte damit keine Probleme», erklärte der heute 69-Jährige in einem Interview des «Wiesbadener Kurier». Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu (5).

Weitere Interviews mit Spitzenathlet(inn)en der 70 Jahre im August und September bestätigen das kontroverse Bild vom Doping im Westen in jener Zeit, wobei auffällt, dass nur sehr wenige Trainer und so gut wie keine Funktionäre sich äußern, vielleicht auch nicht gefragt wurden.

Vernichtendes Urteil

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an. Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können.

Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein „Staatsdoping“ ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung. (6)

Diese Zusammenfassung des Artikels‚ Dopingskandale der alten Bundesrepublik‘ von der Forschergruppe der Universität Münster im Mai 2012 ist ein Urteil, das an den Grundfesten der Struktur des freien Sports in Deutschland rüttelt.

An ihm werden wohl weder der DOSB, noch die Sportpolitik und auch nicht die Sportmedizin vorbeikommen.

Wenn der Deutsche Olympische Sportbund zum Ende dieses Jahres Entscheidungen für seine Zukunft trifft, wird er sich mit der 2009 initiierten aber immer noch unvollendeten Doping-Forschung und deren Folgen intensiver befassen müssen, als das im Beschluss der Präsidiums am 16. Juli dieses Jahres geschehen ist (7).

Hansjörg Kofink, 27. Oktober 2013

_________________________________

1) „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ Forschungsprojekt 2009-2012 initiiert durch den DOSB, beauftragt und gefördert durch das BISp

2) FAZ, 6.8.2013

3) WDR 2 26.08.2013

4) Der Tagesspiegel, 02.09.13

5) Wiesbadener Kurier, 08.08.2013

6) Dopingskandale in der alten Bundesrepublik, Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen, bpb 30.05.12, Deutschland-Archiv

7) BESCHLUSS DER 59. SITZUNG DES DOSB-PRÄSIDIUMS AM 16. JULI 2013 – FORSCHUNGSPROJEKT „DOPING IN DEUTSCHLAND“

September 2013

Spitzensport in Deutschland 2013 verbreitet Misstrauen. Athleten misstrauen sich gegenseitig, Zuschauer haben Zweifel an Rekorden aus der Vergangenheit. Leistungen von heute stehen unter Generalverdacht.

Dopingmeldungen gehören zum Alltag des Spitzensports. Doping und Sport vereint seit langem eine kriminelle Allianz. Statt Vorbild für die Jugend zu sein, untergräbt der Spitzensport seit einem halben Jahrhundert die Fundamente des Sports: Fair Play, den ‚Olympischen Geist‘ und Regeln, die sportlichen Wettkampf erst möglich machen.

Er beschädigt nicht nur das Vertrauen unserer Gesellschaft in das ‚Haus des Sports‘, er produziert fortlaufend physische und psychische Opfer aktuell und langfristig.

Die Vereinigung der Sportsysteme Ost und West 1990 haben die Schäden beider Systeme unter der ausschließlichen Verantwortung des autonomen Sports begraben und damit für alle Zukunft fortgeschrieben. Der notwendige Bruch mit der Dopingrepublik Deutschland ist ausgeblieben. Der Sport hat sich im Bereich des Spitzensports zur Event- und Geldmaschine degradiert. Für nachwachsende Generationen sind Wettkampf und Spiel nicht mehr Entwicklung des persönlichen Talents sondern deren Vergesellschaftung. Die Vorbildwirkung des Spitzensports besteht für sie im Herandopen an tolerable Grenzwerte und im rechtzeitigen Absetzen verbotener Substanzen.

Sehr geehrte Abgeordnete, diese Pervertierung der ‚Werte des Sports‘ geschieht seit Jahren vor Ihren Augen, sie lebt von ihrer bona-fide-Finanzierung bis heute. Und das obwohl die Medien umfangreich und regelmäßig über Doping, Sportbetrug und Korruption im Sport berichten und Ausschüsse des deutschen Bundestages 1977, 1987 und zu Beginn der neunziger Jahre diesen Sachstand ausführlich und flächendeckend verbreitet und diskutiert haben.

dradio, 6.8.2013:
Barenberg: Zum Schluss, Herr Kofink, die Frage. Sie machen ja keinen Hehl aus Ihrer Skepsis. Dennoch die Frage: Ist das jetzt, die Studie und die Debatte, die das jetzt möglicherweise auch auslöst, eine Chance für einen Neuanfang?

Kofink: Das ist es mit Sicherheit wieder. Es ist vor allem eine viel größere Chance, das Misstrauen, das über diesem Spitzensport und vor allem über seinen Veranstaltern liegt, vielen, vielen Menschen in der Republik noch deutlicher zu machen, und das Entscheidende ist, dass diese Menschen sehen, was hier geschieht, und dann selber entscheiden, vor allem die jungen Menschen, will ich da mitmachen, will ich das noch sehen, oder gehe ich lieber in den Zirkus.

Am 2. September 2013 tagte der Sportausschuss des deutschen Bundestages in einer Sondersitzung. Ihre Vertreter wollten und sollten sich über das Desaster des unvollendeten Forschungsprojekts „Doping in Deutschland aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ äußern. Staatlich gefördertes Doping im Westen war eine der Kernaussagen.

Der anwesende Innenminister Friedrich hatte dazu nichts zu sagen, er ließ die Doping-Debatte durch sein Desinteresse versanden. Die Vertreter der Regierungskoalition beschlossen die Redezeiten und beschworen das Mantra vom sauberen Sport.

Diese Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages hat, sehr geehrte Abgeordnete, die Glaubwürdigkeit dieser Republik in Sachen Sport erschüttert, sie hat die politische Integrität in Sachen Spitzensport zerstört. Wir glauben Ihnen nicht mehr, und wir zählen nicht mehr auf sie im Kampf gegen verantwortungslose Funktionäre des Spitzensports in Deutschland.

Nach einem bis dahin unvorstellbaren Medienecho auf Dopingvorwürfe bei den Olympischen Spielen 1976 reagierte der Deutsche Sportbund mit einer ‚Grundsatzerklärung für den Spitzensport‘, in der neben anderem festgehalten wurde:

„Der Spitzensport hat öffentlichen Charakter. Deshalb verantworten auch Staat und Gesellschaft (Bund, Länder und Kommunen, die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Kirchen, die Medien) die Entwicklung des Spitzensports mit. Sie sind aufgerufen, diese Mitverantwortung zu erkennen und auszuüben.“

Was danach folgte ist bekannt. Überlässt die deutsche Politik 2013 erneut eine gegenüber Doping völlig hilflose Führung des autonomen deutschen Sports sich selbst?

Welchen Preis wollen / werden sie dafür bezahlen?

September 2013

Eine halbe Million Euro, ein halbes Dutzend Wissenschaftler aus zwei Universitäten haben nicht ausgereicht, um die Dopingvergangenheit im deutschen Sport seit 1950 zu erforschen.

Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hat in einer bemerkenswerten Sitzung am 2.9.13 dieses Nichtergebnis auf seine Weise fortgeschrieben:

Main Post: Doping in Deutschland: Regierungskoalition hat an Aufarbeitung wenig Interesse

Berl. Z.: Speeddating im Bundestag

die Zeit: Doping-Debatte versandet in unwürdiger Parteipolitik

spiegel-online: Manipulation in Westdeutschland : „Irgendwann ist jede Tasse Kaffee Doping“

SZ: Kabarett im Sportausschuss

n-tv: Friedrich sabotiert den Doping-Gipfel

nd: »Ihre Zeit ist abgelaufen«

Der Spitzensport in Deutschland 2013 ist verunsichert, er treibt Athleten und Zuschauer in den Generalverdacht. Seine einzige Botschaft heute ist: Misstrauen.

Jeder Euro Steuergeld zu viel ist,

– wenn Olympiasiegerinnen von 1972 genauso wie Weltmeisterinnen von 2009 erklären, dass sie für niemanden in Sachen Dopingbetrug die Hand ins Feuer legen,

– wenn Vorbildwirkung des Spitzensports für die nachwachsende Generation im Herandopen an die tolerablen Grenzwerte und im Wissen um das rechtzeitige Absetzen von Dopingmitteln besteht

Es ist Zeit, dass der Staat die Verantwortlichen des autonomen Sports auf die Grundsatzerklärung für den Spitzensport vom 11.06.1977 verweist:

6. Der Spitzensport hat öffentlichen Charakter. Deshalb verantworten auch Staat und Gesellschaft (Bund, Länder und Kommunen, die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Kirchen, die Medien) die Entwicklung des Spitzensports mit. Sie sind aufgerufen, diese Mitverantwortung zu erkennen und auszuüben.

Das zu vermitteln ist der Politik weder 1977 noch 1987 nach umfangreichen Anhörungen im Sportausschuss gelungen, wie Kritik aus jener Zeit belegt:

Dr. W. Hollmann wird in der FAZ am 7. Mai 1977 wie folgt zitiert: „Die Anti-Doping-Erklärung von Willi Weyer und Willi Daume, bei aller persönlichen Wertschätzung vor beiden Männern, ist von rührend anmutendem Niveau. Ihr Verhalten gleicht dem Ingenieur, der einen Mondflug vorbereitet und sich dabei der Materialien von Peterchens Mondfahrt bedient.“

Die Zeit schreibt am 11.11.1977: „Das Vorhaben des Deutschen Sportbundes (DSB), der medizinischen, pharmakologischen und technischen Manipulation durch eine Anti-Doping-Charta zu begegnen, ist zwangsläufig so lange ein Versuch am untauglichen Objekt, wie der Wille und die Möglichkeit zu steter Kontrolle fehlen. Hatte DSB-Präsident Willi Weyer noch Anfang des Jahres lautstark und entschieden für „Kontrollen auch auf unterster Ebene“ plädiert, so sprach, sich jüngst, knapp vier Monate nach Verabschiedung der Charta, die wissenschaftliche Kommission des Bundesausschusses für Leistungssport während einer Tagung in Beckstein (Taunus) „gegen alle etwaigen Kontrollmaßnahmen beim Training der Spitzensportler“ aus.“

In diesem Geist von 1977 vollzog der Spitzensport WEST die Vereinigung mit dem Spitzensport OST 1990/91:

… Wir haben bis 1990 in der DDR als hauptamtliche Trainer im Spitzensport gearbeitet. …

Das Sportsystem der DDR war durch eine straffe Hierarchie gekennzeichnet, unser Arbeitsgebiet durch eindeutige Dienstanweisungen klar geregelt.

Wir waren im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Doping-mittel) beteiligt. Uns war bekannt, dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert. Bei einer Weigerung, diese Mittel weiterzugeben, hätten uns der Ausschluss aus dem Leistungssport und damit erhebliche berufliche Nachteile gedroht.

und beide haben damit in bis dahin unvorstellbarer Weise die Fundamente des Sports, das Fair Play, den ‚Olympischen Geist‘ und die vom Sport selbst gesetzten Regeln beschädigt.

Die Politik, finanziell zuständig für den Spitzensport, sah zu und zahlte. Bis heute hält sie diese Zahlungen (Zielvereinbarungen) selbst gegenüber dem Rechnungshof geheim.

Wie obskur die Haltung der Politik zum Spitzensport heute ist, lässt sich aus der Antwort des Sportsprechers der CDU/CSU, Klaus Riegert, zu den in die öffentliche Diskussion geratenen ‚Zielvereinbarungen‘ entnehmen:

… „Angemerkt sei, dass die künftige Offenlegung von Einzelmaßnahmen und Förderstrategien die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Athleten und Athletinnen schwächt. Eine

strategische Ausrichtung ausländischer Olympiamannschaften an nationalen

Förderinitiativen ist somit möglich, was die sachgemäße und zielgerichtete

Verwendung von Förder- und letztlich Steuergeldern z.T. in Frage stellt. …“

Was ist das für eine Auffassung von Spitzensport? Ist das die Haltung der Männer und Frauen, die sich in wenigen Tagen in den Bundestag wählen lassen wollen?

Wir wollen das wissen!

23. August 2013

FAZ, 4.8.2013:
Kofink: es gibt vor allem kein Vertrauen mehr. Athleten wie die Speerwerferin Steffi Nerius beenden ihre Karriere mit den Worten: ,Ich traue keinem, auch keinem aus der eigenen Mannschaft‘. Beschreibt das nicht den desolaten Zustand? Heute, zwanzig Jahre nach der Vereinigung, vierzig Jahre nach München, beklagen sich Spitzenathleten über den Druck und ihre Nöte. Eine Studie der Stiftung Deutsche Sporthilfe hat das belegt.

Was müsste also geschehen?
Kofink: Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist keine Garantie für einen Neuanfang. Auch die Änderung der Strukturen reichte nicht, denn die Personen sind letztlich entscheidend. Bis heute sind noch ehemalige Doper im Spitzensport aktiv, sei es als Funktionäre oder Betreuer. Die müssten weg. Eigentlich ist ein Neuanfang nur möglich mit Funktionären unter fünfzig Jahren. Aber das ist wohl kaum umsetzbar. Es fehlen mir die großen Menschen, die den Willen und die Kraft dazu haben.

Generalverdacht

Jens Knipphals, ein Spitzenleichtathlet von gestern, Deutscher Meister im Weitsprung 1979 und 1980, fühlt sich „erneut von Politik und Sportfunktionären im Stich gelassen“, wenn es um den Generalverdacht geht, der heute auf dem Spitzensport, insbesondere auf der Leichtathletik lastet.

Robert Harting, Spitzenleichtathlet von heute, dreifacher Weltmeister und Olympiasieger im Diskuswerfen, sieht diesen Verdacht als „eine massive Beleidigung meiner Arbeit“ und scheut sich nicht, einen ‚handfesten‘ Angriff gegen die Doping-Opfer-Hilfe und Ines Geipel zu fahren wie schon 2009.

Woher kommt dieser Generalverdacht? Doping kann nur durch eine positive Dopingprobe oder ein Geständnis konstatiert werden.

In 40 Jahren gab es in der DDR nur 2(!) positive Dopingproben. Marion Jones, Lance Armstrong und viele andere können bis zu einhundert negative Dopingproben nachweisen, ehe sie – zufällig – erwischt wurden.

Wie bekämpft man heute Doping? Der Spitzensportverband, z.B. der DLV, veranlasst Dopingproben; stellt Doping fest, entscheidet über die Veröffentlichung und letztendlich über Art und Umfang der Sanktion. Danach kann das Spiel von vorne beginnen.

Schon für München 1972 versagte der DLV seinen drei Kugelstoßerinnen mangels Endkampfchance die Teilnahme. Für Montreal 1976 lagen die DLV-Normen für die Teilnahme erheblich höher als die IOC-Normen. Prominentestes Opfer war die ehemalige Weltrekordlerin Liesel Westermann, der das die Teilnahme kostete. Gerhard Steines, mehrfacher Deutscher Meister im Kugelstoßen der 70er Jahre hat das in seinen bemerkenswerten Erinnerungen ‚Sport-Leben‘ drastisch beschrieben.

So entstand der Druck, der freie Athleten im ‚freien Sport‘ der freien Bundesrepublik zur freien und persönlichen Entscheidung zum Dopen brachte.

Dass die Dinge in der DDR anders lagen ist bekannt und unmissverständlich dokumentiert.

Die Vereinigung des Sports Anfang der 90 Jahre kehrte die Doping-Vergangenheit Ost und West unter den Teppich. Dass das keine Bewältigung der Vergangenheit war, zeigen Reaktionen bei allen Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften bis heute.

Deutschland hat damit das denkbar schlechteste Beispiel weltweit zur Dopingbekämpfung gegeben: Die Funktionäre der Spitzenverbände haben jede Offenlegung mit allen Mitteln verhindert, die Politik, das Bundesinnenministerium und das Parlament haben zwar Mittelstreichungen angedroht, aber nicht eine einzige realisiert.

Das registrierte die gesamte Welt des Sports, das IOC und alle internationalen Spitzenverbänden.

Wie Generalverdacht entsteht zeigt das Beispiel Diskuswerfen, die Disziplin Robert Hartings.

Der Olympiasieger von 1984, Rolf Danneberg, hatte eine sehr dezidierte Haltung zu Doping. Eine seiner zurückhaltendsten Äußerungen war, er könne an der derzeitigen Praxis nichts Schlechtes finden, weil es alle machten.

Sein Nachfolger von 1988, Olympiasieger Jürgen Schult, hält bis heute den Weltrekord mit 74,08m und ist seit 2001 Diskus-Bundestrainer des DLV, sei 2011 Leitender Bundestrainer für die Wurf- und Stoßdisziplinen. Unterlagen aus der NVA-Akademie in Bad Saarow schreiben ihm wie vielen anderen DDR-Athleten eine umfangreiche Dopingpraxis zu, die er bis heute bestreitet, obwohl ihm Einsicht gewährt wurde.

Der sechsfache DLV-Meister Hein Diereck Neu gestand dieser Tage eine jahrelange Dopingkarriere unter dem damaligen DLV-Trainer Steinmetz. Genau den hatte Alwin Wagner, ein weiterer DLV-Werfer der Spitzenklasse, schon 1990 beschuldigt, Dopingmittel verteilt zu haben.

Früherer Diskus-Meister Neu spricht offen über Doping – Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu. (SZ 08.08.2013)

Ende 1991 wurde Steinmetz von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.“ (http://www.cycling4fans.de/index.php?id=4597)

Als sein langjähriger Widersacher Alwin Wagner 1990 die jahrzehntelang geduldete Dopingpraxis auch unter westdeutschen Leichtathleten offenlegte und DLV-Trainer Steinmetz beschuldigte, Dopingmittel verteilt zu haben, sprach Danneberg – neben seinen deutschen Disziplin-Größen Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker – in einem Brief an den DLV davon, dass sie den Trainer „als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. (NDR – Sport-Legenden 4.12.2012)

Steinmetz war als Heimtrainer von Lars Riedel noch lange Zeit auf DLV-Kosten bei Meisterschaften unterwegs. Das NOK entsandte ihn ‚im Zuge seiner Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas‘ 2006 nach China. (DOSB 29.12.2005).

Es braucht kaum noch die ‚Olympischen Geschichten‘ des ungarischen Spitzenwerfers Robert Fazekas von 2004 bis 2012, um die Gebräuche in dieser Disziplin etwas anrüchig zu finden. Ein Hinweis auf Hartings Trainer Werner Goldmann erübrigt sich auch. Das ist bereits 2009 gelaufen.

Generalverdacht entsteht immer dann, wenn Vergangenheit nicht bewältigt sondern vertuscht wird. Sie trifft alle, die Athleten, die Funktionäre, den Wettkampfsport, aber auch die verdeckte Finanzierung durch die Politik und eine Ärzteschaft, die ‚Substitution‘ und das ‚Therapiefenster‘ ins Spiel bringt.

Es gibt in Deutschland viele Spitzenathlet(inn)en in Ost und West, die nicht gedopt haben, nicht im Rampenlicht standen. Der Generalverdacht deckt den Betrug ihrer „erfolgreicheren“ Kolleg(inn)en.

Dank deswegen an Hein-Diereck Neu für sein Geständnis. Es fehlen noch viele, die bis heute kommenden Generationen diesen Generalverdacht hinterlassen, einen Spitzensport im Betrug.

Hansjörg Kofink, 23. August 2013

DLV-Trainer Kugel Frauen 1970-1972, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes 1989-1999

18. August

An Robert Harting

Wenn der dreifache Weltmeister sagt, dass er seine Leistungen sauber erbringe, dann glaube ich ihm, wie ich allen geglaubt habe, die das versichert haben. Doch mein Glaube wurde in den letzten 40 Jahren immer wieder erschüttert.

Wenn Robert Harting den allgemeinen Verdacht, der – auch – die Spitzenleistungen der Leichtathletik betrifft, als „eine massive Beleidigung meiner Arbeit“, sieht, muss ihm gesagt werden, dass genau seine Disziplin einen wesentlichen Beitrag zu diesem Generalverdacht beigetragen hat.

Der Olympiasieger von 1984, Rolf Danneberg, hatte eine sehr dezidierte Haltung zu Doping. Eine seiner zurückhaltendsten Äußerungen war, er könne an der derzeitigen Praxis nichts Schlechtes finden, weil es alle machten.

Sein Nachfolger von 1988, Olympiasieger Jürgen Schult, hält bis heute den Weltrekord mit 74,08m und ist seit 2001 Diskus-Bundestrainer des DLV, sei 2011 Leitender Bundestrainer für die Wurf- und Stoßdisziplinen. Unterlagen aus der NVA-Akademie in Bad Saarow schreiben ihm wie vielen anderen DDR-Athleten eine umfangreiche Dopingpraxis zu, die er bis heute bestreitet, obwohl ihm Einsicht gewährt wurde.

Der sechsfache DLV-Meister Hein Diereck Neu gestand dieser Tage eine jahrelange Dopingkarriere unter dem damaligen DLV-Trainer Steinmetz. Genau den hatte Alwin Wagner, ein weiterer DLV-Werfer der Spitzenklasse, schon 1990 beschuldigt, Dopingmittel verteilt zu haben.

Früherer Diskus-Meister Neu spricht offen über Doping – Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu. (SZ 08.08.2013)

Ende 1991 wurde Steinmetz von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.“ (Wagner/Steinmetz)

Als sein langjähriger Widersacher Alwin Wagner 1990 die jahrzehntelang geduldete Dopingpraxis auch unter westdeutschen Leichtathleten offenlegte und DLV-Trainer Steinmetz beschuldigte, Dopingmittel verteilt zu haben, sprach Danneberg – neben seinen deutschen Disziplin-Größen Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker – in einem Brief an den DLV davon, dass sie den Trainer „als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. (NDR – Sport-Legenden 4.12.2012)

Steinmetz war als Heimtrainer von Lars Riedel noch lange Zeit auf DLV-Kosten bei Meisterschaften unterwegs. Das NOK entsandte ihn ‚im Zuge seiner Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas‘ 2006 nach China. (DOSB 29.12.2005).

Es braucht kaum noch die ‚Olympischen Geschichten‘ des ungarischen Spitzenwerfers Robert Fazekas von 2004 bis 2012, um die Gebräuche in dieser Disziplin etwas anrüchig zu finden. Ein Hinweis auf Hartings Trainer Werner Goldmann erübrigt sich auch. Das ist bereits 2009 gelaufen.

Damals war Robert Harting nicht gut beraten bei seinem ‚handfesten‘ Angriff gegen die Doping-Opfer-Hilfe und Ines Geipel. – Offensichtlich hat er daraus nichts gelernt.

Robert Harting hat, wie jeder Athlet heute, einen Vertrauensvorschuss. Den kann man, wie die Geschichte des Diskuswerfens zeigt, verspielen. Erfolge von heute können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.

Zukunft hat der Hochleistungssport nur durch saubere Leistungen heute und eine klare Haltung zu dem, was in den letzten 60 Jahren in Deutschland geschehen ist.

Ich habe niemanden geschadet – das ist kein Sport, keine Haltung – und vor allem kein Vorbild!

Hansjörg Kofink, 18. August 2013

DLV-Trainer Kugel Frauen 1970-1972, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes 1989-1999

26. Juni 2013

Mein Gedenkblatt

zum 30. Jahrestag von Jarmila Kratochvilovas 800-Meter-Weltrekord, zum 25. von Ben Johnsons Olympiasieg und zum 15. des Festina-Skandals der Tour de France.

Et tu, Brute?

Du auch!?, ruft der Sportbegeisterte, wenn er tagtäglich sieht, wie sich die ‚Helden des Sports‘, Olympiasieger, Weltmeister und Tour-de-France-Gewinner mit ihrem Betrug prostituieren.

Es sollen Cäsars letzte Worte gewesen sein, als er unter seinen Mördern seinen (Sports-) Freund Brutus entdeckte. (Die weitere Erklärung von „brutus“ kann hier entfallen, selbst wenn auch sie zutrifft!)

Der Olympische Geist, Banner des Spitzensports, wird gegenwärtig endgültig von seinen ‚vornehmsten‘ Protagonisten in den Dreck gezogen.

Grenzenloses Misstrauen ist das Einzige, was vom ‚Olympischen Ideal‘ des französischen Barons de Coubertin und vom Fair-play der großen britischen Sportnation geblieben ist, als das Allerletzte vom Vorbildcharakter des Sports.

Die Gretchenfrage, wie hältst Du’s mit den Regeln, stellt keiner mehr. Sie stört. Nationalistisches Prestige, hirnlose Gier nach Erfolg, Geld und Macht habe die ‚Werte des Sports‘ gemeuchelt. Und die Politik spielt – volksnah wie immer – mit!

Hansjörk Kofink, 26.07.2013

„Der Sport könnte ein Vorbild sein, wenn er sich selbst und die Verantwortung für seine Spielregeln ernst nimmt. Und da habe ich gemerkt, dass es im Berufssport immer schwieriger wird, vernünftige, humane Ideen umzusetzen.“

Toni Innauer *1958
Skiflugweltrekordler 1976
Olympiasieger 1980
ÖSV-Skisprungdirektor bis 2010

aus einem bemerkenswerten Interview mit Thomas Hahn in der SZ vom 28. 12. 2010

28. Januar 2013

Blick zurück…

wenn großer Rummel über Doping und seine tatsächliche Existenz Überraschung und große Emotionen auf dem Olymp (Rogge) und bei der Sporthilfe (van Almsick) auslöst – vgl Kistner SZ 28.01.13, S. 31 „Eins zu einer Million“ – dann sollte man nicht das eigene Haus vergessen, zumal der heutige Fuentes-Prozess in Spanien sich zunächst einmal gegen die gewonnene Weltmeisterschaft durchsetzen muss.

Die letzte DOSB PRESSE 4-2013 vom 22.01.13 schaute in das Jahr 1991 und liefert als Sportpolitisches Dokument – Kein Sieg um jeden Preis – die Empfehlungen der „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ in elf Punkten vom 14. Dezember 1991. (hängt an)

Und die sind lesenswert. Sie sind ein echter Kontrast zum DOSB-Abstimmungsergebnis vom 8. Dezember 2013.

Wie herrlich weit haben wir’s gebracht.

Ich leiste mir heute abend das Stuttgarter Sportgespräch 2013 „Feigenblatt Fair Play“ mit Prof. Gebauer, Prof. N. Müller, DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock u.a.m. mit Moderator Eike Schulz vom ZDF. Veranstaltet wird das wie schon seit Jahren von den Kanzleien Wüterich Breucker und Lengerke Thumm mit ihrer ‚Kooperation Sportrecht‘.

Vielleicht gibt’s was Neues!? Immerhin, so hört man, habe es eine Promotion über ‚Sportbetrug‘ gegeben.

Medienträchtig und öffentlichkeitswirksam wäre ein Vergleich der Richthofenschen Empfehlungen mit den Erfahrungen des Sportjahres 2013 (und natürlich der Zeit davor!)

Der DOSB macht’s ja möglich.

Was sich in vierzig Jahren getan hat, ist eigentlich unvorstellbar. Der Spitzensport in Deutschland heute ist das Erbe, das aus dem GAU der Vereinigung des Staatssports der Deutschen Demokratischen Republik mit dem ‚freien Sport‘ der Bundesrepublik Deutschland in den Wendejahren 1989 bis 1993 entstanden ist. Das Sportjahr 2012 fokussiert diese Entwicklung:

– Die Verantwortlichen des Sports verändern Regeln unter dem Druck von Ereignissen

– Sport als Wirtschaftsfaktor soll seine aktuelle Erscheinungsform legitimieren

– Erfolge im Spitzensport werden zu Ikonen der Nation stilisiert

– Finanzen vom Staat und schulische Talentsuche werden dazu angemahnt

– Es gibt keine gemeinsame Dopingbekämpfung von Sportrecht und öffentlichem Recht

– Der deutsche Sport ist nicht in der Lage seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten.

Und am Ende dieses erstaunlichen Jahres lehnt mit einer unfassbaren Mehrheit von 94% (!) das Parlament der größten NGO Deutschlands, des freien und souveränen Deutschen Olympischen Sportbundes, den Antrag ab:

– Die Finanzmittel der Nada von 500 000€ auf 1 000 000€ zu erhöhen

– Strafverschärfungen im Bereich der Drogenkriminalität vom Staat zu fordern

Mit diesem Sport ist kein Staat zu machen.

Januar 2013

1972 – 2012 Eine persönliche Bilanz

Im August 1972 habe ich als verantwortlicher Bundestrainer das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) und den Deutschen Leichtathletikverband (DLV) damit konfrontiert, was die Nichtnominierung der drei DLV-Kugelstoßerinnen – alle mit Olympianorm – für die Olympischen Spiele in München, also im eigenen Land, bedeutet:

… Sie liquidieren damit eine Disziplin der Frauen-Leichtathletik in unserem Land, die sich aus guten Gründen gegen den sich seit Jahren immer mehr verbreitenden Anabolika-Mißbrauch gestemmt hat!

Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß dieser, Ihr Beschluß als eine de-facto-Zustimmung zur Verwendung von Anabolika auch im Frauensport gedeutet wird und Sie werden die Verantwortung dafür zu tragen haben, wenn der von Sportärzten mehrfach beklagte Anabolikamißbrauch in der Jugend-Leichtathletik im DLV-Bereich von nun an auch auf die Mädchen übergreifen wird! …

Von März bis zu den Olympischen Spielen in London im Juli 2012 haben Claudia Lepping und ich im Namen von prominenten Dopinggegnern fünf ‚Offene Briefe‘ zur aktuellen und zur grundsätzlichen Doping-Situation im Land an Politik, Sport und die Medien verschickt, alle mit der Präambel:

Es reicht.

Seit Jahrzehnten beißen konsequente Doping-Gegner bei Sportorganisationen und nationalen Regierungen auf Granit. Weil es dort um den nationalen Erfolg im internationalen Kräftemessen geht, gilt unausweichlich: Das System duldet Doping, aber keinen Dopingfall. Wir wiederum dulden das nicht mehr. Dem Eindruck, dass sich die Sportverbände aus Ost- und Westdeutschland zusammengefunden haben, auch um das Dopingsystem zu perfektionieren, wollen wir Dopinggegner mit vereinten Kräften entgegen treten. Wir fordern von Politik und Sport ein konsequentes und glaubwürdiges Eintreten für einen sauberen Sport.

Was sich in vierzig Jahren getan hat, ist eigentlich unvorstellbar. Der Spitzensport in Deutschland heute ist das Erbe, das aus dem GAU der Vereinigung des Staatssports der Deutschen Demokratischen Republik mit dem ‚freien Sport‘ der Bundesrepublik Deutschland in den Wendejahren 1989 bis 1993 entstanden ist. Das Sportjahr 2012 fokussiert diese Entwicklung:

– Die Verantwortlichen des Sports verändern Regeln unter dem Druck von Ereignissen

– Sport als Wirtschaftsfaktor soll seine aktuelle Erscheinungsform legitimieren

– Erfolge im Spitzensport werden zu Ikonen der Nation stilisiert

– Finanzen vom Staat und schulische Talentsuche werden dazu angemahnt

– Es gibt keine gemeinsame Dopingbekämpfung von Sportrecht und öffentlichem Recht

– Der deutsche Sport ist nicht in der Lage seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten.

Und am Ende dieses erstaunlichen Jahres lehnt mit einer unfassbaren Mehrheit von 94% (!) das Parlament der größten NGO Deutschlands, des freien und souveränen Deutschen Olympischen Sportbundes, den Antrag ab:

– Die Finanzmittel der Nada von 500 000€ auf 1 000 000€ zu erhöhen

– Strafverschärfungen im Bereich der Drogenkriminalität vom Staat zu fordern

Mit diesem Sport ist kein Staat zu machen.

Hansjörg Kofink Januar 2013

Kofink /DSLV

2013-2018 Kofink: Kommentare/ Meinungen

Kofink: Offener Brief an Hörmann, Prokop, Freitag 22.4.2017

Kofink: Sport, 2017

Kofink/Lepping: Dopingforschung, PM 31.7.2013

Kofink: Doping-Opfer-Rente – Briefe 5.2013

Kofink: Wie ich gelernt habe, mich zu wehren, 2009

Schriftwechsel 2009 H. Kofink mit DLV und DOSB

Kofink: Antwort auf Walter Tröger, 7.4.2009

Kofink: Olympische Idee ist tod, 2008

Doping wird gelernt. 11.2007

Kofink: Werte des Sports, 2007

Kofink: Gedopt?…Erledigt! 2007

Kofink: Sportsommer 2006

Kofink: Schulsport – Nachwuchsförderung für die Leistungsspitze? 1993

Kofink: Vorbild Olympia 1988, 10.1988

Schriftwechsel 1972 H. Kofink mit DLV und NOK

DSLV, Resolution Kinderdoping SU 43/1994

DSLV, Doping Spitzensport SU 8/1994

DSLV, DSV: Kontroverse um dopingbelastete Trainer 1993

DSLV, DLV: Einstellung dopingbelasteter DDR-Trainer 1993

DSLV, Kofink Hollmann SU 11/1991

DSLV, Worauf warten wir noch? 2.11.1991

DSLV, Reaktion Testosteronforschung 11.1991

DSLV, Doping Hochleistungssport SU 10/1991

BRD / DDR – Vergangenheit

2013 Hansjörg Kofink: Gedanken, Meinungen, Kommentare

Dezember 2013

Sport, Staat, Doping

Das Anabolikaverbot war die Verbots-Regel eines internationalen Sportfachverbands – IAAF, Mai 1970 – die für alle Leichtathletikverbände weltweit Gültigkeit hatte.

1974 übernahm das IOC das Anabolika-Verbot, gültig von nun an für alle ‚olympischen Fachverbände‘.

Der Fachverband war ab sofort zuständig für die Überprüfung der Einhaltung des Verbots und im Falle seiner Übertretung für die Sanktionierung des Täters.

Der Fachverband als Monopolist einer Sportart ist zuständig für die Auswahl seiner Mitglieder für nationale und internationale Meisterschaften. Die dazu notwendigen Finanzmittel stellt der Staat zur Verfügung. Für den internationalen Bereich sind das Bundesmittel, die jeder öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle entzogen sind.

Daraus entsteht ein Wettbewerb aller Fachverbände untereinander. Es ist naheliegend, dass sowohl der Geldgeber wie auch die Geldempfänger nach einem für alle Beteiligten überzeugenden Verfahren suchen: go for gold.

Damit verliert der einzelne Fachverband seine Unabhängigkeit bei der Auswahl seiner Wettbewerber für internationale Meisterschaften. Diese stehen unter dem Druck der „Endkampfchance“, um sich selbst und damit ihrem Verband weiterhin die Alimentierung durch den Staat zu sichern.

Der Sportart-Monopolist muss nun gleichzeitig erstklassige Leistungen liefern, Dopingproben veranlassen, und sie gegebenenfalls sanktionieren. Dabei steht er in Konkurrenz zu jedem anderen Fachverband.

Beteiligt an der Leistung des Wettbewerbers sind Trainer, Ärzte und Funktionäre.

Beteiligt an der Einhaltung des Dopingverbots sind Ärzte, Trainer und Funktionäre.

Wenn nun Staat und Politik glauben, ihre eigene Reputation von Sporterfolgen abhängig machen zu müssen, dann ist das Szenario komplett, das die Doping-Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ erhellen sollte.

Und das Urteil ist entsprechend:

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an.

Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können. Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein „Staatsdoping“ ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung. (1)

Ob Sport und Politik in Deutschland heute den Willen und die Kraft haben werden, um die nachstehenden Vorstellungen der Forscher in ihrer zukünftigen Zusammenarbeit zu berücksichtigen, bleibt unter den gegenwärtigen Umständen und den Erfahrungen der letzten 20 Jahre abzuwarten.

Um die Wende zu einer Re-Humanisierung des Sports einleiten zu können, die zugleich eine Voraussetzung für den Erfolg Doping-präventiver Maßnahmen im Sport sind, muss zunächst eine offene sportpolitische Diskussion über die Frage geführt werden, welche leistungssportlichen Ziele Staat und Gesellschaft, Parlament, Regierung und der organisierte Sport, aber auch die Medien in Deutschland mit welchen Methoden erreichen möchten und wie ein solcher Sport finanziert sein soll. Zum Schutz der Athleten, aber auch der Zuschauer und Steuerzahler, die den Spitzensport mit finanzieren, ist nur ein Spitzensport zu verantworten und mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, der ohne Betrug und Doping möglich ist und organisiert wird. Nur bei einer breiten Verständigung über diese Fragen wird sich das Misstrauen gegenüber einem Sport, dessen größtes Kapital letztlich das Vertrauen ist, welches ihm Politik, Öffentlichkeit und die Aktiven selbst entgegen bringen, abbauen lassen. (2)

Der Staatssport der DDR und der Hochleistungssport des ‚freien Sports‘ der Bundesrepublik haben in 30 Jahren ‚Krieg auf der Aschenbahn‘ der Glaubwürdigkeit des Sports einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zugefügt. Spitzensport und Doping sind für Heranwachsende heute die beiden Seiten einer Medaille.

Die fugenlose Vereinigung von Doping Ost mit Doping West wird eines der dunkelsten Kapitel des deutschen Sports im zwanzigsten Jahrhundert bleiben.

Sport und Doping ist ein Begriffspaar, das heute jedes Kind kennt. Das haben jene verursacht, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert ehrenamtlich und professionell Verantwortung für den Sport getragen haben.

Hansjörg Kofink 12.2013

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(1) Dopingskandale in der alten Bundesrepublik Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen 30.5.2012 deutschlandarchiv

(2) Bericht über das Münsteraner Teilprojekt zur Dopinggeschichte in Deutschland

8. Dezember 2013

„Medizinische Hilfen“

Die DDR, die seit Staatsgründung den Erfolg im Sport zur Demonstration der Überlegenheit ihres sozialistischen Staatssystems ausgerufen hatte, machte nach jahrelangen Vorbereitungen 1974 mit dem Staatsplanthema 14.25 die „u.M.“ (=unterstützende Mittel) zur Grundlage internationaler Sporterfolge (1). So steht es in einem der vorbereitenden Trainingspläne. Als ‚Unterstützende Mittel‘, im weiteren nur noch UM genannt, werden in diesem Fall ausschließlich anabole Steroide angesehen (2).

Positive Dopingproben gab es nur eine in all den Jahren, Geständnisse keine, dafür aber Rekorde für die Ewigkeit aus den 80er Jahren, so zum Beispiel – über 104m Speerwerfen bei den Männern, 80m bei den Frauen, im Diskuswerfen 76,80m bei den Frauen, 74,08 bei den Männern – Weltrekorde bis heute.

Die Sportmediziner der DDR, soweit sie sich mit diesem Staatsplanthema einließen, sorgten für zuträgliche, einträgliche Verwendung des Anabolikums Dehydrochlormethyltestosteron ein in den 1960er Jahren im Arzneimittelwerk VEB Jenapharm in der DDR entwickeltes und unter dem Markennamen Oral-Turinabol® vertriebenes Anabolikum (3).

Liest man in der unvollendeten Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ über die enge und offensichtlich auch konspirative Zusammenarbeit von Sportmedizinern und Athlet(inn)en in der BRD, dann bekommen Begriffe wie ‚Substitution‘ und ‚Regeneration‘ ein Eigenleben, das durch zeitgenössische Medienberichte wie Kraft durch Spritzen (4) nachdrücklich belegt wird.

Es ist sicher kein Zufall, dass die staatlich und medizinisch planmäßig eingesetzten „unterstützenden Mittel“ im Spitzensport der DDR, der einfühlsamen ‚Substitution‘ von Sportärzten in der BRD in von ihnen indizierten ‚Fällen‘ im Endeffekt durchaus ähneln, nicht nur der sprachlichen Verwandtschaft wegen. Außerdem hatten die Experten beider Lager auch während des ‚Kalten Krieges‘ international immer wieder fachlichen Kontakt.

Es war ein kleiner, aber prominenter und sehr einflussreicher Teil der Sportmedizin, der sich um Doping in Deutschland Ost und West verdient gemacht hat.

Hansjörg Kofink 8.12.13

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(1) Analyse des Einsatzes unterstützender Mittel in den leichtathletischen Wurf- und Stoßdisziplinen und Versuch trainingsmethodischer Ableitungen und Verallgemeinerungen, DVfL – WZ – Sektor Wurf und Stoß, Juni 1973 Dr. Bauersfeld, J. Olek

(2) Fußnote 1 auf Seite 3

(3) de.wikipedia.org/wiki/Dehydrochlormethyltestosteron

(4) Kraft durch Spritzen, Der Spiegel 36/1976, 30. 06. 1976

10. November 2013

„Sportrecht“

Das Haus des Sports und das Dopingverbot

Die Institution ‚Sport‘, der Deutsche Olympische Sportbund und alle Sportfachverbände bewohnen ein eigenes Haus in der Bundesrepublik Deutschland. Die NGO (non-governmental-organization) ist autonom und damit in ihren Entscheidungen unabhängig. Diese Gliederung wiederholt sich auf Länderebene und auf weiteren Ebenen darunter. Die Kommunikation in diesem Gebilde regeln die Gremien des Sports autonom und selbstverantwortlich.

Non-governmental organizations (NGOs) are legally constituted corporations created by natural or legal people that operate independently from any form of government.

Wichtig ist hierbei, dass der DOSB und die Fachverbände nebeneinander agieren. „Weder der DOSB noch der damalige Deutsche Sportbund nehmen allerdings eine Wächterfunktion im freiheitlichen Sportsystem ein. Es ist folglich nicht möglich, der evtl. Nichtbefolgung einer Empfehlung Sanktionen hinterherzuschicken“ (1).

Das bedeutet, dass jeder einzelne Sportfachverband ebenfalls Herr im eigenen Haus ist. Er legt die Regeln fest, regelt ihre Einhaltung und bei Verstößen die von ihm festgelegte Sanktionierung.

Auf diesen Festlegungen beruhen Entscheidungen von Schieds- und Kampfrichtern, wenn beim Fußballspiel dem Gegner in die Beine getreten oder bei einem 100m-Lauf zu früh gestartet worden ist.

Die ‚Tatsachenentscheidung‘ ist die Basis für das ‚Sportrecht‘ der Fachverbände: eine schnelle unabhängige Sanktionierung von Regelverstößen, um den Wettbewerb sofort fortsetzen zu können.

Auch das Anabolikaverbot der IAAF vom 14. Mai 1970 in Amsterdam ist eine Regel, aufgestellt von einem Fachverband.

Doch der Verstoß gegen diese Regel und ihre Sanktionierung braucht Experten, die nur in räumlicher und zeitlicher Distanz zum Wettkampfort agieren können. Eine sofortige Sanktionierung ist nicht mehr möglich:

Nur eine positive Dopingprobe oder ein Geständnis manifestieren den Regelverstoß und veranlassen die Sanktionierung durch ein Verbandsgericht des Fachsportverbandes.

Wie kann man hiermit gegen Mittäter, Ärzte, Funktionäre, Trainer vorgehen?

Diese Vorgehensweise erfolgt nach dem Hausrecht der Verbände. Die öffentliche Gerichtsbarkeit kann lediglich überprüfen, ob sich der Verband an seine eigenen Regeln gehalten hat.

Eine positive Dopingprobe ist nicht verhandelbar. Die Beweislastumkehr lässt eine Untersuchung des Wie, Wann, Warum nicht zu, da sie den Tatbestand nicht verändert.

Hansjörg Kofink 10.11.13

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(1) Brief des Justitiar des DOSB, Dr. Holger Niese, vom 29. Juni 2009 an mich

27. Oktober

Was nun?

Der deutsche Sport, Deutschland, hat eine unvollendete, zweigeteilte Studie über Doping in Deutschland hinter sich. Der sperrige Titel „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ (1) verspricht Aufarbeitung mit Zukunftswirkung. Herausgekommen ist Streit aus allen und in alle Richtungen und eine Medienhype, wie jüngst Prof. Steinacker in der ‚Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin‘ feststellte.

Wie auch immer, neben 1977 nach den OS von Montreal und der Vereinigung des deutschen Sports aus Ost und West zu Beginn der 90er Jahre zeigten die Monate August und September 2013 ein gewaltiges Medieninteresse am Thema Doping in Deutschland.

Ende Juli veröffentlichten die MAIN POST und die Märkische Oderzeitung Kritik am Verlauf des Forschungsvorhabens mit dem Verweis auf neue Akten und weiterhin Ungeklärtes.

dradio, 6.8.2013:
Barenberg: Wie beurteilen Sie denn, wie Thomas Bach sich äußert, jetzt, wo einige Ergebnisse der Studie jedenfalls öffentlich sind, der Präsident des DOSB – er ist seit Jahrzehnten dabei: zunächst als Athlet, jetzt als Funktionär seit vielen Jahren -, dass er sagt, er hat gar nichts mitbekommen von diesen ganzen Zusammenhängen, von denen Sie sprechen?

Kofink: Ich glaube ihm kein einziges Wort! Wer 1976 Olympiasieger war und erlebt hat, welche Wogen in der öffentlichen Berichterstattung Doping 1977 Montreal ausgelöst hat, wer 1980 Sprecher der Athleten war, mit dem Bundeskanzler verhandelt hat, ob man nach Moskau fährt oder nicht – dabei ist er unterlegen -, wenn der das nicht gewusst hat, dann hat er ein gespaltenes Bewusstsein.

Prominente Zeitzeugen

Interessanter als manche Inhalte in der Studie waren viele Veröffentlichungen über und von Zeitzeugen. Die prominenteste und mehrfach veränderte kam vom jetzigen IOC-Präsidenten Bach, der als Olympiasieger von 1976 nichts von Doping mitbekommen habe – im Fechten, wie er später modifizierte. Er bekam heftiges Kontra von der Sprecherin des Olympischen Eides von München, Heidi Schüller. Sehr verwunderlich ist auch das Erstaunen von Spitzenfunktionären wie Clemens Prokop über das Ausmaß von Doping im Westen, immerhin sind sie ja im autonomen Sport der Bundesrepublik die Instanz, bei der das gesamte Dopinggeschehen zusammen läuft. Selbst der Sportausschuss und seine Vorsitzende Dagmar Freitag, Vizepräsidentin des DLV, kritisierte, die veröffentlichte Minimalversion des Berichts werfe mehr Fragen auf als sie Antworten gebe. Sie sprach von einem Bericht, „der von Auslassungen und Platzhaltern wie N.N. dominiert wird“ (2).

Besondere Beachtung verdienen die Aussagen prominenter Zeitzeugen. So berichteten die 4x100m-Olympiasiegerinnen von München, Heide Ecker-Rosendahl (3) und Ingrid Mickler-Becker durchaus Unterschiedliches.

„Ich muss sagen, ich finde das alles ganz spannend, jetzt einmal Dinge zu hören, von denen ich vorher nie gehört hatte. … Ich habe nie von systematischem Doping in meiner Zeit gehört. Man hat munkeln gehört, dass es irgendetwas gibt … Ich habe 1972 aufgehört, und danach hat man sich häufiger gefragt, ob die irgendetwas mit Mitteln machen, die nicht erlaubt sind. Aber ich kann nicht sagen, dass da systematisch ausprobiert wurde, um vielleicht Aufbaumittel wie Steroide einzusetzen. Das habe ich aus späteren Zeiten gehört, aber nie zu dieser Zeit,“ berichtete Heide Ecker-Rosendahl dem WDR.

Ingrid Mickler-Becker, ebenfalls Mitglied der Goldmedaillen-Staffel von 1972, Olympiateilnehmerin von 1960, 1964 und Olympiasiegerin von 1968, hatte schon 1964 bei Kolleginnen der DDR ‚die kleinen Blauen‘ gesehen. Auf die Frage, „Würden Sie für die anderen Mitglieder der Frauenmannschaft ihre Hand ins Feuer legen, dass sie nicht gedopt waren?“ antwortete Ingrid Mickler, „Ich würde für keinen im Sport die Hand ins Feuer legen außer für meine Freundin Helga Hoffmann. Das heißt aber nicht, dass ich irgendjemand anderem etwas unterstelle.“ Und auch der folgende Frage-Antwort-Wechsel macht nachdenklich: „Gibt es Indizien, die einen Verdacht gegenüber Kolleginnen haben wachsen lassen?“ „Darüber möchte ich keine Aussage machen.“ (4)

Dafür lässt Hein Diereck Neu, der beste Diskuswerfer des DLV, keinerlei Zweifel aufkommen:

«Praktisch jeder von uns Werfern, der sportlich weiterkommen wollte, hat damals mehr oder weniger regelmäßig zu Anabolika gegriffen oder es zumindest einmal probiert. Einige haben es nicht vertragen und wieder abgesetzt. Ich hatte damit keine Probleme», erklärte der heute 69-Jährige in einem Interview des «Wiesbadener Kurier». Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu (5).

Weitere Interviews mit Spitzenathlet(inn)en der 70 Jahre im August und September bestätigen das kontroverse Bild vom Doping im Westen in jener Zeit, wobei auffällt, dass nur sehr wenige Trainer und so gut wie keine Funktionäre sich äußern, vielleicht auch nicht gefragt wurden.

Vernichtendes Urteil

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der bundesdeutsche Sport kaum adäquat auf die hier untersuchten Dopingskandale reagiert hat. In den 1950er- und 60er-Jahren geht diese unzureichende Bearbeitung des Dopingproblems auf Fehleinschätzungen über die Eignung moralischer Appelle und Empfehlungen zurück. Mit dem Ausbau des Spitzensports in der Bundesrepublik, der nur dank eines erheblichen staatlichen Engagements möglich war, nimmt die Auseinandersetzung mit dem Dopingproblem zunehmend scheinheilige Züge an. Einer sportpädagogisch und philosophisch überhöhten Gesinnungsrhetorik steht die Nicht-Sanktionierung von Fehlverhalten und die Duldung belasteter Akteure gegenüber. Offenbar hat der Ausbau des leistungssportlichen Systems in der Bundesrepublik eine Entfesselung von Leistungs- und Siegesorientierungen zur Folge, um die politischen Erwartungen an den Hochleistungssport befriedigen zu können.

Dabei soll hier nicht suggeriert werden, dass es im Westen Deutschlands ein „Staatsdoping“ ähnlich dem der DDR gegeben habe. Vielmehr haben sich die Sportfunktionäre bemüht, den teilautonomen leistungssportlichen Sektor vor politischen Eingriffen in der Folge von Dopingskandalen abzuschirmen. Inwieweit diese Funktionäre Kenntnis von Dopingpraktiken hatten, diese bewusst geduldet oder gar eingefordert haben oder es nur nicht genau wissen wollten, entzieht sich der Bewertung dieser Untersuchung. (6)

Diese Zusammenfassung des Artikels‚ Dopingskandale der alten Bundesrepublik‘ von der Forschergruppe der Universität Münster im Mai 2012 ist ein Urteil, das an den Grundfesten der Struktur des freien Sports in Deutschland rüttelt.

An ihm werden wohl weder der DOSB, noch die Sportpolitik und auch nicht die Sportmedizin vorbeikommen.

Wenn der Deutsche Olympische Sportbund zum Ende dieses Jahres Entscheidungen für seine Zukunft trifft, wird er sich mit der 2009 initiierten aber immer noch unvollendeten Doping-Forschung und deren Folgen intensiver befassen müssen, als das im Beschluss der Präsidiums am 16. Juli dieses Jahres geschehen ist (7).

Hansjörg Kofink, 27. Oktober 2013

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1) „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ Forschungsprojekt 2009-2012 initiiert durch den DOSB, beauftragt und gefördert durch das BISp

2) FAZ, 6.8.2013

3) WDR 2 26.08.2013

4) Der Tagesspiegel, 02.09.13

5) Wiesbadener Kurier, 08.08.2013

6) Dopingskandale in der alten Bundesrepublik, Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen, bpb 30.05.12, Deutschland-Archiv

7) BESCHLUSS DER 59. SITZUNG DES DOSB-PRÄSIDIUMS AM 16. JULI 2013 – FORSCHUNGSPROJEKT „DOPING IN DEUTSCHLAND“

September 2013

Spitzensport in Deutschland 2013 verbreitet Misstrauen. Athleten misstrauen sich gegenseitig, Zuschauer haben Zweifel an Rekorden aus der Vergangenheit. Leistungen von heute stehen unter Generalverdacht.

Dopingmeldungen gehören zum Alltag des Spitzensports. Doping und Sport vereint seit langem eine kriminelle Allianz. Statt Vorbild für die Jugend zu sein, untergräbt der Spitzensport seit einem halben Jahrhundert die Fundamente des Sports: Fair Play, den ‚Olympischen Geist‘ und Regeln, die sportlichen Wettkampf erst möglich machen.

Er beschädigt nicht nur das Vertrauen unserer Gesellschaft in das ‚Haus des Sports‘, er produziert fortlaufend physische und psychische Opfer aktuell und langfristig.

Die Vereinigung der Sportsysteme Ost und West 1990 haben die Schäden beider Systeme unter der ausschließlichen Verantwortung des autonomen Sports begraben und damit für alle Zukunft fortgeschrieben. Der notwendige Bruch mit der Dopingrepublik Deutschland ist ausgeblieben. Der Sport hat sich im Bereich des Spitzensports zur Event- und Geldmaschine degradiert. Für nachwachsende Generationen sind Wettkampf und Spiel nicht mehr Entwicklung des persönlichen Talents sondern deren Vergesellschaftung. Die Vorbildwirkung des Spitzensports besteht für sie im Herandopen an tolerable Grenzwerte und im rechtzeitigen Absetzen verbotener Substanzen.

Sehr geehrte Abgeordnete, diese Pervertierung der ‚Werte des Sports‘ geschieht seit Jahren vor Ihren Augen, sie lebt von ihrer bona-fide-Finanzierung bis heute. Und das obwohl die Medien umfangreich und regelmäßig über Doping, Sportbetrug und Korruption im Sport berichten und Ausschüsse des deutschen Bundestages 1977, 1987 und zu Beginn der neunziger Jahre diesen Sachstand ausführlich und flächendeckend verbreitet und diskutiert haben.

dradio, 6.8.2013:
Barenberg: Zum Schluss, Herr Kofink, die Frage. Sie machen ja keinen Hehl aus Ihrer Skepsis. Dennoch die Frage: Ist das jetzt, die Studie und die Debatte, die das jetzt möglicherweise auch auslöst, eine Chance für einen Neuanfang?

Kofink: Das ist es mit Sicherheit wieder. Es ist vor allem eine viel größere Chance, das Misstrauen, das über diesem Spitzensport und vor allem über seinen Veranstaltern liegt, vielen, vielen Menschen in der Republik noch deutlicher zu machen, und das Entscheidende ist, dass diese Menschen sehen, was hier geschieht, und dann selber entscheiden, vor allem die jungen Menschen, will ich da mitmachen, will ich das noch sehen, oder gehe ich lieber in den Zirkus.

Am 2. September 2013 tagte der Sportausschuss des deutschen Bundestages in einer Sondersitzung. Ihre Vertreter wollten und sollten sich über das Desaster des unvollendeten Forschungsprojekts „Doping in Deutschland aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ äußern. Staatlich gefördertes Doping im Westen war eine der Kernaussagen.

Der anwesende Innenminister Friedrich hatte dazu nichts zu sagen, er ließ die Doping-Debatte durch sein Desinteresse versanden. Die Vertreter der Regierungskoalition beschlossen die Redezeiten und beschworen das Mantra vom sauberen Sport.

Diese Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages hat, sehr geehrte Abgeordnete, die Glaubwürdigkeit dieser Republik in Sachen Sport erschüttert, sie hat die politische Integrität in Sachen Spitzensport zerstört. Wir glauben Ihnen nicht mehr, und wir zählen nicht mehr auf sie im Kampf gegen verantwortungslose Funktionäre des Spitzensports in Deutschland.

Nach einem bis dahin unvorstellbaren Medienecho auf Dopingvorwürfe bei den Olympischen Spielen 1976 reagierte der Deutsche Sportbund mit einer ‚Grundsatzerklärung für den Spitzensport‘, in der neben anderem festgehalten wurde:

„Der Spitzensport hat öffentlichen Charakter. Deshalb verantworten auch Staat und Gesellschaft (Bund, Länder und Kommunen, die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Kirchen, die Medien) die Entwicklung des Spitzensports mit. Sie sind aufgerufen, diese Mitverantwortung zu erkennen und auszuüben.“

Was danach folgte ist bekannt. Überlässt die deutsche Politik 2013 erneut eine gegenüber Doping völlig hilflose Führung des autonomen deutschen Sports sich selbst?

Welchen Preis wollen / werden sie dafür bezahlen?

September 2013

Eine halbe Million Euro, ein halbes Dutzend Wissenschaftler aus zwei Universitäten haben nicht ausgereicht, um die Dopingvergangenheit im deutschen Sport seit 1950 zu erforschen.

Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hat in einer bemerkenswerten Sitzung am 2.9.13 dieses Nichtergebnis auf seine Weise fortgeschrieben:

Main Post: Doping in Deutschland: Regierungskoalition hat an Aufarbeitung wenig Interesse

Berl. Z.: Speeddating im Bundestag

die Zeit: Doping-Debatte versandet in unwürdiger Parteipolitik

spiegel-online: Manipulation in Westdeutschland : „Irgendwann ist jede Tasse Kaffee Doping“

SZ: Kabarett im Sportausschuss

n-tv: Friedrich sabotiert den Doping-Gipfel

nd: »Ihre Zeit ist abgelaufen«

Der Spitzensport in Deutschland 2013 ist verunsichert, er treibt Athleten und Zuschauer in den Generalverdacht. Seine einzige Botschaft heute ist: Misstrauen.

Jeder Euro Steuergeld zu viel ist,

– wenn Olympiasiegerinnen von 1972 genauso wie Weltmeisterinnen von 2009 erklären, dass sie für niemanden in Sachen Dopingbetrug die Hand ins Feuer legen,

– wenn Vorbildwirkung des Spitzensports für die nachwachsende Generation im Herandopen an die tolerablen Grenzwerte und im Wissen um das rechtzeitige Absetzen von Dopingmitteln besteht

Es ist Zeit, dass der Staat die Verantwortlichen des autonomen Sports auf die Grundsatzerklärung für den Spitzensport vom 11.06.1977 verweist:

6. Der Spitzensport hat öffentlichen Charakter. Deshalb verantworten auch Staat und Gesellschaft (Bund, Länder und Kommunen, die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Kirchen, die Medien) die Entwicklung des Spitzensports mit. Sie sind aufgerufen, diese Mitverantwortung zu erkennen und auszuüben.

Das zu vermitteln ist der Politik weder 1977 noch 1987 nach umfangreichen Anhörungen im Sportausschuss gelungen, wie Kritik aus jener Zeit belegt:

Dr. W. Hollmann wird in der FAZ am 7. Mai 1977 wie folgt zitiert: „Die Anti-Doping-Erklärung von Willi Weyer und Willi Daume, bei aller persönlichen Wertschätzung vor beiden Männern, ist von rührend anmutendem Niveau. Ihr Verhalten gleicht dem Ingenieur, der einen Mondflug vorbereitet und sich dabei der Materialien von Peterchens Mondfahrt bedient.“

Die Zeit schreibt am 11.11.1977: „Das Vorhaben des Deutschen Sportbundes (DSB), der medizinischen, pharmakologischen und technischen Manipulation durch eine Anti-Doping-Charta zu begegnen, ist zwangsläufig so lange ein Versuch am untauglichen Objekt, wie der Wille und die Möglichkeit zu steter Kontrolle fehlen. Hatte DSB-Präsident Willi Weyer noch Anfang des Jahres lautstark und entschieden für „Kontrollen auch auf unterster Ebene“ plädiert, so sprach, sich jüngst, knapp vier Monate nach Verabschiedung der Charta, die wissenschaftliche Kommission des Bundesausschusses für Leistungssport während einer Tagung in Beckstein (Taunus) „gegen alle etwaigen Kontrollmaßnahmen beim Training der Spitzensportler“ aus.“

In diesem Geist von 1977 vollzog der Spitzensport WEST die Vereinigung mit dem Spitzensport OST 1990/91:

… Wir haben bis 1990 in der DDR als hauptamtliche Trainer im Spitzensport gearbeitet. …

Das Sportsystem der DDR war durch eine straffe Hierarchie gekennzeichnet, unser Arbeitsgebiet durch eindeutige Dienstanweisungen klar geregelt.

Wir waren im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Doping-mittel) beteiligt. Uns war bekannt, dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert. Bei einer Weigerung, diese Mittel weiterzugeben, hätten uns der Ausschluss aus dem Leistungssport und damit erhebliche berufliche Nachteile gedroht.

und beide haben damit in bis dahin unvorstellbarer Weise die Fundamente des Sports, das Fair Play, den ‚Olympischen Geist‘ und die vom Sport selbst gesetzten Regeln beschädigt.

Die Politik, finanziell zuständig für den Spitzensport, sah zu und zahlte. Bis heute hält sie diese Zahlungen (Zielvereinbarungen) selbst gegenüber dem Rechnungshof geheim.

Wie obskur die Haltung der Politik zum Spitzensport heute ist, lässt sich aus der Antwort des Sportsprechers der CDU/CSU, Klaus Riegert, zu den in die öffentliche Diskussion geratenen ‚Zielvereinbarungen‘ entnehmen:

… „Angemerkt sei, dass die künftige Offenlegung von Einzelmaßnahmen und Förderstrategien die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Athleten und Athletinnen schwächt. Eine

strategische Ausrichtung ausländischer Olympiamannschaften an nationalen

Förderinitiativen ist somit möglich, was die sachgemäße und zielgerichtete

Verwendung von Förder- und letztlich Steuergeldern z.T. in Frage stellt. …“

Was ist das für eine Auffassung von Spitzensport? Ist das die Haltung der Männer und Frauen, die sich in wenigen Tagen in den Bundestag wählen lassen wollen?

Wir wollen das wissen!

23. August 2013

FAZ, 4.8.2013:
Kofink: es gibt vor allem kein Vertrauen mehr. Athleten wie die Speerwerferin Steffi Nerius beenden ihre Karriere mit den Worten: ,Ich traue keinem, auch keinem aus der eigenen Mannschaft‘. Beschreibt das nicht den desolaten Zustand? Heute, zwanzig Jahre nach der Vereinigung, vierzig Jahre nach München, beklagen sich Spitzenathleten über den Druck und ihre Nöte. Eine Studie der Stiftung Deutsche Sporthilfe hat das belegt.

Was müsste also geschehen?
Kofink: Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist keine Garantie für einen Neuanfang. Auch die Änderung der Strukturen reichte nicht, denn die Personen sind letztlich entscheidend. Bis heute sind noch ehemalige Doper im Spitzensport aktiv, sei es als Funktionäre oder Betreuer. Die müssten weg. Eigentlich ist ein Neuanfang nur möglich mit Funktionären unter fünfzig Jahren. Aber das ist wohl kaum umsetzbar. Es fehlen mir die großen Menschen, die den Willen und die Kraft dazu haben.

Generalverdacht

Jens Knipphals, ein Spitzenleichtathlet von gestern, Deutscher Meister im Weitsprung 1979 und 1980, fühlt sich „erneut von Politik und Sportfunktionären im Stich gelassen“, wenn es um den Generalverdacht geht, der heute auf dem Spitzensport, insbesondere auf der Leichtathletik lastet.

Robert Harting, Spitzenleichtathlet von heute, dreifacher Weltmeister und Olympiasieger im Diskuswerfen, sieht diesen Verdacht als „eine massive Beleidigung meiner Arbeit“ und scheut sich nicht, einen ‚handfesten‘ Angriff gegen die Doping-Opfer-Hilfe und Ines Geipel zu fahren wie schon 2009.

Woher kommt dieser Generalverdacht? Doping kann nur durch eine positive Dopingprobe oder ein Geständnis konstatiert werden.

In 40 Jahren gab es in der DDR nur 2(!) positive Dopingproben. Marion Jones, Lance Armstrong und viele andere können bis zu einhundert negative Dopingproben nachweisen, ehe sie – zufällig – erwischt wurden.

Wie bekämpft man heute Doping? Der Spitzensportverband, z.B. der DLV, veranlasst Dopingproben; stellt Doping fest, entscheidet über die Veröffentlichung und letztendlich über Art und Umfang der Sanktion. Danach kann das Spiel von vorne beginnen.

Schon für München 1972 versagte der DLV seinen drei Kugelstoßerinnen mangels Endkampfchance die Teilnahme. Für Montreal 1976 lagen die DLV-Normen für die Teilnahme erheblich höher als die IOC-Normen. Prominentestes Opfer war die ehemalige Weltrekordlerin Liesel Westermann, der das die Teilnahme kostete. Gerhard Steines, mehrfacher Deutscher Meister im Kugelstoßen der 70er Jahre hat das in seinen bemerkenswerten Erinnerungen ‚Sport-Leben‘ drastisch beschrieben.

So entstand der Druck, der freie Athleten im ‚freien Sport‘ der freien Bundesrepublik zur freien und persönlichen Entscheidung zum Dopen brachte.

Dass die Dinge in der DDR anders lagen ist bekannt und unmissverständlich dokumentiert.

Die Vereinigung des Sports Anfang der 90 Jahre kehrte die Doping-Vergangenheit Ost und West unter den Teppich. Dass das keine Bewältigung der Vergangenheit war, zeigen Reaktionen bei allen Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften bis heute.

Deutschland hat damit das denkbar schlechteste Beispiel weltweit zur Dopingbekämpfung gegeben: Die Funktionäre der Spitzenverbände haben jede Offenlegung mit allen Mitteln verhindert, die Politik, das Bundesinnenministerium und das Parlament haben zwar Mittelstreichungen angedroht, aber nicht eine einzige realisiert.

Das registrierte die gesamte Welt des Sports, das IOC und alle internationalen Spitzenverbänden.

Wie Generalverdacht entsteht zeigt das Beispiel Diskuswerfen, die Disziplin Robert Hartings.

Der Olympiasieger von 1984, Rolf Danneberg, hatte eine sehr dezidierte Haltung zu Doping. Eine seiner zurückhaltendsten Äußerungen war, er könne an der derzeitigen Praxis nichts Schlechtes finden, weil es alle machten.

Sein Nachfolger von 1988, Olympiasieger Jürgen Schult, hält bis heute den Weltrekord mit 74,08m und ist seit 2001 Diskus-Bundestrainer des DLV, sei 2011 Leitender Bundestrainer für die Wurf- und Stoßdisziplinen. Unterlagen aus der NVA-Akademie in Bad Saarow schreiben ihm wie vielen anderen DDR-Athleten eine umfangreiche Dopingpraxis zu, die er bis heute bestreitet, obwohl ihm Einsicht gewährt wurde.

Der sechsfache DLV-Meister Hein Diereck Neu gestand dieser Tage eine jahrelange Dopingkarriere unter dem damaligen DLV-Trainer Steinmetz. Genau den hatte Alwin Wagner, ein weiterer DLV-Werfer der Spitzenklasse, schon 1990 beschuldigt, Dopingmittel verteilt zu haben.

Früherer Diskus-Meister Neu spricht offen über Doping – Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu. (SZ 08.08.2013)

Ende 1991 wurde Steinmetz von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.“ (http://www.cycling4fans.de/index.php?id=4597)

Als sein langjähriger Widersacher Alwin Wagner 1990 die jahrzehntelang geduldete Dopingpraxis auch unter westdeutschen Leichtathleten offenlegte und DLV-Trainer Steinmetz beschuldigte, Dopingmittel verteilt zu haben, sprach Danneberg – neben seinen deutschen Disziplin-Größen Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker – in einem Brief an den DLV davon, dass sie den Trainer „als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. (NDR – Sport-Legenden 4.12.2012)

Steinmetz war als Heimtrainer von Lars Riedel noch lange Zeit auf DLV-Kosten bei Meisterschaften unterwegs. Das NOK entsandte ihn ‚im Zuge seiner Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas‘ 2006 nach China. (DOSB 29.12.2005).

Es braucht kaum noch die ‚Olympischen Geschichten‘ des ungarischen Spitzenwerfers Robert Fazekas von 2004 bis 2012, um die Gebräuche in dieser Disziplin etwas anrüchig zu finden. Ein Hinweis auf Hartings Trainer Werner Goldmann erübrigt sich auch. Das ist bereits 2009 gelaufen.

Generalverdacht entsteht immer dann, wenn Vergangenheit nicht bewältigt sondern vertuscht wird. Sie trifft alle, die Athleten, die Funktionäre, den Wettkampfsport, aber auch die verdeckte Finanzierung durch die Politik und eine Ärzteschaft, die ‚Substitution‘ und das ‚Therapiefenster‘ ins Spiel bringt.

Es gibt in Deutschland viele Spitzenathlet(inn)en in Ost und West, die nicht gedopt haben, nicht im Rampenlicht standen. Der Generalverdacht deckt den Betrug ihrer „erfolgreicheren“ Kolleg(inn)en.

Dank deswegen an Hein-Diereck Neu für sein Geständnis. Es fehlen noch viele, die bis heute kommenden Generationen diesen Generalverdacht hinterlassen, einen Spitzensport im Betrug.

Hansjörg Kofink, 23. August 2013

DLV-Trainer Kugel Frauen 1970-1972, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes 1989-1999

18. August

An Robert Harting

Wenn der dreifache Weltmeister sagt, dass er seine Leistungen sauber erbringe, dann glaube ich ihm, wie ich allen geglaubt habe, die das versichert haben. Doch mein Glaube wurde in den letzten 40 Jahren immer wieder erschüttert.

Wenn Robert Harting den allgemeinen Verdacht, der – auch – die Spitzenleistungen der Leichtathletik betrifft, als „eine massive Beleidigung meiner Arbeit“, sieht, muss ihm gesagt werden, dass genau seine Disziplin einen wesentlichen Beitrag zu diesem Generalverdacht beigetragen hat.

Der Olympiasieger von 1984, Rolf Danneberg, hatte eine sehr dezidierte Haltung zu Doping. Eine seiner zurückhaltendsten Äußerungen war, er könne an der derzeitigen Praxis nichts Schlechtes finden, weil es alle machten.

Sein Nachfolger von 1988, Olympiasieger Jürgen Schult, hält bis heute den Weltrekord mit 74,08m und ist seit 2001 Diskus-Bundestrainer des DLV, sei 2011 Leitender Bundestrainer für die Wurf- und Stoßdisziplinen. Unterlagen aus der NVA-Akademie in Bad Saarow schreiben ihm wie vielen anderen DDR-Athleten eine umfangreiche Dopingpraxis zu, die er bis heute bestreitet, obwohl ihm Einsicht gewährt wurde.

Der sechsfache DLV-Meister Hein Diereck Neu gestand dieser Tage eine jahrelange Dopingkarriere unter dem damaligen DLV-Trainer Steinmetz. Genau den hatte Alwin Wagner, ein weiterer DLV-Werfer der Spitzenklasse, schon 1990 beschuldigt, Dopingmittel verteilt zu haben.

Früherer Diskus-Meister Neu spricht offen über Doping – Bezogen habe er die Dopingmittel aus Freiburg. «Zusammen mit unserem damaligen DLV-Trainer Karlheinz Steinmetz sind wir regelmäßig zu Professor Armin Klümper in die Uniklinik nach Freiburg gefahren. Dort sind wir reichlich mit Spritzen, aber auch mit Tabletten versorgt worden. Ich hatte mich damals noch gewundert, dass die Krankenkasse das alles bezahlt», sagte Neu. (SZ 08.08.2013)

Ende 1991 wurde Steinmetz von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.“ (Wagner/Steinmetz)

Als sein langjähriger Widersacher Alwin Wagner 1990 die jahrzehntelang geduldete Dopingpraxis auch unter westdeutschen Leichtathleten offenlegte und DLV-Trainer Steinmetz beschuldigte, Dopingmittel verteilt zu haben, sprach Danneberg – neben seinen deutschen Disziplin-Größen Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker – in einem Brief an den DLV davon, dass sie den Trainer „als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. (NDR – Sport-Legenden 4.12.2012)

Steinmetz war als Heimtrainer von Lars Riedel noch lange Zeit auf DLV-Kosten bei Meisterschaften unterwegs. Das NOK entsandte ihn ‚im Zuge seiner Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas‘ 2006 nach China. (DOSB 29.12.2005).

Es braucht kaum noch die ‚Olympischen Geschichten‘ des ungarischen Spitzenwerfers Robert Fazekas von 2004 bis 2012, um die Gebräuche in dieser Disziplin etwas anrüchig zu finden. Ein Hinweis auf Hartings Trainer Werner Goldmann erübrigt sich auch. Das ist bereits 2009 gelaufen.

Damals war Robert Harting nicht gut beraten bei seinem ‚handfesten‘ Angriff gegen die Doping-Opfer-Hilfe und Ines Geipel. – Offensichtlich hat er daraus nichts gelernt.

Robert Harting hat, wie jeder Athlet heute, einen Vertrauensvorschuss. Den kann man, wie die Geschichte des Diskuswerfens zeigt, verspielen. Erfolge von heute können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen.

Zukunft hat der Hochleistungssport nur durch saubere Leistungen heute und eine klare Haltung zu dem, was in den letzten 60 Jahren in Deutschland geschehen ist.

Ich habe niemanden geschadet – das ist kein Sport, keine Haltung – und vor allem kein Vorbild!

Hansjörg Kofink, 18. August 2013

DLV-Trainer Kugel Frauen 1970-1972, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes 1989-1999

26. Juni 2013

Mein Gedenkblatt

zum 30. Jahrestag von Jarmila Kratochvilovas 800-Meter-Weltrekord, zum 25. von Ben Johnsons Olympiasieg und zum 15. des Festina-Skandals der Tour de France.

Et tu, Brute?

Du auch!?, ruft der Sportbegeisterte, wenn er tagtäglich sieht, wie sich die ‚Helden des Sports‘, Olympiasieger, Weltmeister und Tour-de-France-Gewinner mit ihrem Betrug prostituieren.

Es sollen Cäsars letzte Worte gewesen sein, als er unter seinen Mördern seinen (Sports-) Freund Brutus entdeckte. (Die weitere Erklärung von „brutus“ kann hier entfallen, selbst wenn auch sie zutrifft!)

Der Olympische Geist, Banner des Spitzensports, wird gegenwärtig endgültig von seinen ‚vornehmsten‘ Protagonisten in den Dreck gezogen.

Grenzenloses Misstrauen ist das Einzige, was vom ‚Olympischen Ideal‘ des französischen Barons de Coubertin und vom Fair-play der großen britischen Sportnation geblieben ist, als das Allerletzte vom Vorbildcharakter des Sports.

Die Gretchenfrage, wie hältst Du’s mit den Regeln, stellt keiner mehr. Sie stört. Nationalistisches Prestige, hirnlose Gier nach Erfolg, Geld und Macht habe die ‚Werte des Sports‘ gemeuchelt. Und die Politik spielt – volksnah wie immer – mit!

Hansjörk Kofink, 26.07.2013

„Der Sport könnte ein Vorbild sein, wenn er sich selbst und die Verantwortung für seine Spielregeln ernst nimmt. Und da habe ich gemerkt, dass es im Berufssport immer schwieriger wird, vernünftige, humane Ideen umzusetzen.“

Toni Innauer *1958
Skiflugweltrekordler 1976
Olympiasieger 1980
ÖSV-Skisprungdirektor bis 2010

aus einem bemerkenswerten Interview mit Thomas Hahn in der SZ vom 28. 12. 2010

28. Januar 2013

Blick zurück…

wenn großer Rummel über Doping und seine tatsächliche Existenz Überraschung und große Emotionen auf dem Olymp (Rogge) und bei der Sporthilfe (van Almsick) auslöst – vgl Kistner SZ 28.01.13, S. 31 „Eins zu einer Million“ – dann sollte man nicht das eigene Haus vergessen, zumal der heutige Fuentes-Prozess in Spanien sich zunächst einmal gegen die gewonnene Weltmeisterschaft durchsetzen muss.

Die letzte DOSB PRESSE 4-2013 vom 22.01.13 schaute in das Jahr 1991 und liefert als Sportpolitisches Dokument – Kein Sieg um jeden Preis – die Empfehlungen der „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ in elf Punkten vom 14. Dezember 1991. (hängt an)

Und die sind lesenswert. Sie sind ein echter Kontrast zum DOSB-Abstimmungsergebnis vom 8. Dezember 2013.

Wie herrlich weit haben wir’s gebracht.

Ich leiste mir heute abend das Stuttgarter Sportgespräch 2013 „Feigenblatt Fair Play“ mit Prof. Gebauer, Prof. N. Müller, DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock u.a.m. mit Moderator Eike Schulz vom ZDF. Veranstaltet wird das wie schon seit Jahren von den Kanzleien Wüterich Breucker und Lengerke Thumm mit ihrer ‚Kooperation Sportrecht‘.

Vielleicht gibt’s was Neues!? Immerhin, so hört man, habe es eine Promotion über ‚Sportbetrug‘ gegeben.

Medienträchtig und öffentlichkeitswirksam wäre ein Vergleich der Richthofenschen Empfehlungen mit den Erfahrungen des Sportjahres 2013 (und natürlich der Zeit davor!)

Der DOSB macht’s ja möglich.

Was sich in vierzig Jahren getan hat, ist eigentlich unvorstellbar. Der Spitzensport in Deutschland heute ist das Erbe, das aus dem GAU der Vereinigung des Staatssports der Deutschen Demokratischen Republik mit dem ‚freien Sport‘ der Bundesrepublik Deutschland in den Wendejahren 1989 bis 1993 entstanden ist. Das Sportjahr 2012 fokussiert diese Entwicklung:

– Die Verantwortlichen des Sports verändern Regeln unter dem Druck von Ereignissen

– Sport als Wirtschaftsfaktor soll seine aktuelle Erscheinungsform legitimieren

– Erfolge im Spitzensport werden zu Ikonen der Nation stilisiert

– Finanzen vom Staat und schulische Talentsuche werden dazu angemahnt

– Es gibt keine gemeinsame Dopingbekämpfung von Sportrecht und öffentlichem Recht

– Der deutsche Sport ist nicht in der Lage seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten.

Und am Ende dieses erstaunlichen Jahres lehnt mit einer unfassbaren Mehrheit von 94% (!) das Parlament der größten NGO Deutschlands, des freien und souveränen Deutschen Olympischen Sportbundes, den Antrag ab:

– Die Finanzmittel der Nada von 500 000€ auf 1 000 000€ zu erhöhen

– Strafverschärfungen im Bereich der Drogenkriminalität vom Staat zu fordern

Mit diesem Sport ist kein Staat zu machen.

Januar 2013

1972 – 2012 Eine persönliche Bilanz

Im August 1972 habe ich als verantwortlicher Bundestrainer das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) und den Deutschen Leichtathletikverband (DLV) damit konfrontiert, was die Nichtnominierung der drei DLV-Kugelstoßerinnen – alle mit Olympianorm – für die Olympischen Spiele in München, also im eigenen Land, bedeutet:

… Sie liquidieren damit eine Disziplin der Frauen-Leichtathletik in unserem Land, die sich aus guten Gründen gegen den sich seit Jahren immer mehr verbreitenden Anabolika-Mißbrauch gestemmt hat!

Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß dieser, Ihr Beschluß als eine de-facto-Zustimmung zur Verwendung von Anabolika auch im Frauensport gedeutet wird und Sie werden die Verantwortung dafür zu tragen haben, wenn der von Sportärzten mehrfach beklagte Anabolikamißbrauch in der Jugend-Leichtathletik im DLV-Bereich von nun an auch auf die Mädchen übergreifen wird! …

Von März bis zu den Olympischen Spielen in London im Juli 2012 haben Claudia Lepping und ich im Namen von prominenten Dopinggegnern fünf ‚Offene Briefe‘ zur aktuellen und zur grundsätzlichen Doping-Situation im Land an Politik, Sport und die Medien verschickt, alle mit der Präambel:

Es reicht.

Seit Jahrzehnten beißen konsequente Doping-Gegner bei Sportorganisationen und nationalen Regierungen auf Granit. Weil es dort um den nationalen Erfolg im internationalen Kräftemessen geht, gilt unausweichlich: Das System duldet Doping, aber keinen Dopingfall. Wir wiederum dulden das nicht mehr. Dem Eindruck, dass sich die Sportverbände aus Ost- und Westdeutschland zusammengefunden haben, auch um das Dopingsystem zu perfektionieren, wollen wir Dopinggegner mit vereinten Kräften entgegen treten. Wir fordern von Politik und Sport ein konsequentes und glaubwürdiges Eintreten für einen sauberen Sport.

Was sich in vierzig Jahren getan hat, ist eigentlich unvorstellbar. Der Spitzensport in Deutschland heute ist das Erbe, das aus dem GAU der Vereinigung des Staatssports der Deutschen Demokratischen Republik mit dem ‚freien Sport‘ der Bundesrepublik Deutschland in den Wendejahren 1989 bis 1993 entstanden ist. Das Sportjahr 2012 fokussiert diese Entwicklung:

– Die Verantwortlichen des Sports verändern Regeln unter dem Druck von Ereignissen

– Sport als Wirtschaftsfaktor soll seine aktuelle Erscheinungsform legitimieren

– Erfolge im Spitzensport werden zu Ikonen der Nation stilisiert

– Finanzen vom Staat und schulische Talentsuche werden dazu angemahnt

– Es gibt keine gemeinsame Dopingbekämpfung von Sportrecht und öffentlichem Recht

– Der deutsche Sport ist nicht in der Lage seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten.

Und am Ende dieses erstaunlichen Jahres lehnt mit einer unfassbaren Mehrheit von 94% (!) das Parlament der größten NGO Deutschlands, des freien und souveränen Deutschen Olympischen Sportbundes, den Antrag ab:

– Die Finanzmittel der Nada von 500 000€ auf 1 000 000€ zu erhöhen

– Strafverschärfungen im Bereich der Drogenkriminalität vom Staat zu fordern

Mit diesem Sport ist kein Staat zu machen.

Hansjörg Kofink Januar 2013