Hansjörg Kofink: Die olympische Idee Coubertins ist mausetot
geschrieben im Oktober 2008
das Wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, es ist der Kampf;
das Wesentliche ist nicht gesiegt, sondern sich gut geschlagen zu haben (Coubertin)
Der französische Baron, ein feinsinniger Humanist entwarf gegen Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Crash der europäischen Nationalstaaten, seine Vision einer ganzheitliche Erziehung des Menschen zur internationalen Verständigung und zur Friedenssicherung. Vorbild war ihm das englische Schul- und Erziehungssystem, der idealisierte Olympiakämpfer des antiken Hellas sollte diese Idee verkörpern. Im Athen von 1896 nahmen die ‚Olympischen Spiele der Neuzeit’ ihren Lauf.
Ein Jahrhundert später, verbreitet das IOC, Sachwalter der Idee Coubertins im TV-Spot ‚The Best of Us Campaign’, die moderne Form dieser Vision. Superheroes wie Roger Federer, Liu Xiang, Yelena Isinbayeva (You woman who jumps the highest, we could jump that high, there is no obstacle too great to overcome), Kenenisa Bekele, Haile Gebrselelassie, Olympialegenden und Topverdiener des Weltsports, (<i<all eyes are on you, … nothing is unreachable, go and amaze us!</i>) sind diejenigen, die das scheinbar Unmögliche zu erreichen suchen, und es natürlich geschafft haben.
Der ‚Jugend der Welt’ versichert der Spot „Teens“, dass Sport eine wichtige Rolle spielen kann, das Selbstvertrauen junger Menschen zu stärken: …it inspires you … it makes you invincible!
Die Olympische Familie heute
Mediengiganten, neben den offiziellen Sponsoren die Finanziers des Olympischen Spektakels, bestimmen heutzutage Zeitplan und Wettbewerbe der Spiele: Olympiasieger müssen zur Prime Time in die USA geliefert werden, ob die Entscheidung deswegen zur leistungsphysiologischen Unzeit angesetzt werden muss, spielt keine Rolle.
„Die zwölf TOP-Sponsoren des IOC sind Weltunternehmen, die sich für insgesamt 866 Millionen Dollar das Recht erkauft haben, von 2005 und 2008 global mit den Olympischen Ringen werben zu können. Die Peking-Spiele bedeuten für Firmen wie Coca-Cola, McDonald’s, Visa und Samsung, sich dem 1,3-Milliarden-Menschen-Markt China empfehlen zu können. Das wollen auch die 35 Sponsoren des Pekinger Organisationskomitees (Bocog), darunter Volkswagen und Adidas. Sie bringen Bocog etwa eine Milliarde Dollar ein – und verlangen Gegenleistungen für Zahlungen von zum Teil mehr als 100 Millionen Dollar.“ (FAZ 19.3.08)
Global Players wie Volkswagen und Daimler, McDonald’s und Microsoft, inzwischen auch chinesische und indische Weltkonzerne, liefern das Interieur und bezahlen Olympia, was immer es kostet. Damit haben sie sich in die olympische Familie eingekauft.
In Peking 2008 hat das IOC mit der Vermarktung der Olympischen Spiele der Neuzeit seinen bisherigen Höhepunkt erreicht. Die Vision des französischen Barons ist im Schrein der Olympischen Charta abgelegt.
Olympiasieg um jeden Preis
Was zählt, ist der Olympiasieg, der Medaillenspiegel und die authentische Live-Übermittlung von großen Emotionen, Spektakel, Show.
Medaillen stehen für nationale Größe, für die Überlegenheit des Systems, wie auf dem Olympischen Kongress in München 1972 argumentiert wurde. So war es 1936 in Berlin, so war es in 40 Jahren Ost-West-Konflikt, und so ist es in Beijing 2008 gewesen. Dass immer häufiger nachbilanziert werden muss, schert niemanden. Sechsundvierzig (!) Olympia-Medaillen wechselten vor Peking im Nachhinein den Besitzer, 23 Olympiasieger mussten aus den Ehrentafeln getilgt werden. Doch Doping im olympischen Wettkampf stört den Marktwert nicht.
Doping werde zwar allgemein abgelehnt, beeinflusse aber die Werbewirksamkeit nicht. „Die ganzen überführten Sprinter“, sagt Jan Runau, Konzernsprecher von Adidas, in seiner Bilanz im ‚Spiegel’, „Marion Jones, Justin Gatlin, haben den Erfolg von Nike nicht beeinflusst.“
Die Attraktion der Olympischen Spiele treibt noch andere seltsame Blüten.
DFB-Bundesliga-Clubs setzen Rechtsmittel ein, um ihre ausländischen Angestellten von der Olympiateilnahme für ihr Heimatland abzuhalten. Deutsche Tennisprofis klagen ihre Olympia-Teilnahme ein. Die Giganten der Landstraße wechseln unmittelbar von der Tour de France zu Olympia. Millionenschwere Professionals aus den ranghöchsten Ligen der Welt erfüllen sich ihren Wunschtraum Olympia, nominiert von den in Frage kommenden Nationalen Olympischen Komitees.
Geld spielt auch hier keine Rolle, denn auch diese Spitzenprofis geben ihr Bestes beim Olympia-Gastspiel auf Kosten der NOKs. Ihren Auftritt und ihre Leistungen honorieren dann ihre eigenen Sponsoren zusätzlich.
Vom ‚olympischen Gedanken’ ist der heutige Profisport Lichtjahre entfernt.
Olympia von oben: Politik und Geld
DOSB-Präsident, Dr. Thomas Bach führt die vielen unnötigen Diskussionen um Olympia auf die beiden Lebenslügen des Sports zurück, mit denen der Sport zu leben habe: zum einen, der Sport habe weder mit Geld, noch, zum anderen, mit Politik zu tun. Doch das ist Schnee von vorgestern.
Die Olympische Spiele waren nie ‚unpolitisch’. Bereits im Vorfeld der ersten Spiele 1896 in Athen opponierten Teile der deutschen Turn- und Sportbewegung unter dem Motto „Olympiateilnahme ist Vaterlandsverrat“. Sie konnten allerdings die Teilnahme deutscher Privatleute nicht verhindern.
Massivstem politischem Druck waren die Boykottspiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles ausgesetzt.
Vierzig Jahre lang (1948-1988) belastete der Ost-West-Konflikt die Spiele. Dazu gab es olympiadelange Querelen wegen der Olympiamannschaften Deutschlands, Chinas und Koreas, die durch komplizierte politische Konstruktionen ausgeräumt werden mussten.
Politik pur war das Lavieren nach dem Ersten Weltkrieg: Am Ende wurden Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und die Türkei als Verursacher des 1. Weltkrieges nicht nach Antwerpen 1920 eingeladen. Auch 1924 war Deutschland in Paris noch unerwünscht.
Für die Olympischen Spiele 1948 in London erhielten Deutschland und Japan keine Einladungen.
Boykotts aus den unterschiedlichsten Gründen gab es 1928, 1936, 1956, 1968, 1972, 1976, 1980, 1984 und 1988.
Erstmals 1992 in Barcelona nahmen alle 159 dem IOC angeschlossenen NOKs teil.
Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gab es politisches Geplänkel um teilnehmende Mannschaften. Erinnert sei an die GUS-Staaten und die Konflikte zwischen China und Taiwan und den beiden Koreas.
Allerdings trat nun wirtschaftliche Einflussnahme auf das IOC in den Vordergrund.
Olympia und Geld
„Für nahezu 4,5 Milliarden Dollar hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) sein Rechte-Paket für die Olympiade von 2005 bis 2008, also an den bevorstehenden Sommerspielen und den Winterspielen 2006 in Turin, verkauft. Peking allein bringt dem IOC 1,74 Milliarden Dollar für die weltweiten Fernsehrechte ein. Bindende Verträge gibt es beispielsweise mit dem amerikanischen Fernsehsender NBC (Ertrag 894 Millionen Dollar) und der Europa-Rundfunk-Union EBU (443 Millionen Dollar).“ (FAZ 19.3.08)
Obwohl schon 1928 Coca-Cola die Spiele sponserten, weil Amsterdam die Kosten nicht schultern konnte, begann die Vermarktung Olympias in den 80er- und 90er-Jahren. Markantes Datum für den Einfluss des Geldes sind die ersten frei finanzierten Spiele 1984 in Los Angeles mit einem erklecklichen Überschuss. Seoul 1988 markiert mit der erstmaligen Teilnahme von Tennis-Profis das Ende des olympischen Amateurstatuts – unter anderem mit der Begründung, der Osten schicke ja auch Staatsamateure in die olympischen Arenen. Die Coca Cola-Spiele von 1996 in Atlanta, die Athen das Hundertjährige wegsponserten, machten olympische Bestechung öffentlich.
China hat für seine Spiele mindestens 30 Milliarden Dollar investiert.
Sportwettkämpfe sind angesichts solcher Beträge nur noch Nebensache.
Genau diesen Eindruck vermittelt auch der noch anhängige Strafprozess um den Bankrott des Sportvermarkters ISMM/ISL in Zug/ Schweiz im Frühjahr 2008, in dem sich der Welt-Spitzensport als ein seit Jahrzehnten hochkorrupter Moloch – so der Richter – darstellt.
Doping die Melange von politischem Druck und finanziellem Anreiz?
Dass es neben – oder besser wegen – der gewaltigen Einflussnahme von Politik und Geld auch noch eine dritte Lebenslüge des Sports gibt‚ Doping, münzt IOC-Vizepräsident Bach, der für diesen Bereich zuständig ist, lieber zu Zweifeln an diesem oder jenem Ergebnis um. Doch man tue alles, um diese Einzelfälle in den Griff zu bekommen.
Eine verblüffend andere Sicht des zuständigen IOC-Funktionärs Bach zur Doping-Bekämpfung, verglichen mit Aussagen der deutschen Cheftrainer für Leichtathletik und Schwimmen in ihrer Peking-Bilanz.
Doch sie passt zur historischen olympischen Dopingbekämpfung: In Moskau 1980 gab es erstmals keinen Dopingfall; in Los Angeles 1984 verunglückte das Fahrzeug mit den Dopingproben/ verschwanden die Dopingproben aus einem Kühlschrank (über das Verschwinden gibt es verschiedene Versionen!); der Goldmedaillen-Nachrücker für Ben Johnson in Seoul 1988, Carl Lewis, wurde zuvor in den USA mehrfach positiv getestet.
Dass seither die Einzeltäter entsprechend den Dopingkontrollen bei Olympia zunehmen, verbucht das IOC als Erfolg. Dopingfälle im Rudel wie bei Österreichs Winterolympioniken 2006 in Turin oder die Suspendierung einer kleinen, aber feinen russischen Leichtathletik-Truppe vor Peking 2008 irritieren und stören das ansonsten stimmige Bild.
Wer weiß, ob die eingefrorenen Dopingproben in Beijing jemals aus China herauskommen oder vielleicht sogar einem Stromausfall zum Opfer fallen?
Olympia von unten: Wettkämpfer und Trainer
Deutsche Olympiateilnehmer im Schwimmen und in der Leichtathletik resignieren und äußern in Peking offen ihren Verdacht auf Leistungsmanipulation bei manchen Konkurrenten. Der Zuschauer sieht unglaubliche Leistungsunterschiede und Trainer, ehemalige Olympiasieger und Dopingexperten liefern in allen Medien dazu ihre Kommentare.
Der Generalverdacht gegenüber herausragenden Leistungen grassiert.
‚Eruptionen von Spitzenleistungen’ Zwölf Frauen sind in diesem Jahr bereits unter elf Sekunden gelaufen (NZZ) korrespondieren mit der vorolympischen Suspendierung einer ganzen Leichtathletiktruppe.
Der Cheftrainer der deutschen Leichtathletik, die ihr schwächstes Olympia-Ergebnis seit 104 Jahren eingefahren hat, gibt beim öffentlichen Rundumschlag gegenüber Funktionärskollegen, dem staatlichen Geldgeber und dem Deutschen Olympischen Sportbund jede Zurückhaltung auf: von olympischem Geist und der Vorbildfunktion des Spitzensports war nicht die Rede sondern von fehlendem Geld.
Jürgen Mallow, DLV-Cheftrainer, sieht es so: Entweder, es wird alles wieder gut, weil die Forschung intensiver, die Kontrollen besser und die Strafen härter werden. Oder es geht alles schief, weil das Gute nicht geschieht, „aber dann ist die Idee der Olympischen Spiele der Neuzeit tot“. Und der Sport geht an den Manipulationen zugrunde.
Auch der Cheftrainer der deutschen Schwimmer, Örjan Madsen, ist über 25 neue Weltrekorde in Peking fassungslos:
„Es ist eine Leistungsexplosion, die es in der Geschichte noch nie auch nur annähernd gegeben hat. Die Steigerungen hier sind so groß, dass es alle Maßstäbe sprengt. Statistisch gesehen ist, was wir hier gesehen haben, eigentlich gar nicht möglich – trotzdem ist es passiert.“ „Ich will nicht spekulieren, aber ich kann mich nicht davon frei machen, darüber nachzudenken, ob das hier alles mit rechten Dingen zugeht.“ und „Die Gefahr ist groß, dass wir beim Doping jetzt in eine Entwicklung geraten, die überhaupt nicht mehr zu kontrollieren ist.“
Solcher Klartext ist von Verantwortlichen deutscher Olympiamannschaften nach olympischen Wettkämpfen noch nie gesprochen worden. Und das angesichts von gerade einer Handvoll positiver Dopingproben vor Ort.
Madsen und Mallow wissen, was in der Szene geschieht, sie unterstützen das deutsche Anti-Doping-Programm rückhaltlos – und sie sind am Ende ihres Lateins. Ihr Resümee, das sie dem Spiegel (25.8.08) nach den Spielen gegeben haben, lässt keinen Spielraum mehr für Diskussionen.
Was haben die Chinesischen Spiele sonst noch gebracht?
Ein bestens vorbereiteter Gastgeber hat perfekte Spiele abgeliefert, begleitet von einem begeisterten, nationalbewussten, immer freundlichen und aufgeschlossenen Publikum. Die milliardenschwere Show hat die Welt beeindruckt, nicht nur die Jugend der Welt. Der Ablauf der Wettbewerbe, Sportstätten und Organisation wurden uneingeschränkt gelobt.
Kritik im Vorfeld an Doping-Mentalität und –möglichkeiten, an Kindersportschulen, an Luftverschmutzung pulverisierte die perfekte Organisation.
Es gab keinen einzigen chinesischen Dopingfall. Das jahrelange Training in Chinas Sportschulen hat mehr Medaillen gebracht als je zuvor. Dennoch beklagen die Chinesen ihre Ergebnisse im Schwimmen und in der Leichtathletik im Vergleich zu den besten Nationen.
Kein Ausdauerwettbewerb hatte unter Luftverschmutzung zu leiden. Die gewaltigen Regengüsse sind zu dieser Jahreszeit üblich; doch auch sie beherrschten die Gastgeber bei Eröffnungs- und Schlussfeier.
In kritischen Phasen des Dialogs mit dem IOC unmittelbar vor Beginn der Spiele wirkte der Veranstalter souveräner und kompetenter als das IOC.
Der Verlauf der Spiele wischte das alles weg, auch aus der Erinnerung!
Also, ein Erfolg für die Olympischen Spiele, ein Erfolg für das IOC, ein Erfolg für den Sport? Für China, ja! Aber, wie steht es um die DOSB-Olympia-Premiere, welche Erkenntnisse zieht der DOSB sein Ressort ‚Bildung und Olympische Erziehung‘ aus Beijing 2008?
Trotz der kürzlichen Vereinigungsmanifestation von Deutschem Sportbund (DSB) und Nationalem Olympischen Komitee (NOK) zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) bekommt auch in Deutschland der Monolith SPORT – von Erziehung bis Fun, von Börsenwert bis Fairplay – unübersehbare Risse: Was bei Golden League derzeit noch Leichtathletik heißt, findet sich in Sportlehrplänen einer ganzen Reihe deutscher Länder bereits als Bewegungsfeld Laufen, Springen, Werfen.
Und für die Zukunft formuliert der Marburger Lehrstuhlinhaber, Prof. Dr. Jürgen Seewald, in der neuesten Ausgabe der ‚Sportwissenschaft’ zur fachspezifischen Argumentation in der Sport- und Bewegungspädagogik:
„Der Sportartensport hat sich durch „Auswüchse“ im Spitzensport delegitimiert und steht infrage, ein tradierungswürdiges Kulturgut darzustellen.“ (2008/ 2, S. 154).
Damit hätte sich dann das ‚Staatsziel SPORT’ als Artikel im Grundgesetz, ein Herzensanliegen des DOSB, erledigt.
1988 nach dem Dopingfall Ben Johnsosn schrieb Hansjörg Kofink: