Hansjörg Kofink – Gedanken zum Sport
Hansjörg Kofink: Sportsommer 2006
geschrieben im August 2006
Die besondere Presseschau
Doping ist das Thema des Sportsommers 2006. Der GAU des Jan Ullrich brannte ein Thema ins öffentliche Bewusstsein, über das seit Jahren großzügig hinweggesehen wurde.
Noch im April dieses Jahres staunte die FAZ: „Das wird ein Kampf der Schwergewichte werden: Neun Rundfunkanstalten plus ein Starmoderator gegen einen prozessgestählten Professor.“ Die ARD hatte Prof. Dr. Franke auf Unterlassung mit einem Ordnungsgeld von einer Viertelmillion Euro verklagt, die ARD sei durch Sportkoordinator Hagen Bossdorf an systematischer Lügnerei über ein kriminelles Unternehmen – den Radsport – beteiligt.
Das Münchener Gericht und die Realität der Tour de France 2006 haben Franke in seiner Sicht bestätigt. Inzwischen nennt er in allen Medien des In- und Auslands die Dinge beim Namen, die bisher in der Sportberichterstattung weitgehend unter den Tisch gefallen sind. Und ARD wie ZDF knüpfen an künftige Reportagen zur Tour de France Bedingungen!
Die NEUE ZÜRICHER ZEITUNG hat Recht, das einstige Schmuddelthema aufgeregter Nestbeschmutzer ist, Jan Ullrich sei Dank, auf allen Kanälen, obwohl sich grundsätzlich nichts verändert hat. Die olympischen Nachlesen von 1972, 1976, für Kenner die von 1980 und 1984, vor allem aber 1988 (Ben Johnson), die jährliche Begleitmusik zur Tour de France, explodiert im Festina-Skandal 1998, waren eher weniger als mehr in den Medien. Widerspruch und Missachtung erregten nur die selbsternannten Dopingaufklärer (sic!).
Eine penible Sachkenntnis, seine hohe wissenschaftliche und ethische Integrität gepaart mit Mut und ostwestfälischem Stehvermögen haben Werner Franke, den Zellbiologen am Heidelberger Krebsforschungsinstitut zur medial omnipräsenten Figur des Kampfes gegen Doping 2006 gemacht. Tatsächlich ist er das seit fast vierzig Jahren weltweit!
Was sagen unmittelbar Betroffene zum Thema?
Zwei noch aktive erfolgreiche deutsche Leichtathletinnen, Franka Dietsch (38) mit DDR-Hintergrund, Kirsten Bolm (31) mit USA-Erfahrung fordern unisono drastischere Strafen.
Der dritte Leichtathlet, der ehemalige Sprinterstar Österreichs, Andreas Berger (45), hält, genau wie Kirsten Bolm, das Geld für die entscheidende Verführung zum Doping, so sehr, dass er nicht nur Gesundheits- und Vorbildwirkung des Hochleistungssports kategorisch verneint, sondern dass er unter den heute gegebenen Verhältnissen trotz der Erfahrung einer vierjährigen Dopingsperre vor 15 Jahren wieder dopen, es aber gescheiter machen würde.
David Millar (29), 2003 Weltmeister im Zeitfahren, dreimaliger Etappensieger der Tour de France wurde 2004 beim Doping-Skandal seines Confidis-Rennstalls verhaftet als Epo-Ampullen in seinem Keller gefunden wurden. Nach 48 Stunden Gefängnis gab er mehrjähriges Doping zu. Nach Ablauf seiner Sperre am 23. Juni 2006 nahm er für das spanische Team Saunier-Duval an der Tour 2006 teil. Sein Interview „Ich war ein verdammter Idiot“ am 8. Juli in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist ein zeitgeschichtliches Dokument (Interview).
Alle vier Athlet(inn)en gehen von Doping als bestimmender Größe in ihrem Sport aus. Sie halten die Bekämpfung für unzureichend. Sie sehen Geld als entscheidende Voraussetzung für Doping im Hochleistungssport, von ethischen Forderungen versprechen sie sich nichts. Die noch aktiven halten einen dopingfreien Leistungssport, allerdings unter strengen Kontrollen und harscher Strafandrohung für möglich; der inzwischen inaktive hält das für ausgeschlossen. Das macht die Aufarbeitung der eigenen Erfahrungen erträglicher.
Erheblich weniger eindeutig sind Äußerungen der mittelbar Betroffenen, des Teamarztes von Jan Ullrich und des Präsidenten des Radsport-Weltverbandes.
Für Pat McQuaid, den UCI-Präsidenten, der die Kontrollinstanzen seines Verbandes lobt, übersteigt das aktuelle Geschehen seine Vorstellungskraft und die notwendigen Kontrollmaßnahmen die finanziellen Mittel des Verbandes.
Im SZ-Interview „Meine Arbeit ist Teamarzt, nicht Dopingkommissar“ vom 20. August 2006 – einem weiteren Dokument von zeitgeschichtlicher Relevanz – ringt Dr. Lothar Heinrich mit seiner Rolle als Arzt und Vertrauensperson eines offensichtlich seit Jahren in Dopingpraktiken verstrickten Jan Ullrich. Für Doping gibt es unabhängige externe Tests. … Unter medizinischer Ethik verstehe ich, dass ich für die Gesundheit des Menschen zuständig bin. Auch für den unbefangenen Leser ist es beklemmend, einen allseits bekannten Teamarzt auf die Frage, ob er Lance Armstrong vertraue, antworten zu hören: „Ich kenne ihn nicht, wie sollte ich ihm da mein Vertrauen schenken?“ (Interview)
Während die Ausreden der Stars nach positiven Dopingproben eher zum Schmunzeln sind, lassen die nackten Doping-Meldungen zur Vergangenheit des CSSR-Sports und zur Zukunft beim Olympia-Gastgeber China 2008 in Peking Humor oder gar Visionen gefrieren.
Quo vadis, Olympia